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Karlsruhe kippt Kopftuchverbot an Schulen
13.03.2015. In den Jahren 2007 bis 2009 stritten zwei angestellte muslimische Pädagoginnen aus Nordrhein-Westfalen vor den Arbeitsgerichten mit der Schulverwaltung über die Frage, ob sie an der Schule ein islamisches Kopftuch bzw. eine "islamische Baskenmütze" tragen dürfen oder nicht.
Beide Streitigkeiten wurden 2009 vom Bundesarbeitsgericht (BAG) gegen die Klägerinnen entschieden, d.h. das BAG erklärte die in einem Fall erteilte Abmahnung wegen der Baskenmütze für rechtens und in dem anderen Fall die Kündigung, die der Arbeitgeber wegen des Kopftuchtragens trotz Abmahnung erklärt hatte.
Ende Januar 2015, d.h. über fünf Jahre später, bekamen beide Pädagoginnen in Karlsruhe vor dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) Recht: BVerfG, Beschluss vom 27.01.2015, 1 BvR 471/10 und 1 BvR 1181/10.
- Religionsfreiheit muslimischer Lehrerinnen und Erzieherinnen contra Neutralität des Staates in religiösen Dingen
- Im Streit: Das Schulgesetz des Landes Nordrhein-Westfalen
- BVerfG: Ein allgemeines Kopftuchverbot an staatlichen Schulen verletzt die Religionsfreiheit muslimischer Pädagoginnen und ist daher auch auf gesetzlicher Grundlage verfassungswidrig
Religionsfreiheit muslimischer Lehrerinnen und Erzieherinnen contra Neutralität des Staates in religiösen Dingen
Der Staat als Arbeitgeber kann seinen Arbeitnehmern unter Berufung au sein Weisungsrecht nicht nur Arbeitsaufgaben zuweisen, sondern auch Vorgaben zur Bekleidung während der Arbeit machen (§ 106 Satz 1 Gewerbeordnung - GewO). Dabei muss er allerdings die Belange der betroffenen Arbeitnehmers berücksichtigen.
Zu diesen Belangen gehören auch die religiösen Überzeugungen der Arbeitnehmer, die durch Art.4 Abs.1 Grundgesetz (GG) geschützt sind. Daher dürfen Arbeitgeber ihren muslimischen Arbeitnehmerinnen im Allgemeinen nicht verbieten, während der Arbeit ein Kopftuch zu tragen, denn damit befolgen muslimische Arbeitnehmerinnen ein für sie geltendes religiöses Gebot.
Erst recht darf eine muslimische Arbeitnehmerin nicht "einfach so" abgemahnt oder gar gekündigt werden, weil sie darauf besteht, während der Arbeit eine ihrem Glauben entsprechende Kopfbedeckung zu tragen. Das hat das BAG bereits im Jahre 2002 entschieden. Hier ging es um eine in einem Kaufhaus arbeitende Verkäuferin (BAG, Urteil vom 10.10.2002, 2 AZR 472/01, wir berichteten in Arbeitsrecht aktuell: 02/05 Kopftuch ist kein Kündigungsgrund).
Ausnahmen gelten allerdings dann,
- wenn der Arbeitgeber selbst religiös gebunden ist, z.B. als christliches Krankenhaus (BAG, Urteil vom 24.09.2014, 5 AZR 611/12, wir berichteten in Arbeitsrecht aktuell: 14/326 Kopftuch am Arbeitsplatz), oder
- wenn der Arbeitgeber der Staat ist und auf der Grundlage eines entsprechenden Gesetzes seinen Arbeitnehmern religiöse Neutralität während des Dienstes abverlangt.
Der zweite Fall (staatliche Neutralität plus entsprechendes Gesetz als Rechtfertigung für ein Kopftuchverbot am Arbeitsplatz) ergibt sich aus einer Grundsatzentscheidung des BVerfG aus dem Jahre 2003. Damals hatte das BVerfG entschieden, dass für ein Kopftuchverbot an staatlichen Schulen eine gesetzliche Grundlage erforderlich ist (BVerfG, Urteil vom 24.09.2003, 2 BvR 1436/02). In diesem Urteil betonte das BVerfG, dass der Gesetzgeber bei der Schaffung einer solchen gesetzlichen Regelung einen weiten Spielraum hat.
In der jetzt ergangenen Entscheidung ist das BVerfG allerdings von seiner Linie aus dem Jahre 2003 abgerückt und hat zugunsten moslemischer Lehrerinnen und Erzieherinnen, die in staatlichen Schulen arbeiten, pro Religionsfreiheit und damit contra staatliche Neutralität entschieden.
