HENSCHE RECHTSANWÄLTE, FACHANWALTSKANZLEI FÜR ARBEITSRECHT

ARBEITSRECHT AKTUELL // 14/167

Ur­laubs­ab­gel­tung und ru­hen­des Ar­beits­ver­hält­nis

Ur­laubs­an­sprü­che wer­den auch dann er­wor­ben und sind ab­zu­gel­ten, wenn das Ar­beits­ver­hält­nis ruht: Bun­des­ar­beits­ge­richt, Ur­teil vom 06.05.2014, 9 AZR 678/12
Speditionskalender Im­mer zum 01. Ja­nu­ar ent­steht der vol­le Ur­laubs­an­spruch

08.05.2014. Ih­ren ge­setz­li­chen Min­des­t­ur­laub von vier Wo­chen pro Ka­len­der­jahr müs­sen sich Ar­beit­neh­mer nicht er­ar­bei­ten.

Viel­mehr ent­steht die­ser An­spruch pünkt­lich zum 01. Ja­nu­ar in vol­lem Um­fang von vier Wo­chen, und zwar auch dann, wenn der Ar­beit­neh­mer nicht ar­bei­tet, z.B. weil er krank ist.

Aber er­wirbt man auch Ur­laubs­an­sprü­che bei ei­ner un­be­zahl­ten Frei­stel­lung, d.h. für die Zeit ei­nes un­be­zahl­ten Son­der­ur­laubs? Ja, so das Bun­des­ar­beits­ge­richt (BAG) in ei­ner vor­ges­tern er­gan­ge­nen Ent­schei­dung: BAG, Ur­teil vom 06.05.2014, 9 AZR 678/12.

Ent­ste­hen Ur­laubs­ansprüche auch für Zei­ten, in de­nen das Ar­beits­verhält­nis oh­ne Be­zah­lung ruht?

Wer ei­nen un­be­zahl­ten Son­der­ur­laub nimmt, be­kommt kein Geld und muss nicht ar­bei­ten. Für die­se Zeit wird er auch bei der So­zi­al­ver­si­che­rung ab­ge­mel­det, d.h. er ist so­zi­al­ver­si­che­rungs­recht­lich oh­ne Beschäfti­gung.

An­de­rer­seits be­steht das Ar­beits­verhält­nis recht­lich wei­ter fort, so dass sei­ne Be­stands­dau­er länger wird und mit ihr z.B. Kündi­gungs­fris­ten. Aber er­wirbt der Ar­beit­neh­mer auch für die Zeit sei­nes ru­hen­den Ar­beits­verhält­nis­ses Ur­laubs­ansprüche? Dann müss­te der Ar­beit­ge­ber, so­bald der Ar­beit­neh­mer wie­der an Bord ist, "Ur­laub vom Ur­laub" gewähren, was er kaum ein­se­hen wird.

Im Bun­des­ur­laubs­ge­setz (BUrlG) ist die­se Fra­ge nicht klar ge­re­gelt. Im­mer­hin er­gibt sich aus § 4 BUrlG, dass der vol­le (vierwöchi­ge) Ur­laubs­an­spruch im­mer zu Jah­res­an­fang ent­steht, vor­aus­ge­setzt, das Ar­beits­verhält­nis "be­steht" länger als sechs Mo­na­te. Das spricht eher dafür, dass es nur auf den recht­li­chen Be­stand des Ar­beits­verhält­nis­ses an­kommt, nicht aber dar­auf, ob das Ar­beits­verhält­nis bei­der­seits erfüllt wird oder ruht.

Und auch aus den ge­setz­li­chen Vor­schrif­ten zur El­tern­zeit er­gibt sich ein Ar­gu­ment, das in die­se Rich­tung geht. Denn in § 17 Abs.1 Satz 1 Bun­des­el­tern­geld- und El­tern­zeit­ge­setz (BEEG) heißt es:

"Der Ar­beit­ge­ber kann den Er­ho­lungs­ur­laub, der dem Ar­beit­neh­mer oder der Ar­beit­neh­me­rin für das Ur­laubs­jahr zu­steht, für je­den vol­len Ka­len­der­mo­nat der El­tern­zeit um ein Zwölf­tel kürzen."

Da während ei­ner El­tern­zeit das Ar­beits­verhält­nis ruht, er­gibt sich aus die­ser Vor­schrift, dass auch während des el­tern­zeit­be­ding­ten Ru­hens der Ur­laubs­an­spruch des Ar­beit­neh­mers fort­lau­fend ent­steht, denn an­dern­falls bräuch­te der Ar­beit­ge­ber kei­ne ge­setz­li­che Be­rech­ti­gung, die­sen An­spruch zu kürzen.

