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ArbG Ber­lin, Ur­teil vom 14.04.2016, 58 Ca 13376/15

   
Schlagworte: Entschädigungsklage, Neutralitätspflicht des Staates, Religionsfreiheit
   
Gericht: Arbeitsgericht Berlin
Aktenzeichen: 58 Ca 13376/15
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 14.04.2016
   
Leitsätze:
Vorinstanzen:
   

Ar­beits­ge­richt Ber­lin

Geschäfts­zei­chen (bit­te im­mer an­ge­ben)

58 Ca 13376/15

Verkündet am 14.04.2016



Im Na­men des Vol­kes

Ur­teil

In Sa­chen

pp

hat das Ar­beits­ge­richt Ber­lin, 58. Kam­mer,
auf die münd­li­che Ver­hand­lung vom 14.04.2016
durch den Rich­ter am Ar­beits­ge­richt D. als Vor­sit­zen­der
so­wie die eh­ren­amt­li­che Rich­te­rin Frau W. und den eh­ren­amt­li­chen Rich­ter Herrn E.

für Recht er­kannt:
 

I. Die Kla­ge wird ab­ge­wie­sen.

II. Die Kos­ten des Rechts­streits trägt die Kläge­rin.

III. Der Wert des Streit­ge­gen­stan­des wird auf 13.020,00 EUR fest­ge­setzt.

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Tat­be­stand

Die Par­tei­en strei­ten über ei­nen Entschädi­gungs­an­spruch der Kläge­rin, die sich bei dem be­klag­ten Land um ei­ne Stel­le für ei­ne Lehr­kraft be­wor­ben hat.

Die Kläge­rin be­stand im Jahr 2008 die Zwei­te Staats­prüfung und er­warb da­mit die Befähi­gung für das Lehr­amt für die Bil­dungsgänge der Pri­mar­stu­fe und der Se­kun­dar­stu­fe I an all­ge­mein­bil­den­den Schu­len in den Fächern Po­li­ti­sche Bil­dung, Deutsch und Sach­un­ter­richt. Die schrift­li­che Haus­ar­beit er­folg­te zu dem The­ma „Hand­lungs­ori­en­tie­rung im Po­li­tik­un­ter­richt am Bei­spiel des Plan­spiels in den Klas­sen­stu­fen 5/6“.

Die Kläge­rin ist nach ei­ge­nem Be­kun­den gläubi­ge Mus­li­ma und trägt ein is­la­mi­sches Kopf­tuch.

Sie ist seit dem 01.09.2008 als Leh­re­rin für is­la­mi­sche Re­li­gi­on für den „I. F. in Ber­lin e. V.“ tätig. Den Re­li­gi­ons­un­ter­richt er­teilt die Kläge­rin an ei­ner Schu­le des be­klag­ten Lan­des, wel­ches gemäß § 13 Abs.1 Satz 1 SchulG Ber­lin den Re­li­gi­ons­ge­mein­schaf­ten die Durchführung des Re­li­gi­ons­un­ter­richt überlässt. Seit Ja­nu­ar 2014 be­fin­det die Kläge­rin sich in dem Ar­beits­verhält­nis mit dem „I. F. in Ber­lin e.V.“ in El­tern­zeit.

Das be­klag­te Land hat ei­nen großen Be­darf an Lehr­kräften in al­len Schul­ar­ten und für fast al­le Un­ter­richtsfächer. Die Schul­ver­wal­tung des be­klag­ten Lan­des führt zur Re­kru­tie­rung von Lehr­kräften u.a. zen­tra­le Aus­wahl­ver­fah­ren (im Sprach­ge­brauch der Schul­ver­wal­tung „Cas­tings“) durch, wenn vie­le Schu­len ei­nen iden­ti­schen oder ähn­li­chen Be­darf ha­ben. Die Ein­la­dun­gen zu den Aus­wahl­ver­fah­ren er­fol­gen dann zen­tral per E-Mail an die Be­wer­be­rin­nen und Be­wer­ber, im Nach­gang er­folgt ei­ne E-Mail zum Er­geb­nis des Aus­wahl­ver­fah­rens.

Im Frühjahr 2015 be­warb die Kläge­rin sich für ei­ne Lehr­amts­po­si­ti­on beim be­klag­ten Land. Mit ei­ner eMail-Nach­richt vom 23.04.2015 (Bl. 28, 29 d.A.) wur­de die Kläge­rin zu ei­nem Be­wer­bungs­gespräch am 29.04.2015 ein­ge­la­den. In die­ser eMail-Nach­richt wird u.a. Fol­gen­des aus­geführt:

„Ein Großteil des Ein­stel­lungs­be­darfs der all­ge­mein bil­den­den Schu­len be­steht an Grund­schu­len (in Ber­lin bis Klas­sen­stu­fe 6). Da­her ist es möglich, dass auch Be­wer­ber/in­nen mit ei­ner Lehr­befähi­gung für den

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Be­reich der wei­terführen­den Schu­len ein Ein­stel­lungs­an­ge­bot für ei­ne Grund­schu­le er­hal­ten (die Vergütung in Ber­lin bleibt in die­sem Fall iden­tisch).“

In dem Be­wer­bungs­gespräch am 29.04.2015 wur­de die Kläge­rin ge­fragt, ob sie das Kopf­tuch auch im Un­ter­richt tra­gen wol­le. Die Kläge­rin be­jah­te die Fra­ge. Ei­ne Ver­tre­te­rin der Ber­li­ner Schul­ver­wal­tung wies so­dann die Kläge­rin dar­auf hin, dass dies nach § 2 des Ge­set­zes zu Ar­ti­kel 29 der Ver­fas­sung von Ber­lin (im Fol­gen­den Neu­trG ge­nannt) nicht zulässig sei.

Mit ei­ner eMail-Nach­richt vom 06.05.2015 (Bl. 31, 32 d.A.) teil­te das be­klag­te Land der Kläge­rin mit, dass ihr im Rah­men des Aus­wahl­ver­fah­rens für un­be­fris­te­te Ein­stel­lun­gen des Schul­jah­res 2015/2016 kein An­ge­bot un­ter­brei­tet wer­den könne.

