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ARBEITSRECHT AKTUELL // 07/83

Ar­beits­lo­sen­geld nach El­tern­zeit

Pau­scha­le Be­rech­nung des Ar­beits­lo­sen­gel­des auf der Grund­la­ge von Qua­li­fi­ka­ti­ons­stu­fen ist rech­tens: Lan­des­so­zi­al­ge­richt Ber­lin-Bran­den­burg, Ur­teil vom 16.10.2007, L 12 AL 318/06
Logo der Bundesagentur für Arbeit, weißes Dreieck auf rotem Hintergrund Ju­ris­ti­scher und po­li­ti­scher Zank­ap­fel: die Hö­he des Ar­beits­lo­sen­gel­des nach El­tern­zeit

26.11.2007. Müt­ter oder Vä­ter, die nach Be­en­di­gung ih­rer El­tern­zeit ar­beits­los wer­den, ha­ben ei­ne ziem­lich lan­ge Aus­zeit hin­ter sich.

Sie er­hal­ten da­her nach den Vor­schrif­ten des Drit­ten Buchs So­zi­al­ge­setz­buch (SGB III) ein pau­scha­lier­tes Ar­beits­lo­sen­geld.

Zur Be­rech­nung wird näm­lich je nach der „Qua­li­fi­ka­ti­ons­stu­fe“ des Ar­beits­lo­sen ein fik­ti­ver Pau­schal­be­trag als Be­mes­sungs­ent­gelt an­ge­setzt, und der liegt oft un­ter dem Ent­gelt, das der Ver­si­cher­te zu­letzt vor sei­ner El­tern­zeit ver­dient hat.

Nach ei­nem ak­tu­el­len Ur­teil des Lan­des­so­zi­al­ge­richts (LSG) Ber­lin-Bran­den­burg ist das rech­tens: LSG Ber­lin-Bran­den­burg, Ur­teil vom 16.10.2007, L 12 AL 318/06.

Ist ei­ne pau­scha­le Be­rech­nung des Be­mes­sungs­ent­gelts nach länge­rer Ab­we­sen­heit vom Ar­beits­le­ben rech­tens?

Wer­den El­tern kurz nach Be­en­di­gung ih­rer El­tern­zeit ar­beits­los und ha­ben sie nicht min­des­tens 150 Ta­ge (Be­mes­sungs­zeit­raum) in­ner­halb der letz­ten zwei Jah­re ge­ar­bei­tet und ihr frühe­res Ar­beits­ein­kom­men er­zielt, ist bei der Be­mes­sung des Ar­beits­lo­sen­gel­des seit dem 01.01.2005 ein fik­ti­ves Ge­halt zu­grun­de zu le­gen. Das folgt aus § 150 und § 152 SGB III (früher: §§ 130, 132 Abs. 1 SGB III).

Da­nach wird ein fik­ti­ver Pau­schal­be­trag als Be­mes­sungs­ent­gelt an­ge­setzt, der sich aus ei­ner Ein­grup­pie­rung nach Qua­li­fi­ka­ti­ons­stu­fen er­gibt und oft­mals er­heb­lich un­ter dem zu­letzt er­ziel­ten Ar­beits­ent­gelt liegt.

Frag­lich ist, ob die­se Re­ge­lung ver­fas­sungs­kon­form ist. Da­ge­gen könn­te spre­chen, dass gemäß Art.6 Abs.4 GG „je­de Mut­ter“ (für Väter dürf­te das­sel­be gel­ten) An­spruch auf den Schutz und die Fürsor­ge des Staa­tes hat. Die o.g. Re­ge­lun­gen des SGB III führen je­doch da­zu, dass die el­tern­zeit­be­ding­te Un­ter­bre­chung der Er­werbstätig­keit zu ei­ner Min­de­rung der Höhe des Ar­beits­lo­sen­gel­des führt und da­mit mit­tel­bar zu ei­ner Schlech­ter­stel­lung von ar­beits­lo­sen El­tern.

