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BVerfG, Be­schluss vom 27.01.2015, 1 BvR 471/10 1 BvR 11181/10

   
Schlagworte: Kopftuch, Kopftuchverbot, Diskriminierung, Religion
   
Gericht: Bundesverfassungsgericht
Aktenzeichen: 1 BvR 471/10
1 BvR 11181/10
Typ: Beschluss
Entscheidungsdatum: 27.01.2015
   
Leitsätze: Der Schutz des Grundrechts auf Glaubens- und Bekenntnisfreiheit (Art. 4 Abs. 1 und 2 GG) gewährleistet auch Lehrkräften in der öffentlichen bekenntnisoffenen Gemeinschaftsschule die Freiheit, einem aus religiösen Gründen als verpflichtend verstandenen Bedeckungsgebot zu genügen, wie dies etwa durch das Tragen eines islamischen Kopftuchs der Fall sein kann.

Ein landesweites gesetzliches Verbot religiöser Bekundungen (hier: nach § 57 Abs. 4 SchulG NW) durch das äußere Erscheinungsbild schon wegen der bloß abstrakten Eignung zur Begründung einer Gefahr für den Schulfrieden oder die staatliche Neutralität in einer öffentlichen bekenntnisoffenen Gemeinschaftsschule ist unverhältnismäßig, wenn dieses Verhalten nachvollziehbar auf ein als verpflichtend verstandenes religiöses Gebot zurückzuführen ist. Ein angemessener Ausgleich der verfassungsrechtlich verankerten Positionen - der Glaubensfreiheit der Lehrkräfte, der negativen Glaubens- und Bekenntnisfreiheit der Schülerinnen und Schüler sowie der Eltern, des Elterngrundrechts und des staatlichen Erziehungsauftrags - erfordert eine einschränkende Auslegung der Verbotsnorm, nach der zumindest eine hinreichend konkrete Gefahr für die Schutzgüter vorliegen muss.

Wird in bestimmten Schulen oder Schulbezirken aufgrund substantieller Konfliktlagen über das richtige religiöse Verhalten bereichsspezifisch die Schwelle zu einer hinreichend konkreten Gefährdung oder Störung des Schulfriedens oder der staatlichen Neutralität in einer beachtlichen Zahl von Fällen erreicht, kann ein verfassungsrechtlich anzuerkennendes Bedürfnis bestehen, religiöse Bekundungen durch das äußere Erscheinungsbildnicht nicht erst im konkreten Einzelfall, sondern etwa für bestimmte Schulen oder Schulbezirke über eine gewisse Zeit auch allgemeiner zu unterbinden.

Werden äußere religiöse Bekundungen durch Pädagoginnen und Pädagogen in der öffentlichen bekenntnisoffenen Gemeinschaftsschule zum Zweck der Wahrung des Schulfriedens und der staatlichen Neutralität gesetzlich untersagt, so muss dies für alle Glaubens- und Weltanschauungsrichtungen grundsätzlich unterschiedslos geschehen.
Vorinstanzen: Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 20.08.2009 - 2 AZR 499/08
   

BUN­DES­VER­FASSUN­GS­GERICHT
- 1 BvR 471/10 -
- 1 BvR 1181/10 -

IM NA­MEN DES VOL­KES

In den Ver­fah­ren

über

die Ver­fas­sungs­be­schwer­den

I. der Frau A...,

 

- 2 -

- Be­vollmäch­tig­ter: Prof. Dr. Chris­ti­an Wal­ter,
Prof.-Hu­ber-Platz 2, 80539 München -

1. un­mit­tel­bar ge­gen

a) das Ur­teil des Bun­des­ar­beits­ge­richts vom 20. Au­gust 2009 - 2 AZR 499/08 -,

b) das Ur­teil des Lan­des­ar­beits­ge­richts Düssel­dorf
vom 10. April 2008 - 5 Sa 1836/07 -,

c) das Ur­teil des Ar­beits­ge­richts Düssel­dorf
vom 29. Ju­ni 2007 - 12 Ca 175/07 -,

2. mit­tel­bar ge­gen

§ 57 Abs. 4, § 58 Satz 2, 1. Fall des Schul­ge­set­zes für das Land

Nord­rhein-West­fa­len

 

- 3 -

vom 15. Fe­bru­ar 2005 (GV.NRW. S. 102) in der Fas­sung des Ers­ten Ge­set­zes zur Ände­rung des Schul­ge­set­zes für das Land Nord­rhein-West­fa­len vom 13. Ju­ni 2006 (GV.NRW. S. 270)

-1 BvR 471/10 -,

II. der Frau A...,

- Be­vollmäch­tig­te: Wie­land Rechts­anwälte GbR,
Rhein­weg 23, 53113 Bonn -

1. un­mit­tel­bar ge­gen

a) das Ur­teil des Bun­des­ar­beits­ge­richts vom 10. De­zem­ber 2009 - 2 AZR 55/09 -,

b) das Ur­teil des Lan­des­ar­beits­ge­richts Hamm vom 16. Ok­to­ber 2008 - 11 Sa 572/08 -,

c) das Ur­teil des Lan­des­ar­beits­ge­richts Hamm vom 16. Ok­to­ber 2008 - 11 Sa 280/08 -,

d) das Ur­teil des Ar­beits­ge­richts Her­ne vom 21. Fe­bru­ar 2008 - 6 Ca 649/07 -,

e) das Ur­teil des Ar­beits­ge­richts Her­ne vom 7. März 2007 - 4 Ca 3415/06 -,

2. mit­tel­bar ge­gen
§ 57 Abs. 4 des Schul­ge­set­zes für das Land Nord­rhein-West­fa­len vom 15. Fe­bru­ar 2005 (GV.NRW. S. 102) in der Fas­sung des Ers­ten Ge­set­zes zur Ände­rung des Schul­ge­set­zes für das Land Nord­rhein- West­fa­len vom 13. Ju­ni 2006 (GV.NRW. S. 270)

-1 BvR 1181/10 -

hat das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt - Ers­ter Se­nat -
un­ter Mit­wir­kung der Rich­te­rin­nen und Rich­ter

Gai­er,
Eich­ber­ger,
Schlu­cke­bier,
Ma­sing,
Pau­lus,
Her­manns,
Ba­er,
Britz

am 27. Ja­nu­ar 2015 be­schlos­sen:

1. § 57 Ab­satz 4 Satz 3 des Schul­ge­set­zes für das Land Nord­rhein-West­fa­len vom 15. Fe­bru­ar 2005 (Ge­setz- und Ver­ord­nungs­blatt für das Land Nord­rhein-West­fa­len Sei­te 102) in der Fas­sung des Ers­ten Ge­set­zes zur Ände­rung des Schul­ge­set­zes für das Land Nord­rhein-West­fa­len vom 13. Ju­ni 2006 (Ge­setz- und Ver­ord­nungs­blatt für das Land Nord­rhein-West­fa­len Sei­te 270) ist mit Ar­ti­kel 3 Ab­salz 3 Salz 1 und mit Ar­ti­kel 33 Ab­satz 3 des Grund­ge­set­zes un­ver­ein­bar und nich­tig.

2. § 57 Ab­satz 4 Sätze 1 und 2 so­wie § 58 Satz 2 des vor­be­zeich­ne­ten Ge­set­zes sind, so­weit sie re­li­giöse Be­kun­dun­gen durch das äußere Er­schei­nungs­bild be­tref­fen, nach Maßga­be der Gründe mit dem Grund­ge­setz ver­ein­bar.

3. Die Be­schwer­deführe­rin zu I.) wird durch das Ur­teil des Bun­des­ar­beits­ge­richts vom 20. Au­gust 2009 - 2 AZR 499/08 -, das Ur­teil des Lan­des­ar­beits­ge­richts Düssel­dorf vom 10. April 2008 - 5 Sa 1836/07 - und das Ur­teil des Ar­beits­ge­richts Düssel­dorf vom 29. Ju­ni 2007 - 12 Ca 175/07 - in ih­rem Grund­recht aus Ar­ti­kel 4 Ab­satz 1 und 2 des Grund­ge­set­zes ver­letzt. Die Ur­tei­le des Bun­des­ar­beits­ge­richts und des Lan­des­ar­beits­ge­richts wer­den auf­ge­ho­ben. Die Sa­che wird an das Lan­des­ar­beits­ge­richt Düssel­dorf zurück­ver­wie­sen.

4. Die Be­schwer­deführe­rin zu II.) wird durch das Ur­teil des Bun­des­ar­beits­ge­richts vom 10. De­zem­ber 2009 - 2 AZR 55/09 -, die Ur­tei­le des Lan­des­ar­beits­ge­richts Hamm vom 16. Ok­to­ber 2008 - 11 Sa 572/08 - und - 11 Sa 280/08 - so­wie die Ur­tei­le des Ar­beits­ge­richts Her­ne vom 21. Fe­bru­ar 2008 - 6 Ca 649/07 - und vom 7. März 2007 - 4 Ca 3415/06 - in ih­rem Grund­recht aus Ar­ti­kel 4 Ab­satz 1 und 2 des Grund­ge­set­zes ver­letzt. Die Ur­tei­le des Bun­des­ar­beits­ge­richts und des Lan­des­ar­beits­ge­richts wer­den auf­ge­ho­ben. Die Sa­che wird an das Lan­des­ar­beits­ge­richt Hamm zurück­ver­wie­sen.

5. Das Land Nord­rhein-West­fa­len hat den Be­schwer­deführe­rin­nen je­weils drei Vier­tel, die Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land je­weils ein Vier­tel ih­rer not­wen­di­gen Aus­la­gen zu
er­stat­ten.

Gründe:

A.

 

- 4 -

Die Ver­fas­sungs­be­schwer­den be­tref­fen ge­richt­li­che Ent­schei­dun­gen über ar­beits­recht­li­che Sank­tio­nen (Ab­mah­nung und Kündi­gung), die der Ar­beit­ge­ber der Be­schwer­deführe­rin­nen, das Land Nord­rhein-West­fa­len, ge­gen sie aus­ge­spro­chen hat, weil sie sich als An­ge­stell­te an öffent­li­chen Schu­len wei­ger­ten, im Dienst das so­ge­nann­te is­la­mi­sche Kopf­tuch be­zie­hungs­wei­se ei­ne als Er­satz hierfür ge­tra­ge­ne Wollmütze ab­zu­le­gen. Bei­de Be­schwer­deführe­rin­nen sind Mus­li­min­nen. Die Be­schwer­deführe­rin zu I.) ist als an­ge­stell­te So­zi­alpädago­gin, die Be­schwer­deführe­rin zu II.) war als an­ge­stell­te Leh­re­rin beschäftigt. Die Ver­fas­sungs­be­schwer­den stel­len zu­gleich mit­tel­bar die in Nord­rhein-West­fa­len nach der Ent­schei­dung des Zwei­ten Se­nats des Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richts vom 24. Sep­tem­ber 2003 (BVerfGE 108, 282) er­las­se­ne ge­setz­li­che Re­ge­lung über die Zulässig­keit und die Gren­zen re­li­giöser Be­kun­dun­gen durch im Schul­we­sen beschäftig­te Per­so­nen zur ver­fas­sungs­recht­li­chen Prüfung. Die­se ist Grund­la­ge der in den fach­ge­richt­li­chen Aus­gangs­ver­fah­ren über­prüften ar­beits­recht­li­chen Maßnah­men.

I.

Die in Re­de ste­hen­de Vor­schrift des § 57 Abs. 4 des Schul­ge­set­zes für das Land Nord­rhein-West­fa­len (SchulG NW) vom 15. Fe­bru­ar 2005 (GV.NRW. S. 102) in der Fas­sung des Ers­ten Ge­set­zes zur Ände­rung des Schul­ge­set­zes vom 13. Ju­ni 2006 (GV.NRW. S. 270) lau­tet:

„(4) 1 Leh­re­rin­nen und Leh­rer dürfen in der Schu­le kei­ne po­li­ti­schen, re­li­giösen, welt­an­schau­li­chen oder ähn­li­che äußere Be­kun­dun­gen ab­ge­ben, die ge­eig­net sind, die Neu­tra­lität des Lan­des ge­genüber Schüle­rin­nen und Schülern so­wie El­tern oder den po­li­ti­schen, re­li­giösen oder welt­an­schau­li­chen Schul­frie­den zu gefähr­den oder zu stören. 2 Ins­be­son­de­re ist ein äußeres Ver­hal­ten un­zulässig, wel­ches bei Schüle­rin­nen und Schülern oder den El­tern den Ein­druck her­vor­ru­fen kann, dass ei­ne Leh­re­rin oder ein Leh­rer ge­gen die Men­schenwürde, die Gleich­be­rech­ti­gung nach Ar­ti­kel 3 des Grund­ge­set­zes, die Frei­heits­grund­rech­te oder die frei­heit­lich-de­mo­kra­ti­sche Grund­ord­nung auf­tritt. 3 Die Wahr­neh­mung des Er­zie­hungs­auf­trags nach Ar­ti­kel 7 und 12 Abs. 6 der Ver­fas­sung des Lan­des Nord­rhein-West­fa­len und die ent­spre­chen­de Dar­stel­lung christ­li­cher und abendländi­scher Bil­dungs- und Kul­tur­wer­te oder Tra­di­tio­nen wi­der­spricht nicht dem Ver­hal­tens­ge­bot nach Satz 1. 4 Das Neu­tra­litäts­ge­bot des Sat­zes 1 gilt nicht im Re­li­gi­ons­un­ter­richt und in den Be­kennt­nis- und Welt­an­schau­ungs­schu­len."

In­fol­ge ei­ner am 29. Ok­to­ber 2011 in Kraft ge­tre­te­nen Ver­fas­sungsände­rung fin­det sich der bis­he­ri­ge Text des Art. 12 Abs. 6 Verf NW, auf den sich § 57 Abs. 4 Satz 3 SchulG NW be­zieht, jetzt in Art. 12 Abs. 3 Verf NW (vgl. Art. 1 Nr. 4 Buchst. e) des Ge­set­zes zur Ände­rung der Ver­fas­sung für das Land Nord­rhein-West­fa­len vom 25. Ok­to­ber 2011, GV.NRW. S. 499).

In Ab­satz 6 des § 57 SchulG NW ist über­dies be­stimmt: 

„(6) 1 Die Ein­stel­lung ei­ner Leh­re­rin oder ei­nes Leh­rers setzt als persönli­ches Eig­nungs­merk­mal vor­aus, dass sie oder er die Gewähr für die Ein­hal­tung der Be­stim­mun­gen des Ab­sat­zes 4 in der ge­sam­ten vor­aus­sicht­li­chen Dienst­zeit bie­tet. 2 Ent­spre­chen­des gilt für die Ver­set­zung ei­ner Leh­re­rin oder ei­nes Leh­rers ei­nes an­de­ren Dienst­herrn in den nord­rhein-westfäli­schen Schul­dienst. 3 Für Lehr­amts­anwärte­rin­nen und Lehr­amts­anwärter können von der Ein­stel­lungs­behörde auf An­trag Aus­nah­men vor­ge­se­hen wer­den, so­weit die Ausübung ih­rer Grund­rech­te es zwin­gend er­for­dert und zwin­gen­de öffent­li­che In­ter­es­sen an der Wah­rung der staat­li­chen Neu­tra­lität und des Schul­frie­dens nicht ent­ge­gen­ste­hen."

Die An­wend­bar­keit die­ser Be­stim­mun­gen wird durch § 58 Satz 2 SchulG NW auf das sons­ti­ge an Schu­len täti­ge pädago­gi­sche und so­zi­alpädago­gi­sche Per­so­nal er­streckt. § 58 SchulG NW lau­tet:

„1 Sons­ti­ge im Lan­des­dienst ste­hen­de pädago­gi­sche und so­zi­alpädago­gi­sche Mit­ar­bei­te­rin­nen und Mit­ar­bei­ter wir­ken bei der Bil­dungs- und Er­zie­hungs­ar­beit mit. 2 § 57 Abs. 4 und 6 gilt ent­spre­chend."

 

- 5 -

Die in § 57 Abs. 4 Satz 3 SchulG NW in Be­zug ge­nom­me­nen Vor­schrif­ten der Ver­fas­sung des Lan­des Nord­rhein-West­fa­len ha­ben fol­gen­den Wort­laut:

‚Ar­ti­kel 7

(1) Ehr­furcht vor Gott, Ach­tung vor der Würde des Men­schen und Be­reit­schaft zum so­zia­len Han­deln zu we­cken, ist vor­nehms­tes Ziel der Er­zie­hung.

(2) Die Ju­gend soll er­zo­gen wer­den im Geis­te der Men­sch­lich­keit, der De­mo­kra­tie und der Frei­heit, zur Duld­sam­keit und zur Ach­tung vor der Über­zeu­gung des an­de­ren, zur Ver­ant­wor­tung für Tie­re und die Er­hal­tung der natürli­chen Le­bens­grund­la­gen, in Lie­be zu Volk und Hei­mat, zur Völker­ge­mein­schaft und Frie­dens­ge­sin­nung.";

‚Ar­ti­kel 12

(...)

(3) 1 In Ge­mein­schafts­schu­len wer­den Kin­der auf der Grund­la­ge christ­li­cher Bil­dungs- und Kul­tur­wer­te in Of­fen­heit für die christ­li­chen Be­kennt­nis­se und für an­de­re re­li­giöse und welt­an­schau­li­che Über­zeu­gun­gen ge­mein­sam un­ter­rich­tet und er­zo­gen. 2 In Be­kennt­nis­schu­len wer­den Kin­der des ka­tho­li­schen oder des evan­ge­li­schen Glau­bens oder ei­ner an­de­ren Re­li­gi­ons­ge­mein­schaft nach denn Grundsätzen des be­tref­fen­den Be­kennt­nis­ses un­ter­rich­tet und er­zo­gen. 3 In Welt­an­schau­ungs­schu­len, zu de­nen auch die be­kennt­nis­frei­en Schu­len gehören, wer­den die Kin­der nach den Grundsätzen der be­tref­fen­den Welt­an­schau­ung un­ter­rich­tet und er­zo­gen.

II.

1. Das Ver­fah­ren 1 BvR 471/10 (der Be­schwer­deführe­rin zu I.)

a) Die im Jahr 1971 in Deutsch­land ge­bo­re­ne Be­schwer­deführe­rin ist türki­scher Ab­stam­mung und mus­li­mi­schen Glau­bens; sie gehört we­der ei­ner Mo­schee­ge­mein­de noch sonst ei­ner is­la­mi­schen Ge­mein­schaft an. An­ders als ih­re drei Schwes­tern trägt sie seit ih­rem 17. Le­bens­jahr aus re­li­giösen Gründen in der Öffent­lich­keit ein Kopf­tuch. Seit März 1999 be­sitzt sie die deut­sche Staats­an­gehörig­keit. Nach ei­nem ab­ge­schlos­se­nen Stu­di­um der So­zi­alpädago­gik ist sie seit dem 7. Ok­to­ber 1997 beim Land Nord­rhein-West­fa­len an­ge­stellt und an ei­ner Ge­samt­schu­le in D. beschäftigt. Sie wird dort bei der Sch­lich­tung von Schul­kon­flik­ten - ins­be­son­de­re durch Be­ra­tung ausländi­scher Schüler und ih­rer El­tern ¬ein­ge­setzt und kommt mit Schul­an­gehöri­gen un­ter­schied­li­cher Na­tio­na­lität und Re­li­gi­ons­zu­gehörig­keit in Kon­takt.

Nach In­kraft­tre­ten der in Re­de ste­hen­den ge­setz­li­chen Be­stim­mun­gen (§ 57 Abs. 4, § 58 Satz 2 SchulG NW) for­der­te die Schul­behörde die Be­schwer­deführe­rin auf, das von ihr bis­lang auch während des Diens­tes ge­tra­ge­ne is­la­mi­sche Kopf­tuch ab­zu­le­gen. Die­ser Auf­for­de­rung kam die Be­schwer­deführe­rin nach, er­setz­te aber das Kopf­tuch durch ei­ne ro­sa­far­be­ne han­delsübli­che Bas­kenmütze mit Strick­bund, die ihr Haar, den Haar­an­satz und die Oh­ren kom­plett be­deckt. Dies kom­bi­nier­te sie mit ei­ner Hals­be­de­ckung, et­wa ei­nem gleich­far­bi­gen Roll­kra­gen­pull­over. Im Rah­men ei­nes Per­so­nal­gesprächs ließ die Be­schwer­deführe­rin die Fra­ge, war­um sie die­se Kopf­be­de­ckung tra­ge, ge­genüber der Schul­lei­te­rin un­be­ant­wor­tet, bestätig­te aber, dass sie das Kopf­tuch in der Ver­gan­gen­heit aus re­li­giösen Gründen ge­tra­gen ha­be.

Die Schul­behörde er­teil­te der Be­schwer­deführe­rin ei­ne Ab­mah­nung und droh­te ihr für den Fall un­veränder­ten Ver­hal­tens die Kündi­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses an. Das re­li­giös mo­ti­vier­te Tra­gen ei­ner kopf­tuchähn­li­chen Kopf­be­de­ckung in der Schu­le ent­fal­te Si­gnal­wir­kung und ma­che re­li­giöse Zu­sam­menhänge für außen­ste­hen­de Be­ob­ach­ter sicht­bar. So könne der Schul­frie­den gefähr­det wer­den. Zu­dem stel­le es ein äußeres Ver­hal­ten dar, das bei Schülern und El­tern den Ein­druck her­vor­ru­fen könne,

 

- 6 -

dass die Be­schwer­deführe­rin ge­gen die Men­schenwürde, die Gleich­be­rech­ti­gung von Mann und Frau nach Art. 3 GG, die Frei­heits­grund­rech­te oder die frei­heit­lich-de­mo­kra­ti­sche Grund­ord­nung auf­tre­te. Die Be­schwer­deführe­rin ver­s­toße da­her ge­gen § 57 Abs. 4 SchulG NW.

b) Die Be­schwer­deführe­rin er­hob vor dem Ar­beits­ge­richt Kla­ge, mit der sie die Ent­fer­nung der Ab­mah­nung aus ih­rer Per­so­nal­ak­te ver­lang­te.

aa) Das Ar­beits­ge­richt wies die Kla­ge ab. Zur Be­gründung führ­te es im We­sent­li­chen aus: 

Die Einschätzung des Lan­des, die Be­schwer­deführe­rin ha­be durch das Tra­gen der Mütze ge­gen das Neu­tra­litäts­ge­bot des § 57 Abs. 4 Satz 1 SchulG NW ver­s­toßen und da­mit zu­gleich ih­re ver­trag­li­chen Pflich­ten ver­letzt, sei zu­tref­fend. Ob dar­in auch ein Ver­hal­ten zu se­hen sei, das bei Schülern oder El­tern den Ein­druck her­vor­ru­fen könne, dass sie ge­gen die Men­schenwürde, die Gleich­be­rech­ti­gung nach Art. 3 GG, die Frei­heits­grund­rech­te oder die frei­heit­lich-de­mo­kra­ti­sche Grund­ord­nung auf­tre­te (§ 57 Abs. 4 Satz 2 SchulG NW), könne da­hin­ste­hen. Ei­ne So­zi­alpädago­gin, die in der Schu­le dau­er­haft ei­ne Mütze tra­ge, die Haa­re und Oh­ren vollständig um­sch­ließe, ge­be da­mit zu ver­ste­hen, dass sie sich zur Re­li­gi­on des Is­lam be­ken­ne und sich ge­hal­ten se­he, des­sen von ihr als ver­pflich­tend emp­fun­de­ne Be­klei­dungs­vor­schrif­ten zu be­ach­ten. Hier­in lie­ge die be­wuss­te, an die Außen­welt ge­rich­te­te Kund­ga­be ei­ner re­li­giösen Über­zeu­gung. Die­se Be­kun­dung sei abs­trakt ge­eig­net, die Neu­tra­lität des Lan­des oder den po­li­ti­schen, re­li­giösen oder welt­an­schau­li­chen Schul­frie­den zu gefähr­den oder zu stören. So­weit § 57 SchulG NW hier an­zu­wen­den sei, sei er mit höher­ran­gi­gem Recht ver­ein­bar. Es sei Sa­che des de­mo­kra­tisch le­gi­ti­mier­ten Ge­setz­ge­bers zu ent­schei­den, ob er ei­ne großzügi­ge Lösung wähle, die es ermögli­che, die zu­neh­men­de re­li­giöse Viel­falt in der Schu­le auf­zu­neh­men und als Mit­tel für die Einübung ge­gen­sei­ti­ger To­le­ranz zu nut­zen, oder ob er we­gen des größeren Kon­flikt­po­ten­ti­als in der Schu­le den Weg ge­he, der staat­li­chen Neu­tra­litäts­pflicht im schu­li­schen Be­reich ei­ne strik­te­re und mehr als bis­her dis­tan­zie­ren­de Be­deu­tung bei­zu­mes­sen und dem­gemäß auch durch das äußere Er­schei­nungs­bild ei­ner Lehr­kraft ver­mit­tel­te re­li­giöse Bezüge von den Schülern grundsätz­lich fern­zu­hal­ten, um Kon­flik­te von vorn­her­ein zu ver­mei­den.

Auch § 57 Abs. 4 Satz 3 SchulG NW ver­let­ze kei­ne Grund­rech­te. Ei­ne un­zulässi­ge Be­vor­zu­gung christ­li­cher Kon­fes­sio­nen sei mit der dar­in ent­hal­te­nen Klar­stel­lung nicht ver­bun­den. Der Be­griff des „Christ­li­chen" be­zeich­ne in die­ser Vor­schrift ei­ne von Glau­bens­in­hal­ten los­gelöste, aus der Tra­di­ti­on der christ­lich-abendländi­schen Kul­tur her­vor­ge­gan­ge­ne Wer­te­welt, die er­kenn­bar auch dem Grund­ge­setz zu­grun­de lie­ge und un­abhängig von ih­rer re­li­giösen Fun­die­rung Gel­tung be­an­spru­che. Non­nen­ha­bit und Kip­pa würden vorn Ver­bot re­li­giöser Be­kun­dun­gen in § 57 Abs. 4 Satz 1 SchulG NW eben­falls er­fasst. In­so­weit sei kein Voll­zugs­de­fi­zit zu ver­zeich­nen, da das Land kei­ne mit der Be­schwer­deführe­rin ver­gleich­ba­re An­ge­stell­te mit Or­dens­ha­bit oder jüdi­scher Kip­pa beschäfti­ge.

bb) Die hier­ge­gen ein­ge­leg­te Be­ru­fung der Be­schwer­deführe­rin blieb vor dem Lan­des­ar­beits­ge­richt er­folg­los. Die­ses schloss sich im We­sent­li­chen der Auf­fas­sung des Ar­beits­ge­richts an und ver­tief­te des­sen recht­li­che Ausführun­gen.

cc) Das Bun­des­ar­beits­ge­richt wies die Re­vi­si­on der Be­schwer­deführe­rin zurück und führ­te un­ter an­de­rem aus: Die Ent­fer­nung ei­ner zu Un­recht er­teil­ten Ab­mah­nung aus der Per­so­nal­ak­te könne in ent­spre­chen­der An­wen­dung der §§ 242, 1004 BGB un­ter an­de­rem dann ver­langt wer­den, wenn die Ab­mah­nung un­rich­ti­ge Tat­sa­chen­be­haup­tun­gen ent­hal­te. Das sei hier nicht der Fall, da die Be­schwer­deführe­rin ge­gen das Be­kun­dungs­ver­bot des § 57 Abs. 4 Satz 1 SchulG NW ver­s­toßen ha­be. Die­se Be­stim­mung ver­let­ze kein höher­ran­gi­ges Recht.

(1) Ei­ne re­li­giöse Be­kun­dung im Sin­ne von § 57 Abs. 4 Satz 1 SchulG NW sei im An­schluss an die Recht­spre­chung des Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richts (Hin­weis auf BVerw­GE 121, 140) die be­wuss­te, an die Außen­welt ge­rich­te­te Kund­ga­be ei­ner re­li­giösen Über­zeu­gung. Zur Be­stim­mung des Erklärungs­werts ei­ner Kund­ga­be sei auf die­je­ni­ge Deu­tungsmöglich­keit ab­zu­stel­len, die für ei­ne nicht un­er­heb­li­che Zahl von Be­trach­tern na­he­lie­ge. Ins­be­son­de­re kom­me es auf die Deu­tung durch Schüler und El­tern aus der Sicht ei­nes ob­jek­ti­ven Be­trach­ters an. Da­bei sei­en al­le in Be­tracht kom­men­den Deu­tungsmöglich­kei­ten zu berück­sich­ti­gen.

Der re­li­giöse Sym­bol­cha­rak­ter ge­tra­ge­ner Klei­dung müsse sich nicht aus dem Klei­dungsstück als sol­chem er­ge­ben. Ei­ne re­li­giöse Be­kun­dung könne auch dar­in lie­gen, dass dem Klei­dungsstück für den Träger of­fen­sicht­lich ei­ne be­son­de­re Be­deu­tung zu­kom­me, et­wa weil es er­kenn­bar aus dem Rah­men der

 

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in der Schu­le übli­chen Be­klei­dung fal­le und aus­nahms­los zu je­der Zeit ge­tra­gen wer­de. Ein solch weit­ge­hen­des Verständ­nis ent­spre­che dem Zweck des Be­kun­dungs­ver­bots. Die­ses sol­le welt­an­schau­lich-re­li­giöse Kon­flik­te an öffent­li­chen Schu­len schon im An­satz ver­hin­dern und die Neu­tra­lität des Lan­des auch nach außen wah­ren. Das ver­bie­te ei­ne Dif­fe­ren­zie­rung zwi­schen Klei­dungsstücken, de­ren re­li­giöse oder welt­an­schau­li­che Mo­ti­va­ti­on of­fen zu­ta­ge tre­te, und sol­chen, de­ren Tra­gen in der Schu­le im­mer­hin ei­nen ent­spre­chen­den Erklärungs­be­darf auslöse.

(2) Da­nach lie­ge im Tra­gen der Wollmütze ei­ne re­li­giöse Be­kun­dung. Die Be­schwer­deführe­rin tra­ge zwar ei­ne han­delsübli­che Mütze. Gleich­wohl er­we­cke die­se un­ter den ge­ge­be­nen Umständen bei Drit­ten, ins­be­son­de­re bei Schülern und El­tern, den Ein­druck, es han­de­le sich um ein re­li­giöses Sym­bol, mit dem sich die Be­schwer­deführe­rin zum Is­lam be­ken­ne. Der re­li­giöse Be­deu­tungs­ge­halt er­ge­be sich dar­aus, dass die Mütze Haa­re, Haar­an­satz und Oh­ren kom­plett be­de­cke und ein stets zu­gleich ge­tra­ge­ner gleich­far­bi­ger Roll­kra­gen­pull­over auch den Hals um­sch­ließe. Hin­zu kom­me, dass die Be­schwer­deführe­rin das von ihr bis­her aus re­li­giösen Gründen ge­tra­ge­ne Kopf­tuch naht­los durch die Mütze er­setzt ha­be. Sie sei nicht ein ein­zi­ges Mal oh­ne die­se Kopf­be­de­ckung in der Schu­le er­schie­nen und tra­ge die Mütze auch bei großer Hit­ze und un­abhängig von den Jah­res- und Ta­ges­zei­ten. Für ei­nen ob­jek­ti­ven Be­trach­ter wer­de da­mit die Nähe zu ei­nem is­la­mi­schen Kopf­tuch of­fen­bar.

(3) Das Ver­hal­ten der Kläge­rin sei ge­eig­net, die Neu­tra­lität des Lan­des ge­genüber Schülern und El­tern und den re­li­giösen Schul­frie­den zu gefähr­den. Das Ver­bot in § 57 Abs. 4 Satz 1 SchulG NW er­fas­se nicht erst Be­kun­dun­gen, die die Neu­tra­lität des Lan­des oder den re­li­giösen Schul­frie­den kon­kret gefähr­de­ten oder gar störten. Das Ver­bot sol­le schon ei­ner abs­trak­ten Ge­fahr vor­beu­gen, um kon­kre­te Gefähr­dun­gen gar nicht erst auf­kom­men zu las­sen. Im Ge­set­zes­wort­laut kom­me dies dar­in zum Aus­druck, dass re­li­giöse Be­kun­dun­gen be­reits dann ver­bo­ten sei­en, wenn sie „ge­eig­net" sei­en, die ge­nann­ten Schutzgüter zu gefähr­den. Der Lan­des­ge­setz­ge­ber ha­be er­sicht­lich dar­auf Be­dacht neh­men wol­len, dass die Schu­le ein Ort sei, an dem un­ter­schied­li­che po­li­ti­sche und re­li­giöse Auf­fas­sun­gen un­aus­weich­lich auf­ein­an­derträfen, de­ren fried­li­ches Ne­ben­ein­an­der der Staat je­doch zu ga­ran­tie­ren ha­be. Die re­li­giöse Viel­falt in der Ge­sell­schaft ha­be zu ei­nem ver­mehr­ten Po­ten­zi­al von Kon­flik­ten auch in der Schu­le geführt. In die­ser La­ge sei der re­li­giöse Schul­frie­den schon durch die be­rech­tig­te Sor­ge der El­tern vor ei­ner un­ge­woll­ten re­li­giösen Be­ein­flus­sung ih­rer Kin­der gefähr­det. Da­zu könne das re­li­giös be­deu­tungs­vol­le Er­schei­nungs­bild des pädago­gi­schen Per­so­nals An­lass ge­ben.

(4) Die Re­ge­lung des § 57 Abs. 4 SchulG NW ver­s­toße nicht ge­gen höher­ran­gi­ges Recht. 

(a) Das Be­kun­dungs­ver­bot des § 57 Abs. 4 Satz 1 SchulG NW sei nicht ver­fas­sungs­wid­rig. Die Re­ge­lung lie­ge im Rah­men der Ge­stal­tungs­frei­heit des Lan­des­ge­setz­ge­bers. Die­ser ha­be die po­si­ti­ve Glau­bens­frei­heit und die Be­rufs­ausübungs­frei­heit der pädago­gi­schen Mit­ar­bei­ter hin­ter die staat­li­che Pflicht zur welt­an­schau­li­chen Neu­tra­lität, das Er­zie­hungs­recht der El­tern und die ne­ga­ti­ve Glau­bens­frei­heit der Schüler zurück­tre­ten las­sen dürfen, um die Neu­tra­lität der Schu­le und den Schul­frie­den zu si­chern. Die Ver­mei­dung welt­an­schau­lich-re­li­giöser Kon­flik­te in öffent­li­chen Schu­len stel­le ein ge­wich­ti­ges Ge­mein­gut dar. Zu die­sem Zweck sei­en ge­setz­li­che Ein­schränkun­gen der Glau­bens­frei­heit recht­lich zulässig. Es sei ver­fas­sungs­recht­lich nicht zu be­an­stan­den, wenn die lan­des­ge­setz­li­che Re­ge­lung re­li­giöse Be­kun­dun­gen von Leh­rern in öffent­li­chen Schu­len oh­ne Rück­sicht auf die Umstände des Ein­zel­falls un­ter­sa­ge. Der Ge­setz­ge­ber dürfe Gefähr­dun­gen des Schul­frie­dens da­durch vor­beu­gen, dass er Leh­rern be­reits das Tra­gen re­li­giös be­deut­sa­mer Klei­dungsstücke oder Sym­bo­le ver­bie­te; er müsse kon­flikt­ver­mei­den­de Re­ge­lun­gen nicht an die kon­kre­te Ge­fahr ei­ner dro­hen­den Aus­ein­an­der­set­zung knüpfen.

