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LAG Hannover: Kein Widerrufsrecht für Arbeitnehmer aus § 312g BGB
20.04.2018. Arbeitnehmer können Aufhebungsverträge nicht frei widerrufen, so wie man als Käufer einen im Internet abgeschlossenen Kaufvertrag widerrufen kann.
Das hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) bereits im Jahre 2003 entschieden, allerdings auf der Grundlage einer heute nicht mehr geltenden Gesetzeslage.
Wie das Landesarbeitsgericht (LAG) Hannover vor einigen Monaten klargestellt hat, ist die alte BAG-Rechtsprechung auch heute noch gültig. Ein Widerrufsrecht besteht auch nach der geänderten Gesetzesfassung nicht: LAG Niedersachsen, Urteil vom 07.11.2017, 10 Sa 1159/16.
- Hat die BAG-Rechtsprechung, der zufolge das Verbraucher-Widerrufsrecht nicht für Aufhebungsverträge zugunsten von Arbeitnehmern gilt, heute noch Bestand?
- Im Streit: Eine Arbeitnehmerin unterschreibt einen Aufhebungsvertrag, den ihr ein Bevollmächtigter der Arbeitgeberin zu Hause in der Wohnung vorlegt
- LAG Hannover: Arbeitsrechtliche Auflösungsverträge können nicht nach § 312g BGB vom Arbeitnehmer widerrufen werden
Hat die BAG-Rechtsprechung, der zufolge das Verbraucher-Widerrufsrecht nicht für Aufhebungsverträge zugunsten von Arbeitnehmern gilt, heute noch Bestand?
Aufhebungsverträge haben für Arbeitgeber den Vorteil, dass eine Kündigung damit überflüssig wird, so dass die mit ihr verbundenen Risiken entfallen. Denn eine vom Arbeitgeber ausgesprochene Kündigung kann eine Kündigungsschutzklage des Arbeitnehmers nach sich ziehen, und das wiederum kann dazu führen, dass der Arbeitnehmer irgendwann wieder "vor der Tür steht" und Lohnforderungen stellt. Besonders ärgerlich für Arbeitgeber ist dabei die Verpflichtung zur nachträglichen Lohnzahlung für die Zeit, während der der Arbeitnehmer infolge der Kündigung nicht gearbeitet hat. Denn eine unberechtigte Entlassung führt zum sog. Annahmeverzug des Arbeitgebers und damit zum Anspruch auf Annahmeverzugslohn gemäß § 615 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB).
Aufhebungsverträge können aber auch für Arbeitnehmer interessant sein, falls der Arbeitgeber bereit ist, für diese "smarte" Lösung substantielle Gegenleistungen zu erbringen. Hier können Arbeitnehmer oft eine attraktive (Erhöhung der) Abfindung aushandeln, eine längere bezahlte Freistellung oder ein gutes Zeugnis.
Damit diese Vorteile nicht durch eine Sperrzeit oder andere Belastungen zunichte gemacht werden, ist rechtliches Fachwissen, ausreichende Bedenkzeit und Verhandlungsgeschick notwendig. Daher sollten sich Arbeitnehmer bei Aufhebungsverträgen Zeit lassen und rechtliche Unterstützung in Anspruch nehmen, jedenfalls dann, wenn das Arbeitsverhältnis schon lange Zeit bestanden hat und die im Raum stehenden Abfindungssummen hoch sind. Denn vorschnell abgeschlossene Aufhebungsverträge, zu denen sich Arbeitnehmer unter Zeitdruck und ohne anwaltliche Unterstützung "breitschlagen" lassen, haben leider oft katastrophale finanzielle und/oder berufliche Folgen. Das liegt u.a. daran, dass Aufhebungsverträge nach der Rechtsprechung in aller Regel rechtlich unangreifbar sind, sobald beide Parteien einmal unterschrieben haben.
Denn zum einen ist die Anfechtung des Aufhebungsvertrags nur unter engen Voraussetzungen möglich und führt daher selten zum Erfolg. Das Gesetz verlangt nämlich, dass der anfechtende Arbeitnehmer widerrechtlich bedroht oder arglistig getäuscht wurde (§ 123 Abs.1 BGB), und das muss der Arbeitnehmer vor Gericht beweisen, kann es aber meist nicht. Und eine Anfechtung wegen Irrtums (§ 119 BGB) über die rechtlichen Folgen eines Aufhebungsvertrags, z.B. in Form einer Sperrzeit, ist rechtlich von vornherein ausgeschlossen.