Mit An­walts­schrei­ben vom 26. 06.2015 (Bl. 34, 35 d.A.), wel­ches vor­ab an das be­klag­te Land ge­faxt wor­den war, ließ die Kläge­rin ei­nen Entschädi­gungs­an­spruch nach § 15 AGG gel­tend ma­chen. Sie wies dar­auf hin, dass sie prak­ti­zie­ren­de Mus­li­ma sei und auf­grund ih­rer Glau­bensüber­zeu­gung ein Kopf­tuch tra­ge. Im Be­wer­bungs­gespräch vom 29.04.2015 sei ihr mit­ge­teilt wor­den, dass ihr des­halb kei­ne Stel­le an ei­ner Schu­le ver­mit­telt wer­den könne. Die­sen An­spruch wies das be­klag­te Land mit Schrei­ben vom 01.07.2015 (Bl. 36, 37 d.A.) zurück.

Den Entschädi­gungs­an­spruch ver­folgt die Kläge­rin mit ih­rer am 28.09. 2015 beim Ar­beits­ge­richt Ber­lin ein­ge­gan­ge­nen und dem be­klag­ten Land am 06.10.2015 zu­ge­stell­ten Kla­ge wei­ter.

Sie trägt zur Be­gründung vor, dass sie gläubi­ge Mus­li­min sei und auf­grund ih­rer Glau­bensüber­zeu­gung ein Kopf­tuch tra­ge.

Im Be­wer­bungs­gespräch am 29.04.2015 ha­be sie sich und ih­ren Le­bens­lauf für die Dau­er von un­gefähr fünf Mi­nu­ten vor­ge­stellt. Ei­ner der an­we­sen­den Schul­lei­ter ha­be sie ge­fragt, wie sie un­ter­rich­ten wol­le. Das Kopf­tuch sei ge­setz­lich ver­bo­ten. Die Kläge­rin ha­be an­ge­ge­ben, dass sie nicht be­reit sei, dass Kopf­tuch während der Ar­beits­zeit ab­zu­le­gen. Da­nach ha­be ei­ne Ver­tre­te­rin des

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be­klag­ten Lan­des erklärt, dass die Ein­stel­lung ei­ner Leh­re­rin, die auch während des Un­ter­richts das is­la­mi­sche Kopf­tuch tra­gen wol­le, we­gen des Ber­li­ner Neu­tra­litäts­ge­set­zes nicht möglich sei. Die Kläge­rin ha­be so­dann auf die Ent­schei­dung des BVerfG vom 27.01.2015 hin­ge­wie­sen. Die Ver­tre­te­rin des be­klag­ten Lan­des sei bei ih­rer Auf­fas­sung ge­blie­ben, dass ei­ne Ein­stel­lung nach dem Lan­des­recht nicht möglich sei.

Die Kläge­rin ha­be in der Fol­ge­zeit noch Be­wer­bungs­gespräche an zwei Grund­schu­len geführt und sei ab­ge­lehnt wor­den. Sie ha­be ein wei­te­res Stel­len­an­ge­bot ei­ner Schu­le er­hal­ten. Nach Erwähnung des Kopf­tuchs sei mit­ge­teilt wor­den, dass ei­ne Ein­stel­lung nicht in Fra­ge käme.

Die Kläge­rin trägt wei­ter vor, dass sie Grundschüler un­ter­rich­ten möch­te. Die Ar­beit mit älte­ren Schülern an ei­ner Be­rufs­schu­le lie­ge nicht in ih­rem be­ruf­li­chen In­ter­es­se. Den ihr im Güte­ter­min an­ge­bo­te­nen Ar­beits­ver­trag ha­be die Kläge­rin nicht an­neh­men können, weil dar­aus nur ein Ein­satz in der Be­rufs­schu­le fol­gen würde. Die El­tern­zeit hätte sie be­en­det, wenn sie vom be­klag­ten Land ein­ge­stellt wor­den wäre.

Die Ab­leh­nung ih­rer Be­wer­bun­gen auf­grund ih­rer Re­li­gi­on ha­be die Kläge­rin zu­tiefst ver­letzt. Im Gespräch am 29.04.2015 ha­be die Kläge­rin zum Aus­druck ge­bracht, dass das Tra­gen des Kopf­tuchs Aus­druck ih­rer in­di­vi­du­el­len Glau­bensüber­zeu­gung sei.

Zur Recht­fer­ti­gung der Ab­leh­nung der Be­wer­bung könne das be­klag­te Land sich nicht auf § 2 Neu­trG be­ru­fen. Nach den Vor­ga­ben des BVerfG gemäß dem Be­schluss vom 27.01.2015 sei ein pau­scha­les Ver­bot re­li­giöser Be­klei­dung nicht ver­fas­sungs­gemäß.

Die Entschädi­gung sei nicht auf drei Mo­nats­ein­kom­men zu be­gren­zen, da die Kläge­rin für den Leh­rer­be­ruf ge­eig­net sei und auch über ei­ne langjähri­ge Be­rufs­er­fah­rung verfüge.

Bei ei­ner Vergütung nach der Ent­gelt­grup­pe 11 Stu­fe 5 TV-L Ber­lin er­ge­be sich ein Brut­to­mo­nats­ge­halt in Höhe von 4.340,00 €.

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Bezüglich des wei­te­ren Vor­trags der Kläge­rin wird auf die Schriftsätze nebst An­la­gen ver­wie­sen.

Die Kläge­rin be­an­tragt,

das be­klag­te Land zu ver­ur­tei­len, an die Kläge­rin ei­ne an­ge­mes­se­ne Entschädi­gung, de­ren ge­naue Höhe in das Er­mes­sen des Ge­richts ge­stellt wird, we­gen ei­ner Be­nach­tei­li­gung auf­grund der Re­li­gi­on zu zah­len.

Das be­klag­te Land be­an­tragt,

die Kla­ge ab­zu­wei­sen.

