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Diskriminierung wegen Kopftuchs in Berlin?
14.04.2016. Das Berliner Neutralitätsgesetz verbietet es Lehrkräften an öffentlichen Schulen, durch sichtbare religiöse oder weltanschauliche Symbole die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaft zu zeigen.
Darunter fällt auch das Kopftuch bzw. der Hidschab, den viele Musliminnen in der Öffentlichkeit tragen.
In einem aktuellen Fall des Arbeitsgerichts Berlins ging es um die Frage, ob das Land Berlin aufgrund des Neutralitätsgesetzes berechtigt ist, die Bewerbung einer kopftuchtragenden muslimischen Lehrerin zurückzuweisen, oder ob dies eine verbotene Diskriminierung wegen der Religion darstellt.
Laut Arbeitsgericht lag im Streitfall keine Diskriminierung vor: Arbeitsgericht Berlin, Urteil vom 14.04.2016, 58 Ca 13376/15.
- Was geht vor: Die Neutralität des Staates oder die Religionsfreiheit von Lehrern?
- Im Streit: Das Kopftuchverbot für Lehrerinnen an öffentlichen Schulen im Land Berlin
- Arbeitsgericht Berlin: Das Berliner Neutralitätsgesetz rechtfertigt es, muslimischen Grundschullehrerinnen ein Kopftuchverbot aufzuerlegen
Was geht vor: Die Neutralität des Staates oder die Religionsfreiheit von Lehrern?
Der Staat als Arbeitgeber kann seinen Arbeitnehmern aufgrund des Weisungsrechts Vorgaben zur Bekleidung bei der Arbeit machen (§ 106 Satz 1 Gewerbeordnung - GewO). Dabei muss er die persönlichen Belange der Arbeitnehmer berücksichtigen, zu denen auch religiöse Überzeugungen gehören. Da diese durch Art.4 Abs.1 Grundgesetz (GG) besonders geschützt sind, darf der Staat als Arbeitgeber seinen muslimischen Arbeitnehmerinnen im Allgemeinen nicht verbieten, während der Arbeit ein Kopftuch zu tragen.
In zwei Ausnahmefällen kann ein Kopftuchverbot bei der Arbeit allerdings rechtens sein:
- Erstens: Der Arbeitgeber ist anderweitig religiös gebunden ist, z.B. als christliches Krankenhaus (Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 24.09.2014, 5 AZR 611/12, wir berichteten in Arbeitsrecht aktuell: 14/326 Kopftuch am Arbeitsplatz).
- Zweitens: Der Staat als Arbeitgeber verlangt auf der Grundlage eines entsprechenden Gesetzes von seinen Arbeitnehmern während des Dienstes religiöse Neutralität.
Die zweite Ausnahme geht auf ein Grundsatzurteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) aus dem Jahre 2003 zurück. Damals entschied das BVerfG, dass für ein Kopftuchverbot an staatlichen Schulen eine gesetzliche Grundlage erforderlich ist (BVerfG, Urteil vom 24.09.2003, 2 BvR 1436/02). Das Gericht betonte damals, dass der Gesetzgeber dabei einen weiten Spielraum hat.
Trotzdem gab das BVerfG vor gut einem Jahr zwei muslimischen Lehrerinnen Recht, die sich mit dem Schulgesetz des Landes Nordrhein-Westfalen nicht abfinden wollten. Dieses Gesetz untersagte den Lehrkräften religiöse Bekundungen gegenüber den Schülern, machte davon aber eine Ausnahme zugunsten der "Darstellung christlicher und abendländischer Bildungs- und Kulturwerte oder Traditionen", d.h. es privilegierte die christliche Religion (§ 57 Abs.4 Satz 3 Schulgesetz NRW a.F.). Auf dieser gesetzlichen Grundlage ist ein Kopftuchverbot nicht möglich, so die Karlsruher Richter Anfang 2015 (BVerfG, Beschluss vom 27.01.2015, 1 BvR 471/10 und 1 BvR 1181/10, wir berichteten in Arbeitsrecht aktuell: 15/068 Karlsruhe kippt Kopftuchverbot an Schulen).
Heute hat das Arbeitsgericht Berlin die Entschädigungsklage einer muslimischen Lehrerin abgewiesen, die vom Land Berlin nicht als Grundschullehrerin eingestellt worden war, weil sie auch bei der Arbeit ein Kopftuch tragen wollte: Arbeitsgericht Berlin, Urteil vom 14.04.2016, 58 Ca 13376/15.
