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ARBEITSRECHT AKTUELL // 18/170

BEM-Er­geb­nis­se und ih­re Um­set­zung

Führt ein BEM zu dem Er­geb­nis, dass der Ar­beit­neh­mer auf ei­nem lei­dens­ge­rech­ten an­de­ren Ar­beits­platz be­schäf­tigt wer­den soll­te, muss der Ar­beit­ge­ber das Er­geb­nis um­set­zen: Lan­des­ar­beits­ge­richt Schles­wig-Hol­stein, Ur­teil vom 11.04.2018, 6 Sa 361/17
Integration von Menschen mit Behinderung auf dem Arbeitsmarkt, Betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM)

11.07.2018. Be­reits vor Jah­ren hat das Bun­des­ar­beits­ge­richt (BAG) klar­ge­stellt, dass Ar­beit­ge­ber da­zu ver­pflich­tet sind, die Er­geb­nis­se ei­nes be­trieb­li­chen Ein­glie­de­rungs­ma­nage­ments (BEM) um­zu­set­zen (BAG, Ur­teil vom 10.12.2009, 2 AZR 400/08, wir be­rich­te­ten in Ar­beits­recht ak­tu­ell: 10/074 An­for­de­run­gen an Be­trieb­li­ches Ein­glie­de­rungs­ma­nage­ment).

In ei­nem ak­tu­el­len Fall hat das Lan­des­ar­beits­ge­richt (LAG) Schles­wig-Hol­stein auf der Grund­la­ge die­ser Vor­ga­ben des BAG her­aus­ge­ar­bei­tet, wel­che Nach­wei­se der Ar­beit­ge­ber er­brin­gen muss, um vor Ge­richt zu recht­fer­ti­gen, dass bzw. war­um er ein sol­ches po­si­ti­ves BEM-Er­geb­nis nicht durch­führt: LAG Schles­wig-Hol­stein, Ur­teil vom 11.04.2018, 6 Sa 361/17.

Erst „bem­men“, dann kündi­gen?

Wenn ein Ar­beit­neh­mer in­ner­halb ei­nes Jah­res länger als sechs Wo­chen un­un­ter­bro­chen oder wie­der­holt ar­beits­unfähig ist, muss der Ar­beit­ge­ber gemäß § 167 Abs.2 Satz 1 Neun­tes Buch So­zi­al­ge­setz­buch (SGB IX) un­ter Be­tei­li­gung des be­trof­fe­nen Ar­beit­neh­mers und des Be­triebs­rats bzw. Per­so­nal­rats klären, wie die Ar­beits­unfähig­keit möglichst über­wun­den wer­den und mit wel­chen Leis­tun­gen oder Hil­fen er­neu­ter Ar­beits­unfähig­keit vor­ge­beugt und der Ar­beits­platz er­hal­ten wer­den kann. Die­ser ge­mein­sa­me Klärungs­pro­zess heißt be­trieb­li­ches Ein­glie­de­rungs­ma­nage­ment (bEM).

Ist ein Ar­beit­neh­mer so­gar über ei­nen länge­ren Zeit­raum von (min­des­tens) zwei auf­ein­an­der­fol­gen­den Jah­ren länger als sechs Wo­chen pro Jahr krank, kommt aus Ar­beit­ge­ber­sicht der Aus­spruch ei­ner krank­heits­be­ding­ten Kündi­gung in Be­tracht. In vie­len Fällen han­delt es sich da­bei um sog. häufi­ge Kurz­er­kran­kun­gen. Der Ar­beit­neh­mer ist dann im­mer er­neut für ein bis drei Wo­chen krank und am En­de des Jah­res sum­mie­ren sich Fehl­zei­ten von über sechs Wo­chen auf.

Prak­tisch ge­se­hen heißt das: Wenn der Ar­beit­ge­ber zu ei­nem bEM gemäß § 167 Abs.2 Satz 1 SGB IX ver­pflich­tet ist, lie­gen oft auch die Vor­aus­set­zun­gen ei­ner so­zi­al ge­recht­fer­tig­ten krank­heits­be­ding­ten Kündi­gung im Sin­ne von § 1 Kündi­gungs­schutz­ge­setz (KSchG) vor, und um­ge­kehrt.

Das BAG zieht dar­aus die Schluss­fol­ge­rung, dass ei­ne krank­heits­be­ding­te Kündi­gung zwar nicht in je­dem Fal­le un­wirk­sam ist, wenn der Ar­beit­ge­ber sei­ne Pflicht zum (vor­he­ri­gen) bEM miss­ach­tet hat, dass er dann aber im Fal­le ei­nes Kündi­gungs­schutz­pro­zes­ses vor Ge­richt nach­wei­sen muss, dass und war­um ein (kor­rekt durch­geführ­tes) bEM nutz­los ge­we­sen wäre (BAG, Ur­teil vom 20.11.2014, 2 AZR 755/13, S.14). Die­se Li­nie ver­folgt das BAG be­reits seit 2007 (BAG, Ur­teil vom 12.07.2007, 2 AZR 716/06, wir be­rich­te­ten darüber in Ar­beits­recht ak­tu­ell: 07/39 Kündi­gung wg. Krank­heit und Ein­glie­de­rungs­ma­nage­ment).