Das Neu­tra­litäts­ge­bot des § 57 Abs. 4 Satz 1 SchulG NW ver­s­toße nicht ge­gen den Gleich­heits­satz des Art. 3 Abs. 1 GG. Es be­han­de­le die ver­schie­de­nen Re­li­gio­nen nicht un­ter­schied­lich. Die ge­setz­li­che Re­ge­lung er­fas­se je­de Art re­li­giöser Be­kun­dung un­abhängig von de­ren In­halt. Christ­li­che Glau­bens­be­kun­dun­gen würden nicht be­vor­zugt. Dies gel­te auch mit Blick auf § 57 Abs. 4 Satz 3 SchulG NW. Nach die­ser Be­stim­mung wi­der­spre­che die Wahr­neh­mung des Er­zie­hungs­auf­trags nach Art. 7 und Art. 12 Abs. 6 (heu­te: Art. 12 Abs. 3) der Lan­des­ver­fas­sung Nord­rhein-West­fa­lens und die ent­spre­chen­de Dar­stel­lung christ­li­cher und abendländi­scher Bil­dungs- und Kul­tur­wer­te oder Tra­di­tio­nen nicht dem Ver­hal­tens­ge­bot nach § 57 Abs. 4 Satz 1 SchulG NW. Ge­gen­stand der Re­ge­lung in Satz 3 der Vor­schrift sei die Dar­stel­lung, nicht die Be­kun­dung christ­li­cher Wer­te. Be­stimm­te Wer­te dar­zu­stel­len heiße, sie zu erörtern und zum Ge­gen­stand ei­ner Dis­kus­si­on zu ma­chen. Das schließe die Möglich­keit der Rück­fra­ge

 

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und Kri­tik ein. Die Dar­stel­lung christ­li­cher und abendländi­scher Bil­dungs- und Kul­tur­wer­te sei nicht gleich­zu­set­zen mit der Be­kun­dung ei­nes in­di­vi­du­el­len Be­kennt­nis­ses. Bei ihr ge­he es nicht um die Kund­ga­be in­ne­rer Ver­bind­lich­kei­ten, die der Dar­stel­len­de für sich an­er­kannt ha­be. Außer­dem be­zeich­ne der Be­griff des „Christ­li­chen" - un­ge­ach­tet sei­ner Her­kunft aus dem re­li­giösen Be­reich - ei­ne von Glau­bens­in­hal­ten los­gelöste, aus der Tra­di­ti­on der christ­lich-abendländi­schen Kul­tur her­vor­ge­gan­ge­ne Wer­te­welt, die er­kenn­bar auch dem Grund­ge­setz zu­grun­de lie­ge und un­abhängig von ih­rer re­li­giösen Fun­die­rung Gel­tung be­an­spru­che. Der Auf­trag zur Wei­ter­ga­be christ­li­cher Bil­dungs- und Kul­tur­wer­te ver­pflich­te und be­rech­ti­ge die Schu­le des­halb nicht zur Ver­mitt­lung be­stimm­ter Glau­bens­in­hal­te, son­dern be­tref­fe Wer­te, de­nen je­der Beschäftig­te des öffent­li­chen Diens­tes un­abhängig von sei­ner re­li­giösen Über­zeu­gung vor­be­halt­los zu­stim­men könne.

Die Re­ge­lung des § 57 Abs. 4 Satz 1 SchulG NW be­han­de­le die Be­schwer­deführe­rin auch nicht we­gen ih­res Ge­schlechts un­gleich. Die Vor­schrift ver­bie­te re­li­giöse Be­kun­dun­gen un­abhängig vom Ge­schlecht. Sie rich­te sich nicht et­wa spe­zi­ell ge­gen das von Frau­en ge­tra­ge­ne is­la­mi­sche Kopf­tuch oder ent­spre­chen­de Kopf­be­de­ckun­gen.

(b) Das Neu­tra­litäts­ge­bot des § 57 Abs. 4 Satz 1 SchulG NW ver­s­toße nicht ge­gen Art. 9 EM­RK. Der Eu­ropäische Ge­richts­hof für Men­schen­rech­te ha­be ent­schie­den, dass ein Ver­bot, während des Un­ter­richts an öffent­li­chen Schu­len re­li­giöse Sym­bo­le zu tra­gen, ei­ne nach Art. 9 Abs. 2 EM­RK not­wen­di­ge Ein­schränkung der nach Ab­satz 1 der Be­stim­mung gewähr­leis­te­ten Re­li­gi­ons­frei­heit ei­nes Leh­rers sei; die­ses wer­de we­gen der mögli­chen Be­ein­träch­ti­gung der Grund­rech­te der Schüler und El­tern aus­ge­spro­chen, um die Neu­tra­lität des Un­ter­richts zu gewähr­leis­ten. Al­ler­dings sei den Kon­ven­ti­ons­staa­ten ein Be­ur­tei­lungs­spiel­raum ein­geräumt. Die Re­ge­lun­gen könn­ten ent­spre­chend den je­wei­li­gen Tra­di­tio­nen und den Er­for­der­nis­sen zum Schutz der Rech­te an­de­rer und zur Auf­recht­er­hal­tung der öffent­li­chen Ord­nung von Staat zu Staat ver­schie­den sein. Auf die­ser Grund­la­ge ha­be der Ge­richts­hof das an ei­ne Leh­re­rin adres­sier­te Ver­bot, an ei­ner Schwei­zer Grund­schu­le während des Un­ter­richts ein is­la­mi­sches Kopf­tuch zu tra­gen, eben­so als mit der Re­li­gi­ons­frei­heit des Art. 9 Abs. 1 EM­RK ver­ein­bar an­ge­se­hen wie das ge­ne­rel­le, nicht nur für Do­zen­tin­nen, son­dern auch für Stu­den­tin­nen gel­ten­de Ver­bot, ein sol­ches Kopf­tuch an türki­schen Hoch­schu­len zu tra­gen. Dar­in lie­ge kei­ne Dis­kri­mi­nie­rung von Frau­en, wenn auch Ver­bots­maßnah­men ge­gen Männer vor­ge­se­hen sei­en, falls die­se ih­re re­li­giöse Über­zeu­gung un­ter den glei­chen Umständen durch das Tra­gen von Klei­dungsstücken be­kun­de­ten.

(c) § 57 Abs. 4 Satz 1 SchulG NW ver­let­ze als lan­des­recht­li­che Vor­schrift nicht das bun­des­ge­setz­li­che Dis­kri­mi­nie­rungs­ver­bot des § 7 Abs. 1 AGG. Zwar könne das Be­kun­dungs­ver­bot zu ei­ner un­mit­tel­ba­ren Be­nach­tei­li­gung der Lehr­kraft aus Gründen der Re­li­gi­on im Sin­ne von § 7 Abs. 1, §§ 1, 3 Abs. 1 AGG führen. Ei­ne un­ter­schied­li­che Be­hand­lung aus re­li­giösen Gründen zur Erfüllung ei­ner we­sent­li­chen be­ruf­li­chen An­for­de­rung sei nach § 8 Abs. 1 AGG aber zulässig, wenn der Zweck rechtmäßig und die An­for­de­rung an­ge­mes­sen sei. Dies sei hier der Fall.

2. Das Ver­fah­ren 1 BvR 1181/10 (der Be­schwer­deführe­rin zu II.)

a) Die im Jahr 1977 ge­bo­re­ne Be­schwer­deführe­rin trat 2001 als an­ge­stell­te Leh­re­rin in ein zunächst be­fris­te­tes Ar­beits­verhält­nis mit dem Land Nord­rhein-West­fa­len ein, das später in ein un­be­fris­te­tes um­ge­wan­delt wur­de. Sie ist eben­falls Mus­li­min türki­scher Ab­stam­mung und be­sitzt die deut­sche Staats­an­gehörig­keit. Sie er­teil­te an meh­re­ren Schu­len im Be­reich des Schul­amts R. mut­ter­sprach­li­chen Un­ter­richt in türki­scher Spra­che. Am Un­ter­richt nah­men aus­sch­ließlich mus­li­mi­sche Schüler teil, die die­sen Un­ter­richt frei­wil­lig gewählt hat­ten. Bei ih­rer Be­wer­bung hat­te die Be­schwer­deführe­rin ein Licht­bild ein­ge­reicht, das sie mit Kopf­tuch zeig­te. Sie ver­rich­te­te ih­ren Dienst stets mit ei­nem Kopf­tuch, oh­ne dass es des­we­gen zu Be­an­stan­dun­gen kam.

Im Au­gust 2006 wur­de die Be­schwer­deführe­rin von ih­rem Schul­lei­ter da­von in Kennt­nis ge­setzt, dass 27 das Tra­gen ei­nes Kopf­tuchs nach is­la­mi­schem Re­li­gi­ons­brauch mit den neu­en ge­setz­li­chen Be­stim­mun­gen nicht mehr ver­ein­bar sei. Sie führ­te dar­auf­hin in ei­ner schrift­li­chen Stel­lung­nah­me aus, sie tra­ge das Kopf­tuch seit ih­rem zwölf­ten Le­bens­jahr, und zwar auf­grund ei­ge­nen Wun­sches und aus re­li­giöser Über­zeu­gung.

Nach ei­ner er­neu­ten Anhörung der Be­schwer­deführe­rin sprach das Land Nord­rhein-West­fa­len im 28 No­vem­ber 2006 schrift­lich ei­ne Ab­mah­nung aus. Dar­in hielt es der Be­schwer­deführe­rin das Tra­gen des Kopf­tuchs als Pflich­ten­ver­s­toß vor und kündig­te ar­beits­recht­li­che Maßnah­men bis hin zur Kündi­gung an,

 

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falls sie nicht künf­tig dau­er­haft oh­ne Kopf­tuch in der Schu­le er­schei­nen soll­te. Das Tra­gen des is­la­mi­schen Kopf­tuchs könne den Schul­frie­den gefähr­den und den Ein­druck her­vor­ru­fen, dass die Be­schwer­deführe­rin ge­gen die Men­schenwürde, die Gleich­be­rech­ti­gung von Mann und Frau nach Art. 3 GG, die Frei­heits­grund­rech­te oder die frei­heit­lich-de­mo­kra­ti­sche Grund­ord­nung auf­tre­te.

Die Be­schwer­deführe­rin kam der Auf­for­de­rung nicht nach. Nach Zu­stim­mung des Per­so­nal­rats erklärte das Land Nord­rhein-West­fa­len dar­auf­hin im Fe­bru­ar 2007 die Kündi­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses zum 30. Ju­ni 2007.

b) Die Be­schwer­deführe­rin ging ge­richt­lich zunächst ge­gen die Ab­mah­nung und später ge­gen die Kündi­gung vor. Das Ar­beits­ge­richt wies bei­de Kla­gen ab. Die hier­ge­gen ein­ge­leg­ten Be­ru­fun­gen blie­ben vor dem Lan­des­ar­beits­ge­richt er­folg­los. Die Ge­rich­te führ­ten übe­rein­stim­mend aus, das Tra­gen ei­nes Kopf­tuchs im Un­ter­richt ver­s­toße als re­li­giöse Be­kun­dung je­den­falls ge­gen § 57 Abs. 4 Satz 1 SchulG NW, ge­gen des­sen Ver­fas­sungsmäßig­keit kei­ne Be­den­ken bestünden. Auch un­ter Ein­be­zie­hung des § 57 Abs. 4 Satz 3 SchulG NW sei­en we­der das Gleich­heits­ge­bot noch die Re­li­gi­ons­frei­heit ver­letzt.

c) Die Be­schwer­deführe­rin leg­te ge­gen bei­de Ent­schei­dun­gen Re­vi­si­on ein. Das Bun­des­ar­beits­ge­richt ver­band die Ver­fah­ren zur ge­mein­sa­men Ver­hand­lung und Ent­schei­dung und wies die Re­vi­sio­nen zurück. Die Kündi­gung der Be­schwer­deführe­rin sei aus ver­hal­tens­be­ding­ten Gründen im Sin­ne von § 1 Abs. 2 Kündi­gungs­schutz­ge­setz (KSchG) so­zi­al ge­recht­fer­tigt. Ei­ne Kündi­gung sei durch Gründe im Ver­hal­ten des Ar­beit­neh­mers be­dingt, wenn die­ser mit dem ihm vor­ge­wor­fe­nen Ver­hal­ten ei­ne Ver­trags­pflicht - in der Re­gel schuld­haft - er­heb­lich ver­letzt ha­be, das Ar­beits­verhält­nis da­durch kon­kret be­ein­träch­tigt wer­de, die zu­mut­ba­re Möglich­keit ei­ner an­der­wei­ti­gen Beschäfti­gung nicht be­ste­he und die Lösung des Ar­beits­verhält­nis­ses in Abwägung der In­ter­es­sen bei­der Ver­trags­tei­le bil­li­gens­wert und an­ge­mes­sen er­schei­ne.

Ei­ne sol­che Pflicht­ver­let­zung lie­ge in dem Ver­s­toß der Be­schwer­deführe­rin ge­gen das Neu­tra­litäts­ge­bot des § 57 Abs. 4 Satz 1 SchulG NW. Die­ses ha­be sie durch die be­wuss­te Wahl ei­ner re­li­giös be­stimm­ten Klei­dung ver­letzt. Es be­ste­he auch nach ih­ren ei­ge­nen Be­kun­dun­gen kein Zwei­fel, dass sie das Kopf­tuch tra­ge, weil sie ei­nem von ihr als maßgeb­lich emp­fun­de­nen re­li­giösen Brauch fol­gen wol­le. In die­sem Sin­ne fas­se auch der un­be­fan­ge­ne Be­ob­ach­ter das Tra­gen des Kopf­tuchs auf.

Das Ver­hal­ten der Be­schwer­deführe­rin sei nach Maßga­be der bis­he­ri­gen - in dem Ver­fah­ren 1 BvR 471/10 an­ge­grif­fe­nen - Recht­spre­chung ge­eig­net, die Neu­tra­lität des Lan­des ge­genüber Schülern und El­tern so­wie den re­li­giösen Schul­frie­den abs­trakt zu gefähr­den. Dass die Be­schwer­deführe­rin aus­sch­ließlich mus­li­mi­sche Schüler un­ter­rich­te und die­se frei­wil­lig am mut­ter­sprach­li­chen Un­ter­richt teilnähmen, führe zu kei­ner an­de­ren Be­wer­tung. Viel­mehr ge­win­ne die re­li­giöse Neu­tra­lität ge­ra­de dort Be­deu­tung, wo ih­re Ver­let­zung als re­li­giöse Par­tei­nah­me ge­wer­tet wer­den könne. Das sei bei ei­nem von den Anhängern ei­nes Glau­bens nicht ein­hel­lig be­folg­ten re­li­giös be­stimm­ten Brauch wie dem Tra­gen ei­nes Kopf­tuchs in be­son­de­rem Maße der Fall, weil der Ein­druck ent­ste­hen könne, durch die Dul­dung des Brauchs wer­de er ge­wis­ser­maßen of­fi­zi­ell als ver­bind­lich oder vor­bild­lich an­er­kannt. Eben die­se Par­tei­nah­me sol­le durch das Ge­setz ver­mie­den wer­den.

Un­ter Hin­weis auf sei­ne in dem Ver­fah­ren 1 BvR 471/10 an­ge­grif­fe­ne Ent­schei­dung führ­te das Bun­des­ar­beits­ge­richt wei­ter aus, die Re­ge­lung des § 57 Abs. 4 SchulG NW sei nicht ver­fas­sungs­wid­rig und ver­s­toße nicht ge­gen Art. 9 EM­RK oder § 7 Abs. 1 AGG.

Die Be­schwer­deführe­rin ha­be auch un­ter dem von ihr gel­tend ge­mach­ten Ge­sichts­punkt ei­nes Voll­zugs­de­fi­zits kei­nen An­spruch dar­auf, während des Un­ter­richts ein Kopf­tuch zu tra­gen. We­der er­ge­be sich aus der von ihr bemängel­ten Ver­wal­tungs­pra­xis ein An­halts­punkt dafür, dass im Ge­setz be­reits ei­ne Un­gleich­be­hand­lung an­ge­legt sei, noch sei die­se Ver­wal­tungs­pra­xis zu be­an­stan­den. Der Um­stand, dass an der Westfäli­schen Schu­le für Blin­de und Seh­be­hin­der­te in Pa­der­born ei­ne Schwes­ter in Or­dens­tracht un­ter­rich­te, rei­che nicht aus, um auf ei­ne ein­sei­tig ge­gen is­la­mi­sche Be­kun­dun­gen ge­rich­te­te, christ­li­che Be­kun­dun­gen ver­scho­nen­de Ver­wal­tungs­pra­xis des be­klag­ten Lan­des zu schließen. Viel­mehr han­de­le es sich in­so­weit um ei­ne his­to­risch be­ding­te Son­der­si­tua­ti­on. Dass bei dem be­klag­ten Land noch wei­te­re Leh­rer beschäftigt würden, die im Un­ter­richt re­li­giösen Klei­dungs­bräuchen folg­ten, sei nicht er­sicht­lich.

Oh­ne Er­folg ma­che die Be­schwer­deführe­rin Ver­trau­ens­schutz für sich gel­tend. Es lie­ge we­der ei­ne ech­te noch ei­ne un­ech­te Rück­wir­kung vor. Die Vor­schrift des § 57 Abs. 4 SchulG NW knüpfe nicht an re­li­giöse Be­kun­dun­gen vor ih­rem In­kraft­tre­ten am 1. Au­gust 2006 an. Dass die Be­schwer­deführe­rin

 

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Dis­po­si­tio­nen in der Er­war­tung ge­trof­fen ha­be, die Rechts­la­ge wer­de sich nicht ändern, führe nicht zu ei­ner ihr güns­ti­ge­ren Be­wer­tung. Die bloße An­nah­me, recht­lich wer­de al­les blei­ben, wie es ist, ge­nieße kei­nen recht­li­chen Schutz.

Die Be­schwer­deführe­rin sei trotz der be­rech­tig­ten Ab­mah­nung nicht be­reit ge­we­sen, bei der Ar­beit das Kopf­tuch ab­zu­le­gen. Mit ei­ner Ände­rung ih­res Ver­hal­tens sei nicht zu rech­nen. Die nach § 1 Abs. 2 KSchG er­for­der­li­che um­fas­sen­de In­ter­es­sen­abwägung führe nicht zur So­zi­al­wid­rig­keit der Kündi­gung. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt ha­be die­se In­ter­es­sen­abwägung zu­tref­fend vor­ge­nom­men. Es ha­be zu­guns­ten der Be­schwer­deführe­rin die Dau­er der be­an­stan­dungs­frei­en Be­triebs­zu­gehörig­keit und die so­zia­le Si­tua­ti­on in An­satz ge­bracht, sei so­dann aber - was re­vi­si­ons­recht­lich nicht zu be­an­stan­den sei - zu dem Schluss ge­kom­men, dass dem be­klag­ten Land ei­ne dau­er­haf­te Miss­ach­tung der ge­setz­li­chen Ver­hal­tens­re­ge­lung des § 57 Abs. 4 Satz 1 SchulG NW gleich­wohl nicht zu­ge­mu­tet wer­den könne. Die Be­schwer­deführe­rin ha­be da­nach auch kei­nen An­spruch auf die Ent­fer­nung der Ab­mah­nung aus der Per­so­nal­ak­te.

III.

Die Be­schwer­deführe­rin­nen wen­den sich mit ih­ren Ver­fas­sungs­be­schwer­den ge­gen die sie be­tref­fen­den ar­beits­ge­richt­li­chen Ent­schei­dun­gen und mit­tel­bar ge­gen die zu­grun­de lie­gen­de lan­des­schul­ge­setz­li­che Re­ge­lung.

1. Das Ver­fah­ren 1 BvR 471/10 (Be­schwer­deführe­rin zu I.)

Die Be­schwer­deführe­rin zu I.) rügt ei­ne Ver­let­zung von Art. 3 Abs. 1 und 3 so­wie von Art. 33 Abs. 2 und 3 GG, auch in Ver­bin­dung mit Art. 9 und Art. 14 EM­RK, durch die mit­tel­bar an­ge­grif­fe­nen Vor­schrif­ten so­wie von Art. 4 Abs. 1 und 2 in Ver­bin­dung mit Art. 12 Abs. 1, Art. 33 Abs. 2 und 3 GG und ih­res all­ge­mei­nen Persönlich­keits­rechts durch die an­ge­grif­fe­nen Ge­richts­ent­schei­dun­gen. Sie be­an­stan­det wei­ter, das Ur­teil des Bun­des­ar­beits­ge­richts ver­let­ze sie we­gen ei­ner un­ter­blie­be­nen Vor­la­ge an den Ge­richts­hof der Eu­ropäischen Uni­on auch in ih­rem Recht auf den ge­setz­li­chen Rich­ter (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG).

a) Die mit­tel­bar an­ge­grif­fe­nen ge­setz­li­chen Re­ge­lun­gen sei­en ver­fas­sungs­wid­rig, weil auf­grund des Vor­be­halts in § 57 Abs. 4 Satz 3 SchulG NW zwar die re­li­giös mo­ti­vier­te Klei­dung von Mus­li­men, nicht aber die­je­ni­ge von Chris­ten oder Ju­den vom Ver­bot er­fasst sein sol­le. Die Ver­fas­sungs­wid­rig­keit er­stre­cke sich nicht nur auf die Pri­vi­le­gie­rungs­klau­sel, son­dern auf § 57 Abs. 4 SchulG NW ins­ge­samt, weil der Ge­samt­re­ge­lung ein ein­heit­li­ches Kon­zept zu­grun­de lie­ge.

Der An­wen­dungs­be­reich des Art. 33 Abs. 2 und 3 GG sei eröff­net, da § 57 Abs. 4 Satz 3 SchulG NW den Zu­gang zu öffent­li­chen Ämtern be­tref­fe. Der Be­griff des „öffent­li­chen Am­tes" sei weit zu ver­ste­hen und er­fas­se den ge­sam­ten öffent­li­chen Dienst un­ge­ach­tet der Aus­ge­stal­tung des An­stel­lungs­verhält­nis­ses. Der Zu­gang zum öffent­li­chen Dienst sei be­trof­fen, weil auch bei ei­nem be­reits be­gründe­ten Dienst­verhält­nis ei­ne Zu­wi­der­hand­lung ge­gen das Be­kun­dungs­ver­bot ei­ne Be­en­di­gung des Beschäfti­gungs­verhält­nis­ses nach sich zie­hen könne. Die­se fal­le je­doch als ac­tus con­tra­ti­us zur Ein­stel­lung eben­so in den Schutz­be­reich des Art. 33 Abs. 2 GG wie die ihr vor­ge­la­ger­te Ab­mah­nung.

Der Vor­be­halt zu­guns­ten christ­li­cher und abendländi­scher Bil­dungs- und Kul­tur­wer­te stel­le ei­ne Un­gleich­be­hand­lung aus Gründen der Re­li­gi­on dar. Die ent­spre­chen­de Re­ge­lung er­wei­se sich je­den­falls un­ter sys­te­ma­ti­schen Ge­sichts­punk­ten als Aus­nah­me­re­ge­lung zum Ver­bot des § 57 Abs. 4 Satz 1 SchulG NW. Aus dem Ver­weis in Satz 3 auf den Satz 1 der Vor­schrift fol­ge, dass sich „Be­kun­dung" und „Dar­stel­lung" ge­ra­de nicht wech­sel­sei­tig aus­schlössen, son­dern je­der Fall des § 57 Abs. 4 Satz 3 SchulG NW zu­gleich ei­ne „äußere Be­kun­dung" dar­stel­le. Mit­hin kom­me es für die Aus­le­gung ent­schei­dend auf die Ent­ste­hungs­ge­schich­te an, da Wort­laut und Sys­te­ma­tik kei­ne ein­deu­ti­ge Sinn­ermitt­lung zu­ließen. Aus den Ma­te­ria­li­en er­ge­be sich, dass der Ge­setz­ge­ber nicht Bil­dungs­in­hal­te ha­be re­geln wol­len, son­dern den Aus­druck in­di­vi­du­el­ler Über­zeu­gun­gen. Da­bei ha­be er das Kopf­tuch pau­schal als mit den Bil­dungs­zie­len der Ver­fas­sung für un­ver­ein­bar er­ach­tet, Or­dens­tracht und Kip­pa hin­ge­gen un­abhängig vom Wil­len des Trägers als Aus­druck bloßer christ­lich-abendländi­scher Bil­dungs- und Kul­tur­wer­te an­ge­se­hen. Die­se Un­gleich­be­hand­lung sei ver­fas­sungs­recht­lich nicht ge­recht­fer­tigt, was auch bis­her von al­len da­mit be­fass­ten Ge­rich­ten eben­so ge­se­hen wor­den sei. Die von die­sen in­so­weit vor­ge­nom­me­ne ver­fas­sungs­kon­for­me Aus­le­gung wi­der­spre­che je­doch den hierfür durch das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt

 

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auf­ge­stell­ten Maßstäben. An den Ab­sich­ten des Ge­setz­ge­bers ge­be es an­ge­sichts der Ge­set­zes­be­gründung kei­nen Zwei­fel. Die­se hätten mit dem Ver­weis in § 57 Abs. 4 Satz 3 SchulG NW auf Satz 1 die­ser Be­stim­mung hin­rei­chen­den Aus­druck im Ge­set­zes­wort­laut ge­fun­den. Im Übri­gen führe die im vor­lie­gen­den Fall vor­ge­nom­me­ne „ver­fas­sungs­kon­for­me Aus­le­gung" zwangsläufig zu ei­ner Lai­zi­sie­rung der Schu­le, oh­ne dass klar sei, ob der Ge­setz­ge­ber die­se Kon­se­quenz tatsächlich ha­be zie­hen wol­len. Die Ma­te­ria­li­en zeig­ten, dass die par­la­men­ta­ri­sche Mehr­heit dies ge­ra­de ha­be ver­mei­den wol­len. Des­we­gen könne sich die Ver­fas­sungs­wid­rig­keit auch nicht al­lein auf § 57 Abs. 4 Satz 3 SchulG NW er­stre­cken, da dies ei­ne stren­ge­re Neu­tra­litätskon­zep­ti­on zur Fol­ge hätte, als sie der Ge­setz­ge­ber be­ab­sich­tigt ha­be. Die­ser ha­be ein ge­ne­rel­les Ver­bot re­li­giöser Be­klei­dung nur er­las­sen wol­len, wenn es zu­gleich ge­lin­ge, Sym­bo­le der christ­li­chen und abendländi­schen Tra­di­ti­on aus­zu­neh­men.

b) Die an­ge­grif­fe­nen Ge­richts­ent­schei­dun­gen sei­en ver­fas­sungs­wid­rig, weil die Ge­rich­te § 57 Abs. 4 43 SchulG NW nicht ver­fas­sungs­kon­form da­hin­ge­hend aus­ge­legt hätten, dass ei­ne kon­kre­te Abwägung im Rah­men ei­ner Ein­zel­fall­prüfung ge­bo­ten sei.

aa) Der Ein­griff in ih­re Re­li­gi­ons­frei­heit wie­ge be­son­ders schwer, da die Verhüllung ih­res Haa­res für sie ei­ne un­be­dingt zu wah­ren­de re­li­giöse Pflicht sei, die ihr in ih­rem Kern unmöglich ge­macht wer­de. Un­abhängig da­von sei auch der Kern ih­rer Persönlich­keits­bil­dung be­trof­fen, da sie nicht mehr über die Reich­wei­te ih­res Scha­memp­fin­dens be­stim­men könne.

bb) Der Ein­griff könne nicht ge­recht­fer­tigt wer­den. Das Ge­setz selbst be­nen­ne als Ziel der Re­ge­lung die Si­che­rung des Schul­frie­dens und die Wah­rung der staat­li­chen Neu­tra­lität. Der Schul­frie­de sei al­ler­dings kein un­mit­tel­bar geschütz­tes ver­fas­sungs­recht­li­ches Rechts­gut, son­dern nur das Ziel ei­nes Aus­gleichs mit an­de­ren ver­fas­sungs­recht­li­chen Rechtsgütem. Glei­ches gel­te für das Prin­zip der staat­li­chen Neu­tra­lität. In die Abwägung ein­zu­stel­len sei­en je­doch die Grund­rechts­po­si­tio­nen von El­tern und Schülern.

Zen­tral für die Ent­schei­dung des Lan­des­ge­setz­ge­bers sei ei­ne abs­trak­te und pau­scha­le Ge­fah­ren­pro­gno­se, der­zu­fol­ge äußere Zei­chen re­li­giöser Zu­gehörig­keit den Schul­frie­den und die staat­li­che Neu­tra­lität gefähr­de­ten. Nach der ständi­gen Recht­spre­chung des Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richts sei aber die Kol­li­si­on ei­nes vor­be­halt­los gewähr­leis­te­ten Grund­rechts mit an­de­ren Ver­fas­sungsgütern stets durch ei­ne Abwägung al­ler Umstände des Ein­zel­falls im We­ge prak­ti­scher Kon­kor­danz auf­zulösen. Ei­ne abs­trak­te Abwägungs­ent­schei­dung und da­mit ein pau­scha­les Ver­bot wer­de auch nicht durch das Kopf­tuch-Ur­teil des Zwei­ten Se­nats des Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richts vom 24. Sep­tem­ber 2003 (BVerfGE 108, 282) zu­ge­las­sen. Ein pau­scha­les Ver­bot sei zu­dem nicht er­for­der­lich und da­mit un­verhält­nismäßig, weil es sich selbst dann noch durch­set­ze, wenn im kon­kre­ten Ein­zel­fall kei­ner­lei Störun­gen oder Be­ein­träch­ti­gun­gen wi­der­strei­ten­der Ver­fas­sungsgüter er­kenn­bar sei­en. Das sei vor­lie­gend aber an­ge­sichts ih­rer, der Be­schwer­deführe­rin, zehnjähri­gen kon­flikt­frei­en Dienst­zeit der Fall. Sie ha­be zu­dem mögli­che Kon­flik­te ge­ra­de da­durch zu entschärfen ver­sucht, dass sie auf ein Kopf­tuch ver­zich­te. Die von ihr ge­tra­ge­ne Wollmütze sei kein aus sich her­aus verständ­li­ches re­li­giöses Sym­bol und stel­le zu­dem ge­ra­de ein po­si­ti­ves Be­kennt­nis zu re­li­giöser Neu­tra­lität und To­le­ranz dar. Zu­dem könne durch den Ver­zicht auf ei­ne Ein­zel­fall­abwägung Ver­trau­ens­schutz­ge­sichts­punk­ten nicht hin­rei­chend Rech­nung ge­tra­gen wer­den, so­weit das Kopf­tuch­ver­bot Per­so­nen be­tref­fe, für die die­ses - wie für sie - zum Zeit­punkt der Dienst­auf­nah­me nicht ab­seh­bar ge­we­sen sei.

Ei­ne ver­fas­sungs­kon­for­me Ein­schränkung sei ge­bo­ten und könne dar­an an­knüpfen, dass nach § 57 Abs. 4 Satz 1 SchulG NW die Be­kun­dung ge­eig­net sein müsse, die geschütz­ten Rechtsgüter zu be­ein­träch­ti­gen. Die­se Be­ein­träch­ti­gung las­se sich auch kon­kret ver­ste­hen. Das ste­he nicht im Wi­der­spruch zum Wil­len des Ge­setz­ge­bers, son­dern re­du­zie­re le­dig­lich das von ihm be­ab­sich­tig­te Ver­bot auf das ver­fas­sungs­recht­lich zulässi­ge Maß.

c) Die Ent­schei­dung des Bun­des­ar­beits­ge­richts ver­let­ze Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG. Das Ge­richt ha­be sei­ne Fest­stel­lung, ein abs­trak­tes Kopf­tuch­ver­bot oh­ne Ein­zel­fall­prüfung sei nach § 8 AGG zulässig, nicht tref­fen dürfen, oh­ne die Fra­ge, ob dies mit Art. 4 Abs. 1 der Richt­li­nie 2000/78/EG ver­ein­bar sei, dem Eu­ropäischen Ge­richts­hof vor­zu­le­gen. Die Vor­la­ge­pflicht nach Art. 234 Abs. 3 EGV (jetzt Art. 267 AEUV) sei in un­halt­ba­rer Wei­se ge­hand­habt wor­den, weil der Ge­richts­hof die­se Fra­ge in sei­ner bis­he­ri­gen Recht­spre­chung noch nicht erschöpfend be­ant­wor­tet ha­be und das Bun­des­ar­beits­ge­richt sich hier­mit in kei­ner Wei­se aus­ein­an­der­ge­setzt ha­be.

 

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2. Das Ver­fah­ren 1 BvR 1181/10 (Be­schwer­deführe­rin zu II.)

Die Be­schwer­deführe­rin zu II.) rügt ei­ne Ver­let­zung von Art. 2 Abs. 1 in Ver­bin­dung mit Art. 1 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1 und 3, von Art. 4 Abs. 1 und 2 in Ver­bin­dung mit Art. 12 Abs. 1, so­wie von Art. 33 Abs. 2 und 3 GG und Art. 9 und Art. 14 EM­RK durch die mit­tel­bar an­ge­grif­fe­nen Vor­schrif­ten so­wie durch die an­ge­grif­fe­nen Ge­richts­ent­schei­dun­gen. Über­dies macht sie ei­ne Ver­let­zung von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG durch das Ur­teil des Bun­des­ar­beits­ge­richts gel­tend.

a) Nach den ge­setz­li­chen Be­stim­mun­gen sei das Ver­bot des Tra­gens ei­nes re­li­giösen Sym­bols be­reits dann ge­recht­fer­tigt, wenn ihm nach ei­ner be­lie­bi­gen In­ter­pre­ta­ti­onsmöglich­keit ein Aus­sa­ge­ge­halt zu­ge­dacht wer­den könne, der ge­eig­net sei, die staat­li­che Neu­tra­lität oder den Schul­frie­den zu stören. Da auf die­ser Grund­la­ge mus­li­mi­schen Leh­re­rin­nen das Tra­gen ei­nes Kopf­tuchs un­ter­sagt wer­de, das ele­men­ta­rer Be­stand­teil ei­ner am Is­lam aus­ge­rich­te­ten Le­bens­wei­se sei, wer­de hier­durch der Schutz des Grund­rechts aus Art. 4 GG stark verkürzt.