Es trägt vor, dass die Kläge­rin im Ein­stel­lungs­gespräch am 29.04.2015 ge­fragt wor­den sei, ob sie be­ab­sich­ti­ge, das Kopf­tuch auch im Un­ter­richt zu tra­gen. Die Kläge­rin ha­be die­se Fra­ge be­jaht. Die Ver­tre­te­rin der Schul­ver­wal­tung ha­be auf das Neu­trG hin­ge­wie­sen und erklärt, dass es sein könne, dass die Kläge­rin kein Beschäfti­gungs­an­ge­bot bekäme. Es sei aber der Kläge­rin nicht ge­sagt wor­den, dass für sie ei­ne Ein­stel­lung als Leh­re­rin ge­ne­rell nicht möglich sei. Die Kläge­rin sei schließlich auch im Rah­men der Nach­steue­rung zu ei­nem wei­te­ren Vor­stel­lungs­gespräch am 27.05.2016 ein­ge­la­den wor­den, zu dem sie dann nicht er­schie­nen sei. Ei­ne Dis­kri­mi­nie­rung sei des­halb nicht an­zu­neh­men.

Die Nicht­beschäfti­gung der Kläge­rin an ei­ner Ber­li­ner Grund­schu­le be­ru­he im Übri­gen auf der ein­deu­ti­gen Re­ge­lung des § 2 Neu­trG, wel­che nicht ver­fas­sungs­wid­rig sei.

Das be­klag­te Land trägt da­zu vor, dass das Ber­li­ner Neu­trG kein um­fas­sen­des Kopf­tuch­ver­bot für al­le Schu­len und Schul­ar­ten ent­hal­te. Gemäß § 3 Neu­trG sei­en be­ruf­li­che Schu­len und Ein­rich­tun­gen des zwei­ten Bil­dungs­we­ges von der Neu­tra­litäts­pflicht aus­ge­nom­men. Lehr­kräfte, die re­li­giös kon­no­tier­te Klei­dung aus re­li­giösen Gründen nicht ab­le­gen woll­ten, hätten so­mit die Möglich­keit auf an­de­re öffent­li­che Schu­len aus­zu­wei­chen. Die Kläge­rin sei auch zu ei­nem Cas­ting am 27.05.2015 ein­ge­la­den wor­den. An­ders als am 29.04.2015 sei­en bei die­sem Cas­ting nicht nur Lehr­kräfte für Grund­schu­len, son­dern auch für

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Be­rufs­schu­len ge­sucht wor­den. Mit ih­rem Ab­schluss sei die Kläge­rin für den Ein­satz als Lehr­kraft an ei­ner be­ruf­li­chen Schu­le ge­eig­net. An die­sen Schu­len sei für weib­li­che Lehr­kräfte das Tra­gen von is­la­mi­schen Kopftüchern recht­lich zulässig. Durch ihr Aus­blei­ben beim Vor­stel­lungs­gespräch am 27.05.2015 ha­be die Kläge­rin sich um die Möglich­keit ge­bracht, als Lehr­kraft an ei­ner Ber­li­ner Schu­le an­ge­stellt zu wer­den. Auf­grund der Ein­rich­tung zahl­rei­cher Will­kom­mens­klas­sen auch in den Be­rufs­schul­zen­tren benöti­ge das be­klag­te Land zahl­rei­che neue Lehr­kräfte. Bei ei­ner Ein­stel­lung beim be­klag­ten Land als Lehr­kraft müsse die Kläge­rin oh­ne­hin da­mit rech­nen, auf­grund des ar­beit­ge­ber­sei­ti­gen Di­rek­ti­ons­rechts auch an ei­ner Be­rufs­schu­le ein­ge­setzt zu wer­den. Ei­ne beim be­klag­ten Land an­ge­stell­te Lehr­kraft ha­be kei­nen An­spruch auf Un­ter­richtstätig­keit aus­sch­ließlich in ei­nem be­stimm­ten Schul­typ. Der der Kläge­rin im Güte­ter­min an­ge­bo­te­ne Ar­beits­ver­trag ent­spre­che den­je­ni­gen Verträgen, die al­le beim be­klag­ten Land an­ge­stell­ten Lehr­kräfte er­hiel­ten.

Den Vor­trag der Kläge­rin zu wei­te­ren An­ge­bo­ten und Ab­leh­nun­gen in Vor­stel­lungs­gesprächen ein­zel­ner Schu­len hält das be­klag­te Land für un­sub­stan­ti­iert.

Bezüglich des wei­te­ren Vor­trags des be­klag­ten Lan­des wird auf die Schriftsätze nebst An­la­gen ver­wie­sen.

Ent­schei­dungs­gründe

Die zulässi­ge Kla­ge ist un­be­gründet.

I.
Der auf Zah­lung ei­ner Entschädi­gung ge­rich­te­te Kla­ge­an­trag ist zulässig, ins­be­son­de­re hin­rei­chend be­stimmt (§ 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO). Dem steht nicht ent­ge­gen, dass die Kläge­rin die Höhe der von ihr be­gehr­ten Entschädi­gung in das Er­mes­sen des Ge­richts ge­stellt hat. Die­se Möglich­keit eröff­net be­reits der Wort­laut des § 15 Abs. 2 AGG. Den Ge­rich­ten wird da­mit hin­sicht­lich der Höhe der Entschädi­gung ein Be­ur­tei­lungs­spiel­raum ein­geräumt. Hängt die Be­stim­mung ei­nes Be­tra­ges vom bil­li­gen Er­mes­sen des Ge­richts ab, ist ein un­be­zif­fer­ter Zah­lungs­an­trag zulässig. Die Kläge­rin hat auch Tat­sa­chen be­nannt, die das Ge­richt bei der Be­stim­mung des Be­tra­ges her­an­zie­hen soll und die Größen­ord­nung der gel­tend ge­mach­ten For­de­rung an­ge­ge­ben (BAG, Urt. v.

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19.08.2010 - 8 AZR 466/09, Rn. 2).

II.
Der persönli­che An­wen­dungs­be­reich des AGG ist eröff­net.

1. Als Be­wer­be­rin ist die Kläge­rin „Beschäftig­te“ nach § 6 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 AGG. Die Ernst­haf­tig­keit der Be­wer­bung der Kläge­rin ist nicht in Fra­ge ge­stellt. Da das be­klag­te Land um Be­wer­bun­gen für das von ihr an­ge­streb­te Beschäfti­gungs­verhält­nis nach­ge­sucht hat, ist sie „Ar­beit­ge­be­rin“ iSd. § 6 Abs. 2 Satz 1 AGG.

