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Arbeitslosengeld I
Lesen Sie hier, wer Anspruch auf Arbeitslosengeld I hat, was Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bei der Arbeitslosmeldung beachten sollten und wie lang Arbeitslosengeld gewährt wird.
Außerdem finden Sie Hinweise zu den Themen Kranken- und Rentenversicherung sowie dazu, unter welchen Voraussetzungen eine Sperrzeit beim Bezug von Arbeitslosengeld verhängt werden kann und wann es zu einem Ruhen des Arbeitslosengeldanspruchs kommen kann.
von Rechtsanwalt Dr. Martin Hensche, Fachanwalt für Arbeitsrecht, Berlin
- Was versteht man unter Arbeitslosengeld I?
- Wo finden sich gesetzliche Regelungen über das Arbeitslosengeld I?
- Wer hat Anspruch auf Arbeitslosengeld I?
- Wer ist arbeitslos im Sinne der Anspruchsvoraussetzungen für das Arbeitslosengeld I?
- Was schreibt das Gesetz zur Arbeitslosmeldung vor?
- Wer hat die Anwartschaftszeit erfüllt?
- Wie lange wird Arbeitslosengeld I gewährt?
- In welcher Höhe wird Arbeitslosengeld I gewährt?
- Wie wird das Arbeitslosengeld I steuerlich behandelt?
- Besteht während des Arbeitslosengeldbezugs Schutz in der Kranken- und Rentenversicherung?
- Wer trägt die Beiträge für die Kranken- und Rentenversicherung der Arbeitslosen?
- Welche Folgen hat das Zusammentreffen von Arbeitslosigkeit und Krankheit?
- Wann wird eine Sperrzeit verhängt?
- Welche Folgen hat eine Sperrzeit?
- Wann ruht der Anspruch auf Arbeitslosengeld?
- Was versteht man unter Gleichwohlgewährung von Arbeitslosengeld?
- Wie wird der Bezug von gleichwohlgewährtem Arbeitslosengeld rückabgewickelt?
- Wo finden Sie mehr zum Thema Arbeitslosengeld I?
- Was können wir für Sie tun?
Was versteht man unter Arbeitslosengeld I?
Das Arbeitslosengeld I ist eine von der Bundesagentur für Arbeit (BA) bzw. von der örtlich zuständigen Arbeitsagentur gezahlte Lohnersatzleistung.
Anders als das Arbeitslosengeld II setzt die Gewährung von Arbeitslosengeld I voraus, dass der Empfänger in der gesetzlichen Arbeitslosenversicherung versichert ist und aufgrund des Versicherungsverhältnisses Anspruch auf Versicherungsleistungen, d.h. auf Arbeitslosengeld I, hat.
In der Sprache der Arbeitsverwaltung und Juristen sind die Abkürzungen ALG I bzw. Alg I für das Arbeitslosengeld I und die entsprechenden Abkürzungen für das Arbeitslosengeld II gebräuchlich (ALG II bzw. Alg II).
Wo finden sich gesetzliche Regelungen über das Arbeitslosengeld I?
Die Bundesagentur bzw. die Arbeitsagenturen entscheiden über die Gewährung von Alg I auf gesetzlicher Grundlage. Maßgeblich ist hier vor allem das Dritte Buch Sozialgesetzbuch (SGB III).
Antworten auf viele Einzelfragen finden sich in den Fachlichen Weisungen der Bundesagentur für Arbeit zum SGB III bzw. zum Recht der Arbeitsförderung.
Mit den Fachlichen Weisungen soll die Entscheidungspraxis der Sachbearbeiter der Arbeitsagenturen vereinheitlicht werden, und zwar in einer Weise, die dem Gesetz und der Rechtsprechung der Sozialgerichte entspricht.
Wer hat Anspruch auf Arbeitslosengeld I?
Arbeitslosengeld I können Versicherte gemäß § 137 SGB III verlangen, die
- arbeitslos sind, und
- sich bei der Agentur für Arbeit arbeitslos gemeldet haben, und
- die Anwartschaftszeit erfüllt haben.
Wer ist arbeitslos im Sinne der Anspruchsvoraussetzungen für das Arbeitslosengeld I?
Arbeitslos sind Versicherte gemäß § 138 SGB III, wen sie die folgenden Voraussetzungen erfüllen:
- Sie dürfen nicht in einem Beschäftigungsverhältnis stehen (Beschäftigungslosigkeit).
- Sie müssen sich bemühen, seine Beschäftigungslosigkeit zu beenden (Eigenbemühungen).
- Sie müssen den Vermittlungsbemühungen der Arbeitsagentur zur Verfügung stehen (Verfügbarkeit).
Eine ehrenamtliche Betätigung schließt Arbeitslosigkeit nicht aus, wenn dadurch die berufliche Eingliederung des Arbeitslosen nicht beeinträchtigt wird. Auch eine zeitlich nicht erhebliche Erwerbstätigkeit von weniger als 15 Stunden wöchentlich schließt die Beschäftigungslosigkeit nicht aus, wobei gelegentliche Abweichungen von geringer Dauer unberücksichtigt bleiben.
Im Rahmen der Eigenbemühungen sind Arbeitslose verpflichtet, alle Möglichkeiten zur beruflichen Eingliederung zu nutzen. Dazu gehört es, seine Pflichten aus einer Eingliederungsvereinbarung zu erfüllen, bei der Vermittlung durch Dritte mitzumachen und die Informationseinrichtungen der Arbeitsagenturen zu nutzen.
