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ArbG Stuttgart, Urteil vom 30.01.2014, 10 Ca 1737/13
Schlagworte: | Kündigung, Auslauffrist | |
Gericht: | Arbeitsgericht Stuttgart | |
Aktenzeichen: | 10 Ca 1737/13 | |
Typ: | Urteil | |
Entscheidungsdatum: | 30.01.2014 | |
Leitsätze: | ||
Vorinstanzen: | ||
Tatbestand:
Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreits ist nach prozessualer Abtrennung weiterer Streitgegenstände eine von der beklagten Arbeitgeberin erklärte außerordentliche Kündigung mit sozialer Auslauffrist.
Die Beklagte unterhält in L. und B. Krankenhausbetriebe. Ein Betriebsrat besteht. Die am 28.05.1952 geborene Klägerin ist bei der Beklagten seit April 1991 als Reinigungskraft in Teilzeit (50 %) angestellt.
Die Klägerin hat seit geraumer Zeit erhebliche Hautprobleme, deren Ursache sie im Wesentlichen im betrieblichen Umgang mit bestimmten starken Reinigungsmitteln sieht. Seit 2006 fanden deshalb verschiedene ärztliche bzw. betriebsärztliche Untersuchungen und Beratungsgespräche statt. Ferner ergingen verschiedene ärztliche Empfehlungen über den Einsatz von Hautschutzmitteln, Desinfektionsmitteln oder sonstigen Hilfsmitteln wie Schutzhandschuhe unterschiedlichster Beschaffenheit. Insoweit sind zwischen den Parteien zahlreiche Einzelheiten streitig, auch in Bezug auf die Frage, ob die Beklagte den medizinischen Empfehlungen stets ausreichend und rechtzeitig nachgekommen ist oder ob die Klägerin selbst die zur Verfügung gestellten Hilfsmittel nicht nutzte.
Am 11.06. und 13.06.2013 erhielt die Klägerin jeweils eine Abmahnung. Sie erhob hiergegen am 20.09.2013 vorliegende Klage. Gleichzeitig begehrte die Klägerin die Aushändigung von Zeiterfassungsausdrucken für verschiedene Monate im Frühjahr 2013, weil sie die Auffassung vertritt, dass ihr insoweit immer wieder zu Unrecht Stunden abgezogen würden.
Aufgrund eines Vorfalls am 11.09.2013, dessen Einzelheiten zwischen den Parteien teilweise streitig sind, erklärte die Beklagte der Klägerin im Hinblick auf den tariflichen Sonderkündigungsschutz nach TVÖD die außerordentliche Kündigung mit sozialer Auslauffrist zum Ablauf des 31.03.2014.
Die Klägerin hat diesbezüglich ihre Klage am 23.09.2013 um eine Kündigungsschutzklage und einen Weiterbeschäftigungsantrag erweitert.
Die Klägerin hält die Kündigung ihres Arbeitsverhältnisses für ungerechtfertigt. Zum einen treffe es nicht zu, dass sie ihre Vorgesetzte Frau T. in grober, erheblicher Weise bedroht
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habe. Es sei richtig, dass es am 11.09.2013 zwischen ihr und Frau T. zu einem Streitgespräch gekommen sei. Allerdings habe ihr Frau T. auf ihre Frage wegen eines bestimmten Urlaubsantrags zunächst keine konkrete Antwort gegeben. Auf den Hinweis der Klägerin, sie habe am Samstag gearbeitet und sei völlig kaputt und krank, habe Frau T. zunächst geantwortet, die Klägerin sei selbst schuld. Dies habe die Klägerin als unverschämt empfunden und dies auch Frau T. so mitgeteilt. Ferner habe sie geäußert, ihr Sohn habe bereits mitgeteilt, er würde bei einer solchen erneuten Unverschämtheit vorbeikommen und Frau T. eine Ohrfeige verpassen wollen. Zu keinem Zeitpunkt habe die Klägerin selbst eine Ohrfeige angedroht, sondern lediglich davon berichtet, dass ihr Sohn über das Verhalten von Frau T. erzürnt sei. Anschließend habe die Klägerin weitergearbeitet. Sie sei dann zum Bereichsleiter gerufen worden, der immer näher an sie herangerückt sei und sie bedrängte. Hierbei habe die Klägerin lediglich gesagt: „Wenn Frau T. gepetzt hat, warum soll ich’s dann nochmals sagen“. Auch hier habe die Klägerin nicht geäußert, sie würde Frau T. eine Ohrfeige geben. Sie habe auch nicht angedroht, dass dies ihr Sohn tun werde.