2.
Die Fris­ten zur Gel­tend­ma­chung ei­nes Entschädi­gungs­an­spruchs (§ 15 Abs. 4 AGG) und zur Kla­ge­er­he­bung (§ 61b Abs. 1 ArbGG) hat die Kläge­rin ein­ge­hal­ten.


a)
Gemäß § 15 Abs.4 AGG muss der Entschädi­gungs­an­spruch gemäß § 15 Abs.2 AGG in­ner­halb von zwei Mo­na­ten gel­tend ge­macht wer­den, wo­bei die Frist im Fal­le ei­ner Be­wer­bung mit dem Zu­gang der Ab­leh­nung be­ginnt, § 15 Abs.2 Satz 2 AGG.

Die Kläge­rin hat die Ab­sa­ge zum Aus­wahl­ver­fah­ren am 29./30.04.2015 mit ei­ner eMail-Nach­richt der Schul­ver­wal­tung, die un­ter ih­rem eMail-Ac­count am 06.05.2015 um 12.50 Uhr ein­ging, er­hal­ten. Das an­walt­li­che Gel­tend­ma­chungs­schrei­ben vom 26.06.2015, wel­ches das be­klag­te Land vor­ab per Fax er­hielt, hat da­mit die Gel­tend­ma­chungs­frist ge­wahrt. Ei­nen be­zif­fer­ten Entschädi­gungs­be­trag muss­te sie nicht gel­tend ma­chen (BAG, Urt. v. 19.08.2010 - 8 AZR 466/09, Rn. 23)

b)
Gemäß § 61b Abs.1 ArbGG muss ei­ne Kla­ge auf Entschädi­gung nach § 15 AGG in­ner­halb von drei Mo­na­ten, nach­dem der An­spruch schrift­lich gel­tend ge­macht wor­den ist, er­ho­ben wer­den. Die Frist­be­rech­nung er­folgt gemäß § 46 Abs. 2 ArbGG, § 222 ZPO, §§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 Alt. 1, 193 BGB (Rie­ker in

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Nat­ter/Gross, Ar­beits­ge­richts­ge­setz, 2. Aufl. 2013, § 61b Rn. 7).

Die Kla­ge­frist be­gann 26.06.2015, da an die­sem Tag dem be­klag­ten Land das Gel­tend­ma­chungs­schrei­ben vom 26.06.2015 zu­ge­faxt wor­den ist und ein Te­le­fax das Schrift­form­ge­bot des § 15 Abs.4 Satz 1 AGG iVm § 126b GBG wahrt (BAG, Urt. v. 27.01.2011 – 8 AZR 580/09, Rn. 24). Die drei­mo­na­ti­ge Kla­ge­frist lief da­mit gemäß § 188 Abs.2, 1. Alt. BGB am 26.09.2015 ab. Da der 26.09.2015 ein Sams­tag war, trat gemäß § 193 BGB an die Stel­le des 26.09.2015 der 28.09.2015.

Die Kläge­rin hat die drei­mo­na­ti­ge Kla­ge­er­he­bungs­frist des § 61b Abs. 1 ArbGG durch die beim Ar­beits­ge­richt am 28.09.2015 ein­ge­gan­ge­ne und dem be­klag­ten Land am 06.10.2015 zu­ge­stell­ten Kla­ge ge­wahrt. Für die Frist­wah­rung genügte gemäß § 167 ZPO der Ein­gang der Kla­ge beim Ar­beits­ge­richt, weil de­ren Zu­stel­lung demnächst er­folg­te (BAG, Urt. v. 16.02.2012 – 8 AZR 697/10, Rn. 28).

III.
Die Kläge­rin wur­de we­gen ih­rer Re­li­gi­ons­zu­gehörig­keit iSd § 3 Abs.1 AGG un­mit­tel­bar be­nach­tei­ligt.

Ei­ne un­mit­tel­ba­re Be­nach­tei­li­gung iSd. § 3 Abs. 1 AGG liegt vor, wenn ei­ne Per­son we­gen ei­nes in § 1 AGG ge­nann­ten Grun­des ei­ne we­ni­ger güns­ti­ge Be­hand­lung erfährt als ei­ne an­de­re Per­son in ei­ner ver­gleich­ba­ren Si­tua­ti­on erfährt, er­fah­ren hat oder er­fah­ren würde, wo­bei die sich nach­tei­lig aus­wir­ken­de Maßnah­me di­rekt an das ver­bo­te­ne Merk­mal an­knüpfen muss.

Die Kläge­rin wur­de nicht für ei­ne Leh­rer­stel­le an ei­ner Ber­li­ner Grund­schu­le aus­gewählt, wo­durch sie ei­ne ungüns­ti­ge­re Be­hand­lung als die­je­ni­gen Be­wer­ber er­fah­ren hat, die für ei­ne Erst­an­stel­lung an ei­ner Ber­li­ner Grund­schu­le aus­gewählt wor­den sind.

Sie be­fand sich auch in ei­ner ver­gleich­ba­ren Si­tua­ti­on, weil sie für ei­ne Leh­rertätig­keit an ei­ner Grund­schu­le ob­jek­tiv ge­eig­net ist. Auf­grund der zwei­ten Staats­prüfung verfügt die Kläge­rin über die Befähi­gung für das Lehr­amt für die Bil­dungsgänge Pri­mar­stu­fe und Se­kun­dar­stu­fe I in den Fächern Po­li­ti­sche Bil­dung, Deutsch und Sach­un­ter­richt.

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Ein Kau­sal­zu­sam­men­hang zwi­schen der be­nach­tei­li­gen­den Be­hand­lung und dem An­knüpfungs­merk­mal Re­li­gi­on be­steht.

