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BAG, Ur­teil vom 06.05.2014, 9 AZR 678/12

   
Schlagworte: Urlaubsabgeltung, Urlaub: Ruhendes Arbeitsverhältnis, Sonderurlaub, Freistellung: Urlaub, Sabbatical
   
Gericht: Bundesarbeitsgericht
Aktenzeichen: 9 AZR 678/12
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 06.05.2014
   
Leitsätze: Vereinbaren die Arbeitsvertragsparteien unbezahlten Sonderurlaub, hindert die Suspendierung der wechselseitigen Hauptpflichten aus dem Arbeitsverhältnis grundsätzlich nicht das Entstehen gesetzlicher Urlaubsansprüche.
Vorinstanzen: Arbeitsgericht Berlin, Urteil vom 9.1.2012 - 58 Ca 18678/11
Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 15.5.2012 - 3 Sa 230/12
   


BUN­DES­AR­BEITS­GERICHT

9 AZR 678/12

3 Sa 230/12
Lan­des­ar­beits­ge­richt

Ber­lin-Bran­den­burg

 

Im Na­men des Vol­kes!

Verkündet am

6. Mai 2014

UR­TEIL

Brüne, Ur­kunds­be­am­tin

der Geschäfts­stel­le


In Sa­chen

Be­klag­te, Be­ru­fungs­be­klag­te und Re­vi­si­onskläge­rin,

pp.

Kläge­rin, Be­ru­fungskläge­rin und Re­vi­si­ons­be­klag­te,

hat der Neun­te Se­nat des Bun­des­ar­beits­ge­richts auf­grund der münd­li­chen Ver­hand­lung vom 6. Mai 2014 durch den Vor­sit­zen­den Rich­ter am Bun­des­ar­beits­ge­richt Dr. Brühler, die Rich­ter am Bun­des­ar­beits­ge­richt Krasshöfer und Klo­se
 


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so­wie die eh­ren­amt­li­chen Rich­ter An­t­ho­ni­sen und Neu­mann-Red­lin für Recht er­kannt:


1. Die Re­vi­si­on der Be­klag­ten ge­gen das Ur­teil des Lan­des­ar­beits­ge­richts Ber­lin-Bran­den­burg vom 15. Mai 2012 - 3 Sa 230/12 - wird zurück­ge­wie­sen.


2. Die Be­klag­te hat die Kos­ten der Re­vi­si­on zu tra­gen.

Von Rechts we­gen!

Tat­be­stand

Die Kläge­rin ver­langt von der Be­klag­ten die Ab­gel­tung von 15 Ta­gen ge­setz­li­chen Ur­laub aus dem Jahr 2011 in rech­ne­risch un­strei­ti­ger Höhe von 1.846,00 Eu­ro brut­to.


Die Kläge­rin war bei der Be­klag­ten, ei­ner Uni­ver­sitätskli­nik, seit dem 1. Au­gust 2002 als Kran­ken­schwes­ter beschäftigt. Auf An­trag der Kläge­rin gewähr­te die Be­klag­te ihr gemäß § 28 des Ta­rif­ver­trags für die Cha­rité - Uni­ver­sitäts­me­di­zin Ber­lin vom 1. Ja­nu­ar 2007 (TV-Cha­rité) Son­der­ur­laub un­ter Fort­fall des Ent­gelts vom 1. Ja­nu­ar 2011 zunächst bis zum 30. Ju­ni 2011 und später bis zum 30. Sep­tem­ber 2011. Nach die­ser Ta­rif­vor­schrift war es möglich, bei Vor­lie­gen ei­nes wich­ti­gen Grun­des un­ter Ver­zicht auf die Fort­zah­lung des Ent­gelts Son­der­ur­laub zu er­hal­ten.


In § 26 Abs. 2 Buchst. c TV-Cha­rité war ge­re­gelt: 


„Ruht das Ar­beits­verhält­nis, so ver­min­dert sich die Dau­er des Er­ho­lungs­ur­laubs ein­sch­ließlich ei­nes et­wai­gen Zu­satz­ur­laubs für je­den vol­len Ka­len­der­mo­nat um ein Zwölf­tel.“


Das Ar­beits­verhält­nis en­de­te auf­grund ei­ner Kündi­gung der Kläge­rin mit Ab­lauf des 30. Sep­tem­ber 2011. Mit Schrei­ben vom 16. No­vem­ber 2011 for­der-

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te die Kläge­rin die Be­klag­te er­folg­los auf, ihr 15 Ta­ge ge­setz­li­chen Ur­laub aus dem Jahr 2011 ab­zu­gel­ten.


