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ARBEITSRECHT AKTUELL // 12/264

Bei Streik kein Lohn - auch nach un­wirk­sa­mer Ar­beit­ge­ber­kün­di­gung

Er­klärt der Ar­beit­ge­ber ei­ne un­wirk­sa­me Kün­di­gung, muss er kei­nen An­nah­me­ver­zugs­lohn zah­len, wenn der ge­kün­dig­te Ar­beit­neh­mer streikt: Bun­des­ar­beits­ge­richt, Ur­teil vom 17.07.2012, 1 AZR 563/11
Zwei Stiefel mit darauf gesetztem Arbeitshelm Auch nach ei­ner frist­lo­sen Kün­di­gung kann man strei­ken.

21.07.2012. Wer sich an ei­nem recht­mä­ßi­gen Streik be­tei­ligt, muss ar­beits­recht­li­che Kon­se­quen­zen wie Ab­mah­nung oder ver­hal­tens­be­ding­te Kün­di­gung nicht be­fürch­ten - je­den­falls theo­re­tisch. An­de­rer­seits ist klar, dass man für die Dau­er der Streik­teil­nah­me kei­nen An­spruch auf Lohn bzw. Ge­halt hat: Strei­ken­de Ar­beit­neh­mer ver­lie­ren für die Dau­er des Streiks ih­ren An­spruch auf Be­zah­lung.

Aber gilt das auch in dem Son­der­fall, dass sich ein un­wirk­sam ge­kün­dig­ter Ar­beit­neh­mer an ei­nem Streik be­tei­ligt? Im­mer­hin ge­rät der Ar­beit­ge­ber durch den Aus­spruch ei­ner un­wirk­sa­men Kün­di­gung in An­nah­me­ver­zug. Und das be­deu­tet nor­ma­ler­wei­se, dass er den An­nah­me­ver­zugs­lohn für die Zeit des von ihm ver­ur­sach­ten Ar­beits­aus­falls be­zah­len muss.

Trotz­dem ist der Ar­beit­ge­ber in ei­nem sol­chen Fall nicht zur Lohn­zah­lung ver­pflich­tet, wie das Bun­des­ar­beits­ge­richt (BAG) in ei­nem die­se Wo­che ent­schie­de­nen Fall klar­ge­stellt hat: BAG, Ur­teil vom 17.07.2012, 1 AZR 563/11.

Was geht vor - die Teil­nah­me an ei­nem Streik oder ei­ne un­wirk­sa­me Kündi­gung?

Dass man während ei­nes Streiks kein Geld be­kommt, ist klar. An­de­rer­seits behält man sei­nen Lohn­an­spruch, wenn man in­fol­ge ei­ner un­wirk­sa­men Kündi­gung nicht ar­bei­ten kann. Denn für ei­ne un­wirk­sa­me Kündi­gung und den dar­aus fol­gen­den Ar­beits­aus­fall ist der Ar­beit­ge­ber ver­ant­wort­lich.

Aber was ist, wenn bei­des zu­sam­men­trifft - Streik und un­wirk­sa­me Kündi­gung? Be­fin­det sich der Ar­beit­ge­ber auch dann im An­nah­me­ver­zug und muss er dem­ent­spre­chend An­nah­me­ver­zugs­lohn zah­len oder gilt die Re­gel, dass der Ar­beit­neh­mer für die Dau­er ei­ner Streik­teil­nah­me kei­nen Lohn be­an­spru­chen kann? Mit an­de­ren Wor­ten: Was geht vor, Streik oder un­wirk­sa­me Kündi­gung?

Für den Fall des Zu­sam­men­tref­fens von Krank­heit und Streik so­wie von Ur­laub und Streik gibt es be­reits Ent­schei­dun­gen des BAG, de­nen zu­fol­ge sich Ar­beit­neh­mer auch während ei­ner Krank­heit oder während ei­nes Ur­laubs an ei­nem Streik be­tei­li­gen können und dann kei­ne Ent­gelt­fort­zah­lung im Krank­heits­fall bzw. kein Ur­laubs­ent­gelt ver­lan­gen können. Denn an ei­nem Streik teil­neh­men können auch er­krank­te und be­ur­laub­te Ar­beit­neh­mer, in­dem sie zu Streik­ver­samm­lun­gen ge­hen oder in an­de­rer Wei­se zu er­ken­nen ge­ben, dass sie beim Streik mit­ma­chen wol­len.

An­ders als bei Krank­heit oder Ur­laub be­ruht der Ar­beits­aus­fall in­fol­ge ei­ner un­wirk­sa­men Kündi­gung al­ler­dings al­lein auf ei­ner Ent­schei­dung des Ar­beit­ge­bers, so dass man hier ar­gu­men­tie­ren könn­te, dass ei­ne Streik­teil­nah­me nach Aus­spruch ei­ner sol­chen Kündi­gung nichts am An­nah­me­ver­zug des Ar­beit­ge­bers ändert. Dann müss­te er auch den An­nah­me­ver­zugs­lohn zah­len - Streik hin, Streik her.

