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ARBEITSRECHT AKTUELL // 18/229

Frei­stel­lung und Ar­beits­lo­sen­geld

Bei der Be­rech­nung der Hö­he des Ar­beits­lo­sen­gel­des sind auch Zei­ten ei­ner un­wi­der­ruf­li­chen Frei­stel­lung zu­guns­ten des ver­si­cher­ten Ar­beit­neh­mers zu be­rück­sich­ti­gen: Bun­des­so­zi­al­ge­richt, Ur­teil vom 30.08.2018, B 11 AL 15/17 R
Schreiben der Bundesagentur für Arbeit mit darauf liegenden Geldscheinen

15.09.2018. Bei der Be­rech­nung der Hö­he des Ar­beits­lo­sen­gel­des kommt es ge­mäß § 150 Abs.1 Drit­tes Buch So­zi­al­ge­setz­buch (SGB III) dar­auf an, wie viel der ver­si­cher­te Ar­beit­neh­mer im letz­ten Jahr vor Be­ginn der Ar­beits­lo­sig­keit ver­dient hat.

Ge­nau­er ge­sagt: Be­rech­nungs­grund­la­ge sind die „ab­ge­rech­ne­ten Ent­gel­tab­rech­nungs­zeit­räu­me der ver­si­che­rungs­pflich­ti­gen Be­schäf­ti­gungs­ver­hält­nis­se“ (§ 150 Abs.1 Satz 1 SGB III).

Frag­lich ist, ob Zei­ten ei­ner un­wi­der­ruf­li­chen Frei­stel­lung ge­gen En­de des Ar­beits­ver­hält­nis­ses als „ver­si­che­rungs­pflich­ti­ges Be­schäf­ti­gungs­ver­hält­nis“ im Sin­ne die­ser Vor­schrift an­zu­se­hen sind oder nicht. Zählt man sol­che Frei­stel­lungs­zei­ten nicht mit, wirkt sich dies im All­ge­mei­nen un­güns­tig auf die Hö­he des Ar­beits­lo­sen­gel­des aus.

In ei­ner ak­tu­el­len Ent­schei­dung hat das Bun­des­so­zi­al­ge­richt (BSG) zu­guns­ten der Ver­si­cher­ten ent­schie­den, dass es im Rah­men von § 150 Abs.1 Satz 1 SGB III nicht auf die tat­säch­li­che Be­schäf­ti­gung an­kommt, d.h. auf die Be­schäf­ti­gung im leis­tungs­recht­li­chen Sin­ne des Ar­beits­lo­sen­ver­si­che­rungs­rechts. Ent­schei­dend ist viel­mehr die Be­schäf­ti­gung im ver­si­che­rungs­recht­li­chen Sinn.

An­ders ge­sagt: So­lan­ge für den frei­ge­stell­ten Ar­beit­neh­mer So­zi­al­bei­trä­ge ab­ge­führt wer­den (müs­sen), liegt ein Be­schäf­ti­gungs­ver­hält­nis im ver­si­che­rungs­recht­li­chen Sin­ne vor, so dass die ge­zahl­ten bzw. ab­ge­rech­ne­ten Ge­häl­ter bei der Be­rech­nung des Ar­beits­lo­sen­geld­an­spruchs zu­grun­de zu le­gen sind: BSG, Ur­teil vom 30.08.2018, B 11 AL 15/17 R (Pres­se­mel­dung des Ge­richts).

Gehören Frei­stel­lungs­zei­ten zu der „ver­si­che­rungs­pflich­ti­gen Beschäfti­gung“ im Sin­ne von § 150 Abs.1 Satz 1 SGB III?

Gemäß § 149 SGB III beträgt das ka­len­dertägli­che Ar­beits­lo­sen­geld 60 Pro­zent (all­ge­mei­ner Leis­tungs­satz) oder 67 Pro­zent (erhöhter Leis­tungs­satz) des pau­scha­lier­ten Net­to­ent­gelts (Leis­tungs­ent­gelt), das sich aus dem Brut­to­ent­gelt er­gibt, wel­ches der Ar­beits­lo­se im Be­mes­sungs­zeit­raum er­zielt hat (Be­mes­sungs­ent­gelt).