Ein solcher Sachverhalt sei allenfalls mit einer Abmahnung zu ahnden, keinesfalls aber mit einer Kündigung. Gegen die Kündigung bestünden im Übrigen auch grundsätzliche Bedenken. Das Bundesarbeitsgericht habe in einer Entscheidung vom 21.06.2012 konkrete Bedenken geäußert, ob bei einem bestehenden Sonderkündigungsschutz aus verhaltensbedingten Gründen eine außerordentliche Kündigung mit sozialer Auslauffrist erklärt werden könne, vom Arbeitgeber also zum Ausdruck gebracht werde, dass die Schwelle zum wichtigen Grund noch nicht erreicht sei. Ein solcher Sachverhalt dürfte vorliegend gegeben sein.
Die Klägerin bestreitet darüber hinaus, dass der Betriebsrat ordnungsgemäß angehört worden sei. Aus den vorgelegten Unterlagen ergebe sich, dass man den Betriebsrat mit zahlreichen zusätzlichen Informationen versehen habe, welche mit der Sache nichts zu tun hätten. In einem solchen Fall sei die Betriebsratsanhörung ähnlich fehlerhaft, als wenn dem Betriebsrat zu wenig Informationen gegeben würden.
Die Kammer hat auf die Kammerverhandlung am 30.10.2014 den Rechtsstreit hinsichtlich der Abmahnungsklage und der Klage auf Aushändigung von Zeiterfassungsausdrucken prozessual abgetrennt. Das Verfahren wird insoweit unter dem Aktenzeichen 10 Ca 134/14 fortgeführt.
Die Klägerin beantragt im vorliegenden Rechtsstreit:
1. Es wird festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die außerordentliche Kündigung der
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Beklagten vom 19. September 2013 nicht beendet wird, sondern unverändert über den 31.03.2014 hinaus fortbesteht.
2. Die Beklagte wird verpflichtet, die Klägerin für den Fall des Scheiterns der Güteverhandlung zu unveränderten Bedingungen nach dem 31.03.2014 bis zur Rechtskraft als Reinigungskraft weiterzubeschäftigen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte stützt die Kündigung auf den Vorwurf der Bedrohung der Mitarbeiterin T. mit körperlicher Gewalt, welche notfalls durch den Sohn der Klägerin ausgeübt werden würde. Diese Drohung habe die Klägerin sodann gegenüber ihrem Bereichsleiter am selben Tag nochmals ausdrücklich bestätigt. Sogar im Gütetermin vor dem Arbeitsgericht habe sie eine entsprechende Drohung wiederholt. Konkret habe sich am Morgen des 11.09.2013 Folgendes zugetragen: Es sei zunächst zu einem Wortwechsel zwischen der Klägerin und ihrer Vorgesetzten, Frau T., gekommen. Frau T. habe die Klägerin angewiesen, bestimmte blaue Boxen, welche für sie bestimmt waren, zu nehmen. Hierauf habe die Klägerin geäußert: „Wenn Sie solche Sprüche wie gestern äußern, bekommen Sie von mir eine Ohrfeige“. Hierauf habe Frau T. gefragt, was sie der Klägerin denn gesagt habe. Die Klägerin habe darauf Folgendes gesagt: „Ich war nicht in der Kur, ich war nicht in der Reha, ich rufe heute noch in H. an. Wenn ich Ihnen keine Ohrfeige gebe, dann sage ich es meinem Sohn, der weiß Bescheid, der gibt Ihnen dann die Ohrfeige“. Frau T. sei verängstigt gewesen und habe diesen Vorfall dem Bereichsleiter Herrn H. mitgeteilt. Dieser habe die Klägerin am selben Tag um 8.30 Uhr an ihrem Arbeitsplatz aufgesucht und gefragt, was die Klägerin zu Frau T. gesagt habe. Hierbei habe die Klägerin Folgendes erklärt: „Ihr habt mich krank gemacht, Frau T. ist schuld, dass ich auf der Treppe gestürzt bin. Frau T. gibt mir meinen Urlaub nicht“. Auf die Frage von Herrn H., ob es richtig sei, dass sie Frau T. eine Ohrfeige angedroht habe, sei von der Klägerin geäußert worden, ja, das habe sie gesagt, sie gebe ihr eine Ohrfeige oder ihr Sohn, der wisse Bescheid. Auch im Gütetermin vor dem Arbeitsgericht habe die Klägerin zu diesem Sachverhalt nochmals geäußert, ihr Sohn sei „auf 180“, weil sie seit zwei Jahren Hauterkrankungen habe.