Die Kläge­rin wur­de im Be­wer­bungs­gespräch am 29.04.2015 ge­fragt, ob sie das Kopf­tuch im Un­ter­richt tra­gen wol­le. Die Kläge­rin be­jah­te die­se Fra­ge. Ei­ne Ver­tre­te­rin der Schul­ver­wal­tung wies auf das in Ber­lin gel­ten­de Neu­tra­litäts­ge­setz hin, wel­ches den Lehr­kräften das Tra­gen re­li­giöser Sym­bo­le und Klei­dungsstücke un­ter­sa­ge. Später er­folg­te die Ab­sa­ge sei­tens des be­klag­ten Lan­des. Es lie­gen da­mit In­di­zi­en gemäß § 22 AGG vor, die für ein un­mit­tel­ba­res An­knüpfen an die Re­li­gi­on spre­chen.

Die­se In­di­zi­en sind auch nicht durch das be­klag­te Land wi­der­legt wor­den. Auf Sei­te 2 des Kla­ge­er­wi­de­rungs­schrift­sat­zes (Bl. 48 d.A.) trägt das be­klag­te Land wie folgt vor:

„Die Nicht­beschäfti­gung der Kläge­rin an ei­ner Ber­li­ner Grund­schu­le be­ruht im Übri­gen auf der ein­deu­ti­gen Re­ge­lung in § 2 Neu­trG, …“.

Das Kopf­tuch trägt die Kläge­rin nach ei­ge­nem Be­kun­den als ver­pflich­tend emp­fun­de­nes re­li­giöses Ge­bot, wor­an auch vor dem Hin­ter­grund ih­rer Tätig­keit als Leh­re­rin für is­la­mi­schen Re­li­gi­ons­un­ter­richt kei­ne Zwei­fel be­ste­hen.

So­weit das be­klag­te Land auf die Möglich­keit der Un­ter­richtstätig­keit an ei­ner Be­rufs­schu­le ver­wie­sen hat, spricht das nicht ge­gen ei­ne Be­nach­tei­li­gung, weil die Kläge­rin sich im Rah­men des Be­wer­bungs­gesprächs vom 29.04.2015 um die Stel­le ei­ner Grund­schul­leh­re­rin be­wor­ben hat. Denn im Rah­men des Be­wer­bungs­gesprächs vom 29.04.2015 wur­den aus­sch­ließlich Lehr­kräfte für Grund­schu­len ge­sucht. Dies er­gibt sich mit­tel­bar aus dem Vor­trag des be­klag­ten Lan­des, wo­nach bei dem Cas­ting vom 27.05.2015, an­ders als bei dem Cas­ting vom 29.04.2015, nicht nur Lehr­kräfte für Grund­schu­len, son­dern auch für Be­rufs­schu­len ge­sucht wur­den (vgl. Schriftsätze vom 27.11.2015, Bl. 53 d.A. und vom 17.03.2016, Bl. 140 d.A.).

IV.
Die un­ter­schied­li­che Be­hand­lung der Kläge­rin aus re­li­giösen Gründen kann aber

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nach § 8 AGG zulässig sein, wenn die Ver­pflich­tung von Lehr­kräften nach § 2 Neu­trG, auf­fal­lend re­li­giös ge­prägte Klei­dungsstücke nicht zu tra­gen, ei­ne we­sent­li­che be­ruf­li­che An­for­de­rung ist. Die­se Un­ter­las­sungs­pflicht ist dann ei­ne zulässi­ge be­ruf­li­che An­for­de­rung iSd § 8 Abs.1 AGG, wenn der da­mit ver­folg­te Zweck rechtmäßig und die An­for­de­rung an­ge­mes­sen ist.

Im Streit­fall ist zwar nicht ei­ne be­stimm­te Re­li­gi­ons­zu­gehörig­keit oder ge­ra­de de­ren Feh­len Vor­aus­set­zung für die Ausübung der frag­li­chen Tätig­keit. Gleich­wohl liegt ein An­wen­dungs­fall von § 8 Abs. 1 ArbGG vor. Der Kläge­rin ge­reicht ei­ne be­stimm­te Form ih­rer Re­li­gi­ons­ausübung – das Tra­gen des is­la­mi­schen Kopf­tuchs - zum Nach­teil. De­ren Un­ter­las­sung wird auf­grund des Ver­bots gemäß § 2 Satz 1 Neu­trG zu ei­ner we­sent­li­chen und ent­schei­den­den be­ruf­li­chen An­for­de­rung iSd § 8 Abs.1 AGG für die Un­ter­richtstätig­keit der Kläge­rin an ei­ner Grund­schu­le.

Es sind so­mit die bei­den Zulässig­keits­vor­aus­set­zun­gen des § 8 Abs.1 AGG - rechtmäßiger Zweck und an­ge­mes­se­ne An­for­de­run­gen – bei der An­wen­dung der Ver­bots­vor­schrift des § 2 Neu­trG zu prüfen.

1.
rechtmäßiger Zweck

Der Lan­des­ge­setz­ge­ber ver­folgt mit dem Neu­trG den Zweck, dem ver­fas­sungs­recht­li­chen Ge­bot zu staat­li­cher Neu­tra­lität ei­ne stärker dis­tan­zie­ren­de Be­deu­tung in den Be­rei­chen des öffent­li­chen Diens­tes bei­zu­mes­sen, in de­nen die Mit­ar­bei­ter des Staa­tes - sei­en es Be­am­te oder An­ge­stell­te – dem Bürger mit ei­ner be­son­de­ren durch Ausübung von Ho­heits­rech­ten ver­mit­tel­ten Außen­wir­kung ge­genüber­tre­ten. Die Pflicht des be­klag­ten Lan­des und der Beschäftig­ten in be­son­de­ren Be­rei­chen der Lan­des­ver­wal­tung zur Wah­rung der welt­an­schau­lich-re­li­giösen Neu­tra­lität wird in der der Präam­bel des Neu­trG aus­drück­lich ge­nannt und in der Vor­la­ge des Se­na­tes von Ber­lin vom 05.10.2004 (sog. rot-ro­te Ko­ali­ti­on in der 15. Wahl­pe­ri­ode vom 17.01.2002 bis 22.11.2006) zur Be­schluss­fas­sung des Ab­ge­ord­ne­ten­hau­ses über das Ge­setz (vgl. Druck­sa­che 15/3249 des Ab­ge­ord­ne­ten­hau­ses von Ber­lin) näher aus­geführt.