Mit ih­rer am 7. De­zem­ber 2011 beim Ar­beits­ge­richt ein­ge­gan­ge­nen Kla­ge hat die Kläge­rin die An­sicht ver­tre­ten, auch während des Son­der­ur­laubs sei­en Ur­laubs­ansprüche ent­stan­den. Die­se ha­be die Be­klag­te nicht kürzen dürfen.


Die Kläge­rin hat zu­letzt be­an­tragt, 


die Be­klag­te zu ver­ur­tei­len, an sie ei­nen Be­trag iHv. 1.846,00 Eu­ro brut­to nebst Zin­sen iHv. fünf Pro­zent­punk­ten über dem Ba­sis­zins­satz seit dem 1. De­zem­ber 2011 zu zah­len.


Die Be­klag­te hat zu ih­rem Kla­ge­ab­wei­sungs­an­trag die Auf­fas­sung ver­tre­ten, im ru­hen­den Ar­beits­verhält­nis sei­en kei­ne Ur­laubs­ansprüche ent­stan­den. Je­den­falls sei sie be­fugt, die­se we­gen des Son­der­ur­laubs zu kürzen.


Das Ar­beits­ge­richt hat die Kla­ge ab­ge­wie­sen. Auf die Be­ru­fung der Kläge­rin hat das Lan­des­ar­beits­ge­richt das Ur­teil des Ar­beits­ge­richts ab­geändert und der Kla­ge statt­ge­ge­ben. Mit ih­rer Re­vi­si­on be­gehrt die Be­klag­te die Wie­der­her­stel­lung des erst­in­stanz­li­chen Ur­teils und be­haup­tet nun­mehr, der Son­der­ur­laub der Kläge­rin ha­be am 30. Ju­ni 2011 ge­en­det. Die­se ha­be zwar ei­ne Verlänge­rung be­an­tragt, die ihr je­doch nicht gewährt wor­den sei. Die Kläge­rin sei in der Zeit vom 1. Ju­li bis zum 30. Sep­tem­ber 2011 ei­genmäch­tig vom Dienst fern­ge­blie­ben. Im Übri­gen sei die Kläge­rin während des Son­der­ur­laubs für ei­nen an­de­ren Ar­beit­ge­ber tätig ge­we­sen und ha­be von die­sem be­zahl­ten Ur­laub bzw. Ur­laubs­ab­gel­tung er­hal­ten.

Ent­schei­dungs­gründe

Die zulässi­ge Re­vi­si­on der Be­klag­ten ist un­be­gründet. Der Kläge­rin steht gemäß § 7 Abs. 4 BUrlG ein An­spruch auf Ur­laubs­ab­gel­tung iHv. 1.846,00 Eu­ro brut­to nebst Zin­sen zu.
 


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I. Auch wenn zu­guns­ten der Be­klag­ten da­von aus­ge­gan­gen wird, dass das Ar­beits­verhält­nis der Par­tei­en während des Son­der­ur­laubs gemäß § 28 TV-Cha­rité ruh­te (vgl. zum Be­griff des Ru­hens: BAG 10. Mai 1989 - 6 AZR 660/87 - zu B II 1 der Gründe, BA­GE 62, 35), ent­stand der ge­setz­li­che Ur­laubs­an­spruch der Kläge­rin am 1. Ja­nu­ar 2011. Oh­ne Rechts­feh­ler hat das Lan­des­ar­beits­ge­richt an­ge­nom­men, dass die mit der Ru­hens­ver­ein­ba­rung be­wirk­te Su­s­pen­die­rung der wech­sel­sei­ti­gen Haupt­pflich­ten aus dem Ar­beits­verhält­nis das Ent­ste­hen des ge­setz­li­chen Ur­laubs­an­spruchs nicht hin­der­te.