Das Be­mes­sungs­ent­gelt, al­so die Be­rech­nungs­grund­la­ge für das Ar­beits­lo­sen­geld, ist wie­der­um das bei­trags­pflich­ti­ge Ar­beits­ent­gelt (= Brut­to­lohn, Brut­to­ge­halt), das der Ar­beits­lo­se durch­schnitt­lich pro Tag ver­dient hat, und zwar während des Be­mes­sungs­zeit­raums (§ 151 Abs.1 Satz 1 SGB III).

Die­ser Zeit­raum ist in § 150 Abs.1 SGB III de­fi­niert. Dort heißt es:

„Der Be­mes­sungs­zeit­raum um­fasst die beim Aus­schei­den aus dem je­wei­li­gen Beschäfti­gungs­verhält­nis ab­ge­rech­ne­ten Ent­gel­tab­rech­nungs­zeiträume der ver­si­che­rungs­pflich­ti­gen Beschäfti­gun­gen im Be­mes­sungs­rah­men. Der Be­mes­sungs­rah­men um­fasst ein Jahr; er en­det mit dem letz­ten Tag des letz­ten Ver­si­che­rungs­pflicht­verhält­nis­ses vor der Ent­ste­hung des An­spruchs.“

Über­setzt in ei­ne nicht-ju­ris­ti­sche Spra­che heißt das: Je mehr man durch­schnitt­lich (brut­to) pro Tag ver­dient hat, des­to höher ist das Ar­beits­lo­sen­geld, das man pro Tag be­kommt. Der Ta­ges-Durch­schnitt des Brut­to­ge­hal­tes er­rech­net sich auf der Grund­la­ge der vom Ar­beit­ge­ber er­teil­ten Lohn- und Ge­halts­ab­rech­nun­gen, und zwar für die letz­ten zwölf Mo­na­te, die dem Be­ginn der Ar­beits­lo­sig­keit vor­aus­ge­hen.

Die Be­gren­zung des Be­mes­sungs­rah­mens auf ein Jahr hat zur Fol­ge, dass der Ar­beits­lo­se ein höchs­tens zwölf Mo­na­te lang be­zo­ge­nes Ar­beits­ein­kom­men vor­wei­sen kann, das die Ar­beits­agen­tur als Grund­la­ge für die Be­rech­nung des Ar­beits­lo­sen­gel­des nimmt. Hat der Ar­beits­lo­se in dem Jahr vor Be­ginn sei­ner Ar­beits­lo­sig­keit für ei­ni­ge Mo­na­te kein Ein­kom­men aus „ver­si­che­rungs­pflich­ti­gen Beschäfti­gun­gen“ be­zo­gen, wer­den die­se je­doch nicht berück­sich­tigt. Da­her ver­min­dert sich nicht sein durch­schnitt­li­ches Ta­ges­ein­kom­men bzw. sein Be­mes­sungs­ent­gelt, und da­mit be­kommt er schluss­end­lich nicht we­ni­ger Ar­beits­lo­sen­geld.

Wie oben erwähnt ist frag­lich, ob Zei­ten ei­ner un­wi­der­ruf­li­chen Frei­stel­lung vor dem En­de des Ar­beits­verhält­nis­se als „ver­si­che­rungs­pflich­ti­ge Beschäfti­gung“ im Sin­ne von § 150 Abs.1 Satz 1 SGB III an­zu­se­hen sind oder nicht. Auf den ers­ten Blick scheint es nur die Ant­wort „ja“ ge­ben zu können, da ja auch für Frei­stel­lungs­zei­ten So­zi­al­ab­ga­ben ab­geführt wer­den, die u.a. auch Beiträge zur Ar­beits­lo­sen­ver­si­che­rung be­inhal­ten.

Al­ler­dings kann man den („leis­tungs­recht­li­chen“) Be­griff der „Beschäfti­gung“ bzw. „Beschäfti­gungs­lo­sig­keit“ im Sin­ne des Ar­beits­lo­sen­ver­si­che­rungs­rechts nicht ein­fach gleich­set­zen mit dem („bei­trags­recht­li­chen“ oder „ver­si­che­rungs­recht­li­chen“) Be­griff der Beschäfti­gung im Sin­ne von § 7 Vier­tes Buch So­zi­al­ge­setz­buch (SGB IV). Denn ar­beits­los sind gemäß § 138 Abs.1 SGB III nicht et­wa Ar­beit­neh­mer, de­ren Ar­beits­ver­trag be­en­det ist, son­dern viel­mehr Ar­beit­neh­mer,

  • die beschäfti­gungs­los sind,
  • die sich bemühen, ih­re Beschäfti­gungs­lo­sig­keit zu über­win­den, und
  • die den Ver­mitt­lungs­bemühun­gen der Ar­beits­ver­wal­tung zur Verfügung ste­hen.