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Be­trof­fen von dem be­son­de­ren Neu­tra­litäts­ge­bot sind nach dem hier strei­ti­gen Ge­setz die Be­am­ten und An­ge­stell­ten aus den Be­rei­chen der Rechts­pfle­ge, des Jus­tiz­voll­zugs, der Po­li­zei und der öffent­li­chen Schu­len. Für die Lehr­kräfte an öffent­li­chen Schu­len soll nach der Ge­set­zes­be­gründung das Be­klei­dungs­ver­bot auch dem Schutz von Grund­rechts­po­si­tio­nen der nicht- bzw. an­dersgläubi­gen Schüler und der er­zie­hungs­be­rech­tig­ten El­tern die­nen.

Die Wah­rung des aus der Glau­bens­frei­heit des Art. 4 Abs.1 GG fol­gen­den Grund­sat­zes staat­li­cher Neu­tra­lität ge­genüber den un­ter­schied­li­chen Re­li­gio­nen und Be­kennt­nis­sen (BVerfG, Be­schluss v. 16.05.1995 – 1 BvR 1087/91 - Kru­zi­fix) ist ver­fas­sungs­recht­lich ein rechtmäßiges Ziel.

Die­se ge­setz­ge­be­ri­sche Ziel­set­zung ist auch ein rechtmäßiger Zweck iSv Art. 4 Abs.1 der RL 2000/78/EG, des­sen Um­set­zung § 8 AGG dient.

Denn der Eu­ropäische Ge­richts­hof für Men­schen­rech­te hat ent­schie­den, dass ein Ver­bot, während des Un­ter­richts an öffent­li­chen Schu­len re­li­giöse Sym­bo­le zu tra­gen, ei­ne gem. Art. 9 Abs.2 EM­RK not­wen­di­ge Ein­schränkung der nach Art. 9 Abs.1 EM­RK gewähr­leis­te­ten Re­li­gi­ons­frei­heit ei­nes Leh­rers ist, wel­ches we­gen der mögli­chen Be­ein­träch­ti­gung der Grund­rech­te der Schüler und El­tern aus­ge­spro­chen wird, um die Neu­tra­lität des Un­ter­richts zu gewähr­leis­ten. Auf die­ser Grund­la­ge hat der Ge­richts­hof das Ver­bot für ei­ne Leh­re­rin in ei­ner Schwei­zer Grund­schu­le, während des Un­ter­richts ein is­la­mi­sches Kopf­tuch zu tra­gen, eben­so als mit der Re­li­gi­ons­frei­heit des Art. 9 Abs.1 EM­RK ver­ein­bar an­ge­se­hen wie das ge­ne­rel­le, nicht nur für Do­zen­tin­nen, son­dern auch für Stu­den­tin­nen gel­ten­de Ver­bot, ein sol­ches Kopf­tuch an türki­schen Hoch­schu­len zu tra­gen (EGMR 10. No­vem­ber 2005 - 44774/98 - NVwZ 2006, 1389; 15. Fe­bru­ar 2001 - 42393/98 - NJW 2001, 2871).

Da in den Erwägungs­gründen Nr. 4 und Nr. 5 der RL 2000/78/EG aus­drück­lich die Ach­tung der Grund­rech­te und Grund­frei­hei­ten der EM­RK ge­nannt wird, kann die vor­ge­nann­te Recht­spre­chung des EGMR hier an­ge­wandt wer­den. Eu­ro­pa­recht­lich wird mit § 2 Neu­trG ein rechtmäßiger Zweck ver­folgt.

2.
an­ge­mes­se­ne An­for­de­rung

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Die strei­ti­ge Fra­ge, ob die Ver­pflich­tung der Lehr­kräfte des be­klag­ten Lan­des, im Schul­dienst kei­ne re­li­giös kon­no­tier­ten Klei­dungsstücke zu tra­gen, ein un­verhält­nismäßiger Ein­griff in die in­di­vi­du­el­le Glau­bens- und Be­kennt­nis­frei­heit gemäß Art. 4 Abs.1 und 2 GG ist und des­halb kei­ne an­ge­mes­se­ne An­for­de­rung iSd § 8 AGG dar­stellt, hat der Lan­des­ge­setz­ge­ber mit Er­lass des (pau­scha­len) Ver­bots gemäß § 2 Neu­trG ent­schie­den. Aus­weis­lich der Be­gründung der Be­schluss­vor­la­ge des Se­nats hat das Ab­ge­ord­ne­ten­haus in An­se­hung und Abwägung der wi­der­strei­ten­den Grund­rechts­po­si­tio­nen über die Ge­set­zes­vor­la­ge ent­schie­den.

Das Ar­beits­ge­richt ist wie die Schul­ver­wal­tung gemäß Art. 20 Abs.3 GG, Art. 80 Ver­fas­sung von Ber­lin an die Ge­set­ze und da­mit auch an § 2 Neu­trG ge­bun­den. Die Vor­aus­set­zun­gen ei­ner Vor­la­ge gemäß Art. 100 Abs.1 GG an das BVerfG bzw. gemäß Art. 100 Abs.1 GG iVm Art. 84 Abs.2 Nr. 4 Ver­fas­sung von Ber­lin la­gen nicht vor, denn es fehlt die dafür er­for­der­li­che Über­zeu­gung der Kam­mer von der Ver­fas­sungs­wid­rig­keit des § 2 Neu­trG.

„Hält ein Ge­richt ein Ge­setz, auf des­sen Gültig­keit es bei der Ent­schei­dung an­kommt, für ver­fas­sungs­wid­rig“, so hat es gemäß Art. 100 Abs.1 GG die Ent­schei­dung des Lan­des­ver­fas­sungs­ge­richts bzw. des Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richts ein­zu­ho­len. Nach § 80 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG muss das Fach­ge­richt in der Be­gründung der Vor­la­ge des­halb an­ge­ben, in­wie­fern von der Gültig­keit der Rechts­vor­schrift die Ent­schei­dung des Ge­richts abhängt und mit wel­cher über­ge­ord­ne­ten Rechts­norm sie un­ver­ein­bar ist.