1. Für das Ent­ste­hen des Ur­laubs­an­spruchs ist nach dem Bun­des­ur­laubs­ge­setz al­lein das Be­ste­hen ei­nes Ar­beits­verhält­nis­ses Vor­aus­set­zung. Der Ur­laubs­an­spruch nach den §§ 1, 3 Abs. 1 BUrlG steht nicht un­ter der Be­din­gung, dass der Ar­beit­neh­mer im Be­zugs­zeit­raum ei­ne Ar­beits­leis­tung er­bracht hat (BAG 7. Au­gust 2012 - 9 AZR 353/10 - Rn. 8 mwN zur st. Rspr., BA­GE 142, 371). Der Se­nat hat be­reits ent­schie­den, dass auch dann Ur­laubs­ansprüche ent­ste­hen, wenn das Ar­beits­verhält­nis ruht und das Ru­hen des Ar­beits­verhält­nis­ses dar­auf zurück­zuführen ist, dass der Ar­beit­neh­mer aus ge­sund­heit­li­chen Gründen sei­ne Ver­pflich­tung zur Ar­beits­leis­tung nicht erfüllen kann (BAG 7. Au­gust 2012 - 9 AZR 353/10 - Rn. 13 ff., aaO).


2. Nichts an­de­res gilt, wenn die Ar­beits­ver­trags­par­tei­en das Ru­hen des Ar­beits­verhält­nis­ses we­gen ei­nes vom Ar­beit­neh­mer be­an­trag­ten Son­der­ur­laubs ver­ein­ba­ren.


a) We­der enthält § 1 BUrlG, nach dem je­der Ar­beit­neh­mer in je­dem Ka­len­der­jahr An­spruch auf be­zahl­ten Er­ho­lungs­ur­laub hat, ei­ne Aus­nah­me­re­ge­lung für den Fall des Ru­hens des Ar­beits­verhält­nis­ses, noch nimmt § 2 Satz 1 BUrlG Ar­beit­neh­mer, de­ren Ar­beits­verhält­nis kraft Ab­re­de der Ar­beits­ver­trags­par­tei­en oder auf­grund ta­rif­li­cher An­ord­nung ruht, vom Gel­tungs­be­reich des Bun­des­ur­laubs­ge­set­zes aus (vgl. BAG 7. Au­gust 2012 - 9 AZR 353/10 - Rn. 16, BA­GE 142, 371). § 5 BUrlG sieht kei­ne Quo­telung des Ur­laubs­an­spruchs für Zei­ten ei­nes Ka­len­der­jah­res vor, in de­nen das Ar­beits­verhält­nis ruht. Auch in § 17 BEEG und § 4 Arb­PlSchG ist der Ge­setz­ge­ber da­von aus­ge-


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gan­gen, dass im ru­hen­den Ar­beits­verhält­nis Ur­laubs­ansprüche ent­ste­hen. Dies zei­gen die in die­sen Vor­schrif­ten ge­re­gel­ten Kürzungs­be­fug­nis­se des Ar­beit­ge­bers (vgl. für die El­tern­zeit: BAG 17. Mai 2011 - 9 AZR 197/10 - Rn. 24, BA­GE 138, 58; aA Po­wietz­ka/Christ NZA 2013, 18, 21 f.). Nur ein ent­stan­de­ner Ur­laubs­an­spruch kann gekürzt wer­den (so schon BAG 30. Ju­li 1986 - 8 AZR 475/84 - zu I 3 der Gründe, BA­GE 52, 305).

