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ARBEITSRECHT AKTUELL // 18/172

Ar­beits­ge­richt Bo­chum be­an­stan­det un­ge­naue Ab­mah­nung

Ei­ne Ab­mah­nung darf nicht pau­schal Ver­stö­ße ge­gen ar­beits­ver­trag­li­che Pflich­ten be­an­stan­den: Ar­beits­ge­richt Bo­chum, Ur­teil vom 19.10.2017, 4 Ca 930/17
Hand mit gelber Karte

16.07.2018. Ab­mah­nun­gen muss man ge­nau for­mu­lie­ren, an­dern­falls sind sie we­nig wert.

Das gilt nicht nur für die Be­schrei­bung des an­geb­li­chen Pflicht­ver­sto­ßes, den der ab­ge­mahn­te Ver­trags­part­ner be­gan­gen ha­ben soll, son­dern auch für die An­dro­hung ei­ner Kün­di­gung für den Wie­der­ho­lungs­fall.

Die­se Re­gel hat­te ein Bo­chu­mer Ar­beit­ge­ber miss­ach­tet und wur­de da­her da­zu ver­ur­teilt, ei­ne Ab­mah­nung aus der Per­so­nal­ak­te der ab­ge­mahn­ten Ar­beit­neh­me­rin zu ent­fer­nen: Ar­beits­ge­richt Bo­chum, Ur­teil vom 19.10.2017, 4 Ca 930/17.

Stol­per­fal­le Ab­mah­nung - Pflicht­verstöße und Er­war­tungs­hal­tun­gen müssen ge­nau for­mu­liert wer­den

Wer als Ar­beit­neh­mer in er­heb­li­cher Wei­se und/oder im­mer wie­der ge­gen sei­ne ar­beits­ver­trag­li­chen Pflich­ten verstößt, ris­kiert ei­ne Kündi­gung aus ver­hal­tens­be­ding­ten Gründen, in ex­tre­men Fällen so­gar ei­ne außer­or­dent­li­che und frist­los aus­ge­spro­che­ne Kündi­gung.

Ob­wohl Ar­beit­ge­ber und Ar­beit­neh­mer der­ar­ti­ge Kündi­gun­gen als ei­ne Art Stra­fe für das Fehl­ver­hal­ten an­se­hen, sind sie das recht­lich ge­se­hen nicht. Denn im Kündi­gungs­schutz­recht gilt das Pro­gno­se­prin­zip. Da­nach ist ei­ne Kündi­gung kei­ne Stra­fe, son­dern ei­ne in die Zu­kunft ge­rich­te­te, vor­beu­gen­de Maßnah­me. Zweck der Kündi­gung ist die Präven­ti­on. Es geht nicht um die Ver­gan­gen­heit, son­dern um die Zu­kunft. Künf­ti­ge Ver­tragsstörun­gen sol­len ver­hin­dert wer­den.

Mit dem Pro­gno­se­prin­zip ver­bun­den ist das Verhält­nismäßig­keits­prin­zip. Ei­ne Kündi­gung muss verhält­nismäßig sein, d.h. es darf kein mil­de­res Mit­tel ge­ben, um künf­ti­ge Ver­tragsstörun­gen zu ver­mei­den. Gibt es ein mil­de­res Mit­tel als ei­ne Kündi­gung, um die­ses Ziel zu er­rei­chen, wäre ei­ne Kündi­gung un­verhält­nismäßig und da­her un­wirk­sam.

Das prak­tisch wich­tigs­te mil­de­re Mit­tel ge­genüber ei­ner ver­hal­tens­be­ding­ten (or­dent­li­chen oder frist­lo­sen) Kündi­gung ist die Ab­mah­nung. Denn auch mit ei­ner Ab­mah­nung kann der Ar­beit­ge­ber er­rei­chen, dass der Ar­beit­neh­mer künf­tig sei­ne ar­beits­ver­trag­li­chen Pflich­ten erfüllt.

Al­ler­dings ist ei­ne Ab­mah­nung nur dann ein gleichtaug­li­ches mil­de­res Mit­tel, wenn der Ar­beit­neh­mer nicht be­reits in der Ver­gan­gen­heit we­gen gleich­ar­ti­ger Pflicht­verstöße ab­ge­mahnt wor­den ist. Denn in ei­nem sol­chen Fall kann der Ar­beit­ge­ber da­von aus­ge­hen, dass ei­ne er­neu­te Ab­mah­nung kei­ne Ver­hal­tensände­rung be­wir­ken würde. Ei­nen vor kur­zem we­gen ähn­li­cher Pflicht­verstöße be­reits ab­ge­mahn­ten Ar­beit­neh­mer er­neut ab­zu­mah­nen wäre vor­aus­sicht­lich nutz­los, so dass der Ar­beit­ge­ber in ei­nem sol­chen Fall ver­hal­tens­be­dingt kündi­gen kann.