Die Rich­ter­vor­la­ge ist da­mit an zwei Zulässig­keits­vor­aus­set­zun­gen ge­bun­den: Das Fach­ge­richt muss von der Ver­fas­sungs­wid­rig­keit der vor­ge­leg­ten Norm über­zeugt sein und die­se Norm muss ent­schei­dungs­er­heb­lich sein.

a)
Über­zeu­gung von der Ver­fas­sungs­wid­rig­keit

Nach ständi­ger Recht­spre­chung des Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richts greift die in Art. 100 Abs. 1 GG, § 80 BVerfGG ge­re­gel­te Vor­la­ge­pflicht nur dann ein, wenn die ver­fas­sungs­recht­li­chen Be­den­ken da­zu nöti­gen, die ent­schei­dungs­er­heb­li­che

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Ge­set­zes­vor­schrift für ver­fas­sungs­wid­rig zu erklären (BVerfG, Be­schluss v. 09.02.1988 – 1 BvL 23/86). Bloße Zwei­fel oder Be­den­ken des Ge­richts an der Ver­fas­sungsmäßig­keit des Ge­set­zes genügen nicht. Dafür spricht auch der Wort­laut des Art. 100 Abs.1 Satz 1 GG („hält“), und zwar ge­ra­de im Um­kehr­schluss zu Art. 93 Abs.1 Nr.2 GG, wo aus­drück­lich „Zwei­fel“ an der Ver­fas­sungsmäßig­keit der Norm genügen (De­de­rer in Maunz/Dürig, Art. 100 Rn. 129).

Im vor­lie­gen­den Fall er­ge­ben sich auf­grund der Ent­schei­dung des BVerfG vom 27.01.2015 - 1 BvR 471/10 und 1 BvR 1181/10 - zur Re­ge­lung in § 57 Abs.4 SchulG des Lan­des Nord­rhein-West­fa­len („Kopf­tuch II“) Zwei­fel an der Ver­fas­sungsmäßig­keit des in § 2 Neu­trG ent­hal­te­nen Ver­bots.

Nach Satz 1 die­ser Vor­schrift war es den Lehr­kräften an Schu­len des Lan­des u.a. ver­bo­ten, re­li­giöse Be­kun­dun­gen ab­zu­ge­ben, „die ge­eig­net sind, die Neu­tra­lität des Lan­des ge­genüber den Schüle­rin­nen und Schülern so­wie El­tern oder den po­li­ti­schen, re­li­giösen oder welt­an­schau­li­chen Schul­frie­den zu gefähr­den oder zu stören“. Die Ar­beits­ge­richts­bar­keit hat­te in al­len drei In­stan­zen auf die­ses Be­kun­dungs­ver­bot gestütz­te Ab­mah­nun­gen und Kündi­gun­gen von zwei Lehr­kräften, die als gläubi­ge Mus­li­ma Kopf­be­de­ckung tru­gen, für wirk­sam erklärt. Das BVerfG sah die Kläge­rin­nen durch die ar­beits­ge­richt­li­chen Ur­tei­le in ih­ren Grund­rech­ten ver­letzt:

Der Schutz des Grund­rechts auf Glau­bens- und Be­kennt­nis­frei­heit (Art. 4 Abs. 1 und 2 GG) gewähr­leis­te auch Lehr­kräften in der öffent­li­chen be­kennt­nis­of­fe­nen Ge­mein­schafts­schu­le die Frei­heit, ei­nem aus re­li­giösen Gründen als ver­pflich­tend ver­stan­de­nen Be­de­ckungs­ge­bot zu genügen, wie dies et­wa durch das Tra­gen ei­nes is­la­mi­schen Kopf­tuchs der Fall sein könne. Wenn von den be­trof­fe­nen Lehr­kräften die Kopf­be­de­ckung als ein ver­pflich­tend emp­fun­de­nes Glau­bens­ge­bot ver­stan­den wer­de, wie­ge der Ein­griff in die in­di­vi­du­el­le Glau­bens- und Be­kennt­nis­frei­heit des Art. 4 Abs.1 und 2 GG durch ein Ver­bot re­li­giöser Klei­dungsstücke be­son­ders schwer.

Ein lan­des­wei­tes ge­setz­li­ches Ver­bot re­li­giöser Be­kun­dun­gen durch das äußere Er­schei­nungs­bild schon we­gen der bloß abs­trak­ten Eig­nung zur Be­gründung ei­ner Ge­fahr für den Schul­frie­den oder die staat­li­che Neu­tra­lität in ei­ner

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öffent­li­chen be­kennt­nis­of­fe­nen Ge­mein­schafts­schu­le sei un­verhält­nismäßig, wenn die­ses Ver­hal­ten nach­voll­zieh­bar auf ein als ver­pflich­tend ver­stan­de­nes re­li­giöses Ge­bot zurück­zuführen sei. Ein an­ge­mes­se­ner Aus­gleich der ver­fas­sungs­recht­lich ver­an­ker­ten Po­si­tio­nen - der Glau­bens­frei­heit der Lehr­kräfte, der ne­ga­ti­ven Glau­bens- und Be­kennt­nis­frei­heit der Schüle­rin­nen und Schüler so­wie der El­tern, des El­tern­grund­rechts und des staat­li­chen Er­zie­hungs­auf­trags - er­for­de­re ei­ne ein­schränken­de Aus­le­gung der Ver­bots­norm, nach der zu­min­dest ei­ne hin­rei­chend kon­kre­te Ge­fahr für die Schutzgüter vor­lie­gen müsse. Nur dann sei der schwer­wie­gen­de Ein­griff in das Grund­recht der kla­gen­den Leh­re­rin­nen auf Glau­bens- und Be­kennt­nis­frei­heit gemäß Art. 4 Abs.1 GG und in die wei­te­ren Grund­rech­te (Schutz der persönli­chen Iden­tität gemäß Art. 2 Abs.1 iVm Art. 1 Abs.1 GG, Be­rufs­wahl­frei­heit gemäß Art. 12 Abs.1 GG und Ge­bot der tatsächli­chen Gleich­be­rech­ti­gung von Frau­en gemäß Art. 3 Abs.2 GG) ge­recht­fer­tigt.