Dies sei je­doch nicht er­for­der­lich. Be­trach­te man das Kopf­tuch als ein bloßes Zei­chen für ei­ne Re­li­gi­ons­zu­gehörig­keit, könne es die staat­li­che Neu­tra­lität nicht gefähr­den. Die­se selbst sei eben­so wie der Schul­frie­de kein kol­li­die­ren­des Gut von Ver­fas­sungs­rang, son­dern lei­te sich le­dig­lich aus dem Schutz­ge­halt der ne­ga­ti­ven Re­li­gi­ons­frei­heit ab. Sie sei als ein an den Staat adres­sier­tes Abwägungs­ziel be­zie­hungs­wei­se als Abwägungs­grund­satz zu ver­ste­hen, um den Re­li­gi­ons­frie­den in der Ge­sell­schaft zu gewähr­leis­ten. Auch sei zu berück­sich­ti­gen, dass das Tra­gen des Kopf­tuchs dem Staat nicht zu­zu­rech­nen sei und nicht zwin­gend den Schul­frie­den gefähr­den müsse. Dies wer­de am vor­lie­gen­den Fall be­son­ders deut­lich, da sie, die Be­schwer­deführe­rin, im Rah­men ei­nes frei­wil­li­gen Schul­an­ge­bots un­ter­rich­te, al­le ih­rer Schüler Mus­li­me sei­en, sie als Kopf­tuchträge­rin ein­ge­stellt wor­den sei und bis­lang be­an­stan­dungs­frei un­ter­rich­tet ha­be. Vor die­sem Hin­ter­grund genüge es, wenn bei ei­ner Störung des Schul­frie­dens im Ein­zel­fall ein­ge­grif­fen wer­de.

Der Ein­griff in ih­re Grund­rech­te sei nicht an­ge­mes­sen. Der Ver­zicht auf das Kopf­tuch ver­ur­sa­che für ei­ne gläubi­ge Mus­li­min ei­nen star­ken Ge­wis­sens­kon­flikt. Ihr wer­de an­ge­son­nen, ih­ren Be­ruf auf­zu­ge­ben, was auch ei­nen Ein­griff in Art. 12 GG dar­stel­le. Über­dies wer­de sie in ih­rem all­ge­mei­nen Persönlich­keits­recht ver­letzt, weil sie ihr äußeres Er­schei­nungs­bild nicht mehr frei wählen könne. Da es aber in ers­ter Li­nie um das vor­be­halt­lo­se Grund­recht des Art. 4 GG ge­he, sei nach ständi­ger Recht­spre­chung des Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richts ei­ne Ein­zel­fall­abwägung bei der Her­stel­lung prak­ti­scher Kon­kor­danz not­wen­dig. Zu berück­sich­ti­gen sei da­bei, dass sie als An­ge­stell­te nicht den glei­chen Loya­litäts­pflich­ten un­ter­lie­ge wie Be­am­te und dass ihr Ver­trau­ens­schutz zu­kom­me, weil sie schon bei ih­rer Ein­stel­lung ein Kopf­tuch ge­tra­gen ha­be.

b) Darüber hin­aus lie­ge ei­ne Ver­let­zung von Art. 3 Abs. 3 und Art. 33 Abs. 3 GG vor, weil § 57 Abs. 4 Satz 3 SchulG NW abendländi­sche und christ­li­che Kul­tur­wer­te pri­vi­le­gie­re. Der Ge­setz­ge­ber ha­be klar zum Aus­druck ge­bracht, dass das Tra­gen christ­li­cher Or­dens­klei­dung auf die­ser Grund­la­ge nicht ver­bo­ten sein sol­le. Hier­in lie­ge ei­ne Be­nach­tei­li­gung mus­li­mi­scher Leh­re­rin­nen aus re­li­giösen Gründen, die nicht ge­recht­fer­tigt sei. Fak­tisch wer­de je­der Schüler in An­se­hung ei­ner Leh­re­rin in Or­dens­tracht de­ren Iden­ti­fi­ka­ti­on mit ih­rer Re­li­gi­on eben­so aus­ge­setzt wie im Fall des Tra­gens ei­nes Kopf­tuchs. Ei­ne ver­fas­sungs­kon­for­me Aus­le­gung der Vor­schrift ver­bie­te sich we­gen des aus­drück­lich zu­ta­ge ge­tre­te­nen Wil­lens des Ge­setz­ge­bers.

c) Die an­ge­grif­fe­ne Re­ge­lung ver­s­toße des Wei­te­ren ge­gen § 7 Abs. 1 AGG, der als bun­des­recht­li­che Re­ge­lung dem § 57 Abs. 4 SchulG NW vor­ge­he (Art. 31 GG). Die un­ter­schied­li­che Be­hand­lung sei nicht nach § 8 AGG ge­recht­fer­tigt. Es han­de­le sich bei dem Kopf­tuch­ver­bot nicht um ein ent­schei­den­des Merk­mal für die be­ruf­li­che Tätig­keit ei­ner Leh­re­rin. Schon ihr bis­her be­an­stan­dungs­frei ge­blie­be­ner Un­ter­richt zei­ge, dass dies nicht der Fall sei. Im Übri­gen müsse der Staat eben­so wie die Ge­sell­schaft auch schlich­te re­li­giöse Be­kun­dun­gen hin­neh­men.

d) Das Bun­des­ar­beits­ge­richt ha­be die Vor­la­ge­pflicht zum Eu­ropäischen Ge­richts­hof ver­letzt, weil die­ser die Fra­ge ei­ner pau­scha­len oder ein­zel­fall­be­zo­ge­nen Aus­le­gung von Art. 4 Abs. 1 der Richt­li­nie 2000/78/EG noch nicht ent­schie­den ha­be.

IV.

 

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Zu den Ver­fas­sungs­be­schwer­den ha­ben Stel­lung ge­nom­men das Mi­nis­te­ri­um für Schu­le und 56 Wei­ter­bil­dung des Lan­des Nord­rhein-West­fa­len für die Lan­des­re­gie­rung, die Nie­dersäch­si­sche Staats­kanz­lei für die Lan­des­re­gie­rung, das Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richt, der Dach­ver­band Frei­er Welt­an­schau­ungs­ge­mein­schaf­ten e.V. (DFW), das Ak­ti­onsbünd­nis mus­li­mi­scher Frau­en e.V. (amf), die Ale­vi­ti­sche Ge­mein­de Deutsch­land e.V., der Ver­band Bil­dung und Er­zie­hung e.V. (VBE), der In­ter­na­tio­na­le Bund der Kon­fes­si­ons­lo­sen und Athe­is­ten e.V. (IB­KA), die Türkisch-Is­la­mi­sche Uni­on der An­stalt für Re­li­gi­on e.V. (DITIB) und der Zen­tral­rat der Ju­den in Deutsch­land K.d.ö.R.

1. Das Mi­nis­te­ri­um für Schu­le und Wei­ter­bil­dung des Lan­des Nord­rhein-West­fa­len ver­weist dar­auf, dass zu den mit­tel­bar an­ge­grif­fe­nen Vor­schrif­ten die un­ter­schied­lichs­ten Rechts­auf­fas­sun­gen ver­tre­ten würden. Die­se Zer­ris­sen­heit ha­be sich sei­ner­zeit in den De­bat­ten des Land­tags im Zu­ge des Ge­setz­ge­bungs­ver­fah­rens ab­ge­bil­det. Des­halb sei es aus­drück­lich zu be­grüßen, dass sich das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt nun­mehr mit der Ma­te­rie be­fas­sen und für Rechts­klar­heit sor­gen wer­de.

2. Die Nie­dersäch­si­sche Staats­kanz­lei geht in ih­rer Stel­lung­nah­me zunächst auf die Vor­schrift des nie­dersäch­si­schen Schul­ge­set­zes ein, die in § 51 Abs. 3 NSchG das äußere Er­schei­nungs­bild von Lehr­kräften re­gelt und er­ach­tet die­se für ver­fas­sungs­gemäß. Ent­ge­gen der Auf­fas­sung der Be­schwer­deführe­rin­nen könne der Ge­setz­ge­ber für Klei­dungsstücke und äußere Zei­chen, die of­fen­sicht­lich aus welt­an­schau­lich-re­li­giösen Mo­ti­ven ge­tra­gen würden, ein ge­ne­rel­les Ver­bot an­ord­nen, so dass ei­ne Ein­zel­fall­prüfung ent­behr­lich sei. Dies er­ge­be sich aus der Kopf­tuch-Ent­schei­dung des Zwei­ten Se­nats des Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richts vom 24. Sep­tem­ber 2003 (BVerfGE 108, 282). Et­was an­de­res gel­te in den Fällen, in de­nen un­klar sei, ob ei­ner Be­klei­dung oder ei­nem Zei­chen ein re­li­giöser oder welt­an­schau­li­cher Aus­sa­ge­ge­halt zu­kom­me. Dies sei von der Schul­behörde vom ob­jek­ti­ven Empfänger­ho­ri­zont aus zu be­ur­tei­len.

Die Be­stim­mung löse das un­ver­meid­li­che Span­nungs­verhält­nis der in Re­de ste­hen­den Grund­rech­te un­ter Berück­sich­ti­gung des To­le­ranz­ge­bots in an­ge­mes­se­ner Wei­se auf. Der Ge­setz­ge­ber ha­be sich in An­leh­nung an die Kopf­tuch-Ent­schei­dung (BVe­ri­GE 108, 282) dar­an ori­en­tiert, dass ei­ner­seits Art. 7 GG im Be­reich des Schul­we­sens welt­an­schau­lich-re­li­giöse Ein­flüsse un­ter Wah­rung des Er­zie­hungs­rechts der El­tern zu­las­se und dass an­de­rer­seits Art. 4 GG ge­bie­te, bei der Ent­schei­dung für ei­ne be­stimm­te Schul­form welt­an­schau­lich-re­li­giöse Zwänge so weit wie möglich aus­zu­schal­ten. Da­mit sei ein Mit­tel­weg ein­ge­schla­gen wor­den. Den Lehr­kräften sei grundsätz­lich zu­ge­stan­den, ih­re Glau­bens­frei­heit auch im Dienst aus­zuüben. Die­se wer­de erst dort ein­ge­schränkt, wo Zwei­fel an der neu­tra­len Erfüllung des staat­li­chen Bil­dungs­auf­trags aufkämen. Dies sei et­wa dann der Fall, wenn ei­ne Lehr­kraft im Dienst ein is­la­mi­sches Kopf­tuch oder ei­ne Bur­ka tra­ge. Wären sol­che re­li­giösen Kul­tus­hand­lun­gen zulässig, lie­fe die ne­ga­ti­ve Glau­bens­frei­heit der Schüler ins Lee­re. Da die­se ver­pflich­tet sei­en, am Schul­be­trieb teil­zu­neh­men, könn­ten sie welt­an­schau­lich-re­li­giösen Hand­lun­gen der Lehr­kräfte nicht aus dem We­ge ge­hen. Das el­ter­li­che Er­zie­hungs­recht in re­li­giösen Fra­gen wer­de eben­falls un­zulässig verkürzt. Für den welt­an­schau­lich-re­li­giösen Be­reich be­deu­te das To­le­ranz­ge­bot, dass Schüler an öffent­li­chen Schu­len zwar mit ver­schie­de­nen welt­an­schau­lich-re­li­giösen Auf­fas­sun­gen und Be­kun­dun­gen in Berührung kom­men dürf­ten und soll­ten, aber in ei­ner maßvol­len und nicht et­wa auf­dring­li­chen oder er­drücken­den Wei­se. Die­ses Er­geb­nis ent­spre­che der prak­ti­schen Kon­kor­danz.

Folg­lich sei § 57 Abs. 4 SchulG NW grundsätz­lich als ver­fas­sungs­gemäß an­zu­se­hen. So­weit al­ler­dings § 57 Abs. 4 Satz 3 SchulG NW in Re­de ste­he, wer­de von ei­ner Stel­lung­nah­me ab­ge­se­hen, da in Nie­der­sach­sen auf ei­ne ver­gleich­ba­re Re­ge­lung be­wusst ver­zich­tet wor­den sei.

3. Die Präsi­den­tin des Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richts hat Stel­lung­nah­men des dor­ti­gen 2. und 6. Re­vi­si­ons­se­nats über­mit­telt. Der 2. Re­vi­si­ons­se­nat teilt mit, dass er mit den an­ge­grif­fe­nen Re­ge­lun­gen selbst bis­her nicht be­fasst ge­we­sen sei. Im Übri­gen ver­weist er auf sei­ne bis­he­ri­ge Recht­spre­chung zu § 38 Abs. 2 SchulG BW und § 59b Abs. 4 Bre­mSchulG (BVerw­GE 121, 140; 131, 242). Der 6. Re­vi­si­ons­se­nat weist auf ei­ne Ent­schei­dung über die Be­frei­ung ei­ner mus­li­mi­schen Schüle­rin vom ko­edu­ka­ti­ven Sport­un­ter­richt aus Gründen der Be­fol­gung is­la­mi­scher Be­klei­dungs­vor­schrif­ten hin (BVerw­GE 94, 82). Die Erwägun­gen die­ser Ent­schei­dung sei­en auf die hier vor­lie­gen­de Pro­ble­ma­tik aber nicht über­trag­bar.

4. Der Dach­ver­band Frei­er Welt­an­schau­ungs­ge­mein­schaf­ten e.V. (DFW) hält § 57 Abs. 4 Satz 3 SchulG NW für ver­fas­sungs­wid­rig. Die Aus­klam­me­rung christ­li­cher und abendländi­scher Kul­tur­wer­te aus dem Be­kun­dungs­ver­bot ver­s­toße ge­gen das Neu­tra­litäts­ge­bot des Staa­tes und sei un­zulässig ge­gen

 

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den Is­lam ge­rich­tet. Ei­ne ein­sei­ti­ge Her­vor­he­bung christ­li­cher Kul­tur­wer­te gründe auf ei­ner ideo­lo­gisch ge­prägten Dar­stel­lung der eu­ropäischen Kul­tur­ge­schich­te selbst, die auf noch an­de­ren Re­li­gio­nen als al­lein der christ­li­chen be­ru­he. Für die Bei­be­hal­tung der übri­gen Re­ge­lun­gen der Vor­schrift sprächen al­ler­dings die Grund­rech­te von Schülern und El­tern.

5. Das Ak­ti­onsbünd­nis mus­li­mi­scher Frau­en e.V. (amf) meint, § 57 Abs. 4 SchulG NW sei ver­fas­sungs­wid­rig. Er miss­ach­te die Vor­ga­ben des Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richts aus der Kopf­tuch-Ent­schei­dung des Zwei­ten Se­nats (BVerfGE 108, 282). Die Vor­schrift ver­let­ze die staat­li­che Neu­tra­litäts­pflicht, weil sie Re­li­gio­nen un­gleich be­han­de­le. Das Kopf­tuch wer­de - ent­ge­gen dem Sinn­ge­halt, den die ein­zel­nen Be­trof­fe­nen und der Is­lam ihm gäben - auf ei­ne dem Ge­setz­ge­ber ge­neh­me, nämlich ei­ne nicht mit der Ver­fas­sung kom­pa­ti­ble Deu­tung re­du­ziert. Die not­wen­di­gen em­pi­ri­schen Be­le­ge für ei­ne be­ein­flus­sen­de und den Schul­frie­den stören­de Wir­kung des Kopf­tuchs sei­en nicht er­bracht wor­den. Da­bei ha­be in Nord­rhein-West­fa­len von 1970 bis 2010 ei­ne Grund­schul­leh­re­rin mit Kopf­tuch un­ter­rich­tet, so dass ein sol­cher Nach­weis möglich ge­we­sen wäre.

Das Kopf­tuch­ver­bot ha­be ei­ne dis­kri­mi­nie­ren­de Wir­kung. Es tref­fe aus­sch­ließlich Frau­en und un­ter ih­nen wie­der­um nur die­je­ni­gen, die ein Kopf­tuch trügen. Auch ha­be das Ge­setz da­zu geführt, dass die tatsächli­che Durch­set­zung der Gleich­be­rech­ti­gung für Kopf­tuch tra­gen­de Frau­en nicht nur im Schul­be­reich unmöglich ge­wor­den sei und dass Nach­tei­le ge­schaf­fen wor­den sei­en, die es zu­vor nicht in die­ser Aus­prägung ge­ge­ben ha­be. Sch­ließlich sei­en mus­li­mi­sche Frau­en in­so­weit be­nach­tei­ligt, als an­de­ren Re­li­gio­nen das Kopf­tuch als Teil der Re­li­gi­ons­ausübung un­be­kannt sei. Das Kopf­tuch­ver­bot ha­be aus selbst­be­wuss­ten, in­te­grier­ten und öko­no­misch un­abhängi­gen Frau­en ver­un­si­cher­te, aus­ge­grenz­te und abhängi­ge Frau­en ge­macht; es ha­be sol­che, die ein nicht-tra­di­tio­nel­les Rol­len­bild ge­lebt hätten, in ein tra­di­tio­nel­les ge­zwun­gen und mus­li­mi­schen Schüle­rin­nen, die ein Kopf­tuch tra­gen woll­ten, ge­zeigt, dass sie sich zwi­schen Kopf­tuch und Kar­rie­re ent­schei­den müss­ten.

Die Er­fah­run­gen, die Kopf­tuch tra­gen­de Leh­re­rin­nen nach In­kraft­tre­ten des Ge­set­zes ge­macht hätten, be­schreibt das Ak­ti­onsbünd­nis wie folgt: Zu Be­ginn sei das Kopf­tuch­ver­bot im schu­li­schen Um­feld weit­ge­hend auf Un­verständ­nis ges­toßen. Das Kli­ma ha­be sich im Lau­fe der Zeit aber als Fol­ge der emo­tio­na­len Dis­kus­si­on ein­ge­trübt. Die Si­tua­ti­on der Leh­re­rin­nen, die we­gen der lau­fen­den Ver­fah­ren noch mit Kopf­tuch un­ter­rich­ten dürf­ten, ge­stal­te sich auch dann schwie­ri­ger, wenn ei­ne ver­meint­lich mus­li­mi­sche Leh­re­rin in das Kol­le­gi­um ein­tre­te, die kein Kopf­tuch tra­ge, weil die­se ih­nen als „Vor­bild" vor­ge­hal­ten wer­de. Auch lai­zis­tisch ge­prägte türki­sche Leh­re­rin­nen re­agier­ten oft ab­leh­nend. Das so­zia­le Um­feld der be­trof­fe­nen Frau­en sei hin­ge­gen be­reit, je­de ih­rer Ent­schei­dun­gen zu un­terstützen, auch das Ab­le­gen des Kopf­tuchs. Zu­wei­len wer­de durch Fa­mi­li­en­an­gehöri­ge dar­auf so­gar ge­drängt, da­mit das Ein­kom­men der Frau­en nicht weg­fal­le.

Un­verständ­lich und mit dem Ge­setz un­ver­ein­bar sei es, wenn die Schul­ver­wal­tung das Tra­gen ei­ner Mütze als Kom­pro­miss nicht zu­las­se. Denn ei­ne ver­fas­sungs­recht­lich be­denk­li­che Si­gnal­wir­kung könne von die­ser nicht aus­ge­hen. Glei­ches gel­te für al­ter­na­ti­ve Bin­de­tech­ni­ken des Kopf­tuchs. Ge­dul­det wer­de von den Behörden al­len­falls das al­ter­na­ti­ve Tra­gen ei­ner Perücke, wenn die­se aus ech­tem Haar sei und des­halb nicht künst­lich wir­ke, die Oh­ren nicht be­de­cke und da­zu kein Schal oder Roll­kra­gen ge­tra­gen wer­de; al­ler­dings sei un­klar, ob tatsächlich al­le die­se Be­din­gun­gen durch­ge­setzt würden. Die Leh­re­rin­nen, die sich hier­zu be­rei­terklärt hätten, hätten dies nur ge­tan, weil der Ver­lust des Ar­beits­plat­zes für sie zu in­ak­zep­ta­blen öko­no­mi­schen Kon­se­quen­zen geführt hätte.

Die Leh­re­rin­nen, die ih­re Tätig­keit hätten auf­ge­ben müssen, hätten zu­vor ver­schie­dent­lich Aus­weich­ver­su­che un­ter­nom­men. Im schul­na­hen Be­reich hätten sie da­bei je­doch oft die Er­fah­rung ge­macht, dass das Kopf­tuch­ver­bot wohl mit Rück­sicht auf die ver­meint­lich im Ge­setz zum Aus­druck kom­men­de Mehr­heits­mei­nung auch dort fak­tisch an­ge­wen­det wer­de, wo es ei­gent­lich nicht gel­te. Selbst Pri­vat­schu­len sei­en nicht be­reit, Aus­nah­men zu­zu­las­sen.

6. Die Ale­vi­ti­sche Ge­mein­de Deutsch­land e.V. erklärt, sie sei ge­gen das Kopf­tuch­t­ra­gen von Leh­re­rin­nen oder An­ge­stell­ten des öffent­li­chen Diens­tes, da der Staat in die­sem Be­reich sei­ne strik­te Neu­tra­lität wah­ren müsse. Mädchen soll­ten sich frei ent­schei­den können, ob sie ein Kopf­tuch tra­gen woll­ten oder nicht. Tra­ge ei­ne Leh­re­rin als Au­to­ritäts­per­son ein Kopf­tuch, könne das Schüle­rin­nen un­ter Druck set­zen und ih­re Ent­schei­dungs­frei­heit be­ein­träch­ti­gen. Die­se Vor­bild­wir­kung könne auch da­zu führen, dass die Fa­mi­lie Druck auf die Schüle­rin­nen ausübe. Ale­vi­ti­sche Mädchen, für die das Kopf­tuch kei­ne re­li­giöse Pflicht sei, er­leb­ten das Kopf­tuch in der Schu­le oft als dis­kri­mi­nie­rend, weil ih­nen von

 

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mus­li­mi­schen Mitschüle­rin­nen die Ver­let­zung re­li­giöser Re­geln vor­ge­wor­fen wer­de. Schon der Druck, der hier von an­de­ren Schüle­rin­nen aus­geübt wer­de, sei groß. In­so­fern wer­de die Wahl­frei­heit von Schüle­rin­nen durch Kopf­tuch tra­gen­de Leh­re­rin­nen enorm be­ein­träch­tigt.

7. Der Ver­band Bil­dung und Er­zie­hung e.V. (VBE) hält die Ver­fas­sungs­be­schwer­den für un­be­gründet. § 57 Abs. 4 SchulG NW sei ei­ne ver­tret­ba­re und pra­xis­ori­en­tier­te Re­ge­lung, de­ren Be­stand befürwor­tet wer­de. Ge­ra­de in Nord­rhein-West­fa­len zei­ge sich, dass die Schu­le ver­mehrt zu ei­nem Ort wer­de, der mit un­ter­schied­li­chen po­li­ti­schen, re­li­giösen und welt­an­schau­li­chen Über­zeu­gun­gen kon­fron­tiert wer­de. Es sei wich­tig, dass der Staat ei­ne neu­tra­le Hal­tung ein­neh­me, um das Recht al­ler Schüler auf Er­zie­hung wahr­neh­men zu können. Aus der prak­ti­schen Er­fah­rung wis­se man, dass das Kopf­tuch ei­ner Leh­re­rin bei Schülern und de­ren El­tern oft ab­leh­nen­de Re­ak­tio­nen her­vor­ru­fe. Dass es den Zu­gang zu be­stimm­ten Grup­pen von Schülern und El­tern er­leich­te­re, sei nicht von Be­deu­tung; denn es ge­he ge­ra­de um die Neu­tra­lität des Leh­rers ge­genüber al­len Grup­pen. Ge­rin­ge­re An­for­de­run­gen an an­ge­stell­te Lehr­kräfte sei­en dies­bezüglich nicht an­ge­zeigt, zu­mal auch der Ta­rif­ver­trag die Treue­pflicht ge­genüber dem Ar­beit­ge­ber ent­hal­te. Auch So­zi­alpädago­gen übernähmen sen­si­ble ho­heit­li­che Auf­ga­ben und verträten den öffent­li­chen Dienst nach außen. Die Fra­ge ei­ner Pri­vi­le­gie­rung an­de­rer Re­li­gio­nen bedürfe noch der Klärung. Al­ler­dings ge­he es, wie die prak­ti­sche Er­fah­rung zei­ge, ei­ner Non­ne im Ha­bit nicht um ei­ne persönli­che re­li­giöse Be­kun­dung, son­dern um das Tra­gen ei­ner alt­her­ge­brach­ten Tracht. Das Kopf­tuch sei hin­ge­gen stets ei­ne persönli­che re­li­giöse Be­kun­dung.

8. Der In­ter­na­tio­na­le Bund der Kon­fes­si­ons­lo­sen und Athe­is­ten e.V. (IB­KA) ist der An­sicht, ein all­ge­mei­nes Ver­bot re­li­giöser Be­kun­dun­gen durch Leh­rer sei ver­fas­sungs­kon­form. Der hier­in lie­gen­de Grund­rechts­ein­griff sei ge­recht­fer­tigt. Der mit der Re­li­gi­ons­frei­heit gewähr­leis­te­te staats­freie Raum fin­de sei­ne Schran­ken je­den­falls dort, wo durch den Grund­recht­sträger der Staat selbst han­de­le. Dem Frei­heits­recht des Leh­rers tre­te nicht ein An­spruch des Staa­tes auf Neu­tra­lität ent­ge­gen, son­dern je­ne grund­recht­li­chen Ansprüche Drit­ter, die den Staat ver­pflich­te­ten. Als Re­präsen­tant des Staa­tes dürfe der Leh­rer nicht in ei­ner Wei­se in Grund­rech­te ein­grei­fen, die dem Staat selbst ver­bo­ten sei. Dies gel­te un­abhängig von der Art des Dienst­verhält­nis­ses. Der Staat sei be­rech­tigt, sei­ne Or­ga­ni­sa­ti­on so zu ge­stal­ten, dass die Ein­hal­tung der ihm auf­er­leg­ten Gren­zen durch die ein­zel­nen Amts­träger möglich sei. Da auch der Amts­träger grund­rechts­be­rech­tigt sei, dürfe nicht je­de re­li­giöse Äußerung ver­bo­ten wer­den, son­dern nur je­ne, die ge­eig­net sei, den Schul­frie­den zu stören. Ei­ne Ein­zel­fall­prüfung sei da­bei nicht zwin­gend, auch nicht im Lich­te der bis­he­ri­gen Recht­spre­chung zu schran­ken­lo­sen Grund­rech­ten; denn die­se be­zie­he sich nicht auf die Grund­rechts­ausübung im Amt, so dass hier ei­ne en­ge­re Grenz­zie­hung nicht aus­ge­schlos­sen sei.

Mit Blick auf die Fest­stel­lung ei­ner Eig­nung der re­li­giösen Be­kun­dung, den re­li­giösen Frie­den zu stören, müsse gewähr­leis­tet sein, dass nicht je­de re­li­giöse Äußerung ver­bo­ten wer­de; ein fried­li­cher Dis­kurs müsse möglich blei­ben. Über­dies dürfe die Frie­dens­gefähr­dung nicht dem­je­ni­gen zur Last ge­legt wer­den, der die In­to­le­ranz an­de­rer auf sich zie­he.

Die Aus­nah­me­re­ge­lung des § 57 Abs. 4 Satz 3 SchulG NW sei ver­fas­sungs­wid­rig; ei­ne ver­fas­sungs­kon­for­me In­ter­pre­ta­ti­on schei­de aus. Schon die in Be­zug ge­nom­me­nen Vor­schrif­ten des Lan­des­ver­fas­sungs­rechts sei­en ver­fas­sungs­wid­rig. Das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt sei auf­ge­for­dert, sei­ne Recht­spre­chung zur An­er­ken­nung des Chris­ten­tums als prägen­dem Kul­tur- und Bil­dungs­fak­tor auf­zu­ge­ben. Die Wer­te­ord­nung des Grund­ge­set­zes be­ru­he nicht auf dem Chris­ten­tum. So­weit kul­tu­rel­le Ele­men­te christ­li­chen Ur­sprungs sei­en, sei­en sie heu­te gänz­lich säku­la­ri­siert und dürf­ten des­halb nicht als Grund­la­ge ei­ner Pri­vi­le­gie­rung her­an­ge­zo­gen wer­den. Sch­ließlich ha­be sich die Ge­sell­schaft in den letz­ten Jah­ren so sehr ent­kirch­licht, dass nie­mand mehr ge­zwun­gen sei, mit Ele­men­ten christ­li­chen re­li­giösen Le­bens um­zu­ge­hen.

Die An­wen­dung des Kopf­tuch­ver­bots auf sons­ti­ge pädago­gi­sche Mit­ar­bei­ter sei un­be­denk­lich. Denn die­se hätten durch ih­re Schieds­funk­ti­on so­gar ei­ne höhe­re Au­to­rität als Leh­rer. In­so­fern sei es be­denk­lich, wenn gel­tend ge­macht wer­de, dass ge­ra­de durch das Kopf­tuch ei­ne höhe­re Ak­zep­tanz be­ste­he. Denn der schu­li­sche Er­zie­hungs­auf­trag be­ste­he auch dar­in, Re­spekt für Frau­en oh­ne Kopf­tuch zu er­wir­ken. Es sei zu befürch­ten, dass die Kehr­sei­te die­ser be­son­de­ren Ak­zep­tanz in ei­ner Bestärkung der Ab­leh­nung von Frau­en oh­ne Kopf­tuch lie­ge. Auch könne nicht ein­ge­wandt wer­den, dass das An­ge­bot für Schüler frei­wil­lig sei. Auf die­se Wei­se würden Schüler dis­kri­mi­niert, die das Kopf­tuch als Be­ein­träch­ti­gung ih­rer Rech­te ansähen. Glei­ches gel­te für den mut­ter­sprach­li­chen Ergänzungs­un­ter­richt.

 

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Hier könne we­der da­von aus­ge­gan­gen wer­den, dass al­le po­ten­ti­el­len Schüler Mus­li­me sei­en, noch dass al­le mus­li­mi­schen Schüle­rin­nen mit der Wir­kung, die von ei­ner kopf­tuch­t­ra­gen­den Leh­re­rin aus­ge­he, ein­ver­stan­den sei­en.

9. Die Türkisch-Is­la­mi­sche Uni­on der An­stalt für Re­li­gi­on e.V. (DITIB) hat fol­gen­de theo­lo­gi­sche Be­wer­tung ih­res Obers­ten Re­li­gi­ons­ra­tes mit­ge­teilt: Mus­li­mi­sche Frau­en müss­ten ab Ein­tritt der Pu­bertät in Ge­gen­wart von Männern, mit de­nen sie nicht ver­wandt sei­en und die zu ehe­li­chen ih­nen re­li­gi­ons­recht­lich er­laubt sei, ih­ren Körper - mit Aus­nah­me von Ge­sicht, Händen und Füßen - mit Klei­dung der­art be­de­cken, dass die Kon­tu­ren und Far­be des Körpers nicht zu se­hen sei­en. Der Kopf gel­te da­bei als be­deckt, wenn Haa­re und Hals vollständig be­deckt sei­en. Dies sei ein nach den Haupt­quel­len der Rechts­fin­dung im Is­lam (Ko­ran, Sun­na, Ge­lehr­ten­kon­sens und all­ge­mei­ner Übe­r­ein­kunft der Ge­mein­den) be­stimm­tes re­li­giöses Ge­bot de­fi­ni­ti­ver Qua­lität. In wel­cher Wei­se die vor­ge­schrie­be­ne Be­de­ckung er­fol­ge, sei al­lein die Ent­schei­dung der mus­li­mi­schen Frau. Das Tra­gen des Kopf­tuchs die­ne dem­nach aus­sch­ließlich der Erfüllung ei­nes re­li­giösen Ge­bots und ha­be darüber hin­aus für die Träge­rin we­der ei­nen sym­bo­li­schen Cha­rak­ter noch die­ne es der Be­kun­dung nach außen.

10. Der Zen­tral­rat der Ju­den in Deutsch­land K.d.ö.R. er­ach­tet das Ver­bot des Tra­gens ei­ner Mütze durch ei­ne Leh­re­rin für ver­fas­sungs­wid­rig. Mit Blick auf Art. 4 GG sei nicht er­sicht­lich, wel­che kon­kre­te Ge­fahr durch das Tra­gen ei­ner Mütze oder ei­nes Kopf­tuchs in Be­zug auf Rech­te Drit­ter ge­ge­ben sein könne. Es sei äußerst be­denk­lich, wenn es in Deutsch­land tatsächlich nicht möglich sein sol­le, in al­len Be­rei­chen er­kenn­bar zei­gen zu dürfen, wel­cher Re­li­gi­on man an­gehöre. Im vor­lie­gen­den Fall sei kei­ner­lei Ver­hal­ten er­kenn­bar, durch das Schüler oder El­tern gefähr­det wor­den sei­en.

Was § 57 Abs. 4 SchulG NW an­ge­he, sei un­ab­ding­bar, dass auf­grund der gra­vie­ren­den Be­ein­träch­ti­gung der Re­li­gi­ons­frei­heit je­der Ein­zel­fall ge­prüft wer­de. Die An­er­ken­nung der „christ­li­chen und abendländi­schen Bil­dungs- und Kul­tur­wer­te oder Tra­di­tio­nen" sei zu be­grüßen. Dies dürfe aber nicht zu ei­ner „Rang­fol­ge" von Re­li­gio­nen und An­schau­un­gen führen. Kei­nes­falls dürfe oh­ne ge­naue in­di­vi­du­el­le Prüfung pau­schal abs­trakt an­ge­nom­men wer­den, dass je­mand al­lein des­halb, weil er sicht­bar ei­ner be­stimm­ten Kul­tur oder Re­li­gi­on an­gehöre, als Gefähr­dung der Men­schenwürde, der Gleich­be­rech­ti­gung oder der frei­heit­lich-de­mo­kra­ti­schen Grund­ord­nung an­ge­se­hen wer­de.

B.

Die zulässi­gen Ver­fas­sungs­be­schwer­den sind im We­sent­li­chen be­gründet. Die Vor­schrif­ten des § 57 Abs. 4 Satz 1 und 2 und des § 58 Satz 2 SchulG NW sind in den 78 Fällen re­li­giöser Be­kun­dun­gen durch das äußere Er­schei­nungs­bild von Pädago­gin­nen und Pädago­gen nur nach Maßga­be ei­ner der Glau­bens- und Be­kennt­nis­frei­heit (Art. 4 Abs. 1 und 2 GG) ge­recht wer­den­den ein­schränken­den In­ter­pre­ta­ti­on mit dem Grund­ge­setz ver­ein­bar. Die von den Be­schwer­deführe­rin­nen be­an­stan­de­ten ar­beits­ge­richt­li­chen Ent­schei­dun­gen wer­den die­sen An­for­de­run­gen nicht ge­recht und ver­let­zen sie des­halb in ih­rem Grund­recht auf Glau­bens- und Be­kennt­nis­frei­heit. Der als Pri­vi­le­gie­rungs­vor­schrift zu­guns­ten christ­lich-abendländi­scher Bil­dungs- und Kul­tur­wer­te oder Tra­di­tio­nen kon­zi­pier­te § 57 Abs. 4 Satz 3 SchulG NW steht nicht im Ein­klang mit dem Ver­bot der Be­nach­tei­li­gung aus re­li­giösen Gründen (Art. 3 Abs. 3 Satz 1 und Art. 33 Abs. 3 GG). Das lässt je­doch den Be­stand der Re­ge­lung im Übri­gen und die Möglich­keit der ver­fas­sungs­kon­for­men Aus­le­gung der Sätze 1 und 2 des § 57 Abs. 4 SchulG NW un­berührt.

