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LAG Ba­den-Würt­tem­berg, Ur­teil vom 09.06.2011, 6 Sa 109/10

   
Schlagworte: Urlaub: Krankheit, Krankheit: Urlaub, Urlaubsabgeltung
   
Gericht: Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg
Aktenzeichen: 6 Sa 109/10
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 09.06.2011
   
Leitsätze:

1. Auch der Bezug von Arbeitslosengeld wegen Minderung der Leistungsfähigkeit erfordert Arbeitslosigkeit. Arbeitslos ist, wer beschäftigungslos ist. Das setzt im rechtlich fortbestehenden Arbeitsverhältnis die - zumindest konkludente - Suspendierung der Hauptleistungspflichten voraus.

2. Schließt sich an den Bezug von Arbeitslosengeld der Bezug einer Erwerbsunfähigkeitsrente auf unbestimmte Zeit an (längstens bis zum Eintritt der Regelaltersgrenze), bleiben die Hauptleistungspflichten suspendiert.

3. Bei suspendierten Hauptleistungspflichten entsteht kein Urlaubsanspruch. Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88/EG steht nicht entgegen.

Vorinstanzen: Arbeitsgericht Ulm, Urteil vom 20.08.2010, 1 Ca 74/10
   

Lan­des­ar­beits­ge­richt

Ba­den-Würt­tem­berg

 

Verkündet

am 09.06.2011

Ak­ten­zei­chen (Bit­te bei al­len Schrei­ben an­ge­ben)

6 Sa 109/10

1 Ca 74/10 (ArbG Ulm)

Kee­ber
Ur­kunds­be­am­tin der Geschäfts­stel­le

 

Im Na­men des Vol­kes

 

Ur­teil

In dem Rechts­streit

- Be­klag­ter/Be­ru­fungskläger/Be­ru­fungs­be­klag­ter -

Proz.-Bev.:

ge­gen

- Kläge­rin/Be­ru­fungskläge­rin/Be­ru­fungs­be­klag­te -

Proz.-Bev.:

hat das Lan­des­ar­beits­ge­richt Ba­den-Würt­tem­berg - 6. Kam­mer - durch den Vor­sit­zen­den Rich­ter am Lan­des­ar­beits­ge­richt Müller, den eh­ren­amt­li­chen Rich­ter Bau­er und die eh­ren­amt­li­che Rich­te­rin Kel­ler auf die münd­li­che Ver­hand­lung vom 14.04.2011

für Recht er­kannt:

I. Die Be­ru­fung der Kläge­rin wird zurück­ge­wie­sen.

II. Auf die Be­ru­fung des Be­klag­ten wird das Ur­teil des Ar­beits­ge­richts Ulm vom 20.08.2010 - Ak­ten­zei­chen 1 Ca 74/10 - ab­geändert und die Kla­ge ab­ge­wie­sen.

III. Die Kläge­rin trägt die Kos­ten des Rechts­streits.

IV. Für die Kläge­rin wird we­gen des Ur­laubs­ab­gel­tungs­an­spruchs (Klag­an­trag Zif­fer 3) die Re­vi­si­on zu­ge­las­sen. Im Übri­gen wird die Re­vi­si­on nicht zu­ge­las­sen.

 

- 2 -

Tat­be­stand

Die Par­tei­en strei­ten in zwei­ter In­stanz noch über So­zi­al­plan- und Ur­laubs­ab­gel­tungs­ansprü-che.

Die am 0.0.1956 ge­bo­re­ne, ver­wit­we­te Kläge­rin, die nie­mand zum Un­ter­halt ver­pflich­tet ist, ist gemäß Be­scheid des Ver­sor­gungs­amts Ulm vom 09.08.2004 mit ei­nem Grad der Be­hin­de­rung von 50 vom Hun­dert als Schwer­be­hin­der­ter Mensch an­er­kannt. Sie ar­bei­te­te seit 17.01.1977 bei der L. AG (künf­tig L-AG), ei­nem Un­ter­neh­men der Me­tall­in­dus­trie, in der Fer­ti­gung als Be­die­ne­rin und er­ziel­te zu­letzt ein Brut­to­mo­nats­ein­kom­men von 2.000,00 €. Die Kläge­rin ist nicht Mit­glied der IG Me­tall. Im Ar­beits­ver­trag vom 17.01.1977 (Bl. 186 der zweit­in­stanz­li­chen Ak­te) ist aus­zugs­wei­se Fol­gen­des ge­re­gelt:

„2.) Die Ent­loh­nung rich­tet sich nach den ta­rif­li­chen Be­stim­mun­gen. Im Be­son­de­ren gilt für den vor­lie­gen­den Ar­beits­ver­trag fol­gen­des: Lohn­grup­pe III ta­rif­li­cher St­un­den­lohn: DM 6,37.

5.) Im Übri­gen gel­ten für das Ar­beits­verhält­nis al­le sons­ti­gen ta­rif­li­chen, ge­setz­li­chen so­wie die Be­stim­mun­gen un­se­rer Ar­beits­ord­nung.

…“


Zum Zeit­punkt des Ab­schlus­ses des Ar­beits­ver­tra­ges war die L-AG Mit­glied im Ver­band der Me­tall­in­dus­trie von Südwürt­tem­berg-Ho­hen­zol­lern e. V.. Im Jahr 1993 trat die L-AG aus dem Ar­beit­ge­ber­ver­band aus. Der Ar­beit­ge­ber­ver­band schloss mit der IG-Me­tall ein Ur­laubs­ab-kom­men, das am 01.01.1979 in Kraft trat, mehr­fa­che Ände­run­gen er­fuhr, zum 31.12.1996 gekündigt und durch ein neu­es Ur­laubs­ab­kom­men ab­gelöst wur­de. Das Ur­laubs­ab­kom­men re­gelt die Ur­laubs­ansprüche um­fas­send und ab­sch­ließend. Die 1993 zum Zeit­punkt des Aus­tritts der L-AG aus dem Ar­beit­ge­ber­ver­band gülti­ge Fas­sung des Ur­laubs­ab­kom­mens enthält u. a. fol­gen­de Be­stim­mun­gen:

„ § 2 Ur­laubs­an­spruch

2.3 Ei­ne Ab­gel­tung des Ur­laubs­an­spruchs ist nicht zulässig.

Aus­nah­men da­von sind nur möglich bei Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses und bei länge­rer Krank­heit, wenn und so­weit da­durch kein Ur­laub mehr ge­nom­men wer­den kann.