Es habe sich mithin bei der von der Klägerin ausgesprochenen erheblichen Drohung nicht etwa um eine momentane Entgleisung gehandelt. Vielmehr sei die Klägerin von dem Gedanken beseelt, der Vorgesetzten etwas anzutun. Dabei sei anzumerken, dass die Beklagte seit dem Auftreten von Hautproblemen bei der Klägerin alles getan habe, was
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ärztlicherseits empfohlen worden sei. Es sei die Klägerin gewesen, die immer wieder die empfohlenen Hilfsmittel nicht benutzt habe.
Der Betriebsrat sei am 16.09.2013 zum einen mündlich und zum anderen schriftlich angehört worden. Die mündliche Information habe etwa eine Stunde in Anspruch genommen. Am 17.09.2013 seien dem Betriebsrat nochmals alle Unterlagen einschließlich der Personaldaten der Klägerin übermittelt worden. Der Betriebsrat habe am 18.09.2013 zugestimmt.
Entscheidungsgründe:
I.
Die nach prozessualer Abtrennung noch allein streitgegenständliche Kündigungsschutzklage hat Erfolg. Die der Klägerin mit Schreiben vom 19.09.2013 erklärte außerordentliche Kündigung mit sozialer Auslauffrist ist rechtsunwirksam.
1. Die Klägerin hat gegen die Kündigung vom 19.09.2013 am 20.09.2013, also bereits einen Tag nach Kündigungszugang, Kündigungsschutzklage erhoben. Damit ist die dreiwöchige Klagefrist gemäß §§ 4 Satz 1, 13 Abs. 1 KSchG gewahrt.
2.
a) Die Parteien gehen übereinstimmend davon aus, dass das Arbeitsverhältnis der Klägerin aufgrund der anzuwendenden Tarifbestimmungen für den Öffentlichen Dienst gemäß § 34 Abs. 2 TVÖD nur noch aus wichtigem Grund gekündigt werden kann. Nach dieser Bestimmung können Arbeitsverhältnisse von Beschäftigten, die das 40. Lebensjahr vollendet haben und für die die Regelungen des Tarifgebiets West Anwendung finden, nach einer Beschäftigungszeit von mehr als 15 Jahren durch den Arbeitgeber nur aus einem wichtigen Grund gekündigt werden. Die seit 1991 beschäftigte und 61 Jahre alte Klägerin erfüllt die dort genannten Voraussetzungen für den tariflichen Sonderkündigungsschutz.
b) Nach § 34 Abs. 2 TVÖD kann das Arbeitsverhältnis einer altersgesicherten Mitarbeiterin nur aus wichtigem Grund gekündigt werden. Der Tarifvertrag nimmt damit auf § 626 Abs. 1 BGB, die allgemeine zivilrechtliche Bestimmung über das
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Recht zur sofortigen Kündigung von Dienstverhältnissen, Bezug. Der wichtige Grund im Sinne von § 34 Abs. 2 TVÖD hat die identischen Voraussetzungen wie der wichtige Grund gemäß § 626 Abs. 1 BGB (Bredemeier/Neffke, TVÖD/TV-L, Kommentar, 4. Aufl., RNn 532 vor § 34, 11 zu § 34).