Verfügbar sind Versicherte unter den folgenden Voraussetzungen:
- Sie müssen eine versicherungspflichtige, mindestens 15 Stunden wöchentlich umfassende, zumutbare Beschäftigung unter den üblichen Bedingungen des für sie in Betracht kommenden Arbeitsmarktes ausüben können und zur Ausübung bereit sein. Das kann z.B. bei jungen Eltern ein Problem sein, wenn sie keinen KiTa-Platz ein Kleinkind haben.
- Sie müssen den Vorschlägen der Agentur für Arbeit zur beruflichen Eingliederung zeit- und ortsnah Folge leisten können.
- Sie müssen bereit sein, an Maßnahmen zur beruflichen Eingliederung in das Erwerbsleben teilzunehmen.
Was schreibt das Gesetz zur Arbeitslosmeldung vor?
Gemäß § 141 Abs.1 Satz 1 SGB III müssen sich Arbeitslose elektronisch im Fachportal der Bundesagentur oder persönlich bei der zuständigen Arbeitsagentur arbeitslos melden.
Eine Meldung per Brief oder durch einen Stellvertreter ist also unzulässig bzw. führt nicht zum Entstehen eines Anspruchs auf Arbeitslosengeld.
In zeitlicher Hinsicht ist eine Meldung bereits dann zulässig, wenn die Arbeitslosigkeit noch nicht eingetreten, der Eintritt der Arbeitslosigkeit aber innerhalb der nächsten drei Monate zu erwarten ist. Die Arbeitslosmeldung muss spätestens am ersten Tag des vom Arbeitnehmer gewünschten Leistungsbezugs erfolgen, da ohne eine solche Meldung Arbeitslosengeld I nicht gewährt wird. Eine rückwirkende Leistungsbewilligung ist ausgeschlossen.
Von der Arbeitslosmeldung ist die „frühzeitige Arbeitssuche“ zu unterscheiden, d.h. die Meldung als arbeitsuchend. Gemäß § 38 Abs.1 SGB III sind Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis voraussichtlich enden wird, dazu verpflichtet, sich spätestens drei Monate vor dessen Beendigung bei der Agentur für Arbeit arbeitsuchend zu melden. Zu diesem Zeitpunkt ist die Arbeitslosigkeit daher noch nicht eingetreten, so dass eine Arbeitslosmeldung noch nicht möglich ist. Dazu heißt es in § 38 Abs.1 SGB III:
"Personen, deren Ausbildungs- oder Arbeitsverhältnis endet, sind verpflichtet, sich spätestens drei Monate vor dessen Beendigung bei der Agentur für Arbeit unter Angabe der persönlichen Daten und des Beendigungszeitpunktes des Ausbildungs- oder Arbeitsverhältnisses arbeitsuchend zu melden. Liegen zwischen der Kenntnis des Beendigungszeitpunktes und der Beendigung des Ausbildungs- oder Arbeitsverhältnisses weniger als drei Monate, haben sie sich innerhalb von drei Tagen nach Kenntnis des Beendigungszeitpunktes zu melden. Die Pflicht zur Meldung besteht unabhängig davon, ob der Fortbestand des Ausbildungs- oder Arbeitsverhältnisses gerichtlich geltend gemacht oder vom Arbeitgeber in Aussicht gestellt wird. Die Pflicht zur Meldung gilt nicht bei einem betrieblichen Ausbildungsverhältnis."
Wer hat die Anwartschaftszeit erfüllt?
Die Anwartschaftszeit hat gemäß § 142 SGB III erfüllt, wer während der letzten 30 Monaten ("Rahmenfrist") mindestens zwölf Monate in einem Versicherungspflichtverhältnis gestanden hat.
Die Rahmenfrist beträgt gemäß § 143 Abs.1 SGB III im Allgemeinen 30 Monate und beginnt mit dem Tag vor der Erfüllung aller sonstigen Voraussetzungen für den Anspruch auf Arbeitslosengeld. Da für die Berechnung der Dauer des Arbeitslosengeldanspruchs allerdings eine "um 30 Monate erweiterte Rahmenfrist" maßgeblich ist (§ 147 Abs.1 Satz 1 SGB III), gilt im Normalfall praktisch eine Rahmenfrist von 60 Monaten bzw. von fünf Jahren.
Der Anspruch auf Arbeitslosengeld setzt demzufolge nicht voraus, dass man unmittelbar vor dem Bezug von Arbeitslosengeld noch in einem Arbeitsverhältnis gestanden und Beiträge gezahlt hat. Die nötigen zwölf Beitragsmonate können auch schon etwas länger zurückliegen.
Wie lange wird Arbeitslosengeld I gewährt?
Die Dauer des Bezugs von Arbeitslosengeld hängt von der Dauer der Beschäftigung und vom Alter ab.
Gemäß § 147 Abs.2 SGB III beträgt die Dauer des Anspruchs auf Arbeitslosengeld:
nach Versicherungspflichtverhältnissen |
und nach Vollendung |
... Monate |
12 |
|
6 |
16 |
|
8 |
20 |
|
10 |
24 |
|
12 |
30 |
50 |
15 |
36 |
55 |
18 |
48 |
58 |
24 |
Für die Feststellung der Versicherungszeiten gilt eine um 30 Monate längere Rahmenfrist, insgesamt also ein Zeitraum von fünf Jahren vor Eintritt der Arbeitslosigkeit.
In welcher Höhe wird Arbeitslosengeld I gewährt?