An­de­rer­seits ist § 17 Abs.1 Satz 1 BEEG eben nur ei­ne Son­der­vor­schrift für die El­tern­zeit und re­gelt nicht die all­ge­mei­ne Fra­ge, was mit dem Ur­laubs­an­spruch in an­de­ren Ru­hensfällen ge­schieht.

Und auch die bis­he­ri­ge Recht­spre­chung des BAG zum Ur­laubs­an­spruch im langjährig ru­hen­den Ar­beits­verhält­nis be­trifft nur Fälle, in de­nen der Ar­beit­neh­mer krank­heits­be­dingt lan­ge aus­fiel und später Ur­laub oder Ur­laubs­ab­gel­tung ver­lang­te. Zu sol­chen Fällen hat das BAG zwar klar­ge­stellt, dass Ur­laubs­ansprüche trotz des krank­heits­be­ding­ten Ru­hens ent­ste­hen (BAG, Ur­teil vom 7.8.2012, 9 AZR 353/10, wir be­rich­te­ten in Ar­beits­recht ak­tu­ell: 12/274 Ur­laub bei Dau­er­krank­heit verfällt nach 15 Mo­na­ten), doch sind krank­heits­be­ding­tes Ru­hen und ver­trag­lich ver­ein­bar­te Frei­stel­lung (Sab­ba­ti­cal, Son­der­ur­laub) eben nicht das­sel­be.

Der Ber­li­ner Streit­fall: Cha­rité-Kran­ken­schwes­ter ver­langt Ur­laubs­ab­gel­tung für neun Mo­na­te Son­der­ur­laub

Im Streit­fall nahm ei­ne seit 2002 beschäftig­te Kran­ken­schwes­ter der Cha­rité von Ja­nu­ar bis Sep­tem­ber 2011 un­be­zahl­ten Son­der­ur­laub und schied dann zu En­de Sep­tem­ber 2011 aus dem Ar­beits­verhält­nis aus.

Um mit Blick auf Aus­schluss­fris­ten nichts an­bren­nen zu las­sen, ver­lang­te sie noch im No­vem­ber 2011 Ur­laubs­ab­gel­tung für die neun Mo­na­te ih­rer un­be­zahl­ten Frei­stel­lung, d.h. 1.979,17 EUR, und klag­te die­sen Be­trag im De­zem­ber 2011 ein.

Das Ar­beits­ge­richt Ber­lin wies die Kla­ge ab (Ur­teil vom 09.01.2012, 58 Ca 18678/11), während das Lan­des­ar­beits­ge­richt (LAG) Ber­lin-Bran­den­burg der Kran­ken­schwes­ter Recht gab (Ur­teil vom 15.05.2012, 3 Sa 230/12). Denn nach An­sicht des LAG kommt es für den Ur­laubs­an­spruch nur auf den recht­li­chen Be­stand des Ar­beits­verhält­nis­ses an.

BAG: Ur­laubs­ansprüche wer­den auch dann er­wor­ben und sind ab­zu­gel­ten, wenn das Ar­beits­verhält­nis ver­einarb­ungs­gemäß ruht

Das BAG schloss sich der Mei­nung des LAG Ber­lin-Bran­den­burg an und wies die Re­vi­si­on des Ar­beit­ge­bers zurück. So­weit sich aus der der­zeit al­lein vor­lie­gen­den Pres­se­mel­dung des BAG er­gibt, stützt sich das Ge­richt auf fol­gen­de Über­le­gun­gen:

Der ge­setz­li­che Min­des­t­ur­laub von vier Wo­chen pro Jahr (§ 1 BUrlG) ist gemäß § 13 Abs.1 Satz 1 und Satz 3 BUrlG un­ab­ding­bar. Er­for­der­lich für die Ent­ste­hung die­ses An­spruchs ist nur der recht­li­che Be­stand des Ar­beits­verhält­nis­ses und die Erfüllung der sechs­mo­na­ti­gen War­te­zeit, so das BAG.

Dem­nach ist es nach An­sicht des BAG für den Ur­laubs­an­spruch we­der er­for­der­lich, dass die bei­der­sei­ti­gen Haupt­leis­tungs­pflich­ten erfüllt wer­den, noch be­steht die Möglich­keit ei­ner an­tei­li­gen Kürzung des Ur­laubs­an­spruchs für die Dau­er ei­nes Sab­ba­ti­cals.