Nun wäre ein bEM al­ler­dings sinn­los, wenn es zwar zu ei­nem po­si­ti­ven Er­geb­nis führt, der Ar­beit­ge­ber es aber ein­fach igno­rie­ren könn­te. Schlägt da­her ein Be­triebs­arzt oder ein den Ar­beit­neh­mer be­han­deln­der Arzt im Ver­lauf ei­nes bEM z.B. vor, den Ar­beit­neh­mer auf ei­nem lei­dens­ge­rech­ten an­de­ren Ar­beits­platz ein­zu­set­zen, muss der Ar­beit­ge­ber die­se Emp­feh­lung be­fol­gen. Macht es nicht und kündigt statt­des­sen, muss er vor Ge­richt de­tail­liert nach­wei­sen,

„war­um die Maßnah­me ent­we­der trotz Emp­feh­lung un­durchführ­bar war oder selbst bei ei­ner Um­set­zung die­se kei­nes­falls zu ei­ner Ver­mei­dung oder Re­du­zie­rung von Ar­beits­unfähig­keits­zei­ten geführt hätte. Dem wird der Ar­beit­neh­mer re­gelmäßig mit ei­nem ein­fa­chen Be­strei­ten ent­ge­gen­tre­ten können.“ (BAG, Ur­teil vom 10.12.2009, 2 AZR 400/08, S.8)

Auf die­ser Grund­la­ge hat das LAG Schles­wig-Hol­stein die Ein­las­sun­gen des Ar­beit­ge­bers im Kündi­gungs­schutz­pro­zess für un­zu­rei­chend be­wer­tet.

Der Streit­fall: Kas­sie­re­rin fällt von 2013 bis 2016 pro Jahr in er­heb­li­chem Um­fang krank­heits­be­dingt aus

Im Streit­fall ging es um ei­ne seit 2008 in ei­nem größeren Ein­zel­han­dels­be­trieb beschäftig­te Kas­sie­re­rin, die trotz ih­res recht jun­gen Al­ters von Mit­te 30 in er­heb­li­chem Um­fang von krank­heits­be­ding­ter Ar­beits­unfähig­keit be­trof­fen war. Von 2011 bis 2013 war sie et­wa ein­ein­halb Jah­re lang im Wech­sel an der Kas­se und an der In­for­ma­ti­on tätig.

Die seit 2013 ein­set­zen­den mas­si­ven krank­heits­be­ding­ten Ausfälle be­tru­gen, ab­ge­se­hen von ei­ner länge­ren Dau­er­er­kran­kung in 2014, je­weils pro Krank­heits­fall meist ein bis drei Wo­chen. Ins­ge­samt fehl­te sie im Jah­re 2013 an 102 Ka­len­der­ta­gen, im Jah­re 2014 an 180 Ka­len­der­ta­gen, im Jah­re 2015 an 57 Ka­len­der­ta­gen und im Jah­re 2016 an 98 Ka­len­der­ta­gen.

Auf­grund die­ser er­heb­li­chen krank­heits­be­ding­ten Fehl­zei­ten führ­te der Ar­beit­ge­ber so­wohl im Jah­re 2014/2015 als auch im Jah­re 2016 meh­re­re bEM-Ver­fah­ren durch. Da­bei hieß es im bEM-Ab­schluss­be­richt vom April 2015:

„Um wei­te­re Krank­heitsfälle zu ver­mei­den, emp­fiehlt Herr Dr. H… ei­ne Ver­set­zung an die In­for­ma­ti­on oder ei­ne Wech­seltätig­keit zwi­schen Kas­se und In­for­ma­ti­on.“

Statt die Ar­beit­neh­me­rin im Rah­men der ärzt­li­cher­seits vor­ge­schla­ge­nen Wech­seltätig­keit an Kas­se und In­for­ma­ti­on ein­zu­set­zen sprach der Ar­beit­ge­ber im No­vem­ber 2016 nach Anhörung des Be­triebs­rats ei­ne or­dent­li­che krank­heits­be­ding­te Kündi­gung aus. Da­ge­gen reich­te die Kas­sie­re­rin Kündi­gungs­schutz­kla­ge ein, in der ers­ten In­stanz vor dem Ar­beits­ge­richt Kiel mit Er­folg (Ur­teil vom 26.07.2017, 2 Ca 1786 d/16).