Zum anderen ist aber auch ein Widerruf des Aufhebungsvertrags nach den Vorschriften des Verbraucherschutzrechts nicht möglich, wie das BAG vor vielen Jahren bereits entschieden hat (BAG, Urteil vom 27.11.2003, 2 AZR 177/03, wir berichteten in Arbeitsrecht aktuell: 03/07 Kein Widerrufsrecht bei Aufhebungsverträgen).
Allerdings haben sich die gesetzlichen Vorschriften über das Widerrufsrecht von Verbrauchern seit der BAG-Entscheidung aus dem Jahre 2003 geändert, so dass man sich fragen kann, ob diese Entscheidung heute noch gültig ist. Denn das im Jahre 2003 maßgebliche Verbraucher-Widerrufsrecht hing davon ab (§ 312 Abs.1 Nr.1 BGB alte Fassung), dass der Arbeitnehmer zum Abschluss eines Vertrags über eine
"entgeltliche Leistung (...) durch mündliche Verhandlungen an seinem Arbeitsplatz oder im Bereich einer Privatwohnung (...) bestimmt worden ist".
Im Unterschied dazu gewähren die seit dem 13.06.2014 maßgeblichen Gesetzesvorschriften (§ 312g Abs.1 BGB in Verb. mit § 312b Abs.1 Nr.1 BGB) dem Verbraucher (= Arbeitnehmer) ein Widerrufsrecht
"bei außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen und bei Fernabsatzverträgen" (§ 312g Abs.1 BGB).
Dabei werden die für das Widerspruchsrecht entscheidenden (örtlichen) Umstände des Vertragsabschlusses (= "außerhalb von Geschäftsräumen") heute u.a. in folgender Weise definiert (§ 312b Abs.1 Nr.1 BGB), nämlich als ein Vertrag, der
"bei gleichzeitiger körperlicher Anwesenheit des Verbrauchers und des Unternehmers an einem Ort geschlossen" wird, "der kein Geschäftsraum des Unternehmers ist".
Das heißt: Während nach der alten Gesetzesfassung die für das Widerrufsrecht wesentliche Überrumplungsgefahr mit dem Arbeitsplatz oder der Privatwohnung beschrieben wurde, verlangt die neue Gesetzesfassung, dass der Vertrag außerhalb der Geschäftsräume des Unternehmers (= Arbeitgebers) abgeschlossen wurde.
Auf dieser geänderten gesetzlichen Grundlage wird in der arbeitsrechtlichen Literatur die Meinung vertreten, dass Aufhebungsverträge widerruflich sind, wenn sie außerhalb des Betriebs abgeschlossen werden, also z.B. in einem Hotel, in einem Restaurant oder in einer Anwaltskanzlei. Wird der Vertrag dagegen im Betrieb ausgehandelt und unterschrieben, wäre die Rechtslage anders: Dann besteht kein Widerrufsrecht.
Andere Autoren sind dagegen der Meinung, die reformierten verbraucherschutzrechtlichen Vorschriften hätten nichts daran geändert, dass Aufhebungsverträge generell unwiderruflich sind, wo auch immer sie abgeschlossen werden.
Ihr Argument: § 312 Abs.1 BGB neue Fassung schränkt den Anwendungsbereich derjenigen Verbraucherschutzvorschriften, die u.a. das gesetzliche Widerrufsrecht beinhalten, auf Verträge ein, die "eine entgeltliche Leistung des Unternehmers zum Gegenstand haben", d.h. es geht immer um Verträge, die den Verbraucher (= Arbeitnehmer) mit Zahlungspflichten belasten. Aufhebungsverträge sind aber nicht notwendig mit Zahlungsverpflichtungen verbunden, und wenn überhaupt, dann mit Zahlungspflichten des Arbeitgebers (Abfindung, Urlaubsabgeltung, Gehalt usw.).
Im Streit: Eine Arbeitnehmerin unterschreibt einen Aufhebungsvertrag, den ihr ein Bevollmächtigter der Arbeitgeberin zu Hause in der Wohnung vorlegt
Im Streitfall war eine Angestellte auf der Grundlage eines zu Ende Februar 2016 befristeten Arbeitsvertrags tätig, als es Anfang 2016 zu Streitigkeiten mit ihrer Arbeitgeberin kam. Dabei ging es u.a. um die Beschädigung eines Firmenwagens und einen damit begründeten Lohnabzug von 800,00 EUR.