 

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2.5 Kei­nen vol­len Ur­laubs­an­spruch, son­dern nur An­spruch auf 1/12 des Jah­res­ur­laubs für je­den an­ge­fan­ge­nen Mo­nat des Be­ste­hens des Ar­beits­verhält­nis­ses hat der Ar­beit­neh­mer:

- …

2.5.3.- wenn er nach erfüll­ter War­te­zeit in der ers­ten Hälf­te ei­nes Ka­len­der­jah­res aus dem Ar­beits­verhält­nis aus­schei­det.

2.9 Der Ur­laubs­an­spruch ver­rin­gert sich je­doch für je­den wei­te­ren vol­len Mo­nat um 1/12 des Jah­res­ur­laubs, …

- bei ei­ner Krank­heits­dau­er von über neun Mo­na­ten im Ur­laubs­jahr

2.11 Der Ur­laubs­an­spruch, der während ei­nes Ur­laubs­jah­res ent­steht, er­lischt drei Mo­na­te nach Ab­lauf des Ur­laubs­jah­res, es sei denn, dass er er­folg­los gel­tend ge­macht wur­de.

§ 3 Ur­laubs­dau­er

3.1 Der jähr­li­che Ur­laub für Ar­beit­neh­mer beträgt 30 Ar­beits­ta­ge.“

Der Man­tel­ta­rif­ver­trag enthält fol­gen­de Re­ge­lung:

§ 18 Aus­schluss­fris­ten

18.1 Ansprüche der Beschäftig­ten aus dem Ar­beits­verhält­nis sind dem Ar­beit­ge­ber ge-genüber fol­gen­der­maßen gel­tend zu ma­chen:
18.1.1 …
18.1.2 al­le übri­gen Ansprüche in­ner­halb von 6 Mo­na­ten nach Fällig­keit, spätes­tens je­doch in­ner­halb von 3 Mo­na­ten nach Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses.
Ansprüche, die nicht in­ner­halb die­ser Fris­ten gel­tend ge­macht wer­den, sind ver­wirkt, es sei denn, dass der Beschäftig­te durch un­ver­schul­de­te Umstände nicht in der La­ge war, die­se Fris­ten ein­zu­hal­ten.
…“

Der letz­te Ar­beits­tag der Kläge­rin war der 29.01.2003. Die L-AG leis­te­te bis 21.03.2003 Ent-gelt­fort­zah­lung im Krank­heits­fall. Der Kran­ken­geld­be­zug der Kläge­rin en­de­te am 19.05.2004. Von 20.05.2004 bis 31.01.2006 be­zog die Kläge­rin Leis­tun­gen von der Bun­des­agen­tur für Ar­beit im Rah­men der so­ge­nann­ten Gleich­wohl­gewährung. Seit 01.02.2006 erhält die Kläge­rin Er­werbs­unfähig­keits­ren­te, die zunächst bis 31.05.2007 be­fris­tet war und seit 01.06.2007 un­be­fris­tet bis zum Be­zug von Al­ters­ren­te gewährt wird.
Mit Be­schluss vom 01.07.2009 hat das Amts­ge­richt Ra­vens­burg - Az. 5 IN 213/09 - über das Vermögen der L-AG das In­sol­venz­ver­fah­ren eröff­net und den Be­klag­ten zum In­sol­venz­ver-wal­ter be­stellt. In­sol­venz­ver­wal­ter und Be­triebs­rat schlos­sen am 20.07.2009 ei­nen In­te­res-sen­aus­gleich we­gen ei­ner Be­triebsände­rung durch Per­so­nal­ab­bau (Bl. 149 bis 157 der zweit­in­stanz­li­chen Ak­te). Mit dem In­ter­es­sen­aus­gleich ist ei­ne Na­mens­lis­te der zu kündi­gen­den Ar­beit­neh­mer fest ver­bun­den (Bl. 158 bis 166 der zweit­in­stanz­li­chen Ak­te). Die Kläge­rin ist auf die­ser Na­mens­lis­te oh­ne den Ver­merk ei­ner Schwer­be­hin­de­rung auf­geführt. Der Be-

 

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klag­te kündig­te das Ar­beits­verhält­nis mit der Kläge­rin in Um­set­zung des In­ter­es­sen­aus­gleichs mit Schrei­ben vom 29.07.2009 be­triebs­be­dingt oh­ne Zu­stim­mung des In­te­gra­ti­ons­amts. Die Kläge­rin er­hob ge­gen die­se Kündi­gung recht­zei­tig Kla­ge (ArbG Ulm Az. 2 Ca 367/09) und be­rief sich auf ih­ren Schwer­be­hin­der­ten­son­derkündi­gungs­schutz. Die Pro­zess­be­vollmäch­tig­te des Be­klag­ten un­ter­rich­te­te die Kläge­rin über ih­ren sich aus dem am 11.09.2009 mit dem Be­triebs­rat ver­ein­bar­ten So­zi­al­plan (Bl. 21 bis 25 der erst­in­stanz­li­chen Ak­te) er­ge­ben­den Ab­fin­dungs­an­spruch. Sie kündig­te für den Fall der Auf­recht­er­hal­tung der Kündi­gungs­schutz­kla­ge die Rück­nah­me der be­triebs­be­ding­ten Kündi­gung, die Ein­lei­tung ei­nes Zu­stim­mungs­ver­fah­rens beim In­te­gra­ti­ons­amt und den Aus­spruch ei­ner per­so­nen­be­ding­ten Kündi­gung an. Sie wies fer­ner dar­auf hin, dass bei ei­ner per­so­nen­be­ding­ten Kündi­gung der So­zi­al­plan­an­spruch ent­fal­le. Der So­zi­al­plan re­gelt sei­nen Gel­tungs­be­reich wie folgt:

„I. Gel­tungs­be­reich

Die Re­ge­lun­gen die­ses So­zi­al­plans gel­ten für al­le Ar­beit­neh­mer/-in­nen ein­sch­ließlich der Aus­zu­bil­den­den gemäß § 5 I Be­trVG, die am 01.04.2009 in ei­nem Ar­beits­verhält­nis mit der Fir­ma L. AG stan­den und de­ren Ar­beits­verhält­nis durch Kündi­gung des Un­ter­neh­mens oder durch Ei­genkündi­gung oder Auf­he­bungs­ver­trag auf Grund­la­ge des In­te-res­sen­aus­gleichs vom 20.07.2009 en­det.

Die­se Ver­ein­ba­rung gilt nicht für

- Ar­beit­neh­mer/-in­nen, de­ren Ar­beits­verhält­nis aus per­so­nen- oder aus ver­hal­tens­be­ding­ten Gründen gekündigt oder aus die­sen Gründen ein­ver­nehm­lich be­en­det wird.

…“.