Es ist da­her recht­lich an­er­kannt, dass ei­ne recht­lich kor­rek­te Ab­mah­nung fol­gen­de An­for­de­run­gen erfüllen muss.

  • Sie muss den ab­ge­mahn­ten Ar­beit­neh­mer auf ein ge­nau be­schrie­be­nes Fehl­ver­hal­ten hin­wei­sen (Hin­weis­funk­ti­on).
  • Sie muss das ab­ge­mahn­te Ver­hal­ten als pflicht­wid­rig rügen und den ab­ge­mahn­ten Ar­beit­neh­mer auf­for­dern, sich künf­tig ver­trags­ge­recht zu ver­hal­ten (Rüge­funk­ti­on, Auf­for­de­rungs­funk­ti­on).
  • Sie muss dem ab­ge­mahn­ten Ar­beit­neh­mer klar­ma­chen, dass er im Wie­der­ho­lungs­fall mit ei­ner Kündi­gung rech­nen muss (Warn­funk­ti­on).

Nur wenn ei­ne Ab­mah­nung die obi­gen Vor­aus­set­zun­gen bzw. Funk­tio­nen erfüllt, hat der Ar­beit­neh­mer ei­ne Chan­ce, sein Ver­hal­ten zu ändern, so dass der Ar­beit­ge­ber in ei­nem Wie­der­ho­lungs­fall kündi­gen kann, weil der Ar­beit­neh­mer sei­ne Chan­ce nicht ge­nutzt hat.

Vor die­sem Hin­ter­grund müssen Ar­beit­ge­ber bei der For­mu­lie­rung ei­ner Ab­mah­nung der Ver­su­chung wi­der­ste­hen, von dem Ar­beit­neh­mer wei­ter­ge­hen­de Ver­hal­tensände­run­gen zu ver­lan­gen, als sich aus ei­nem kon­kre­ten Pflicht­ver­s­toß er­gibt. All­ge­mei­ne Vorwürfe wie „schlam­pi­ges Ar­bei­ten“, „Un­freund­lich­keit“ oder „Unpünkt­lich­keit“ müssen aus Ab­mah­nun­gen her­aus­ge­hal­ten wer­den. Ar­beit­ge­ber, die sol­che Feh­ler be­ge­hen, müssen die Ab­mah­nung aus der Per­so­nal­ak­te ent­fer­nen. Über ei­nen sol­chen Fall hat­te vor kur­zem das Ar­beits­ge­richt Bo­chum zu ent­schei­den.

Der Streit­fall: Ar­beit­neh­me­rin wird we­gen an­geb­li­cher Schlecht­leis­tung und für den Fall wei­te­rer Verstöße ge­gen ih­re Pflich­ten ei­ne Kündi­gung an­ge­droht

In dem Fall des Ar­beits­ge­richts Bo­chum hat­te sich der Ar­beit­ge­ber über ei­ne Ar­beit­neh­me­rin geärgert, weil die­se während ei­ner Spätschicht im Fe­bru­ar 2017 an­geb­lich nicht rich­tig ge­ar­bei­tet ha­ben soll. Da­her sprach er am 13.03.2017 ei­ne Ab­mah­nung aus. Der vor­letz­te Ab­satz der Ab­mah­nung lau­te­te:

„Soll­ten Sie sich ei­nen wei­te­ren Ver­s­toß ge­gen Ih­re ar­beits­ver­trag­li­chen Pflich­ten zu Schul­den kom­men las­sen, der nicht auf die Wie­der­ho­lung der oben ge­nann­ten Pflicht­ver­let­zung be­schränkt ist, müssen Sie da­mit rech­nen, dass das Ar­beits­verhält­nis von uns - ggf. auch frist­los - gekündigt wird.“

Die Ar­beit­neh­me­rin klag­te vor dem Ar­beits­ge­richt Bo­chum auf Ent­fer­nung der Ab­mah­nung aus der Per­so­nal­ak­te.

Ar­beits­ge­richt Bo­chum: Die ufer­lo­se An­dro­hung ei­ner Kündi­gung gehört nicht in ei­ne Ab­mah­nung

Das Ar­beits­ge­richt Bo­chum gab der Kläge­rin Recht und ver­ur­teil­te den Ar­beit­ge­ber da­zu, die Ab­mah­nung vom 13.03.2017 aus der Per­so­nal­ak­te der Kläge­rin zu ent­fer­nen.

In den Ur­teils­gründen lässt das Ar­beits­ge­richt Bo­chum die Fra­ge aus­drück­lich of­fen, ob die Ar­beit­neh­me­rin in der frag­li­chen Spätschicht Feh­ler ge­macht hat­te oder nicht, und ob ihr des­we­gen Vorwürfe ge­macht wer­den konn­ten oder nicht. Hier wa­ren der Ar­beit­neh­me­rin zwar mögli­cher­wei­se Feh­ler un­ter­lau­fen, doch ent­schul­dig­te sie das da­mit, dass sie - an­geb­lich - seit ei­ni­gen Mo­na­ten nicht mehr mit die­sen Ar­bei­ten be­fasst war, und dass in der Zwi­schen­zeit die Ar­beits­abläufe geändert wor­den wa­ren.

