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LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 16.10.2007, L 12 AL 318/06
Schlagworte: | Arbeitslosengeld: Erziehungszeit, Mutterschutz | |
Gericht: | Landessozialgericht Berlin-Brandenburg | |
Aktenzeichen: | L 12 AL 318/06 | |
Typ: | Urteil | |
Entscheidungsdatum: | 16.10.2007 | |
Leitsätze: | ||
Vorinstanzen: | Sozialgericht Berlin, Urteil vom 29. Mai 2006, S 77 AL 961/06 | |
Landessozialgericht Berlin-Brandenburg
verkündet am 16. Oktober 2007
Az.: L 12 AL 318/06
Az.: S 77 AL 961/06
Berlin
M.
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
Im Namen des Volkes
Urteil
In dem Rechtsstreit
S-J R,
R, B,
- Klägerin und Berufungsbeklagte -
Prozessbevollmächtigte:
Rechtsanwältin P S,
Kstr, B,
Gz.:
gegen
Bundesagentur für Arbeit,
vertreten durch das vorsitzende Mitglied der
Geschäftsführung der
Regionaldirektion
Berlin-Brandenburg,
Friedrichstraße 34, 10969 Berlin,
Gz.:
- Beklagte und Berufungsklägerin -
hat der 12. Senat des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg auf die mündliche Verhandlung vom 16. Oktober 2007 durch den Vorsitzenden Richter am Landessozialgericht W o l f, den Richter am Landessozialgericht Dr. S c h n e i d e r und die Richterin am Landessozialgericht Dr. F u c h s l o c h sowie die ehrenamtlichen Richter L i p p k a und M o h r für Recht erkannt:
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Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 29. Mai 2006 aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen.
Die Beklagte hat der Klägerin die Hälfte der außergerichtlichen Kosten des Verfahrens der ersten Instanz zu erstatten, im Übrigen sind außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist die Höhe des Arbeitslosengeldes.
Die 1966 geborene Klägerin hat zwei im Mai 2001 bzw. August 2002 geborene Kinder. Nach Erwerb eines Abschlusses an der Hotelfachschule Berlin als staatlich geprüfte Betriebswirtin (Hotel- und Gaststättengewerbe) am 20. Juni 1995 war sie ab März 1996 bei der A und S GmbH & Co als Gebietsleiterin tätig. Im Anschluss an den Bezug von Mutterschaftsgeld (8. April 2001 bis 26. Juli 2001) befand sie sich vom 27. Juli 2001 bis zum 15. August 2005 in Elternzeit. Erziehungsgeld erhielt sie vom 1. Juli 2001 bis 30. November 2001, vom 16. September 2002 bis zum 15. Februar 2003 und vom 22. Oktober 2003 bis zum 15. August 2004. Ab dem 16. August 2005 arbeitete sie wieder bei ihrem alten Arbeitgeber gegen ein monatliches Gehalt von 3.417,78 Euro. Das Arbeitsverhältnis wurde vom Arbeitgeber aus betriebsbedingten Gründen zum 30. November 2005 gekündigt.
Auf die am 20. Oktober 2005 mit Wirkung zum 1. Dezember 2005 erfolgte Arbeitslosmeldung gewährte die Beklagte durch Bescheid vom 19. Dezember 2005 der zu diesem Zeitpunkt dauernd getrennt lebenden Klägerin (Steuerklasse II) Arbeitslosengeld ab 1. Dezember 2005 für 360 Kalendertage mit einem täglichen Leistungsbetrag von 29,05 Euro auf der Grundlage eines täglichen Bemessungsentgeltes von 64,40 Euro. Die Klägerin legte Widerspruch ein und rügte eine falsche Berechnungsgrundlage. Die Elternzeit sei außer Betracht zu lassen. Da sie seit März 1996 ständig gearbeitet habe, müsse der Leistungsbetrag höher ausfallen. Die Beschränkung des Bemessungsrahmens auf zwei Jahre führe zu einer Verschlechterung der Lage von Eltern und Familien, da die Elternzeit üblicherweise drei Jahre betrage. Eine fiktive Berechnung des Einkommens sei regelmäßig ungünstiger.
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Die Beklagte wies den Widerspruch zurück (Widerspruchsbescheid vom 10. Februar 2006, der Klägerin zugegangen am 14. Februar 2006). Zur Begründung legte sie zunächst dar, dass sich das Arbeitslosengeld als Prozentsatz des um pauschalierte Abzüge verminderten Bemessungsentgeltes berechne. Das Bemessungsentgelt ergebe sich aus dem durchschnittlichen auf einen Tag entfallenden Arbeitsentgelt, das im Bemessungszeitraum erzielt worden sei. Der Bemessungszeitraum müsse aber in einem Bemessungsrahmen von längstens zwei Jahren vor Entstehung des Anspruchs auf Arbeitslosengeld liegen und mindestens 150 Tage betragen. Ansonsten sei ein fiktives, nach Qualifikationsgruppen zu ermittelndes Arbeitsentgelt zuzuordnen. Die Klägerin habe in der Zeit vom 16. August 2005 bis 30. November 2005 an 107 Tagen ein beitragspflichtiges Entgelt von 13.304,05 Euro erzielt, woraus sich zwar ein durchschnittliches tägliches Entgelt von 124,34 Euro ergebe. Da in dem Bemessungsrahmen aber keine 150 Tage zurückgelegt worden seien, sei eine fiktive Einstufung mit einem Bemessungsentgelt von 64,40 Euro vorzunehmen gewesen.
Dagegen richtet sich die am 14. März 2006 bei dem Sozialgericht eingegangene Klage. In der mündlichen Verhandlung hat die Beklagte anerkannt, dass der Berechnung des an die Klägerin zu zahlenden Arbeitslosengeldes ein tägliches Bemessungsentgelt von 80,50 Euro zugrunde zu legen sei (Qualifikationsgruppe 2 statt bisher 3). Entsprechend hat sie der Klägerin durch Bescheid vom 14. August 2006 ab 1. Dezember 2005 Arbeitslosengeld in Höhe von 34,41 Euro täglich bewilligt, nachdem sie bereits vorher durch Bescheid vom 11. April 2006 Leistungen in gleicher Höhe ab 14. März 2006 bewilligt hatte.