Die Kläge­rin nahm ih­re Kla­ge in­ner­halb der vom Ge­richt bis 19.10.2009 ge­setz­ten Erklä-rungs­frist nicht zurück, son­dern un­ter­brei­te­te mit Schrei­ben ih­res Pro­zess­be­vollmäch­tig­ten vom 19.10.2009 dem Be­klag­ten ein Ver­gleichs­an­ge­bot, wo­nach die Kläge­rin un­ter Ein­be­zie­hung von Ur­laubs­ansprüchen bei ei­ner Ab­fin­dung von 15.000,00 € das Ar­beits­verhält­nis wie gekündigt zu be­en­den be­reit wäre. Der Be­klag­te lehn­te das Ver­gleichs­an­ge­bot mit Schrei­ben vom 27.10.2009 ab. Mit Verfügung vom 02.11.2009 setz­te das Ar­beits­ge­richt dem Be­klag­ten bis 16.11.2009 Frist zur Dar­le­gung der Kündi­gungs­gründe. Mit Schrei­ben vom 03.11.2009 erklärte der Be­klag­te, aus der be­triebs­be­ding­ten Kündi­gung vom 29.07.2009 kei­ne Rech­te mehr her­zu­lei­ten, wor­auf der Pro­zess­be­vollmäch­tig­te der Kläge­rin mit Schrei­ben vom 10.11.2009 die Kla­ge zurück­nahm.
Mit Zu­stim­mung des In­te­gra­ti­ons­amts kündig­te der Be­klag­te das Ar­beits­verhält­nis mit der Kläge­rin un­ter dem 01.04.2010 per­so­nen­be­dingt zum 31.07.2010. Auch ge­gen die­se Kündi-

 

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gung er­hob die Kläge­rin frist­ge­recht Kla­ge. Erst­in­stanz­lich mach­te sie hilfs­wei­se für den Fall des Un­ter­lie­gens im We­ge der Fest­stel­lungs­kla­ge den Ab­fin­dungs­an­spruch aus dem So­zi­al­plan und im We­ge der Leis­tungs­kla­ge die Ab­gel­tung von 180 Ta­gen Ur­laub aus den Jah­ren 2005 bis 2010 in Höhe von 16.704,00 € je­weils als Mas­se­for­de­rung gel­tend.
In ei­nem Nach­trag zum So­zi­al­plan vom 11.09.2009 (ABl. 74 bis 76 der erst­in­stanz­li­chen Ak­te) ha­ben der In­sol­venz­ver­wal­ter und der Be­triebs­rat ver­ein­bart:
„…

3. Die ge­genüber Frau G.B. aus­ge­spro­che­ne Kündi­gung vom 29.07.2009 muss­te, nach-dem die Schwer­be­hin­de­rung nach­ge­wie­sen wur­de, zurück­ge­nom­men wer­den.

Nach­fol­gend wur­de das Ar­beits­verhält­nis mit Frau B. nach Ein­ho­lung der Zu­stim­mung des In­te­gra­ti­ons­am­tes aus per­so­nen­be­ding­ten Gründen - lang an­dau­ern­de Krank­heit - zum 31.07.2010 gekündigt.“

Die Kläge­rin hat be­an­tragt,

1. Es wird fest­ge­stellt, dass das zwi­schen den Par­tei­en be­ste­hen­de Ar­beits­verhält­nis trotz Kündi­gungs­erklärung, da­tie­rend vom 01.04.2010 nicht auf­gelöst wor­den ist, son­dern un­verändert fort­be­steht.

2. Es wird hilfs­wei­se fest­ge­stellt, dass der Kläge­rin Mas­se­ansprüche in Höhe von € 13.719,25 brut­to nebst Zin­sen p. a. in Höhe von 5 Pro­zent­punk­ten über dem Ba­sis­zins­satz ab Rechtshängig­keit zu­ste­hen.

3. Der Be­klag­te wird ver­ur­teilt, an die Kläge­rin 16.704,00 € brut­to nebst Zin­sen p. a. in Höhe von 5 Pro­zent­punk­ten über dem Ba­sis­zins­satz ab Rechtshängig­keit zu be­zah­len.

Der Be­klag­te hat be­an­tragt,

die Kla­ge ab­zu­wei­sen.

Das Ar­beits­ge­richt hat mit sei­nem am 20.08.2010 verkünde­ten Ur­teil der Kläge­rin ei­nen Ur-laubs­ab­gel­tungs­an­spruch in Höhe von 16.615,38 € brut­to oh­ne Zin­sen zu­ge­spro­chen und im Übri­gen die Kla­ge ab­ge­wie­sen. Das Ur­teil ha­ben bei­de Par­tei­en am 14.09.2010 zu­ge­stellt er­hal­ten. Die Kläge­rin hat ge­gen die Ab­wei­sung des So­zi­al­plan­an­spruchs am 12.10.2010 Be­ru­fung ein­ge­legt, der Be­klag­te am 06.10.2010 ge­gen die Ver­ur­tei­lung zur Zah­lung der Ur-laubs­ab­gel­tung. Im Übri­gen hat das Ur­teil des Ar­beits­ge­richts Rechts­kraft er­langt. Bei­de Par-tei­en ha­ben die Be­ru­fun­gen in­ner­halb der bis 14.12.2010 verlänger­ten Frist be­gründet. Die Kläge­rin hat die Be­ru­fungs­be­gründung am 17.12.2010 zu­ge­stellt er­hal­ten, der Be­klag­te am 15.12.2010. Die Kläge­rin hat am 13.01.2011 und der Be­klag­te am 14.01.2011 er­wi­dert.

Die Kläge­rin ist der Auf­fas­sung,
der Be­klag­te ha­be ge­gen das Maßre­ge­lungs­ver­bot des § 612a BGB ver­s­toßen, in­dem er die Kläge­rin zur Rück­nah­me der ers­ten Kündi­gungs­schutz­kla­ge mit der Dro­hung ha­be ver­an­las-

 

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sen wol­len, dass er sonst ei­ne zwei­te per­so­nen­be­ding­te Kündi­gung oh­ne Ab­fin­dungs­an­spruch nach dem So­zi­al­plan aus­spre­che. Dies kom­me dem Fall gleich, dass die Zah­lung ei­ner Ab­fin­dung in un­zulässi­ger Wei­se vom Ver­zicht auf ei­ne Kündi­gungs­schutz­kla­ge abhängig ge­macht wer­de.


Die Kläge­rin be­an­tragt,

1. das Ur­teil des Ar­beits­ge­richts Ulm vom 20.08.2010 - 1 Ca 74/10 - da­hin­ge­hend ab­zuändern, dass fest­ge­stellt wird, dass der Kläge­rin Mas­se­ansprüche in Höhe von 13.719,25 € brut­to nebst Zin­sen p. a. in Höhe von 5 Pro­zent­punk­ten über dem Ba­sis­zins­satz ab Rechtshängig­keit zu­ste­hen;

2. die Be­ru­fung des Be­klag­ten zurück­zu­wei­sen.