Eine außerordentliche Kündigung gemäß § 626 Abs. 1 BGB setzt voraus, dass der Kündigungsgrund so schwer wiegt, dass eine sofortige Beendigung des Arbeitsverhältnisses als einzige zumutbare Reaktion des Arbeitgebers in Betracht kommt. Dies setzt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts voraus, dass neben einem an sich zur sofortigen Entlassung geeigneten wichtigen Grund aufgrund einer umfassenden Interessenabwägung feststeht, dass dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung selbst für die Dauer der ordentlichen Kündigungsfrist nicht mehr zuzumuten ist (z.B. BAG v. 16.12.2004, 2 ABR 7/04; v. 27.04.2006, 2 AZB 415/05, Juris). Dementsprechend ist auch im Rahmen von § 34 Abs. 2 TVÖD unter einer außerordentlichen Kündigung das einseitige Gestaltungsrecht zu verstehen, das Arbeitsverhältnis sofort (d.h. mit Zugang), also ohne Einhaltung der gesetzlichen oder tariflichen Kündigungsfrist bzw. vor Ablauf einer vereinbarten Befristung zu beenden (Bredemeier/Neffke, aaO, RN 533 vor § 34).
c) Die Beklagte hat der Klägerin am 19.09.2013 „außerordentlich mit sozialer Auslauffrist zum Ablauf des 31.03.2014“ gekündigt. Die Beklagte hat damit zwar formal von dem Recht zur Kündigung aus wichtigem Grund Gebrach gemacht. Indem sie der Klägerin aber die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der (fiktiven) ordentlichen Kündigungsfrist zugebilligt hat, hat sie wertungsmäßig bzw. im Ergebnis eine ordentliche Kündigung ausgesprochen. Jedenfalls hat die Beklagte mit der Zubilligung einer sozialen Auslauffrist von mehr als 6 Monaten zum Ausdruck gebracht, dass ihr die Weiterbeschäftigung der Klägerin jedenfalls für diesen Zeitraum noch zumutbar erscheint. Die Beklagte hat erkannt, dass sie der Klägerin keine ordentliche Kündigung mehr aussprechen kann. Sie wollte aber erkennbar jedenfalls von den wirtschaftlichen Auswirkungen her das gleiche Ergebnis herbeiführen. Sie hat sich hierzu formal des Rechts zur Kündigung aus wichtigem Grund bedient, zugleich aber noch als weitere Vertragslaufzeit die Dauer der ordentlichen Kündigung zuerkannt.
In dieser Vorgehensweise liegt ein Wertungswiderspruch. Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind. Als mildere Reaktionen sind insbesondere
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Abmahnung und ordentliche Kündigung anzusehen. Sie sind dann alternative Gestaltungsmittel, wenn schon sie geeignet sind, den mit der außerordentlichen Kündigung verfolgten Zweck - die Vermeidung des Risikos künftiger Störungen - zu erreichen (BAG vom 10.06.2010, 2 AZR 541/09, AP Nr. 229 § 626 BGB). Wenn nach § 34 Abs. 2 TVÖD gegenüber der Klägerin nur noch die außerordentliche, d.h. sofortige Entlassung in Betracht kam, und dies von Rechts wegen voraussetzt, dass der Beklagten selbst die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses für die Dauer der fiktiven Kündigungsfrist nicht zumutbar ist, kann die Beklagte nicht das Recht zur Kündigung aus wichtigem Grund in Anspruch nehmen, zugleich aber die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses für die Dauer dieser Frist zuzubilligen. Die Beklagte hat mit der Entscheidung, das Arbeitsverhältnis der Klägerin nicht sofort aufzulösen, sondern erst zum 31.03.2014 zu beenden, ihre eigene Bewertung von der Schwere und den Auswirkungen des Kündigungsanlasses zu erkennen gegeben. Sie muss sich hieran festhalten lassen. Insoweit liegen die Dinge nach Auffassung der Kammer nicht anders als in den Fällen, in denen der Arbeitgeber ein Verhalten mit einer Abmahnung ahndet. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts kann der Arbeitgeber dann wegen des gleichen Verhaltens nicht nachfolgend nochmals eine Kündigung aussprechen, wenn nach Ausspruch der Abmahnung weder neue Vorfälle aufgetreten oder bekannt geworden sind (z.B. BAG vom 10.11.1988, 2 AZR 215/88, AP Nr. 3 § 1 KSchG 1969 Abmahnung; v. 26.08.1993, 2 AZR 159/93, Juris).