b) Die An­sicht der Re­vi­si­on, ein ru­hen­des Ar­beits­verhält­nis ste­he ei­nem Teil­zeit­ar­beits­verhält­nis mit ei­ner Ar­beits­pflicht an „null Ta­gen“ in der Wo­che gleich, so­dass nach der bei Teil­zeit­beschäfti­gun­gen übli­chen Um­rech­nungs­for­mel der Ur­laubs­an­spruch „null Ta­ge“ be­tra­ge, ist un­zu­tref­fend (vgl. BAG 7. Au­gust 2012 - 9 AZR 353/10 - Rn. 17, BA­GE 142, 371; Höpfner Anm. AP BUrlG § 7 Nr. 61, zu I 2 b). Ver­ein­ba­ren die Ar­beits­ver­trags­par­tei­en das Ru­hen des Ar­beits­verhält­nis­ses und da­mit die Su­s­pen­die­rung der wech­sel­sei­ti­gen Haupt­pflich­ten aus dem Ar­beits­verhält­nis, be­gründen sie kein Teil­zeit­ar­beits­verhält­nis iSv. § 2 Abs. 1 Tz­B­fG. Der Ar­beit­neh­mer ist in ei­nem sol­chen Fall nicht mit ei­ner Wo­chen­ar­beits­zeit beschäftigt, die kürzer ist als die ei­nes ver­gleich­ba­ren voll­zeit­beschäftig­ten Ar­beit­neh­mers. Im ru­hen­den Ar­beits­verhält­nis wird der Ar­beit­neh­mer gar nicht beschäftigt. Eben­so wie beim be­zahl­ten Er­ho­lungs­ur­laub ist der Ar­beit­neh­mer für die Zeit des Son­der­ur­laubs von sei­ner Ar­beits­pflicht be­freit. Im Un­ter­schied zum Er­ho­lungs­ur­laub entfällt in al­ler Re­gel der Vergütungs­an­spruch. Ei­ne Be­frei­ung von der Ar­beits­pflicht setzt be­griff­lich vor­aus, dass die Ar­beits­pflicht „an sich“ fort­be­steht. Sie muss vom Ar­beit­neh­mer al­ler­dings we­gen der Frei­stel­lung von der Ver­pflich­tung zur Ar­beits­leis­tung nicht erfüllt wer­den. Würde ei­ne Son­der­ur­laubs­ab­re­de als Ver­ein­ba­rung ei­ner Ar­beits­zeit „Null“ ver­stan­den, würde die Ar­beits­pflicht auf­ge­ho­ben. Das ist et­was an­de­res, als die Frei­stel­lung von ei­ner grundsätz­lich wei­ter be­ste­hen­den ver­trag­li­chen Ar­beits­pflicht (BAG 1. Ok­to­ber 2002 - 9 AZR 278/02 - zu II 1 b der Gründe, BA­GE 103, 54; vgl. zur El­tern­zeit auch: BAG 19. April 2005 - 9 AZR 233/04 - zu II 3 b hh der Gründe, BA­GE 114, 206).


c) Der Um­stand, dass das Ru­hen des Ar­beits­verhält­nis­ses auf­grund ei­nes An­trags der Kläge­rin ver­ein­bart wur­de, ge­bie­tet kei­ne an­de­re Be­ur­tei­lung (vgl.
 


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Boecken/Ja­cob­sen ZTR 2011, 267, 270 f.; aA Pi­cker ZTR 2009, 230, 237; diff. Höpfner Anm. AP BUrlG § 7 Nr. 61, zu II). So­wohl der Um­fang des Min­des­t­ur­laubs­an­spruchs als auch die De­fi­ni­ti­on des Gel­tungs­be­reichs des Bun­des­ur­laubs­ge­set­zes sind gemäß § 13 Abs. 1 BUrlG der Dis­po­si­ti­on der Ar­beits­ver­trags­par­tei­en ent­zo­gen (vgl. BAG 7. Au­gust 2012 - 9 AZR 353/10 - Rn. 16, BA­GE 142, 371). An­ge­sichts der im Ar­beits­verhält­nis ty­pi­scher­wei­se be­ste­hen­den struk­tu­rel­len Un­gleich­ge­wichts­la­ge bestünde an­sons­ten die Ge­fahr, dass der Ar­beit­neh­mer letzt­lich „un­frei­wil­lig“ auf sei­ne Ur­laubs­ansprüche ver­zich­ten könn­te (vgl. zur Ein­wil­li­gung in die Da­ten­ver­ar­bei­tung: HK-ArbR/Hil­brans 3. Aufl. § 4a BDSG Rn. 3; WHW/Wäch­ter A VI Rn. 126, je­weils mwN).


d) Art. 12 GG ge­bie­tet kei­ne ein­schränken­de Aus­le­gung der §§ 1, 2, 3 Abs. 1 BUrlG in den Fällen des Ru­hens des Ar­beits­verhält­nis­ses bei un­be­zahl­tem Son­der­ur­laub (aA Plüm NZA 2013, 11, 17). Der Ar­beit­ge­ber ist ge­setz­lich nicht ver­pflich­tet, dem Ar­beit­neh­mer un­be­zahl­ten Son­der­ur­laub zu gewähren. Auch § 28 TV-Cha­rité stellt nur ei­ne „Kann-Re­ge­lung“ dar (vgl. zu § 50 BAT: BAG 12. Ja­nu­ar 1989 - 8 AZR 251/88 - zu B I 2 b der Gründe, BA­GE 60, 362). Gibt der Ar­beit­ge­ber dem An­trag des Ar­beit­neh­mers auf Son­der­ur­laub statt, er­folgt dies re­gelmäßig nach Abwägung der wech­sel­sei­ti­gen In­ter­es­sen. Er muss den Ar­beit­neh­mer im frag­li­chen Zeit­raum ent­beh­ren können und sich zu­gleich be­wusst sein, dass im ru­hen­den Ar­beits­verhält­nis Ne­ben­pflich­ten wei­ter be­ste­hen. Vor den Fol­gen ei­ner sol­chen un­ter­neh­me­ri­schen Ent­schei­dung schützt Art. 12 GG den Un­ter­neh­mer nicht.