Der Be­klag­te be­an­tragt,

1. das Ur­teil des Ar­beits­ge­richts Ulm vom 25.08.2010 ab­zuändern und die Kla­ge ins­ge­samt ab­zu­wei­sen;

2. die Be­ru­fung der Kläge­rin zurück­zu­wei­sen.

Der Be­klag­te ist der An­sicht,
die Ur­laubs­ansprüche der Kläge­rin sei­en nach Zif­fer 2.8 des Ur­laubs­ab­kom­mens zu kürzen und nach Zif­fer 2.3 iVm den Aus­schluss­fris­ten des Man­tel­ta­rif­ver­tra­ges weit­ge­hend ver­fal­len. Die Ansprüche sei­en zum größten Teil verjährt. Der An­spruch auf Ur­laubs­ab­gel­tung sei kei­ne Mas­se­for­de­rung im Sin­ne des § 55 Abs. 1 Nr. 2 2. Alt. In­sO. Die Recht­spre­chung des Bun­des­ar­beits­ge­richts zu der Ein­ord­nung von Ur­laubs­ab­gel­tungs­ansprüchen als Mas­se­an-sprüche und zur Ab­gren­zung von Neu- und Alt­mas­se­ver­bind­lich­kei­ten sei wi­dersprüchlich. Die Ur­laubs­ansprüche sei­en nicht zur Ta­bel­le an­ge­mel­det. Die Leis­tungs­kla­ge be­tref­fend die Ansprüche bis zur In­sol­ven­zeröff­nung sei da­her un­zulässig.

We­gen der wei­te­ren Ein­zel­hei­ten des Par­tei­vor­trags wird auf den In­halt der zwi­schen den Par­tei­en in bei­den In­stan­zen ge­wech­sel­ten Schriftsätze und die vor­ge­leg­ten An­la­gen Be­zug ge­nom­men.

 

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Ent­schei­dungs­gründe

Die Be­ru­fun­gen der Kläge­rin und des Be­klag­ten sind statt­haft (§ 64 Abs. 1 und 2 ArbGG); sie sind form- und frist­ge­recht ein­ge­legt und be­gründet wor­den (§§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG, 519 Abs. 1 und 2, 520 Abs. 3 ZPO) und auch im Übri­gen zulässig. Die Be­ru­fung der Kläge­rin (un­ten A) ist un­be­gründet. Die Be­ru­fung des Be­klag­ten (un­ten B) ist be­gründet.

I.

A Be­ru­fung der Kläge­rin

Die Kläge­rin hat ge­gen den Be­klag­ten kei­nen An­spruch auf Fest­stel­lung der be­gehr­ten Ab-fin­dung im Zu­sam­men­hang mit der Be­en­di­gung ih­res Ar­beits­verhält­nis­ses.

1. Ein ent­spre­chen­der An­spruch folgt nicht aus dem So­zi­al­plan vom 11.09.2009. Die Kläge­rin fällt nicht un­ter den Gel­tungs­be­reich des So­zi­al­plans. Der So­zi­al­plan er­fasst nur Ar-beit­neh­mer/-in­nen, de­ren Ar­beits­verhält­nis auf der Grund­la­ge des In­ter­es­sen­aus­gleichs vom 20.07.2009 en­det. Er er­fasst nach der Ne­ga­tiv­lis­te im zwei­ten Ab­satz der Gel­tungs-be­reichs­klau­sel aus­drück­lich nicht Ar­beit­neh­mer/-in­nen, de­ren Ar­beits­verhält­nis aus per-so­nen­be­ding­ten Gründen gekündigt wird. Das Ar­beits­verhält­nis der Kläge­rin en­de­te durch die in ers­ter In­stanz noch strei­tig ge­we­se­ne we­gen lang­dau­ern­der Krank­heit per­so­nen­be­ding­te Kündi­gung der Be­klag­ten vom 01.04.2010 mit Ab­lauf des 31.07.2010. Dies steht rechts­kräftig fest. Be­triebs­rat und In­sol­venz­ver­wal­ter ha­ben dies im Nach­trag vom 15./18.06.2010 zum So­zi­al­plan un­ter Zif­fer 3 auch kol­lek­tiv-recht­lich aus­drück­lich klar­ge­stellt.

2. Der An­spruch er­gibt sich auch nicht aus dem So­zi­al­plan iVm dem be­triebs­ver­fas­sungs-recht­li­chen Gleich­be­hand­lungs­grund­satz des § 75 Abs. 1 Satz 1 Be­trVG.

a) Leis­tun­gen in So­zi­alplänen im Sin­ne von § 112 Abs. 1 Satz 2 Be­trVG, die dem Aus­gleich oder der Ab­mil­de­rung der mit ei­ner Be­triebsände­rung für die Ar­beit­neh­mer ver­bun­de­nen wirt­schaft­li­chen Nach­tei­le die­nen, dürfen nicht vom Ver­zicht auf die Er­he­bung ei­ner Kündi­gungs­schutz­kla­ge abhängig ge­macht wer­den (BAG 31.05.2005 1 AZR 254/04 Rn. 17 der Gründe, NZA 2005, 997 ff). Ei­ne sol­che Re­ge­lung verstößt ge­gen den be­triebs­ver­fas­sungs­recht­li­chen Gleich­be­hand­lungs­grund­satz des § 75 Abs.

 

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1 Satz 1 Be­trVG, dem der all­ge­mei­ne Gleich­heits­satz des Art. 3 Abs. 1 GG zu­grun­de liegt (BAG aaO Rn. 20 der Gründe).

b) Der So­zi­al­plan enthält kei­ne Re­ge­lung, die Ar­beit­neh­mer/-in­nen von sei­nen Leis­tun­gen aus­sch­ließt, die Kündi­gungs­schutz­kla­ge er­he­ben. Er stellt nur im 4. Ab­satz der sons­ti­gen Re­ge­lun­gen die Ab­fin­dung erst bei rechts­kräftig fest­ste­hen­der Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses zur Zah­lung fällig. Es ist sinn­voll und sach­lich ge­recht­fer­tigt, ab­zu­war­ten, ob das Ar­beits­verhält­nis durch ei­ne Kündi­gung über­haupt be­en­det wird und da­mit der Ab­fin­dungs­an­spruch ent­steht (BAG 31.05.2005 1 AZR 254/04 Rn. 21 der Gründe, NZA 2005,997 ff.; BAG 20.06.1985 2 AZR 427/84 Rn. der Gründe, NZA 1986, 258 ff.).

