HENSCHE RECHTSANWÄLTE, FACHANWALTSKANZLEI FÜR ARBEITSRECHT

ARBEITSRECHT AKTUELL // 13/304

Be­grün­dung ei­ner Ver­dachts­kün­di­gung mit nach­träg­lich be­kannt ge­wor­de­nen Ver­dachts­mo­men­ten

Der Ar­beit­ge­ber kann im Kün­di­gungs­schutz­pro­zess Kün­di­gungs­grün­de, die erst nach Aus­spruch ei­ner Ver­dachts­kün­di­gung be­kannt wur­den, nach­schie­ben: Bun­des­ar­beits­ge­richt, Ur­teil vom 23.05.2013, 2 AZR 102/12
Kri­mi­nell oder "nur" ver­däch­tig?

23.10.2013. Wer sei­nen Ar­beit­ge­ber be­trügt oder be­stiehlt, ris­kiert ei­ne frist­lo­se Kün­di­gung aus ver­hal­tens­be­ding­ten Grün­den.

Da Ar­beit­ge­ber sol­che Vor­wür­fe meist nicht hieb- und stich­fest be­wei­sen kön­nen, las­sen es die Ar­beits­ge­rich­te aus­rei­chen, wenn der drin­gen­de Ver­dacht ei­nes kri­mi­nel­len Ver­hal­tens be­steht.

Ei­ne Ver­dachts­kün­di­gung ist aber nur zu­läs­sig, wenn der be­trof­fe­ne Ar­beit­neh­mer vor Aus­spruch der Kün­di­gung zu den Ver­dachts­mo­men­ten an­ge­hört wur­de.

In ei­nem vor kur­zem ver­öf­fent­lich­ten Ur­teil hat das Bun­des­ar­beits­ge­richt (BAG) ent­schie­den, dass ei­ne er­neu­te for­mel­le An­hö­rung des Ar­beit­neh­mers nicht er­for­der­lich ist, wenn der Ar­beit­ge­ber ei­ne Ver­dachts­kün­di­gung be­reits aus­ge­spro­chen hat und sich vor Ge­richt auf Ver­dachts­mo­men­te stützt, die zum Kün­di­gungs­zeit­punkt zwar vor­la­gen, ihm da­mals aber noch nicht be­kannt wa­ren: BAG, Ur­teil vom 23.05.2013, 2 AZR 102/12.

Was muss der Ar­beit­ge­ber be­ach­ten, wenn er im Kündi­gungs­schutz­pro­zess Gründe für ei­ne Ver­dachtskündi­gung nach­schiebt?

Ver­dachtskündi­gun­gen wer­den meist als ab­si­chern­de Ergänzung ei­ner ver­hal­tens­be­ding­ten Kündi­gung aus­ge­spro­chen: Kann der Ar­beit­ge­ber im Kündi­gungs­schutz­pro­zess nicht be­wei­sen, dass der Ar­beit­neh­mer die ihm vor­ge­wor­fe­nen Pflicht­verstöße be­gan­gen hat, könn­te nach An­sicht des Ge­richts trotz­dem ein drin­gen­der Tat­ver­dacht be­ste­hen, der ei­ne Ver­dachtskündi­gung recht­fer­tigt.

Ob­wohl außer­or­dent­li­che und frist­lo­se Kündi­gun­gen da­her meist als "Dop­pel­schlag" aus­ge­spro­chen wer­den, d.h. als Tatkündi­gung und "hilfs­wei­se" als Ver­dachtskündi­gung, sind Tat- und Ver­dachtskündi­gung recht­lich ge­se­hen grund­ver­schie­den:

Ei­ne ver­hal­tens­be­ding­te Tatkündi­gung be­ruht auf ei­nem (er­wie­se­nen) Pflicht­ver­s­toß. Da­her ist in der Re­gel ei­ne vor­he­ri­gen er­folg­lo­se Ab­mah­nung er­for­der­lich. Denn nur dann steht fest, dass der Ar­beit­neh­mer sein (steu­er­ba­res) Fehl­ver­hal­ten trotz kla­rer War­nun­gen nicht ab­stellt.

Im Un­ter­schied da­zu be­ruht ei­ne Ver­dachtskündi­gung dar­auf, dass der Ar­beit­neh­mer "nicht mehr trag­bar" ist, weil er un­ter dem drin­gen­den Ver­dacht steht, ei­nen er­heb­li­chen Pflicht­ver­s­toß be­gan­gen zu ha­ben. Auf­grund des Ver­dachts ist es dem Ar­beit­ge­ber nicht mehr zu­zu­mu­ten, das Ar­beits­verhält­nis fort­zuführen. Da­her ist ei­ne Ver­dachtskündi­gung ein Un­ter­fall ei­ner per­so­nen­be­ding­ten Kündi­gung: Für den Ver­dacht, un­ter dem man steht, kann man nichts, so dass ei­ne vor­he­ri­ge Ab­mah­nung kei­ne Vor­aus­set­zun­gen für ei­ne Ver­dachtskündi­gung ist.