II. Der am 1. Ja­nu­ar 2011 ent­stan­de­ne Jah­res­ur­laub der Kläge­rin war nicht für je­den vol­len Mo­nat des Son­der­ur­laubs um ein Zwölf­tel zu min­dern.

1. Da nach § 13 Abs. 1 Satz 1 BUrlG in Ta­rif­verträgen nicht von den §§ 1, 2 und 3 Abs. 1 BUrlG ab­ge­wi­chen wer­den kann, hat sich trotz des Ru­hens des Ar­beits­verhält­nis­ses der Par­tei­en von Ja­nu­ar bis Sep­tem­ber 2011 der ge­setz­li­che Ur­laubs­an­spruch der Kläge­rin für das Jahr 2011 nicht gemäß § 26 Abs. 2 Buchst. c TV-Cha­rité ver­min­dert (vgl. zur in­halts­glei­chen Re­ge­lung in § 26 Abs. 2 Buchst. c TVöD: BAG 7. Au­gust 2012 - 9 AZR 353/10 - Rn. 16,



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BA­GE 142, 371). Die in die­ser Ta­rif­vor­schrift ge­re­gel­te Ver­min­de­rung des ge­setz­li­chen Ur­laubs lässt § 13 Abs. 1 Satz 1 BUrlG nicht zu, so­dass die Be­stim­mung in­so­weit un­wirk­sam ist.


2. Die Be­klag­te konn­te den am 1. Ja­nu­ar 2011 ent­stan­de­nen Jah­res­ur­laub der Kläge­rin trotz des Son­der­ur­laubs nicht in ent­spre­chen­der An­wen­dung von § 17 Abs. 1 BEEG und § 4 Abs. 1 Arb­PlSchG kürzen. Die in die­sen Nor­men vor­ge­se­he­nen Kürzungsmöglich­kei­ten sind nicht Aus­druck ei­nes all­ge­mei­nen Rechts­ge­dan­kens und da­mit nicht auf al­le Fälle des Ru­hens des Ar­beits­verhält­nis­ses ana­log an­wend­bar (vgl. BAG 7. Au­gust 2012 - 9 AZR 353/10 - Rn. 19, BA­GE 142, 371). Ei­nem der­ar­ti­gen Verständ­nis steht ent­ge­gen, dass der Ge­setz­ge­ber in dem am 1. Ju­li 2008 in Kraft ge­tre­te­nen Pfle­ge­zeit­ge­setz nicht die Möglich­keit der Kürzung des Ur­laubs vor­ge­se­hen hat, ob­wohl während der Pfle­ge­zeit die Haupt­leis­tungs­pflich­ten aus dem Ar­beits­verhält­nis ru­hen. Es lässt sich auch nicht aus der Zu­sam­men­schau der Re­ge­lun­gen des § 17 BEEG, des § 4 Arb­PlSchG und des § 4 Pfle­geZG der Rechts­satz ent­wi­ckeln, dass nur bis zu sechs­mo­na­ti­ge Ar­beits­un­ter­bre­chun­gen den Ur­laubs­an­spruch nicht berühren, länge­re hin­ge­gen schon (aA Ha­nau/Veit Das neue Recht der Ar­beits­zeit­kon­ten S. 34). Dies folgt schon dar­aus, dass El­tern­zeit kürzer als sechs Mo­na­te in An­spruch ge­nom­men wer­den kann und auch ge­nom­men wird (im Jahr 2012 nah­men zB 18 % der Be­zie­her nur bis zu zwei Mo­na­te El­tern­geld in An­spruch, vgl. El­tern­geld­sta­tis­tik un­ter www.de­sta­tis.de).