Das Arbeitslosengeld beträgt 60 Prozent (allgemeiner Leistungssatz) und bei Arbeitnehmern mit mindestens einem Kind 67 Prozent (erhöhter Leistungssatz) des zuletzt bezogenen Nettogehaltes.
Dieses Nettogehalt wird pauschal berechnet auf der Grundlage der gesetzlichen Vorschriften zum Abzug von Sozialabgaben und Steuern. Das pauschal berechnete Nettogehalt ist das sog. Leistungsentgelt (§ 149 SGB III). Es ist Ausgangspunkt für die Berechnung der Höhe des Arbeitslosengeldes.
Das Leistungsentgelt wird ausgehend vom Bemessungsentgelt errechnet. Das Bemessungsentgelt ist das durchschnittlich auf den Tag entfallende beitragspflichtige Bruttoentgelt, das der Arbeitslose im Bemessungszeitraum erzielt hat (§ 151 Abs.1 Satz 1 SGB III). Gehaltsbestandteile, auf die der Arbeitslose beim Ausscheiden aus dem Beschäftigungsverhältnis Anspruch hatte, gelten als erzielt, wenn sie zugeflossen oder nur wegen Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers nicht zugeflossen sind. Der Bemessungszeitraum umfasst grob gesagt das letzte Jahr vor Beginn der Arbeitslosigkeit. Einzelheiten sind in § 150 SGB III geregelt.
Das in diesem Jahr erzielte Arbeitsentgelt ist für die Ermittlung des Bemessungsentgelts maßgeblich, vorausgesetzt, das Arbeitsentgelt wurde durch eine versicherungspflichtige Beschäftigung erzielt und ist beitragspflichtig zur Arbeitslosenversicherung.
Die Voraussetzung der versicherungspflichtigen Beschäftigung ist beispielsweise bei einer geringfügigen Tätigkeit („Minijob“) nicht erfüllt, da für diese keine Versicherungspflicht in der Arbeitslosenversicherung besteht. Die Voraussetzung der Beitragspflichtigkeit des Entgelts ist auch bei Besserverdienenden nicht erfüllt, nämlich teilweise bzw. insoweit, als ihr Arbeitseinkommen die Beitragsbemessungsgrenze in der Arbeitslosenversicherung übersteigt.
Die Beitragsbemessungsgrenze in der Arbeitslosenversicherung entspricht der Beitragsbemessungsgrenze der allgemeinen Rentenversicherung (§ 341 Abs.4 SGB III) und beträgt im Jahre 2022 pro Monat 7.050 EUR (alte Bundesländer) bzw. 6.750 EUR (neue Bundesländer) und aufs Jahr gerechnet 84.600 EUR (alte Bundesländer) bzw. 81.000 EUR (neue Bundesländer). Darüber liegende Arbeitseinkommen sind insoweit, als sie diese Grenze übersteigen, in der Arbeitslosen- wie in der Rentenversicherung versicherungsfrei, d.h. der übersteigende Gehaltsanteil ist nicht versichert.
Ist das für die Ermittlung des Bemessungsentgelts im letzten Jahr vor der Arbeitslosigkeit maßgebliche Arbeitsentgelt ermittelt, wird es durch 365 geteilt (§ 151 Abs.1 Satz 1 SGB III) und von diesem täglichen Bemessungsentgelt gemäß § 153 Abs.1 Satz 1 SGB III eine Sozialversicherungspauschale in Höhe von 20 Prozent, die Lohnsteuer gemäß Lohnsteuertabelle (d.h. ohne individuelle Freibeträge und Pauschalen) sowie der Solidaritätszuschlag abgezogen. Das Ergebnis dieser Abzüge ist das tägliche Leistungsentgelt.
Das Leistungsentgelt wird je nachdem, ob der Arbeitnehmer den allgemeinen oder den erhöhten Leistungssatz beanspruchen kann, mit 0,6 oder 0,67 multipliziert; dies ergibt den täglichen Leistungssatz bzw. Zahlbetrag. Ist Arbeitslosengeld für volle Kalendermonate zu leisten, wird jeder Monat pauschal mit 30 Tagen angesetzt (§ 154 Satz 2 SGB III), d.h. der Arbeitslose erhält pro Monat den täglichen Zahlbetrag mal dreißig.
Wie wird das Arbeitslosengeld I steuerlich behandelt?
Das Arbeitslosengeld I ist gemäß § 3 Nr.2 Einkommensteuergesetz (EStG) zwar steuerfrei, unterliegt aber dem sog. Progressionsvorbehalt nach § 32b Abs.1 Nr.1 EStG.
Das heißt, dass der Arbeitslosengeldempfänger zwar, falls er außer dem Arbeitslosengeld keine weiteren Einkünfte erzielt, keine Einkommensteuer zu entrichten hat, da das Arbeitslosengeld steuerfrei ist. Erzielt er aber anderweitiges zu versteuerndes Einkommen, ist bei der Ermittlung des Steuersatzes, der auf das anderweitige Einkommen anzuwenden ist, das erhaltene Arbeitslosengeld hinzuzurechnen (Progressionsvorbehalt).
Im Ergebnis kann der Bezug von Arbeitslosengeld dazu führen, dass andere Einkünfte höher besteuert werden, als dies ohne den Bezug von Arbeitslosengeld der Fall wäre.
Besteht während des Arbeitslosengeldbezugs Schutz in der Kranken- und Rentenversicherung?
