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ARBEITSRECHT AKTUELL // 07/70

Es gibt kein „Brut­to­ar­beits­lo­sen­geld“

Auf die Ka­ren­zent­schä­di­gung für ein Wett­be­werbs­ver­bot ist nur das tat­säch­lich er­hal­te­ne Ar­beits­lo­sen­geld an­zu­rech­nen: Lan­des­ar­beits­ge­richt Mün­chen, Ur­teil vom 14.08.2007, 4 Sa 189/07
Schreiben der Bundesagentur für Arbeit mit darauf liegenden Geldscheinen Von der Ka­ren­zent­schä­di­gung ist nur das ge­zahl­te Ar­beits­lo­sen­geld ab­zu­zie­hen

01.11.2007. Ar­beit­neh­mer und Ar­beit­ge­ber kön­nen für die Zeit nach Be­en­di­gung des Ar­beits­ver­hält­nis­ses ein nach­ver­trag­li­ches Wett­be­werbs­ver­bot ver­ein­ba­ren. Dann darf der Ar­beit­neh­mer auch nach Be­en­di­gung sei­nes Ar­beits­ver­hält­nis­ses dem Ex-Ar­beit­ge­ber vor­über­ge­hend kei­ne Kon­kur­renz ma­chen. Da­für be­kommt er ei­ne Ka­ren­zent­schä­di­gung.

Auf die Ka­ren­zent­schä­di­gung ist das Ar­beits­lo­sen­geld an­zu­rech­nen, falls Ar­beits­lo­sen­geld plus Ka­ren­zent­schä­di­gung das zu­letzt be­zo­ge­ne Ar­beits­ein­kom­men um mehr als 10 Pro­zent über­stei­gen.

Fin­di­ge Ar­beit­ge­ber ar­gu­men­tie­ren hier, dass zum Ar­beits­lo­sen­geld auch der Wert der so­zi­al­ver­si­che­rungs­recht­li­chen Ab­si­che­rung wäh­rend des Ar­beits­lo­sen­geld­be­zugs hin­zu­zu­rech­nen ist. Zu die­ser ori­gi­nel­len Be­rech­nung hat das Lan­des­ar­beits­ge­richt (LAG) Mün­chen in ei­nem ak­tu­el­len Ur­teil ge­äu­ßert: LAG Mün­chen, Ur­teil vom 14.08.2007, 4 Sa 189/07.

Ist das Ar­beits­lo­sen­geld als Brut­to- oder als Net­to­leis­tung auf die Ka­ren­zentschädi­gung an­zu­rech­nen?

01.11.2007. Ver­ein­ba­ren die Ar­beits­ver­trags­par­tei­en ein nach­ver­trag­li­ches Wett­be­werbs­ver­bot, muss der Ar­beit­ge­ber ei­ne so­ge­nann­te Ka­ren­zentschädi­gung als Aus­gleich für den Ver­zicht auf wett­be­werb­li­ches Han­deln gewähren. Kon­kret ist der Ar­beit­ge­ber da­zu ver­pflich­tet, ei­ne Ka­ren­zentschädi­gung in Höhe von min­des­tens der Hälf­te der zu­letzt vom Ar­beit­neh­mer be­zo­ge­nen „ver­tragsmäßigen Leis­tung“ zu zah­len, § 74 Abs. 2 HGB. Da­durch "er­kauft" der Ar­beit­ge­ber die Pflicht des Ar­beit­neh­mers zum Un­ter­las­sen von Wett­be­werb nach Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses.

Auf die Ka­ren­zentschädi­gung muss sich der Ar­beit­neh­mer al­ler­dings gemäß § 74c HGB sei­nen „an­der­wei­ti­gen Er­werb“ an­rech­nen las­sen. Ge­nau­er ge­sagt: Wenn Ka­ren­zentschädi­gung und an­der­wei­ti­ger Er­werb zu­sam­men mehr als 110 Pro­zent der frühe­ren Bezüge be­tra­gen, wird der über­stei­gen­de Be­trag von der Ka­ren­zentschädi­gung ab­ge­zo­gen. Ist der Ar­beit­neh­mer nach Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses zu ei­nem Wohn­ort­wech­sel ge­zwun­gen, erhöht sich die Hin­zu­ver­dienst­gren­ze von 110 Pro­zent auf 125 Pro­zent, § 74c Abs.1 Satz 2 HGB.