Das Sozialgericht hat durch Urteil vom 29. Mai 2006 die angefochtenen Bescheide geändert und die Beklagte verurteilt, der Klägerin seit dem 1. Dezember 2005 Arbeitslosengeld auf der Grundlage eines Bemessungsentgeltes von 135,13 Euro täglich zu gewähren. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass die Klägerin Anspruch auf höheres Arbeitslosengeld habe, weil die Erziehungszeiten den Bemessungsrahmen erweiterten. Der Begriff des Bemessungsrahmens stehe im Zusammenhang mit dem des Bemessungszeitraums. Die in § 130 Abs. 2 des Sozialgesetzbuchs, Drittes Buch - SGB III - aufgeführten Zeiten würden - unter Umständen - nicht in den Bemessungsrahmen eingehen, sondern ihn stattdessen dynamisch verlängern. § 130 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 SGB III erfasse auch Berechtigte, die während der Erziehungszeit nicht gearbeitet hätten. Das ergebe sich aus einem Vergleich mit der Vorgängervorschrift des § 131 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGB III a.F. Da Zeiten ohne Arbeitsentgelt schon nach § 130 Abs. 1 Satz 1 SGB III nicht beim Bezugszeitraum berücksichtigt werden könnten, ergebe sich aus der Aufführung dieser Erziehungszeiten in § 130 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 SGB III, dass sie Bedeutung für den Be-
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messungsrahmen haben müssten. Diese Auslegung entspreche dem Willen des historischen Gesetzgebers, den Regelungszwecken der Vorschrift sowie den verfassungsrechtlichen und europarechtlichen Vorgaben. Aus den Gesetzesmaterialien ergebe sich, dass lediglich eine Vereinfachung und keine Absenkung des Leistungsniveaus beabsichtigt gewesen sei. Nach altem Recht habe aber wegen des dreijährigen Bemessungsrahmens (§ 133 Abs. 4 SGB III a.F.) ein zweijähriger Erziehungsurlaub nicht zu einer fiktiven Bemessung führen können. Bei längerem Erziehungsurlaub sei nach richtiger Auffassung der Bemessungsrahmen zu verlängern gewesen. Letzteres sei bei der jetzigen Rechtslage angesichts der Verkürzung des Bemessungsrahmens auf zwei Jahre und einer drastischen Absenkung der fiktiven Entgelte vor dem Hintergrund des Schutzauftrags aus Art. 6 Abs. 4 des Grundgesetzes - GG - noch drängender. Die Neuregelung der fiktiven Bemessung in § 132 SGB III kürze die Leistungsansprüche, ob-wohl nach der Gesetzesbegründung gerade keine Verschlechterung habe eintreten sollen. Dies sei verfassungswidrig, weil es gegen Art. 3, 6 und 14 GG verstoße. Ohne rechtfertigenden Grund würden Normadressaten anders als andere behandelt, weil die mit der Pauschalierung verbundenen Härten ohne Schwierigkeiten vermeidbar gewesen wären. Soweit die Vorschrift auf Mütter nach einem Erziehungsurlaub angewandt würde, werde der Schutzbereich des Art. 6 Abs. 4 GG verletzt, weil die Pauschalen nicht am Regelfall ausgerichtet wären. Die tatsächlichen Durchschnittsgehälter aller der in § 132 Abs. 2 Satz 2 SGB III genannten Qualifikations-gruppen lägen über den fiktiven Entgelten, die das Gesetz als Prozentsätze der Bezugsgröße ausdrücke. Das ergäbe sich bereits aus einem Vergleich mit den Werten der Tabellen der Anlage 14 zum SGB VI.
Die hinter den tatsächlichen Durchschnittsentgelten zurückbleibenden Pauschalen seien jeden-falls in den Fällen verfassungsrechtlich bedenklich, in denen wegen der Nichtberücksichtigung von in § 130 Abs. 2 SGB III aufgelisteten Zeiten eine fiktive Berechnung erforderlich werde. Das gelte insbesondere, wenn der Berechtigte vor Eintritt der Arbeitslosigkeit einer Teilzeitbeschäftigung nachgegangen sei. Hier treffe das Argument für die Reduzierung, es werde sich bereits eine gewisse Entfremdung vom Arbeitsmarkt eingestellt haben, evident nicht zu. Das Rechtsstaatgebot gebiete zudem, dass die Pauschalen das regelmäßig erzielbare Entgelt wider-spiegeln müssten. Dafür dürfe nicht auf die Abweichung des durchschnittlichen Entgelts der Arbeitslosen von der Bezugsgröße abgestellt werden, weil die Menge der Arbeitslosen völlig anders zusammengesetzt sei als die bei der Ermittlung der Bezugsgröße berücksichtigten Versicherten. Zudem verweise das Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung zur Begründung der reduzierten Pauschalsätze sehr suggestiv auf die Gruppe der Strafgefangenen, denen Erziehende, Wehrdienstleistende und Rentner gleichzustellen seien. Zur Vermeidung der aus der Festsetzung der fiktiven Entgelte herrührenden verfassungsrechtlichen Probleme seien die
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Regelungen der §§ 130, 132 SGB III verfassungskonform auszulegen. Deswegen dürfe insbesondere nicht danach unterschieden werden, ob neben der Erziehung noch eine Teilzeitbeschäftigung ausgeübt worden ist.
Nach Außerachtlassung der Erziehungszeiten ergebe sich für die Klägerin jedenfalls ein Bemessungsrahmen vom 15. September 2000 bis 30. Mai 2001 und vom 16. August bis 30. November 2005. Bei Einbeziehung der Zeit ab 23. Juli 2000 ergebe sich ein versicherungspflichtiges Entgelt in Höhe von insgesamt 49.321,69 Euro, was zu einem täglichen Bemessungsentgelt von 135,13 Euro führe.