Und in die­sem Sin­ne kann man „beschäfti­gungs­los“ trotz ei­nes fort­be­ste­hen­den Ar­beits­ver­trags sein, was ziem­lich oft vor­kommt, z.B. in­fol­ge ei­ner un­wirk­sa­men Kündi­gung durch den Ar­beit­ge­ber. Für die­sen und für ähn­li­che Fälle sieht § 157 Abs.1 SGB III vor, dass der An­spruch auf Ar­beits­lo­sen­geld (zwar be­steht, aber) „ruht“, so­lan­ge der Ar­beits­lo­se ein Ar­beits­ein­kom­men erhält oder be­an­spru­chen kann, und dass die Ar­beits­agen­tur für den Ar­beit­ge­ber ein­springt, wenn der Ar­beits­lo­se sein Ge­halt nicht be­kommt (sog. Gleich­wohl­gewährung von Ar­beits­lo­sen­geld, § 157 Abs.3 SGB III).

Dar­aus folgt: Ei­ne (fak­ti­sche) Beschäfti­gungs­lo­sig­keit (im Sin­ne des Ar­beits­lo­sen­ver­si­che­rungs­rechts) kann mit dem ju­ris­ti­schen (Fort-)Be­ste­hen ei­nes Ar­beits­verhält­nis­ses zu­sam­men­tref­fen. Und bei der Be­rech­nung des Ar­beits­lo­sen­gel­des, das ein un­wirk­sam gekündig­ter Ar­beit­neh­mer per Gleich­wohl­gewährung be­kommt (§ 157 Abs.3 SGB III), muss die Ar­beits­agen­tur die bis da­hin ab­ge­rech­ne­ten Gehälter zu­grun­de le­gen, d.h. die später (nach-)ge­zahl­ten Gehälter (im Fal­le ei­ner po­si­tiv ver­lau­fe­nen Kündi­gungs­schutz­kla­ge) blei­ben bei der Be­rech­nung des Be­mes­sungs­ent­gelts in sol­chen Fällen außen vor.

Vor die­sem Hin­ter­grund ha­ben ei­ni­ge Lan­des­so­zi­al­ge­rich­te (LSG) in den ver­gan­ge­nen Jah­ren die Mei­nung ver­tre­ten, dass ei­ne un­wi­der­ruf­li­che Frei­stel­lung am En­de des Ar­beits­verhält­nis­ses zur Beschäfti­gungs­lo­sig­keit im „leis­tungs­recht­li­chen“ Sin­ne führt, d.h. im Sin­ne von § 150 Abs.1 Satz SGB III (LSG Ham­burg, 05.04.2017, L 2 AL 68/16, LSG München, Ur­teil vom 19.09.2017, L 10 AL 67/17). Dem­zu­fol­ge ha­ben es die be­trof­fe­nen Ar­beits­lo­sen in die­sen Fällen hin­neh­men müssen, dass ihr Ar­beits­lo­sen­geld oh­ne Berück­sich­ti­gung der länge­ren Frei­stel­lungs­zei­ten be­rech­net wur­de und da­her (deut­lich) ge­rin­ger aus­fiel als bei ei­ner Berück­sich­ti­gung die­ser Zei­ten.

Ge­gen die­se An­sicht spricht aber, dass sich die Ar­beits­los­mel­dung nach ei­ner un­wirk­sa­men Kündi­gung von dem Fall ei­ner länge­ren un­wi­der­ruf­li­chen Frei­stel­lung da­durch un­ter­schei­det, dass die Ar­beits­agen­tur im Frei­stel­lungs­fall nicht ge­zwun­gen ist, das Ar­beits­lo­sen­geld schon ab Be­ginn der Frei­stel­lung zu be­rech­nen, denn der An­trag wird ja erst später ge­stellt, nämlich nach Ab­lauf der Frei­stel­lungs­zeit. Letzt­lich läuft die An­sicht der o.g. LSG auf ei­ne rei­ne Leis­tungskürzung zu­las­ten der Ver­si­cher­ten hin­aus. Zwin­gen­de sach­li­che Gründe für ei­ne sol­che Leis­tungskürzung gibt es aber nicht.

