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Ordentliche fristgemäße Verdachtskündigung?
15.02.2014. Wer seinen Arbeitgeber bestiehlt oder betrügt, riskiert eine außerordentliche fristlose Kündigung, denn ein so schwerer Pflichtverstoß zerstört das Vertrauen des Arbeitgebers in die Zuverlässigkeit seines Arbeitnehmers.
Aber auch dann, wenn der Arbeitgeber "nur" einen dringenden Verdacht eines solchen Pflichtverstoßes hegt, ist eine Kündigung möglich, nämlich als Verdachtskündigung.
Der Grund für die Kündigung ist dann nicht der (nicht bewiesene) Pflichtverstoß ("Tatkündigung"), sondern die Unzumutbarkeit der Fortführung des Arbeitsverhältnisses mit einem Arbeitnehmer, auf dessen Person ein schlimmer Verdacht lastet.
In einer aktuellen Entscheidung hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) bekräftigt, dass sich Verdachtskündigungen auf einen (wahrscheinlichen) Pflichtverstoß beziehen müssen, der - wenn er bewiesen wäre - einen "wichtigen Grund" für eine außerordentliche und fristlose Kündigung darstellen würde. Würde der (wahrscheinliche) Pflichtverstoß dagegen nur eine ordentliche verhaltensbedingte Kündigung rechtfertigen (wenn er beweisbar wäre), ist eine darauf gestützte ordentliche Verdachtskündigung nicht zulässig: BAG, Urteil vom 21.11.2013, 2 AZR 797/11.
- Ordentliche fristgemäße Verdachtskündigung in minder schweren Fällen eines Verdachts - geht das?
- Der Streitfall: Langjährig beschäftigte Verkäuferin eines Getränkemarkts entnimmt einige Münzen aus der "Klüngelkasse"
- BAG: Bei einer Verdachtskündigung müssen die Voraussetzungen für eine außerordentliche fristlose Kündigung vorliegen
Ordentliche fristgemäße Verdachtskündigung in minder schweren Fällen eines Verdachts - geht das?
Viele verhaltensbedingte Kündigungen werden als außerordentliche und fristlose Kündigungen ausgesprochen. Dafür braucht der Arbeitgeber einen "wichtigen Grund" im Sinne von § 626 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), d.h. einen Pflichtverstoß, der so erheblich ist, dass ihm das Abwarten der Kündigungsfrist nicht zuzumuten wäre. Pflichtverstöße dieses Kalibers sind z.B. Vermögensdelikte, Tätlichkeiten oder (grobe) Beleidigungen.
Ist der Pflichtverstoß weniger schwerwiegend, wäre eine fristlose Kündigung unverhältnismäßig und daher unwirksam. Dann kann der Arbeitgeber immer noch eine ordentliche verhaltensbedingte Kündigung erklären, d.h. dem Arbeitnehmer die Kündigungsfrist lassen. Pflichtverstöße dieser Größenordnung sind z.B. wiederholte und bereits erfolglos abgemahnte Unpünktlichkeit oder Schlamperei.
Lässt sich der gegen den Arbeitnehmer erhobene Vorwurf im Kündigungsschutzverfahren nicht hieb- und stichfest beweisen, sind die damit begründeten verhaltensbedingten Kündigungen unwirksam.
Daher sichern Arbeitgeber fristlose und ordentliche verhaltensbedingte Kündigung oft dadurch ab, dass sie ergänzende Verdachtskündigungen aussprechen. Denn ist der Pflichtverstoß extrem wahrscheinlich, nur vor Gericht nicht hundertprozentig beweisbar, und hatte der Arbeitnehmer vor der Kündigung Gelegenheit, die Verdachtsmomente zu entkräften (Anhörung), kann der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis per Verdachtskündigung beenden. Denn der Arbeitgeber ist kein Staatsanwalt, der mit einem Freispruch des Angeklagten leben können sollte, sondern Vertragspartner eines auf gegenseitigem Vertrauen basierenden Vertragsverhältnisses.
Daher sprechen juristisch gut informierte Arbeitgeber in Reaktion auf schwere Pflichtverstöße meist vier Kündigungen aus, nämlich
- eine außerordentliche und fristlose Kündigung wegen des aus Sicht des Arbeitgebers nachweisbaren Pflichtverstoßes (fristlose verhaltensbedingte Tatkündigung),
- hilfsweise für den Fall der Unwirksamkeit von Kündigung Nr.1.) eine außerordentliche und fristlose Verdachtskündigung wegen des aus Sicht des Arbeitgebers dringenden Verdachts, der auf dem Arbeitnehmer lastet (fristlose Verdachtskündigung)
- hilfsweise für den Fall der Unwirksamkeit von Kündigung Nr.1.) und Nr.2) eine fristgemäße verhaltensbedingte Kündigung, denn möglicherweise sieht das Gericht den Pflichtverstoß ja als erwiesen, aber als nicht ganz so schwerwiegend an (ordentliche Tatkündigung)
- "höchst hilfsweise" für den Fall der Unwirksamkeit aller drei o.g. Kündigungen eine fristgemäße Verdachtskündigung wegen des aus Sicht des Arbeitgebers dringenden Verdachts, der auf dem Arbeitnehmer lastet (ordentliche Verdachtskündigung).