3. Sch­ließlich hat der Be­klag­te auch nicht das Maßre­ge­lungs­ver­bot des § 612a BGB ver­letzt, in­dem er der Kläge­rin an­ge­bo­ten hat, ihr bei Rück­nah­me der Kündi­gungs­schutz­kla­ge ge­gen die ers­te be­triebs­be­ding­te auf der Grund­la­ge des In­ter­es­sen­aus­gleichs mit Na­mens­lis­te vom 20.07.2009 aus­ge­spro­che­ne Kündi­gung die in die­sem Fall aus dem So­zi­al­plan re­sul­tie­ren­de Ab­fin­dung zu be­las­sen.

a) § 612a BGB ver­bie­tet dem Ar­beit­ge­ber die Be­nach­tei­li­gung ei­nes Ar­beit­neh­mers, weil die­ser in zulässi­ger Wei­se sei­ne Rech­te ausübt. Da­bei kann das Maßre­ge­lungs­ver­bot auch ver­letzt sein, wenn dem Ar­beit­neh­mer Vor­tei­le vor­ent­hal­ten wer­den, die der Ar­beit­ge­ber an­de­ren Ar­beit­neh­mern gewährt, die ih­re ent­spre­chen­den Rech­te nicht aus­geübt ha­ben (BAG 06.12.2006 4 AZR 798/05 Rn. 32 der Gründe mwN, NZA 2007 821 ff).

b) Die Kläge­rin be­haup­tet nicht, es ha­be an­de­re schwer­be­hin­der­te Mit­ar­bei­ter ge­ge­ben, die wie die Kläge­rin oh­ne Zu­stim­mung des In­te­gra­ti­ons­amts gekündigt wor­den sei­en und gleich­wohl die So­zi­al­plan­ab­fin­dung er­hal­ten hätten. Dass der Be­klag­te die Kläge­rin zunächst oh­ne Zu­stim­mung des In­te­gra­ti­ons­amts gekündigt hat­te, lag dar­an, dass der letz­te Ar­beits­tag der Kläge­rin der 29.01.2003 war und die Schuld­ne­rin und erst recht nicht der Be­klag­te seit­her nichts mehr von ihr gehört hat­ten. Ins­be­son­de­re war die Schwer­be­hin­der­ten­ei­gen­schaft im Be­trieb un­be­kannt. So ist auch zu erklären, dass in der Na­mens­lis­te zum In­ter­es­sen­aus­gleich bei den So­zi­al­da­ten der Kläge­rin ei­ne Schwer­be­hin­de­rung nicht ver­merkt ist. Die oh­ne Zu­stim­mung des In­te­gra­ti­ons­amts erklärte ers­te be­triebs­be­ding­te Kündi­gung war un­zwei­fel­haft gemäß § 134 BGB iVm § 85 SGB IX un­halt­bar nich­tig. Des­halb war es voll­kom­men kon­se­quent und pro­zessöko­no­misch ge­bo­ten, dass der Be­klag­te aus der Kündi­gung kei­ne Rech­te mehr her­ge­lei­tet

 

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hat, nach­dem der Ver­such ei­ner gütli­chen Ei­ni­gung durch Zah­lung der So­zi­al­plan­ab­fin­dung bei Hin­nah­me der Kündi­gung durch die Kläge­rin an der Kläge­rin ge­schei­tert war, wo­bei das von der Kläge­rin geäußer­te Mo­tiv, so­zi­al­ver­si­che­rungs­recht­li­che Nach­tei­le gemäß § 143a SGB III zu ver­mei­den, in keins­ter Wei­se nach­voll­zieh­bar ist. Die Kläge­rin er­hielt der­zeit schon un­be­fris­te­te Er­werbs­unfähig­keits­ren­te. Die Wie­der­er­lan­gung ih­rer Ar­beitsfähig­keit war nicht an­satz­wei­se ab­zu­se­hen. Ei­ne In­an­spruch­nah­me von Ar­beits­lo­sen­geld stand in kei­ner Wei­se im Raum. So­zi­al­ver­si­che­rungs­recht­li­che Pro­ble­me aus der Hin­nah­me der we­gen feh­len­der Zu­stim­mung des In­te­gra­ti­ons­amts an sich nich­ti­gen Kündi­gung sind da­her nicht er­kenn­bar.

c) Es stellt auch kei­ne Maßre­gel dar, wenn der Be­klag­te dann das Ar­beits­verhält­nis der Kläge­rin mit Zu­stim­mung des In­te­gra­ti­ons­amts - wie rechts­kräftig fest­steht - recht­wirk­sam or­dent­lich per­so­nen­be­dingt gekündigt hat mit der Fol­ge, dass die Kläge­rin aus dem So­zi­al­plan her­ausfällt. Der In­sol­venz­ver­wal­ter hat die Zie­le des In­sol­venz­ver­fah­rens im Sin­ne des § 1 In­sO bestmöglich zu ver­wirk­li­chen (vgl. § 2 An­hang II Be­rufs­grundsätze der In­sol­venz­ver­wal­ter zu § 56 In­sO). Da­zu gehört nach § 1 In­sO ei­ne gleichmäßige Gläubi­ger­be­frie­di­gung. Die­se setzt ei­nen wirt­schaft­li­chen Um­gang mit der In­sol­venz­mas­se vor­aus. Des­halb war es voll­kom­men sach­ge­recht, dass der Be­klag­te, als er er­ken­nen konn­te, dass die Kläge­rin rechtmäßig per­so­nen­be­dingt zu kündi­gen war, die­se Kündi­gung erklärt hat. In­so­weit liegt ei­ne zulässi­ge Rechts­ausübung vor, die kei­ne Maßre­gel im Sin­ne des § 612a BGB dar­stel­len kann. Die Ankündi­gung die­ser rechtmäßigen Maßnah­me für den Fall, dass die Kläge­rin das Ver­gleichs­an­ge­bot nicht an­nimmt, war des­halb auch kei­ne Dro­hung, die Rechts­fol­gen auslösen könn­te, son­dern der schlich­te Hin­weis auf die Rechts­la­ge, die zu igno­rie­ren die Kläge­rin be­lieb­te. Ei­ne Ver­let­zung des § 612a BGB liegt da­her nicht vor.

Die Kläge­rin hat ge­gen den Be­klag­ten kei­nen Ab­fin­dungs­an­spruch aus dem So­zi­al­plan. Das hat das Ar­beits­ge­richt zu­tref­fend er­kannt. Die Be­ru­fung der Kläge­rin ist nicht be­gründet.