Gegen das ihr am 14. Juni 2006 zugestellte Urteil richtet sich die Berufung der Beklagten vom 12. Juli 2006. Für die Bemessung von Arbeitslosengeld könnten nur die Arbeitsentgelte herangezogen werden, welche innerhalb des Bemessungszeitraums, begrenzt auf den Bemessungs-rahmen, erzielt worden seien. Das Sozialgericht sei fälschlich davon ausgegangen, dass die Klägerin Zeiten nach § 130 Abs. 2 Nr. 3 SGB III zurückgelegt habe, denn es fehle eine Beschäftigung während der Elternzeit. Die vom Sozialgericht aufgeworfene Frage, ob Zeiten nach § 130 Abs. 2 Nr. 3 SGB III auch zu einer Ausdehnung des Bemessungszeitraums führen könnten, stelle sich damit nicht. § 132 Abs. 2 Nr. 3 SGB III sei eine begünstigende Regelung und könne schon deswegen nicht gegen das GG verstoßen. Auch sei nicht ersichtlich, gegenüber welchem vergleichbaren Personenkreis die Klägerin eine Schlechterstellung beklage. Das fiktive Entgelt bestimme sich nach dem maßgeblichen Tarifvertrag, nicht nach einem Durchschnittsentgelt der gesetzlichen Rentenversicherung.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 29. Mai 2006 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie sei während der Erziehungszeit sehr wohl einer Beschäftigung nachgegangen, sie habe nämlich Kinder erzogen. Die von der Beklagten favorisierte Auslegung des Gesetzes führe dazu, dass sich keine Frau mehr dem „Risiko des Kinderkriegens“ aussetzen werde, und verletze Art. 3 Abs. 1 und 2, Art. 6 Abs. 1 und 4 sowie Art. 14 GG. Der Gedanke der Rechtssicher-
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heit spreche ebenfalls für die vom Sozialgericht gefundene Auslegung, da die maßgeblichen Vorschriften erst während der Elternzeit der Klägerin verändert worden seien. Nach altem Recht habe der Bemessungszeitraum um die Erziehungszeiten erweitert werden können. Zu-treffend habe das Sozialgericht der Neufassung des Gesetzes entnommen, dass § 130 Abs. 2 Nr. 3 SGB III nunmehr auch Erziehungsgeld-Empfänger ohne Teilzeitbeschäftigung erfasse. Anderenfalls würde die Klägerin schlechter gestellt als Personen, die keine Erziehungszeit in Anspruch genommen hätten. Hilfsweise werde angeregt, das Verfahren nach Art. 100 GG aus-zusetzen und dem Bundesverfassungsgericht die Frage vorzulegen, ob §§ 130 Abs.2 Nr. 3, 132 SGB III mit dem Grundgesetz vereinbar seien. Lege man §§ 130 Abs. 2 Nr. 3, 132 SGB III im Sinne der Beklagten aus, verstießen sie gegen die Richtlinie 79/7/EWG und seien deswegen nicht anwendbar. Die Richtlinie beinhalte den Grundsatz der Gleichberechtigung und den Fort-fall jeglicher Diskriminierung aufgrund des Geschlechtes. Es liege eine mittelbare Diskriminierung vor, weil wesentlich mehr Frauen als Männer Erziehungszeiten in Anspruch nehmen würden. Das ergebe sich aus dem vorgelegten Gender-Datenreport. Die im Falle einer Arbeitslosigkeit nach Elternzeit anzuwendende Pauschalregelung betreffe daher vor allem Frauen. Höchst hilfsweise werde angeregt, dem Europäischen Gerichtshof im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens die Frage vorzulegen, ob eine Regelung des nationalen Rechts wie die in den §§ 130 Abs. 2 Nr. 3, 132 SGB III der Richtlinie 79/7/EWG entgegenstehe.
Für die weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen, die vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung der Beklagten ist begründet. Zu Unrecht hat das Sozialgericht die Beklagte verurteilt, Arbeitslosengeld auf der Grundlage eines Bemessungsentgeltes von 135,15 Euro täglich zu gewähren. Der Bescheid vom 19. Dezember 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. Februar 2006 sowie der Bescheide vom 11. April 2006 und 14. August 2006 erweist sich nicht als rechtswidrig, so dass das Urteil des Sozialgerichts aufzuheben und die Klage abzuweisen war.
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Die Klägerin hat nach § 118 SGB III seit dem 1. Dezember 2005 Anspruch auf Arbeitslosengeld. Denn sie ist arbeitslos, hat sich bei der Agentur für Arbeit arbeitslos gemeldet und die Anwartschaftszeit erfüllt. In der Rahmenfrist von zwei Jahren vor dem 1. Dezember 2005 (§ 124 Abs. 1 SGB III) hat sie mehr als zwölf Monate in einem Versicherungspflichtverhältnis (§ 123 SGB III) gestanden. Ein Versicherungspflichtverhältnis bestand sowohl nach § 26 Abs. 2a SGB III während der Elternzeit als auch nach § 24 Abs. 1 SGB III während der nachfolgen-den Beschäftigung.
Die Höhe des Arbeitslosengeldes beträgt nach § 129 Abs. 1 Satz 1 1. Halbsatz SGB III für die Klägerin 67 Prozent des pauschalierten Nettoentgelts (Leistungsentgelts), das sich aus dem Bruttoentgelt ergibt, welches sie im Bemessungszeitraum erzielt hat (Bemessungsentgelt). Nach § 130 Abs. 1 SGB III umfasst der Bemessungszeitraum die bei Ausscheiden des Arbeitslosen aus dem jeweiligen Beschäftigungsverhältnis abgerechneten Entgeltabrechnungszeiträume im Bemessungsrahmen. Der Bemessungsrahmen umfasst grundsätzlich das Jahr, das mit dem letzten Tag des letzten Versicherungspflichtverhältnisses vor Entstehung des Anspruchs endet (§ 130 Abs. 1 Satz 2 SGB III), er wird nach § 130 Abs. 3 SGB III auf zwei Jahre erweitert, wenn der Bemessungsrahmen weniger als 150 Tage mit Anspruch auf Arbeitsentgelt enthält oder es mit Rücksicht auf das Bemessungsentgelt im erweiterten Bemessungsrahmen unbillig hart wäre, von dem Bemessungsentgelt im Bemessungszeitraum auszugehen.