Soll ein Ar­beit­neh­mer trotz mögli­cher­wei­se be­ste­hen­der Un­schuld (!) sei­nen Ar­beits­platz durch ei­ne Ver­dachtskündi­gung ver­lie­ren, müssen statt ei­ner Ab­mah­nung zwei an­de­re Vor­aus­set­zun­gen ge­ge­ben sein: Der Ar­beit­ge­ber muss den Ar­beit­neh­mer vor Aus­spruch der Ver­dachtskündi­gung zu den Ver­dachts­mo­men­ten an­gehört ha­ben, d.h. der Ar­beit­neh­mer muss vor­ab ei­ne fai­re (ech­te) Chan­ce ha­ben, die Ver­dachts­mo­men­te zu ent­kräften. Außer­den muss der nach der Anhörung fort­be­ste­hen­de Ver­dacht "drin­gend" sein.

Hat der Ar­beit­neh­mer ge­gen ei­ne Ver­dachtskündi­gung Kündi­gungs­schutz­kla­ge er­ho­ben, wird der Ar­beit­ge­ber nach Bestäti­gun­gen sei­nes Ver­dachts su­chen, und manch­mal tau­chen da­bei neue be­las­ten­de Tat­sa­chen auf. La­gen die­se Tat­sa­chen schon zum Zeit­punkt der Kündi­gung vor, nur dass der Ar­beit­ge­ber da­von zum Kündi­gungs­zeit­punkt nichts wuss­te, kann er sie nach der Recht­spre­chung des BAG im Pro­zess "nach­schie­ben", d.h. er kann sich auf die­se nachträglich be­kannt ge­wor­de­nen be­las­ten­den Tat­sa­chen im Kündi­gungs­schutz­pro­zess be­ru­fen.

Aber muss er den Ar­beit­neh­mer zu­vor noch ein­mal zu die­sen nachträglich zu­ta­ge ge­tre­te­nen Ver­dachts­mo­men­ten anhören?

Der Streit­fall: Ver­triebs­lei­ter im Außen­dienst steht im Ver­dacht, sein pri­va­tes Haus heim­lich auf Kos­ten des Ar­beit­ge­bers aus­ge­baut zu ha­ben

Im Streit­fall verdäch­tig­te ein bun­des­weit täti­ger Tank­stel­len­be­trei­ber ei­ne im Außen­dienst täti­ge Führungs­kraft, zu­sam­men mit an­de­ren Ar­beit­neh­mern betrüge­ri­sche Auf­träge zu­las­ten des Ar­beit­ge­bers ver­ge­ben zu ha­ben.

Der Ar­beit­ge­ber sprach da­her im Ok­to­ber 2010 nach vor­he­ri­ger Ab­mah­nung ei­ne Ver­dachtskündi­gung, doch wa­ren die dem Ar­beit­ge­ber da­mals be­kann­ten Ver­dachts­mo­men­te zu "dünn". Im we­sent­li­chen konn­te der Ar­beit­ge­ber nur nach­wei­sen, dass der Ar­beit­neh­mer auf sei­nem Fir­men­lap­top ge­spei­cher­te Da­ten un­wie­der­bring­lich gelöscht hat­te. Das Ar­beits­ge­richt Elms­horn gab der Kündi­gungs­schutz­kla­ge da­her statt (Ur­teil vom 13.01.2011, 3 Ca 1526 d/10).

Erst in der Be­ru­fungs­in­stanz vor dem Lan­des­ar­beits­ge­richt (LAG) Schles­wig-Hol­stein konn­te der Ar­beit­ge­ber auf­grund der ihm in­zwi­schen vor­lie­gen­den Er­mitt­lungs­er­geb­nis­se der Staats­an­walt­schaft nach­wei­sen, dass be­reits im Jah­re 2009 und da­mit vor Aus­spruch der Kündi­gung Ter­ras­sen­plat­ten im Wert von 2.056,32 EUR, die ei­ne Bau­fir­ma dem Ar­beit­ge­ber für ei­nen an­geb­li­chen Tank­stel­len­bau in Rech­nung ge­stellt hat­te, an die Wohn­an­schrift des Ar­beit­neh­mers ge­lie­fert und dort ver­baut wor­den wa­ren.

Auf die­se neu zu­ta­ge ge­tre­te­nen Ver­dachts­mo­men­te be­rief sich der Ar­beit­ge­ber vor dem LAG, oh­ne den Ar­beit­neh­mer da­zu er­neut an­zuhören. Dar­auf­hin ent­schied das LAG zu­guns­ten des Ar­beit­ge­bers (LAG Schles­wig-Hol­stein, Ur­teil vom 31.08.2011, 3 Sa 29/11)

BAG: Be­ruft sich der Ar­beit­ge­ber im Pro­zess auf neu zu­ta­ge ge­tre­te­ne Ver­dachts­mo­men­te, braucht er den Ar­beit­neh­mer da­zu nicht an­zuhören

Das BAG hielt die strei­ti­ge Kündi­gung eben­falls für rech­tens und wies die Re­vi­si­on des Ar­beit­neh­mers zurück.

