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ARBEITSRECHT
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ENTSCHEIDUNGSREPORT FÜR DIE BETRIEBLICHE PRAXIS 08|2024

Update Arbeitsrecht 08|2024 vom 17.04.2024

Entscheidungsbesprechungen

BAG: Vorlage von Bewerbungsunterlagen zur Unterrichtung des Betriebsrats bei Einstellungen

Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 13.12.2023, 1 ABR 28/22

Zur Vorlage von Bewerbungsunterlagen an den Betriebsrat im Rahmen von § 99 Abs.1 BetrVG genügt es, wenn dem Betriebsrat ein Einsichtsrecht in digitale Unterlagen gewährt wird und er die Möglichkeit hat, Notizen anzufertigen.

§ 99 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG)

Rechtlicher Hintergrund

Gemäß § 99 Abs.1 Satz 1 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) muss der Arbeitgeber in Unternehmen mit in der Regel mehr als zwanzig wahlberechtigten Arbeitnehmern den Betriebsrat vor jeder geplanten Einstellung unterrichten. 

Dabei muss er ihm die erforderlichen Bewerbungsunterlagen vorlegen, Auskunft über die Person des Bewerbers, den geplanten Arbeitsplatz und die vorgesehene Eingruppierung geben und ihn auch - unter Vorlage der erforderlichen Unterlagen - über die Auswirkungen der geplanten Einstellung informieren. 

Am Ende dieser umfassenden Unterrichtung steht die Bitte des Arbeitgebers, der Betriebsrat möge der geplanten Einstellung zustimmen. 

Verweigert der - korrekt unterrichtete - Betriebsrat die Zustimmung schriftlich innerhalb einer Woche sowie unter Berufung auf gesetzliche Gründe für eine Zustimmungsverweigerung, muss der Arbeitgeber die verweigerte Zustimmung durch das Arbeitsgericht ersetzen lassen, § 99 Abs.2 und Abs.4 BetrVG.

Fraglich ist, ob die Pflicht des Arbeitgebers zur Vorlage der „erforderlichen Bewerbungsunterlagen“ an den Betriebsrat so zu verstehen ist, dass die Unterlagen dem Betriebsrat zwingend in Papierform zur Verfügung zu stellen sind.

Nein, so das BAG in einer aktuellen Entscheidung.

Sachverhalt

Ein Unternehmen mit mehr als 20 wahlberechtigten Arbeitnehmern verwendete zur Verwaltung von Stellenausschreibungen eine Recruiting-Software. 

Das Programm verwaltete die Ausschreibungen und enthält ein Bewerberportal. Externe Bewerber mussten für die Teilnahme an einer Ausschreibung einen Account anlegen. Bewerbungen in Papierform wurden händisch in das Programm eingepflegt.

Die Mitglieder des in dem Betrieb bestehenden Betriebsrats verfügten über Laptops für ihre Betriebsratstätigkeit. 

Über laufende Bewerbungsverfahren konnten sie sich durch Einsicht in bestimmte Datenfelder des Recruiting-Programms informieren. Die Felder enthielten u.a. die persönlichen Angaben des Bewerbers, sein Anschreiben, seinen Lebenslauf sowie Zeugnisse und Zertifikate.

Im Frühjahr 2021 schrieb das Unternehmen die Stelle eines „Prozess- und Projektspezialisten Technik“ aus. Darauf gingen 33 externe Bewerbungen ein. Die Bewerbungsunterlagen wurden im Programm „Recruiting“ hinterlegt.

Im Juni 2021 bat die Geschäftsleitung den Betriebsrat um Zustimmung zu der beabsichtigten Einstellung von Herrn G. auf der o.g. Stelle zum 01.10.2021. 

Nachdem dem Betriebsrat Protokolle der Bewerbungsgespräche und die Stellenbeschreibung nachgereicht worden waren, verweigerte er die Zustimmung zu der geplanten Einstellung rechtzeitig sowie schriftlich unter Angabe von behaupteten Verweigerungsgründen.

Dabei berief er sich insbesondere auf den Verweigerungsgrund des § 99 Abs.2 Nr.3 BetrVG, d.h. auf die Besorgnis, dass infolge der Einstellung bereits beschäftigte Arbeitnehmer gekündigt werden oder sonstige Nachteile erleiden könnten. 

Anstelle der Einstellung eines Prozess- und Projektspezialisten Technik wäre es dem Betriebsrat lieber gewesen, der Arbeitgeber hätte einen Elektriker eingestellt. Für die bereits beschäftigten Elektriker befürchtete der Betriebsrat Mehrarbeit oder Arbeitsverdichtung.