Nach § 190 Abs.2 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) endet die Mitgliedschaft eines versicherungspflichtig beschäftigten Arbeitnehmers in der gesetzlichen Krankenversicherung mit dem Ende des Beschäftigungsverhältnisses. Dieses abrupte Ende der beschäftigungsbedingten Mitgliedschaft in der gesetzlichen Krankenkasse wird abgefedert durch einen für einen Monat nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses nachgehenden Leistungsanspruch gemäß § 19 Abs.2 SGB V: Endet die Mitgliedschaft Versicherungspflichtiger, können Leistungen noch für einen Monat nach dem Ende der Mitgliedschaft beansprucht werden, solange keine Erwerbstätigkeit ausgeübt wird.
Bereits vor Ablauf dieses Monats, in der Regel mit dem unmittelbar nach Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses einsetzenden Arbeitslosengeldbezug, setzt die gegenüber § 19 Abs.2 SGB V vorrangige eigenständige gesetzliche Krankenversicherung der Arbeitslosen (kurz: „KVdA“) ein: § 5 Abs.1 Nr.2 SGB V bestimmt, dass Arbeitslose während des Bezugs von Arbeitslosengeld in der gesetzlichen Krankenversicherung versicherungspflichtig sind, so dass sie im Krankheitsfall aufgrund einer eigenständigen Mitgliedschaft in der Krankenversicherung geschützt sind.
Dem Bezug von Arbeitslosengeld gleichgestellt ist der Fall, dass der Arbeitslose Arbeitslosengeld I nicht bezieht, weil der Anspruch ab Beginn des zweiten Monats bis zur zwölften Woche einer Sperrzeit gemäß § 159 SGB III oder ab Beginn des zweiten Monats wegen einer Urlaubsabgeltung im Sinne von § 157 Abs.2 SGB III ruht. Damit wird sichergestellt, dass mit einer Sperrzeit belegte Arbeitslose nach Ablauf des nachwirkenden Anspruchs gemäß § 19 Abs.2 SGB V ebenfalls in den Schutz der KVdA einbezogen werden.
Darüber hinaus sind Personen gemäß § 3 Satz 1 Nr.3 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) in der gesetzlichen Rentenversicherung versicherungspflichtig in der Zeit, für die sie Arbeitslosengeld beziehen, wenn sie im letzten Jahr vor Beginn der Leistung zuletzt versicherungspflichtig waren.
Wer trägt die Beiträge für die Kranken- und Rentenversicherung der Arbeitslosen?
Mit dem fortbestehenden Versicherungsschutz Arbeitsloser in der gesetzlichen Kranken- und Rentenversicherung stellt sich die Frage, wer die damit verbundene Beitragslast tragen muss. Dies ist kraft gesetzlicher Regelung die Bundesagentur für Arbeit: Während der Dauer der Krankenversicherungspflicht Arbeitsloser trägt die Arbeitsagentur sowohl die Krankenversicherungsbeiträge (§ 251 Abs.4a SGB V) als auch die Rentenbeiträge für die Zeit der Rentenversicherungspflicht Arbeitsloser (§ 170 Abs.1 Nr.2 b) SGB VI).
Ist ein Arbeitnehmer aufgrund des Überschreitens der Jahresarbeitsentgeltgrenze in der gesetzlichen Krankenversicherung gemäß § 6 Abs.1 Nr.1 SGB V versicherungsfrei und hat sich daher bei einer privaten Krankenversicherung versichert, ist er in aller Regel auch bei einer privaten Krankenversicherung gegen das Risiko der Pflegebedürftigkeit versichert, da § 23 Elftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XI) privat vollkrankenversicherte Personen zum Abschluss einer privaten Pflegeversicherung verpflichtet. Trotz des Bestehens einer privaten Kranken- und Pflegeversicherung sind solche Arbeitnehmer ab Beginn des Bezugs von Arbeitslosengeld in der KVdA versicherungspflichtig (§ 5 Abs.1 Nr.2 SGB V).
In dieser Situation können sich Arbeitslose entweder mit der privaten Krankenversicherung auf das vorübergehende Ruhen des Versicherungsschutzes und der Beitragszahlungen einigen oder aber gemäß § 8 Abs.1 Nr.1a) SGB V beantragen, von der Versicherungspflicht in der KVdA befreit zu werden. Voraussetzung für diesen Antrag ist, abgesehen vom Arbeitslosengeldbezug, dass der Arbeitslose in den letzten fünf Jahren vor dem Leistungsbezug nicht gesetzlich krankenversichert war, bei einem privaten Krankenversicherungsunternehmen versichert ist und Vertragsleistungen erhält, die der Art und dem Umfang nach den Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung entsprechen.
Infolge einer solchen Befreiung von der Versicherungspflicht in der KVdA müssen allerdings die Beiträge zur privaten Kranken- und Pflegeversicherung weiter entrichtet werden, was mit erheblichen finanziellen Belastungen verbunden sein kann. Um diese abzumildern, sieht § 174 SGB III vor, dass die Bundesagentur für Arbeit die Beiträge zur privaten Kranken- und Pflegeversicherung übernimmt. Der Anspruch auf Beitragsübernahme ist auf die Beiträge begrenzt, die die Arbeitsverwaltung ansonsten an die gesetzliche Kranken- bzw. Pflegeversicherung zu entrichten hätte. Der Arbeitslose wird in dem Umfang der Übernahme der Beitragslast durch die Bundesagentur von seiner Pflicht zur Beitragszahlung befreit (§ 174 Abs.3 SGB III).
Welche Folgen hat das Zusammentreffen von Arbeitslosigkeit und Krankheit?