d) Der Wertungswiderspruch kann nicht mit Hinweis auf die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur Zulässigkeit der außerordentlichen Kündigung mit sozialer Auslauffrist bei betriebs- oder personenbedingtem Kündigungsanlass gerechtfertigt werden. Zwar erkennt das Bundesarbeitsgericht in Fällen, in denen das Recht zur ordentlichen Kündigung arbeitsvertraglich oder tarifvertraglich ausgeschlossen ist, ausnahmsweise das Recht des Arbeitgebers an, ein Arbeitsverhältnis aus Gründen, die regelmäßig nur eine ordentliche Kündigung rechtfertigen, außerordentlich zu kündigen (z.B. BAG vom 12.01.2006, 2 AZR 242/05, AP Nr. 13 § 626 BGB Krankheit; BAG vom 27.06.2002, 2 AZR 367/01, Juris). Weil betriebs- oder personenbedingte Gründe regelmäßig ausschließlich eine ordentliche Kündigung rechtfertigen, wäre der Arbeitgeber selbst bei vollständigem Wegfall jeder denkbaren Beschäftigungsmöglichkeit gezwungen, eventuell über Jahre hinweg ein völlig sinnentleertes Arbeitsverhältnis fortzusetzen, beispielsweise bei dauerhafter Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers oder vollständiger Betriebsstillegung. Hier wäre auf Jahre hinaus kein Leistungsaustausch der Arbeitsvertragspartner mehr möglich. Darin liegt die Rechtfertigung für die ausnahmsweise Zulässigkeit der
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außerordentlichen Kündigung in diesen Fällen. Eine vergleichbare Situation besteht vorliegend nicht. Denn die Beklagte hat der Klägerin (wegen Bedrohung) aus verhaltensbedingten Gründen gekündigt. Bei einer verhaltensbedingten Kündigung besteht kein Regel- und Ausnahmeverhältnis. Vielmehr sind beide Kündigungsvarianten je nach Schwere des zugrunde liegenden Sachverhalts grundsätzlich kündigungsgeeignet. Zu Recht gibt das Bundesarbeitsgericht deshalb in der auch von der Klägerin herangezogenen Entscheidung vom 21.06.2012 (2 AZR 343/11) zu erkennen, dass gegen die Zubilligung einer außerordentlichen Kündigung mit sozialer Auslauffrist im Bereich der verhaltensbedingten Kündigung erhebliche Bedenken bestehen.
e) Etwas anderes ergibt sich nicht daraus, dass das Bundesarbeitsgericht in seiner Entscheidung vom 11.03.1999 (2 AZR 427/98, NZA 1999, 818 ff.) ausgeführt hat, dass bei einer Unzumutbarkeit der Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers bis zum Pensionsalter zur Vermeidung eines Wertungswiderspruchs eine der fiktiven ordentlichen Kündigungsfrist entsprechende Auslauffrist eingeräumt werden müsste, wobei es sich in dem entschiedenen Fall tatsächlich um eine auf dem Verhalten des Arbeitnehmers beruhende Kündigung handelte. Das Bundesarbeitsgericht hat in dieser Entscheidung weiter ausgeführt, es widerspreche dem Sinn und Zweck des tariflichen Alterskündigungsschutzes, dem altersgesicherten Arbeitnehmer eine der fiktiven Kündigungsfrist entsprechende Auslauffrist zu verweigern, wenn einem vergleichbaren Arbeitnehmer ohne gesteigerten Kündigungsschutz bei (theoretisch) gleichem Kündigungssachverhalt - und Zumutbarkeit der Weiterbeschäftigung bis zum Ablauf der Kündigungsfrist - nur fristgerecht gekündigt werden könnte; es gehe hierbei nicht darum, eine Kündigungsmöglichkeit bei minder wichtigem Grund zu schaffen, sondern unter Beibehaltung der ständigen Rechtsprechung zum wichtigen Grund im Sinne der einschlägigen Vorschriften den geschilderten Wertungswiderspruch im Interesse des durch Tarifvertrag altersgeschützten Arbeitnehmers lediglich auf der Rechtsfolgenseite aufzulösen. Eine solche Konstellation ist vorliegend nicht gegeben. Das Verhalten der Klägerin rechtfertigte allenfalls eine „reguläre“ ordentliche Kündigung. Dies gilt jedenfalls nach der zutage getretenen Eigenwertung der Beklagten. Auch gegenüber einer vergleichbaren Arbeitnehmerin ohne tariflichen Sonderkündigungsschutz wäre nach Auffassung der Kammer allenfalls eine ordentliche Kündigung, nicht aber eine außerordentliche Kündigung in Betracht gekommen. Eine ordentliche Kündigung ist aber zugunsten der Klägerin tarifvertraglich ausgeschlossen. Es besteht deshalb kein Bedarf, zulasten der Klägerin eine Korrektur vorzunehmen. Das Bundesarbeitsgericht hat in der genannten Entscheidung die Korrektur zugunsten des Arbeitnehmers für erforderlich gesehen. Eine Korrektur der vorbeschriebenen Grundwertung zugunsten
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der Beklagten erscheint vorliegend weder geboten noch tariflich zulässig. Sonst würde auf diesem Umweg der tarifliche Sonderkündigungsschutz schlicht außer Kraft gesetzt.