I.

Ge­gen­stand der ver­fas­sungs­recht­li­chen Prüfung sind die an­ge­grif­fe­nen Ent­schei­dun­gen der Ar­beits­ge­rich­te und die ih­nen zu­grun­de lie­gen­de Ver­bots­be­stim­mung des § 57 Abs. 4 Satz 1 SchulG NW, so­weit die­se re­li­giöse Be­kun­dun­gen durch das äußere Er­schei­nungs­bild des pädago­gi­schen Per­so­nals be­trifft. Die Prüfung der Norm ist auch auf Satz 2 und Satz 3 des § 57 Abs. 4 SchulG NW zu er­stre­cken, ob­gleich sich die Ar­beits­ge­rich­te aus­drück­lich nur auf das Be­kun­dungs­ver­bot des Sat­zes 1 gestützt ha­ben. Der Re­ge­lung liegt ein ein­heit­li­ches Kon­zept zu­grun­de. Dies kommt auch in der sprach­li­chen An­knüpfung des Sat­zes 2 an Satz 1 („Ins­be­son­de­re ...") zum Aus­druck. Der von den Be­schwer­deführe­rin­nen be­an­stan­de­te Satz 3 knüpft gleich­falls an Satz 1 an und ist in die Prüfung ein­zu­be­zie­hen, weil sei­ne Pri­vi­le­gie­rung christ­li­cher und jüdi­scher Re­li­gio­nen den Be­schwer­deführe­rin­nen

 

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bei der An­wen­dung des Sat­zes 1 gleich­heits­wid­rig nicht zu­gu­te kommt. Die den An­wen­dungs­be­reich der Norm auf sons­ti­ge, bei der Bil­dungs- und Er­zie­hungs­ar­beit mit­wir­ken­de pädago­gi­sche und so­zi­alpädago­gi­sche Mit­ar­bei­ter er­wei­tern­de Vor­schrift des § 58 Satz 2 SchulG NW ist Ge­gen­stand der Prüfung, weil sie im Fall der Be­schwer­deführe­rin zu I.) un­ver­zicht­ba­rer Teil der von den Ar­beits­ge­rich­ten an­ge­wand­ten Rechts­grund­la­ge ist.

II.

Die in den Aus­gangs­ver­fah­ren er­gan­ge­nen Ur­tei­le der Ar­beits­ge­rich­te be­ru­hen auf ei­ner ge­setz­li­chen Grund­la­ge, die der ein­schränken­den ver­fas­sungs­kon­for­men Aus­le­gung be­darf. De­ren An­for­de­run­gen genügen die Ur­tei­le nicht. Ein Ver­bot re­li­giöser Be­kun­dun­gen durch das äußere Er­schei­nungs­bild, das be­reits die abs­trak­te Ge­fahr ei­ner Be­ein­träch­ti­gung des Schul­frie­dens oder der staat­li­chen Neu­tra­lität aus­rei­chen lässt, ist im Blick auf die Glau­bens- und Be­kennt­nis­frei­heit der Pädago­gen je­den­falls un­an­ge­mes­sen und da­mit un­verhält­nismäßig, wenn die Be­kun­dung nach­voll­zieh­bar auf ein als ver­pflich­tend emp­fun­de­nes re­li­giöses Ge­bot zurückführ­bar ist. Er­for­der­lich ist viel­mehr ei­ne hin­rei­chend kon­kre­te Ge­fahr. Ei­ne ent­spre­chen­de ge­biets­be­zo­ge­ne, mögli­cher­wei­se auch lan­des­wei­te Un­ter­sa­gung kommt von Ver­fas­sungs we­gen für öffent­li­che be­kennt­nis­of­fe­ne Ge­mein­schafts­schu­len nur dann in Be­tracht, wenn ei­ne hin­rei­chend kon­kre­te Ge­fahr für die ge­nann­ten Schutzgüter im ge­sam­ten Gel­tungs­be­reich der Un­ter­sa­gung be­steht.

Das Bun­des­ar­beits­ge­richt hat in bei­den Aus­gangs­ver­fah­ren - wie im Er­geb­nis schon die Vor­in­stan­zen - an­ge­nom­men, das Ver­hal­ten der Be­schwer­deführe­rin­nen sei im Sin­ne von § 57 Abs. 4 Satz 1 SchulG NW ge­eig­net, die Neu­tra­lität des Lan­des ge­genüber Schülern und El­tern so­wie den re­li­giösen Schul­frie­den zu gefähr­den. Das Ver­bot er­fas­se nicht erst Be­kun­dun­gen, die die Neu­tra­lität des Lan­des oder den re­li­giösen Schul­frie­den kon­kret gefähr­de­ten oder gar störten. Es sol­le schon ei­ner abs­trak­ten Ge­fahr vor­beu­gen, um kon­kre­te Gefähr­dun­gen gar nicht erst auf­kom­men zu las­sen.

Ein so weit grei­fen­des Verständ­nis des Ver­bots führt für Fälle der vor­lie­gen­den Art zu ei­nem er­heb­li­chen Ein­griff in das Grund­recht auf Glau­bens- und Be­kennt­nis­frei­heit des pädago­gi­schen Per­so­nals, der in die­ser All­ge­mein­heit ver­fas­sungs­recht­lich nicht ge­recht­fer­tigt wer­den kann, weil er sich als un­verhält­nismäßig er­weist.

1. Der Schutz des Grund­rechts auf Glau­bens- und Be­kennt­nis­frei­heit (Art. 4 Abs. 1 und 2 GG) gewähr­leis­tet auch den Pädago­gin­nen und Pädago­gen in der öffent­li­chen be­kennt­nis­of­fe­nen Ge­mein­schafts­schu­le die Frei­heit, den Re­geln ih­res Glau­bens gemäß ei­nem re­li­giösen Be­de­ckungs­ge­bot zu genügen, wie dies et­wa durch das Tra­gen ei­nes is­la­mi­schen Kopf­tuchs der Fall sein kann, wenn dies hin­rei­chend plau­si­bel be­gründet wird.

a) Die Be­schwer­deführe­rin­nen können sich auch als An­ge­stell­te im öffent­li­chen Dienst auf ihr Grund­recht aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG be­ru­fen (eben­so für Be­am­te BVerfGE 108, 282 <297 f.>). Die Grund­rechts­be­rech­ti­gung der Be­schwer­deführe­rin­nen wird durch ih­re Ein­glie­de­rung in den staat­li­chen Auf­ga­ben­be­reich der Schu­le nicht von vorn­her­ein oder grundsätz­lich in Fra­ge ge­stellt. Der Staat bleibt zu­dem auch dann an die Grund­rech­te ge­bun­den, wenn er sich zur Auf­ga­ben­erfüllung zi­vil­recht­li­cher In­stru­men­te be­dient, wie das hier durch den Ab­schluss pri­vat­recht­li­cher Ar­beits­verträge mit den zur Erfüllung sei­nes Er­zie­hungs­auf­trags von ihm an­ge­stell­ten Pädago­gin­nen der Fall ist (Art. 1 Abs. 3 GG; vgl. BVerfGE 128, 226 <245>).

b) Art. 4 GG ga­ran­tiert in Ab­satz 1 die Frei­heit des Glau­bens, des Ge­wis­sens und des re­li­giösen und welt­an­schau­li­chen Be­kennt­nis­ses, in Ab­satz 2 das Recht der un­gestörten Re­li­gi­ons­ausübung. Bei­de Absätze des Art. 4 GG ent­hal­ten ein um­fas­send zu ver­ste­hen­des ein­heit­li­ches Grund­recht (vgl. BVerfGE 24, 236 <245 f.>; 32, 98 <106>; 44, 37 <49>; 83, 341 <354>; 108, 282 <297>; 125, 39 <79>; BVerfG, Be­schluss des Zwei­ten Se­nats vom 22. Ok­to­ber 2014 - 2 BvR 661/12 -, ju­ris, Rn. 98). Es er­streckt sich nicht nur auf die in­ne­re Frei­heit, zu glau­ben oder nicht zu glau­ben, das heißt ei­nen Glau­ben zu ha­ben, zu ver­schwei­gen, sich vom bis­he­ri­gen Glau­ben los­zu­sa­gen und ei­nem an­de­ren Glau­ben zu­zu­wen­den, son­dern auch auf die äußere Frei­heit, den Glau­ben zu be­kun­den und zu ver­brei­ten, für sei­nen Glau­ben zu wer­ben und an­de­re von ih­rem Glau­ben ab­zu­wer­ben (vgl. BVerfGE 12, 1 <4>; 24, 236 <245>; 105, 279 <294>; 123, 148 <177>). Um­fasst sind da­mit nicht al­lein kul­ti­sche Hand­lun­gen und die Ausübung und Be­ach­tung re­li­giöser Gebräuche, son­dern auch die re­li­giöse Er­zie­hung so­wie an­de­re Äußerungs­for­men

 

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des re­li­giösen und welt­an­schau­li­chen Le­bens (vgl. BVerfGE 24, 236 <245 f.>; 93, 1 <17>). Da­zu gehört auch das Recht der Ein­zel­nen, ihr ge­sam­tes Ver­hal­ten an den Leh­ren ih­res Glau­bens aus­zu­rich­ten und die­ser Über­zeu­gung gemäß zu han­deln, al­so glau­bens­ge­lei­tet zu le­ben; dies be­trifft nicht nur im­pe­ra­ti­ve Glau­benssätze (vgl. BVerfGE 108, 282 <297> m.w.N.; BVerfG, Be­schluss des Zwei­ten Se­nats vom 22. Ok­to­ber 2014 - 2 BvR 661/12 -, ju­ris, Rn. 88).

Bei der Würdi­gung des­sen, was im Ein­zel­fall als Ausübung von Re­li­gi­on und Welt­an­schau­ung zu be­trach­ten ist, darf das Selbst­verständ­nis der je­weils be­trof­fe­nen Re­li­gi­ons- und Welt­an­schau­ungs­ge­mein­schaf­ten und des ein­zel­nen Grund­recht­strägers nicht außer Be­tracht blei­ben (vgl. BVerfGE 24, 236 <247 f.>; 108, 282 <298 f.>). Dies be­deu­tet je­doch nicht, dass jeg­li­ches Ver­hal­ten ei­ner Per­son al­lein nach de­ren sub­jek­ti­ver Be­stim­mung als Aus­druck der Glau­bens­frei­heit an­ge­se­hen wer­den muss. Die staat­li­chen Or­ga­ne dürfen prüfen und ent­schei­den, ob hin­rei­chend sub­stan­ti­iert dar­ge­legt ist, dass sich das Ver­hal­ten tatsächlich nach geis­ti­gem Ge­halt und äußerer Er­schei­nung in plau­si­bler Wei­se dem Schutz­be­reich des Art. 4 GG zu­ord­nen lässt, al­so tatsächlich ei­ne als re­li­giös an­zu­se­hen­de Mo­ti­va­ti­on hat. Dem Staat ist es in­des ver­wehrt, der­ar­ti­ge Glau­bensüber­zeu­gun­gen sei­ner Bürger zu be­wer­ten oder gar als „rich­tig" oder „falsch" zu be­zeich­nen; dies gilt ins­be­son­de­re dann, wenn hier­zu in­ner­halb ei­ner Re­li­gi­on di­ver­gie­ren­de An­sich­ten ver­tre­ten wer­den (vgl. BVerfGE 24, 236 <247 f.>; 33, 23 <29 f.>; 83, 341 <353>; 104, 337 <354 f.>; 108, 282 <298 f.>).

c) Die Mus­li­min­nen, die ein in der für ih­ren Glau­ben ty­pi­schen Wei­se ge­bun­de­nes Kopf­tuch tra­gen, können sich dafür auch bei der Ausübung ih­res Be­rufs in der öffent­li­chen be­kennt­nis­of­fe­nen Ge­mein­schafts­schu­le, aber auch für das Tra­gen ei­ner sons­ti­gen Be­klei­dung, durch die Haa­re und Hals nach­voll­zieh­bar aus re­li­giösen Gründen be­deckt wer­den, auf den Schutz der Glau­bens- und Be­kennt­nis­frei­heit aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG be­ru­fen (vgl. BVerfGE 108, 282 <298>).

Die bei­den Be­schwer­deführe­rin­nen ma­chen mit ih­ren Ver­fas­sungs­be­schwer­den ei­ne re­li­giöse Mo­ti­va­ti­on für das Tra­gen ih­rer Kopf­be­de­ckun­gen gel­tend. Sie be­zeich­nen de­ren Tra­gen als un­be­ding­te re­li­giöse Pflicht und als ele­men­ta­ren Be­stand­teil ei­ner am Is­lam ori­en­tier­ten Le­bens­wei­se.

Die­se re­li­giöse Fun­die­rung der Be­klei­dungs­wahl ist auch mit Rück­sicht auf die im Is­lam ver­tre­te­nen un­ter­schied­li­chen Auf­fas­sun­gen zum so­ge­nann­ten Be­de­ckungs­ge­bot nach geis­ti­gem Ge­halt und äußerer Er­schei­nung hin­rei­chend plau­si­bel. Da­bei kommt es nicht dar­auf an, dass der ge­naue In­halt der Be­klei­dungs­vor­schrif­ten für Frau­en un­ter is­la­mi­schen Ge­lehr­ten durch­aus um­strit­ten ist. Es genügt, dass die­se Be­trach­tung un­ter den ver­schie­de­nen Rich­tun­gen des Is­lam ver­brei­tet ist und ins­be­son­de­re auf zwei Stel­len im Ko­ran (Su­re 24, Vers 31; Su­re 33, Vers 59) zurück­geführt wird (vgl. Asad, Die Bot­schaft des Ko­ran - Über­set­zung und Kom­men­tar, 2009, S. 676 f., 810; vgl. auch Hei­ne, Klei­der­ord­nung, in: Hand­buch Recht und Kul­tur des Is­lams in der deut­schen Ge­sell­schaft, 2000, S. 184 <186 f.>). Ein Be­de­ckungs­ge­bot wird im Is­lam teil­wei­se auch als un­be­ding­te Pflicht ein­ge­ord­net (vgl. Khou­ry, Das is­la­mi­sche Rechts­sys­tem, in: Hand­buch Recht und Kul­tur des Is­lams in der deut­schen Ge­sell­schaft, 2000, S. 37 <52>). Un­ter die­sen Umständen kommt es nicht dar­auf an, dass an­de­re Rich­tun­gen des Is­lam ein als ver­pflich­tend gel­ten­des Be­de­ckungs­ge­bot für Frau­en nicht ken­nen (vgl. BVerfGE 108, 282 <298 f.>).

2. Die auf § 57 Abs. 4 (im Fall der Be­schwer­deführe­rin zu I.) i.V.m. § 58 Satz 2) SchulG NW gestütz­te, von den an­ge­grif­fe­nen Ge­richts­ent­schei­dun­gen bestätig­te Un­ter­sa­gung des Tra­gens der in Re­de ste­hen­den Kopf­be­de­ckun­gen er­weist sich an­ge­sichts des von den Be­schwer­deführe­rin­nen als ver­pflich­tend emp­fun­de­nen re­li­giösen Be­de­ckungs­ge­bots als schwer­wie­gen­der Ein­griff in ihr Grund­recht auf Glau­bens- und Be­kennt­nis­frei­heit.

a) Die Ein­ord­nung des Tra­gens von Klei­dungsstücken als äußere re­li­giöse Be­kun­dung im Sin­ne des § 57 Abs. 4 Satz 1 SchulG NW be­ruht auf ei­ner zunächst den Fach­ge­rich­ten ob­lie­gen­den Aus­le­gung des ein­fa­chen Rechts, die für sich ge­nom­men ver­fas­sungs­recht­lich nicht zu be­an­stan­den ist.

Das Tat­be­stands­merk­mal der „äußeren Be­kun­dung" im Sin­ne der ein­fach­ge­setz­li­chen Ein­griffs­grund­la­ge des § 57 Abs. 4 Satz 1 SchulG NW ist nicht auf ver­ba­le Äußerun­gen be­schränkt. Das Bun­des­ar­beits­ge­richt lässt in­so­weit nach­voll­zieh­bar je­de „be­wuss­te, an die Außen­welt ge­rich­te­te Kund­ga­be ei­ner re­li­giösen Über­zeu­gung" genügen und stellt zur Er­mitt­lung des Erklärungs­werts ei­ner Kund­ga­be auf die­je­ni­gen Deu­tungsmöglich­kei­ten ab, die für ei­ne nicht un­er­heb­li­che Zahl von Be­trach­tern na­he liegt. Die­ses auf den kom­mu­ni­ka­ti­ven Cha­rak­ter ei­ner „äußeren Be­kun­dung" im Sin­ne des § 57

 

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Abs. 4 Satz 1 SchulG NW und auf den ob­jek­ti­ven Be­tracht­er­ho­ri­zont ab­stel­len­de Norm­verständ­nis steht in Ein­klang mit dem in die­ser Vor­schrift an­ge­leg­ten Wirk­zu­sam­men­hang zwi­schen den dort ge­nann­ten äußeren Be­kun­dun­gen ei­ner­seits und den da­von be­trof­fe­nen Schutzgütern, al­so der staat­li­chen Neu­tra­lität und des Schul­frie­dens, an­de­rer­seits.

Al­ler­dings kommt Kopf­be­de­ckun­gen und an­de­ren Klei­dungsstücken nicht oh­ne Wei­te­res die Be­deu­tung ei­nes non­ver­ba­len Kom­mu­ni­ka­ti­ons­mit­tels im Sin­ne des § 57 Abs. 4 Satz 1 SchulG NW zu. Dies ist aus­ge­hend vom ob­jek­ti­ven Be­tracht­er­ho­ri­zont viel­mehr nur dann der Fall, wenn das Klei­dungsstück sei­ner Art nach ty­pi­scher­wei­se von vorn­her­ein Aus­druck ei­nes po­li­ti­schen, welt­an­schau­li­chen, re­li­giösen oder ähn­li­chen Be­kennt­nis­ses ist oder aber ein an sich neu­tra­les Klei­dungsstück nach ei­ner Ge­samtwürdi­gung der kon­kre­ten Be­gleit­umstände oh­ne vernünf­ti­gen Zwei­fel als ei­ne sol­che äußere Be­kun­dung ver­stan­den wer­den kann.

Na­ment­lich ein Kopf­tuch ist nicht aus sich her­aus re­li­giöses Sym­bol. Ei­ne ver­gleich­ba­re Wir­kung kann es erst im Zu­sam­men­wir­ken mit an­de­ren Fak­to­ren ent­fal­ten (vgl. BVerfGE 108, 282 <304>). In­so­fern un­ter­schei­det es sich et­wa vom christ­li­chen Kreuz (vgl. da­zu BVerfGE 93, 1 <19 f.>). Auch wenn ein is­la­mi­sches Kopf­tuch nur der Erfüllung ei­nes re­li­giösen Ge­bots dient und ihm von der Träge­rin kein sym­bo­li­scher Cha­rak­ter bei­ge­mes­sen wird, son­dern es le­dig­lich als Klei­dungsstück an­ge­se­hen wird, das die Re­li­gi­on vor­schreibt, ändert dies nichts dar­an, dass es in Abhängig­keit vom so­zia­len Kon­text ver­brei­tet als Hin­weis auf die mus­li­mi­sche Re­li­gi­ons­zu­gehörig­keit der Träge­rin ge­deu­tet wird. In die­sem Sin­ne ist es ein re­li­giös kon­no­tier­tes Klei­dungsstück. Wird es als äußeres An­zei­chen re­li­giöser Iden­tität ver­stan­den, so be­wirkt es das Be­kennt­nis ei­ner re­li­giösen Über­zeu­gung, oh­ne dass es hierfür ei­ner be­son­de­ren Kund­ga­be­ab­sicht oder ei­nes zusätz­li­chen wir­kungs­verstärken­den Ver­hal­tens be­darf. Des­sen wird sich die Träge­rin ei­nes in ty­pi­scher Wei­se ge­bun­de­nen Kopf­tuchs re­gelmäßig auch be­wusst sein. Die­se Wir­kung kann sich - je nach den Umständen des Ein­zel­falls - auch für an­de­re For­men der Kopf-und Hals­be­de­ckung er­ge­ben.

b) Der Ein­griff, der mit der Un­ter­sa­gung des Tra­gens ei­nes is­la­mi­schen Kopf­tuchs oder ei­ner an­de­ren Kopf- und Hals­be­de­ckung in Erfüllung ei­nes re­li­giösen Ge­bots ver­bun­den ist, wiegt schwer.

Die Be­schwer­deführe­rin­nen be­ru­fen sich nicht nur auf ei­ne re­li­giöse Emp­feh­lung, de­ren Be­fol­gung für die ein­zel­nen Gläubi­gen dis­po­ni­bel oder auf­schieb­bar ist. Viel­mehr ha­ben sie plau­si­bel dar­ge­legt, dass es sich für sie - ent­spre­chend dem Selbst­verständ­nis von Tei­len im Is­lam (da­zu Mi­nis­te­ri­um für Ar­beit, In­te­gra­ti­on und So­zia­les des Lan­des Nord­rhein-West­fa­len <Hrsg.>, Mus­li­mi­sches Le­ben in Nord­rhein-West­fa­len, 2010, S. 95 ff.) - um ein im­pe­ra­ti­ves re­li­giöses Be­de­ckungs­ge­bot in der Öffent­lich­keit han­delt, das zu­dem nach­voll­zieh­bar ih­re persönli­che Iden­tität berührt (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG), so dass ein Ver­bot die­ser Be­de­ckung im Schul­dienst für sie so­gar den Zu­gang zum Be­ruf ver­stel­len kann (Art. 12 Abs. 1 GG). Dass auf die­se Wei­se der­zeit fak­tisch vor al­lem mus­li­mi­sche Frau­en von der qua­li­fi­zier­ten be­ruf­li­chen Tätig­keit als Pädago­gin­nen fern­ge­hal­ten wer­den, steht zu­gleich in ei­nem recht­fer­ti­gungs­bedürf­ti­gen Span­nungs­verhält­nis zum Ge­bot der tatsächli­chen Gleich­be­rech­ti­gung von Frau­en (Art. 3 Abs. 2 GG). Vor die­sem Hin­ter­grund greift das ge­setz­li­che Be­kun­dungs­ver­bot in ihr Grund­recht auf Glau­bens- und Be­kennt­nis­frei­heit trotz sei­ner zeit­li­chen und ört­li­chen Be­gren­zung auf den schu­li­schen Be­reich mit er­heb­lich größerem Ge­wicht ein, als dies bei ei­ner re­li­giösen Übung oh­ne plau­si­blen Ver­bind­lich­keits­an­spruch der Fall wäre.

3. Die­ser Ein­griff in die Glau­bens- und Be­kennt­nis­frei­heit der Be­schwer­deführe­rin­nen er­weist sich auf der Grund­la­ge der Aus­le­gung der Norm durch die Ar­beits­ge­rich­te als un­verhält­nismäßig und ist des­halb nicht ge­recht­fer­tigt.

a) Ein­schränkun­gen die­ses Grund­rechts müssen sich aus der Ver­fas­sung selbst er­ge­ben, weil Art. 4 Abs. 1 und 2 GG kei­nen Ge­set­zes­vor­be­halt enthält. Zu sol­chen ver­fas­sungs­im­ma­nen­ten Schran­ken zählen die Grund­rech­te Drit­ter so­wie Ge­mein­schafts­wer­te von Ver­fas­sungs­rang (vgl. BVerfGE 28, 243 <260 f.>; 41, 29 <50 f.>; 41, 88 <107>; 44, 37 <49 f., 53>; 52, 223 <247>; 93, 1 <21>; 108, 282 <297>). Als mit der Glau­bens­frei­heit in Wi­der­streit tre­ten­de Ver­fas­sungsgüter kom­men hier ne­ben dem staat­li­chen Er­zie­hungs­auf­trag (Art. 7 Abs. 1 GG), der un­ter Wah­rung der Pflicht zu welt­an­schau­lich-re­li­giöser Neu­tra­lität zu erfüllen ist, das el­ter­li­che Er­zie­hungs­recht (Art. 6 Abs. 2 GG) und die ne­ga­ti­ve Glau­bens­frei­heit der Schüler (Art. 4 Abs. 1 GG) in Be­tracht (vgl. BVerfGE 108, 282 <299>). Das nor­ma­ti­ve Span­nungs­verhält­nis zwi­schen die­sen Ver­fas­sungsgütern un­ter Berück­sich­ti­gung des To­le­ranz­ge­bots zu lösen, ob­liegt dem de­mo­kra­ti­schen Ge­setz­ge­ber, der im öffent­li­chen

 

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Wil­lens­bil­dungs­pro­zess ei­nen für al­le zu­mut­ba­ren Kom­pro­miss zu su­chen hat. Die ge­nann­ten Grund­ge­setz-Nor­men sind zu­sam­men zu se­hen, ih­re In­ter­pre­ta­ti­on und ihr Wir­kungs­be­reich sind auf­ein­an­der ab­zu­stim­men (vgl. BVerl­GE 108, 282 <302 f.>).

b) Der nord­rhein-westfäli­sche Lan­des­schul­ge­setz­ge­ber ver­folgt mit dem Ver­bot äußerer re­li­giöser Be­kun­dun­gen im Sin­ne des § 57 Abs. 4 Satz 1 SchulG NW, auch so­weit er sol­che durch re­li­giös kon­no­tier­te Be­klei­dung und ins­be­son­de­re durch das in ty­pi­scher Wei­se ge­tra­ge­ne is­la­mi­sche Kopf­tuch er­fasst wis­sen will, le­gi­ti­me Zie­le. Sein An­lie­gen ist es, den Schul­frie­den und die staat­li­che Neu­tra­lität zu wah­ren, so den staat­li­chen Er­zie­hungs­auf­trag ab­zu­si­chern, ge­genläufi­ge Grund­rech­te von Schülern und El­tern zu schützen und da­mit Kon­flik­ten in dem von ihm in Vor­sor­ge ge­nom­me­nen Be­reich der öffent­li­chen Schu­le von vorn­her­ein vor­zu­beu­gen (vgl. LT­Drucks 14/569, S. 7 ff.). Ge­gen die­se Ziel­set­zun­gen ist von Ver­fas­sungs we­gen of­fen­sicht­lich nichts zu er­in­nern. Sie las­sen sich oh­ne Wei­te­res dem staat­li­chen Er­zie­hungs­auf­trag, dem Neu­tra­litäts­grund­satz, der ne­ga­ti­ven Glau­bens­frei­heit der Schüler so­wie dem el­ter­li­chen Er­zie­hungs­recht und da­mit ver­fas­sungs­im­ma­nen­ten Schran­ken der Glau­bens- und Be­kennt­nis­frei­heit des pädago­gi­schen Per­so­nals zu­ord­nen.

c) Die Er­for­der­lich­keit der Re­ge­lung in § 57 Abs. 4 Satz 1 SchulG NW, die in der In­ter­pre­ta­ti­on der Fach­ge­rich­te schon die abs­trak­te Eig­nung äußerer re­li­giöser Be­kun­dun­gen durch das Tra­gen ei­ner re­li­giös kon­no­tier­ten Kopf­be­de­ckung zur Gefähr­dung der Schutzgüter genügen lässt, er­scheint be­reits frag­lich. Es be­darf hier in­des kei­ner Ent­schei­dung, ob an­ge­sichts des mitt­ler­wei­le zu ver­zeich­nen­den Ver­brei­tungs­gra­des des is­la­mi­schen Kopf­tuchs in der deut­schen Ge­sell­schaft und des gängi­gen Verständ­nis­ses von sei­ner Be­deu­tung, aber auch in An­be­tracht der durch­aus un­ter­schied­li­chen Deu­tungsmöglich­kei­ten der Be­weg­gründe sei­ner Träge­rin­nen, ins­be­son­de­re in ei­nem flächen­großen und bevölke­rungs­rei­chen Land wie Nord­rhein-West­fa­len, aus­nahms­los in al­len öffent­li­chen be­kennt­nis­of­fe­nen Ge­mein­schafts­schu­len und Schüle­r­al­ters­grup­pen schon ei­ner abs­trak­ten Ge­fahr für die Schutzgüter des Schul­frie­dens und der staat­li­chen Neu­tra­lität vor­ge­beugt wer­den muss, um kon­kre­te Gefähr­dun­gen für sie gar nicht erst auf­kom­men zu las­sen. Denn die Er­for­der­nis­se ei­ner im en­ge­ren Sin­ne verhält­nismäßigen ge­setz­li­chen Re­ge­lung ge­bie­ten je­den­falls ein ein­schränken­des Verständ­nis des Merk­mals ei­ner Eig­nung zur Gefähr­dung der Schutzgüter.

d) Das lan­des­wei­te Ver­bot re­li­giöser Be­kun­dun­gen durch das äußere Er­schei­nungs­bild, na­ment­lich das Tra­gen re­li­giös kon­no­tier­ter Klei­dung, schon we­gen der bloß abs­trak­ten Eig­nung zu ei­ner Gefähr­dung des Schul­frie­dens oder der staat­li­chen Neu­tra­lität in ei­ner be­kennt­nis­of­fe­nen Ge­mein­schafts­schu­le er­weist sich je­den­falls als un­verhält­nismäßig im en­ge­ren Sin­ne, wenn die­ses Ver­hal­ten nach­voll­zieh­bar auf ein als ver­pflich­tend ver­stan­de­nes re­li­giöses Ge­bot zurück­zuführen ist. Ein an­ge­mes­se­ner, der Glau­bens­frei­heit der sich auf ein re­li­giöses Be­de­ckungs­ge­bot be­ru­fen­den Pädago­gin­nen hin­rei­chend Rech­nung tra­gen­der Aus­gleich mit ge­genläufi­gen ver­fas­sungs­recht­lich ver­an­ker­ten Po­si­tio­nen er­for­dert für die vor­lie­gen­de Fall­ge­stal­tung ei­ne ein­schränken­de Aus­le­gung der schul­frie­dens- und neu­tra­litäts­wah­ren­den Ver­bots­norm der­ge­stalt, dass zu­min­dest ei­ne hin­rei­chend kon­kre­te Ge­fahr für die Schutzgüter vor­lie­gen muss.

aa) Für die Be­ur­tei­lung der tatsächli­chen Ge­ge­ben­hei­ten und Ent­wick­lun­gen, von der abhängt, ob ge­genläufi­ge Grund­rechts­po­si­tio­nen von Schülern und El­tern oder an­de­re Wer­te von Ver­fas­sungs­rang ei­ne Re­ge­lung recht­fer­ti­gen, die Lehr­kräfte al­ler Be­kennt­nis­se zu äußers­ter Zurück­hal­tung in der Ver­wen­dung von Kenn­zei­chen mit re­li­giösem Be­zug ver­pflich­tet, verfügt der Ge­setz­ge­ber über ei­ne Einschätzungs­präro­ga­ti­ve (vgl. BVerfGE 108, 282 <310 f.>). Al­ler­dings muss er, zu­mal bei ei­nem weit­ge­hend vor­beu­gend wir­ken­den Ver­bot äußerer re­li­giöser Be­kun­dun­gen, ein an­ge­mes­se­nes Verhält­nis zu dem Ge­wicht und der Be­deu­tung des Grund­rechts des pädago­gi­schen Per­so­nals auf Glau­bens- und Be­kennt­nis­frei­heit eben­so wah­ren wie er bei ei­ner Ge­samt­abwägung zwi­schen dem Ge­wicht des Ein­griffs mit dem Ge­wicht der ihn recht­fer­ti­gen­den Gründe die Gren­ze der Zu­mut­bar­keit be­ach­ten muss (vgl. BVerfGE 83, 1 <19>; 90, 145 <173>; 102, 197 <220>; 104, 337 <349>).

bb) Das Ein­brin­gen re­li­giöser oder welt­an­schau­li­cher Bezüge in Schu­le und Un­ter­richt durch pädago­gi­sches Per­so­nal kann den in Neu­tra­lität zu erfüllen­den staat­li­chen Er­zie­hungs­auf­trag, das el­ter­li­che Er­zie­hungs­recht und die ne­ga­ti­ve Glau­bens­frei­heit der Schüler be­ein­träch­ti­gen. Es eröff­net zu­min­dest die Möglich­keit ei­ner Be­ein­flus­sung der Schul­kin­der so­wie von Kon­flik­ten mit El­tern, was zu ei­ner Störung des Schul­frie­dens führen und die Erfüllung des Er­zie­hungs­auf­trags der Schu­le gefähr­den kann. Auch die re­li­giös mo­ti­vier­te und als Kund­ga­be ei­ner Glau­bensüber­zeu­gung in­ter­pre­tier­ba­re

 

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Be­klei­dung von Lehr­kräften kann die­se Wir­kun­gen ha­ben (vgl. BVerfGE 108, 282 <303>). Al­ler­dings kommt kei­ner der ge­genläufi­gen ver­fas­sungs­recht­lich ver­an­ker­ten Po­si­tio­nen ein sol­ches Ge­wicht zu, als dass be­reits die abs­trak­te Ge­fahr ih­rer Be­ein­träch­ti­gung ein Ver­bot zu recht­fer­ti­gen vermöch­te, wenn auf der an­de­ren Sei­te das Tra­gen re­li­giös kon­no­tier­ter Be­klei­dung oder Sym­bo­le nach­voll­zieh­bar auf ein als im­pe­ra­tiv ver­stan­de­nes re­li­giöses Ge­bot zurück­zuführen ist.