Innerhalb des Bemessungsrahmens von einem Jahr vor Eintritt der Arbeitslosigkeit am 1. Dezember 2005 sind für die Klägerin Entgelte lediglich für die Monate August bis November 2005 abgerechnet worden. Damit werden 150 Tage nicht erreicht, so dass gemäß § 130 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 SGB III der Bemessungsrahmen auf zwei Jahre zu erweitern ist. Auch in den zwei Jahren vor Eintritt der Arbeitslosigkeit sind für die Klägerin indessen keine 150 Tage mit abgerechneten Entgelten festzustellen. Zwar bestand während der Elternzeit nach § 26 Abs. 2a SGB III Versicherungspflicht und waren nach § 345a Abs. 2 SGB III iVm § 347 Nr. 9 SGB III auch pauschal Beiträge vom Bund zu zahlen. Das ändert aber nichts daran, dass die Elternzeit der Klägerin weder ein Beschäftigungsverhältnis war noch für sie Entgelte abgerechnet wurden. Beschäftigung ist in § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB IV als nichtselbständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis, (Arbeits-)Entgelt in § 14 Abs. 1 SGB IV als Einnahme aus einer Beschäftigung definiert. Da danach auch innerhalb des auf zwei Jahre erweiterten Bemessungsrahmens kein Bemessungszeitraum von mindestens 150 Tagen festgestellt werden kann, ist nach § 132 Abs. 1 SGB III ein fiktives Bemessungsentgelt zugrunde zu legen.
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Die gegenteilige Rechtsauffassung des Sozialgerichtes ist mit dem Wortlaut des § 130 SGB III unvereinbar. Weder sind Erziehungszeiten ohne gleichzeitig erzielte Arbeitsentgelte Zeiten nach § 130 Abs. 2 Satz 3 SGB III, noch können Zeiten nach § 130 Abs. 2 SGB III zur Erweiterung des Bemessungsrahmens führen (so auch LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil v. 21. März 2007 – L 12 AL 113/06 – und LSG Baden-Württemberg v. 15. September 2006 - L 8 AL 3082/06 -). Bemessungszeitraum im Sinne von § 130 Abs. 1 Satz 1 SGB III sind Zeiträume, in denen Entgelte für eine versicherungspflichtige Beschäftigung abgerechnet wurden. Wenn § 130 Abs. 2 Satz 3 SGB III davon bestimmte Zeiten ausnimmt, kann sich das nur auf Zeiträume beziehen, die ohne diese Ausnahme in den Anwendungsbereich der Vorschrift des § 130 Abs. 1 Satz 1 SGB III fallen würden. Das ist für Zeiten der Kindererziehung ohne Beschäftigung (im Sinne des § 7 SGB IV) nicht der Fall, weil für diese - trotz Versicherungspflicht während der ersten drei Lebensjahre des Kindes nach § 26 Abs. 2a SGB III – keine Entgelte zugunsten des Versicherten abgerechnet werden. Deswegen muss sich der letzte Halbsatz in § 130 Abs. 2 Nr. 3 SGB III („wenn wegen der Betreuung und Erziehung des Kindes das Arbeitsentgelt oder die durchschnittliche wöchentliche Arbeitszeit gemindert war“) auch auf den ersten Teil der Vorschrift („Zeiten, in denen der Arbeitslose Erziehungsgeld bezogen oder nur wegen der Berücksichtigung von Einkommen nicht bezogen oder ein Kind unter drei Jahren betreut und erzogen hat“) beziehen. Zeiträume ohne den Bezug von Arbeitsentgelt (und damit der Kindererziehung ohne Beschäftigung) können begrifflich niemals Bemessungszeiträume sein. Folglich können sie von einer für Bemessungszeiträume geltenden Ausnahmeregelung auch nicht erfasst werden. Das zeigt auch ein Vergleich zu den übrigen Fallgruppen in § 130 Abs. 2 Nr. 1 – 4 SGB III, die sämtlich eine (entgeltliche) Beschäftigung voraussetzen.
Davon abgesehen eröffnet das Gesetz ebenso wenig die Möglichkeit, den Bemessungsrahmen durch beim Bemessungszeitraum außer Betracht bleibende Zeiten zu verlängern (Bundessozialgericht - BSG - , Urteil v. 2. September 2004 - B 7 AL 68/03 R -). § 130 Abs. 2 SGB III bestimmt ausdrücklich, dass Zeiten (nur) für die Ermittlung des Bemessungszeitraumes außer Betracht bleiben. Die Folgen eines nicht mit Zeiten gefüllten Bemessungszeitraumes für den Bemessungsrahmen sind in § 130 Abs. 3 SGB III und § 132 Abs. 1 SGB III geregelt. Liegen in dem grundsätzlich ein Jahr umfassenden Bemessungsrahmen (§ 130 Abs. 1 Satz 2 SGB III) weniger als 150 Tage mit Arbeitsentgelt vor, die als Bemessungszeitraum zu berücksichtigen sind, wird der Bemessungsrahmen auf zwei Jahre erweitert, ebenso in dem Fall, dass zwar mindestens 150 Tage vorliegen, die Heranziehung dieser Arbeitsentgelte aber im Hinblick auf die im erweiterten (zweijährigen) Bemessungsrahmen erzielten (höheren) Arbeitsentgelte unbillig hart wäre (§ 130 Abs. 3 SGB III). Kann auch der erweiterte Bemessungsrahmen von
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zwei Jahren nicht mit mindestens 150 Tagen Bemessungszeitraum gefüllt werden, ist nach § 132 Abs. 1 SGB III ein fiktives Arbeitsentgelt zugrunde zu legen. Selbst wenn diese Regelung zu Ergebnissen führen sollte, welche als sachlich unangemessen empfunden werden, besteht deswegen noch keine verdeckte Lücke. Der Bemessungsrahmen ist nach dem Gesetz auf die Zeit von einem bzw. zwei Kalenderjahren vor Beginn der Arbeitslosigkeit beschränkt. Die vom Sozialgericht gefundene Rechtsfolge, dass der Bemessungsrahmen über die Dauer von zwei Jahren durch einzelne Monate verlängert werden kann, sieht das Gesetz der Art nach nicht vor. Die Auslegung einer Norm darf aber die Grenzen ihres möglichen Wortsinns nicht übersteigen (Bundesverfassungsgericht – BVerfG – v. 14. Dezember 1999 – 1 BvR 1327/98 - = BVerfGE 101, 312, 329). Auch das Bemühen um eine verfassungskonforme Auslegung befreit die Gerichte nicht von der Bindung an das Gesetz. Nach § 130 Abs. 1 Satz 2 SGB III bestimmt sich der Bemessungsrahmen nach dem letzten Tag vor Beginn der Arbeitslosigkeit, er läuft rückwärtsgerichtet kalendermäßig ab (BSG, Urteil v. 2. September 2004 - B 7 AL 68/03 R -). Diese Vorgabe ist keiner Auslegung zugänglich.