B Be­ru­fung des Be­klag­ten

Die Be­ru­fung des Be­klag­ten ist be­gründet. Die Kläge­rin hat ge­gen den Be­klag­ten kei­nen An-spruch auf Ur­laubs­ab­gel­tung.

Die Fra­ge, ob ein sol­cher An­spruch in vol­lem Um­fang als Mas­se­an­spruch im We­ge der Leis-tungs­kla­ge ge­gen den In­sol­venz­ver­wal­ter ver­folgt wer­den kann (so BAG 25.03.2003 9 AZR 174/02 Rn. 62 ff der Gründe, NZA 2004, 43 ff, 18.11.2003 9 AZR 95/03 Rn. 57 der Gründe, NZA 2004,

 

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651 ff, 15.02.2005 9 AZR 78/04 Rn. 29 der Gründe, NZA 2005 1124 ff) oder in dem Um­fang als In­sol­venz­for­de­rung zur Ta­bel­le fest­ge­stellt wer­den muss, wie er in der ver­blei­ben­den Kündi­gungs­frist nach In­sol­ven­zeröff­nung nicht mehr in Na­tu­ra gewährt wer­den konn­te, kann schon des­halb da­hin ste­hen, weil im vor­lie­gen­den Fall In­sol­ven­zeröff­nung am 01.07.2009 war, das Ar­beits­verhält­nis aber erst 13 Mo­na­te später am 31.07.2010 be­en­det wor­den ist. In die­sen 13 Mo­na­ten nach In­sol­ven­zeröff­nung hätte der Ur­laubs­an­spruch der Kläge­rin von 180 Ta­gen - so er be­stan­den hätte - zeit­lich oh­ne wei­te­res erfüllt wer­den können. Des­halb wäre der Ab­gel­tungs­an­spruch auch nach der Rechts­auf­fas­sung des Be­klag­ten ei­ne Mas­se­for­de­rung.

Auch auf die Fra­ge der Kürzung der Ur­laubs­ansprüche nach dem Ur­laubs­ab­kom­men, der Über­tra­gung und Ab­gel­tung der Ur­laubs­ansprüche, dem Ver­fall der Ur­laubs- und Ur­laubs­ab-gel­tungs­ansprüche nach den ta­rif­li­chen Aus­schluss­fris­ten und der Verjährung der Ur­laubs-ansprüche kommt es nicht ent­schei­dungs­er­heb­lich an, weil die Kläge­rin von 2005 bis zur Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses am 31.07.2010 kei­ne Ur­laubs­ansprüche mehr er­wor­ben hat.

1. Streit­ge­gen­stand sind die Ab­gel­tung ta­rif­li­cher Ur­laubs­ansprüche im jähr­li­chen Um­fang von 30 Ar­beits­ta­gen oh­ne den ge­setz­li­chen Schwer­be­hin­der­ten­zu­satz­ur­laub des § 125 SGB IX für die Jah­re 2005 bis 2010.

a) Zif­fer 5 des zwi­schen der Kläge­rin und der Schuld­ne­rin am 17.01.1977 ge­schlos­se­nen Ar­beits­ver­tra­ges enthält ei­ne Be­zug­nah­me auf die Ta­rif­verträge für Ar­bei­ter und An­ge­stell­te in der Me­tall­in­dus­trie in Südwürt­tem­berg-Ho­hen­zol­lern. Dies er­gibt die Aus­le­gung des Ver­tra­ges gemäß §§ 133, 157 BGB. So­wohl in Zif­fer 2 wie in Zif­fer 5 des sei­ner­zeit noch be­mer­kens­wert knap­pen Ar­beits­ver­tra­ges wird von „ta­rif­li­chen Be­stim­mun­gen“ ge­spro­chen. Die Schuld­ne­rin war sei­ner­zeit Mit­glied im Ver­band der Me­tall­in­dus­trie von Südwürt­tem­berg-Ho­hen­zol­lern. Sie un­terfällt als Me­tall­in­dus­trie­be­trieb be­trieb­lich und mit ih­rem Sitz in L., Land­kreis B., auch räum­lich dem Man­tel­ta­rif­ver­trag und dem Ur­laubs­ab­kom­men, das die IG-Me­tall Be­zirks­lei­tung Stutt­gart mit dem Ver­band der Me­tall­in­dus­trie von Südwürt­tem­berg-Ho­hen­zol­lern sei­ner­zeit ge­schlos­sen hat­te. In­so­fern ist die Be­zug­nah­me­klau­sel in Zif­fer 5 des Ar­beits­ver­tra­ges ein­deu­tig.

b) Da es sich bei dem vor­ge­leg­ten Ar­beits­ver­trag um ei­nen von ei­nem ta­rif­ge­bun­de­nen Ar­beit­ge­ber vor­for­mu­lier­ten Alt­ver­trag vor dem 01.01.2002 han­delt, gilt nach wie vor die Aus­le­gungs­re­gel, dass die Be­zug­nah­me­klau­sel ei­ne Gleich­stel­lungs­ab­re­de mit dem Zweck der Gleich­stel­lung ta­rif­ge­bun­de­ner mit nicht ta­rif­ge­bun­de­nen Ar­beit­neh-

 

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mern dar­stel­len soll (BAG 14.12.2005 4 AZR 536/04 Rn. 13 der Gründe, NZA 2006, 607 ff).
Nach Aus­tritt aus dem ta­rif­sch­ließen­den Ver­band gel­ten die in Be­zug ge­nom­me­nen Ta­rif­verträge sta­tisch gemäß §§ 3 Abs. 3., 4 Abs. 5 TVG wei­ter (BAG aaO).

Die Schuld­ne­rin trat 1993 aus dem Ver­band aus. Das Ur­laubs­ab­kom­men, das 1993 galt, en­de­te am 31.12.1996 und wur­de durch ein neu­es er­setzt. Des­halb fol­gen et­wai­ge Ansprüche aus dem sta­tisch fort­gel­ten­den Ur­laubs­ab­kom­men in der Fas­sung 1993.

c) Die Kläge­rin hat im ge­sam­ten Rechts­streit mit kei­nem Wort den ihr an sich zu­ste­hen­den Zu­satz­ur­laub für schwer­be­hin­der­te Men­schen nach § 125 SGB IX re­kla­miert, son­dern sich auf den jähr­li­chen Ur­laub­s­um­fang von 30 Ta­gen be­zo­gen, den die Schuld­ne­rin ständig gewährt hat. Streit­ge­gen­stand ist da­her aus­sch­ließlich der ta­rif­li­che Ur­laubs­an­spruch nach § 3.1 des Ur­laubs­ab­kom­mens und nicht der Schwer­be­hin­der­ten­zu­satz­ur­laub.