Wer­den die­se nach Be­en­di­gung ih­rer El­tern­zeit ar­beits­los, er­hal­ten sie ein pau­scha­lier­tes bzw. gekürz­tes Ar­beits­lo­sen­geld, wo­hin­ge­gen Ar­beits­lo­se, die oh­ne ei­ne er­zie­hungs­be­ding­te Un­ter­bre­chung ih­rer Er­werbstätig­keit, d.h. „un­mit­tel­bar“ im An­schluss an ih­re ver­si­cher­te Beschäfti­gung ar­beits­los wer­den, ein un­gekürz­tes Ar­beits­lo­sen­geld auf der Grund­la­ge ih­res zu­letzt be­zo­ge­nen Ein­kom­mens er­hal­ten.

Der Streit­fall: Ber­li­ner Be­triebs­wir­tin ist über vier Jah­re in El­tern­zeit und ver­liert da­nach ih­ren Job

Ei­ne 1966 ge­bo­re­ne Be­triebs­wir­tin war als „Ge­biets­lei­te­rin Gas­tro“ seit dem 01.03.1996 bei der Ar­beit­ge­be­rin beschäftigt. In der Zeit von April 2001 bis Au­gust 2005 nahm sie we­gen der Ge­burt ih­rer Kin­der El­tern­zeit in An­spruch. Zum 30.11.2005 en­de­te das Ar­beits­verhält­nis auf­grund or­dent­li­cher Kündi­gung des Ar­beit­ge­bers.

Nach­dem sie sich ar­beits­su­chend ge­mel­det hat­te, be­wil­lig­te die Agen­tur für Ar­beit Ber­lin Nord Ar­beits­lo­sen­geld auf der Grund­la­ge ei­nes tägli­chen Be­mes­sungs­gel­des von le­dig­lich 80,50 EUR ab dem 01.12.2005. Die Kläge­rin be­gehr­te hin­ge­gen die Be­wil­li­gung des Ar­beits­lo­sen­gel­des un­ter Berück­sich­ti­gung ei­nes tägli­chen Be­mes­sungs­ent­gel­tes von 135,13 EUR, da nach ih­rer Auf­fas­sung das tatsächlich zu­letzt er­ziel­te Ar­beits­ent­gelt berück­sich­tigt wer­den müsse.

Die Agen­tur für Ar­beit Ber­lin Nord lehn­te dies un­ter Be­ru­fung auf §§ 130, 132 Abs.1 SGB III ab. Die Kläge­rin ha­be zwar in der Zeit von Au­gust bis No­vem­ber 2005 durch­schnitt­lich ca. 3.417,00 EUR zuzüglich Weih­nachts­geld ver­dient, die­se Zeit um­fas­se aber le­dig­lich ei­nen Zeit­raum von 107 Ta­gen und nicht den er­for­der­li­chen Be­mes­sungs­zeit­raum von 150 Ta­gen. Da­her sei ein fik­ti­ves ge­rin­ge­res Ge­halt zu­grun­de zu le­gen.

Das So­zi­al­ge­richt Ber­lin hat­te der Kla­ge statt­ge­ge­ben. Da­bei in­ter­pre­tier­te es § 130 Abs.2 S.1 Nr.3 SGB III (heu­te: § 150 Abs.2 Nr.3 SGB III) im We­ge der ver­fas­sungs­kon­for­men Aus­le­gung da­hin­ge­hend, dass die Er­zie­hungs­zei­ten bei der Er­mitt­lung des Be­mes­sungs­zeit­raums außer Be­tracht blei­ben müss­ten. Dies ha­be zur Fol­ge, dass die Kläge­rin in dem Be­mes­sungs­rah­men mehr als 150 Ta­ge ge­ar­bei­tet und ein ent­spre­chen­des Ent­gelt be­zo­gen ha­be.

Im Be­ru­fungs­ver­fah­ren hat­te nun das LSG Ber­lin-Bran­den­burg über die Höhe des Ar­beits­lo­sen­geld­an­spruchs und die Fra­ge der Aus­wei­tung des Be­mes­sungs­rah­mens zu ent­schei­den.