Auch in der Sache vermögen die von dem Sozialgericht für die von ihm vorgenommene „Auslegung“ vorgebrachten Argumente nicht zu überzeugen. Soweit es § 130 Abs. 2 SGB III als „dynamische Erweiterungsregelung“ auch des Bemessungsrahmens versteht, setzt es sich dar-über hinweg, dass das Gesetz in den §§ 130, 132 SGB III zwischen Bemessungszeitraum und Bemessungsrahmen unterscheidet und jeweils eigene Regelungen vorsieht. Die Verwischung der Grenzen lässt sich nicht mit der Erwägung rechtfertigen, die Neufassung der Vorschrift des § 130 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 SGB III belege, dass der Gesetzgeber auch den Personenkreis der in Elternzeit befindlichen Versicherten ohne Beschäftigung habe erfassen wollen, für den sich eine Regelung aber nur in Bezug auf den Bemessungsrahmen auswirken könne. Diese Erwägung ist schon deshalb verfehlt, weil sich – wie oben nachgewiesen - § 130 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 SGB III nur auf während der Elternzeit Beschäftigte bezieht. Im Übrigen geht das Sozialgericht von falschen Voraussetzungen aus, weil nichts dafür ersichtlich ist, dass der historische Gesetzgeber Versicherte, die während der Elternzeit ohne Beschäftigung sind, durch die Vorschrift erfassen wollte. Dafür gibt insbesondere ein Vergleich mit der Vorgängervorschrift nichts her. In § 131 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGB III alter Fassung war angeordnet, dass bei der Ermittlung des Bemessungszeitraumes Zeiten außer Betracht bleiben, in denen Versicherungspflicht wegen des Bezugs von Mutterschaftsgeld oder der Erziehung eines Kindes bestand oder in denen Erziehungsgeld bezogen oder nur wegen der Berücksichtigung von Einkommen nicht bezogen worden ist, soweit wegen der Betreuung oder Erziehung eines Kindes das Arbeitsentgelt oder die durchschnittliche regelmäßige Arbeitszeit gemindert war. Die Neufassung der
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Regelung in § 130 SGB III enthält nunmehr - neben der Herausnahme von Zeiten des Bezugs von Mutterschaftsgeld - als weiteres Tatbestandsmerkmal Zeiten, in denen „ein Kind unter drei Jahren betreut und erzogen“ worden ist. Durch dieses Tatbestandsmerkmal werden zusätzlich zu den bisher schon geregelten Fällen des Bezugs von Erziehungsgeld oder des Nichtbezugs wegen der Berücksichtigung von Einkommen nunmehr auch solche Zeiten der Kindererziehung erfasst, für die bereits dem Grunde nach kein Anspruch auf Erziehungsgeld besteht, was nach dem – seit dem 1. Januar 2007 durch das Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz ersetzten - Bundeserziehungsgeldgesetz – BErzGG - insbesondere im dritten Lebensjahr des Kindes der Fall gewesen ist (vgl. Behrend in Eicher/Schlegel, SGB III, § 130 Rdnr. 71). Die Auffassung des Sozialgerichts, mit der zum 1. Januar 2005 in § 130 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 SGB III neu eingefügten Tatbestandsvariante („oder ein Kind unter drei Jahren betreut und erzogen hat“) seien nunmehr (alle) Zeiten der Kindererziehung (ohne Rücksicht auf Ansprüche nach dem BErzGG) gemeint, sofern Versicherte in ihnen einer Beschäftigung nachgegangen sind, so dass Kindererziehungszeiten ohne Beschäftigung unter die ersten beiden Tatbestandsvarianten („Erziehungsgeld bezogen oder nur wegen der Berücksichtigung von Einkommen nicht bezogen hat“) fielen, überzeugt schon sprachlogisch nicht. Der Konditionalsatz („wenn wegen der Betreuung und Erziehung des Kindes das Arbeitsentgelt oder die durchschnittliche wöchentliche Arbeitszeit gemindert war“) bezieht sich nämlich auf (alle) Zeiten, welche durch den Attributsatz („in denen der Arbeitslose Erziehungsgeld bezogen oder nur wegen der Berücksichtigung von Einkommen nicht bezogen hat oder ein Kind unter drei Jahren betreut und erzogen hat“) erst näher bestimmt werden, also auch auf Zeiten, in denen Erziehungsgeld bezogen oder nur wegen der Berücksichtigung von Einkommen nicht bezogen worden ist.
Ebenso wenig ergeben sich aus der vom Gesetzgeber in der Gesetzesbegründung formulierten Absicht, keine Leistungseinschränkungen zu bezwecken (BT-Drucks. 15/1515 S. 73), Argumente für das Ergebnis des Sozialgerichts. Die Festschreibung des Bemessungsrahmens auf zwei Jahre ist ausdrücklich im Gesetz formuliert worden und schon deswegen vom Gesetzgeber gewollt gewesen, sie kann nicht im Hinblick auf an anderer Stelle zu findende allgemeine Absichtserklärungen außer Acht gelassen werden. Demnach kann nichts daraus hergeleitet werden, dass früher wegen der Regelung in § 133 Abs. 4 SGB III a.F. Arbeitsentgelt aus den letzten drei Jahren vor der Arbeitslosigkeit berücksichtigt werden konnte, so dass eine Elternzeit von zweijähriger Dauer der Anknüpfung an vorher erzieltes Arbeitsentgelt nicht zwingend entgegengestanden hätte. Überdies hat sich die Klägerin tatsächlich mehr als vier Jahre in Elternzeit befunden. Auch nach altem Recht war aber die Bezugnahme auf vorheriges Arbeitseinkommen bei einer mehr als dreijährigen Unterbrechung der Beschäftigung (auch durch
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Elternzeit) ausgeschlossen (LSG Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 10. März 2004 – L 12 AL 83/03 - ). Anhaltspunkte für eine frühere gegenteilige Rechtspraxis sind nicht ersichtlich und auch vom Sozialgericht und der Klägerin nicht aufgezeigt worden. Die Neufassung des Gesetzes hat in Bezug auf den Bemessungsrahmen zu keiner Verschlechterung geführt, die sich bei der Klägerin auswirken könnte.