Auch Ar­beits­lo­sen­geld ist nach der Recht­spre­chung des Bun­des­ar­beits­ge­richts ein fi­nan­zi­el­ler Zu­fluss, der ent­spre­chend der Re­ge­lung des § 74c Abs.1 HGB an­zu­rech­nen ist (ob­wohl der Ka­renz­be­rech­tig­te das Ar­beits­lo­sen­geld ge­ra­de nicht, wie vom Ge­setz vor­aus­ge­setzt, „durch an­der­wei­te Ver­wer­tung sei­ner Ar­beits­kraft“ er­wirbt, son­dern viel­mehr als Fol­ge sei­ner un­ter­blie­be­nen Er­werbstätig­keit).

Der Grund für die­se An­rech­nung des Ar­beits­lo­sen­gel­des liegt in der an­sons­ten ein­tre­ten­den Schlech­ter­stel­lung von Ka­renz­be­rech­tig­ten, die ei­nen re­gulären Zwi­schen­ver­dienst durch nicht vom Wett­be­werbs­ver­bot un­ter­sag­te Be­rufstätig­keit er­zie­len, ge­genüber den­je­ni­gen Ka­renz­be­rech­tig­ten, die Ar­beits­lo­sen­geld be­zie­hen.

Frag­lich ist al­ler­dings, in wel­cher Wei­se das Ar­beits­lo­sen­geld in An­satz zu brin­gen ist, d.h. le­dig­lich in Höhe des an den Ar­beits­lo­sen ge­zahl­ten Net­to­be­trags oder in Höhe ei­nes darüber hin­aus­ge­hen­den Be­trags, der – als ei­ne Art „Brut­to-Ar­beits­lo­sen­geld“ – der Tat­sa­che Rech­nung trägt, dass der Ar­beits­lo­se während des Be­zugs von Ar­beits­lo­sen­geld wei­ter in der ge­setz­li­chen Kran­ken­ver­si­che­rung (§§ 5 Abs.1 Nr.2 SGB V) so­wie in der Ren­ten­ver­si­che­rung (§ 3 Satz 1 Nr.3 SGB VI) pflich­ter­si­chert ist und da­her An­wart­schaf­ten auf Leis­tun­gen er­wirbt.

Der Streit­fall: Zweijähri­ges Wett­be­werbs­ver­bot mit ho­her Ka­ren­zentschädi­gung von 70 Pro­zent des zu­letzt be­zo­ge­nen Ge­hal­tes

Der Kläger ver­ein­bar­te mit sei­nem be­klag­ten ehe­ma­li­gen Ar­beit­ge­ber bei Be­ginn sei­nes Ar­beits­verhält­nis­ses ein nach­ver­trag­li­ches Wett­be­werbs­ver­bot für die Dau­er von zwei Jah­ren. Ver­ein­bart war als Ka­ren­zentschädi­gung ein Be­trag von 70 Pro­zent der zu­letzt ver­trags­gemäß be­zo­ge­nen Vergütung.

Seit dem Aus­schei­den des Klägers aus dem Ar­beits­verhält­nis er­hielt er Ar­beits­lo­sen­geld. Gleich­zei­tig ver­lang­te er die ver­trag­lich ver­ein­bar­te Ka­ren­zentschädi­gung. Die Be­klag­te zahl­te die­se zwar, kürz­te sie aber un­ter Be­ru­fung auf die An­rech­nungs­vor­schrift des § 74c Abs.1 HGB. Dies be­gründe­te sie da­mit, dass nicht (nur) das vom Kläger be­zo­ge­ne „Net­to­ar­beits­lo­sen­geld“, son­dern viel­mehr ein die­ses über­stei­gen­der, von der Be­klag­ten hoch­ge­rech­ne­ter Brut­to-Leis­tungs­be­zug in An­satz zu brin­gen sei.

Die­se „Hoch­rech­nung“ hat­te zur Fol­ge, dass die­ser Be­trag zu­sam­men mit dem Ka­ren­zentschädi­gungs­an­spruch des Klägers über der ge­setz­li­chen Gren­ze von 110 Pro­zent sei­nes letz­ten Ein­kom­mens lag, so dass sich die Be­klag­te zur Kürzung der Ka­ren­zentschädi­gung be­rech­tigt sah.