Im Streit: Das Kopftuchverbot für Lehrerinnen an öffentlichen Schulen im Land Berlin
Seit 2005 gilt in Berlin ein Gesetz, das die Neutralität des Staates in religiösen Fragen regelt, das sog. "Neutralitätsgesetz" (offiziell "Gesetz zu Artikel 29 der Verfassung von Berlin"). In seinem § 2 findet sich folgende Regelung:
"Lehrkräfte und andere Beschäftigte mit pädagogischem Auftrag in den öffentlichen Schulen nach dem Schulgesetz dürfen innerhalb des Dienstes keine sichtbaren religiösen oder weltanschaulichen Symbole, die für die Betrachterin oder den Betrachter eine Zugehörigkeit zu einer bestimmten Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaft demonstrieren, und keine auffallenden religiös oder weltanschaulich geprägten Kleidungsstücke tragen. Dies gilt nicht für die Erteilung von Religions- und Weltanschauungsunterricht."
Das Berliner Neutralitätsgesetz untersagt also im Unterschied zu der schulgesetzlichen Regelung des Landes Nordrhein-Westfahlen alle religiösen Symbole, die christlichen ebenso wie die muslimischen.
Unter Berufung auf diese Vorschrift lehnte das Land Berlin Bewerbung einer Grundschullehrerin ab, weil diese ein Kopftuch trug und dieses auch im Unterricht nicht absetzen wollte.
Die abgelehnte Bewerberin bewertete das als unzulässige Diskriminierung wegen ihrer Religion gemäß § 7 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG) und klagte auf Zahlung einer Entschädigung gemäß § 15 AGG.
Arbeitsgericht Berlin: Das Berliner Neutralitätsgesetz rechtfertigt es, muslimischen Grundschullehrerinnen ein Kopftuchverbot aufzuerlegen
Das Arbeitsgericht Berlin war der Meinung, dass das Berliner Neutralitätsgesetzes verfassungsgemäß ist und das Land Berlin deswegen berechtigt war, die Klägerin nicht als Lehrerin an einer staatlichen Grundschule einzustellen. Da das Berliner Neutralitätsgesetz alle Religionen gleich behandelt, ist die Regelung nicht verfassungswidrig und muss nicht durch das Bundesverfassungsgericht überprüft werden, so die Berliner Richter.
Wichtig war für das Urteil außerdem, dass § 3 Neutralitätsgesetz eine Ausnahme für Berufsschulen enthält, d.h. Berufsschullehrerinnen dürfen Kopftücher tragen. Daher bestand für die Bewerberin die Möglichkeit, an einer solchen Schule mit Kopftuch zu arbeiten, was das Land Berlin ihr auch angeboten hatte.
Fazit: Die vom Arbeitsgericht Berlin angeführten Argumente lassen sich hören, denn es gibt Unterschiede zwischen dem Berliner Neutralitätsgesetz und der vom BVerfG gekippten Regelung im Schulgesetz Nordrhein-Westfalens. Andererseits kann ein Gutachten des Wissenschaftlichen Parlamentsdienstes des Berliner Abgeordnetenhauses im Sommer 2015 zu dem Ergebnis, dass auch das abgeschwächte Kopftuchverbot des § 2 Neutralitätsgesetz verfassungswidrig ist. Es ist daher derzeit völlig offen, wie das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg entscheiden würde, falls die Klägerin Berufung einlegen sollte.
Nähere Informationen finden Sie hier:
- Arbeitsgericht Berlin, Urteil vom 14.04.2016, 58 Ca 13376/15
- Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 27.01.2015, 1 BvR 471/10 und 1 BvR 1181/10
- Bundesverfassungsgericht, Pressemitteilung Nr. 14/2015 vom 13.03.2015: Ein pauschales Kopftuchverbot für Lehrkräfte in öffentlichen Schulen ist mit der Verfassung nicht vereinbar, Beschluss vom Beschluss vom 27.01.2015, 1 BvR 471/10, 1 BvR 1181/10
- Bundesverfassungsgericht, Urteil vom 24.09.2003, 2 BvR 1436/02
- Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 24.09.2014, 5 AZR 611/12 (Kopftuchverbot in evangelischem Krankenhaus)
- Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 20.08.2009, 2 AZR 499/08 (Abmahnung wegen islamischer Baskenmütze - Schule)
- Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 10.12.2009, 2 AZR 55/09 (Kündigung wegen islamischen Kopftuchs - Schule)
- Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 10.10.2002, 2 AZR 472/01 (Kündigung wegen islamischen Kopftuchs - Kaufhaus)
- Gutachten des Wissenschaftlichen Parlamentsdienstes des Berliner Abgeordnetenhauses, vom 25.06.2015, zu den Auswirkungen der "Kopftuch-Entscheidung" des BVerfG
- Handbuch Arbeitsrecht: Diskriminierungsverbote - Geschlecht
- Handbuch Arbeitsrecht: Diskriminierungsverbote - Religion oder Weltanschauung
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Letzte Überarbeitung: 3. August 2020
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