f) Es wäre ebenfalls ohne Bedeutung, wenn die Beklagte der Klägerin bei einem an sich eine sofortige Kündigung rechtfertigenden Verhalten nur aus rein sozialen Erwägungen noch eine weitere Vertragslaufzeit entsprechend der Dauer der Kündigungsfrist zubilligen wollte. In einem solchen Fall könnte erwogen werden, dass sich der tarifliche Sonderkündigungsschutz zu Lasten des Arbeitnehmers auswirken würde, wenn man dem Arbeitgeber eine solche Großzügigkeit mit dem Argument verwehren würde, er verhalte sich wertungswidersprüchlich. Der Motivation des Arbeitgebers, allein im Interesse des Arbeitnehmers und aus sozialen Gründen noch eine gewisse Vertragslaufzeit zuzubilligen, könnte aber allenfalls dann Bedeutung beigemessen werden, wenn der Arbeitgeber zugleich mit der Zubilligung der Auslauffrist endgültig und unwiderruflich auf die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers verzichten würde. In diesem Fall würde sich die soziale Auslauffrist allein auf der Vergütungsseite auswirken. Der Arbeitgeber hätte entsprechend der tariflichen und gesetzlichen Systematik konsequent gehandelt, indem er das Arbeitsverhältnis - in tatsächlicher Hinsicht - beendet und nur noch im Hinblick auf die Vergütung für eine gewisse Zeit aufrecht erhält. Dieser Fall ist aber vorliegend nicht gegeben. Die Beklagte hat die Klägerin nicht freigestellt. Die Klägerin wird bis zum Ablauf der Kündigungsfrist regulär weiterbeschäftigt.
Weil die Beklagte damit zu erkennen gegeben hat, dass ihr jedenfalls die Weiterbeschäftigung bis zum Ablauf der fiktiven Kündigungsfrist zumutbar ist, liegen die tariflichen Kündigungsvoraussetzungen gemäß § 34 Abs. 2 TVÖD nicht vor. Der Kündigungsschutzklage war zu entsprechen.
3. Da sich die streitgegenständliche Kündigung als unwirksam erweist, war die Beklagte nach den Grundsätzen der Rechtsprechung des Großen Senats beim Bundesarbeitsgericht zur einstweiligen Weiterbeschäftigung der Klägerin bis zum rechtskräftigen Abschluss dieses Rechtsstreits zu verurteilen (vgl. Beschluss vom 01.02.1985, 1 GS/84, AP Nr. 17 § 611 BGB Beschäftigungspflicht).
II.
Die Beklagte hat gemäß § 91 Abs. 1 ZPO die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
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Da gegen die Entscheidung über die Wirksamkeit der Kündigung gemäß § 64 Abs. 2 c ArbGG unabhängig vom Beschwerdewert die Berufung zulässig ist, hat die Kammer von einer Wertfestsetzung im Urteil insoweit § 61 Abs. 1 ArbGG abgesehen. Der Weiterbeschäftigungsantrag wurde mit einer Bruttomonatsvergütung = 1.200,- EUR bewertet.
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