Der Streit­fall: Phar­ma­re­fe­ren­tin wird für das letz­te Jahr ih­res Ar­beits­verhält­nis­ses frei­ge­stellt, be­zieht so­dann ein Jahr lang Kran­ken­ta­ge­geld und be­an­tragt schließlich Ar­beits­lo­sen­geld

Ge­klagt hat­te ei­ne ehe­ma­li­ge Phar­ma­re­fe­ren­tin, die mit ih­rem Ar­beit­ge­ber im März 2011 ei­nen Auf­he­bungs­ver­trag zu En­de April 2012 ab­ge­schlos­sen hat­te. Im Auf­he­bungs­ver­trag war u.a. ver­ein­bart, dass sie von An­fang Mai 2011 bis zu ih­rem Aus­schei­den zwölf Mo­na­te später un­wi­der­ruf­lich von der Ar­beits­leis­tung frei­ge­stellt war. Da­bei ver­pflich­te­te sie sich aber, dem Ar­beit­ge­ber auch in der Frei­stel­lungs­pha­se un­ent­gelt­lich zur Be­ant­wor­tung von Fra­gen so­wie zur Er­tei­lung von In­for­ma­tio­nen zur Verfügung zu ste­hen.

Während der Frei­stel­lung er­hielt sie wei­ter­hin ihr mo­nat­li­ches Ge­halt von 5.280,22 EUR brut­to nebst Ur­laubs­geld, Weih­nachts­geld und Bo­ni. Auch ih­ren pri­vat nutz­ba­ren Dienst­wa­gen be­hielt sie wei­ter bis zu ih­rem Aus­tritt En­de April 2012.

Im Ja­nu­ar 2012 mel­de­te sich die Phar­ma­re­fe­ren­tin bei der Ar­beits­agen­tur persönlich ar­beits­su­chend und er­krank­te in der Fol­ge­zeit länger. Von Mit­te März 2012 bis Mit­te März 2013 be­kam sie da­her von ih­rer pri­va­ten Kran­ken­ver­si­che­rung Kran­ken­ta­ge­geld, was gemäß § 26 Abs.2 Nr.2 SGB III die Ver­si­che­rungs­pflicht in der Ar­beits­lo­sen­ver­si­che­rung zur Fol­ge hat.

Ab dem 25.03.2013 be­wil­lig­te ihr die Ar­beits­agen­tur Ar­beits­lo­sen­geld in Höhe von 28,72 EUR pro Ka­len­der­tag. Da­bei ließ die Ar­beits­agen­tur das in der Frei­stel­lungs­pha­se ge­zahl­te Ge­halt außer Be­tracht, denn die Ar­beit­neh­me­rin war ja „fak­tisch“ be­reits ab An­fang Mai 2011 aus der Beschäfti­gung aus­ge­schie­den, so je­den­falls die Ar­beits­agen­tur.

Grund­la­ge der Be­rech­nung des Ar­beits­lo­sen­gel­des war da­her ei­ne sog. „fik­ti­ve Be­mes­sung“ gemäß § 152 SGB III, bei der als Be­mes­sungs­ent­gelt ein fik­ti­ves Ein­kom­men gemäß ei­ner von fünf ge­setz­li­chen Qua­li­fi­ka­ti­ons­stu­fen zu­grun­de ge­legt wird, was für den Ar­beits­lo­sen meis­tens (viel) ungüns­ti­ger ist als ei­ne kon­kre­te Be­rech­nung auf der Grund­la­ge sei­nes tatsächlich be­zo­ge­nen Ein­kom­mens.