Das Arbeitsgericht Halle wies den Antrag des Arbeitgebers auf Feststellung, dass die Zustimmung des Betriebsrats als erteilt gilt, zwar ab, gab aber dem Hilfsantrag auf Ersetzung der verweigerten Zustimmung statt (Beschluss vom 10.11.2021, 7 BV 71/21 NMB). 

Auch ein später eingereichter Antrag des Arbeitgebers, die - während des schwebenden Rechtstreits vorgenommene - vorläufige Einstellung Herrn G.s durch gerichtliche Feststellung als aus sachlichen Gründen dringend erforderlich zu erklären, hatte vor dem Arbeitsgericht Erfolg (Arbeitsgericht Halle, Beschluss vom 16.03.2022, 3 BV 84/21 NMB).

Die gegen die beiden Beschlüsse gerichteten Beschwerden des Betriebsrats wurden vom Landesarbeitsgericht (LAG) Sachsen-Anhalt zurückgewiesen (Beschluss vom 13.10.2022, 2 TaBV 1/22).

Entscheidung des BAG

Das BAG bestätigte die Entscheidung des LAG. Der vom Arbeitgeber gestellte Antrag auf Ersetzung der Zustimmung war begründet.

Die gerichtliche Zustimmungsersetzung gemäß § 99 Abs.4 BetrVG setzt eine ordnungsgemäße Unterrichtung des Betriebsrats gemäß § 99 Abs.1 Satz 1 BetrVG voraus. 

Eine korrekte Unterrichtung lag hier vor, so das BAG. Insbesondere kam das Unternehmen seiner Verpflichtung gemäß § 99 Abs.1 Satz 1 BetrVG nach, dem Betriebsrat die erforderlichen Bewerbungsunterlagen vorzulegen. 

Denn der Arbeitgeber war nicht verpflichtet, die ihm (nur) digital vorliegenden Bewerbungsunterlagen der 33 Bewerber in Papierform vorzulegen. Eine solche Pflicht lässt sich § 99 Abs.1 Satz 1 BetrVG nicht entnehmen. Dazu heißt es in dem Leitsatz der BAG-Entscheidung:

„Der Arbeitgeber, der den Bewerbungsprozess um eine ausgeschriebene Stelle mithilfe eines Softwareprogramms digital durchführt, genügt seiner Pflicht zur Vorlage der Bewerbungsunterlagen an den Betriebsrat, wenn er dessen Mitgliedern für die Dauer des Zustimmungsverfahrens nach § 99 Abs. 1 BetrVG ein auf die im Programm hinterlegten Bewerbungsunterlagen bezogenes – mithilfe von zur Verfügung gestellten Laptops jederzeit nutzbares – Einsichtsrecht gewährt und die Möglichkeit besteht, Notizen anzufertigen.“

Diese Voraussetzungen einer digitalen Einsichtnahme durch die Betriebsratsmitglieder lagen im Streitfall vor. Daher war der Betriebsrat ordnungsgemäß unterrichtet worden.

Im Übrigen lag das von ihm in Anspruch genommene Recht zur Verweigerung der Zustimmung gemäß § 99 Abs.2 Nr.3 BetrVG im Streitfall nicht vor, so das BAG. 

Denn das BAG konnte nicht erkennen, dass bzw. warum es für die bereits im Betrieb tätigen Elektriker infolge der streitigen Einstellung zu Mehrarbeit oder Arbeitsverdichtung kommen sollte.

Praxishinweis

Dem BAG ist zuzustimmen. Denn die zwischen den Parteien streitige Frage ist weniger, ob unter den Begriff der „Vorlage“ von Unterlagen im Sinne von § 99 Abs.1 Satz 1 BetrVG auch die Ermöglichung des digitalen Zugriffs auf digital vorhandene Bewerbungsunterlagen fällt. 

Vielmehr geht es darum, ob der Arbeitgeber verpflichtet ist, die ihm über ein Bewerberportal übersandten Bewerbungsunterlagen, über die er nur in digitaler Form verfügt, auszudrucken, um sie sodann dem Betriebsrat in Papierform zu überlassen.

Diese Frage hat das BAG zurecht verneint. Denn das Gesetz geht davon aus, dass der Arbeitgeber nur gehalten ist, die ihm selbst übermittelten („Original“-)Unterlagen dem Betriebsrat zur Einsichtnahme zu überlassen. Wenn Unterlagen dem Arbeitgeber aber nur in digitaler Form zur Verfügung stehen, muss auch der Betriebsrat damit leben.

Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 13.12.2023, 1 ABR 28/22

 

Handbuch Arbeitsrecht: Mitbestimmung in personellen Angelegenheiten

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