Im Streit: Das Schulgesetz des Landes Nordrhein-Westfalen
Da das BVerfG mit seinem o.g. Urteil gesetzliche Grundlagen für ein Kopftuchverbot an staatlichen Schulen gefordert hatte (BVerfG, Urteil vom 24.09.2003, 2 BvR 1436/02), änderte das Land Nordrhein-Westfalen (NRW) sein Schulgesetz mit Wirkung zum 01.08.2006. § 57 Abs.4 Sätze 1 bis 3 Schulgesetz NRW lautet seitdem:
"Lehrerinnen und Lehrer dürfen in der Schule keine politischen, religiösen, weltanschaulichen oder ähnliche äußere Bekundungen abgeben, die geeignet sind, die Neutralität des Landes gegenüber Schülerinnen und Schülern sowie Eltern oder den politischen, religiösen oder weltanschaulichen Schulfrieden zu gefährden oder zu stören. Insbesondere ist ein äußeres Verhalten unzulässig, welches bei Schülerinnen und Schülern oder den Eltern den Eindruck hervorrufen kann, dass eine Lehrerin oder ein Lehrer gegen die Menschenwürde, die Gleichberechtigung nach Artikel 3 des Grundgesetzes, die Freiheitsgrundrechte oder die freiheitlich-demokratische Grundordnung auftritt. Die Wahrnehmung des Erziehungsauftrags nach Artikel 7 und 12 Abs. 6 der Verfassung des Landes Nordrhein-Westfalen und die entsprechende Darstellung christlicher und abendländischer Bildungs- und Kulturwerte oder Traditionen widerspricht nicht dem Verhaltensgebot nach Satz 1."
Unter Berufung auf § 57 Abs.4 Satz 1 Schulgesetz NRW verlangte die Schulverwaltung von einer moslemischen Lehrerin, während des Unterrichts kein Kopftuch zu tragen, was diese verweigerte, woraufhin es zu einer Abmahnung und letztlich zur Kündigung kam, die die Arbeitsgerichte bis hin zum BAG für rechtens hielten (BAG, Urteil vom 10.12.2009, 2 AZR 55/09).
In einem ähnlichen Fall stritten eine moslemische Erzieherin und die Schulverwaltung über eine Baskenmütze, die die Erzieherin anstelle eines Kopftuchs trug. Sie wurde wegen dieser "islamischen Baskenmütze" abgemahnt und zog vor Gericht, allerdings ohne Erfolg (BAG, Urteil vom 20.08.2009, 2 AZR 499/08, wir berichteten in Arbeitsrecht aktuell: 09/151 Abmahnung wegen islamischer Baskenmütze in der Schule rechtens).
BVerfG: Ein allgemeines Kopftuchverbot an staatlichen Schulen verletzt die Religionsfreiheit muslimischer Pädagoginnen und ist daher auch auf gesetzlicher Grundlage verfassungswidrig
Das BVerfG entschied, dass die beiden Urteile des BAG und die vorausgegangenen Urteile der Arbeits- und Landesarbeitsgerichte rechtswidrig waren und dass § 57 Abs.4 Satz 3 Schulgesetz NRW eine verfassungswidrige Bevorzugung der christlichen Religion ist. Zwei Richter sahen das teilweise anders und veröffentlichten eine dementsprechende abweichende Stellungnahme.
Die Mehrheitsmeinung des BVerfG zu § 57 Abs.4 Satz 1 Schulgesetz NRW besagt, dass der Staat - auch auf gesetzlicher Grundlage - zu weitgehend in die Religionsfreiheit moslemischer Lehrer- und Erzieherinnen an staatlichen Schulen eingreift, wenn er ihnen religiös motivierte Kopfbedeckungen generell verbietet. Nur dann, wenn eine "konkrete Gefahr" für das friedliche Miteinander an staatlichen Schulen droht, wäre ein Kopftuchverbot denkbar, so die Karlsruher Richter.
Die Entscheidung ist aus Sicht des Landes Nordrhein-Westfalen frustrierend, hat man doch gerade mit Blick auf die Kopftuch-Entscheidung des BVerfG aus dem Jahre 2003 das Landesschulgesetz geändert und das Verbot religiöser Bekundungen in das Gesetz aufgenommen. Aber da das BVerfG natürlich nicht an seine eigenen älteren Entscheidungen gebunden ist, muss das Schulgesetz jetzt erneut nachgebessert werden.
Fazit: Künftig dürfen muslimische Lehrerinnen und Erzieherinnen in staatlichen Schulen und Kindergärten ein Kopftuch tragen und auf diese Weise ihre Zugehörigkeit zum Islam zum Ausdruck bringen.
Nähere Informationen finden Sie hier:
- Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 27.01.2015, 1 BvR 471/10 und 1 BvR 1181/10
- Bundesverfassungsgericht, Pressemitteilung Nr. 14/2015 vom 13.03.2015: Ein pauschales Kopftuchverbot für Lehrkräfte in öffentlichen Schulen ist mit der Verfassung nicht vereinbar, Beschluss vom Beschluss vom 27.01.2015, 1 BvR 471/10, 1 BvR 1181/10
- Bundesverfassungsgericht, Urteil vom 24.09.2003, 2 BvR 1436/02
- Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 24.09.2014, 5 AZR 611/12
- Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 20.08.2009, 2 AZR 499/08
- Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 10.12.2009, 2 AZR 55/09
- Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 10.10.2002, 2 AZR 472/01
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Letzte Überarbeitung: 5. Juni 2020
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