Als die Arbeitnehmerin Mitte Februar infolge einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit zu Hause war, besuchte sie dort am 15.02.2016 der Lebensgefährte der Arbeitgeberin und legte ihr einen Aufhebungsvertrag vor, den die Arbeitnehmerin unterschrieb.
Kurz darauf erklärte sie die Anfechtung des Aufhebungsvertrags mit der Begründung, der Lebensgefährte der Arbeitgeberin habe ihr damit gedroht, er werde ihr sonst finanzielle Probleme bereiten. Es habe auch die Drohung "im Raum gestanden", dass sie anderenfalls eine Kündigung erhalten werde. Außerdem berief sich die Arbeitnehmerin auf ein Recht zum Widerruf des Aufhebungsvertrags.
Da die Arbeitgeberin den Aufhebungsvertrag für wirksam hielt, zog die Arbeitnehmerin vor das Arbeitsgericht Celle. Dort griff sie sowohl die Befristung als auch den Aufhebungsvertrag an. Das Arbeitsgericht Celle wies die Klage ab (Arbeitsgericht Celle, Urteil vom 20.09.2016, 1 Ca 77/16,).
LAG Hannover: Arbeitsrechtliche Auflösungsverträge können nicht nach § 312g BGB vom Arbeitnehmer widerrufen werden
Das LAG Niedersachsen wies die Berufung der Arbeitnehmerin zurück und ließ die Revision zum BAG zu, wo das Verfahren mittlerweile anhängig ist (Aktenzeichen des BAG: 6 AZR 75/18). Zur Begründung heißt es in dem LAG-Urteil:
Ein Anfechtungsrecht gemäß § 123 Abs1. BGB kam hier nach dem eigenen nebulösen Vorbringen der Klägerin nicht in Betracht. Denn sie hatte keine konkreten Tatsachen vorgetragen, aus denen sich eine Bedrohungssituation zur Zeit des Vertragsschlusses am 15.02.2016 in ihrer Wohnung ergeben würde.
Eigentlich interessant sind die Ausführungen des Urteils zur Frage des Widerrufsrechts gemäß den aktuell geltenden Verbraucherschutzvorschriften des BGB. Ein solches Widerrufsrecht besteht laut LAG nicht.
Arbeitnehmer sind zwar Verbraucher im Sinne von § 13 BGB, so das Gericht im Anschluss an die heute allgemeine Ansicht, doch gehören arbeitsrechtliche Aufhebungsverträge nicht zu den widerruflichen Verbraucherverträgen im Sinne von § 312g Abs.1 BGB und § 312b Abs.1 Nr.1 BGB. Dazu gehören nach Ansicht des Gerichts nur Vertriebsverträge, d.h. Verträge, mit denen Unternehmen Geld verdienen.
An dieser (entscheidenden) Stelle hat sich das Gesetz nicht geändert, so die LAG-Richter, die sich dabei auf die Gesetzesbegründung und die Gesetzessystematik berufen. Ergänzend verweist das Gericht darauf, dass das Widerrufsrecht gemäß § 312 Abs.1 BGB (neue Fassung) ausdrücklich nur bei Verträgen über "entgeltliche Leistungen des Unternehmers" gilt. Der (hier streitige) Aufhebungsvertrag sehe aber, so das Gericht, "keine arbeitgeberseitige Gegenleistung vor".
Fazit: Falls sich die Parteien nicht vor dem BAG per Vergleich einigen sollten und falls das BAG daher durch Urteil über diesen Streitfall entscheiden sollte, wird es mit großer Wahrscheinlichkeit die Meinung des LAG absegnen. Denn mit den Gesetzesänderungen im Verbraucherschutzrecht, die zum 13.06.2016 in Kraft getreten sind, wollte der Gesetzgeber keine Regelungen zu der Frage treffen, ob bzw. unter welchen Umständen arbeitsrechtliche Aufhebungsverträge vom Arbeitnehmer widerrufen werden können.
Nähere Informationen finden Sie hier:
- Landesarbeitsgericht Niedersachsen, Urteil vom 07.11.2017, 10 Sa 1159/16
- Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 27.11.2003, 2 AZR 177/03
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Letzte Überarbeitung: 1. Juli 2019
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