Aufgrund ihrer Versicherungspflicht in der KVdA gemäß § 5 Abs.1 Nr.2 SGB V haben Bezieher von Arbeitslosengeld I einen Anspruch auf Krankengeld, wenn ihre Krankheit sie arbeitsunfähig macht oder sie auf Kosten der Krankenkasse stationär in einem Krankenhaus, einer Vorsorge- oder Rehabilitationseinrichtung behandelt werden. Ähnlich wie Arbeitnehmer haben auch Arbeitslose im Falle krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit für die Dauer von sechs Wochen einen gegenüber dem Krankengeld vorrangigen Anspruch auf Leistungsfortzahlung bei Arbeitslosengeld (§ 146 SGB III). Während dieser Zeit ruht der Anspruch auf Krankengeld (§ 49 Abs.1 Nr.3a SGB V).
Setzt nach Ablauf der sechswöchigen Leistungsfortzahlung der Krankengeldbezug ein, ruht der Anspruch auf Arbeitslosengeld (§ 156 Abs.1 Nr.2 SGB III). Abweichend von § 47 Abs.1 Satz 1 SGB V, wonach das Krankengeld 70 Prozent des zuletzt erzielten regelmäßigen Arbeitsentgelts beträgt, sieht § 47b SGB V eine Festsetzung des Krankengeldes auf den Betrag des Arbeitslosengeldes vor, den der Versicherte zuletzt bezogen hat, um auf diese Weise eine nicht gerechtfertigte finanzielle Besserstellung des im Krankengeldbezug befindlichen Arbeitslosen gegenüber seiner vorherigen Situation zu vermeiden.
Während die Leistungsfortzahlung bei krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit gemäß § 146 SGB III den Arbeitslosengeldanspruch für die Dauer der Krankheit bzw. der Leistungsfortzahlung durch Erfüllung gemäß § 148 Abs.1 Nr.1 SGB III mindert, ist dies beim Krankengeldbezug nicht der Fall, da der Arbeitslosengeldanspruch in diesem Falle ruht (§ 49 Abs.1 Nr.3a SGB V) und daher nach Ablauf des Krankengeldbezugs für die zuvor bestehende Restdauer weiter gezahlt werden muss. Außerdem besteht gemäß § 26 Abs.2 Nr.1 SGB III während des Bezugs von Krankengeld Versicherungspflicht in der Arbeitslosenversicherung, falls der Krankengeldbezieher unmittelbar vor Beginn der Leistung als Beschäftigter versicherungspflichtig war oder Arbeitslosengeld I bezogen hat.
Der Krankengeldbezug ist daher aus Sicht des Arbeitslosen nicht nur wegen der längeren Anspruchsdauer von maximal 78 Wochen günstiger als die höchstens sechswöchige Leistungsfortzahlung des Arbeitslosengeldes, sondern zudem aus zwei anderen Gründen: Zum einen mindert der Krankengeldbezug anders als die Leistungsfortzahlung nicht den verbleibenden Arbeitslosengeldanspruch. Zum anderen trägt der Krankengeldbezug zum Entstehen eines neuen Stammrechts auf Arbeitslosengeldbezug bei.
In vergleichbarer Weise stellen sich Arbeitnehmer besser, wenn sie kurz vor Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses arbeitsunfähig erkranken als wenn dies erst kurz nach Beginn des Arbeitslosengeldbezugs geschieht:
Befinden sich Arbeitnehmer vor Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses im Krankengeldbezug, wird ihre Mitgliedschaft in der gesetzlichen Krankenversicherung aufgrund des über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses hinaus andauernden Krankengeldbezugs gemäß § 192 Abs.1 Nr.2 SGB V aufrechterhalten, so dass sie auch weiterhin krankengeldberechtigt bleiben, falls die Arbeitsunfähigkeit weiter ohne Unterbrechung andauert.
Dasselbe gilt, wenn das Arbeitsverhältnis des arbeitsunfähig erkrankten Arbeitnehmers vor Ablauf des sechswöchigen Entgeltfortzahlungszeitraums beendet wird, da der Anspruch auf Krankengeld bereits mit Beginn der Erkrankung dem Grunde nach entsteht (§§ 44 Abs.1 Satz 1; 46 Satz 1 SGB V) und während der Entgeltfortzahlung lediglich ruht (§ 49 Abs.1 Nr.1 SGB V). Auch in diesem Fall besteht daher die Mitgliedschaft in der gesetzlichen Krankenversicherung über die Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses hinaus gemäß § 192 Abs.1 Nr.2 SGB V fort.
Wann wird eine Sperrzeit verhängt?
Haben sich Arbeitnehmer versicherungswidrig verhalten, ohne dafür einen wichtigen Grund zu haben, tritt gemäß § 159 SGB III eine Sperrzeit ein, für deren Dauer der Arbeitslosengeldanspruch ruht.