Der Streit­fall: Nicht ta­rif­ge­bun­des Bau­un­ter­neh­men wehrt sich mit rechts­wid­ri­gen Kündi­gun­gen ge­gen Be­triebs­rats­gründung und Fir­men­ta­rif

In dem vom BAG ent­schie­de­nen Fall wehr­te sich ein nicht ta­rif­ge­bun­des Bau­un­ter­neh­men in ziem­lich ra­bia­ter Wei­se ge­gen die Gründung ei­nes Be­triebs­rats und ge­gen Ver­hand­lun­gen über ei­nen Fir­men­ta­rif­ver­trag: Kurz nach­dem die IG Bau An­fang April 2010 die Auf­nah­me von Ta­rif­ver­hand­lun­gen ver­langt hat­te, sprach das Un­ter­neh­men ei­ni­ge Kündi­gun­gen aus, die sich ge­gen die Ar­beit­neh­mer rich­te­ten, die an der Be­triebs­rats­wahl be­tei­ligt wa­ren und/oder in der ge­werk­schaft­li­chen Ta­rif­kom­mis­si­on saßen.

Ei­ne Ar­beit­neh­me­rin, die an der Be­triebs­rats­gründung und den Ta­rif­ver­hand­lun­gen ak­tiv be­tei­ligt war, er­hielt am 09.04.2010 die or­dent­li­che Kündi­gung und wur­de per so­fort von der Ar­beit frei­ge­stellt. Ab dem 13.04.2010 wur­de der Be­trieb be­streikt, und auch die gekündig­te Ar­beit­neh­me­rin be­tei­lig­te sich am Streik. Im Ver­lauf des Streiks, am 22.04.2010, er­hielt sie ei­ne wei­te­re frist­lo­se Kündi­gung. Al­le vom Ar­beit­ge­ber aus­ge­spro­che­nen Kündi­gun­gen wur­den vom zuständi­gen Ar­beits­ge­richt Her­ford Mit­te Ju­li 2010 für un­wirk­sam erklärt.

Dar­auf­hin ver­lang­te die Ar­beit­neh­me­rin vom Ar­beit­ge­ber An­nah­me­ver­zugs­lohn für die Zeit zwi­schen der frist­lo­sen Kündi­gung und der Wie­der­auf­nah­me der Ar­beit Mit­te Ju­li 2010. Aus ih­rer Sicht trug al­lein der Ar­beit­ge­ber die Ver­ant­wor­tung dafür, dass sie während die­ser Zeit nicht ar­bei­ten konn­te. Das Ar­beits­ge­richt Her­ford (Ur­teil vom 15.12.10.2010, 2 Ca 1113/10) und das Lan­des­ar­beits­ge­richt (LAG) Hamm wie­sen die Kla­ge ab (LAG Hamm, Ur­teil vom 19.05.2011, 8 Sa 155/11). Denn aus ih­rer Sicht war die Streik­teil­nah­me der Kläge­rin ge­genüber der un­wirk­sa­men frist­lo­sen Kündi­gung recht­lich vor­ran­gig.

BAG: Erklärt der Ar­beit­ge­ber ei­ne un­wirk­sa­me Kündi­gung, muss er kei­nen An­nah­me­ver­zugs­lohn zah­len, wenn der gekündig­te Ar­beit­neh­mer streikt

Die­ser Mei­nung hat sich auch das BAG an­ge­schlos­sen. Die Ar­beit­neh­me­rin zog da­her mit ih­rer Lohn­kla­ge in al­len drei In­stan­zen den Kürze­ren. Zur Be­gründung heißt es in der der­zeit al­lein vor­lie­gen­den Pres­se­mit­tei­lung des BAG:

Auf­grund des Ur­teils, das der Kündi­gungs­schutz­kla­ge statt­gab, steht zwar fest, dass das Ar­beits­verhält­nis der Kläge­rin auch während der Dau­er des Streiks be­stan­den hat­te. Dem­nach könn­te die Ar­beit­neh­me­rin im Prin­zip An­nah­me­ver­zugs­lohn gemäß § 615 Satz 1 Bürger­li­ches Ge­setz­buch (BGB) ver­lan­gen. Al­ler­dings war sie we­gen ih­rer Streik­teil­nah­me leis­tungs­un­wil­lig im Sin­ne von § 297 BGB, so das BAG. Die­ser feh­len­de Leis­tungs­wil­le schließt den An­spruch auf An­nah­me­ver­zugs­lohn im Er­geb­nis wie­der aus.

Fa­zit: Erhält ein Ar­beit­neh­mer ei­ne un­wirk­sa­me frist­lo­se Kündi­gung und er­hebt da­ge­gen mit Er­folg Kündi­gungs­schutz­kla­ge, steht ihm für die Zeit vom Zu­gang der Kündi­gung bis zur Verkündung des Ur­teils, das die Un­wirk­sam­keit der Kündi­gung fest­stellt, kein An­nah­me­ver­zugs­lohn zu, wenn er während die­ser Zeit an ei­nem Streik be­tei­ligt.

Da­mit gilt für das Zu­sam­men­tref­fen von Streik­teil­nah­me und un­wirk­sa­mer Kündi­gung das­sel­be was auch für das Zu­sam­men­tref­fen von Streik und Ur­laub so­wie von Streik und Krank­heit gilt: Wer nach außen zu er­ken­nen gibt, dass er sich den strei­ken­den Kol­le­gen an­sch­ließt, kann kei­ne Be­zah­lung ver­lan­gen.

Nähe­re In­for­ma­tio­nen fin­den Sie hier:

Hin­weis: In der Zwi­schen­zeit, d.h. nach Er­stel­lung die­ses Ar­ti­kels, hat das Ge­richt sei­ne Ur­teils­gründe veröffent­licht. Das vollständi­ge be­gründe­te Ur­teil fin­den Sie hier:

Letzte Überarbeitung: 5. Juni 2020

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