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BEM-Ergebnisse und ihre Umsetzung
11.07.2018. Bereits vor Jahren hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) klargestellt, dass Arbeitgeber dazu verpflichtet sind, die Ergebnisse eines betrieblichen Eingliederungsmanagements (BEM) umzusetzen (BAG, Urteil vom 10.12.2009, 2 AZR 400/08, wir berichteten in Arbeitsrecht aktuell: 10/074 Anforderungen an Betriebliches Eingliederungsmanagement).
In einem aktuellen Fall hat das Landesarbeitsgericht (LAG) Schleswig-Holstein auf der Grundlage dieser Vorgaben des BAG herausgearbeitet, welche Nachweise der Arbeitgeber erbringen muss, um vor Gericht zu rechtfertigen, dass bzw. warum er ein solches positives BEM-Ergebnis nicht durchführt: LAG Schleswig-Holstein, Urteil vom 11.04.2018, 6 Sa 361/17.
- Erst „bemmen“, dann kündigen?
- Der Streitfall: Kassiererin fällt von 2013 bis 2016 pro Jahr in erheblichem Umfang krankheitsbedingt aus
- LAG Schleswig Holstein: Im Rahmen des BEM ermittelte Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten muss der Arbeitgeber umsetzen
Erst „bemmen“, dann kündigen?
Wenn ein Arbeitnehmer innerhalb eines Jahres länger als sechs Wochen ununterbrochen oder wiederholt arbeitsunfähig ist, muss der Arbeitgeber gemäß § 167 Abs.2 Satz 1 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) unter Beteiligung des betroffenen Arbeitnehmers und des Betriebsrats bzw. Personalrats klären, wie die Arbeitsunfähigkeit möglichst überwunden werden und mit welchen Leistungen oder Hilfen erneuter Arbeitsunfähigkeit vorgebeugt und der Arbeitsplatz erhalten werden kann. Dieser gemeinsame Klärungsprozess heißt betriebliches Eingliederungsmanagement (bEM).
Ist ein Arbeitnehmer sogar über einen längeren Zeitraum von (mindestens) zwei aufeinanderfolgenden Jahren länger als sechs Wochen pro Jahr krank, kommt aus Arbeitgebersicht der Ausspruch einer krankheitsbedingten Kündigung in Betracht. In vielen Fällen handelt es sich dabei um sog. häufige Kurzerkrankungen. Der Arbeitnehmer ist dann immer erneut für ein bis drei Wochen krank und am Ende des Jahres summieren sich Fehlzeiten von über sechs Wochen auf.
Praktisch gesehen heißt das: Wenn der Arbeitgeber zu einem bEM gemäß § 167 Abs.2 Satz 1 SGB IX verpflichtet ist, liegen oft auch die Voraussetzungen einer sozial gerechtfertigten krankheitsbedingten Kündigung im Sinne von § 1 Kündigungsschutzgesetz (KSchG) vor, und umgekehrt.
Das BAG zieht daraus die Schlussfolgerung, dass eine krankheitsbedingte Kündigung zwar nicht in jedem Falle unwirksam ist, wenn der Arbeitgeber seine Pflicht zum (vorherigen) bEM missachtet hat, dass er dann aber im Falle eines Kündigungsschutzprozesses vor Gericht nachweisen muss, dass und warum ein (korrekt durchgeführtes) bEM nutzlos gewesen wäre (BAG, Urteil vom 20.11.2014, 2 AZR 755/13, S.14). Diese Linie verfolgt das BAG bereits seit 2007 (BAG, Urteil vom 12.07.2007, 2 AZR 716/06, wir berichteten darüber in Arbeitsrecht aktuell: 07/39 Kündigung wg. Krankheit und Eingliederungsmanagement).
Nun wäre ein bEM allerdings sinnlos, wenn es zwar zu einem positiven Ergebnis führt, der Arbeitgeber es aber einfach ignorieren könnte. Schlägt daher ein Betriebsarzt oder ein den Arbeitnehmer behandelnder Arzt im Verlauf eines bEM z.B. vor, den Arbeitnehmer auf einem leidensgerechten anderen Arbeitsplatz einzusetzen, muss der Arbeitgeber diese Empfehlung befolgen. Macht es nicht und kündigt stattdessen, muss er vor Gericht detailliert nachweisen,
„warum die Maßnahme entweder trotz Empfehlung undurchführbar war oder selbst bei einer Umsetzung diese keinesfalls zu einer Vermeidung oder Reduzierung von Arbeitsunfähigkeitszeiten geführt hätte. Dem wird der Arbeitnehmer regelmäßig mit einem einfachen Bestreiten entgegentreten können.“ (BAG, Urteil vom 10.12.2009, 2 AZR 400/08, S.8)
Auf dieser Grundlage hat das LAG Schleswig-Holstein die Einlassungen des Arbeitgebers im Kündigungsschutzprozess für unzureichend bewertet.