3. Das Uni­ons­recht zwingt nicht zu ei­ner Ver­rin­ge­rung des Ur­laubs­an­spruchs we­gen des Ru­hens ei­nes Ar­beits­verhält­nis­ses. Zwar geht der Ge­richts­hof der Eu­ropäischen Uni­on bei Ar­beit­neh­mern, in de­ren Ar­beits­verhält­nis die ge­gen­sei­ti­gen (Haupt-)Leis­tungs­pflich­ten auf­grund von Kurz­ar­beit sus­pen­diert bzw. auf­ge­ho­ben sind, da­von aus, dass de­ren Si­tua­ti­on fak­tisch der Si­tua­ti­on von Teil­zeit­beschäftig­ten ver­gleich­bar sei (EuGH 8. No­vem­ber 2012 - C-229/11 und C-230/11 - [Hei­mann und Tolt­schin] Rn. 32). Art. 31 Abs. 2 der Char­ta der Grund­rech­te der Eu­ropäischen Uni­on und Art. 7 Abs. 1 der Richt­li­nie 2003/88/EG des Eu­ropäischen Par­la­ments und des Ra­tes vom 4. No­vem­ber 2003 über be­stimm­te As­pek­te der Ar­beits­zeit­ge­stal­tung (im Fol­gen­den: Ar­beits-



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zeit­richt­li­nie) legt er so aus, dass sie na­tio­na­len Rechts­vor­schrif­ten oder Ge­pflo­gen­hei­ten, nach de­nen der An­spruch ei­nes Kurz­ar­bei­ters auf be­zahl­ten Jah­res­ur­laub pro ra­ta tem­po­ris be­rech­net wer­de, nicht ent­ge­gen­ste­hen. Dar­aus folgt je­doch nicht, dass es uni­ons­recht­lich ge­bo­ten ist, den Jah­res­ur­laub nach deut­schem Ur­laubs­recht bei ei­nem Ru­hen des Ar­beits­verhält­nis­ses zu kürzen (Bay­reu­ther DB 2012, 2748, 2749; Plüm NZA 2013, 11, 17; Po­wietz­ka/Christ NZA 2013, 18, 21). Viel­mehr enthält die Ar­beits­zeit­richt­li­nie nach ih­rem Art. 1 Abs. 1 nur Min­dest­vor­schrif­ten (EuGH 3. Mai 2012 - C-337/10 - [Nei­del] Rn. 35). Das Recht der Mit­glied­staa­ten, für die Si­cher­heit und den Ge­sund­heits­schutz der Ar­beit­neh­mer güns­ti­ge­re Rechts- und Ver­wal­tungs­vor­schrif­ten an­zu­wen­den oder zu er­las­sen, bleibt nach Art. 15 der Ar­beits­zeit­richt­li­nie aus­drück­lich un­berührt. Zwar darf die An­wen­dung ei­ner sol­chen Be­stim­mung in ei­ner Richt­li­nie nach der jünge­ren Recht­spre­chung des EuGH nicht da­zu führen, dass der We­sens­ge­halt des Rechts des Ar­beit­ge­bers auf un­ter­neh­me­ri­sche Frei­heit be­ein­träch­tigt wird (vgl. zu Art. 8 der Richt­li­nie 2001/23/EG des Ra­tes vom 12. März 2001 zur An­glei­chung der Rechts­vor­schrif­ten der Mit­glied­staa­ten über die Wah­rung von Ansprüchen der Ar­beit­neh­mer beim Über­gang von Un­ter­neh­men, Be­trie­ben oder Un­ter­neh­mens- oder Be­triebs­tei­len: EuGH 18. Ju­li 2013 - C-426/11 - [Alemo-Her­ron ua.] Rn. 36). Durch das Ent­ste­hen von Ur­laubs­ansprüchen oh­ne Er­brin­gung ei­ner Ar­beits­leis­tung im Be­zugs­zeit­raum wird der We­sens­ge­halt der un­ter­neh­me­ri­schen Frei­heit je­doch nicht be­ein­träch­tigt. Dies er­gibt sich aus der Recht­spre­chung des EuGH. Die Ar­beits­zeit­richt­li­nie ist da­nach so aus­zu­le­gen, dass sie es den Mit­glied­staa­ten ver­wehrt, den al­len Ar­beit­neh­mern ein­geräum­ten An­spruch auf be­zahl­ten Jah­res­ur­laub da­durch ein­sei­tig ein­zu­schränken, dass sie ei­ne Vor­aus­set­zung für die­sen An­spruch auf­stel­len, die be­wirkt, dass be­stimm­te Ar­beit­neh­mer von die­sem An­spruch aus­ge­schlos­sen sind (EuGH 26. Ju­ni 2001 - C-173/99 - [BEC­TU] Rn. 52, Slg. 2001, I-4881). Nach die­ser Recht­spre­chung steht es den Mit­glied­staa­ten zwar frei, in ih­ren in­ner­staat­li­chen Rechts­vor­schrif­ten die Vor­aus­set­zun­gen für die Ausübung und die Um­set­zung die­ses An­spruchs fest­zu­le­gen, sie dürfen da­bei aber die Ent­ste­hung die­ses An­spruchs selbst nicht von ir­gend­ei­ner Vor­aus­set­zung abhängig ma­chen (EuGH 24. Ja­nu­ar 2012 - C-282/10 -
 