(1) Die ne­ga­ti­ve Glau­bens­frei­heit der Schüle­rin­nen und Schüler (Art. 4 Abs. 1 und 2 GG) gewähr­leis­tet die Frei­heit, kul­ti­schen Hand­lun­gen ei­nes nicht ge­teil­ten Glau­bens fern­zu­blei­ben; das be­zieht sich auch auf Ri­ten und Sym­bo­le, in de­nen ein Glau­be oder ei­ne Re­li­gi­on sich dar­stel­len. Die Ein­zel­nen ha­ben in ei­ner Ge­sell­schaft, die un­ter­schied­li­chen Glau­bensüber­zeu­gun­gen Raum gibt, al­ler­dings kein Recht dar­auf, von der Kon­fron­ta­ti­on mit ih­nen frem­den Glau­bens­be­kun­dun­gen, kul­ti­schen Hand­lun­gen und re­li­giösen Sym­bo­len ver­schont zu blei­ben. Da­von zu un­ter­schei­den ist aber ei­ne vom Staat ge­schaf­fe­ne La­ge, in wel­cher der Ein­zel­ne oh­ne Aus­weichmöglich­kei­ten dem Ein­fluss ei­nes be­stimm­ten Glau­bens, den Hand­lun­gen, in de­nen sich die­ser ma­ni­fes­tiert, und den Sym­bo­len, in de­nen er sich dar­stellt, aus­ge­setzt ist (vgl. BVerfGE 93, 1 <15 f.>). In ei­ner un­aus­weich­li­chen Si­tua­ti­on be­fin­den sich Schüle­rin­nen und Schüler zwar auch dann, wenn sie sich in­fol­ge der all­ge­mei­nen Schul­pflicht während des Un­ter­richts oh­ne Aus­weichmöglich­keit ei­ner vom Staat an­ge­stell­ten Leh­re­rin ge­genüber se­hen, die ein is­la­mi­sches Kopf­tuch trägt. Im Blick auf die Wir­kung re­li­giöser Aus­drucks­mit­tel ist al­ler­dings da­nach zu un­ter­schei­den, ob das in Fra­ge ste­hen­de Zei­chen auf Ver­an­las­sung der Schul­behörde oder auf­grund ei­ner ei­ge­nen Ent­schei­dung von ein­zel­nen Pädago­gin­nen und Pädago­gen ver­wen­det wird, die hierfür das in­di­vi­du­el­le Frei­heits­recht des Art. 4 Abs. 1 und 2 GG in An­spruch neh­men können. Der Staat, der ei­ne mit dem Tra­gen ei­nes Kopf­tuchs ver­bun­de­ne re­li­giöse Aus­sa­ge ei­ner ein­zel­nen Leh­re­rin oder ei­ner pädago­gi­schen Mit­ar­bei­te­rin hin­nimmt, macht die­se Aus­sa­ge nicht schon da­durch zu sei­ner ei­ge­nen und muss sie sich auch nicht als von ihm be­ab­sich­tigt zu­rech­nen las­sen (vgl. BVerfGE 108, 282 <305 f.>).

Zwar trifft die für das Tra­gen ei­nes is­la­mi­schen Kopf­tuchs in der Schu­le in An­spruch ge­nom­me­ne Glau­bens­frei­heit der Leh­re­rin auf die ne­ga­ti­ve Glau­bens­frei­heit der Schüle­rin­nen und Schüler (vgl. BVerfGE 108, 282 <301 f.>). Doch ist das Tra­gen ei­nes is­la­mi­schen Kopf­tuchs, ei­ner ver­gleich­ba­ren Kopf- und Hals­be­de­ckung oder sonst re­li­giös kon­no­tier­ten Be­klei­dung nicht von vorn­her­ein da­zu an­ge­tan, die ne­ga­ti­ve Glau­bens- und Be­kennt­nis­frei­heit der Schüle­rin­nen und Schüler zu be­ein­träch­ti­gen. So­lan­ge die Lehr­kräfte, die nur ein sol­ches äußeres Er­schei­nungs­bild an den Tag le­gen, nicht ver­bal für ih­re Po­si­ti­on oder für ih­ren Glau­ben wer­ben und die Schüle­rin­nen und Schüler über ihr Auf­tre­ten hin­aus­ge­hend zu be­ein­flus­sen ver­su­chen, wird de­ren ne­ga­ti­ve Glau­bens­frei­heit grundsätz­lich nicht be­ein­träch­tigt. Die Schüle­rin­nen und Schüler wer­den le­dig­lich mit der aus­geübten po­si­ti­ven Glau­bens­frei­heit der Lehr­kräfte in Form ei­ner glau­bens­gemäßen Be­klei­dung kon­fron­tiert, was im Übri­gen durch das Auf­tre­ten an­de­rer Lehr­kräfte mit an­de­rem Glau­ben oder an­de­rer Welt­an­schau­ung in al­ler Re­gel re­la­ti­viert und aus­ge­gli­chen wird. In­so­fern spie­gelt sich in der be­kennt­nis­of­fe­nen Ge­mein­schafts­schu­le die re­li­giös-plu­ra­lis­ti­sche Ge­sell­schaft wi­der.

(2) Aus dem El­tem­grund­recht er­gibt sich nichts an­de­res. Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG ga­ran­tiert den El­tern die Pfle­ge und Er­zie­hung ih­rer Kin­der als natürli­ches Recht und um­fasst zu­sam­men mit Art. 4 Abs. 1 und 2 GG auch das Recht zur Kin­der­er­zie­hung in re­li­giöser und welt­an­schau­li­cher Hin­sicht; da­her ist es zuvörderst Sa­che der El­tern, ih­ren Kin­dern die­je­ni­gen Über­zeu­gun­gen in Glau­bens- und Welt­an­schau­ungs­fra­gen zu ver­mit­teln, die sie für rich­tig hal­ten (vgl. BVerfGE 41, 29 <44, 47 f.>; 52, 223 <236>; 93, 1 <17>). Dem ent­spricht das Recht, die Kin­der von Glau­bensüber­zeu­gun­gen fern­zu­hal­ten, die den El­tern als falsch oder schädlich er­schei­nen (vgl. BVerfGE 93, 1 <17>). Je­doch enthält Art. 6 Abs. 2 GG kei­nen aus­sch­ließli­chen Er­zie­hungs­an­spruch der El­tern. Ei­genständig und in sei­nem Be­reich gleich­ge­ord­net ne­ben den El­tern übt der Staat, dem nach Art. 7 Abs. 1 GG die Auf­sicht über das ge­sam­te Schul­we­sen über­tra­gen ist, in der Schu­le ei­nen ei­ge­nen Er­zie­hungs­auf­trag aus (vgl. BVerfGE 34, 165 <183>; 41, 29 <44>; 108, 282 <301>).

Ein et­wai­ger An­spruch, die Schul­kin­der vom Ein­fluss sol­cher Lehr­kräfte fern­zu­hal­ten, die ei­ner ver­brei­te­ten re­li­giösen Be­de­ckungs­re­gel fol­gen, lässt sich aus dem El­tern­grund­recht da­nach nicht her­lei­ten, so­weit da­durch die ne­ga­ti­ve Glau­bens- und Be­kennt­nis­frei­heit der Schüle­rin­nen und Schüler nicht be­ein­träch­tigt ist. Auch die ne­ga­ti­ve Glau­bens­frei­heit der El­tern, die hier im Ver­bund mit dem el­ter­li­chen Er­zie­hungs­recht ih­re Wir­kung ent­fal­ten kann, ga­ran­tiert kei­ne Ver­scho­nung von der Kon­fron­ta­ti­on mit re­li­giös kon­no­tier­ter Be­klei­dung von Lehr­kräften, die nur den Schluss auf die

 

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Zu­gehörig­keit zu ei­ner an­de­ren Re­li­gi­on oder Welt­an­schau­ung zulässt, von der aber sonst kein ge­ziel­ter be­ein­flus­sen­der Ef­fekt aus­geht. Das gilt in Fällen der vor­lie­gen­den Art ge­ra­de des­halb, weil nicht ein dem Staat zu­re­chen­ba­res glau­bens­ge­lei­te­tes Ver­hal­ten in Re­de steht, son­dern ei­ne er­kenn­bar in­di­vi­du­el­le Grund­rechts­ausübung.

(3) Darüber hin­aus steht auch der staat­li­che Er­zie­hungs­auf­trag (Art. 7 Abs. 1 GG), der un­ter Wah­rung der Pflicht zu welt­an­schau­lich-re­li­giöser Neu­tra­lität zu erfüllen ist, der Betäti­gung der po­si­ti­ven Glau­bens­frei­heit der Pädago­gin­nen durch das Tra­gen ei­nes is­la­mi­schen Kopf­tuchs nicht ge­ne­rell ent­ge­gen. Er ver­mag ein Ver­bot sol­chen äußeren Ver­hal­tens, das auf ein nach­voll­zieh­bar als im­pe­ra­tiv ver­stan­de­nes Glau­bens­ge­bot zurück­geht, erst dann zu recht­fer­ti­gen, wenn ei­ne hin­rei­chend kon­kre­te Ge­fahr für den zur Erfüllung des Er­zie­hungs­auf­trags not­wen­di­gen Schul­frie­den oder die staat­li­che Neu­tra­lität fest­stell­bar ist.

Das Grund­ge­setz be­gründet für den Staat als Heim­statt al­ler Staatsbürger in Art. 4 Abs. 1, Art. 3 Abs. 3 Satz 1, Art. 33 Abs. 3 GG so­wie durch Art. 136 Abs. 1 und 4 und Art. 137 Abs. 1 WRV in Ver­bin­dung mit Art. 140 GG die Pflicht zu welt­an­schau­lich-re­li­giöser Neu­tra­lität. Es ver­wehrt die Einführung staats­kirch­li­cher Rechts­for­men und un­ter­sagt die Pri­vi­le­gie­rung be­stimm­ter Be­kennt­nis­se eben­so wie die Aus­gren­zung An­dersgläubi­ger (vgl. BVerfGE 19, 206 <216>; 24, 236 <246>; 33, 23 <28>; 93, 1 <17>). Der Staat hat auf ei­ne am Gleich­heits­satz ori­en­tier­te Be­hand­lung der ver­schie­de­nen Re­li­gi­ons- und Welt­an­schau­ungs­ge­mein­schaf­ten zu ach­ten (vgl. BVerfGE 19, 1 <8>; 19, 206 <216>; 24, 236 <246>; 93, 1 <17>; 108, 282 <299 f.>) und darf sich nicht mit ei­ner be­stimm­ten Re­li­gi­ons­ge­mein­schaft iden­ti­fi­zie­ren (vgl. BVerfGE 30, 415 <422>; 93, 1 <17>; 108, 282 <300>). Der frei­heit­li­che Staat des Grund­ge­set­zes ist ge­kenn­zeich­net von Of­fen­heit ge­genüber der Viel­falt welt­an­schau­lich-re­li­giöser Über­zeu­gun­gen und gründet dies auf ein Men­schen­bild, das von der Würde des Men­schen und der frei­en Ent­fal­tung der Persönlich­keit in Selbst­be­stim­mung und Ei­gen­ver­ant­wor­tung ge­prägt ist (vgl. BVerfGE 41, 29 <50>; 108, 282 <300 f.>).

Die dem Staat ge­bo­te­ne welt­an­schau­lich-re­li­giöse Neu­tra­lität ist in­des­sen nicht als ei­ne dis­tan­zie­ren­de im Sin­ne ei­ner strik­ten Tren­nung von Staat und Kir­che zu ver­ste­hen, son­dern als ei­ne of­fe­ne und überg­rei­fen­de, die Glau­bens­frei­heit für al­le Be­kennt­nis­se glei­cher­maßen fördern­de Hal­tung. Art. 4 Abs. 1 und 2 GG ge­bie­tet auch im po­si­ti­ven Sinn, den Raum für die ak­ti­ve Betäti­gung der Glau­bensüber­zeu­gung und die Ver­wirk­li­chung der au­to­no­men Persönlich­keit auf welt­an­schau­lich-re­li­giösem Ge­biet zu si­chern (vgl. BVerfGE 41, 29 <49>; 93, 1 <16>). Der Staat darf le­dig­lich kei­ne ge­ziel­te Be­ein­flus­sung im Diens­te ei­ner be­stimm­ten po­li­ti­schen, ideo­lo­gi­schen oder welt­an­schau­li­chen Rich­tung be­trei­ben oder sich durch von ihm aus­ge­hen­de oder ihm zu­zu­rech­nen­de Maßnah­men aus­drück­lich oder kon­klu­dent mit ei­nem be­stimm­ten Glau­ben oder ei­ner be­stimm­ten Welt­an­schau­ung iden­ti­fi­zie­ren und da­durch den re­li­giösen Frie­den in ei­ner Ge­sell­schaft von sich aus gefähr­den (vgl. BVerfGE 93, 1 <16 f.>; 108, 282 <300>). Auch ver­wehrt es der Grund­satz welt­an­schau­lich-re­li­giöser Neu­tra­lität dem Staat, Glau­ben und Leh­re ei­ner Re­li­gi­ons­ge­mein­schaft als sol­che zu be­wer­ten (vgl. BVerfGE 33, 23 <29>; BVerfG, Be­schluss des Zwei­ten Se­nats vom 22. Ok­to­ber 2014 - 2 BvR 661/12 - ju­ris, Rn. 88).

Dies gilt auch für den vom Staat in Vor­sor­ge ge­nom­me­nen Be­reich der Schu­le, für den sei­ner Na­tur nach re­li­giöse und welt­an­schau­li­che Vor­stel­lun­gen von je­her re­le­vant wa­ren (vgl. BVerfGE 41, 29 <49>; 52, 223 <241>). Da­nach sind et­wa christ­li­che Bezüge bei der Ge­stal­tung der öffent­li­chen Schu­le nicht aus­ge­schlos­sen; die Schu­le muss aber auch für an­de­re welt­an­schau­li­che und re­li­giöse In­hal­te und Wer­te of­fen sein (vgl. BVerfGE 41, 29 <51>; 52, 223 <236 f.>). Weil Bezüge zu ver­schie­de­nen Re­li­gio­nen und Welt­an­schau­un­gen bei der Ge­stal­tung der öffent­li­chen Schu­le möglich sind, ist für sich ge­nom­men auch die bloß am äußeren Er­schei­nungs­bild her­vor­tre­ten­de Sicht­bar­keit re­li­giöser oder welt­an­schau­li­cher Zu­gehörig­keit ein­zel­ner Lehr­kräfte - un­abhängig da­von, wel­che Re­li­gi­on oder Welt­an­schau­ung im Ein­zel­fall be­trof­fen ist - durch die dem Staat ge­bo­te­ne welt­an­schau­lich-re­li­giöse Neu­tra­lität nicht oh­ne Wei­te­res aus­ge­schlos­sen. In die­ser Of­fen­heit be­wahrt der frei­heit­li­che Staat des Grund­ge­set­zes sei­ne re­li­giöse und welt­an­schau­li­che Neu­tra­lität (vgl. BVerfGE 41, 29 <50>).

(4) (a) Da­von aus­ge­hend ist das - nach der Aus­le­gung durch die Ar­beits­ge­rich­te in den an­ge­foch­te­nen Ent­schei­dun­gen - an ei­ne bloß abs­trak­te Gefähr­dung der in § 57 Abs. 4 Satz 1 SchulG NW ge­nann­ten Schutzgüter an­knüpfen­de strik­te und lan­des­wei­te Ver­bot ei­ner äußeren re­li­giösen Be­kun­dung je­den­falls für die hier ge­ge­be­nen Fall­kon­stel­la­tio­nen den be­trof­fe­nen Grund­recht­sträge­rin­nen nicht zu­mut­bar und

 

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ver­drängt in un­an­ge­mes­se­ner Wei­se de­ren Grund­recht auf Glau­bens­frei­heit. Denn mit dem Tra­gen ei­nes Kopf­tuchs durch ein­zel­ne Pädago­gin­nen ist - an­ders als dies beim staat­lich ver­ant­wor­te­ten Kreuz oder Kru­zi­fix im Schul­zim­mer der Fall ist (vgl. BVerfGE 93, 1 <15 ff.>) - kei­ne Iden­ti­fi­zie­rung des Staa­tes mit ei­nem be­stimm­ten Glau­ben ver­bun­den. Auch ei­ne Wer­tung in dem Sin­ne, dass das glau­bens­ge­lei­te­te Ver­hal­ten der Pädago­gin­nen schul­seits als vor­bild­haft an­ge­se­hen und schon des­halb der Schul­frie­den oder die staat­li­che Neu­tra­lität gefähr­det oder gestört wer­den könn­te, ist ei­ner ent­spre­chen­den Dul­dung durch den Dienst­herrn nicht bei­zu­le­gen. Hin­zu kommt, dass die Be­schwer­deführe­rin­nen ei­nem nach­voll­zieh­bar als ver­pflich­tend emp­fun­de­nen Glau­bens­ge­bot Fol­ge leis­ten. Da­durch erhält ih­re Glau­bens­frei­heit in der Abwägung mit den Grund­rech­ten der Schüle­rin­nen und Schüler so­wie der El­tern, die der welt­an­schau­lich-re­li­giös neu­tra­le Staat auch im schu­li­schen Be­reich schützen muss, ein er­heb­lich größeres Ge­wicht als dies bei ei­ner dis­po­ni­blen Glau­bens­re­gel der Fall wäre.

(b) An­ders verhält es sich dann, wenn das äußere Er­schei­nungs­bild von Lehr­kräften zu ei­ner hin­rei­chend kon­kre­ten Gefähr­dung oder Störung des Schul­frie­dens oder der staat­li­chen Neu­tra­lität führt oder we­sent­lich da­zu beiträgt. Dies wäre et­wa in ei­ner Si­tua­ti­on denk­bar, in der - ins­be­son­de­re von älte­ren Schülern oder El­tern - über die Fra­ge des rich­ti­gen re­li­giösen Ver­hal­tens sehr kon­tro­ver­se Po­si­tio­nen mit Nach­druck ver­tre­ten und in ei­ner Wei­se in die Schu­le hin­ein­ge­tra­gen würden, wel­che die schu­li­schen Abläufe und die Erfüllung des staat­li­chen Er­zie­hungs­auf­trags ernst­haft be­ein­träch­tig­te, so­fern die Sicht­bar­keit re­li­giöser Über­zeu­gun­gen und Be­klei­dungs­prak­ti­ken die­sen Kon­flikt er­zeug­te oder schürte. Bei Vor­lie­gen ei­ner sol­cher­maßen be­gründe­ten hin­rei­chend kon­kre­ten Ge­fahr ist es den grund­rechts­be­rech­tig­ten Pädago­gin­nen und Pädago­gen mit Rück­sicht auf al­le in Re­de und ge­ge­be­nen­falls in Wi­der­streit ste­hen­den Ver­fas­sungsgüter zu­mut­bar, von der Be­fol­gung ei­nes nach­voll­zieh­bar als ver­pflich­tend emp­fun­de­nen re­li­giösen Be­de­ckungs­ge­bots Ab­stand zu neh­men, um ei­ne ge­ord­ne­te, ins­be­son­de­re die Grund­rech­te der Schüler und El­tern so­wie das staat­li­che Neu­tra­litäts­ge­bot wah­ren­de Erfüllung des staat­li­chen Er­zie­hungs­auf­trags si­cher­zu­stel­len. Aber auch dann wird die Dienst­behörde im In­ter­es­se des Grund­rechts­schut­zes der Be­trof­fe­nen zunächst ei­ne an­der­wei­ti­ge pädago­gi­sche Ver­wen­dungsmöglich­keit mit in Be­tracht zu zie­hen ha­ben.

(c) Wird in be­stimm­ten Schu­len oder Schul­be­zir­ken auf­grund sub­stan­ti­el­ler Kon­flikt­la­gen über das rich­ti­ge re­li­giöse Ver­hal­ten be­reichs­spe­zi­fisch die Schwel­le zu ei­ner hin­rei­chend kon­kre­ten Gefähr­dung oder Störung des Schul­frie­dens oder der staat­li­chen Neu­tra­lität in ei­ner be­acht­li­chen Zahl von Fällen er­reicht, kann ein ver­fas­sungs­recht­lich an­zu­er­ken­nen­des Bedürf­nis be­ste­hen, äußere re­li­giöse Be­kun­dun­gen nicht erst im kon­kre­ten Ein­zel­fall, son­dern et­wa für be­stimm­te Schu­len oder Schul­be­zir­ke über ei­ne ge­wis­se Zeit auch all­ge­mei­ner zu un­ter­bin­den. Ei­ner sol­chen Si­tua­ti­on kann der Ge­setz­ge­ber in­so­weit auch vor­beu­gend (vgl. BVerfGE 108, 282 <306 f.>) durch be­reichs­ori­en­tier­te Lösun­gen Rech­nung tra­gen. Da­bei hat er, ge­ra­de in großen Ländern, die Möglich­keit, dif­fe­ren­zier­te, bei­spiels­wei­se ört­lich und zeit­lich be­grenz­te Lösun­gen vor­zu­se­hen, ge­ge­be­nen­falls et­wa un­ter Zu­hil­fe­nah­me ei­ner hin­rei­chend kon­kre­ti­sier­ten Ver­ord­nungs­ermäch­ti­gung. Auch im Fall ei­ner sol­chen Re­ge­lung wird im In­ter­es­se der Grund­rech­te der Be­trof­fe­nen zunächst ei­ne an­der­wei­ti­ge pädago­gi­sche Ver­wen­dungsmöglich­keit in Be­tracht zu zie­hen sein.

So­lan­ge der Ge­setz­ge­ber da­zu aber kei­ne dif­fe­ren­zier­te­re Re­ge­lung trifft, kann ei­ne Ver­drängung der Glau­bens­frei­heit von Lehr­kräften nur dann als an­ge­mes­se­ner Aus­gleich der in Re­de ste­hen­den Ver­fas­sungsgüter in Be­tracht kom­men, wenn we­nigs­tens ei­ne hin­rei­chend kon­kre­te Ge­fahr für die staat­li­che Neu­tra­lität oder den Schul­frie­den be­leg­bar ist. Das gilt zu­mal vor dem Hin­ter­grund, dass es ge­ra­de die Auf­ga­be na­ment­lich der als „be­kennt­nis­of­fen" be­zeich­ne­ten Ge­mein­schafts­schu­le ist, den Schüle­rin­nen und Schülern To­le­ranz auch ge­genüber an­de­ren Re­li­gio­nen und Welt­an­schau­un­gen zu ver­mit­teln, da Schu­le of­fen zu sein hat für christ­li­che, für mus­li­mi­sche und an­de­re re­li­giöse und welt­an­schau­li­che In­hal­te und Wer­te. Die­ses Ide­al muss im In­ter­es­se ei­ner aus­glei­chen­den, ef­fek­ti­ven Grund­rechts­ver­wirk­li­chung in der Ge­mein­schafts­schu­le auch ge­lebt wer­den dürfen. Das gilt fol­ge­rich­tig auch für das Tra­gen von Be­klei­dung, die mit Re­li­gio­nen in Ver­bin­dung ge­bracht wird, wie ne­ben dem Kopf­tuch et­wa der jüdi­schen Kip­pa oder dem Non­nen-Ha­bit oder auch für Sym­bo­le wie das Kreuz, das sicht­bar ge­tra­gen wird.

4. Das Ge­wicht der Glau­bens- und Be­kennt­nis­frei­heit des pädago­gi­schen Per­so­nals in der be­kennt­nis­of­fe­nen Ge­mein­schafts­schu­le er­for­dert dem­nach je­den­falls für die hier ge­ge­be­nen Fall­kon­stel­la­tio­nen ei­ne re­du­zie­ren­de ver­fas­sungs­kon­for­me Aus­le­gung des § 57 Abs. 4 Satz 1 SchulG

 

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NW, so­weit er äußere re­li­giöse Be­kun­dun­gen un­ter­sagt. Hierfür ist das Merk­mal der Eig­nung, den Schul­frie­den oder die staat­li­che Neu­tra­lität zu gefähr­den oder zu stören, da­hin ein­zu­schränken, dass von der äußeren re­li­giösen Be­kun­dung nicht nur ei­ne abs­trak­te, son­dem ei­ne hin­rei­chend kon­kre­te Ge­fahr für die in § 57 Abs. 4 Satz 1 SchulG NW ge­nann­ten Schutzgüter aus­ge­hen muss. Das Vor­lie­gen der kon­kre­ten Ge­fahr ist zu be­le­gen und zu be­gründen. Das Tra­gen ei­nes is­la­mi­schen Kopf­tuchs be­gründet ei­ne hin­rei­chend kon­kre­te Ge­fahr im Re­gel­fall nicht. Vom Tra­gen die­ser Kopf­be­de­ckung geht für sich ge­nom­men noch kein wer­ben­der oder gar mis­sio­nie­ren­der Ef­fekt aus. Ein is­la­mi­sches Kopf­tuch ist in Deutsch­land nicht unüblich, auch wenn es von der Mehr­heit mus­li­mi­scher Frau­en nicht ge­tra­gen wird (vgl. Bun­des­amt für Mi­gra­ti­on und Flücht­lin­ge <Hrsg.>, Mus­li­mi­sches Le­ben in Deutsch­land - im Auf­trag der Deut­schen Is­lam Kon­fe­renz, 2009, S. 194 f.; Mi­nis­te­ri­um für Ar­beit, In­te­gra­ti­on und So­zia­les des Lan­des Nord­rhein-West­fa­len <Hrsg.>, Mus­li­mi­sches Le­ben in Nord­rhein-West­fa­len, 2010, S. 93). Es spie­gelt sich im ge­sell­schaft­li­chen All­tag und der Schüler­schaft viel­fach wie­der. Die bloß vi­su­el­le Wahr­nehm­bar­keit ist in der Schu­le als Fol­ge in­di­vi­du­el­ler Grund­rechts­ausübung eben­so hin­zu­neh­men, wie auch sonst grundsätz­lich kein ver­fas­sungs­recht­li­cher An­spruch dar­auf be­steht, von der Wahr­neh­mung an­de­rer re­li­giöser oder welt­an­schau­li­cher Be­kennt­nis­se ver­schont zu blei­ben.

Ei­ne ein­schränken­de Aus­le­gung des § 57 Abs. 4 Satz 1 SchulG NW ist möglich und von Ver­fas­sungs we­gen ge­bo­ten. Sie dient der Ver­mei­dung ei­ner Norm­ver­wer­fung und ist da­mit dem Ge­sichts­punkt der größtmögli­chen Scho­nung der Ge­setz­ge­bung ge­schul­det. Sie nimmt Rück­sicht dar­auf, dass die Norm auch an­de­re An­wen­dungs­be­rei­che hat, die sich von der hier vor­lie­gen­den Fall­ge­stal­tung un­ter­schei­den. Da­bei kann es sich et­wa um ver­ba­le Äußerun­gen und ein of­fen wer­ben­des Ver­hal­ten han­deln. Hier kann die Un­ter­sa­gungs­vor­schrift auch in ei­ner In­ter­pre­ta­ti­on, die schon die abs­trak­te Ge­fahr er­fasst, ih­re Be­deu­tung ha­ben. Der ein­schränken­den Aus­le­gung steht nicht ent­ge­gen, dass dem Ge­setz­ge­ber ent­ste­hungs­ge­schicht­lich ein Kopf­tuch­ver­bot als ty­pi­scher An­wen­dungs­fall der Vor­schrift vor­ge­schwebt hat. Der Norm wird le­dig­lich ein we­ni­ger weit rei­chen­der An­wen­dungs­be­reich zu­er­kannt.

5. Die­se Aus­le­gungs­maßga­ben gel­ten ent­spre­chend für § 57 Abs. 4 Satz 2 SchulG NW. Die dar­in ge­for­der­te Eig­nung des äußeren Ver­hal­tens, bei Schüle­rin­nen und Schülern so­wie El­tern den Ein­druck her­vor­zu­ru­fen, dass ei­ne Pädago­gin oder ein Pädago­ge ge­gen die Men­schenwürde, die Gleich­be­rech­ti­gung nach Art. 3 GG, die Frei­heits­grund­rech­te oder die frei­heit­lich-de­mo­kra­ti­sche Grund­ord­nung auf­tritt, kann al­lein im Blick auf das äußere Er­schei­nungs­bild nur bei Vor­lie­gen hin­rei­chend kon­kre­ter An­halts­punk­te aus der Sicht ei­nes ob­jek­ti­ven Be­trach­ters be­jaht wer­den. Al­ler­dings ist mit Rück­sicht auf die grund­recht­li­chen Gewähr­leis­tun­gen des Art. 4 Abs. 1 und 2 GG die An­nah­me ver­fehlt, schon das Tra­gen ei­nes is­la­mi­schen Kopf­tuchs oder ei­ner an­de­ren, auf ei­ne Glau­bens­zu­gehörig­keit hin­deu­ten­den Kopf­be­de­ckung sei schon für sich ge­nom­men ein Ver­hal­ten, das gemäß § 57 Abs. 4 Satz 2 SchulG NW bei den Schülern oder den El­tern oh­ne Wei­te­res den Ein­druck her­vor­ru­fen könne, dass die Per­son, die es trägt, ge­gen die Men­schenwürde, die Gleich­be­rech­ti­gung nach Art. 3 GG, die Frei­heits­grund­rech­te oder die frei­heit­lich-de­mo­kra­ti­sche Grund­ord­nung auf­tre­te. Die­se pau­scha­le Schluss­fol­ge­rung ver­bie­tet sich. Wenn das Tra­gen des Kopf­tuchs et­wa als Aus­druck ei­ner in­di­vi­du­el­len Klei­dungs­ent­schei­dung, von Tra­di­ti­on oder Iden­tität (vgl. BVerfGE 108, 282 <303 ff.>) er­scheint, oder die Träge­rin als Mus­li­min aus­weist, die die Re­geln ih­res Glau­bens, ins­be­son­de­re das von ihr als ver­pflich­tend ver­stan­de­ne Be­de­ckungs­ge­bot, strikt be­ach­tet, lässt sich das oh­ne Hin­zu­tre­ten wei­te­rer Umstände nicht als Dis­tan­zie­rung von den in § 57 Abs. 4 Satz 2 SchulG NW ge­nann­ten ver­fas­sungs­recht­li­chen Grundsätzen in­ter­pre­tie­ren. Auch den Glau­bens­rich­tun­gen des Is­lam, die das Tra­gen des Kopf­tuchs zur Erfüllung des Be­de­ckungs­ge­bots ver­lan­gen, aber auch genügen las­sen, kann nicht un­ter­stellt wer­den, dass sie von den Gläubi­gen ein Auf­tre­ten ge­gen die Men­schenwürde, die Gleich­be­rech­ti­gung nach Art. 3 GG, die Frei­heits­grund­rech­te oder die frei­heit­lich-de­mo­kra­ti­sche Grund­ord­nung for­dern, er­war­ten oder auch nur er­hof­fen.

6. Das Er­for­der­nis ei­ner ein­schränken­den Aus­le­gung der Sätze 1 und 2 des § 57 Abs. 4 SchulG NW be­steht auch, so­weit die­se gemäß § 58 Satz 2 SchulG NW auf sons­ti­ges pädago­gi­sches und so­zi­alpädago­gi­sches Per­so­nal ent­spre­chend an­zu­wen­den sind. Da das sons­ti­ge pädago­gi­sche und so­zi­alpädago­gi­sche Per­so­nal den Lehr­kräften ver­gleich­bar in den schu­li­schen All­tag und die Erfüllung des staat­li­chen Er­zie­hungs­auf­trags ein­ge­bun­den ist, kann für die­ses nichts an­de­res gel­ten.

 

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7. Die an­ge­grif­fe­nen Ent­schei­dun­gen der Fach­ge­rich­te, na­ment­lich die des Bun­des­ar­beits­ge­richts, wer­den den Er­for­der­nis­sen der ge­bo­te­nen ver­fas­sungs­kon­for­men ein­schränken­den Aus­le­gung nicht ge­recht; sie ha­ben ei­ne sol­che nicht für er­for­der­lich ge­hal­ten. Die recht­li­che Würdi­gung des Bun­des­ar­beits­ge­richts geht da­von aus, dass das Be­kun­dungs­ver­bot des § 57 Abs. 4 Satz 1 SchulG NW be­reits bei ei­ner abs­trak­ten Ge­fahr greift. Die An­nah­me, dass schon die „be­rech­tig­te Sor­ge" der El­tern vor ei­ner un­ge­woll­ten re­li­giösen Be­ein­flus­sung ih­rer Kin­der den Schul­frie­den gefähr­de, trägt der Glau­bens-und Be­kennt­nis­frei­heit der Pädago­gin­nen in der be­kennt­nis­of­fe­nen Ge­mein­schafts­schu­le nicht in an­ge­mes­se­ner Wei­se Rech­nung. Sie ver­nachlässigt das Ge­wicht der po­si­ti­ven Glau­bens­frei­heit des pädago­gi­schen Per­so­nals im Zu­sam­men­hang mit ei­nem plau­si­bel dar­ge­stell­ten im­pe­ra­ti­ven re­li­giösen Be­de­ckungs­ge­bot. Die bis­lang ge­trof­fe­nen Fest­stel­lun­gen ge­ben im Übri­gen kei­ner­lei An­halt für ei­ne hin­rei­chend kon­kre­te Ge­fahr für den Schul­frie­den oder die staat­li­che Neu­tra­lität durch das Auf­tre­ten der Be­schwer­deführe­rin­nen in ih­ren Schu­len.

In bei­den Aus­gangs­ver­fah­ren sind die Fach­ge­rich­te nicht von ei­nem zu­tref­fen­den, auf das Grund­recht der Glau­bens­frei­heit der Be­schwer­deführe­rin­nen hin­rei­chend Be­dacht neh­men­den Verständ­nis der ge­setz­li­chen Re­ge­lung aus­ge­gan­gen. We­der die Fest­stel­lun­gen der Ar­beits­ge­rich­te in den Tat­sa­chen­in­stan­zen noch die recht­li­che Würdi­gung auch durch das Bun­des­ar­beits­ge­richt las­sen Umstände er­ken­nen, die ei­ne hin­rei­chend kon­kre­te Ge­fahr für die Schutzgüter der Norm ver­deut­li­chen könn­ten. Im Ge­gen­teil: Die Be­schwer­deführe­rin zu II.) hat­te sich be­reits um ih­re Ein­stel­lung mit ei­nem Licht­bild be­wor­ben, das sie mit Kopf­tuch zeig­te. Ihr zunächst be­fris­te­tes Ar­beits­verhält­nis wur­de später in ein un­be­fris­te­tes um­ge­wan­delt. Sie ver­rich­te­te ih­ren Dienst - so ihr un­wi­der­spro­chen ge­blie­be­ner Vor­trag - stets mit ei­nem das Haar be­de­cken­den Kopf­tuch, oh­ne dass es des­we­gen zu Be­an­stan­dun­gen kam. Un­ter die­sen Umständen sind die von den Ar­beits­ge­rich­ten ge­bil­lig­te Ab­mah­nung so­wie die Kündi­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses der Be­schwer­deführe­rin zu II.) mit der ge­ge­be­nen Be­gründung und dem zu­grun­de lie­gen­den Verständ­nis des § 57 Abs. 4 SchulG NW ver­fas­sungs­recht­lich nicht halt­bar. Auch im Aus­gangs­ver­fah­ren der Be­schwer­deführe­rin zu I.) ist nicht an­satz­wei­se er­kenn­bar, in­wie­weit sich aus dem Tra­gen ei­ner Wollmütze und ei­nes Roll­kra­gen­pull­overs ei­ne hin­rei­chend kon­kre­te Ge­fahr für den Schul­frie­den oder die staat­li­che Neu­tra­lität er­ge­ben könn­te.

Da­mit ver­let­zen die an­ge­grif­fe­nen Ent­schei­dun­gen die Be­schwer­deführe­rin­nen in ih­rem Grund­recht aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG.

