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ARBEITSRECHT AKTUELL // 12/250

Ur­laub nach Kün­di­gung

Die "vor­sorg­li­che" Ge­wäh­rung von Ur­laub trotz un­wirk­sa­mer Kün­di­gung ist künf­tig mög­li­cher­wei­se nicht mehr mög­lich: Bun­des­ar­beits­ge­richt, Ur­teil vom 13.12.2011, 9 AZR 420/10
Ausgestülpte leere Hosentasche mit Hand Ur­laub oh­ne Job und oh­ne Geld - kei­ne gu­ten Aus­sich­ten...

27.06.2012. Kün­digt der Ar­beit­ge­ber un­ter Ein­hal­tung der Kün­di­gungs­frist, kann er den Ar­beit­neh­mer un­ter An­rech­nung auf of­fe­nen Ur­laub von der Ar­beit frei­stel­len, um den Ur­laubs­an­spruch bis zur Be­en­di­gung des Ar­beits­ver­hält­nis­ses in Na­tur zu er­fül­len. Für die Ur­laubs­ta­ge, die mit der Frei­stel­lung er­le­digt sind, muss der Ar­beit­ge­ber dann kei­ne Ur­laubs­ab­gel­tung mehr zah­len.

Aber kann der Ar­beit­ge­ber auch dann, wenn die Wirk­sam­keit sei­ner Kün­di­gung im Streit ist, "vor­sorg­lich" für den Fall der Un­wirk­sam­keit sei­ner Kün­di­gung Ur­laub er­tei­len?

Dann könn­te der Ar­beit­ge­ber dem Ar­beit­neh­mer zum Bei­spiel zu­gleich mit ei­ner frist­lo­sen Kün­di­gung ei­ne vor­sorg­li­che Ur­laubs­ge­wäh­rung "rein­drü­cken", um für den Fall ei­ner Kün­di­gungs­schutz­kla­ge vor­zu­sor­gen: Stellt sich näm­lich spä­ter durch ei­ne Kün­di­gungs­schutz­kla­ge her­aus, dass die Kün­di­gung un­wirk­sam war, muss der Ar­beit­ge­ber für die Zeit des un­be­rech­tig­ten Raus­wurfs den Lohn nach­be­zah­len (§ 615 Bür­ger­li­ches Ge­setz­buch - BGB). Wenn er zu­sam­men mit der Kün­di­gung Ur­laub ge­währt hat, hat die­se Nach­zah­lung zu­min­dest den Nutz­ef­fekt, dass Ur­laubs­an­sprü­che er­füllt sind.

Schön für den Ar­beit­ge­ber, un­schön für den ge­kün­dig­ten Ar­beit­neh­mer, denn wer fährt schon gern oh­ne Ar­beits­ver­hält­nis und da­mit oh­ne Geld in den Ur­laub? In ei­ner ak­tu­el­len Ent­schei­dung deu­tet das Bun­des­ar­beits­ge­richt (BAG) an, dass es sei­ne Recht­spre­chung zu die­ser Fra­ge mög­li­cher­wei­se än­dern und "vor­sorg­li­chen" Be­ur­lau­bun­gen künf­tig ei­nen Rie­gel vor­schie­ben wird: BAG, Ur­teil vom 13.12.2011, 9 AZR 420/10.

Ur­laub gewähren trotz Kündi­gung - geht das?

Ob ei­ne Kündi­gung wirk­sam ist oder nicht, ist oft un­klar, je­den­falls wenn über die Wirk­sam­keit der Kündi­gung vor Ge­richt ge­strit­ten wird. Die­se Un­si­cher­heit blen­det das BAG beim The­ma Ur­laub aber kom­plett aus. Der Ur­laub ent­steht und verfällt auch nach ei­ner un­wirk­sa­men Kündi­gung, als wäre nichts ge­we­sen.

Wenn sich die Kündi­gung später als un­wirk­sam her­aus­stellt, muss sich der Ar­beit­neh­mer vor­hal­ten las­sen, er hätte sei­nen Ur­laub doch ver­lan­gen können - von ei­nem Ar­beit­ge­ber, der lan­ge Zeit stur (und zu Un­recht!) be­haup­tet hat, es bestünde gar kein Ar­beits­verhält­nis mehr.

Die Recht­spre­chung des BAG führt da­zu, dass sich Ar­beit­ge­ber bei um­strit­te­nen Kündi­gun­gen nach Ab­lauf der Kündi­gungs­frist wi­dersprüchlich ver­hal­ten können. Im Hin­blick auf die Pflicht zur Beschäfti­gung und Lohn­zah­lung können sie auf dem Stand­punkt ste­hen, es ge­be kein Ar­beits­verhält­nis mehr. Trotz­dem dürfen Ar­beit­ge­ber Ur­laub gewähren - ob­wohl doch Ur­laub ei­ne Be­frei­ung von der Ar­beits­pflicht be­wirkt und da­mit ein Ar­beits­verhält­nis vor­aus­setzt.