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[Do­m­in­guez] Rn. 18 mwN). Vor die­sem Hin­ter­grund ist es uni­ons­recht­lich un­be­denk­lich, wenn das na­tio­na­le deut­sche Recht auch im Fal­le des Ru­hens des Ar­beits­verhält­nis­ses auf­grund ei­nes ver­ein­bar­ten un­be­zahl­ten Ur­laubs das Ent­ste­hen von Ur­laubs­ansprüchen vor­sieht.


III. Der Ur­laubs­an­spruch der Kläge­rin aus dem Jahr 2011 ist nicht durch Erfüllung ganz oder teil­wei­se er­lo­schen.


1. Un­strei­tig hat die Be­klag­te der Kläge­rin im Jahr 2011 kei­nen be­zahl­ten Er­ho­lungs­ur­laub gewährt. Dies war der Be­klag­ten auf­grund des be­reits gewähr­ten Son­der­ur­laubs auch nicht möglich (vgl. BAG 18. März 2014 - 9 AZR 669/12 - Rn. 16).


2. Es kann da­hin­ste­hen, ob sich die Be­klag­te auf die Ur­laubs­gewährung durch ei­nen an­de­ren Ar­beit­ge­ber in ei­nem an­de­ren Ar­beits­verhält­nis hätte be­ru­fen können (vgl. zur An­rech­nung von gewähr­tem Ur­laub im Dop­pel­ar­beits­verhält­nis nach Kündi­gung: BAG 21. Fe­bru­ar 2012 - 9 AZR 487/10 - BA­GE 141, 27). Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat in sei­nen für den Se­nat gemäß § 559 ZPO bin­den­den Fest­stel­lun­gen we­der das Be­ste­hen ei­nes an­de­ren Ar­beits­verhält­nis­ses noch ei­ne Ur­laubs­gewährung fest­ge­stellt. So­weit die Be­klag­te erst­mals in ih­rer Re­vi­si­ons­be­gründungs­schrift gel­tend macht, die Kläge­rin sei in der Zeit ab 1. Ja­nu­ar 2011 für ei­nen an­de­ren Ar­beit­ge­ber als Ar­beit­neh­me­rin tätig ge­we­sen und ha­be von die­sem Ur­laub bzw. Ur­laubs­ab­gel­tung er­hal­ten, kann die­ser Vor­trag un­ge­ach­tet des Feh­lens ent­spre­chen­der Fest­stel­lun­gen des Lan­des­ar­beits­ge­richts auch des­halb nicht berück­sich­tigt wer­den, weil die Be­klag­te kei­ne hin­rei­chend kon­kre­ten An­ga­ben zu die­sem Ar­beits­verhält­nis und zu dem von ihr be­haup­te­ten Er­ho­lungs­ur­laub der Kläge­rin bzw. der von ihr be­haup­te­ten Ur­laubs­ab­gel­tung ge­macht hat (vgl. zu Dop­pel­ar­beits­verhält­nis­sen, bei de­nen der Ar­beit­neh­mer die Pflich­ten aus bei­den Ar­beits­verhält­nis­sen erfüllen kann: BAG 21. Fe­bru­ar 2012 - 9 AZR 487/10 - Rn. 19, aaO).