2. Die Kläge­rin be­zog vom 20.05.2004 bis 31.01.2006 Ar­beits­lo­sen­geld und da­nach bis zur Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses ei­ne Er­werbs­unfähig­keits­ren­te. In die­ser Zeit hat das Ar­beits­verhält­nis ge­ruht mit der Fol­ge, dass Ur­laubs­ansprüche, die über­tra­gen und bei Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses ab­ge­gol­ten hätten wer­den können, nicht ent­stan­den sind.

a) Der Be­zug von Ar­beits­lo­sen­geld nach § 125 Abs. 1 SGB III setzt Ar­beits­lo­sig­keit vor­aus. Ar­beits­los ist nach § 119 Abs. 1 Nr. 1 SGB III, wer nicht in ei­nem Beschäfti­gungs­verhält­nis steht, al­so „beschäfti­gungs­los“ ist. Das setzt im recht­lich fort­be­ste­hen­den Ar­beits­verhält­nis vor­aus, dass die Haupt­leis­tungs­pflich­ten sus­pen­diert sind. Da sich ein ak­ti­ves Beschäfti­gungs­verhält­nis und der Be­zug von Ar­beits­lo­sen­geld nach § 125 Abs. 1 SGB III ge­gen­sei­tig aus­sch­ließen, ist da­von aus­zu­ge­hen, dass das Ar­beits­verhält­nis mit Be­ginn des Ar­beits­lo­sen­geld­be­zu­ges re­gelmäßig ru­hend ge­stellt wird. Ob die Kläge­rin letzt­lich ei­ne Be­schei­ni­gung nach § 312a SGB III vom Ar­beit­ge­ber ver­langt hat, wor­in das Bun­des­ar­beits­ge­richt das An­ge­bot zur Ru­hens­ver­ein­ba­rung sieht (BAG 14.03.2006 9 AZR 312/05 Rn. 28 der Gründe, NZA 2006, 1232 ff) und die Schuld­ne­rin die­se Be­schei­ni­gung er­teilt und da­mit das An­ge­bot an­ge­nom­men hat (BAG aaO), kann da­bei letzt­lich da­hin­ste­hen, wie wohl die Ent­schei­dung über die Gewährung von Ar­beits­lo­sen­geld oh­ne Vor­la­ge der Be­schei­ni­gung gemäß § 312a SGB III an sich un­denk­bar ist. Die Kläge­rin hat je­den­falls nach Ab­lauf der Ent­gelt­fort­zah­lung spätes­tens nach Ab­lauf des Kran­ken­gel­des ih­re Ar­beits­kraft nie an­ge­bo­ten, wo­zu sie

 

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im be­ste­hen­den Ar­beits­verhält­nis gemäß § 294 BGB ver­pflich­tet ge­we­sen wäre, und der Ar­beit­ge­ber hat sein Di­rek­ti­ons­recht in kei­ner Wei­se aus­geübt. Auch hier­in kann ge­ge­be­nen­falls der übe­rein­stim­men­de Wil­le der Par­tei­en zur Ru­hend­stel­lung des Ar­beits­verhält­nis­ses ge­se­hen wer­den. Die­ses ru­hen­de Ar­beits­verhält­nis hat auch nach En­de des Be­zugs­zeit­raums für das Ar­beits­lo­sen­geld nicht wie­der auf­ge­lebt, son­dern be­stand bis zur for­ma­len Be­en­di­gung am 31.07.2010 als ru­hen­des Ar­beits­verhält­nis fort.

b) Ob im ru­hen­den Ar­beits­verhält­nis Ur­laubs­ansprüche ent­ste­hen, hängt da­von ab, ob man den An­spruch auf Jah­res­ur­laub (als Frei­stel­lung von der Ar­beits­pflicht zum Zwe­cke der Er­ho­lung) und den An­spruch auf Zah­lung des Ur­laubs­ent­gelts als zwei­tei­li­gen ein­heit­li­chen An­spruch und da­mit Ur­laub und Ur­laubs­ent­gelt als Haupt­leis­tungs­pflich­ten ver­steht (vgl. Ar­nold in Ar­nold/Till­manns BUrlG 2. Aufl. 2010 Rn. 154 zu § 7). Dafür, dies so zu ver­ste­hen, spricht, dass die Ur­laubs­gewährung von der Haupt­leis­tungs­pflicht, der Er­brin­gung der Ar­beits­leis­tung im Sin­ne des § 611 Abs. 1 BGB bei gleich­zei­ti­ger Auf­recht­er­hal­tung der Ge­gen­leis­tung, der Vergütungs­zah­lung, be­freit. An­spruch auf Ur­laubs­ent­gelt ist so ge­se­hen ei­ne Aus­nah­me vom Grund­satz „Oh­ne Ar­beit kein Lohn“. Da­mit ist die Ur­laubs­gewährung ver­bun­den mit der Fort­zah­lung des Ar­beits­ent­gelts für den Ar­beit­ge­ber Teil sei­ner Haupt­leis­tungs­pflicht (ähn­lich Zim­mer­mann in Ar­nold/Till­manns aaO Rn. 34 zu § 1, LAG Düssel­dorf 05.05.2010 7 Sa 1571/09, Re­vi­si­on beim BAG ein­ge­legt un­ter Az. 9 AZR 475/10) und kei­ne Ne­ben­pflicht (so aber u. a. LAG Ba­den-Würt­tem­berg 29.04.2010 11 Sa 64/09 Rn. 27 der Gründe un­ter Ver­weis auf BAG 24.11.1987 8 AZR 140/87, NZA 1988, 243 ff). Ru­hen die Haupt­leis­tungs­pflich­ten und wird die Pflicht zur Ur­laubs­gewährung bei Vergütungs­fort­zah­lung als Haupt­leis­tungs­an­spruch ver­stan­den, ent­steht im ru­hen­den Ar­beits­verhält­nis kein Ur­laubs­an­spruch.

c) Die­se Lösung ist nach Auf­fas­sung der Kam­mer eu­ro­pa­rechts­kon­form.

aa) In der Schultz-Hoff-Ent­schei­dung zu Art. 7 Abs. 1 der Richt­li­nie 2003/88 vom 20.01.2009 (C-350/06 und C-520/06 NZA 2009, 135 ff) knüpft der Eu­ropäische Ge­richts­hof dar­an an, dass der Ur­laub we­gen be­ste­hen­der Ar­beits­unfähig­keit nicht ge­nom­men wer­den konn­te. Aus Art. 5 Abs. 4 des Übe­r­ein­kom­mens Nr. 132 der In­ter­na­tio­na­len Ar­beits­or­ga­ni­sa­ti­on vom 24.06.1970 über den be­zahl­ten Jah­res­ur­laub zieht der EuGH den Schluss, dass bei un­abhängig vom Wil­len des be­tei­lig­ten Ar­beit­neh­mers be­ste­hen­den Hin­de­rungs­gründen an der Er­brin­gung der Ar­beits­leis­tung, wie z. B. Krank­heit, der Ur­laubs­an­spruch gewähr­leis­tet sein müsse (vgl.