Die wei­te­re von den Be­schwer­deführe­rin­nen er­ho­be­ne ver­fas­sungs­recht­li­che Be­an­stan­dung von Satz 3 des § 57 Abs. 4 SchulG NW ist be­gründet. Die vom Ge­setz­ge­ber als Pri­vi­le­gie­rungs­be­stim­mung zu­guns­ten der Dar­stel­lung christ­li­cher und abendländi­scher Bil­dungs- und Kul­tur­wer­te oder Tra­di­tio­nen ge­woll­te Teil­re­ge­lung in Satz 3 der Vor­schrift stellt ei­ne gleich­heits­wid­ri­ge Be­nach­tei­li­gung aus Gründen des Glau­bens und der re­li­giösen An­schau­un­gen dar (Art. 3 Abs. 3 Satz 1, Art. 33 Abs. 3 GG). Die­ser Ver­fas­sungs­ver­s­toß hat sich in den an­ge­grif­fe­nen Ent­schei­dun­gen nie­der­ge­schla­gen. Zwar sind die­se nicht auf Satz 3 des § 57 Abs. 4 SchulG NW gestützt, weil Satz 3 auf die bei­den mus­li­mi­schen Be­schwer­deführe­rin­nen kei­ne An­wen­dung fin­det. Ge­ra­de der Aus­schluss von der in Satz 3 vor­ge­se­he­nen Pri­vi­le­gie­rung führt aber da­zu, dass auch die bei­den kon­kret zu be­ur­tei­len­den Ent­schei­dun­gen die Be­schwer­deführe­rin­nen in ver­fas­sungs­wid­ri­ger Wei­se be­nach­tei­li­gen. Kämen die Be­schwer­deführe­rin­nen in den Ge­nuss der Pri­vi­le­gie­rung, wären sie den ar­beits­recht­li­chen Sank­tio­nen auf­grund des § 57 Abs. 4 Satz 1 und 2 SchulG NW nicht aus­ge­setzt ge­we­sen. Die Re­ge­lung des § 57 Abs. 4 Satz 1 und 2 SchulG NW so­wie die an­ge­grif­fe­nen Ent­schei­dun­gen blei­ben da­von je­doch un­berührt; § 57 Abs. 4 SchulG NW ist in der hier vor­ge­nom­me­nen ver­fas­sungs­kon­for­men Aus­le­gung nicht ins­ge­samt ver­fas­sungs­wid­rig.

1. § 57 Abs. 4 Satz 3 SchulG NW führt zu ei­ner Be­nach­tei­li­gung an­de­rer als christ­li­cher und jüdi­scher Re­li­gi­ons­an­gehöri­ger, die ver­fas­sungs­recht­lich nicht zu recht­fer­ti­gen ist.

a) Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG ver­langt, dass nie­mand we­gen sei­nes Glau­bens oder sei­ner re­li­giösen An­schau­un­gen be­nach­tei­ligt oder be­vor­zugt wird. Die Norm verstärkt den all­ge­mei­nen Gleich­heits­satz des Art. 3 Abs. 1 GG und die durch Art. 4 Abs. 1 und 2 GG geschütz­te Glau­bens­frei­heit.

 

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Nach Art. 33 Abs. 3 Satz 2 GG darf kei­nem Träger ei­nes öffent­li­chen Am­tes aus sei­ner Zu­gehörig­keit oder Nicht­zu­gehörig­keit zu ei­nem Be­kennt­nis oder ei­ner Welt­an­schau­ung ein Nach­teil er­wach­sen. Der Be­griff des öffent­li­chen Am­tes in Art. 33 Abs. 3 GG ist im sel­ben Sin­ne zu ver­ste­hen, wie er auch in Art. 33 Abs. 2 GG ver­wen­det wird; er er­fasst mit­hin auch An­ge­stell­te des öffent­li­chen Diens­tes (vgl. BVerw­GE 61, 325 <330>; BA­GE 104, 295 <299>; Jach­mann, in: von Man­goldt/Klein/St­arck, GG, 6. Aufl. 2010, Bd. 2, Art. 33 Rn. 25; Ku­nig, in: von Münch/Ku­nig, GG, 6. Aufl. 2012, Art. 33 Rn. 37). Die Re­ge­lung enthält ein Be­nach­tei­li­gungs­ver­bot für den öffent­li­chen Dienst auch über die Fra­ge der Zu­las­sung zu öffent­li­chen Ämtern hin­aus (vgl. da­zu § 57 Abs. 6 SchulG NW), die in Satz 1 der Vor­schrift an­ge­spro­chen ist. Die Be­stim­mung ver­bie­tet es, die Zu­las­sung zu öffent­li­chen Ämtern aus Gründen zu ver­weh­ren, die mit der in Art. 4 Abs. 1 und 2 GG geschütz­ten Glau­bens­frei­heit un­ver­ein­bar sind (vgl. BVerfGE 79, 69 <75>). Dies schließt die Be­gründung von Dienst­pflich­ten nicht aus, die in die Glau­bens­frei­heit von Amts­in­ha­bem und Be­wer­bern um öffent­li­che Ämter ein­grei­fen und da­mit für glau­bens­ge­bun­de­ne Be­wer­ber den Zu­gang zum öffent­li­chen Dienst er­schwe­ren oder gar aus­sch­ließen. Sol­che et­wai­gen Pflich­ten sind je­doch den stren­gen Recht­fer­ti­gungs­an­for­de­run­gen un­ter­wor­fen, die für Ein­schränkun­gen der vor­be­halt­los gewähr­leis­te­ten Glau­bens­frei­heit gel­ten; außer­dem ist das Ge­bot strik­ter Gleich­be­hand­lung der ver­schie­de­nen Glau­bens­rich­tun­gen so­wohl in der Be­gründung als auch in der Pra­xis der Durch­set­zung sol­cher Dienst­pflich­ten zu be­ach­ten (vgl. BVerfGE 108, 282 <298>).

b) Die Ge­samt­kon­zep­ti­on des § 57 Abs. 4 SchulG NW soll­te nach den Vor­stel­lun­gen, die im Ge­setz­ge­bungs­ver­fah­ren her­vor­ge­tre­ten sind (vgl. LT­Drucks 13/4564, S. 8; 14/569, S. 9), in Satz 3 der Re­ge­lung ei­ne Frei­stel­lung vom Ver­bot äußerer re­li­giöser Be­kun­dun­gen des Sat­zes 1 und da­mit ei­ne un­mit­tel­ba­re Un­gleich­be­hand­lung aus Gründen der Re­li­gi­on be­wir­ken. Die Be­schwer­deführe­rin­nen ma­chen in nach­voll­zieh­ba­rer Wei­se gel­tend, die Re­ge­lung des § 57 Abs. 4 SchulG NW ha­be die aus re­li­giösen Gründen ge­tra­ge­ne Kopf­be­de­ckung ei­ner Mus­li­min an­ders be­han­deln sol­len als re­li­giös kon­no­tier­te Klei­dungsstücke, die von An­gehöri­gen christ­li­cher Be­kennt­nis­se und sol­cher des Ju­den­tums ge­tra­gen wer­den. Die­se Be­wer­tung wird durch die ge­nann­ten Ma­te­ria­li­en des Ge­setz­ge­bungs­ver­fah­rens be­legt (sie­he so­gleich d).

c) Ei­ne sol­che Un­gleich­be­hand­lung ist ver­fas­sungs­recht­lich nicht zu recht­fer­ti­gen. Wer­den äußere re­li­giöse Be­kun­dun­gen durch das pädago­gi­sche Per­so­nal in der Schu­le un­ter­sagt, so muss dies grundsätz­lich un­ter­schieds­los ge­sche­hen.

Tragfähi­ge Gründe für ei­ne Be­nach­tei­li­gung äußerer re­li­giöser Be­kun­dun­gen, die sich nicht auf christ­lich-abendländi­sche Kul­tur­wer­te und Tra­di­tio­nen zurückführen las­sen, sind nicht er­kenn­bar. So­weit von ei­nem be­stimm­ten äußeren Ver­hal­ten et­wa ei­ne be­son­de­re in­dok­tri­nie­ren­de Sug­ges­tiv­kraft aus­ge­hen kann, wird dem oh­ne Wei­te­res durch das Ver­bot des Sat­zes 1 des § 57 Abs. 4 SchulG NW in der von Ver­fas­sungs we­gen ge­bo­te­nen ein­schränken­den Aus­le­gung Rech­nung ge­tra­gen. Wenn ver­ein­zelt in der Li­te­ra­tur gel­tend ge­macht wird, im Tra­gen ei­nes is­la­mi­schen Kopf­tuchs sei vom ob­jek­ti­ven Be­tracht­er­ho­ri­zont her ein Zei­chen für die Befürwor­tung ei­ner um­fas­sen­den auch recht­li­chen Un­gleich­be­hand­lung von Mann und Frau zu se­hen und des­halb stel­le es auch die Eig­nung der Träge­rin für pädago­gi­sche Be­ru­fe in­fra­ge (vgl. et­wa Ber­trams, DVBI 2003, S. 1225 <1232 ff.>; Hu­fen, NVwZ 2004, S. 575 <576>; Ko­kott, Der Staat 2005, S. 343 <355 ff.>; Ra­de­ma­cher, Das Kreuz mit dem Kopf­tuch, 2005, S. 24), so ver­bie­tet sich ei­ne der­art pau­scha­le Schluss­fol­ge­rung (sie­he oben B. II. 5.). Ein sol­cher ver­meint­li­cher Recht­fer­ti­gungs­grund muss darüber hin­aus schon dar­an schei­tern, dass er bei ge­ne­ra­li­sie­ren­der Be­trach­tung kei­nes­wegs für al­le nicht-christ­lich-abendländi­schen Kul­tur­wer­te und Tra­di­tio­nen ei­nen Dif­fe­ren­zie­rungs­grund an­bie­ten kann.

Eben­so we­nig er­ge­ben sich für ei­ne Be­vor­zu­gung christ­lich und jüdisch ver­an­ker­ter re­li­giöser Be­kun­dun­gen tragfähi­ge Recht­fer­ti­gungsmöglich­kei­ten. Die Wahr­neh­mung des Er­zie­hungs­auf­trags, wie er in Art. 7 Abs. 1 und Art. 12 Abs. 3 der Ver­fas­sung des Lan­des Nord­rhein-West­fa­len um­schrie­ben ist, recht­fer­tigt es nicht, Amts­träger ei­ner be­stimm­ten Re­li­gi­ons­zu­gehörig­keit bei der Sta­tu­ie­rung von Dienst­pflich­ten zu be­vor­zu­gen. So­weit die­sen lan­des­ver­fas­sungs­recht­li­chen Be­stim­mun­gen ein christ­li­cher Be­zug des staat­li­chen Schul­we­sens ent­nom­men wer­den kann, soll sich dies auf säku­la­ri­sier­te Wer­te des Chris­ten­tums be­zie­hen. Zu­dem wird das lan­des­ver­fas­sungs­recht­li­che Er­zie­hungs­ziel in Art. 7 Abs. 1 Verf NW („Ehr­furcht vor Gott") nach wohl über­wie­gen­der Auf­fas­sung nicht nur auf den christ­li­chen Glau­ben be­zo­gen; es soll of­fen sein für ein persönli­ches Got­tes­verständ­nis, al­so nicht nur das christ­li­che, son­dern auch das is­la­mi­sche Got­tes­verständ­nis eben­so um­fas­sen wie

 

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po­lyt­he­is­ti­sche oder un­persönli­che Got­tes­vor­stel­lun­gen (vgl. En­nu­schat, in: Löwer/Tet­tin­ger, Kom­men­tar zur Ver­fas­sung des Lan­des Nord­rhein-West­fa­len, 2002, Art. 7 Rn. 23 m.w.N., Art. 12 Rn. 22; Däst­ner, Die Ver­fas­sung des Lan­des Nord­rhein-West­fa­len, 2. Aufl. 2002, Art. 7 Rn. 3; Söbbe­ke, in: Heusch/Schönen­broi­cher, Die Lan­des­ver­fas­sung Nord­rhein-West­fa­len, 2010, Art. 12 Rn. 10; Häber­le, in: Fest­schrift für Wolf­gang Zeid­ler, Bd. 1, 1987, S. 3 <14>). Sch­ließlich be­zie­hen sich die lan­des­ver­fas­sungs­recht­li­chen Be­stim­mun­gen, die in § 57 Abs. 4 Satz 3 SchulG NW in Be­zug ge­nom­men wer­den, vor­nehm­lich auf die Ge­stal­tung des Un­ter­richts und sei­ner Rah­men­be­din­gun­gen, sind aber kei­ne tragfähi­ge Grund­la­ge für ei­ne dif­fe­ren­zier­te Sta­tu­ie­rung von Dienst­pflich­ten für Pädago­gen. Des­halb kommt es auch nicht mehr dar­auf an, dass auch Art. 31 GG ei­ner Ein­schränkung der durch das Grund­ge­setz verbürg­ten re­li­giösen Gleich­heits­rech­te durch Lan­des­ver­fas­sungs­recht Gren­zen setzt (vgl. auch Art. 142 GG; BVerfGE 96, 345 <364 f.>).

d) Ei­ne ver­fas­sungs­kon­for­me ein­schränken­de Aus­le­gung des Sat­zes 3 von § 57 Abs. 4 SchulG NW, wie sie das Bun­des­ar­beits­ge­richt zur Ver­mei­dung ei­ner ver­fas­sungs­wid­ri­gen Be­nach­tei­li­gung aus re­li­giösen Gründen sei­nen Ent­schei­dun­gen zu­grun­de ge­legt hat, ist nicht möglich. Sie würde die Gren­zen ver­fas­sungs­kon­for­mer Nor­min­ter­pre­ta­ti­on über­schrei­ten und wäre mit der rich­ter­li­chen Ge­set­zes­bin­dung nicht ver­ein­bar (Art. 20 Abs. 3 GG).

Die ver­fas­sungs­kon­for­me Aus­le­gung fin­det ih­re Gren­ze dort, wo sie zum Wort­laut und dem klar er­kenn­ba­ren Wil­len des Ge­setz­ge­bers in Wi­der­spruch tre­ten würde. Der Re­spekt vor dem de­mo­kra­tisch le­gi­ti­mier­ten Ge­setz­ge­ber ver­bie­tet es, im We­ge der Aus­le­gung ei­nem nach Sinn und Wort­laut ein­deu­ti­gen Ge­setz ei­nen ent­ge­gen­ge­setz­ten Sinn bei­zu­le­gen oder den nor­ma­ti­ven Ge­halt ei­ner Vor­schrift grund­le­gend neu zu be­stim­men (vgl. BVerfGE 90, 263 <274 f.>; 119, 247 <274>; 128, 193 <209 ff.>; 132, 99 <127 ff.>).

Das Bun­des­ar­beits­ge­richt hat dar­auf ab­ge­stellt, dass die „Dar­stel­lung" christ­li­cher und abendländi­scher Bil­dungs- und Kul­tur­wer­te im Sin­ne des Sat­zes 3 nicht gleich­zu­set­zen sei mit der „Be­kun­dung" ei­nes in­di­vi­du­el­len Be­kennt­nis­ses im Sin­ne des Sat­zes 1. Zu­dem be­zeich­ne der Be­griff des
„Christ­li­chen" ei­ne von Glau­bens­in­hal­ten los­gelöste, aus der Tra­di­ti­on der christ­lich-abendländi­schen Kul­tur her­vor­ge­gan­ge­ne Wer­te­welt, die er­kenn­bar auch dem Grund­ge­setz zu­grun­de lie­ge und un­abhängig von ih­rer re­li­giösen Fun­die­rung Gel­tung be­an­spru­che.

Zwar mag der un­ter­schied­li­che Sprach­ge­brauch in Satz 1 („Be­kun­dun­gen") und Satz 3 („Dar­stel­lung") ei­nen An­satz für die vom Bun­des­ar­beits­ge­richt ge­fun­de­ne Aus­le­gung bie­ten. Auch dem Lan­des­ge­setz­ge­ber war im wei­te­ren Ver­lauf des Ge­setz­ge­bungs­vor­ha­bens die Möglich­keit ei­ner ein­schränken­den Aus­le­gung in die­sem Sin­ne be­wusst. Denn noch vor dem endgülti­gen Ge­set­zes­be­schluss des Land­tags hat­te das Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richt zu ei­ner ver­gleich­ba­ren lan­des­ge­setz­li­chen Re­ge­lung in Ba­den-Würt­tem­berg (§ 38 Abs. 2 SchulG BW) ein ähn­li­ches Aus­le­gungs­er­geb­nis ge­won­nen (vgl. BVerw­GE 121, 140 <147, 150>). In ei­ner Stel­lung­nah­me ge­genüber dem Land­tag ver­trat die nord­rhein-westfäli­sche Lan­des­re­gie­rung da­mals den Stand­punkt, die Ent­schei­dung des Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richts sei nicht so zu ver­ste­hen, dass Zwei­fel an der Ver­fas­sungsmäßig­keit des Ent­wurfs ins­ge­samt bestünden. In­fra­ge ste­he le­dig­lich ei­ne ver­fas­sungs­kon­for­me Aus­le­gung der Be­stim­mung (LT-Vor­la­ge 14/463, S. 2).

Gleich­wohl wur­de eben­so wie von den Ge­set­zes­in­itia­to­ren auch im wei­te­ren Ver­lauf des Ge­setz­ge­bungs­ver­fah­rens die Ab­sicht ge­hegt, je­den­falls kei­ne Re­ge­lung zu tref­fen, die bei­spiels­wei­se Leh­re­rin­nen das Un­ter­rich­ten in ei­nem Or­dens­ha­bit ver­bie­tet oder das Tra­gen der jüdi­schen Kip­pa un­ter­sa­gen soll­te (LT­Drucks 14/569, S. 9). In­so­fern fol­ge­rich­tig hat der Ge­setz­ge­ber die Re­ge­lung des § 57 Abs. 4 Satz 3 SchulG NW aus­drück­lich auf das Be­kun­dungs­ver­bot des Sat­zes 1 be­zo­gen und die­se ge­setz­ge­bungs­tech­nisch als Aus­nah­me kon­stru­iert. Dies wird noch da­durch verstärkt, dass Satz 3 in sei­nem Wort­laut zwar den Er­zie­hungs­auf­trag der Lan­des­ver­fas­sung ins­ge­samt erwähnt, dann aber nur die ent­spre­chen­de Dar­stel­lung christ­li­cher und abendländi­scher Bil­dungs- und Kul­tur­wer­te oder Tra­di­tio­nen vom Ver­hal­tens­ge­bot des Sat­zes 1 aus­nimmt. Die im Wort­laut der Ver­fas­sungs­be­stim­mung des Art. 12 Abs. 3 Satz 1 Verf NW da­ne­ben aus­drück­lich erwähn­te Of­fen­heit auch für an­de­re re­li­giöse und welt­an­schau­li­che Über­zeu­gun­gen wird in­des­sen außer Acht ge­las­sen und nicht mehr auf­geführt. All das ver­deut­licht, dass die vom Bun­des­ar­beits­ge­richt ge­fun­de­ne ein­schränken­de Aus­le­gung der Vor­schrift de­ren nor­ma­ti­ven Ge­halt im Grun­de neu be­stimmt und da­mit auch den im Ge­setz­ge­bungs­ver­fah­ren klar er­kenn­bar her­vor­ge­tre­te­nen Wil­len des Ge­setz­ge­bers nicht mehr trifft. Die­ser Wil­le hat sich nicht durch

 

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die vor Ab­schluss des Ge­setz­ge­bungs­ver­fah­rens er­folg­te Erörte­rung der Möglich­keit ei­ner an­de­ren Aus­le­gung verändert; die­se lässt le­dig­lich er­ken­nen, dass der Land­tag sich des ver­fas­sungs­recht­li­chen Ri­si­kos be­wusst war.

In der vom Bun­des­ar­beits­ge­richt gewähl­ten Aus­le­gung kommt der Re­ge­lung des § 57 Abs. 4 Satz 3 SchulG NW al­len­falls noch klar­stel­len­de Funk­ti­on zu. Die Dar­stel­lung christ­li­cher und abendländi­scher Kul­tur­wer­te er­weist sich in die­ser Aus­le­gung schon we­sensmäßig als et­was von vorn­her­ein an­de­res als die in Satz 1 un­ter­sag­te äußere Be­kun­dung ei­ner in­di­vi­du­el­len re­li­giösen Auf­fas­sung. Dann be­durf­te es aber nicht der in Satz 3 ge­trof­fe­nen Aus­nah­me­re­ge­lung, dass ei­ne sol­che Dar­stel­lung nicht dem Ver­hal­tens­ge­bot des Sat­zes 1 wi­der­spre­che. Die ge­setz­li­che Fest­stel­lung der Zulässig­keit sol­cher bloßen Dar­stel­lung von Glau­bens­in­hal­ten los­gelöster Lehr­ge­hal­te fügt sich sys­te­ma­tisch nicht in den Re­ge­lungs­kon­text des Sat­zes 1. Satz 3 kommt in dem Verständ­nis des Bun­des­ar­beits­ge­richts in dem ge­ge­be­nen Norm­zu­sam­men­hang kein sinn­voll er­schei­nen­der Re­ge­lungs­ge­halt mehr zu. Des­sen un­ge­ach­tet bleibt bei die­ser Aus­le­gung ei­ne Norm in Kraft, die bei ei­nem ih­rem Wort­laut nach mögli­chen wei­te­ren Verständ­nis als Öff­nung für ei­ne dis­kri­mi­nie­ren­de Ver­wal­tungs­pra­xis ver­stan­den wer­den könn­te und de­ren dies­bezügli­che Unschärfe im Ge­setz­ge­bungs­ver­fah­ren be­wusst hin­ge­nom­men wur­de.

Ver­fehlt der An­satz des Bun­des­ar­beits­ge­richts da­mit aber die Gren­zen ver­fas­sungs­kon­for­mer Aus­le­gung, so er­weist sich, dass § 57 Abs. 4 Satz 3 SchulG NW zu ei­ner gleich­heits­wid­ri­gen Be­nach­tei­li­gung aus Glau­bens­gründen führt, die nicht zu recht­fer­ti­gen ist.

2. § 57 Abs. 4 Satz 3 SchulG NW ist hier­nach für mit Art. 3 Abs. 3 Satz 1, Art. 33 Abs. 3 GG un­ver­ein­bar und nich­tig zu erklären. Die an­ge­grif­fe­nen Ent­schei­dun­gen be­ru­hen auch auf die­ser Vor­schrift (da­zu III., vor 1.).

IV.

In der hier ver­fas­sungs­recht­lich ge­bo­te­nen Aus­le­gung verstößt die Re­ge­lung des § 57 Abs. 4 (ge­ge­be­nen­falls i.V.m. § 58 Satz 2) SchulG NW, so­weit sie re­li­giöse Be­kun­dun­gen durch das äußere Er­schei­nungs­bild von Lehr­kräften be­trifft, nicht ge­gen wei­te­re Grund­rech­te oder sons­ti­ges Bun­des­recht (Art. 31 GG); sie ist ins­be­son­de­re mit den ein­schlägi­gen Be­stim­mun­gen des All­ge­mei­nen Gleich­be­hand­lungs­ge­set­zes (AGG) und der Eu­ropäischen Men­schen­rechts­kon­ven­ti­on (EM­RK) ver­ein­bar.

1. Un­ter der Maßga­be der im Lich­te der Glau­bens- und Be­kennt­nis­frei­heit der Lehr­kräfte ge­bo­te­nen Aus­le­gung des Ver­bots re­li­giöser Be­kun­dun­gen durch das äußere Er­schei­nungs­bild be­geg­net die mit­tel­bar zur Prüfung ste­hen­de Re­ge­lung (§ 57 Abs. 4, § 58 Satz 2 SchulG NW) in­so­weit kei­nen wei­te­ren durch­grei­fen­den ver­fas­sungs­recht­li­chen Be­den­ken.

a) An­de­re Grund­rech­te gewähr­leis­ten hier kei­nen wei­ter­ge­hen­den Schutz als er aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG so­wie aus Art. 3 Abs. 3 Satz 1 und Art. 33 Abs. 3 GG folgt. Selbst un­ter der An­nah­me, dass im Ein­zel­fall die Frei­heit der Be­rufs­wahl (Art. 12 Abs. 1 GG) be­trof­fen wäre, wenn ein als ver­pflich­tend emp­fun­de­nes re­li­giöses Ge­bot in Fra­ge steht, wären die vom Lan­des­ge­setz­ge­ber ver­folg­ten Zie­le mit­tels ei­ner auf ei­ne hin­rei­chend kon­kre­te Ge­fahr für den Schul­frie­den oder die staat­li­che Neu­tra­lität be­grenz­ten Un­ter­sa­gungs­norm be­son­ders ge­wich­ti­ge Ge­mein­schafts­be­lan­ge, die die Re­ge­lung recht­fer­ti­gen (vgl. BVerfGE 119, 59 <83>).

b) § 57 Abs. 4 Satz 1 SchulG NW verstößt in der ge­bo­te­nen ein­schränken­den Aus­le­gung nicht ge­gen das Ge­bot der Gleich­be­hand­lung we­gen des Ge­schlechts. In der an­ge­grif­fe­nen Aus­le­gung durch das Bun­des­ar­beits­ge­richt wäre die Re­ge­lung, so­weit sie ent­spre­chend der den Ge­setz­ge­ber be­stim­men­den In­ten­ti­on re­li­giöse Be­kun­dun­gen durch das äußere Er­schei­nungs­bild be­trifft, hin­ge­gen nicht mit dem Gleich­be­hand­lungs­ge­bot ver­ein­bar.

So­weit § 57 Abs. 4 Satz 1 SchulG NW nach der an­ge­grif­fe­nen Aus­le­gung durch das Bun­des­ar­beits­ge­richt re­li­giöse Be­kun­dun­gen im Schul­dienst al­lein durch das äußere Er­schei­nungs­bild un­abhängig von ei­ner kon­kre­ten Ge­fahr un­ter­bin­det, be­nach­tei­ligt die Re­ge­lung Frau­en, weil sie die pädago­gi­sche Tätig­keit im Schul­dienst von Vor­aus­set­zun­gen abhängig macht, die tatsächlich ganz über­wie­gend Frau­en nicht erfüllen können. Zwar han­delt es sich um ei­ne ge­schlechts­neu­tral for­mu­lier­te Re­ge­lung. In­ten­dier­te Be­deu­tung des § 57 Abs. 4 Satz 3 SchulG NW ist aber, das Tra­gen von Klei­dungsstücken, die christ­li­chen und abendländi­schen Bil­dungs- und Kul­tur­wer­ten oder Tra­di­tio­nen ent­spre­chen, vom Be­kun­dungs­ver­bot aus­zu­neh­men. Auf die­ser Grund­la­ge er­fasst je­doch auch das

 

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un­abhängig von ei­ner kon­kre­ten Ge­fahr ein­grei­fen­de Be­kun­dungs­ver­bot ge­genwärtig Männer nur in ver­schwin­dend ge­rin­ger Zahl, wie bei­spiels­wei­se im Fall Tur­ban tra­gen­der Sikhs.Die an­ge­grif­fe­ne Re­ge­lung trifft un­ter die­sen Vor­aus­set­zun­gen der­zeit in Deutsch­land fak­tisch ganz über­wie­gend mus­li­mi­sche Frau­en, die aus re­li­giösen Gründen ein Kopf­tuch tra­gen.

Das Grund­ge­setz bie­tet Schutz auch vor fak­ti­schen Be­nach­tei­li­gun­gen auf­grund des Ge­schlechts (vgl. BVerfGE 97, 35 <43>; 104, 373 <393>; 113, 1 <15>; 121, 241 <254 f.>; 126, 29 <53>; 132, 72 <97 f. Rn. 57>). Ei­ne Recht­fer­ti­gung fak­ti­scher Be­nach­tei­li­gun­gen kommt zwar grundsätz­lich in Be­tracht. Ein hin­rei­chen­der Recht­fer­ti­gungs­grund ist hier je­doch mit Blick auf die an­ge­grif­fe­ne Re­ge­lung in der auch vom Ge­setz­ge­ber in­ten­dier­ten Fas­sung (vgl. LT­Drucks 13/4564, S. 8; 14/569, S. 9; da­zu be­reits oben C. III.) nicht er­sicht­lich. Die für ein Be­kun­dungs­ver­bot auf­geführ­ten Gründe (oben B. II. 3. a) recht­fer­ti­gen ein un­abhängig von ei­ner kon­kre­ten Ge­fahr ein­grei­fen­des Be­kun­dungs­ver­bot ge­genüber dem Schutz vor fak­ti­scher Be­nach­tei­li­gung eben­so we­nig wie ge­genüber der Re­li­gi­ons­frei­heit der Pädago­gin­nen (oben B. II. 3. d). Auch so­weit ar­gu­men­tiert wird, ein Kopf­tuch­ver­bot schütze Frau­en vor der­je­ni­gen Dis­kri­mi­nie­rung, die ei­nem re­li­giösen Be­de­ckungs­ge­bot selbst in­ne­woh­ne, trägt dies nicht, denn die­ser Schutz wirkt sich hier tatsächlich als Be­nach­tei­li­gung aus (vgl. BVerfGE 85, 191 <209>). Die Be­nach­tei­li­gung lässt sich auch nicht da­mit recht­fer­ti­gen, das Kopf­tuch si­gna­li­sie­re ei­ne ab­leh­nen­de Hal­tung zur Gleich­be­rech­ti­gung von Männern und Frau­en, denn dies ist we­der au­to­ma­tisch noch durchgängig der Fall (da­zu oben B. II. 5.).

So­weit die Norm auch in der ge­bo­te­nen ein­schränken­den Aus­le­gung zu fak­ti­schen Be­nach­tei­li­gun­gen von Frau­en führt, ist dies hin­ge­gen aus den Gründen zu recht­fer­ti­gen, die auch ei­nen Ein­griff in Art. 4 GG tra­gen können (oben B. II. 3. d) bb) <4>).

c) Die Be­ru­fung der Be­schwer­deführe­rin­nen auf ei­nen bei ih­rer Ein­stel­lung in den Schul­dienst be­gründe­ten Ver­trau­ens­schutz zeigt kei­nen ver­fas­sungs­recht­lich er­heb­li­chen Man­gel auf. Das Bun­des­ar­beits­ge­richt hat - im Ver­fah­ren 1 BvR 1181/10 - je­de Rück­wir­kung ver­neint. Die be­an­stan­de­te Re­ge­lung er­grei­fe kei­ne äußeren re­li­giösen Be­kun­dun­gen, die vor dem In­kraft­tre­ten der Be­stim­mung er­folgt sei­en. Un­be­scha­det der Fra­ge, ob die­se Be­wer­tung die ver­fas­sungs­recht­li­che Fra­ge­stel­lung vollständig er­fasst, trifft es zu, dass die Vor­schrift nicht sub­stan­ti­ell ändernd in die Rech­te und Pflich­ten ein­greift, die bis zu ih­rer Verkündung am 29. Ju­ni 2006 be­stan­den ha­ben. Ei­ne ech­te Rück­wir­kung schei­det des­halb von vorn­her­ein aus. Ge­gen ei­ne un­ech­te Rück­wir­kung - weil die Vor­schrift auch be­ste­hen­de ar­beits­ver­trag­li­che Dau­er­schuld­verhält­nis­se be­trifft - wäre ver­fas­sungs­recht­lich nichts zu er­in­nern. Die zu prüfen­de ge­setz­li­che Vor­schrift sieht zwar ei­nen Ein­griff in die Glau­bens­frei­heit auch der­je­ni­gen Lehr­kräfte vor, die vor der Verkündung der Re­ge­lung an­ge­stellt wor­den sind und bei de­nen da­hin­ste­hen kann, ob die­se da­mit rech­nen muss­ten. Je­den­falls ist de­ren et­wai­ges Ver­trau­en in die al­te Rechts­la­ge nicht schutzwürdi­ger als die mit dem Ge­setz ver­folg­ten An­lie­gen, wenn hin­sicht­lich re­li­giöser Be­kun­dun­gen durch das äußere Er­schei­nungs­bild ei­ne hin­rei­chend kon­kre­te Ge­fahr für die ge­setz­li­chen Schutzgüter be­leg­bar ist (vgl. zum Maßstab: BVerfGE 68, 287 <307>; 89, 48 <66>; 101, 239 <263>; 103, 392 <403>).

d) § 57 Abs. 4 (ge­ge­be­nen­falls i.V.m. § 58 Satz 2) SchulG NW ist in der hier ver­fas­sungs­recht­lich ge­bo­te­nen Aus­le­gung als lan­des­recht­li­che Norm mit sons­ti­gem Bun­des­recht ver­ein­bar und des­halb auch un­ter die­sem Ge­sichts­punkt von Ver­fas­sungs we­gen nicht zu be­an­stan­den (Art. 31 GG; vgl. BVerfGE 80, 137 <153>). Ei­ne wei­ter­ge­hen­de Ver­let­zung der Grund­rech­te der Be­schwer­deführe­rin­nen un­ter die­sem Ge­sichts­punkt schei­det mit­hin aus. Die Re­ge­lung steht in die­ser Aus­le­gung mit Art. 9 und Art. 14 EM­RK eben­so im Ein­klang wie mit § 7 Abs. 1 und § 8 Abs. 1 AGG.

aa) Ei­ne Ver­let­zung von Ga­ran­ti­en der Eu­ropäischen Men­schen­rechts­kon­ven­ti­on liegt nicht vor. 

(1) In­ner­halb der deut­schen Rechts­ord­nung ste­hen die Eu­ropäische Men­schen­rechts­kon­ven­ti­on und ih­re Zu­satz­pro­to­kol­le - so­weit sie für die Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land in Kraft ge­tre­ten sind - im Ran­ge ei­nes Bun­des­ge­set­zes (vgl. BVerfGE 74, 358 <370>; 120, 180 <200>; 128, 326 <367>). Die­se Rang­zu­wei­sung führt da­zu, dass deut­sche Ge­rich­te die Kon­ven­ti­on wie an­de­res Ge­set­zes­recht des Bun­des im Rah­men me­tho­disch ver­tret­ba­rer Aus­le­gung zu be­ach­ten und an­zu­wen­den ha­ben. Die Eu­ropäische Men­schen­rechts­kon­ven­ti­on ist zu­dem - im Rah­men des me­tho­disch Ver­tret­ba­ren - als Aus­le­gungs­hil­fe bei der Aus­le­gung der Grund­rech­te und rechts­staat­li­chen Grundsätze des Grund­ge­set­zes her­an­zu­zie­hen (vgl. BVerfGE 111, 307 <315 ff.>; 128, 326 <366 ff.>; 131, 268 <295 f.>; BVerfG, Be­schluss des Zwei­ten Se­nats vom 22. Ok­to­ber 2014 - 2 BvR 661/12 - ju­ris,

 

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Rn. 128 f.). Auch Ge­set­ze sind im Ein­klang mit den völker­recht­li­chen Ver­pflich­tun­gen der Bun­des­re­pu­blik aus der Men­schen­rechts­kon­ven­ti­on aus­zu­le­gen und an­zu­wen­den (vgl. BVerfGE 74, 358 <370>; 127, 132 <164>). Die Gewähr­leis­tun­gen der Eu­ropäischen Men­schen­rechts­kon­ven­ti­on und ih­rer Zu­satz­pro­to­kol­le sind al­ler­dings in der deut­schen Rechts­ord­nung kein un­mit­tel­ba­rer ver­fas­sungs­recht­li­cher Prüfungs­maßstab (vgl. Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG, § 90 Abs. 1 BVerfGG). Ein Be­schwer­deführer kann da­her vor dem Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt nicht un­mit­tel­bar die Ver­let­zung ei­nes in der Eu­ropäischen Men­schen­rechts­kon­ven­ti­on ent­hal­te­nen Men­schen­rechts mit ei­ner Ver­fas­sungs­be­schwer­de rügen (vgl. BVerfGE 74, 102 <128>; 74, 358 <370>; 82, 106 <120>; 111, 307 <317>). An­ders verhält es sich je­doch, wenn ei­ne Ver­fas­sungs­be­schwer­de sich mit­tel­bar auch ge­gen Lan­des­recht rich­tet. Die­sem geht die Kon­ven­ti­on auf­grund ih­res Ran­ges als Bun­des­ge­setz vor. Sie fin­det des­halb über Art. 31 GG Ein­gang in den Prüfungs­maßstab (vgl. BVerfGK 10, 234 <239>).