IV. Die Be­klag­te hat 15 Ta­ge ge­setz­li­chen Ur­laub mit 1.846,00 Eu­ro brut­to ab­zu­gel­ten. Zwar blei­ben bei der Be­rech­nung des Ur­laubs­ent­gelts nach § 11 Abs. 1 Satz 3 BUrlG Ver­dienstkürzun­gen auf­grund von Ar­beits­versäum­nis, die
 


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im Be­rech­nungs­zeit­raum des § 11 Abs. 1 Satz 1 ein­ge­tre­ten sind, nur dann für die Be­rech­nung des Ur­laubs­ent­gelts außer Be­tracht, wenn sie un­ver­schul­det wa­ren. Nach den Fest­stel­lun­gen des Lan­des­ar­beits­ge­richts be­fand sich die Kläge­rin auch im Zeit­raum vom 1. Ju­li 2011 bis zum 30. Sep­tem­ber 2011 im Son­der­ur­laub. Un­be­zahl­ter Son­der­ur­laub stellt ei­ne un­ver­schul­de­te Ar­beits­versäum­nis iSd. § 11 Abs. 1 Satz 3 BUrlG dar (HWK/Schinz 6. Aufl. § 11 BUrlG Rn. 49). So­weit die Be­klag­te erst­mals in der Re­vi­si­ons­in­stanz gel­tend macht, die von der Kläge­rin be­an­trag­te Verlänge­rung des Son­der­ur­laubs über den 30. Ju­ni 2011 hin­aus sei von der Be­klag­ten ab­ge­lehnt wor­den, die Kläge­rin sei mit­hin ab dem 1. Ju­li 2011 un­ent­schul­digt von der Ar­beit fern­ge­blie­ben, ist die­ser neue Tat­sa­chen­vor­trag nach § 559 ZPO un­be­acht­lich.


1. Die Be­klag­te hat kei­nen zulässi­gen und be­gründe­ten Re­vi­si­ons­an­griff iSd. § 559 Abs. 2 ZPO ge­gen die Fest­stel­lung des Lan­des­ar­beits­ge­richts er­ho­ben, dass die Par­tei­en ein wei­te­res Ru­hen des Ar­beits­verhält­nis­ses bis zum 30. Sep­tem­ber 2011 ver­ein­bar­ten. Ins­be­son­de­re macht die Re­vi­si­on nicht gel­tend, dass be­reits in den Vor­in­stan­zen vor­ge­tra­gen wor­den sei, der Son­der­ur­laub ha­be nur bis zum 30. Ju­ni 2011 an­ge­dau­ert. Tatsächlich hat die Be­klag­te in ih­rer Be­ru­fungs­er­wi­de­rung vom 23. März 2012 erklärt: „Das Ar­beits­ge­richt hat zu­tref­fend aus­geführt, dass das Ar­beits­verhält­nis in der Zeit vom 01.01.2011 bis zum Aus­schei­den am 30.09.2011 auf­grund des von der Kläge­rin be­gehr­ten Son­der­ur­laubs ruh­te ...“

2. Der neue Tat­sa­chen­vor­trag der Be­klag­ten ist auch nicht aus­nahms­wei­se zu berück­sich­ti­gen, weil er zwi­schen den Par­tei­en un­strei­tig ist (vgl. zu die­ser Aus­nah­me: BAG 28. Ja­nu­ar 2010 - 2 AZR 985/08 - Rn. 14 mwN, BA­GE 133, 149). Die Kläge­rin hat in ih­rer Re­vi­si­ons­er­wi­de­rung vom 23. Ok­to­ber 2012 aus­drück­lich be­strit­ten, dass sie in dem Zeit­raum vom 1. Ju­li bis zum 30. Sep­tem­ber 2011 ei­genmäch­tig vom Dienst fern­ge­blie­ben sei.

V. Der Zins­an­spruch be­ruht auf § 286 Abs. 1 Satz 1, § 288 Abs. 1 BGB. Die Be­klag­te be­fand sich auf­grund der Zah­lungs­auf­for­de­rung der Kläge­rin vom 16. No­vem­ber 2011 ab dem 1. De­zem­ber 2011 mit der Leis­tung in Ver­zug.
 


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VI. Die Kos­ten­ent­schei­dung be­ruht auf § 97 Abs. 1, § 269 Abs. 3 Satz 2 iVm. § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO.

 

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