Versicherungswidriges Verhalten liegt gemäß § 159 Abs.1 Satz 2 SGB III vor, wenn
- der Arbeitslose das Beschäftigungsverhältnis gelöst oder durch ein arbeitsvertragswidriges Verhalten Anlass für die Lösung des Beschäftigungsverhältnisses gegeben und dadurch vorsätzlich oder grob fahrlässig die Arbeitslosigkeit herbeigeführt hat (Sperrzeit bei Arbeitsaufgabe),
- der bei der Agentur für Arbeit als arbeitsuchend gemeldete Arbeitnehmer (§ 38 SGB III) oder der Arbeitslose trotz Belehrung über die Rechtsfolgen eine von der Agentur für Arbeit unter Benennung des Arbeitgebers und der Art der Tätigkeit angebotene Beschäftigung nicht annimmt oder nicht antritt oder die Anbahnung eines solchen Beschäftigungsverhältnisses, insbesondere das Zustandekommen eines Vorstellungsgespräches, durch sein Verhalten verhindert (Sperrzeit bei Arbeitsablehnung),
- der Arbeitslose trotz Belehrung über die Rechtsfolgen die von der Agentur für Arbeit geforderten Eigenbemühungen nicht nachweist (Sperrzeit bei unzureichenden Eigenbemühungen),
- der Arbeitslose sich weigert, trotz Belehrung über die Rechtsfolgen an einer Maßnahme der Eignungsfeststellung, einer Trainingsmaßnahme oder einer Maßnahme zur beruflichen Ausbildung oder Weiterbildung oder einer Maßnahme zur Teilhabe am Arbeitsleben teilzunehmen (Sperrzeit bei Ablehnung einer beruflichen Eingliederungsmaßnahme),
- der Arbeitslose die Teilnahme an einer in Nummer 4 genannten Maßnahme abbricht oder durch maßnahmewidriges Verhalten Anlass für den Ausschluss aus einer dieser Maßnahmen gibt (Sperrzeit bei Abbruch einer beruflichen Eingliederungsmaßnahme),
- der Arbeitslose einer Aufforderung der Agentur für Arbeit, sich zu melden oder zu einem ärztlichen oder psychologischen Untersuchungstermin zu erscheinen (§ 309 SGB III), trotz Belehrung über die Rechtsfolgen nicht nachkommt (Sperrzeit bei Meldeversäumnis),
- der Arbeitslose seiner Meldepflicht nach § 38 SGB III nicht nachgekommen ist (Sperrzeit bei verspäteter Arbeitsuchendmeldung).
Die Rechtsprechung der Sozialgerichte und die daran orientierte Verwaltungspraxis der Arbeitsagenturen erkennen in vielen Situationen zugunsten des Arbeitnehmers bzw. Arbeitslosen an, dass ein "versicherungswidriges Verhalten" wie z.B. die Arbeitsaufgabe durch Eigenkündigung oder Aufhebungsvertrag durch einen wichtigen Grund gerechtfertigt sein kann.
Einen guten Überblick über diese Fälle findet man in den von der Bundesagentur herausgegebenen Fachlichen Weisungen Arbeitslosengeld, Ruhen bei Sperrzeit (Stand Dezember 2021). Mit den Fachlichen Weisungen soll die Gesetzesanwendung durch die Sachbearbeiter der Arbeitsagenturen an der aktuellen Rechtsprechung ausgerichtet und vereinheitlicht werden.
In den werden unter anderem folgende Fälle als wichtiger Grund für eine Arbeitsaufgabe anerkannt:
- Die vom Arbeitnehmer bzw. Arbeitslosen erwartete oder verlangte Arbeit verstößt gegen gesetzliche Bestimmungen, tarifrechtliche Regelungen oder gegen "die guten Sitten".
- Die Bezahlung ist sittenwidrig gering, d.h. sie liegt mindestens 20 Prozent unter dem Tariflohn oder der ortsüblichen Bezahlung.
- Der Arbeitgeber ist insolvent geworden.
- Der Arbeitnehmer bzw. Arbeitslose wird am Arbeitsplatz gemobbt oder sexuell belästigt.
- Die Beschäftigung wird zur Begründung, Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung der ehelichen Gemeinschaft oder einer eingetragenen Lebenspartnerschaft aufgegeben.
Weitergehende Informationen zu der Frage, unter welchen Voraussetzungen eine Sperrzeit verhängt wird, finden Sie unter den Stichworten Sperrzeit, Sperrfrist und Aufhebungsvertrag und Sperrzeit.
Welche Folgen hat eine Sperrzeit?
Während einer Sperrzeit erhalten Arbeitslose zunächst einmal kein Arbeitslosengeld, da der Anspruch gemäß § 159 Abs.1 Satz 1 SGB III ruht.
Die Dauer der Sperrzeit wird vom Gesetz unterschiedlich lang festgelegt je nachdem, für wie gravierend der Gesetzgeber das zur Sperrzeit führende versicherungswidrige Verhalten ansieht.
So dauert die Sperrzeit bei Arbeitsaufgabe in der Regel zwölf Wochen, die Dauer einer Sperrzeit wegen Arbeitsablehnung, bei Ablehnung oder bei Abbruch einer beruflichen Eingliederungsmaßnahme je nach Lage des Falles drei, sechs oder zwölf Wochen usw. Die Dauer einer Sperrzeit bei Meldeversäumnis oder bei verspäteter Arbeitsuchendmeldung beträgt dagegen nur eine Woche.
Darüber hinaus führt eine Sperrzeit aber auch zum endgültigen Wegfall, d.h. zur effektiven Minderung des Arbeitslosengeldanspruchs.
Die Minderung des Arbeitslosengeldanspruchs stimmt im Allgemeinen mit der Dauer der Sperrzeit überein, doch gibt es hier Unterschiede im Detail. So mindert zum Beispiel eine Sperrzeit wegen Arbeitsaufgabe, falls sie im Regelumfang von zwölf Wochen zu verhängen ist, den Arbeitslosengeldanspruch nicht etwa nur im Umfang von zwölf Wochen, sondern mindestens um ein Viertel der gesamten Anspruchsdauer (§ 148 Abs.1 Nr.4 SGB III).