Findet demnach § 132 SGB III Anwendung, so ist die Klägerin in die Qualifikationsgruppe 2 einzuordnen. Das ist zwischen den Beteiligten nach dem angenommenen Anerkenntnis der Beklagten vom 29. Mai 2006 unstreitig. Danach ist ein Dreihundertsechzigstel der Bezugsgröße zugrunde zu legen. Aus der für das Jahr 2005 maßgebenden Bezugsgröße von 28.980 Euro ergibt sich so ein tägliches Bemessungsentgelt von 80,50 Euro. Angesichts der eindeutigen gesetzlichen Bestimmungen sieht der Senat auch insoweit nicht, wie im Wege der Auslegung ein anderes Ergebnis gefunden werden könnte. Abzuziehen von dem Bemessungsentgelt sind nach § 133 SGB III eine Sozialversicherungspauschale in Höhe von 21 Prozent, weiter Lohnsteuer entsprechend Steuerklasse 2 nach der für 2005 gültigen Lohnsteuertabelle sowie der Solidaritätszuschlag. 67 Prozent der danach verbleibenden 51,36 Euro ergeben den von der Beklagten bewilligten Leistungssatz von 34,41 Euro kalendertäglich.
Der Senat hat keine durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die gesetzlichen Regelungen. Allerdings bewirken die §§ 130, 132 Abs. 1 SGB III, dass nach längerer Unterbrechung der Berufstätigkeit wegen Kindererziehung für die Berechnung des Arbeitslosengel-des nicht mehr an ein tatsächlich erzieltes früheres Arbeitseinkommen angeknüpft wird. Das fiktive Arbeitsentgelt kann niedriger, aber auch höher sein. Ist es niedriger als das tatsächliche frühere Arbeitseinkommen, kommt es trotz Elternzeit bei der Berechnung des Arbeitslosengel-des zu nachteiligen wirtschaftlichen Folgen. Das ist aber nicht schlechthin verfassungswidrig. Zwar verlangt Art. 6 Abs. 4 GG nach der Rechtsprechung des BVerfG (Beschluss v. 10. Februar 1982 – 1 BvL 116/78 -; Beschluss v. 28. März 2006 – 1 BvL 10/01 -) vom Gesetzgeber, dass er den im Zusammenhang mit Schwangerschaft und Mutterschaft stehenden Belastungen entgegen wirkt, ohne ihn aber zu verpflichten, jede mit der Elternschaft zusammenhängende wirtschaftliche Belastung auszugleichen. Eine Verpflichtung zum vollständigen Ausgleich (soweit als möglich) hat das BVerfG bisher nur für Zeiträume eines mutterschutzrechtlichen Beschäftigungsverbotes gesehen (Beschluss v. 28. März 2006 – 1 BvL 10/01 - ). Damit ist die Elternzeit nicht zu vergleichen. Durch sie werden Eltern weder rechtlich noch faktisch daran gehindert, ihre bisherige Beschäftigung nach der Geburt innerhalb des (verlängerten) Bemessungsrahmens wieder aufzunehmen. Ein Widerspruch zur Rechtsprechung des BVerfG liegt
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weiter nicht im Hinblick auf dessen Forderung vor, dass Erziehungszeiten unabhängig von der Beitragszahlung nicht zu einer Unterbrechung von Anwartschaftszeiten führen dürfen (Beschluss v. 5. April 2005 – 1 BvR 774/02 - ). Die Kontinuität der Versicherung wird nämlich durch § 26 Abs. 2a SGB III gewährleistet.
Dass bei längerer Unterbrechung der Beschäftigung für die Höhe des Arbeitslosengeldes nicht mehr auf vorheriges Arbeitseinkommen Bezug genommen wird, ist eine durch sachliche Gründe zu rechtfertigende Regelung, weil Arbeitslosengeld keine Gegenleistung für eingezahlte Beiträge darstellt. Versichert ist das Risiko, das sich durch den Eintritt von Arbeitslosigkeit verwirklicht. Der Versicherungsschutz als solcher wird durch Elternzeit nicht unterbrochen. Bei der Höhe der Leistungen ist zu berücksichtigen, dass – zeitlich befristet – der Ausfall des während der Arbeitslosigkeit zu erzielenden Entgelts ersetzt werden soll, dessen Höhe sich nicht vergangenheitsbezogen an den früheren Entgelten, sondern zukunftsbezogen an den künftig entgehenden Entgelten orientiert (BSG Urteil v. 11. Juni 1987 – 7 RAr 29/86 - = SozR 4100 § 112 Nr. 31). Die Einschätzung des Gesetzgebers, der davon ausgeht, dass ein zuletzt bezogener Arbeitslohn nur dann zuverlässige Hinweise auf die in einer neuen Beschäftigung zu erwartenden Einkünfte gibt, wenn die vorherige Beschäftigung eine gewisse Dauer hatte und noch nicht längere Zeit zurückliegt, ist nicht sachwidrig. Je kürzer eine Beschäftigung war und je länger sie bereits zurückliegt, desto weniger sagt sie über die gegenwärtigen Möglichkeiten eines Arbeitnehmers auf dem Arbeitsmarkt aus. Der zeitliche Anschluss zur letzten (längeren) Beschäftigung fehlt bei jeder längeren Beschäftigungspause. Insoweit unterscheidet sich der Eintritt von Arbeitslosigkeit nach längerer Elternzeit nicht von der Situation etwa eines Arbeitslosen, der zuletzt eine Erwerbsunfähigkeitsrente auf Zeit bezogen hat. In beiden Fällen sprechen die gleichen Gründe dafür, die Bemessung des Arbeitslosengeldes von dem zuletzt erzielten Entgelt zu lösen. Auch arbeitsrechtlich besteht nach der Elternzeit ein Anspruch auf Beschäftigung zu unveränderten Arbeitsbedingungen nur im Rahmen des letzten Arbeitsverhältnisses, nicht darüber hinaus.