Kündigung Nr.4.), die ordentliche Verdachtskündigung, ist offenbar als letzter Notnagel gedacht und anscheinend von den schwächsten Voraussetzungen abhängig. Daher fragt sich,
- ob vielleicht der Pflichtverstoß, dessen der Arbeitnehmer verdächtig ist, nicht ganz so erheblich sein kann, d.h. Kündigung Nr.3.) entsprechen kann, und/oder
- ob vielleicht der Grad der Wahrscheinlichkeit, mit der der Arbeitnehmer einen schweren Pflichtverstoß begangen hat, geringer sein kann als bei Kündigung Nr.2.), und/oder
- ob eine ordentliche Verdachtskündigung vielleicht eher als eine fristlose im Ergebnis der Interessenabwägung angemessen und damit wirksam sein kann, weil dem Arbeitnehmer ja immerhin noch die Kündigungsfristen belassen werden.
Alle drei Fragen beantwortet das BAG mit nein. Die ordentliche Verdachtskündigung ist von denselben materiell-rechtlichen Voraussetzungen abhängig wie die fristlose Verdachtskündigung, nur dass sie eben dem Arbeitnehmer die Kündigungsfristen lässt, d.h. als ordentliche Kündigung ausgesprochen wird.
Der Streitfall: Langjährig beschäftigte Verkäuferin eines Getränkemarkts entnimmt einige Münzen aus der "Klüngelkasse"
In dem vom BAG entschiedenen Fall war eine seit 18 Jahren in einem Getränkemarkt mit mehr als zehn Arbeitnehmern beschäftigte Verkäuferin im Juli 2009 per Videoaufnahme dabei beobachtet worden, wie sie aus einem neben der Kasse stehenden Plastikbehälter Münzen entnahm.
In dem Plastikbehälter bewahrten manche Kassenkräfte sog. "Klüngelgeld" auf, d.h. Geld, das die Kunden beim Bezahlen und Wechseln nicht annehmen wollten, und verstießen mit dieser Plastikbecher-Wirtschaft gegen eine Kassenanweisung des Arbeitgebers, die die sofortige Abgabe solcher Gelder an die Marktleitung vorschrieb. Bei einer Kontrolle im September 2009 befanden sich in dem Plastikbehälter Münzen im Wert von 12,35 EUR.
Der Arbeitgeber sprach nach vorheriger Anhörung im September eine fristlose, hilfsweise fristgerechte Kündigung aus, die er vor Gericht mit dem dringenden Verdacht begründete, dass die Verkäuferin Geld gestohlen habe. Diese bestritt zwar nicht, Münzen aus dem Behälter mit dem Klüngelgeld entnommen zu haben, erklärte das aber damit, dass sie Münzen für das Auslösen eines Einkaufswagens entnommen hätte. Den wiederum hätte sie für ihre Arbeit im Getränkemarkt gebraucht.
Das Arbeitsgericht Bielefeld wies die Kündigungsschutzklage ab, weil es die fristlose Verdachtskündigung als wirksam bewertete (Urteil vom 29.06.2010, 1 Ca 2998/09). Dagegen sah das Landesarbeitsgericht (LAG) Hamm die fristlose Kündigung als unverhältnismäßig und daher als unwirksam an, wobei es entsprechend dem Emmely-Urteil des BAG auf den geringen Schaden für den Arbeitgeber und die lange Beschäftigungsdauer verwies (LAG Hamm, Urteil vom 15.07.2011, 10 Sa 1781/10).
Allerdings entschied das LAG Hamm, dass das Arbeitsverhältnis durch die hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung mit Ablauf der Kündigungsfrist geendet hätte, denn hier lagen die Voraussetzungen einer sozial gerechtfertigten ordentlichen verhaltensbedingten Kündigung gemäß § 1 Abs.2 Kündigungsschutzgesetz (KSchG) vor, so das LAG. Denn das Vertrauen des Arbeitgebers in die Zuverlässigkeit der Klägerin sei
"durch die erwiesenen Verdachtsmomente, wonach die Klägerin sich heimlich Geldstücke aus der geführten Klüngelgeldkasse eingesteckt hat, objektiv derart erschüttert, dass dessen Wiederherstellung und dann künftig wieder ein störungsfreies Miteinander der Parteien nicht mehr zu erwarten ist."
BAG: Bei einer Verdachtskündigung müssen die Voraussetzungen für eine außerordentliche fristlose Kündigung vorliegen
An der Stelle hat das BAG nicht mitgemacht und klargestellt, dass eine Verdachtskündigung auch dann, wenn sie als ordentliche Kündigung ausgesprochen wird und daher eigentlich nur den Anforderungen des § 1 Abs.2 KSchG entsprechen müsste, nur dann rechtens bzw. sozial gerechtfertigt ist, wenn Tatsachen vorliegen, die zugleich eine außerordentliche, fristlose Kündigung gerechtfertigt hätten. Das BAG hob daher das LAG-Urteil auf verwies den Fall zurück zum LAG.