Bei älteren Versicherten, die ohne Sperrzeit einen Arbeitslosengeldanspruch von 24 Monaten haben, können Aufhebungsverträge daher zu einer sperrzeitbedingten Anspruchsminderung von sechs Monaten führen, falls die Arbeitsagentur keinen wichtigen Grund für die Arbeitsaufgabe anerkennt.
Wann ruht der Anspruch auf Arbeitslosengeld?
Der Arbeitslosengeldanspruch ruht, abgesehen von den Fällen einer Sperrzeit, auch in anderen Fällen. Das Ruhen führt aber - im Unterschied zu den Sperrzeitfällen - nur zu einer zeitlichen Verschiebung des Beginns der Zahlung, nicht aber zu einer Anspruchsminderung. Das Ruhen des Arbeitslosengeldanspruchs trifft den Arbeitslosen daher nicht so hart wie der Eintritt einer Sperrzeit.
Der Anspruch auf Arbeitslosengeld ruht vor allem in folgenden Fällen:
- Der Arbeitslose bezieht andere Sozialleistungen wie zum Beispiel Krankengeld, Verletztengeld, Mutterschaftsgeld, Rente wegen voller Erwerbsminderung oder Altersrente (§ 156 SGB III).
- Der Arbeitslose hat einen Anspruch auf Lohn bzw. Gehalt oder auf Urlaubsabgeltung oder erhält solche Zahlungen auch faktisch (§ 157 SGB III). Wenn solche Ansprüche zwar bestehen, aber nicht erfüllt werden, gibt es trotzdem Arbeitslosengeld, und zwar im Wege der "Gleichwohlgewährung", § 157 Abs.3 SGB III.
- Der Arbeitslose hat wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine Abfindung oder ähnliche Leistung erhalten oder zu beanspruchen und das Arbeitsverhältnis wurde vorzeit beendet, d.h. ohne Einhaltung vom Arbeitgeber zu beachtenden ordentlichen Kündigungsfrist (§ 158 SGB III),
- Der Arbeitslose beteiligt sich an einem inländischen Arbeitskampf oder er ist - ohne aktive Beteiligung - in einen solchen Arbeitskampf verwickelt, wobei hier weitere gesetzlich festgelegte Umstände vorliegen müssen. Aufgrund dessen ist er arbeitslos (§ 160 SGB III).
Was versteht man unter Gleichwohlgewährung von Arbeitslosengeld?
Wie erwähnt ruht der Anspruch auf Arbeitslosengeld I gemäß § 157 Abs.1 SGB III während der Zeit, für die der Arbeitslose Arbeitsentgelt erhält oder zu beanspruchen hat. Dieselbe Rechtsfolge tritt gemäß § 157 Abs.2 SGB III ein, wenn der Arbeitslose wegen Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine Urlaubsabgeltung erhalten hat oder beanspruchen kann. In diesem Fall ruht der Anspruch auf Arbeitslosengeld für die Zeit des abgegoltenen bzw. abzugeltenden Urlaubs.
Es kommt aber vor, dass diese finanziellen Ansprüche, d.h. Arbeitsentgelt und/oder Urlaubsabgeltung, faktisch nicht gewährt werden, weil der zur Leistung verpflichtete Arbeitgeber nicht zahlen kann oder seine Leistungspflicht zu Unrecht bestreitet. In solchen Fällen hält § 157 Abs.3 Satz 1 SGB III den Arbeitslosengeldanspruch auch für diese Ruhenszeiten aufrecht. Die Vorschrift lautet:
„Soweit die oder der Arbeitslose die in den Absätzen 1 und 2 genannten Leistungen (Arbeitsentgelt im Sinne des § 115 des Zehnten Buches) tatsächlich nicht erhält, wird das Arbeitslosengeld auch für die Zeit geleistet, in der der Anspruch auf Arbeitslosengeld ruht."
Die Leistung von Arbeitslosengeld gemäß § 157 Abs.3 Satz 1 SGB III für Zeiten, in denen der Arbeitslose zwar einen rechtlichen Anspruch auf Arbeitsentgelt oder Urlaubsabgeltung hat, dieser jedoch nicht erfüllt wird, wird als Gleichwohlgewährung von Arbeitslosengeld bezeichnet.
Ein im Arbeitsrecht praktisch besonders wichtiger Fall der Gleichwohlgewährung ist der Bezug von Arbeitslosengeld während der Zeit, in der sich der Arbeitgeber nach Ausspruch einer unwirksamen Kündigung im Annahmeverzug befindet:
Hier ist an sich bzw. von Rechts wegen der Lohn über den Kündigungstermin hinaus weiter zu entrichten, was auch nach einer arbeitsgerichtlichen Auseinandersetzung gerichtlich festgestellt wird, doch muss der gekündigte Arbeitnehmer die Zeit der Ungewissheit finanziell überbrücken und befindet sich daher zwischenzeitlich im Arbeitslosengeldbezug gemäß § 157 Abs.3 SGB III, d.h. er erhält Arbeitslosengeld im Wege der Gleichwohlgewährung.
Wie wird der Bezug von gleichwohlgewährtem Arbeitslosengeld rückabgewickelt?