Der Kläger mach­te den aus sei­ner Sicht un­be­rech­tig­ten Ab­zugs­be­trag kla­ge­wei­se gel­tend. Das Ar­beits­ge­richt gab der Kla­ge statt. Dar­auf­hin leg­te die Be­klag­te Be­ru­fung zum LAG München ein.

LAG München: Es gibt kein „Brut­to­ar­beits­lo­sen­geld“

Auch das LAG München wies die Be­ru­fung zurück, d.h. es gab dem Kläger recht. Zur Be­gründung heißt es:

Nach der Recht­spre­chung des Bun­des­ar­beits­ge­richts könne Ar­beits­lo­sen­geld nur mit dem tatsächli­chen Aus­zah­lungs­be­trag, mit­hin mit dem „Net­to­be­trag“ an­ge­rech­net wer­den, nicht mit ei­nem fik­tiv hoch­ge­rech­ne­ten „Brut­to­be­trag“ (BAG, Ur­teil vom 23.11.2004, 9 AZR 595/03). Die­ser Recht­spre­chung folgt das LAG München mit fol­gen­den Ar­gu­men­ten:

Der Ar­beits­lo­sen­geld­be­rech­tig­te er­hal­te Ar­beits­lo­sen­geld als ei­ne ge­setz­lich de­fi­nier­te Lohn­er­satz­leis­tung, die aus­ge­hend von ei­nem pau­scha­li­siert an­ge­setz­ten Net­to­ar­beits­ent­gelt be­rech­net wer­de. Die­se Lohn­er­satz­leis­tung er­fol­ge „brut­to gleich net­to“, d.h. die Un­ter­schei­dung zwi­schen ei­nem „Brut­to­ar­beits­lo­sen­geld“ und ei­nem „Net­to­ar­beits­lo­sen­geld“ er­ge­be kei­nen Sinn.

Zwar sei der Ar­beits­lo­se während des Be­zugs von Ar­beits­lo­sen­geld wei­ter kran­ken- und ren­ten­ver­si­chert, auch müsse die Bun­des­agen­tur für Ar­beit an die Träger die­ser bei­den Ver­si­che­run­gen Aus­gleichs­zah­lun­gen leis­ten. Dies ände­re aber - eben­so die die kraft Ge­set­zes ge­ge­be­ne Steu­er­frei­heit des Ar­beits­lo­sen­gel­des - nichts dar­an, dass es kei­ne ge­setz­li­che Grund­la­ge dafür ge­be, das Ar­beits­lo­sen­geld ei­nem Net­to­ar­beits­lohn gleich­zu­set­zen und aus­ge­hend von die­sem Be­trag ein (fik­ti­ves) „Brut­to­ar­beits­lo­sen­geld“ zu er­rech­nen und als Zwi­schen­ver­dienst im Sin­ne von § 74c Abs.1 Satz 2 HGB an­zu­se­hen.

Fa­zit: Während der Brut­to­ar­beits­lohn dem Ar­beit­neh­mer vermögens­recht­lich zu­ge­wie­sen ist, d.h. ein­sch­ließlich der von ihm auf­zu­brin­gen­den So­zi­al­beiträge von ihm be­an­sprucht und da­her ein­ge­klagt und ggf. so­gar im We­ge der Voll­stre­ckung bei­ge­trie­ben wer­den kann, ist der Wert der während der Ar­beits­lo­sig­keit fort­be­ste­hen­den Kran­ken- und Ren­ten­ver­si­che­rung dem Ar­beits­lo­sen nicht in ei­ner sol­chen Wei­se d.h. in­di­vi­du­ell zu­ge­ord­net. Da­her fin­det auch ei­ne An­rech­nung des er­hal­te­nen Ar­beits­lo­sen­gel­des gemäß § 74c Abs.1 Satz 2 HGB nur bzgl. des fak­tisch bzw. „net­to“ er­hal­te­nen Ar­beits­lo­sen­gel­des statt.

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Letzte Überarbeitung: 17. September 2018

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