Ar­beit­neh­mer müssen da­mit le­ben, dass ih­nen ihr Ur­laub während ei­nes stres­si­gen Kündi­gungs­schutz­ro­zes­ses gewährt wird - und mit der Ar­beits­lo­sog­keit im Na­cken.

Neu­er­dings fin­det das BAG die­se Recht­spre­chung selbst et­was merkwürdig.

BAG: Gewährung von Ur­laub trotz un­wirk­sa­mer Kündi­gung ist künf­tig (viel­leicht) nicht mehr möglich.

In dem vom BAG ent­schie­de­nen Fall war ei­ne Buch­hal­te­rin En­de No­vem­ber 2005 ent­las­sen wor­den und hat­te da­ge­gen Kündi­gungs­schutz­kla­ge er­ho­ben. Nach­dem ihr das Ar­beits­ge­richt im Som­mer 2007 recht ge­ge­ben hat­te, ver­lang­te sie erst­mals En­de 2007 Ur­laubs­ab­gel­tung für 2005 und 2006. Während der Kündi­gungs­schutz­kla­ge hat­te sie kei­nen Ur­laub ver­langt und der Ar­beit­ge­ber hat­te kei­nen Ur­laub gewährt.

Mit ih­rer Kla­ge auf Ur­laubs­ab­gel­tung für 2005 und 2006 hat­te sie beim Lan­des­ar­beits­ge­richt Nürn­berg Er­folg (Ur­teil vom 09.03.2010, 7 Sa 220/10). Das BAG al­ler­dings stell­te fest, dass der Ur­laub ver­fal­len war, da die Buch­hal­te­rin ihn be­reits 2006 und spätes­tens im ers­ten Quar­tal 2007 hätte gel­tend ma­chen können.

Da­bei denkt das BAG aber laut darüber nach, ob es künf­tig noch an sei­ner Recht­spre­chung fest­hal­ten wird, der zu­fol­ge der Ar­beit­ge­ber auch in ei­nem un­wirk­sam gekündig­ten Ar­beits­verhält­nis Ur­laub er­tei­len kann. Denn im­mer­hin gerät der Ar­beit­ge­ber, so das BAG,

"durch Aus­spruch ei­ner rechts­un­wirk­sa­men Kündi­gung in An­nah­me­ver­zug, da er dem Ar­beit­neh­mer bei ei­ner or­dent­li­chen Kündi­gung mit Ab­lauf der Kündi­gungs­frist die Ar­beitsmöglich­keit ent­zieht (...). Es spricht ei­ni­ges dafür, die­se Grundsätze künf­tig auch für die Kehr­sei­te der Ar­beits­pflicht, nämlich die Be­frei­ung hier­von durch Ur­laubs­gewährung an­zu­wen­den."

Fa­zit: Im vor­lie­gen­den Fall hat­te die Ar­beit­neh­me­rin Pech ge­habt, da das BAG ih­ren Fall noch auf der Grund­la­ge sei­ner bis­he­ri­gen Recht­spre­chung ent­schie­den hat. Si­cher­heits­hal­ber soll­ten gekündig­te Ar­beit­neh­mer auch wei­ter­hin ge­gen Jah­res­en­de Ur­laub ver­lan­gen. Mit ei­ner Kündi­gung plus "vor­sorg­li­chen" Ur­laubs­gewährung können Ar­beit­ge­ber künf­tig aber vor Ge­richt mögli­cher­wei­se nicht mehr durch­kom­men, falls das BAG sei­ne Recht­spre­chung ändern soll­te.

Das wäre auch rich­tig, denn ein "vor­sorg­li­cher Ur­laub trotz Kündi­gung" ist im Grun­de ei­ne Wi­der­spruch in sich und dient nur dem Ziel, die An­nah­me­ver­zugs­kos­ten des Ar­beit­ge­bers zu be­gren­zen. Die­se Kos­ten muss er aber bei ei­ner un­wirk­sa­men Kündi­gung tra­gen.

Nähe­re In­for­ma­tio­nen fin­den Sie hier:

Hin­weis: Mit Ur­teil vom 10.02.2015 (9 AZ 455/13) hat das Bun­des­ar­beits­ge­richt (BAG) sei­ne Recht­spre­chung zu die­ser Fra­ge wie an­gekündigt zu­guns­ten des Ar­beit­neh­mers geändert. Hin­wei­se zu die­sem Ur­teil fin­den Sie hier:

Letzte Überarbeitung: 4. Juni 2019

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