Denn die Ar­beit­neh­me­rin konn­te im Be­mes­sungs­rah­men, der hier auf zwei Jah­re er­wei­tert war und (zurück­ge­rech­net vom Be­ginn des Ar­beits­lo­sen­geld­be­zugs) vom 25.03.2011 bis zum 24.03.2013 dau­er­te (§ 150 Abs.3 SGB III), nicht die ge­setz­li­che Min­dest­zahl von 150 Ta­gen mit Ar­beits­ein­kom­men vor­wei­sen, so je­den­falls die Ar­beits­agen­tur, die da­bei von ei­nem En­de der ver­si­che­rungs­pflich­ti­gen Beschäfti­gung mit Be­ginn der Frei­stel­lung (01.05.2011) aus­ging. So­mit stand die Ar­beit­neh­me­rin aus Sicht der Ar­beits­agen­tur im Be­mes­sungs­rah­men (25.03.2011 bis 24.03.2013) nur an 37 Ka­len­der­ta­gen in ei­ner für die Ar­beits­lo­sen­geld­be­rech­nung re­le­van­ten „Beschäfti­gung“ (nämlich vom 25.03. bis zum 30.04.2011).

Die Phar­ma­re­fe­ren­tin zog vor das So­zi­al­ge­richt Gel­sen­kir­chen, das die Kla­ge ab­wies (Ur­teil vom 23.06.2015, S 4 AL 446/13). Denn, so das So­zi­al­ge­richt: Das so­zi­al­ver­si­che­rungs­pflich­ti­ge Beschäfti­gungs­verhält­nis der Kläge­rin hat­te zwar noch bis En­de April 2012 be­stan­den (und da­her war es in Ord­nung, dass die Kläge­rin bis da­hin bei der So­zi­al­ver­si­che­rung an­ge­mel­det war und dass lau­fen­de So­zi­al­ab­ga­ben ab­geführt wur­den). Das für die Ar­beits­lo­sen­ver­si­che­rung maßgeb­li­che „leis­tungs­recht­li­che Ver­si­che­rungs­verhält­nis“ war aber, so das So­zi­al­ge­richt, schon zum 30.04.2011 be­en­det wor­den, d.h. mit Be­ginn der Frei­stel­lung. Ab die­sem Zeit­punkt war die Kläge­rin nämlich un­wi­der­ruf­lich nicht mehr zur Ar­beits­leis­tung ver­pflich­tet ge­we­sen.

Das für die Be­ru­fung zuständi­ge LSG Nord­rhein-West­fa­len (NRW) ent­schied da­ge­gen zu­guns­ten der Ar­beit­neh­me­rin (LSG NRW, Ur­teil vom 23.02.2017, L 9 AL 150/15). Be­gründung des LSG: Ei­ne ver­si­che­rungs­pflich­ti­ge Beschäfti­gung im Sin­ne des Ar­beits­lo­sen­ver­si­che­rungs­rechts, d.h. im Sin­ne von § 150 Abs.1 SGB III, be­steht auch dann, wenn das Ar­beits­verhält­nis nach Be­ginn ei­ner un­wi­der­ruf­li­chen Frei­stel­lung fort­be­steht und der Ar­beit­ge­ber dem Ar­beit­neh­mer das Ar­beits­ent­gelt wei­ter­hin be­zahlt (Ur­teil, Rn.36).

BSG: Bei der Be­rech­nung der Höhe des Ar­beits­lo­sen­gel­des sind auch Zei­ten ei­ner un­wi­der­ruf­li­chen Frei­stel­lung zu­guns­ten des ver­si­cher­ten Ar­beit­neh­mers zu berück­sich­ti­gen

Auch in Kas­sel vor dem Elf­ten Se­nat des BSG hat­te die Kläge­rin Er­folg. In der der­zeit al­lein vor­lie­gen­den Pres­se­mel­dung des BSG heißt es zur Be­gründung:

Bei der Be­rech­nung des Ar­beits­lo­sen­gel­des war das Ge­halt der Kläge­rin während der Frei­stel­lungs­pha­se zu berück­sich­ti­gen. Da­durch be­stand im er­wei­ter­ten Be­mes­sungs­rah­men (25.03.2011 bis 24.03.2013) ein An­spruch auf Ar­beits­ent­gelt von mehr als 150 Ta­gen, so dass die von der Ar­beits­agen­tur zu­grun­de ge­leg­te fik­ti­ve Be­mes­sung des Ar­beits­lo­sen­gel­des aus­ge­schlos­sen war.