LAG Schles­wig Hol­stein: Im Rah­men des BEM er­mit­tel­te Wei­ter­beschäfti­gungsmöglich­kei­ten muss der Ar­beit­ge­ber um­set­zen

Auch in der zwei­ten In­stanz vor dem LAG Kiel zog der Ar­beit­ge­ber den Kürze­ren. Das LAG wies sei­ne Be­ru­fung zurück und ließ die Re­vi­si­on zum BAG nicht zu. In der Ur­teils­be­gründung heißt es:

Die vom Ar­beit­ge­ber auf­ge­zeig­ten Fehl­zei­ten führ­ten hier im Streit­fall zwar (an die­ser Stel­le konn­te der Ar­beit­ge­ber punk­ten) zu ei­ner sog. ne­ga­ti­ven Ge­sund­heits­pro­gno­se. Denn die Kas­sie­re­rin war über meh­re­re Jah­re hin­weg deut­lich länger als sechs Wo­chen auf­grund häufi­ger Kurz­er­kran­kun­gen ar­beits­unfähig. Da­bei half es ihr nicht, dass sie be­teu­er­te, die ein­zel­nen Er­kran­kun­gen sei­en je­weils fol­gen­los aus­ge­heilt. Denn das LAG ging im An­schluss an die BAG-Recht­spre­chung da­von aus (BAG, Ur­teil vom 20.11.2014, 2 AZR 755/13, S.7), dass auch dann, wenn ein­zel­ne Er­kran­kun­gen weg­ge­fal­len bzw. aus­ge­heilt sind, vie­le Er­kran­kun­gen ei­nes be­stimm­ten Typs (hier im Streit­fall: Erkältungs­krank­hei­ten und or­thopädi­sche Lei­den) auf ei­ne all­ge­mei­ne Krank­heits­anfällig­keit hin­deu­ten können (LAG Schles­wig-Hol­stein, Ur­teil vom 11.04.2018, 6 Sa 361/17, Rn.48-53).

Al­ler­dings nutz­te dem Ar­beit­ge­ber der Nach­weis ei­ner ne­ga­ti­ven Ge­sund­heits­pro­gno­se im Er­geb­nis nichts, denn die Kündi­gung war nicht das mil­des­te Mit­tel („ul­ti­ma ra­tio“) und da­her un­verhält­nismäßig bzw. un­wirk­sam. Der Ar­beit­ge­ber hat­te zwar das ge­setz­lich vor­ge­schrie­be­ne bEM durch­geführt, doch hat­te er die Emp­feh­lung des Be­triebs­arz­tes, die Kas­sie­re­rin im Wech­sel an der Kas­se und an der In­for­ma­ti­on ein­zu­set­zen, nicht um­ge­setzt. Da­zu aber wäre er ver­pflich­tet ge­we­sen.

An die­ser Stel­le hat­te sich der Ar­beit­ge­ber da­mit ver­tei­digt, die Kas­sie­re­rin sei nicht aus­rei­chend qua­li­fi­ziert für ei­ne Tätig­keit an der In­for­ma­ti­on, doch konn­te die Kas­sie­re­rin dar­auf ver­wei­sen, dass sie in der Ver­gan­gen­heit be­reits für ein­ein­halb Jah­re eben die­se Tätig­keit (Wech­sel zwi­schen Kas­se und In­for­ma­ti­on) aus­geübt hat­te. Da­zu das LAG:

„Das wi­der­spricht der Be­haup­tung der Be­klag­ten, die Kläge­rin sei für die­se Tätig­keit nicht hin­rei­chend qua­li­fi­ziert. Denn oh­ne ent­spre­chen­de Qua­li­fi­ka­ti­on ist ein der­art lan­ger Ein­satz in dem Be­reich nicht denk­bar. Die Be­klag­te hat auch nicht da­zu aus­geführt, wel­che Kennt­nis­se oder Qua­li­fi­ka­tio­nen der Kläge­rin über­haupt feh­len und wie es trotz­dem möglich war, et­wa 1 ½ Jah­re die Ar­beit zu ver­rich­ten.“ (LAG Schles­wig-Hol­stein, Ur­teil vom 11.04.2018, 6 Sa 361/17, Rn.58)

Fa­zit: Die Dar­le­gungs- und Be­weis­last, die der Ar­beit­ge­ber vor Ge­richt zu bewälti­gen hat, wenn er die po­si­ti­ven Er­geb­nis­se ei­nes bEM nicht um­setzt, wiegt ähn­lich schwer wie die Dar­le­gungs- und Be­weis­last in dem Fall ei­nes gänz­lich un­ter­las­se­nen bEM.

Hier im Streit­fall hat­te es sich der Ar­beit­ge­ber zu ein­fach ge­macht, so dass er kaum Chan­cen hat­te, den Pro­zess zu ge­win­nen. Denn ers­tens hat­te die gekündig­te Ar­beit­neh­me­rin die vom Be­triebs­arzt emp­foh­le­ne Tätig­keit im Wech­sel­dienst zwi­schen Kas­se und In­for­ma­ti­on nur we­ni­ge Jah­re vor der Kündi­gung über ei­nen länge­ren Zeit­raum ver­rich­tet. Und zwei­tens war sie während der da­ma­li­gen Zeit fast nie krank.

Für Ar­beit­ge­ber heißt das: Wer ein bEM durchführt, dann aber die ärzt­li­che Emp­feh­lung ei­ner lei­dens­ge­rech­ten Tätig­keit mit dem Hin­weis auf an­geb­lich feh­len­de Qua­li­fi­ka­tio­nen ab­tut, han­delt kündi­gungs­recht­lich fahrlässig.

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Letzte Überarbeitung: 29. Juni 2019

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