Stellt sich im Nachhinein rechtsverbindlich heraus, dass der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer, der eine gewisse Zeit Arbeitslosengeld im Wege der Gleichwohlgewährung erhalten hat, für diese Zeit zur Lohnzahlung verpflichtet ist, ist die Zahlungspflicht des Arbeitgebers gespalten, d.h. er hat in zwei Richtungen hin Erstattung zu leisten:
Zum einen ist er dem Arbeitnehmer zur Zahlung von Annahmeverzugslohn (§ 615 Satz 1 BGB) verpflichtet, wobei er das vom Arbeitnehmer erhaltene Arbeitslosengeld gemäß § 615 Satz 2 BGB bzw. gemäß § 11 Nr.3 Kündigungsschutzgesetz (KSchG) in Abzug bringen kann. Würde ein solcher Abzug nicht gemacht, würde sich der Arbeitnehmer im Ergebnis finanziell besser stehen als im Falle regulärer Lohnzahlung.
Zum anderen sind Arbeitgeber in einem solchen Fall verpflichtet, der Arbeitsagentur das vom Arbeitnehmer erhaltene Arbeitslosengeld zu erstatten. Denn der Lohnanspruch des Arbeitnehmers ist in Höhe des bezogenen Arbeitslosengeldes auf die Bundesagentur übergegangen. Der Forderungsübergang ergibt sich aus § 115 Abs.1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X). Diese Vorschrift lautet:
„Soweit der Arbeitgeber den Anspruch des Arbeitnehmers auf Arbeitsentgelt nicht erfüllt und deshalb ein Leistungsträger Sozialleistungen erbracht hat, geht der Anspruch des Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber auf den Leistungsträger bis zur Höhe der erbrachten Sozialleistungen über.“
Darüber hinaus schuldet der Arbeitgeber der Bundesagentur auch die Erstattung der von ihr getragenen Beiträge zur Kranken- und zur Rentenversicherung (§ 335 Abs.3 Satz 1 SGB III); diese Vorschrift ist eine notwendige Ergänzung zu § 115 Abs.1 SGB X, da diese einen Forderungsübergang nur in Höhe des vom Arbeitslosen erhaltenen Arbeitslosengeldes anordnet. Erstattet der Arbeitgeber der Bundesagentur die von dieser getragenen Kranken- und Rentenversicherungsbeiträge, ist er seinerseits für diese Zeiträume von der ihn ansonsten treffenden Pflicht zur Beitragszahlung befreit (§ 335 Abs.3 Satz 2 SGB III).
In der Praxis wenden sich die Arbeitsagenturen in Fällen der Gleichwohlgewährung mit sog. Überleitungsmitteilungen an den Arbeitgeber, d.h. sie teilen diesem schriftlich mit, dass der Arbeitnehmer Arbeitslosengeld im Wege der Gleichwohlgewährung erhält und man daher bereits jetzt den gemäß § 115 Abs.1 SGB X übergeleiteten Lohnanspruch dem Grunde nach geltend mache bzw. zur Zahlung einfordere. In diesem Zusammenhang wird der Arbeitgeber auch oft aufgefordert, auf möglicherweise anzuwendende Ausschlussfristen zu verzichten.
Wo finden Sie mehr zum Thema Arbeitslosengeld I?
Weitere Informationen, die Sie im Zusammenhang mit dem Thema Arbeitslosengeld I interessieren könnten, finden Sie hier:
- Bundesagentur für Arbeit, Weisungssammlungen nach Rechtsnormen, SGB III - Arbeitsförderung
- Bundesagentur für Arbeit: Fachliche Weisungen Arbeitslosengeld, Drittes Buch Sozialgesetzbuch - SGB III, § 159 SGB III, Ruhen bei Sperrzeit (Stand Dezember 2021)
- Handbuch Arbeitsrecht: Abfindung
- Handbuch Arbeitsrecht: Abfindung nach § 1a Kündigungsschutzgesetz (KSchG)
- Handbuch Arbeitsrecht: Abfindung und Arbeitslosengeld
- Handbuch Arbeitsrecht: Abfindungshöhe, Berechnung und Höhe der Abfindung
- Handbuch Arbeitsrecht: Abwicklungsvertrag
- Handbuch Arbeitsrecht: Arbeitslosenversicherungspflicht
- Handbuch Arbeitsrecht: Aufhebungsvertrag
- Handbuch Arbeitsrecht: Aufhebungsvertrag und Sperrzeit
- Handbuch Arbeitsrecht: Kündigungsschutzklage
- Handbuch Arbeitsrecht: Kurzarbeit, Kurzarbeitergeld
- Handbuch Arbeitsrecht: Sperrzeit
- Übersicht Handbuch Arbeitsrecht
Kommentare unseres Anwaltsteams zu aktuellen Fragen rund um das Thema Arbeitslosengeld I finden Sie hier:
Arbeitsrecht aktuell 2020
- Arbeitsrecht aktuell: 20/106 Folgen der Corona-Krise für den Arbeitsmarkt
- Update Arbeitsrecht 24|2020 BAG: Anspruch des Arbeitgebers auf Auskunft über Jobangebote der Arbeitsverwaltung
Arbeitsrecht aktuell 2018
- Arbeitsrecht aktuell: 18/229 Freistellung und Arbeitslosengeld
- Arbeitsrecht aktuell: 18/012 EuGH stärkt Aufenthaltsrecht von Selbständigen in der EU
Arbeitsrecht aktuell 2016
- Arbeitsrecht aktuell: 16/108 Aufstockungen zum Transferkurzarbeitergeld sind Nettoentgelt
- Arbeitsrecht aktuell: 16/072 Betriebsvereinbarung zur Kurzarbeit
Eine vollständige Übersicht unserer Beiträge zum Thema Arbeitslosengeld I finden Sie unter:
Urteile und Kommentare: Arbeitslosengeld I
Letzte Überarbeitung: 20. Juni 2022
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