Denn bei der Ar­beits­lo­sen­geld-Be­mes­sung im Sin­ne von § 150 Abs.1 Satz 1 SGB III kommt es auf den „Be­griff der Beschäfti­gung im ver­si­che­rungs­recht­li­chen Sinn“ an, so die Kas­se­ler Rich­ter. Falls sich aus frühe­ren Ent­schei­dun­gen des Elf­ten BSG-Se­nats et­was an­de­res er­ge­ben könn­te, „hält der Se­nat hier­an nicht fest“, so die aus­drück­li­che Erklärung in der BSG-Pres­se­mel­dung.

Zahlt der Ar­beit­ge­ber für ei­nen un­wi­der­ruf­lich frei­ge­stell­ten Ar­beit­neh­mer wei­ter­hin So­zi­al­beiträge und muss er das auch tun (weil das so­zi­al­ver­si­che­rungs­pflich­ti­ge Beschäfti­gungs­verhält­nis im Sin­ne von § 7 SGB IV nämlich wei­ter be­steht), dann kommt es bei der An­wen­dung von § 150 Abs.1 Satz 1 SGB III nicht auf die tatsächli­che Beschäfti­gung an. Die sog. „Beschäfti­gung im leis­tungs­recht­li­chen Sin­ne (des Ar­beits­lo­sen­ver­si­che­rungs­rechts)“ spielt hier kei­ne Rol­le. Ent­schei­dend ist al­lein die Beschäfti­gung im ver­si­che­rungs­recht­li­chen Sinn, so das BSG.

Fa­zit: Ei­ne un­wi­der­ruf­li­che Frei­stel­lung ge­gen En­de des Ar­beits­verhält­nis­ses führt we­der da­zu,

  • dass das so­zi­al­ver­si­che­rungs­recht­li­che Beschäfti­gungs­verhält­nis ganz ent­fal­len würde, wie dies vor über zehn Jah­ren vorüber­ge­hend von den Spit­zen­verbänden der So­zi­al­ver­si­che­rung be­haup­tet wor­den war, noch da­zu,
  • dass die Frei­stel­lungs­pha­se nicht als „ver­si­che­rungs­pflich­ti­ge Beschäfti­gung“ im Sin­ne von § 150 Abs.1 SGB III an­zu­se­hen wäre mit der Fol­ge ei­ner ungüns­ti­ge­ren Be­rech­nung des Ar­beits­lo­sen­gel­des.

Da­her ent­spre­chen die „Fach­li­chen Wei­sun­gen“ der Bun­des­agen­tur für Ar­beit, wie das LSG NRW in sei­nem o.g. Ur­teil zu­recht fest­stellt (LSG NRW, Ur­teil vom 23.02.2017, L 9 AL 150/15, Rn.36), in der Hin­sicht nicht der Rechts­la­ge, als hier ge­sagt wird, dass ei­ne un­wi­der­ruf­li­che Frei­stel­lung des Ar­beit­neh­mers zum Weg­fall des Beschäfti­gungs­verhält­nis im Sin­ne von § 150 Abs.1 SGB III führen würde (Fach­li­che Wei­sun­gen Ar­beits­lo­sen­geld, § 150 SGB III, Be­mes­sungs­zeit­raum und Be­mes­sungs­rah­men, Stand 07/2016, S.6).

Hier heißt es nämlich: „Zei­ten ei­ner un­wi­der­ruf­li­chen Frei­stel­lung (…) blei­ben außer Be­tracht.“ Das war ju­ris­tisch schon im­mer un­rich­tig und ist darüber hin­aus seit En­de Au­gust 2018 mit der Recht­spre­chung des BSG nicht zu ver­ein­ba­ren. Be­trof­fe­ne soll­ten sich da­her mit ei­ner für sie ungüns­ti­gen Be­rech­nung ih­res Ar­beits­lo­sen­gel­des, die von der Ar­beits­agen­tur mit ei­ner un­wi­der­ruf­li­chen Frei­stel­lung am En­de des Ar­beits­verhält­nis­ses be­gründet wird, nicht ab­fin­den, son­dern Wi­der­spruch ein­le­gen und not­falls vor dem So­zi­al­ge­richt kla­gen.


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Letzte Überarbeitung: 12. April 2021

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