Der Streitfall: Kassiererin fällt von 2013 bis 2016 pro Jahr in erheblichem Umfang krankheitsbedingt aus
Im Streitfall ging es um eine seit 2008 in einem größeren Einzelhandelsbetrieb beschäftigte Kassiererin, die trotz ihres recht jungen Alters von Mitte 30 in erheblichem Umfang von krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit betroffen war. Von 2011 bis 2013 war sie etwa eineinhalb Jahre lang im Wechsel an der Kasse und an der Information tätig.
Die seit 2013 einsetzenden massiven krankheitsbedingten Ausfälle betrugen, abgesehen von einer längeren Dauererkrankung in 2014, jeweils pro Krankheitsfall meist ein bis drei Wochen. Insgesamt fehlte sie im Jahre 2013 an 102 Kalendertagen, im Jahre 2014 an 180 Kalendertagen, im Jahre 2015 an 57 Kalendertagen und im Jahre 2016 an 98 Kalendertagen.
Aufgrund dieser erheblichen krankheitsbedingten Fehlzeiten führte der Arbeitgeber sowohl im Jahre 2014/2015 als auch im Jahre 2016 mehrere bEM-Verfahren durch. Dabei hieß es im bEM-Abschlussbericht vom April 2015:
„Um weitere Krankheitsfälle zu vermeiden, empfiehlt Herr Dr. H… eine Versetzung an die Information oder eine Wechseltätigkeit zwischen Kasse und Information.“
Statt die Arbeitnehmerin im Rahmen der ärztlicherseits vorgeschlagenen Wechseltätigkeit an Kasse und Information einzusetzen sprach der Arbeitgeber im November 2016 nach Anhörung des Betriebsrats eine ordentliche krankheitsbedingte Kündigung aus. Dagegen reichte die Kassiererin Kündigungsschutzklage ein, in der ersten Instanz vor dem Arbeitsgericht Kiel mit Erfolg (Urteil vom 26.07.2017, 2 Ca 1786 d/16).
LAG Schleswig Holstein: Im Rahmen des BEM ermittelte Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten muss der Arbeitgeber umsetzen
Auch in der zweiten Instanz vor dem LAG Kiel zog der Arbeitgeber den Kürzeren. Das LAG wies seine Berufung zurück und ließ die Revision zum BAG nicht zu. In der Urteilsbegründung heißt es:
Die vom Arbeitgeber aufgezeigten Fehlzeiten führten hier im Streitfall zwar (an dieser Stelle konnte der Arbeitgeber punkten) zu einer sog. negativen Gesundheitsprognose. Denn die Kassiererin war über mehrere Jahre hinweg deutlich länger als sechs Wochen aufgrund häufiger Kurzerkrankungen arbeitsunfähig. Dabei half es ihr nicht, dass sie beteuerte, die einzelnen Erkrankungen seien jeweils folgenlos ausgeheilt. Denn das LAG ging im Anschluss an die BAG-Rechtsprechung davon aus (BAG, Urteil vom 20.11.2014, 2 AZR 755/13, S.7), dass auch dann, wenn einzelne Erkrankungen weggefallen bzw. ausgeheilt sind, viele Erkrankungen eines bestimmten Typs (hier im Streitfall: Erkältungskrankheiten und orthopädische Leiden) auf eine allgemeine Krankheitsanfälligkeit hindeuten können (LAG Schleswig-Holstein, Urteil vom 11.04.2018, 6 Sa 361/17, Rn.48-53).
Allerdings nutzte dem Arbeitgeber der Nachweis einer negativen Gesundheitsprognose im Ergebnis nichts, denn die Kündigung war nicht das mildeste Mittel („ultima ratio“) und daher unverhältnismäßig bzw. unwirksam. Der Arbeitgeber hatte zwar das gesetzlich vorgeschriebene bEM durchgeführt, doch hatte er die Empfehlung des Betriebsarztes, die Kassiererin im Wechsel an der Kasse und an der Information einzusetzen, nicht umgesetzt. Dazu aber wäre er verpflichtet gewesen.