Nicht sachwidrig ist es, wenn der Gesetzgeber im Rahmen von kurzzeitigen Lohnersatzleistungen bei der Zuordnung von fiktiven Entgelten an die Qualität der Berufsausbildung anknüpft. Die in § 132 Abs. 2 SGB III deutlich werdende Erwartung des Gesetzgebers, dass die Qualität der Berufsausbildung wesentliches Kriterium für die Höhe des gezahlten Entgeltes ist, erscheint nicht offensichtlich verfehlt. Auch die Höhe der nach § 132 SGB III anzusetzenden Pauschalentgelte ist nicht verfassungswidrig. Zwar würde es dem Rechtsstaatsgebot widersprechen, wenn der Gesetzgeber fiktive Arbeitslöhne ohne Bezug zur Wirklichkeit angesetzt hätte.
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Davon kann hier aber nicht die Rede sein, weil die Bezugsgröße, an der sich der Gesetzgeber orientiert hat, nach § 18 SGB IV das Durchschnittsentgelt aller Versicherten abbildet. Ebenso wenig ist das Zurückbleiben der nach § 132 Abs. 2 SGB III zu ermittelnden Arbeitsentgelte hinter dem tatsächlichen Durchschnittsentgelt der jeweiligen Qualifikationsgruppen willkürlich. Es lässt sich dadurch rechtfertigen, dass Rückkehrer in den Beruf betroffen sind, welche in der Realität des Arbeitsmarktes typischerweise für die erste Zeit Lohnabschläge gegenüber den im Berufsleben gebliebenen hinnehmen müssen (vgl. Schreiben des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales v. 14. Dezember 2005, abgedruckt bei Behrend in Eicher/Schlegel, SGB III, Anlage zu § 132). Auch gilt es zu verhindern, dass hohe Entgeltersatzleistungen das Interesse an der Aufnahme einer neuen zwar erreichbaren aber niedriger entlohnten Beschäftigung verringern. Dass diese Erwägungen nicht ausnahmslos in allen Fällen zutreffen mögen, ist hinzunehmen, weil es sich um eine – zulässige - Pauschalregelung handelt (vgl. BVerfG Beschluss v. 23. Juni 2004 - 1 BvL 3/98, 9/02, 2/03 - = BVerfGE 111, 115, 137). Im Übrigen ist nicht ersichtlich, dass insoweit gerade der Fall der Klägerin eine Ausnahmeregelung erfordern würde. Sie hat nach Aktenlage mehr als vier Jahre außerhalb des Berufslebens gestanden. Ihre weitere Berufsbiographie zeigt, dass sie in dem hier maßgeblichen Zeitraum keine ihrer früheren Vergütung entsprechende Tätigkeit gefunden hat. Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass die fiktive Einstufung nach § 132 SGB III nicht ausnahmslos zu negativen Konsequenzen führt. Wenn nämlich vor der Elternzeit ein eher geringes Einkommen (gemessen an der Qualität der Ausbildung) erzielt wurde, wirkt sich die Regelung positiv aus.
Auch die von der Klägerin herangezogene Richtlinie 79/7/EWG vermag die Rechtswidrigkeit der angefochtenen Bescheide nicht zu begründen. Nach Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie zur schrittweisen Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Bereich der sozialen Sicherheit (79/7/EWG) beinhaltet der Grundsatz der Gleichbehandlung den Fortfall jeglicher unmittelbaren oder mittelbaren Diskriminierung auf Grund des Geschlechts (...) und zwar im besonderen betreffend: (...) - die Berechnung der Leistungen (...) sowie die Bedingungen betreffend die Geltungsdauer und die Aufrechterhaltung des Anspruchs auf die Leistungen. Ein Verstoß gegen die Richtlinie ergibt sich nicht schon daraus, dass die Regelungen in §§ 130, 132 SGB III, gemäß denen frühere höhere Einkünfte nach zwei Jahren für die Berechnung des Arbeitslosengeldes nicht mehr zu berücksichtigen sind, negative Folgen auch für Frauen haben, die ihre Erwerbstätigkeit wegen Kindererziehung unterbrochen haben. Zwar ist eine nur mittelbare Diskriminierung durch Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 79/7/EWG gleichermaßen verboten, so dass ein Verstoß schon gegeben sein kann, wenn eine Norm vorrangig auf Frauen angewandt wird, obwohl sie geschlechtsneutral formuliert ist. Die
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deutschen Vorschriften sind aber nicht nur geschlechtsneutral formuliert, sondern betreffen neben Eltern alle für längere Zeit aus dem Erwerbsleben Ausgeschiedenen, etwa zeitweise Erwerbsunfähige, Selbständige, Pflegende usw. Deswegen belegt der Umstand, dass Elternzeit zumeist von Frauen genommen wird, noch nicht eine überwiegende Anwendung der Vorschriften auf Frauen. Darüber hinaus ist nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) Voraussetzung für eine unzulässige mittelbare Diskriminierung, dass die Regelungen nicht durch objektive Faktoren zu rechtfertigen sind, die nichts mit einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechtes zu tun haben (EuGH, Urt. v. 14. Dezember 1995 – C-317/93 und C-444/93 - = SozR 3-6083 Art. 4 Nr. 11 und 12; v. 1. Februar 1996 – C-280/94 - = SozR 3-6083 Art. 4 Nr. 13). Solche Faktoren liegen hier indessen vor. Funktion des Arbeitslosengeldes ist es, Leistungen für aktuell dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehende Personen zu gewähren, es soll deren künftige Lohnausfälle ersetzen. Diese Funktion rechtfertigt eine Differenzierung nach der Kontinuität des Versicherungsverlaufs, weil dieser als Basis für die anzustellende Prognoseentscheidung dienen kann, auch wenn Lücken in der Erwerbsbiographie (wegen Kindererziehung) bei Frauen häufiger als bei Männern vorkommen (vgl. Bieback in Fuchs [Hg.], Europäisches Sozialrecht, 4. Aufl., Richtlinie des Rates 79/7/EWG, Art. 4 Rdnr. 18). Wie oben schon erörtert worden ist, bestehen sachliche Gründe für die Entscheidung des Gesetzgebers, das Ausmaß des zu erwartenden Lohnausfalles nur dann vom bisherigen tatsächlichen Arbeitsentgelt abhängig zu machen, wenn es über einen gewissen Zeitraum und in einer Beschäftigung erzielt wurde, die noch nicht längere Zeit zurückliegt. Damit scheidet aber ein Verstoß gegen Art. 4 der Richtlinie 79/7/EWG aus.