LSG Ber­lin: Die pau­scha­le Be­rech­nung des Ar­beits­lo­sen­gel­des ist ver­fas­sungs­gemäß

Das LSG hat die Ent­schei­dung des So­zi­al­ge­richts Ber­lin auf­ge­ho­ben und die Kla­ge ab­ge­wie­sen. Da­mit folgt es ei­ner Ent­schei­dung des LSG Nord­rhein-West­fa­len vom 21.03.2007 (L 12 AL 113/06), das eben­falls ei­ne Aus­wei­tung des Be­mes­sungs­rah­mens ab­ge­lehnt hat­te. Zur Be­gründung heißt es:

Die Re­ge­lun­gen der §§ 130, 132 SGB III (heu­te: §§ 150, 152 SGB III) sei­en ei­ner ver­fas­sungs­kon­for­men Aus­le­gung nicht zugäng­lich. Dies hat zur Fol­ge, dass das LSG die­se Vor­schrif­ten gemäß ih­rem Wort­laut an­wen­det – mit ent­spre­chend nach­tei­li­ger Fol­ge für die Kläge­rin. Ei­ne Möglich­keit, El­tern­zei­ten bei der Be­rech­nung des frag­li­chen Zeit­rau­mes außer Acht zu las­sen, sieht das Ge­richt nicht.

Das LSG hält die Re­ge­lung des § 132 Abs.1 SGB III (heu­te: § 152 Abs.1 SGB III) zu­dem auch für ver­ein­bar mit der Ver­fas­sung. Die Re­ge­lung spie­ge­le den Ar­beits­markt wi­der, wenn sie bei der Be­mes­sung des Ar­beits­lo­sen­gel­des von nach der El­tern­zeit ar­beits­los ge­wor­de­nen Müttern nicht das vor der El­tern­zeit er­ziel­te Ar­beits­ent­gelt berück­sich­ti­ge, son­dern ei­ne pau­scha­le Be­mes­sung vor­neh­me.

Dem lie­ge die Einschätzung des Ge­setz­ge­bers zu­grun­de, dass Ar­beit­neh­mer, die über ei­nen länge­ren Zeit­raum oh­ne Beschäfti­gung ge­we­sen sei­en, in der Re­gel ein ge­rin­ge­res Ent­gelt er­ziel­ten als bei un­un­ter­bro­che­ner Be­rufstätig­keit. Die­se Einschätzung sei nicht of­fen­sicht­lich feh­ler­haft.

El­tern hätten im Übri­gen kei­nen ver­fas­sungs­recht­li­chen An­spruch dar­auf, dass je­der fi­nan­zi­el­le Nach­teil recht­lich aus­ge­gli­chen wer­de. Auch die Recht­spre­chung des Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richts zu Art.6 Abs.4 GG ver­lan­ge dies nicht.

Es sei dem­nach zulässig, auch für Mütter, die ih­re Be­rufstätig­keit wie­der auf­ge­nom­men hätten, si­cher­zu­stel­len, dass das be­wil­lig­te Ar­beits­lo­sen­geld nicht höher aus­fal­le als das Ar­bei­tent­gelt, das die Mütter im Fall ei­ner Beschäfti­gung hätten er­zie­len können. Letzt­lich sei auch nicht aus­ge­schlos­sen, dass El­tern durch die­se Pau­scha­lie­rung so­gar begüns­tigt würden, wenn sie nämlich vor der El­tern­zeit ein eher ge­rin­ges Ein­kom­men ge­habt hätten.

Das LSG Ber­lin-Bran­den­burg hat die Re­vi­si­on zum Bun­des­so­zi­al­ge­richt zu­ge­las­sen. Dort sind be­reits meh­re­re ähn­li­che Ver­fah­ren (u.a. zu den Ak­ten­zei­chen B 11a AL 23/07 R und B 11a AL 41/07 R) anhängig.

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Letzte Überarbeitung: 17. September 2018

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