An dieser Stelle hatte sich der Arbeitgeber damit verteidigt, die Kassiererin sei nicht ausreichend qualifiziert für eine Tätigkeit an der Information, doch konnte die Kassiererin darauf verweisen, dass sie in der Vergangenheit bereits für eineinhalb Jahre eben diese Tätigkeit (Wechsel zwischen Kasse und Information) ausgeübt hatte. Dazu das LAG:
„Das widerspricht der Behauptung der Beklagten, die Klägerin sei für diese Tätigkeit nicht hinreichend qualifiziert. Denn ohne entsprechende Qualifikation ist ein derart langer Einsatz in dem Bereich nicht denkbar. Die Beklagte hat auch nicht dazu ausgeführt, welche Kenntnisse oder Qualifikationen der Klägerin überhaupt fehlen und wie es trotzdem möglich war, etwa 1 ½ Jahre die Arbeit zu verrichten.“ (LAG Schleswig-Holstein, Urteil vom 11.04.2018, 6 Sa 361/17, Rn.58)
Fazit: Die Darlegungs- und Beweislast, die der Arbeitgeber vor Gericht zu bewältigen hat, wenn er die positiven Ergebnisse eines bEM nicht umsetzt, wiegt ähnlich schwer wie die Darlegungs- und Beweislast in dem Fall eines gänzlich unterlassenen bEM.
Hier im Streitfall hatte es sich der Arbeitgeber zu einfach gemacht, so dass er kaum Chancen hatte, den Prozess zu gewinnen. Denn erstens hatte die gekündigte Arbeitnehmerin die vom Betriebsarzt empfohlene Tätigkeit im Wechseldienst zwischen Kasse und Information nur wenige Jahre vor der Kündigung über einen längeren Zeitraum verrichtet. Und zweitens war sie während der damaligen Zeit fast nie krank.
Für Arbeitgeber heißt das: Wer ein bEM durchführt, dann aber die ärztliche Empfehlung einer leidensgerechten Tätigkeit mit dem Hinweis auf angeblich fehlende Qualifikationen abtut, handelt kündigungsrechtlich fahrlässig.
Nähere Informationen finden Sie hier:
- Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein, Urteil vom 11.04.2018, 6 Sa 361/17
- Handbuch Arbeitsrecht: Behinderung, Menschen mit Behinderung
- Handbuch Arbeitsrecht: Betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM)
- Handbuch Arbeitsrecht: Krankheit
- Handbuch Arbeitsrecht: Kündigung - Kündigung wegen Krankheit
- Handbuch Arbeitsrecht: Kündigungsschutzklage
- Handbuch Arbeitsrecht: Schwerbehindertenvertretung
- Handbuch Arbeitsrecht: Schwerbehinderung, schwerbehinderter Mensch
- Arbeitsrecht aktuell: 17/123 Beweislast bei Krankheit von mehr als sechs Wochen
- Arbeitsrecht aktuell: 16/263 Arbeitsunfähigkeit bei Folgebescheinigung über andere Krankheit
- Arbeitsrecht aktuell: 16/140 Kein Präventionsverfahren in der Probezeit
- Arbeitsrecht aktuell: 16/078 Betriebliches Eingliederungsmanagement und Datenschutz
- Arbeitsrecht aktuell: 15/038 Kein Anspruch auf Hinzuziehung eines Anwalts zu BEM-Gesprächen
- Arbeitsrecht aktuell: 14/128 Leidensgerechte Arbeit im Krankenhaus
- Arbeitsrecht aktuell: 13/325 Betriebliches Eingliederungsmanagement und Kündigung
- Arbeitsrecht aktuell: 12/386 Krankheitsbedingte Kündigung ohne betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM)
- Arbeitsrecht aktuell: 10/074 Anforderungen an Betriebliches Eingliederungsmanagement
- Arbeitsrecht aktuell: 07/39 Kündigung wegen Krankheit und Eingliederungsmanagement
Letzte Überarbeitung: 29. Juni 2019
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Dr. Martin Hensche Rechtsanwalt Fachanwalt für Arbeitsrecht Kontakt: 030 / 26 39 620 hensche@hensche.de | |
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