 

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auch Zim­mer­mann aaO). Im vor­lie­gen­den Fall war der Hin­de­rungs­grund Krank­heit aber nicht der tra­gen­de Grund für die Nich­ter­brin­gung der Ar­beits­leis­tung, son­dern Mo­tiv für die Her­beiführung des Ru­hens des Ar­beits­verhält­nis­ses und zwar de­halb, weil die Kläge­rin sonst we­der Vergütung noch Ent­gelt­fort­zah­lung, noch Kran­ken­geld, noch Er­werbs­unfähig­keits­ren­te er­hal­ten hätte. Da­mit steht be­reits nach der Schultz-Hoff- Ent­schei­dung des EuGH fest, dass bei ei­gen­in­itia­ti­ver Her­beiführung des Ru­hens des Ar­beits­verhält­nis­ses der Schutz des Art. 7 Abs. 1 der Richt­li­nie entfällt. Ei­ne Vor­la­ge­pflicht sieht die Kam­mer da­her nicht.

bb) Auch die Ein­ord­nung des Ur­laubs- und Ur­laubs­ent­gelt­an­spruchs als ein­heit­li­cher An­spruch steht im Ein­klang mit Art. 7 Abs. 1 der Richt­li­nie 2003/88 und der da­zu er­gan­ge­nen Recht­spre­chung des EuGH. In der Schultz-Hoff-Ent­schei­dung (Rn. 60 der Gründe) ver­weist der EuGH auf sei­ne ständi­ge Recht­spre­chung, wo­nach „der An­spruch auf Jah­res­ur­laub und der auf Zah­lung des Ur­laubs­ent­gelts in der Richt­li­nie 2003/88 als zwei As­pek­te ei­nes ein­zi­gen An­spruchs be­han­delt“ wird. „Durch das Er­for­der­nis der Zah­lung des Ur­laubs­ent­gelts soll der Ar­beit­neh­mer während des Jah­res­ur­laubs in ei­ne La­ge ver­setzt wer­den, die in Be­zug auf das Ent­gelt mit den Zei­ten ge­leis­te­ter Ar­beit ver­gleich­bar ist.“ Da­mit stellt der EuGH ei­ne so un­mit-tel­ba­re Sachnähe von Ent­gelt und Ur­laubs­ent­gelt her, dass es die Richt­li­nie 2003/88 und de­ren Aus­le­gung durch den EuGH je­den­falls nicht ver­bie­tet, den Ur­laubs­an­spruch als Haupt­leis­tungs- und nicht als Ne­ben­leis­tungs­an­spruch an­zu­se­hen, oh­ne dass ei­ne er­neu­te Vor­la­ge­pflicht bestünde.

Im Er­geb­nis sind Ur­laubs­ansprüche der Kläge­rin seit Be­ginn des Ar­beits­lo­sen­geld­be­zu­ges am 20.04.2004 bis zur Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses am 31.07.2010 nicht ent­stan­den. Mit der Kla­ge macht die Kläge­rin sol­che Ansprüche für ei­nen in­ner­halb die­ses Zeit­raums lie­gen­den Ab­schnitt, nämlich für die Zeit ab 2005 gel­tend.

Man­gels ent­stan­de­nem Ur­laubs­an­spruch stel­len sich die Pro­ble­me der ta­rif­li­chen Kürzung, des ta­rif­li­chen Aus­schlus­ses, der Verjährung und der in­sol­venz­recht­li­chen Ein­ord­nung mit­hin nicht.

Die Kla­ge ist un­be­gründet. Die Be­ru­fung des Be­klag­ten ist be­gründet.

 

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II.

Der un­ter­le­ge­nen Kläge­rin sind gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kos­ten des Rechts­streits ein-schließlich der Be­ru­fun­gen auf­zu­er­le­gen.

III.

Die Re­vi­si­on ist nur hin­sicht­lich der Ur­laubs­ansprüche gemäß § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG we-gen grundsätz­li­cher Be­deu­tung und Di­ver­genz zu­zu­las­sen. Im Übri­gen ist ih­re Zu­las­sung nicht ver­an­lasst.

 

 

 

 

 

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Rechts­mit­tel­be­leh­rung

1. Ge­gen die­ses Ur­teil kann die Kläge­rin we­gen der Ur­laubs­ab­gel­tungs­ansprüche (Klag­an­trag Zif­fer 3) schrift­lich Re­vi­si­on ein­le­gen. Die Re­vi­si­on muss in­ner­halb ei­ner Frist von ei­nem Mo­nat, die Re­vi­si­ons­be­gründung in­ner­halb ei­ner Frist von zwei Mo­na­ten bei dem  

Bun­des­ar­beits­ge­richt

Hu­go-Preuß-Platz 1

99084 Er­furt

ein­ge­hen.

Bei­de Fris­ten be­gin­nen mit der Zu­stel­lung des in vollständi­ger Form ab­ge­fass­ten Ur­teils, spätes­tens aber mit Ab­lauf von fünf Mo­na­ten nach der Verkündung.

Die Re­vi­si­on und die Re­vi­si­ons­be­gründung müssen von ei­nem Pro­zess­be­vollmäch­tig­ten un­ter­zeich­net sein. Als Pro­zess­be­vollmäch­tig­te sind nur zu­ge­las­sen:

a. Rechts­anwälte,

b. Ge­werk­schaf­ten und Ver­ei­ni­gun­gen von Ar­beit­ge­bern so­wie Zu­sam­men­schlüsse sol­cher Verbände für ih­re Mit­glie­der oder für an­de­re Verbände oder Zu­sam­men­schlüsse mit ver­gleich­ba­rer Aus­rich­tung und de­ren Mit­glie­der,

c. ju­ris­ti­sche Per­so­nen, die die Vor­aus­set­zun­gen des § 11 Abs. 2 Satz 2 Nr. 5 ArbGG erfüllen.

In den Fällen der lit. b und c müssen die han­deln­den Per­so­nen die Befähi­gung zum Rich­ter­amt ha­ben.

2. Im Übri­gen ist für die Kläge­rin und für den Be­klag­ten ge­gen die­ses Ur­teil ein Rechts­mit­tel nicht ge­ge­ben. Auf § 72a ArbGG wird hin­ge­wie­sen.

 

Müller

Bau­er

Kel­ler  


 

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