Nach alledem war auf die Berufung der Beklagten hin das Urteil des Sozialgerichts aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Kostenentscheidung ergeht nach § 193 SGG, sie berücksichtigt das Ergebnis in der Hauptsache.
Der Senat hat die Revision nach § 160 Abs. 2 SGG wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache insbesondere im Hinblick auf die beim BSG bereits anhängigen Verfahren B 11a/7a AL 64/06 R und B 11a AL 23/07 R zugelassen.
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Rechtsmittelbelehrung und Erläuterungen zur Prozesskostenhilfe I. R e c h t s m i t t e l b e l e h r u n g
Dieses Urteil kann mit der Revision angefochten werden.
Die Revision ist von einem bei dem Bundessozialgericht zugelassenen Prozessbevollmächtigten innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils schriftlich beim
Bundessozialgericht
Postfach 41 02 20
34114 Kassel
Graf-Bernadotte-Platz 5
34119
Kassel,
einzulegen. Die Revisionsschrift muss bis zum Ablauf der Monatsfrist bei dem Bundessozialgericht eingegangen sein.
Als Prozessbevollmächtigte sind zugelassen
• die Mitglieder und Angestellten von Gewerkschaften, von selbständigen Vereinigungen von Arbeitnehmern mit sozial- oder berufspolitischer Zwecksetzung, von Vereinigungen von Arbeitgebern, von berufsständischen Vereinigungen der Landwirtschaft und von Vereinigungen, deren satzungsgemäße Aufgaben die gemeinschaftliche Interessenvertretung, die Beratung und Vertretung der Leistungsempfänger nach dem sozialen Entschädigungsrecht oder der behinderten Menschen wesentlich umfassen und die unter Berücksichtigung von Art und Umfang ihrer bisherigen Tätigkeit sowie ihres Mitgliederkreises die Gewähr für eine sachkundige Erfüllung dieser Aufgaben bieten und die kraft Satzung oder Vollmacht zur Prozessvertretung befugt sind,
• Bevollmächtigte, die als Angestellte juristischer Personen, deren Anteile sämtlich im wirtschaftlichen Eigentum einer der vorgenannten Organisationen stehen, handeln, wenn die juristische Person ausschließlich die Rechtsberatung und Prozessvertretung der Mitglieder der Organisation entsprechend deren Satzung durchführt und wenn die Vereinigung für die Tätigkeit der Bevollmächtigten haftet,
• jeder Rechtsanwalt.
Behörden, Körperschaften und Anstalten des öffentlichen Rechts sowie private Pflegeversicherungsunternehmen brauchen sich nicht durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten zu lassen.
Die Revisionsschrift muss das angefochtene Urteil bezeichnen.
Die Revision ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des Urteils schriftlich zu begründen. Die Begründung muss einen bestimmten Antrag enthalten, die verletzte Rechtsnorm und, soweit Verfahrensmängel gerügt werden, die Tatsachen bezeichnen, die den Mangel ergeben.
Die Revision kann nur darauf gestützt werden, dass das angefochtene Urteil auf der Verletzung einer Vorschrift des Bundesrechts oder einer sonstigen im Bezirk des Berufungsgerichts geltenden Vorschrift beruht, deren Geltungsbereich sich über den Bezirk des Berufungsgerichts hinaus erstreckt.
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II. E r l ä u t e r u n g e n z u r P r o z e s s k o s t e n h i l f e
Für die Revision vor dem Bundessozialgericht kann ein Beteiligter, der nicht schon durch einen Bevollmächtigten aus dem Kreis der oben genannten Gewerkschaften oder Vereinigungen vertreten ist, Prozesskostenhilfe zum Zwecke der Beiordnung eines Rechtsanwalts beantragen.
Der Beteiligte kann die Prozesskostenhilfe selbst beantragen. Der Antrag ist beim Bundessozialgericht entweder schriftlich einzureichen oder mündlich vor dessen Geschäftsstelle zu Protokoll zu erklären.
Dem Antrag sind eine Erklärung des Beteiligten über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse (Familienverhältnisse, Beruf, Vermögen, Einkommen und Lasten) sowie entsprechende Belege beizufügen. Hierzu ist der für die Abgabe der Erklärung vorgeschriebene Vordruck zu benutzen. Der Vordruck kann von allen Gerichten oder durch den Schreibwarenhandel bezogen werden.
Wird Prozesskostenhilfe bereits für die Einlegung der Revision begehrt, so müssen der Antrag und die Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse - gegebenenfalls nebst entsprechenden Belegen - bis zum Ablauf der Frist für die Einlegung der Revision (ein Monat nach Zustellung des Urteils) beim Bundessozialgericht eingegangen sein.
Mit dem Antrag auf Prozesskostenhilfe kann ein zur Vertretung bereiter Rechtsanwalt benannt werden.
Ist dem Beteiligten Prozesskostenhilfe bewilligt worden und macht er von seinem Recht, einen Anwalt zu wählen, keinen Gebrauch, wird auf seinen Antrag der beizuordnende Rechtsanwalt vom Bundessozialgericht ausgewählt.
Der Revisionsschrift und allen folgenden Schriftsätzen sollen Abschriften für die übrigen Beteiligten beigefügt werden.
Das Bundessozialgericht bittet darüber hinaus um je zwei weitere Abschriften.
Wolf
Dr. Fuchsloch
Dr. Schneider
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