(2) Die kon­ven­ti­ons­recht­lich ga­ran­tier­te Re­li­gi­ons­frei­heit (Art. 9 EM­RK) und das Dis­kri­mi­nie­rungs­ver­bot (Art. 14 EM­RK) sind in ih­rer Aus­le­gung durch die hier­zu er­gan­ge­ne Recht­spre­chung des Eu­ropäischen Ge­richts­hofs für Men­schen­rech­te (EGMR) of­fen­sicht­lich nicht ver­letzt. Der Ge­richts­hof hat im Zu­sam­men­hang mit Be­klei­dungs­vor­schrif­ten für Lehr­kräfte, na­ment­lich dem Ver­bot des Tra­gens des is­la­mi­schen Kopf­tuchs, den Ver­trags­staa­ten im Blick auf das in dem be­tref­fen­den Land gel­ten­de welt­an­schau­lich-re­li­giöse Neu­tra­litätsprin­zip und den Schutz der ne­ga­ti­ven Re­li­gi­ons­frei­heit Drit­ter, die er der Auf­recht­er­hal­tung der öffent­li­chen Si­cher­heit und der öffent­li­chen Ord­nung zu­ge­ord­net hat (Art. 9 Abs. 2 EM­RK), ei­nen er­heb­li­chen Spiel­raum ein­geräumt (vgl. EGMR, Dah­l­ab v. Schweiz, Ent­schei­dung vom 15. Fe­bru­ar 2001, Nr. 42393/98, NJW 2001, S. 2871 <2873>; EGMR <GK>, Sa­hin v. Türkei, Ur­teil vom 10. No­vem­ber 2005, Nr. 44774/98, NVwZ 2006, S. 1389 <1392 ff.>, § 107 ff.; EGMR, Kur­tul­mus v. Tur­key, Ent­schei­dung vom 24. Ja­nu­ar 2006, Nr. 65500/01; zu Gren­zen des Spiel­raums vgl. EGMR, Ewei­da u.a. v. UK, Ur­teil vom 15. Ja­nu­ar 2013, Nr. 48420/10 u.a., NJW 2014, S.1935 <1940 Rn. 95>). Auch im Blick auf ein et­wai­ges Ver­bot von „Kopf­tuchs­ur­ro­ga­ten" durch so­ge­nann­te Um­ge­hungs­tat­bestände hat der Ge­richts­hof den Einschätzungs­spiel­raum der Ver­trags­staa­ten be­tont (vgl. EGMR, Ak­tas v. Fran­ce, Ent­schei­dung vom 30. Ju­ni 2009, Nr. 43563/08).

Ein Ver­bot re­li­giöser Sym­bo­le, das sich nicht di­rekt ge­gen ei­ne be­stimm­te Re­li­gi­ons­zu­gehörig­keit rich­tet, ist auch im Lich­te des Dis­kri­mi­nie­rungs­ver­bots von Art. 14 EM­RK je­den­falls aus den­je­ni­gen Gründen un­be­denk­lich, aus de­nen auch ein dar­in lie­gen­der Ein­griff in Art. 9 EM­RK ge­recht­fer­tigt wer­den kann (vgl. EGMR <GK>, Sa­hin v. Türkei, Ur­teil vom 10. No­vem­ber 2005, Nr. 44774/98, NVwZ 2006, S. 1389 <1396>, § 165). Das ist hier der Fall, weil die Un­ter­sa­gungs­re­ge­lung al­le re­li­giösen Be­kun­dun­gen glei­cher­maßen trifft und weit über sol­che durch äußeres Auf­tre­ten hin­aus­greift, vor al­lem auch ver­ba­le Be­kun­dun­gen er­fasst.

Auf der Grund­la­ge die­ser Recht­spre­chung des Ge­richts­hofs, von der die Be­wer­tung aus­zu­ge­hen hat (vgl. BVerfGE 111, 307 <319>; 128, 326 <368 ff.>), er­gibt sich, dass die den an­ge­grif­fe­nen Ent­schei­dun­gen zu­grun­de lie­gen­den lan­des­schul­ge­setz­li­chen Be­stim­mun­gen in der oben von Ver­fas­sungs we­gen vor­ge­ge­be­nen ein­schränken­den In­ter­pre­ta­ti­on kei­nen wei­ter­ge­hen­den, aus der Eu­ropäischen Men­schen­rechts­kon­ven­ti­on fol­gen­den Be­den­ken be­geg­net.

bb) Eben­so we­nig ver­let­zen die in Re­de ste­hen­den lan­des­schul­ge­setz­li­chen Re­ge­lun­gen in der hier ge­bo­te­nen ein­schränken­den Aus­le­gung die Be­nach­tei­li­gungs­ver­bo­te des bun­des­recht­li­chen All­ge­mei­nen Gleich­be­hand­lungs­ge­set­zes.

Die Be­schränkung re­li­giöser Be­kun­dun­gen auf der Grund­la­ge des § 57 Abs. 4 SchulG NW stellt nach den Maßstäben des All­ge­mei­nen Gleich­be­hand­lungs­ge­set­zes ei­ne un­mit­tel­ba­re, nor­ma­tiv vor­ge­ge­be­ne Be­nach­tei­li­gung aus Gründen der Re­li­gi­on dar, die die Beschäfti­gungs- und Ar­beits­be­din­gun­gen be­trifft (§§ 1, 2 Abs. 1 Nr. 2, § 3 Abs. 1 AGG). Sie ist als ei­ne we­sent­li­che und ent­schei­den­de be­ruf­li­che An­for­de­rung we­gen der Art der aus­zuüben­den Tätig­keit oder der Be­din­gun­gen ih­rer Ausübung je­den­falls dann ge­recht­fer­tigt (§ 8 Abs. 1 AGG), wenn das äußere Er­schei­nungs­bild zu ei­ner hin­rei­chend kon­kre­ten Gefähr­dung oder Störung des Schul­frie­dens oder der staat­li­chen Neu­tra­lität führt oder we­sent­lich da­zu beiträgt (oben B. II. 3. d) bb) <4> <b>).

Auch un­ter dem Ge­sichts­punkt ei­ner mit­tel­ba­ren Be­nach­tei­li­gung we­gen des Ge­schlechts (§ 3 Abs. 2 Satz 1 AGG) lässt sich ein Ver­s­toß ge­gen das Be­nach­tei­li­gungs­ver­bot des § 7 Abs. 1 AGG durch die Re­ge­lung in der ge­bo­te­nen ver­fas­sungs­kon­for­men Aus­le­gung aus den auch für das ver­fas­sungs­recht­li­che Ge­bot der Gleich­be­hand­lung gel­ten­den Gründen nicht fest­stel­len.

 

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2. Es be­darf kei­ner nähe­ren Be­fas­sung mit der Fra­ge, ob das Bun­des­ar­beits­ge­richt als letzt­in­stanz­li­ches Fach­ge­richt den Be­schwer­deführe­rin­nen ih­ren ge­setz­li­chen Rich­ter vor­ent­hal­ten hat (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG), in­dem es von ei­ner Vor­la­ge an den Ge­richts­hof der Eu­ropäischen Uni­on nach Art. 267 Abs. 3 AEUV ab­ge­se­hen hat. Die vom Bun­des­ar­beits­ge­richt ge­trof­fe­nen Ent­schei­dun­gen er­wei­sen sich be­reits aus an­de­ren Gründen als mit dem Grund­ge­setz nicht ver­ein­bar.

V.

Da­nach ist die Vor­schrift des § 57 Abs. 4 Satz 3 SchulG NW mit Art. 3 Abs. 3 und Art. 33 Abs. 3 GG un­ver­ein­bar und nich­tig (§ 95 Abs. 3 BVerfGG). Die an­ge­grif­fe­nen Ur­tei­le der Ar­beits­ge­rich­te ver­let­zen die Be­schwer­deführe­rin­nen je­weils in ih­rem Grund­recht aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG. Die Ent­schei­dun­gen der Lan­des­ar­beits­ge­rich­te und des Bun­des­ar­beits­ge­richts sind auf­zu­he­ben. Der Se­nat ver­weist die Sa­chen je­weils an das Lan­des­ar­beits­ge­richt zurück (§ 95 Abs. 2 BVerfGG). Auf die­se Wei­se wird in der Tat­sa­chen­in­stanz die Möglich­keit ergänzen­der Fest­stel­lun­gen eröff­net, um die­se auf der Grund­la­ge ei­ner ver­fas­sungs­kon­for­men Aus­le­gung des § 57 Abs. 4 SchulG NW ei­ner er­neu­ten fach­recht­li­chen Be­wer­tung un­ter­zie­hen zu können.

C.

Die Aus­la­gen­ent­schei­dung be­ruht auf § 34a Abs. 2 und 3 BVerfGG. 

Die Ent­schei­dung ist mit 6 : 2 Stim­men er­gan­gen. 159

Gai­er

Eich­ber­ger

Schlu­cke­bier
Ma­sing

Pau­lus

Her­manns

Ba­er

Britz

Ab­wei­chen­de Mei­nung des Rich­ters Schlu­cke­bier und der Rich­te­rin Her­manns

zum Be­schluss des Ers­ten Se­nats vom 27. Ja­nu­ar 2015

-1 Ei­vR 471/10 -
- 1 BvR 1181/10 -

Die Ent­schei­dung vermögen wir in wei­ten Tei­len des Er­geb­nis­ses und der Be­gründung nicht mit­zu­tra­gen.

Die vom Se­nat ge­for­der­te ein­schränken­de Aus­le­gung des § 57 Abs. 4 Satz 1 SchulG NW da­hin, dass nur ei­ne hin­rei­chend kon­kre­te Ge­fahr für den Schul­frie­den und die staat­li­che Neu­tra­lität ein Ver­bot re­li­giöser Be­kun­dun­gen durch das äußere Er­schei­nungs­bild von Pädago­gen zu recht­fer­ti­gen ver­mag, wenn es um die Be­fol­gung ei­nes im­pe­ra­tiv ver­stan­de­nen re­li­giösen Ge­bots geht, misst den zu dem in­di­vi­du­el­len Grund­recht der Pädago­gen ge­genläufi­gen Rechtsgütern von Ver­fas­sungs­rang bei der Verhält­nismäßig­keitsprüfung zu ge­rin­ges Ge­wicht bei. Sie ver­nachlässigt die Be­deu­tung des staat­li­chen Er­zie­hungs­auf­trags, der un­ter Wah­rung der Pflicht zu welt­an­schau­lich-re­li­giöser Neu­tra­lität zu erfüllen ist, so­wie den Schutz des el­ter­li­chen Er­zie­hungs­rechts und der ne­ga­ti­ven Glau­bens­frei­heit der Schüler. Da­mit be­schnei­det der Se­nat zu­gleich in nicht ak­zep­ta­bler Wei­se den Spiel­raum des Lan­des­schul­ge­setz­ge­bers bei der Aus­ge­stal­tung des mul­ti­po­la­ren Grund­rechts­verhält­nis­ses, das ge­ra­de die be­kennt­nis­of­fe­ne öffent­li­che Schu­le be­son­ders kenn­zeich­net. Der Se­nat ent­fernt sich so auch von den Maßga­ben und Hin­wei­sen der so­ge­nann­ten Kopf­tuch-Ent­schei­dung des Zwei­ten Se­nats vom 24. Sep­tem­ber 2003 (BVerfGE 108, 282), die dem Lan­des­schul­ge­setz­ge­ber ge­ra­de für den Be­reich der öffent­li­chen Schu­le die Auf­ga­be zu­schreibt, ge­setz­lich zu re­geln, in­wie­weit er re­li­giöse Bezüge in der Schu­le zulässt oder we­gen ei­nes strik­te­ren Neu­tra­litäts­verständ­nis­ses aus der Schu­le her­aushält. Nach un­se­rer Auf­fas­sung ist die vom nord­rhein-westfäli­schen Lan­des­schul­ge­setz­ge­ber ge­woll­te Un­ter­sa­gung schon abs­trakt zur Gefähr­dung des Schul­frie­dens und der staat­li­chen Neu­tra­lität ge­eig­ne­ter Be­kun­dun­gen durch das äußere Er­schei­nungs­bild von Pädago­gen ver­fas­sungs­recht­lich nicht zu be­an­stan­den. Al­ler­dings muss es sich bei Be­kun­dun­gen durch das Tra­gen re­li­giös kon­no­tier­ter Be­klei­dung, die ge­eig­net zur Gefähr­dung der Schutzgüter sind, um sol­che von star­ker re­li­giöser Aus­drucks­kraft han­deln (da­zu I.).

 

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An­ders als der Se­nat meint, ist Satz 3 des § 57 Abs. 4 SchulG NW, wo­nach die Wahr­neh­mung des Er­zie­hungs­auf­trags der Schu­len nach der nord­rhein-westfäli­schen Lan­des­ver­fas­sung und die ent­spre­chen­de Dar­stel­lung christ­li­cher und abendländi­scher Bil­dungs- und Kul­tur­wer­te oder Tra­di­tio­nen dem Ver­hal­tens­ge­bot nach Satz 1 nicht wi­der­spricht, in der Aus­le­gung durch das Bun­des­ar­beits­ge­richt ver­fas­sungs­recht­lich un­be­denk­lich. Die­se In­ter­pre­ta­ti­on, die an die Recht­spre­chung des Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richts an­knüpft, hält sich in den Gren­zen rich­ter­li­cher Ge­set­zes­bin­dung (Art. 20 Abs. 3 GG). Liegt da­mit für christ­li­che und jüdi­sche Re­li­gio­nen kei­ne Frei­stel­lung vom Be­kun­dungs­ver­bot des Sat­zes 1 in § 57 Abs. 4 SchulG NW und da­mit kei­ne Pri­vi­le­gie­rung vor - ei­ne sol­che wäre auch un­se­rer An­sicht nach gleich­heits­wid­rig -, so be­steht auch kein Grund, die Teil­re­ge­lung des Sat­zes 3 für ver­fas­sungs­wid­rig und nich­tig zu erklären (da­zu II.).

In der Fol­ge be­ste­hen ge­gen die an­ge­grif­fe­ne Vor­schrift des § 57 Abs. 4 SchulG NW auch kei­ne durch­grei­fen­den Be­den­ken, die sich aus an­de­ren Grund­rech­ten der Be­schwer­deführe­rin­nen, aus den Vor­schrif­ten der Eu­ropäischen Kon­ven­ti­on zum Schutz der Men­schen­rech­te und Grund­frei­hei­ten so­wie den bun­des­recht­li­chen Be­stim­mun­gen des All­ge­mei­nen Gleich­be­hand­lungs­ge­set­zes er­ge­ben könn­ten (da­zu III.). Im Er­geb­nis wäre des­halb al­len­falls die Ver­fas­sungs­be­schwer­de der Be­schwer­deführe­rin zu I.) als be­gründet zu er­ach­ten ge­we­sen, weil die von ihr ge­tra­ge­ne Kopf­be­de­ckung (Wollmütze und gleich­far­bi­ger Roll­kra­gen­pull­over) im ge­ge­be­nen Um­feld der Schu­le nicht oh­ne Wei­te­res als re­li­giöse Be­kun­dung deut­bar ist. Die Ver­fas­sungs­be­schwer­de der Be­schwer­deführe­rin zu II.) er­scheint da­ge­gen nach den vor­ge­nann­ten Maßstäben un­be­gründet (da­zu IV.).

I.

Die vom nord­rhein-westfäli­schen Lan­des­schul­ge­setz­ge­ber ge­woll­te Un­ter­sa­gung re­li­giöser Be­kun­dun­gen auch durch das äußere Er­schei­nungs­bild von Pädago­gen nach § 57 Abs. 4 Satz 1 SchulG NW, wenn die­se ge­eig­net sind, den Schul­frie­den oder die staat­li­che Neu­tra­lität zu gefähr­den oder zu stören, ist ver­fas­sungs­recht­lich nicht zu be­an­stan­den, wenn die Be­kun­dungs­wir­kung hin­rei­chend stark ist. Ei­ne ein­schränken­de Aus­le­gung der Be­stim­mung, wo­nach die Un­ter­sa­gung in der hier ge­ge­be­nen Kon­stel­la­ti­on ei­ne hin­rei­chend kon­kre­te Ge­fahr für die Schutzgüter er­for­dert, ist von Ver­fas­sungs we­gen nicht ge­bo­ten. Im Ge­gen­teil: Sie misst dem el­ter­li­chen Er­zie­hungs­recht und der ne­ga­ti­ven Glau­bens­frei­heit der Schüler so­wie dem staat­li­chen Er­zie­hungs­auf­trag, der un­ter Wah­rung der Pflicht zu welt­an­schau­lich-re­li­giöser Neu­tra­lität zu erfüllen ist, im Verhält­nis zu der Glau­bens­frei­heit der Pädago­gen in dem zu ei­nem scho­nen­den Aus­gleich zu brin­gen­den mul­ti­po­la­ren Grund­rechts­verhält­nis in der Schu­le zu ge­rin­ges Ge­wicht bei und verkürzt den Ge­stal­tungs­spiel­raum des Ge­setz­ge­bers. Es steht dem Ge­setz­ge­ber im Rah­men die­ses Ge­stal­tungs­spiel­raums of­fen, sol­che Be­kun­dun­gen schon bei nur abs­trak­ter Ge­fahr für die Schutzgüter zu un­ter­sa­gen.

1. Die be­kennt­nis­of­fe­ne öffent­li­che Ge­mein­schafts­schu­le ist durch das Auf­ein­an­der­tref­fen un­ter­schied­li­cher Glau­bensüber­zeu­gun­gen von Pädago­gen, Schülern und El­tern ge­kenn­zeich­net, de­ren Frei­heits­gewähr­leis­tung im All­tag auch das Tra­gen re­li­giös kon­no­tier­ter Be­klei­dung um­fasst. Der Er­zie­hungs­auf­trag des Staa­tes, den er in fördern­der und wohl­wol­len­der Neu­tra­lität ge­genüber den un­ter­schied­li­chen re­li­giösen und welt­an­schau­li­chen Rich­tun­gen wahr­zu­neh­men hat, er­for­dert im Blick auf Pädago­gen, die in der Schu­le von ih­rer in­di­vi­du­el­len Glau­bens­frei­heit Ge­brauch ma­chen, in der Aus­ge­stal­tung ei­nen an­ge­mes­se­nen und scho­nen­den Aus­gleich zwi­schen den be­trof­fe­nen ver­fas­sungs­recht­li­chen Po­si­tio­nen. Die­sen Aus­gleich hat in den we­sent­li­chen Fra­gen der Ge­setz­ge­ber vor­zu­ge­ben. Nach der bis­he­ri­gen Recht­spre­chung des Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richts war da­von aus­zu­ge­hen, dass das Grund­ge­setz den Ländern im Schul­we­sen um­fas­sen­de Ge­stal­tungs­frei­heit belässt; auch in Be­zug auf die welt­an­schau­lich-re­li­giöse Aus­prägung der öffent­li­chen Schu­len hat Art. 7 GG da­nach die weit­ge­hen­de Selbstständig­keit der Länder und im Rah­men von de­ren Schul­ho­heit die grundsätz­lich freie Aus­ge­stal­tung der Pflicht­schu­le im Au­ge (so zu­letzt BVerfGE 108, 282 <302, 310 ff.>; sie­he auch BVerfGE 41, 29 <44 f.>; 52, 223 <242 f.>). Die­se den Ländern bis­her zu­ge­stan­de­ne weit­ge­hen­de Ge­stal­tungs­frei­heit für das Schul­we­sen schließt nach dem Ur­teil des Zwei­ten Se­nats vom 24. Sep­tem­ber 2003 (BVerfGE 108, 282) bei der Aus­ge­stal­tung des Er­zie­hungs­auf­trags die Möglich­keit ein, der staat­li­chen Neu­tra­lität im schu­li­schen Be­reich ei­ne strik­te­re und mehr als bis­her dis­tan­zie­ren­de Be­deu­tung bei­zu­mes­sen und dem­gemäß auch durch das äußere Er­schei­nungs­bild ei­ner Lehr­kraft ver­mit­tel­te re­li­giöse Bezüge von den Schülern grundsätz­lich fem­zu­hal­ten, um Kon­flik­te mit Schülern, El­tern oder an­de­ren Lehr­kräften von vorn­her­ein zu ver­mei­den (vgl. BVerfGE 108, 282 <310>). Es ist

 

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dem­nach zunächst Sa­che des Lan­des­ge­setz­ge­bers, darüber zu be­fin­den, wie er den scho­nen­den Aus­gleich bei der Ge­stal­tung des Er­zie­hungs­auf­trags im mul­ti­po­la­ren Grund­rechts­verhält­nis der Schu­le fin­det. Da­bei kann er re­li­giöse Bezüge in der be­kennt­nis­of­fe­nen Ge­mein­schafts­schu­le in weit­ge­hen­dem Maße zu­las­sen (vgl. BVerfGE 52, 223 - Schul­ge­bet); er kann sie aber auch - ab­ge­se­hen von der Ga­ran­tie des Re­li­gi­ons­un­ter­richts (Art. 7 Abs. 3 GG) - weit­ge­hend aus der Schu­le her­aus­hal­ten. Ent­schei­det sich der Lan­des­ge­setz­ge­ber - et­wa in An­se­hung wach­sen­der kul­tu­rel­ler und re­li­giöser Viel­falt - für ei­ne Be­schränkung des zulässi­gen Aus­maßes re­li­giöser Bezüge in der Ge­mein­schafts­schu­le, so steht es ihm - ge­ra­de be­zo­gen auf das Ver­hal­ten sei­ner Pädago­gen - of­fen, schon vor­beu­gend mögli­chen Be­ein­flus­sun­gen der Schüle­rin­nen und Schüler ent­ge­gen­zu­wir­ken, um nicht fem­lie­gen­de Kon­flik­te zwi­schen Pädago­gen und Schülern so­wie de­ren El­tern, aber auch in­ner­halb der Schüler­schaft von vorn­her­ein zu ver­mei­den (vgl. BVerfGE 108, 282 <307, 309, 310>).

Die­se Maßga­ben, die der Zwei­te Se­nat in der zi­tier­ten Ent­schei­dung min­des­tens na­he ge­legt hat, auch wenn der hier zur Ent­schei­dung be­ru­fe­ne Ers­te Se­nat sie jetzt un­aus­ge­spro­chen als nicht ent­schei­dungs­tra­gend be­wer­tet, wären der ver­fas­sungs­recht­li­chen Be­ur­tei­lung un­se­res Er­ach­tens auch im In­ter­es­se ei­ner be­re­chen­ba­ren Ver­fas­sungs­recht­spre­chung zu­grun­de zu le­gen ge­we­sen. Denn die Lan­des­schul­ge­setz­ge­ber, die wie vor­lie­gend in Nord­rhein-West­fa­len die Ent­schei­dung des Zwei­ten Se­nats aus dem Jahr 2003 (BVerfGE 108, 282) zum An­lass für ei­ne ent­spre­chen­de ge­setz­li­che Re­ge­lung ge­nom­men ha­ben, sind von ge­nau die­sem Verständ­nis je­ner Ent­schei­dung aus­ge­gan­gen. In ver­schie­de­nen Anhörun­gen durch Land­tags­ausschüsse auch an­de­rer Länder, die sich da­mals mit den Fol­gen der Ent­schei­dung des Zwei­ten Se­nats be­fasst ha­ben, ist dem­ent­spre­chend ein ge­ne­rel­les und für al­le Re­li­gio­nen gel­ten­des Ver­bot des Tra­gens re­li­giös kon­no­tier­ter Klei­dungsstücke im Schul­dienst für ver­fas­sungs­recht­lich statt­haft er­ach­tet wor­den (vgl. et­wa Mu­ckel, Land­tag Nord­rhein-West­fa­len, Aus­schuss­pro­to­koll 14/137, S. 12 ff.; Oeb­be­cke, Land­tag Nord­rhein-West­fa­len, Zu­schrift 13/3910, S. 5 so­wie Stel­lung­nah­me 14/0184, S. 1; fer­ner Ba­er/Wra­se, Schles­wig-Hol­stei­ni­scher Land­tag, Um­druck 15/4513, S. 5; Ma­sing, Baye­ri­scher Land­tag, 15. Wahl­pe­ri­ode, Ausschüsse, Wort­pro­to­koll vom 15. Ju­ni 2004, S. 12 bis 14).

Das vom Ge­setz­ge­ber be­ab­sich­tig­te Verständ­nis der Norm, das das Bun­des­ar­beits­ge­richt mit sei­ner Aus­le­gung in den Aus­gangs­ver­fah­ren auf­ge­nom­men hat und wo­nach schon ei­ne abs­trak­te Ge­fahr für den Schul­frie­den und die staat­li­che Neu­tra­lität für die Un­ter­sa­gung ei­ner re­li­giösen Be­kun­dung genügt, steht auch im Ein­klang mit der Recht­spre­chung des Eu­ropäischen Ge­richts­hofs für Men­schen­rech­te (EGMR). Die­ser hat den Mit­glied­staa­ten ei­nen er­heb­li­chen Be­ur­tei­lungs­spiel­raum zu­ge­stan­den und zu so­ge­nann­ten Kopf­tuch­ver­bo­ten un­ter­stri­chen, auf­grund des be­son­de­ren Sta­tus ei­ner Lehr­per­son als „re­pre­sen­ta­ti­ve of the sta­te" kom­me de­ren Re­li­gi­ons­frei­heit in der Abwägung ein ge­rin­ge­res Ge­wicht zu. Auch hat er es für nicht re­le­vant be­fun­den, ob aus der Si­tua­ti­on des Ein­zel­falls her­aus kon­kre­te An­halts­punk­te für ei­ne Gefähr­dung der Rech­te der Schüler bestünden. Aus­rei­chend sei viel­mehr, dass sich sol­che Ef­fek­te nicht aus­sch­ließen ließen. Be­zo­gen auf das Tra­gen re­li­giöser Sym­bo­le könne dies dann an­ge­nom­men wer­den, wenn es sich da­bei um star­ke äußer­li­che Zei­chen han­de­le (vgl. nur EGMR, Dah­l­ab v. Schweiz, Ent­schei­dung vom 15. Fe­bru­ar 2001, Nr. 42393/98, NJW 2001, S. 2871 <2873>).

2. Die vom Se­nat sei­ner Verhält­nismäßig­keitsprüfung zu­grun­de ge­leg­te Würdi­gung hal­ten wir auf die­ser Grund­la­ge, na­ment­lich den Ausführun­gen im Ur­teil des Zwei­ten Se­nats vom 24. Sep­tem­ber 2003 (BVerfGE 108, 282), für nicht über­zeu­gend. Viel­mehr kann der Lan­des­schul­ge­setz­ge­ber gu­te und tragfähi­ge Gründe für sich in An­spruch neh­men, die schon die abs­trak­te Ge­fahr für den Schul­frie­den und die staat­li­che Neu­tra­lität für das in Re­de ste­hen­de ge­ne­rel­le Ver­bot re­li­giöser Be­kun­dun­gen auch durch das äußere Er­schei­nungs­bild genügen las­sen. Auch ei­ne sol­che Lösung für die Um­set­zung des vom Ge­setz­ge­ber ver­folg­ten le­gi­ti­men Ziels ist als an­ge­mes­sen und zu­mut­bar zu be­ur­tei­len.

a) Der Se­nat geht da­von aus, das Tra­gen ei­ner re­li­giös kon­no­tier­ten Be­klei­dung durch Pädago­gen, die im so­zia­len Um­feld als re­li­giöse Be­kun­dung wahr­ge­nom­men wird, sei als in­di­vi­du­el­le Grund­rechts­ausübung er­kenn­bar. Die Be­trach­tung erschöpfe sich in der vi­su­el­len Wahr­neh­mung und sei nicht von vorn­her­ein da­zu an­ge­tan, die ne­ga­ti­ve Glau­bens­frei­heit und das El­tern­grund­recht zu be­ein­träch­ti­gen. Auch könne das Tra­gen et­wa ei­nes is­la­mi­schen Kopf­tuchs durch Pädago­gin­nen nicht als vor­bild­haft be­wer­tet wer­den. Zu­dem ge­be es kei­nen An­spruch auf Ver­scho­nung vor der in­di­vi­du­el­len Grund­rechts­ausübung an­de­rer, so­lan­ge da­mit kein ge­zielt be­ein­flus­sen­der Ef­fekt ein­her­ge­he.

 

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Da­mit ist die Be­trof­fen­heit von Schüle­rin­nen und Schülern so­wie von El­tern in ih­rer ne­ga­ti­ven Glau­bens­frei­heit so­wie im El­tern­grund­recht nur un­zu­rei­chend er­fasst und ge­wich­tet. Die­se Be­wer­tung hal­ten wir für nicht rea­litäts­ge­recht. Sie ver­nachlässigt, dass das Schüler-Pädago­gen-Verhält­nis ein spe­zi­fi­sches Abhängig­keits­verhält­nis ist, dem Schüler und El­tern un­aus­weich­lich und nicht nur flüch­tig aus­ge­setzt sind. Das Maß der Be­trof­fen­heit un­ter­schei­det sich grund­le­gend von dem, das beim Zu­sam­men­tref­fen ver­schie­de­ner re­li­giöser Be­kennt­nis­se und Be­kun­dun­gen im ge­sell­schaft­li­chen All­tag ge­ge­ben ist, und mit dem Men­schen in ei­ner plu­ra­lis­ti­schen Ge­sell­schaft um­ge­hen und das sie dul­den müssen, auch wenn sie dem im Ein­zel­fall, et­wa im öffent­li­chen Raum nur be­grenzt ent­ge­hen können. In je­dem Fal­le sind sol­che Berührun­gen in der Re­gel nur punk­tu­ell und nicht von nen­nens­wer­ter Dau­er. Schon das un­ter­schei­det sie von der Be­geg­nung und Kon­fron­ta­ti­on in der Schu­le, der die Schüler sich nicht ent­zie­hen können und bei der die Nicht­teil­nah­me am Un­ter­richt so­gar sank­tio­niert ist. Schüler können al­so hier den Lehr­per­so­nen und ih­ren Über­zeu­gun­gen nicht aus dem Weg ge­hen. Darüber hin­aus ist es Auf­ga­be der Lehr­per­so­nen, Schüle­rin­nen und Schüler zu un­ter­rich­ten, zu er­zie­hen, zu be­ra­ten, zu be­ur­tei­len, zu be­auf­sich­ti­gen und zu be­treu­en (§ 57 Abs. 1 SchulG NW). Dar­aus er­hellt sich auch das be­son­de­re Abhängig­keits­verhält­nis zwi­schen Schülern und Pädago­gen, die über die Ver­set­zung und ei­nen er­folg­rei­chen Schul­ab­schluss mit­be­fin­den. Sie können schon des­halb nicht mit be­lie­bi­gen Per­so­nen aus der Ge­sell­schaft ver­gli­chen wer­den, die von den Schüle­rin­nen und Schülern le­dig­lich an­ge­schaut wer­den und de­ren Auf­fas­sung die­se er­tra­gen müssen; viel­mehr tre­ten sie in der Schu­le als Au­to­ritäts­per­son auf. Das gilt auch für so­zi­alpädago­gi­sche Mit­ar­bei­ter, die mit der Lösung von Schul­kon­flik­ten be­traut sind (vgl. § 58 Satz 2 SchulG NW). Dies be­dingt ein weit­aus stärke­res Aus­ge­setzt­sein ge­genüber re­li­giösen Be­kun­dun­gen als es bei Be­geg­nun­gen im ge­sell­schaft­li­chen All­tag der Fall ist. Bei­des ist nicht ver­gleich­bar.

b) Den Pädago­gen kommt in der Schu­le im Um­gang mit den Schüle­rin­nen und Schülern zu­dem ei­ne Vor­bild­funk­ti­on zu. Die ge­woll­te er­zie­he­ri­sche Ein­wir­kung löst in der Re­gel bei Schülern und mit­tel­bar auch bei de­ren El­tern ir­gend­ei­ne Form der Re­ak­ti­on aus. Von re­li­giösen Be­kun­dun­gen durch das Tra­gen re­li­giös kon­no­tier­ter Be­klei­dung geht - abhängig auch von dem Al­ter der be­trof­fe­nen Schüle­rin­nen und Schüler - nicht zwin­gend, aber je­den­falls nicht aus­sch­ließbar ei­ne ge­wis­se ap­pel­la­ti­ve Wir­kung aus, sei es in dem Sin­ne, dass die­ses Ver­hal­ten als vor­bild­haft und be­fol­gungswürdig ver­stan­den und auf­ge­nom­men, sei es, dass es ent­schie­den ab­ge­lehnt wird. Da­bei ist zu be­den­ken, dass die schu­li­sche Er­zie­hung nicht nur der Er­lan­gung der grund­le­gen­den Kul­tur­tech­ni­ken und der Ent­wick­lung ko­gni­ti­ver Fähig­kei­ten dient. Sie soll auch die emo­tio­na­len und af­fek­ti­ven An­la­gen der Schüler zur Ent­fal­tung brin­gen. Das Schul­ge­sche­hen ist dar­auf an­ge­legt, ih­re Persönlich­keits­ent­wick­lung um­fas­send zu fördern, ins­be­son­de­re auch das So­zi­al­ver­hal­ten zu be­ein­flus­sen. Die Um­set­zung des­sen ist Auf­ga­be der Pädago­gen (vgl. § 57 Abs. 1 SchulG NW). De­ren Ver­hal­ten, aber auch die Be­fol­gung be­stimm­ter re­li­giöser Be­klei­dungs­re­geln trifft auf Per­so­nen, die auf­grund ih­rer Ju­gend in ih­ren An­schau­un­gen noch nicht ge­fes­tigt sind, Kri­tik­vermögen und Aus­bil­dung ei­ge­ner Stand­punk­te erst er­ler­nen sol­len und da­her auch ei­ner men­ta­len Be­ein­flus­sung be­son­ders leicht zugäng­lich sind (so der Se­nat in BVerfGE 93, 1 <20> - Kru­zi­fix; vgl. auch BVerfGE 52, 223 <249>). Ei­ne wirk­lich of­fe­ne Dis­kus­si­on über die Be­fol­gung re­li­giöser Be­klei­dungs­re­geln und -prak­ti­ken wird, wenn Lehr­per­so­nen persönlich be­trof­fen sind, in dem spe­zi­fi­schen Abhängig­keits­verhält­nis der Schu­le al­len­falls be­grenzt möglich sein.