Zur Begründung stellt das BAG zunächst heraus, dass das LAG die ordentliche Kündigung als Verdachtskündigung bewertet bzw. als Verdachtskündigung für rechtens angesehen hatte, obwohl es gleichzeitig von einer sozial gerechtfertigten "verhaltensbedingten" Kündigung spricht. Da das LAG aber selbst den Verdacht des Diebstahls einiger Münzen aus der Klüngelgeldkasse als nicht ausreichend für eine fristlose Kündigung angesehen hatte, konnte es mit dieser Art "Verdacht in einem minder schweren Fall" die ordentliche Kündigung nicht rechtfertigen.
Dass eine Verdachtskündigung generell nur rechtens ist, wenn der Arbeitgeber aufgrund der Verdachtsmomente eine außerordentliche fristlose Kündigung aussprechen könnte, liegt daran, dass mit jeder Verdachtskündigung die Gefahr verbunden ist, dass ein Unschuldiger seinen Arbeitsplatz verliert.
Dieses Risiko ist nur gerechtfertigt, wenn die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses für den Arbeitgeber aufgrund des Verdachts untragbar geworden ist, und zwar in einem Maße, dass ihm selbst das Abwarten der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. In diesem Sinne hatte das BAG bereits im Jahre 2008 einmal entschieden (BAG, Urteil vom 27.11.2008, 2 AZR 98/07).
Im übrigen gab das BAG dem LAG noch mit auf den Weg, dass die vom Arbeitgeber in Absprache mit dem Betriebsrat heimlich erstellten Videoaufnahmen als Beweismittel nicht verwertet werden durften. Aus den Aufnahmen hatte sich ergeben, dass sich die Verkäuferin vor dem Einstecken der Münzen umgeschaut hatte, was den Eindruck einer heimlichen Vorgehensweise erweckte. Da der Arbeitgeber aber im Prozess nicht erklärt hatte, warum die Filmerei unabweisbar notwendig zur Aufklärung von Kassendifferenzen gewesen sein soll, waren die Videos als Beweismittel vom Tisch.
Fazit: Mit einer ordentlichen Verdachtskündigung kommt der Arbeitgeber vor Gericht nicht leichter durch als mit einer außerordentlichen fristlosen Verdachtskündigung. So gesehen hat er von einer solchen Kündigung keinen Vorteil, denn sie ist letztlich eine verkappte außerordentliche Kündigung mit "geschenkten" Kündigungsfristen.
Völlig sinnlos ist eine "höchst hilfsweise" ausgesprochene ordentliche Verdachtskündigung allerdings doch nicht, denn für sie gilt nicht die Zweiwochenfrist des § 626 Abs.2 BGB, wonach eine außerordentliche Kündigung nur innerhalb von zwei Wochen ab Kenntnis von dem Kündigungsgrund ausgesprochen werden kann. Sollte eine fristlose Verdachtskündigung vor Gericht allein wegen § 626 Abs.2 BGB platzen, hätte der Arbeitgeber daher immer noch eine zweite Kündigung im Köcher, nämlich die ordentliche Verdachtskündigung.
Nähere Informationen finden Sie hier:
- Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 21.11.2013, 2 AZR 797/11
- Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 27.11.2008, 2 AZR 98/07
- Landesarbeitsgericht Hamm, Urteil vom 15.07.2011, 10 Sa 1781/10
- Handbuch Arbeitsrecht: Kündigung - Außerordentliche Kündigung
- Handbuch Arbeitsrecht: Kündigung - Fristlose Kündigung
- Handbuch Arbeitsrecht: Kündigung - Verdachtskündigung
- Handbuch Arbeitsrecht: Kündigung - Verhaltensbedingte Kündigung
- Handbuch Arbeitsrecht: Kündigungsschutz
- Handbuch Arbeitsrecht: Kündigungsschutzklage
- Arbeitsrecht aktuell: 18/247 BAG weicht Anhörung bei Verdachtskündigungen auf
- Arbeitsrecht aktuell: 18/203 Interessenabwägung bei außerordentlicher Kündigung und Arbeitgeberverhalten
- Arbeitsrecht aktuell: 18/094 LAG Kiel urteilt zu Verdachtskündigung
- Arbeitsrecht aktuell: 18/063 LAG Hannover: Keine Kündigung wegen des Verdachts der Nähe zum militanten Islamismus
- Arbeitsrecht aktuell: 17/055 Kündigung mit Auslauffrist bei tariflicher Unkündbarkeit
- Arbeitsrecht aktuell: 16/036 Auslauffrist bei außerordentlicher verhaltensbedingter Kündigung
- Arbeitsrecht aktuell: 15/045 Aufforderung zur Anhörung bei Verdachtskündigung
- Arbeitsrecht aktuell: 14/287 Verhaltensbedingte Kündigung mit Auslauffrist?
Letzte Überarbeitung: 30. Oktober 2018
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