Ei­ne sol­che Kürzungsmöglich­keit be­steht nur auf der Grund­la­ge spe­zi­al­ge­setz­li­cher Re­ge­lun­gen, so z.B. beim Ru­hen des Ar­beits­verhält­nis­se in­fol­ge ei­ner El­tern­zeit (§ 17 Abs. 1 Satz 1 BEEG) oder ei­nes Wehr­diens­tes (§ 4 Abs. 1 Satz 1 Ar­beits­platz­schutz­ge­setz). Aus die­sen Ein­zel­ge­set­zen lässt sich aber kein all­ge­mei­ner Rechts­grund­satz her­lei­ten, dass das Ru­hen des Ar­beits­verhält­nis­ses den Ar­beit­ge­ber zur Ur­laubskürzung be­rech­tigt, denn während ei­ner Pfle­ge­zeit z.B. be­steht ei­ne sol­che Kürzungsmöglich­keit nicht, vgl. § 3 Pfle­ge­zeit­ge­setz (Pfle­geZG) in Verb. mit § 4 Pfle­geZG.

Fa­zit: Ruht ein Ar­beits­verhält­nis auf­grund ei­ner ar­beits­ver­trag­li­chen Ver­ein­ba­rung der Ar­beits­ver­trags­par­tei­en, d.h.

führt das we­der da­zu, dass der ge­setz­li­che Ur­laubs­an­spruch für die Ru­hens­zeit gar nicht erst ent­steht, noch ist der Ar­beit­ge­ber da­zu be­rech­tigt, den ge­setz­li­chen Ur­laub für die Zeit des Ru­hens zu kürzen.

Im vor­lie­gen­den Fall stan­den der Kläge­rin da­her vol­le vier Wo­chen Ur­laubs­ab­gel­tung zu (von de­nen sie aber nur drei Wo­chen ein­ge­klagt hat­te, nämlich zeit­an­tei­lig für die neun Mo­na­te für Ja­nu­ar bis Sep­tem­ber). Ihr vol­ler vierwöchi­ger Ur­laubs­an­spruch für 2011 war nämlich am 01.01.2011 ent­stan­den, und ei­ne zeit­an­tei­li­ge Kürzung des Ur­laubs und Ur­laubs­ab­gel­tungs­an­spruchs sieht das Ge­setz nach erfüll­ter War­te­zeit nur für den Fall vor, dass der Ar­beit­neh­mer im ers­ten Ka­len­der­halb­jahr aus­schei­det (§ 5 Abs.1 Nr. c) BUrlG).

Nähe­re In­for­ma­tio­nen fin­den Sie hier: 

Hin­weis: In der Zwi­schen­zeit, d.h. nach Er­stel­lung die­ses Ar­ti­kels, hat das BAG sei­ne Ent­schei­dungs­gründe veröffent­licht. Das vollständig be­gründe­te Ur­teil des BAG fin­den Sie hier:

Letzte Überarbeitung: 4. Juni 2019

Weitere Auskünfte erteilen Ihnen gern:

Dr. Martin Hensche
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Kontakt:
030 / 26 39 620
hensche@hensche.de
Christoph Hildebrandt
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Kontakt:
030 / 26 39 620
hildebrandt@hensche.de
Nina Wesemann
Rechtsanwältin
Fachanwältin für Arbeitsrecht

Kontakt:
040 / 69 20 68 04
wesemann@hensche.de
Bewertung: 4.0 von 5 Sternen (21 Bewertungen)

Auf Facebook teilen Auf Google+ teilen Ihren XING-Kontakten zeigen Beitrag twittern

 

Für Personaler, betriebliche Arbeitnehmervertretungen und andere Arbeitsrechtsprofis: "Update Arbeitsrecht" bringt Sie regelmäßig auf den neusten Stand der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung. Informationen zu den Abo-Bedingungen und ein kostenloses Ansichtsexemplar finden Sie hier:

Alle vierzehn Tage alles Wichtige
verständlich / aktuell / praxisnah

HINWEIS: Sämtliche Texte dieser Internetpräsenz mit Ausnahme der Gesetzestexte und Gerichtsentscheidungen sind urheberrechtlich geschützt. Urheber im Sinne des Gesetzes über Urheberrecht und verwandte Schutzrechte (UrhG) ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht Dr. Martin Hensche, Lützowstraße 32, 10785 Berlin.

Wörtliche oder sinngemäße Zitate sind nur mit vorheriger schriftlicher Genehmigung des Urhebers bzw. bei ausdrücklichem Hinweis auf die fremde Urheberschaft (Quellenangabe iSv. § 63 UrhG) rechtlich zulässig. Verstöße hiergegen werden gerichtlich verfolgt.

© 1997 - 2024:
Rechtsanwalt Dr. Martin Hensche, Berlin
Fachanwalt für Arbeitsrecht
Lützowstraße 32, 10785 Berlin
Telefon: 030 - 26 39 62 0
Telefax: 030 - 26 39 62 499
E-mail: hensche@hensche.de