Das Tra­gen re­li­giös kon­no­tier­ter Klei­dung durch Pädago­gen kann schließlich zu Kon­flik­ten in­ner­halb der Schüler­schaft und un­ter den El­tern führen und sie befördern, zu­mal wenn die Be­trof­fe­nen mögli­cher­wei­se ähn­li­chen, aber hin­sicht­lich be­stimm­ter re­li­giöser Re­geln - wie et­wa dem Be­de­ckungs­ge­bot - ver­schie­de­nen Glau­bens­rich­tun­gen an­gehören, in de­nen un­ter­schied­li­che An­schau­un­gen über das „rich­ti­ge" glau­bens­ge­lei­te­te Ver­hal­ten herr­schen. Auch wenn sol­che re­li­giösen Be­kun­dun­gen nicht zwin­gend zu ei­ner Be­ein­träch­ti­gung der ne­ga­ti­ven Glau­bens­frei­heit und des El­tern­grund­rechts führen müssen, so be­steht doch in die­ser Hin­sicht ein er­heb­li­ches Ri­si­ko. Der Ge­setz­ge­ber darf des­halb den Schutz die­ser Grund­rech­te mit beträcht­li­chem Ge­wicht in die Abwägung ein­stel­len.

c) Die Pädago­gen ge­nießen zwar ih­re in­di­vi­du­el­le Glau­bens­frei­heit. Zu­gleich sind sie aber Amts­träger und da­mit der fördern­den Neu­tra­lität des Staa­tes auch in re­li­giöser Hin­sicht ver­pflich­tet. Denn der Staat kann nicht als an­ony­mes We­sen, son­dern nur durch sei­ne Amts­träger und sei­ne Pädago­gen han­deln. Die­se sind sei­ne Re­präsen­tan­ten. Die Ver­pflich­tung des Staa­tes auf die Neu­tra­lität kann des­halb kei­ne an­de­re sein als die ei­ner Ver­pflich­tung sei­ner Amts­träger auf Neu­tra­lität. Für den Pädago­gen in der

 

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Schu­le als In­di­vi­du­um ist es des­halb an­ders als für das In­di­vi­du­um in aus­sch­ließlich ge­sell­schaft­li­chen Zu­sam­menhängen ge­bo­ten, bei re­li­giösen Be­kun­dun­gen Zurück­hal­tung zu üben, wenn sei­ne Über­zeu­gung bei der Wahr­neh­mung des staat­li­chen Er­zie­hungs­auf­trags mit den Grund­rech­ten an­de­rer kol­li­die­ren kann. Das gilt für äußere re­li­giöse Be­kun­dun­gen glei­cher­maßen wie für po­li­ti­sche Be­kun­dun­gen, die frei­lich den un­ter Ge­set­zes­vor­be­halt ste­hen­den Grund­rech­ten auf Mei­nungs­frei­heit und all­ge­mei­ne Hand­lungs­frei­heit zu­zu­ord­nen sind.

d) Der Ge­setz­ge­ber konn­te sich bei sei­ner Ent­schließung für ein weit­ge­hend schon vor­beu­gen­des Ver­bot auch auf die da­mals - im An­schluss an die Kopf­tuch-Ent­schei­dung des Zwei­ten Se­nats (BVerfGE 108, 282) - bei den Anhörun­gen in ver­schie­de­nen Land­ta­gen her­vor­ge­tre­te­ne, weit­ge­hend übe­rein­stim­men­de Einschätzung sach­kun­di­ger Pädago­gen stützen. So hat et­wa bei ei­ner vor­an­ge­gan­ge­nen Anhörung zu ei­ner ähn­li­chen lan­des­schul­ge­setz­li­chen Re­ge­lung im Land­tag von Ba­den-Würt­tem­berg der Vor­sit­zen­de der Ver­ei­ni­gung von Schul­lei­tern be­tont, durch die Persönlich­keit der Lehr­kraft, zu der auch das äußere Er­schei­nungs­bild gehöre, würden Schüle­rin­nen und Schüler be­stimm­ter Al­ters­grup­pen an­ge­spro­chen und di­rekt oder in­di­rekt be­ein­flusst. Er hat da­bei ei­ne Erklärung des Lan­des­schul­bei­rats vor­ge­tra­gen und her­vor­ge­ho­ben, dass bei der zu­vor statt­ge­fun­de­nen Bun­des­ta­gung al­ler Schul­lei­tun­gen ei­ne einmüti­ge Erklärung in die­ser Hin­sicht ge­fasst wor­den sei. Die­se ha­be auch zum In­halt ge­habt, dass die Pro­ble­ma­tik kei­nes­falls bei den ein­zel­nen Schu­len „ab­ge­la­den" wer­den sol­le, son­dem der Ge­setz­ge­ber ei­ne ge­ne­rel­le Lösung fin­den möge (Rai­ner Mack, 13. Land­tag von Ba­den-Würt­tem­berg, Aus­schuss für Schu­le u.a., 12. März 2004, S. 101 ff.). Die­se Sicht­wei­se ent­sprach Stel­lung­nah­men des Schul­lei­ter­ver­ban­des Schles­wig-Hol­stein und der Ver­ei­ni­gung der Schul­auf­sichts­be­am­ten des Lan­des Hes­sen in den dor­ti­gen Ge­setz­ge­bungs­ver­fah­ren. Dar­in wur­de un­miss­verständ­lich her­vor­ge­ho­ben, falls ei­ne Re­ge­lung ge­trof­fen wer­de, sei es Kon­sens, dass kei­ne Ein­zel­fall­ent­schei­dung der Schu­le vor Ort vor­ge­se­hen wer­den dürfe, weil dies er­heb­li­ches Kon­flikt­po­ten­zi­al in sich ber­ge (Hes­si­scher Land­tag, Aus­schuss­vor­la­ge KPA/16/14, S. 283; Schles­wig-Hol­stei­ni­scher Land­tag, Um­druck 15/4472). In glei­cher Wei­se fin­den sich Stel­lung­nah­men in dem Anhörungs­ver­fah­ren des Land­tags Nord­rhein-West­fa­len, in de­nen ins­be­son­de­re auch auf die Pro­ble­me in Grund- und Haupt­schu­len im Blick auf die ver­schie­de­nen Rich­tun­gen und Ein­stel­lun­gen is­la­mi­scher Schüler und El­tern im Verhält­nis zur Lehr­kraft hin­ge­wie­sen wur­de. Ge­ra­de un­ter die­sen Schüle­rin­nen und Schülern und ih­ren El­tern ge­be es auch Dis­kus­sio­nen über „die rich­ti­ge Frömmig­keit". Ei­ne ein­heit­li­che lan­des­wei­te Re­ge­lung sei not­wen­dig, da­mit nicht je­de be­trof­fe­ne Schu­le der­ar­ti­ge Kon­flik­te selbst lösen müsse (vgl. et­wa Land­tag Nord­rhein-West­fa­len, Haupt­aus­schuss u.a., Aus­schuss­pro­to­koll 13/1218 vom 6. Mai 2004, S. 43, 44, 46 ff. <Klaus Thören, Fe­li­zi­tas Rei­nert>; Zu­schrift 13/3912 vom 29. April 2004, S. 1 <Fe­li­zi­tas Rei­nert>; Haupt­aus­schuss u.a., Aus­schuss­pro­to­koll 14/137 vom 9. März 2006, S. 40 f. <Klaus Thören>).

Die­se Stel­lung­nah­men ver­deut­li­chen die Be­deu­tung ei­nes ge­ne­rel­len, et­wa auch lan­des­wei­ten und - ein­heit­li­chen Ver­bots re­li­giöser Be­kun­dun­gen schon bei abs­trak­ter Ge­fahr für den Schul­frie­den und die staat­li­che Neu­tra­lität. Zu­dem liegt auf der Hand, dass mit ei­ner Ein­schränkung des Ver­bots auf Fälle ei­ner hin­rei­chend kon­kre­ten Ge­fahr für die Schutzgüter in der Schul­pra­xis in stärke­rem Maße Be­fun­der­he­bungs- und Be­weisführungs­pro­ble­me er­wach­sen. Die­se sind von der Schul­ver­wal­tung not­wen­dig un­ter Be­tei­li­gung der Schüler und El­tern aus­zu­tra­gen und verstärken ei­ne dem Er­zie­hungs­auf­trag eher ab­trägli­che Per­so­na­li­sie­rung des et­wai­gen Kon­flikts. Vor die­sem Hin­ter­grund ist das Be­stre­ben des Ge­setz­ge­bers an­zu­er­ken­nen, ei­ne ein­heit­li­che all­ge­mei­ne Re­ge­lung zu schaf­fen, um welt­an­schau­lich-re­li­giöse Kon­flik­te möglichst weit­ge­hend aus den Schu­len her­aus­zu­hal­ten und das zulässi­ge Maß an re­li­giösen Be­kun­dun­gen be­re­chen­bar und un­abhängig von ein­zel­fall­be­zo­ge­nem Kon­flikt­po­ten­zi­al zu re­geln.

e) Die spe­zi­fi­sche Si­tua­ti­on in der Schu­le ist, wie dar­ge­legt, zum ei­nen durch die Un­aus­weich­lich­keit, zum an­de­ren durch den ap­pel­la­ti­ven Cha­rak­ter ent­spre­chend star­ker re­li­giöser Be­kun­dun­gen so­wie durch das be­son­de­re Abhängig­keits­verhält­nis ge­prägt. In die­ser Si­tua­ti­on liegt nicht fern, dass Zwei­fel von Schülern und El­tern an der ge­bo­te­nen Neu­tra­lität der be­tref­fen­den Pädago­gen auf­kom­men können. Die­se Umstände tra­gen die Einschätzung des Ge­setz­ge­bers, dass in ei­ner viel­ge­stal­ti­gen Ge­sell­schaft, in der ei­ne weit­ge­hen­de re­li­giöse Ho­mo­ge­nität nicht länger un­ter­stellt wer­den kann, zum Schutz der po­si­ti­ven und ne­ga­ti­ven Glau­bens­frei­heit von Schüle­rin­nen und Schülern so­wie des ent­spre­chen­den El­tern­grund­rechts und zur Wah­rung der ge­bo­te­nen staat­li­chen Neu­tra­lität bei der Wahr­neh­mung des Er­zie­hungs­auf­trags ein Ver­bot jed­we­der re­li­giösen Be­kun­dung mit star­ker Wir­kung durch Pädago­gen in

 

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der Schu­le er­for­der­lich und an­ge­mes­sen ist, wenn die­se auch nur abs­trakt ei­ne Ge­fahr für die ge­nann­ten Schutzgüter dar­stellt. Die Würdi­gung des Se­nats, nach der es al­lein an­ge­mes­sen und zu­mut­bar ist, wenn den Pädago­gen im Schul­verhält­nis bei der Wahr­neh­mung des staat­li­chen Er­zie­hungs­auf­trags die In­an­spruch­nah­me ih­res in­di­vi­du­el­len Grund­rechts auf Glau­bens­frei­heit in ei­nem Maße zu­ge­stan­den wird, die erst an der Schwel­le zur ge­ziel­ten Be­ein­flus­sung und zu ei­ner hin­rei­chend kon­kre­ten Ge­fahr für den Schul­frie­den und die staat­li­che Neu­tra­lität halt macht, ver­nachlässigt dem­ge­genüber die spe­zi­fi­sche Si­tua­ti­on in der Schu­le. Denn der Staat ver­langt von Schülern und El­tern die Teil­nah­me an der „Ver­an­stal­tung Schu­le" zur Her­an­bil­dung und Er­zie­hung jun­ger Men­schen. Die Schüler sind ihm da­mit zur Er­zie­hung an­ver­traut. Die Teil­nah­me ist in wei­ten Tei­len ver­pflich­tend. Das be­dingt ei­ne Ga­ran­ten­stel­lung des Staa­tes. Ei­ne Be­wer­tung, die al­lein dar­auf ab­stellt, dass der Staat ei­ne ihm un­mit­tel­bar nicht zu­zu­rech­nen­de in­di­vi­du­el­le Grund­rechts­ausübung sei­ner Pädago­gen nur dul­de und die Schüler le­dig­lich ei­ne be­stimm­te Be­klei­dung der Pädago­gen an­zu­schau­en hätten, die er­kenn­bar auf de­ren in­di­vi­du­el­le Ent­schei­dung zurück ge­he, greift des­halb zu kurz. Ei­ne sol­che ver­ein­fa­chen­de Dif­fe­ren­zie­rung zwi­schen dem Staat zu­re­chen­ba­ren Sym­bo­len und in­di­vi­du­el­ler re­li­giös kon­no­tier­ter Be­klei­dung von Pädago­gen blen­det die Wir­kung aus, die auch die in­di­vi­du­el­le Grund­rechts­ausübung ei­ner Lehr­per­son auf Schüle­rin­nen und Schüler ha­ben kann.

3. Zu­sam­men­ge­fasst ist nach un­se­rem Dafürhal­ten die Un­ter­sa­gung re­li­giöser Be­kun­dun­gen durch das äußere Er­schei­nungs­bild von Pädago­gen schon bei ei­ner abs­trak­ten Ge­fahr für den Schul­frie­den und die staat­li­che Neu­tra­lität ver­fas­sungs­recht­lich un­be­denk­lich. Mit der Recht­spre­chung des Eu­ropäischen Ge­richts­hofs für Men­schen­rech­te ist ein­schränkend al­ler­dings zu ver­lan­gen, dass es sich für die Un­ter­sa­gung des Tra­gens re­li­giös kon­no­tier­ter Klei­dung um ei­ne sol­che von star­ker Aus­drucks­kraft han­deln muss. Es steht dem Lan­des­schul­ge­setz­ge­ber von Ver­fas­sungs we­gen je­doch auch of­fen, re­li­giöse Bezüge in wei­tem Maße zu­zu­las­sen, et­wa wenn er dies im In­ter­es­se ei­ner Er­zie­hung zu To­le­ranz und Verständ­nis für an­ge­mes­sen er­ach­tet. Ver­pflich­tet ist er da­zu von Ver­fas­sungs we­gen in­des­sen nicht.

4. Ei­ne Er­stre­ckung der ver­fas­sungs­recht­li­chen Prüfung auf Satz 2 des § 57 Abs. 4 SchulG NW war nicht ge­bo­ten. Die­se Be­stim­mung hat zwar die Schul­ver­wal­tung in den Aus­gangsfällen mit her­an­ge­zo­gen. Die an­ge­grif­fe­nen ar­beits­ge­richt­li­chen Ent­schei­dun­gen sind dar­auf je­doch nicht mehr gestützt. Al­ler­dings ist dem Se­nat dar­in zu­zu­stim­men, dass al­lein das Tra­gen ei­nes so­ge­nann­ten is­la­mi­schen Kopf­tuchs kei­nen Schluss dar­auf zulässt, dass die Vor­aus­set­zun­gen die­ser Un­ter­sa­gungs­be­stim­mung erfüllt sind.

II.

Das vom Bun­des­ar­beits­ge­richt zu­grun­de ge­leg­te Norm­verständ­nis des Sat­zes 3 des § 57 Abs. 4 SchulG NW, wo­nach die Wahr­neh­mung des Er­zie­hungs­auf­trags der Schu­le nach der nord­rhein-westfäli­schen Lan­des­ver­fas­sung und die ent­spre­chen­de Dar­stel­lung christ­li­cher und abendländi­scher Bil­dungs- und Kul­tur­wer­te oder Tra­di­tio­nen dem Ver­hal­tens­ge­bot nach Satz 1 nicht wi­der­spricht, wahrt die Gren­zen rich­ter­li­cher Ge­set­zes­bin­dung (Art. 20 Abs. 3 GG) und ist ver­fas­sungs­recht­lich in die­ser In­ter­pre­ta­ti­on nicht zu be­an­stan­den. Die­ser Teil der Vor­schrift war des­halb nicht für ver­fas­sungs­wid­rig zu erklären.

Dem Se­nat ist dar­in zu­zu­stim­men, dass ein Verständ­nis des Sat­zes 3 von § 57 Abs. 4 SchulG NW im Sin­ne ei­ner ech­ten Frei­stel­lungs- und Pri­vi­le­gie­rungs­klau­sel zum Be­kun­dungs­ver­bot des Sat­zes 1 we­gen Ver­s­toßes ge­gen das Gleich­be­hand­lungs­ge­bot ver­fas­sungs­wid­rig wäre. Die vom Bun­des­ar­beits­ge­richt ge­fun­de­ne Aus­le­gung hin­ge­gen, die der­je­ni­gen des Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richts zu ei­ner ent­spre­chen­den Re­ge­lung im ba­den-würt­tem­ber­gi­schen Schul­ge­setz folgt (BVerw­GE 121, 140 <147, 150>), ver­mei­det ein sol­ches Er­geb­nis je­doch. Die­se Aus­le­gung ist na­he­lie­gend, steht mit dem Wort­laut des Ge­set­zes im Ein­klang, wi­der­spricht - ent­ge­gen der Auf­fas­sung des Se­nats - kei­nes­wegs dem klar er­kenn­ba­ren Wil­len des Ge­setz­ge­bers und be­stimmt auch den nor­ma­ti­ven Ge­halt der Re­ge­lung nicht grund­le­gend neu.

Es trifft zwar zu, dass die Ge­set­zes­in­itia­to­ren so­wohl in der 13. als auch in der 14. Wahl­pe­ri­ode des nord­rhein-westfäli­schen Land­tags aus­weis­lich der Ge­setz­ent­wurfs­be­gründun­gen mit Satz 3 der Vor­schrift die Vor­stel­lung ver­ban­den, an­ders als das is­la­mi­sche Kopf­tuch et­wa könn­ten be­stimm­te tra­di­tio­nel­le, im christ­li­chen oder jüdi­schen Glau­ben wur­zeln­de Be­klei­dungs­for­men zu­ge­las­sen wer­den

 

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(vgl. Ge­setz­ent­wurfs­be­gründun­gen LT­Drucks 13/4564, S. 8 zum da­ma­li­gen Schul­ord­nungs­ge­setz NW; LT­Drucks 14/569, S. 9). Da­bei kann die Be­ur­tei­lung aus der Ent­ste­hungs­ge­schich­te je­doch nicht ste­hen blei­ben. Denn am Be­ginn des Ge­set­zes­vor­ha­bens ging die Fas­sung des heu­ti­gen Sat­zes 3 noch da­hin, dass die äußere „Be­kun­dung" christ­li­cher Bil­dungs- und Kul­tur­wer­te zulässig blei­ben soll­te. Es wur­de al­so der­sel­be Be­griff ge­braucht wie in dem heu­ti­gen Satz 1 (LT­Drucks 13/4564, S. 4). Später wur­de die For­mu­lie­rung in Satz 3 hin­ge­gen in „Dar­stel­lung" ab­geändert (so der Ent­wurf LT­Drucks 14/569, S. 4). Für ei­ne dif­fe­ren­zier­te Aus­le­gung fin­det sich des­halb ob­jek­tiv und los­gelöst von den Vor­stel­lun­gen der Ge­set­zes­in­itia­to­ren ein tragfähi­ger An­satz im Wort­laut der Re­ge­lung. Denn ei­ne „re­li­giöse Be­kun­dung" (Satz 1) ist et­was an­de­res als die „Dar­stel­lung von Bil­dungs- und Kul­tur­wer­ten oder Tra­di­tio­nen" (Satz 3).

Die Ur­sprungs­vor­stel­lun­gen bei der Ab­fas­sung der Be­gründun­gen zu den Ge­setz­entwürfen ha­ben im wei­te­ren Ver­lauf des von vielfälti­gen Ein­flüssen be­stimm­ten Ge­setz­ge­bungs­ver­fah­rens ei­nen Wan­del er­fah­ren. Nach­dem das Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richt - noch vor den letz­ten Anhörun­gen in dem zuständi­gen Aus­schuss des Land­tags von Nord­rhein-West­fa­len und vor dem endgülti­gen Ge­set­zes­be­schluss des Land­tags - die ent­spre­chen­de ba­den-würt­tem­ber­gi­sche schul­ge­setz­li­che Re­ge­lung be­reits ein­schränkend aus­ge­legt hat­te, und auch bei den Sach­verständi­gen-Anhörun­gen im nord­rhein-westfäli­schen Land­tags­aus­schuss Ent­spre­chen­des ver­tre­ten wor­den war (vgl. et­wa Mu­ckel, LT-Stel­lung­nah­me 14/0188, LT-Aus­schuss­pro­to­koll 14/137, S. 9 ff., S. 53 f.; Ste­phan, LT-Stel­lung­nah­me 14/0174), wur­de die Lan­des­re­gie­rung vom Haupt­aus­schuss des Land­tags um ei­ne ver­fas­sungs­recht­li­che Be­wer­tung des Er­geb­nis­ses der Sach­verständi­gen-Anhörun­gen ge­be­ten. De­ren schrift­li­che Äußerung zur Anhörung ging - wie der Se­nat zu­tref­fend her­vor­hebt - im Blick auf die Ent­schei­dung des Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richts da­hin, die bei den Anhörun­gen geäußer­ten ver­fas­sungs­recht­li­chen Be­den­ken zu Satz 3 bezögen sich nicht auf die ge­setz­li­che Re­ge­lung als sol­che, son­dern al­lein auf die Fra­ge, wie die Norm ver­fas­sungs­kon­form aus­zu­le­gen und an­zu­wen­den sei (LT-Vor­la­ge 14/0463, S. 2). In Ver­bin­dung mit der Ent­schei­dung des Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richts war da­her vor dem endgülti­gen Ge­set­zes­be­schluss des Land­tags klar, dass ei­ne sol­che ein­schränken­de Aus­le­gung, wie sie später auch das Bun­des­ar­beits­ge­richt sei­nen hier an­ge­grif­fe­nen Ur­tei­len zu­grun­de ge­legt hat, im Raum stand und na­he lag. Hätte der Ge­setz­ge­ber je­doch ei­ne wirk­li­che Pri­vi­le­gie­rung und ei­ne Aus­nah­me für christ­li­che und jüdi­sche Re­li­gio­nen kon­se­quent ver­fol­gen wol­len, wäre es ihm oh­ne Wei­te­res möglich ge­we­sen, dies durch ei­ne geänder­te For­mu­lie­rung des Ge­set­zes­tex­tes - et­wa im Sin­ne des ers­ten Ent­wurfs aus der vor­an­ge­gan­ge­nen Land­tags­le­gis­la­tur­pe­ri­ode - si­cher­zu­stel­len. Das ist je­doch ge­ra­de nicht ge­sche­hen. Der Land­tag hat al­so nicht - wie der Se­nat meint - im Be­wusst­sein des ver­fas­sungs­recht­li­chen Ri­si­kos, son­dern al­len­falls un­ter bil­li­gen­der In­k­auf­nah­me der ein­schränken­den Aus­le­gung, wie sie das Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richt schon da­mals vor­ge­nom­men hat­te, das Ge­setz be­schlos­sen, so ge­se­hen al­so ge­ra­de „mit Wis­sen" und „mit Even­tu­al-Wol­len" ge­han­delt. Ihm et­was an­de­res zu un­ter­stel­len, ist bei verständi­ger Les­art al­ler Ma­te­ria­li­en un­ter Berück­sich­ti­gung der Erörte­run­gen während des Ge­setz­ge­bungs­ver­fah­rens nicht tragfähig. Des­halb kann kei­ne Re­de da­von sein, die vom Se­nat ver­wor­fe­ne Aus­le­gung des Sat­zes 3 durch das Bun­des­ar­beits­ge­richt lau­fe dem vom Ge­setz­ge­ber Ge­woll­ten zu­wi­der oder mes­se der Norm ei­nen grund­le­gend neu­en Ge­halt bei und über­schrei­te so­mit die Gren­zen rich­ter­li­cher Aus­le­gung des Ge­set­zes­rechts.

Die vom Se­nat zur Be­gründung sei­ner An­sicht wei­ter an­geführ­ten Erwägun­gen recht­fer­ti­gen kei­ne an­de­re Be­ur­tei­lung: Dass Satz 3 in der In­ter­pre­ta­ti­on des Bun­des­ar­beits­ge­richts le­dig­lich noch klar­stel­len­de Funk­ti­on zu­kom­me und sich nicht in den Re­ge­lungs­kon­text füge, ist oh­ne Be­deu­tung für die Fra­ge, ob er ver­fas­sungs­wid­rig ist. Im Übri­gen können re­ge­lungs­tech­nisch durch­aus auch le­dig­lich klar­stel­len­de, ergänzen­de Vor­schrif­ten für die Ab­gren­zung ei­ner Haupt­norm und für de­ren In­ter­pre­ta­ti­on hilf­reich und sinn­voll sein. Sie sind in der Rechts­ord­nung viel­fach an­zu­tref­fen, oh­ne dass sie des­halb in die Nähe der Ver­fas­sungs­wid­rig­keit gerückt würden. Un­er­heb­lich ist wei­ter, dass Satz 3 des § 57 Abs. 4 SchulG NW den Be­zug auf Art. 12 Abs. 3 Satz 1 Verf NW in­halt­lich un­vollständig auf­nimmt, weil in ihm ¬an­ders als in der Lan­des­ver­fas­sung - nur die christ­lich-abendländi­schen Bil­dungs- und Kul­tur­wer­te oder Tra­di­tio­nen, nicht da­ge­gen die Of­fen­heit für die christ­li­chen Be­kennt­nis­se und für an­de­re re­li­giöse und welt­an­schau­li­che Über­zeu­gun­gen aus­drück­lich erwähnt wer­den. Da­bei kommt es nicht dar­auf an, ob bei der Erwähnung tra­dier­ter, in ei­nem säku­la­ren Sin­ne zu ver­ste­hen­der Wer­te die erst seit we­ni­gen Jahr­zehn­ten in Deutsch­land brei­ter in Er­schei­nung ge­tre­te­nen wei­te­ren Re­li­gio­nen und re­li­giösen Rich­tun­gen eben­falls in die schul­ge­setz­li­che Be­stim­mung hätte auf­ge­nom­men wer­den müssen. Ge­ra­de wenn Satz 3 klar­stel­len­de Be­deu­tung zu­kommt, liegt es auf der Hand, dass die dar­aus fol­gen­de

 

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In­ter­pre­ta­ti­ons- und Ab­gren­zungs­hil­fe für die Wahr­neh­mung des Er­zie­hungs­ziels des Art. 12 Abs. 3 Satz 1 Verf NW ge­ge­be­nen­falls auch die dort fest­ge­leg­te Of­fen­heit für an­de­re re­li­giöse und welt­an­schau­li­che Über­zeu­gun­gen um­fasst.

Im Er­geb­nis bleibt fest­zu­hal­ten, dass der Se­nat dem für die Aus­le­gung maßgeb­li­chen, in der Norm zum Aus­druck kom­men­den ob­jek­ti­vier­ten Wil­len des Ge­setz­ge­bers (vgl. BVerfGE 1, 299 <312>; 11, 126 <132>; 105, 135 <157>; 110, 226 <248>; stRspr) eben­so we­nig ge­recht wird wie den im Ver­lau­fe des Ge­setz­ge­bungs­ver­fah­rens zu­ta­ge ge­tre­te­nen sub­jek­ti­ven Vor­stel­lun­gen der Ge­setz­ge­bungs­or­ga­ne. Bei zu­tref­fen­der Würdi­gung ist ge­gen Satz 3 des § 57 Abs. 4 SchulG NW in der Aus­le­gung des Bun­des­ar­beits­ge­richts von Ver­fas­sungs we­gen nichts zu er­in­nern.

Auf der Grund­la­ge der hier ver­tre­te­nen ver­fas­sungs­recht­li­chen Würdi­gung nach dem Maßstab des Art. 4 Abs. 1 und 2 GG lässt sich aus den (oben un­ter I.) an­geführ­ten Gründen auch kein Ver­s­toß ge­gen wei­te­re Grund­rech­te, die Eu­ropäische Kon­ven­ti­on für Men­schen­rech­te und das All­ge­mei­ne Gleich­be­hand­lungs­ge­setz als bun­des­recht­li­che Vor­schrift (vgl. Art. 31 GG) fest­stel­len. Das soll im Rah­men die­ser ab­wei­chen­den Mei­nung nicht wei­ter aus­geführt wer­den. An­zu­mer­ken bleibt al­ler­dings:

Die An­nah­me ei­ner Un­gleich­be­hand­lung aus Gründen des Ge­schlechts (Art. 3 Abs. 2 Satz 1 und Abs. 3 GG), die der Se­nat erst auf der Recht­fer­ti­gungs­ebe­ne auflöst, ist un­se­res Er­ach­tens nicht tragfähig.

Auf der Grund­la­ge un­se­rer ab­wei­chen­den Auf­fas­sung zur Würdi­gung des Sat­zes 3 von § 57 Abs. 4 SchulG NW er­gibt sich das schon dar­aus, dass das vom Se­nat an­ge­nom­me­ne Verständ­nis der Vor­schrift als ech­te Aus­nah­me­klau­sel für das Tra­gen von Klei­dungsstücken, die christ­li­chen und abendländi­schen Bil­dungs- und Kul­tur­wer­ten ent­spre­chen, nach un­se­rem Dafürhal­ten auch bei der Prüfung ei­ner ge­schlechts­spe­zi­fi­schen Be­nach­tei­li­gung nicht zu­grun­de zu­ge­legt wer­den kann (sie­he da­zu oben II.). Da­mit gilt das Ver­bot re­li­giöser Be­kun­dun­gen durch das äußere Er­schei­nungs­bild für weib­li­che wie männ­li­che An­gehöri­ge al­ler Re­li­gio­nen und Welt­an­schau­un­gen.

Aber auch auf der Grund­la­ge der Be­ur­tei­lung durch die Se­nats­mehr­heit, wo­nach es sich bei Satz 3 um ei­ne Frei­stel­lungs- und Pri­vi­le­gie­rungs­klau­sel zu Satz 1 zu­guns­ten christ­li­cher und jüdi­scher Re­li­gio­nen han­deln soll, liegt kei­ne Be­nach­tei­li­gung we­gen des Ge­schlechts vor. Ent­ge­gen der An­sicht des Se­nats be­trifft das Ver­bot auch dann nicht ganz über­wie­gend nur mus­li­mi­sche Frau­en. Die Vor­schrift des § 57 Abs. 4 Satz 1 SchulG NW in der Va­ri­an­te des Ver­bots re­li­giöser Be­kun­dun­gen er­fasst nicht nur Be­kun­dun­gen durch das äußere Er­schei­nungs­bild. Sie greift sehr viel wei­ter und un­ter­sagt vor al­lem auch ver­ba­le und sons­ti­ge re­li­giöse Be­kun­dun­gen. Des­halb be­trifft sie mit dem Tat­be­stands­merk­mal „re­li­giöser Be­kun­dun­gen" Männer und Frau­en glei­cher­maßen. Der Se­nat kommt zur An­nah­me ei­ner Be­nach­tei­li­gung auf­grund des Ge­schlechts nur da­durch, dass er nicht die Norm in der hier maßgeb­li­chen Al­ter­na­ti­ve als Gan­zes - als Ver­bot re­li­giöser Be­kun­dun­gen -, son­dern nur ei­ne ih­rer tatsächli­chen An­wen­dungs­fall­grup­pen zum Aus­gangs­punkt sei­ner Be­ur­tei­lung nimmt, nämlich die Be­kun­dung durch das äußere Er­schei­nungs­bild. Nur ei­ne ih­rer tatsächli­chen An­wen­dungs­fall­grup­pen kann je­doch nicht die Grund­la­ge für die Be­ur­tei­lung ei­ner ge­setz­li­chen Vor­schrift da­hin sein, sie be­tref­fe tatsächlich ganz über­wie­gend Frau­en. Mit ih­rem ge­sam­ten An­wen­dungs­be­reich er­fasst § 57 Abs. 4 Satz 1 SchulG NW in der Va­ri­an­te des Ver­bots re­li­giöser Be­kun­dun­gen viel­mehr das Ver­hal­ten der Pädago­gen bei­der Ge­schlech­ter. Selbst in­ner­halb der An­wen­dungs­fall­grup­pe von Be­kun­dun­gen durch das äußere Er­schei­nungs­bild er­scheint die An­nah­me des Se­nats fragwürdig; denn die Zahl der Fälle, in de­nen be­reits die präven­ti­ve Wir­kung des Be­kun­dungs­ver­bots da­zu führt, dass auch Männer sich re­li­giös kon­no­tier­ter Klei­dung und Sym­bo­lik ent­hal­ten, ist nicht be­kannt.

IV.

Die Ver­fas­sungs­be­schwer­de der Be­schwer­deführe­rin zu I.) wäre auch nach un­se­rer Auf­fas­sung im Er­geb­nis für be­gründet zu er­ach­ten ge­we­sen. Die von ihr ge­tra­ge­ne Be­de­ckung, ei­ne Wollmütze und ein gleich­far­bi­ger Roll­kra­gen­pull­over, ist nicht aus sich her­aus re­li­giös kon­no­tiert und wird auch im ge­ge­be­nen Um­feld der Schu­le nicht oh­ne Wei­te­res als re­li­giöse Be­kun­dung von star­ker Aus­drucks­kraft deut­bar sein. Hier­zu fehlt in den an­ge­grif­fe­nen Ent­schei­dun­gen ei­ne ver­tret­ba­re, tragfähi­ge Be­gründung.

 

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Die­se wäre nach dem Wech­sel der Kopf­be­de­ckung von ei­nem in ty­pi­scher Wei­se ge­bun­de­nen Kopf­tuch zu ei­ner Wollmütze um­so mehr er­for­der­lich ge­we­sen, als die­ser Zu­sam­men­hang mit zu­neh­men­dem Zeit­ab­lauf suk­zes­si­ve ver­blasst.

Die Ver­fas­sungs­be­schwer­de der Be­schwer­deführe­rin zu II.) er­scheint da­ge­gen nach den oben un­ter I. bis III. dar­ge­leg­ten Maßstäben un­be­gründet. Vor­stell­bar wäre al­len­falls ge­we­sen, auf­grund ih­res Ein­tritts in den Schul­dienst lan­ge vor der Verkündung der in Re­de ste­hen­den Re­ge­lung, der un­ter Of­fen­le­gung ih­rer glau­bens­ge­lei­te­ten Be­klei­dungs­pra­xis er­folgt war, und we­gen der lang­dau­ern­den, im Blick auf die Schutzgüter un­be­an­stan­det ge­blie­be­nen Lehrtätig­keit un­ter dem Ge­sichts­punkt rechts­staat­lich ge­bo­te­nen Ver­trau­ens­schut­zes (Art. 20 Abs. 3 GG) ei­ne dif­fe­ren­zier­te­re ge­setz­li­che Lösung für sol­che Altfälle ein­zu­for­dern.

Schlu­cke­bier

Her­manns

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