Denn wenn der Ar­beit­ge­ber nur "ver­dachts­erhärten­de" neue Tat­sa­chen vorträgt, ist ei­ne vor­he­ri­ge Anhörung des Ar­beit­neh­mers nicht er­for­der­lich, weil er zu dem ei­gent­li­chen Kündi­gungs­vor­wurf be­reits an­gehört wor­den ist.

Aber auch dann, wenn der Ar­beit­ge­ber neue Tat­sa­chen vor­bringt, die den Ver­dacht ei­ner wei­te­ren Pflicht­ver­let­zung be­gründen, ist ei­ne er­neu­te Anhörung des Ar­beit­neh­mers nicht nötig. Ei­ne Anhörung ist nur vor Aus­spruch ei­ner Kündi­gung sinn­voll, da Anhörun­gen un­be­rech­tig­te Kündi­gun­gen ver­hin­dern sol­len. Ist die Kündi­gung ein­mal aus­ge­spro­chen, sind die Rech­te des Ar­beit­neh­mers da­durch aus­rei­chend ge­si­chert, dass er sich zu die­sen neu­en Ver­dachts­mo­men­ten im Pro­zess erklären kann.

Fa­zit: Erfährt der Ar­beit­ge­ber erst­mals nach Aus­spruch ei­ner Ver­dachtskündi­gung von Ver­dachts­mo­men­ten, die be­reits vor Aus­spruch der Kündi­gung vor­la­gen, kann er sich im Kündi­gungs­schutz­pro­zess auf die­se Ver­dachts­mo­men­te be­ru­fen, oh­ne den Ar­beit­neh­mer da­zu for­mell er­neut an­zuhören.

Al­ler­dings soll­te der Ar­beit­ge­ber ei­ne sol­che nachträgli­che Anhörung im­mer ge­genüber dem Be­triebs­rat vor­neh­men, d.h. der Be­triebs­rat ist zu nachträglich be­kannt ge­wor­de­nen Kündi­gungs­gründen in ent­spre­chen­der An­wen­dung von § 102 Be­triebs­ver­fas­sungs­ge­setz (Be­trVG) nachträglich an­zuhören. Auch der Be­triebs­rat kann bei ei­ner sol­chen nachträgli­chen Anhörung zwar nicht mehr auf die Kündi­gungs­ent­schei­dung Ein­fluss neh­men (denn die Kündi­gung ist ja be­reits aus­ge­spro­chen), aber er kann im­mer­hin Ge­sichts­punk­te zu­guns­ten des Ar­beit­neh­mers auf­zei­gen. Und da er nicht am Pro­zess be­tei­ligt ist, muss er nachträglich "of­fi­zi­ell" an­gehört wer­den.

Nähe­re In­for­ma­tio­nen fin­den Sie hier:

Letzte Überarbeitung: 30. Oktober 2018

Weitere Auskünfte erteilen Ihnen gern:

Dr. Martin Hensche
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Kontakt:
030 / 26 39 620
hensche@hensche.de
Christoph Hildebrandt
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Kontakt:
030 / 26 39 620
hildebrandt@hensche.de
Nina Wesemann
Rechtsanwältin
Fachanwältin für Arbeitsrecht

Kontakt:
040 / 69 20 68 04
wesemann@hensche.de

Bewertung:

Auf Facebook teilen Auf Google+ teilen Ihren XING-Kontakten zeigen Beitrag twittern

 

Für Personaler, betriebliche Arbeitnehmervertretungen und andere Arbeitsrechtsprofis: "Update Arbeitsrecht" bringt Sie regelmäßig auf den neusten Stand der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung. Informationen zu den Abo-Bedingungen und ein kostenloses Ansichtsexemplar finden Sie hier:

Alle vierzehn Tage alles Wichtige
verständlich / aktuell / praxisnah

HINWEIS: Sämtliche Texte dieser Internetpräsenz mit Ausnahme der Gesetzestexte und Gerichtsentscheidungen sind urheberrechtlich geschützt. Urheber im Sinne des Gesetzes über Urheberrecht und verwandte Schutzrechte (UrhG) ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht Dr. Martin Hensche, Lützowstraße 32, 10785 Berlin.

Wörtliche oder sinngemäße Zitate sind nur mit vorheriger schriftlicher Genehmigung des Urhebers bzw. bei ausdrücklichem Hinweis auf die fremde Urheberschaft (Quellenangabe iSv. § 63 UrhG) rechtlich zulässig. Verstöße hiergegen werden gerichtlich verfolgt.

© 1997 - 2024:
Rechtsanwalt Dr. Martin Hensche, Berlin
Fachanwalt für Arbeitsrecht
Lützowstraße 32, 10785 Berlin
Telefon: 030 - 26 39 62 0
Telefax: 030 - 26 39 62 499
E-mail: hensche@hensche.de