Al­les egal, so das Ar­beits­ge­richt, denn den we­sent­li­chen Feh­ler hat­te hier der Ar­beit­ge­ber ge­macht, und zwar bei der For­mu­lie­rung der Ab­mah­nung.

Denn in der um­strit­te­nen Ab­mah­nung droh­te der Ar­beit­ge­ber der Ar­beit­neh­me­rin nicht nur für den Fall ei­ner Wie­der­ho­lung der (an­geb­li­chen) Pflicht­ver­let­zung am 13.03.2017 ei­ne Kündi­gung an, son­dern auch für den Fall an­de­rer Verstöße ge­gen ih­re ar­beits­ver­trag­li­chen Pflich­ten. Zu ei­ner sol­chen „ufer­lo­sen“ Kündi­gungs­an­dro­hung war der Ar­beit­ge­ber aber nicht be­fugt, so das Ar­beits­ge­richt Bo­chum. Denn die Ar­beit­neh­me­rin muss­te auf der Grund­la­ge ei­ner sol­chen Ab­mah­nung, so die Kri­tik des Ar­beits­ge­richts,

„für je­den be­lie­bi­gen Fall ei­ner auch nur ge­ringfügi­gen und gänz­li­chen an­ders ge­la­ger­ten Pflicht­wid­rig­keit mit ei­ner ge­ge­be­nen­falls frist­lo­sen Kündi­gung rech­nen. Ei­ne sol­che ufer­lo­se An­dro­hung ei­ner Kündi­gung ent­spricht nicht der für die Rechts­wirk­sam­keit ei­ner Ab­mah­nung er­for­der­li­chen kor­rek­ten Erfüllung der Warn- bzw. Abkündi­gungs­funk­ti­on.“

Ei­ne der­ar­tig weit­ge­fass­te Kündi­gungs­an­dro­hung geht über das zulässi­ge Maß hin­aus, so das Ge­richt.

Dem Ar­beits­ge­richt Bo­chum ist zu­zu­stim­men. Auf der Grund­la­ge ei­ner kor­rek­ten Ab­mah­nung muss der ab­ge­mahn­te Ar­beit­neh­mer kon­kret wis­sen, was er künf­tig an­ders ma­chen soll. Ei­ne sol­che Ver­hal­tensände­rung kann der Ar­beit­ge­ber aber nicht er­war­ten, wenn er glo­bal bzw. pau­schal „ver­trags­ge­rech­tes“ Ver­hal­ten for­dert bzw. ei­ne Kündi­gung an­droht für den Fall ir­gend­wel­cher Pflicht­verstöße.

Fa­zit: Bei Ab­mah­nun­gen müssen Ar­beit­ge­ber ge­nau ar­bei­ten, d.h. den ab­ge­mahn­ten Pflicht­ver­s­toß ge­nau be­schrei­ben und sich natürlich auch bei der Kündi­gungs­an­dro­hung dar­auf be­schränken, ei­ne Kündi­gung für den Fall der Wie­der­ho­lung des ab­ge­mahn­ten Ver­hal­tens in Aus­sicht zu stel­len.

Ei­ne an­de­re Fra­ge ist, ob es aus Ar­beit­neh­mer­sicht rat­sam ist, ge­gen Ab­mah­nun­gen wie die hier aus­ge­spro­che­ne über­haupt ge­richt­lich vor­zu­ge­hen. Da­ge­gen spricht, dass Ar­beit­ge­ber von ei­nem sol­chen Pro­zess letzt­lich im­mer mehr Vor­tei­le hat als der Ar­beit­neh­mer:

Denn ent­we­der wird die Kla­ge ab­ge­wie­sen, dann steht fest, dass die Ab­mah­nung rech­tens war (was der Ar­beit­ge­ber vor­her nicht rechts­si­cher wis­sen konn­te). Oder die Kla­ge hat Er­folg, dann steht fest, dass sich der Ar­beit­ge­ber im Fall ei­ner mögli­chen künf­ti­gen Kündi­gung aus ver­hal­tens­be­ding­ten Gründen auf die­se Ab­mah­nung nicht be­ru­fen könn­te, so dass er ge­warnt ist. Und er kann den ab­ge­mahn­ten Vor­fall er­neut zum Ge­gen­stand ei­ner an­de­ren Ab­mah­nung ma­chen, falls die ursprüng­li­che Ab­mah­nung aus for­mal­ju­ris­ti­schen Gründen (wie hier im Streit­fall) vom Ge­richt kas­siert wur­de.

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Letzte Überarbeitung: 3. August 2019

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