Al­lein das Tra­gen ei­nes is­la­mi­schen Kopf­tuchs be­gründe ei­ne hin­rei­chend kon­kre­te Ge­fahr im Re­gel­fall nicht. Vom is­la­mi­schen Kopf­tuch ge­he für sich ge­nom­men noch kein wer­ben­der oder gar mis­sio­nie­ren­der Ef­fekt aus. Die bloß vi­su­el­le Wahr­nehm­bar­keit des is­la­mi­schen Kopf­tuchs in der Schu­le sei als Fol­ge in­di­vi­du­el­ler Grund­rechts­ausübung eben­so hin­zu­neh­men, wie auch sonst grundsätz­lich kein ver­fas­sungs­recht­li­cher An­spruch dar­auf be­ste­he, von der Wahr­neh­mung an­de­rer re­li­giöser oder welt­an­schau­li­cher Be­kennt­nis­se ver­schont zu blei­ben. Mit dem Tra­gen ei­nes is­la­mi­schen Kopf­tuchs durch ein­zel­ne Lehr­kräfte sei – an­ders als dies beim staat­lich ver­ant­wor­te­ten Kreuz oder Kru­zi­fix im Schul­zim­mer der Fall ist – kei­ne Iden­ti­fi­zie­rung des Staa­tes mit ei­nem be­stimm­ten Glau­ben ver­bun­den.

Die Aus­le­gung der Re­ge­lung des § 57 Abs.4 Satz 1 SchulG NW durch die Fach­ge­rich­te da­hin­ge­hend, dass von dem Ver­bot be­reits re­li­giöse Be­kun­dun­gen er­fasst sei­en, die abs­trakt ge­eig­net sei­en, den Schul­frie­den oder die Neu­tra­lität des Staa­tes zu gefähr­den, sei des­halb ver­fas­sungs­wid­rig.

Auch das im be­klag­ten Land für Lehr­kräfte in öffent­li­chen Schu­len gel­ten­de Ver­bot gemäß § 2 Satz 1 Neu­trG, sicht­ba­re re­li­giöse Sym­bo­le und auf­fal­lend re­li­giös ge­prägte Klei­dungsstücke zu tra­gen, greift in die in­di­vi­du­el­le Re­li­gi­ons­frei­heit der Lehr­kräfte ein.

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Die Re­ge­lung des be­klag­ten Lan­des un­ter­sagt, das Tra­gen re­li­giöser Klei­dungsstücke ge­ne­rell. Die Erfüllung ei­nes Tat­be­stands­merk­mals „Eig­nung für die Gefähr­dung des Schul­frie­dens oder der staat­li­chen Neu­tra­lität“, so wie es in § 57 Abs.4 Satz 1 SchulG NW ent­hal­ten ist, ver­langt die Ber­li­ner Re­ge­lung nicht. Das Ver­bot für be­stimm­te Schul­ty­pen ist pau­schal und un­abhängig von ei­ner im Ein­zel­fall kon­kret fest­zu­stel­len­den Ge­fahr ge­wollt, wes­halb ei­ne ein­schränken­de und ver­fas­sungs­kon­for­me Aus­le­gung des § 2 Satz 1 Neu­trG ent­spre­chend der Ent­schei­dung des BVerfG vom 27.01.2015 auch nicht möglich ist (vgl. zur Fra­ge der ver­fas­sungs­kon­for­men Aus­le­gung des Neu­trG das Gut­ach­ten des Wis­sen­schaft­li­chen Par­la­ments­diens­tes des Ab­ge­ord­ne­ten­hau­ses von Ber­lin vom 25.06.2015, Bl. 74 ff. d.A.). Bei ei­ner iso­lier­ten Be­trach­tung des § 2 Neu­trG spre­chen die vom BVerfG in der Kopf­tuch-II-Ent­schei­dung auf­ge­stell­ten Grundsätze für die Ver­fas­sungs­wid­rig­keit der Ver­fas­sungs­norm.

Das Ge­richt sieht al­ler­dings Be­son­der­hei­ten der Ber­li­ner Re­ge­lung im Ver­gleich zu § 57 Abs.4 SchulG NW, die da­zu führen, dass es nicht von der Ver­fas­sungs­wid­rig­keit der Ber­li­ner Vor­schrift vollständig über­zeugt ist. Des­halb lie­gen die Vor­aus­set­zun­gen ei­ner Vor­la­ge­pflicht nach Art. 100 GG nicht vor.

Das be­klag­te Land be­zog sich bei der Schaf­fung des Neu­trG auf die Ent­schei­dung des BVerfG vom 24.09.2003 (2 BvR 436/02 „Kopf­tuch I“). Das BVerfG ur­teil­te, dass Be­klei­dungs­vor­schrif­ten für Lehr­kräfte an öffent­li­chen Schu­len zur Wah­rung des Ge­bots der staat­li­chen Neu­tra­lität ei­ner hin­rei­chend be­stimm­ten lan­des­ge­setz­li­chen Grund­la­ge bedürf­ten. Das Ein­brin­gen re­li­giöser oder welt­an­schau­li­cher Bezüge in Schu­le und Un­ter­richt durch Lehr­kräfte könne den in Neu­tra­lität zu erfüllen­den staat­li­chen Er­zie­hungs­auf­trag, das el­ter­li­che Er­zie­hungs­recht und die ne­ga­ti­ve Glau­bens­frei­heit der Schüle­rin­nen und Schüler be­ein­träch­ti­gen. Es eröff­ne zu­min­dest die Möglich­keit ei­ner Be­ein­flus­sung der Schul­kin­der so­wie von Kon­flik­ten mit El­tern. Sol­len be­reits der­ar­ti­ge bloße Möglich­kei­ten ei­ner Gefähr­dung oder ei­nes Kon­flikts auf Grund des Auf­tre­tens der Lehr­kraft und nicht erst de­ren kon­kre­tes Ver­hal­ten als Ver­let­zung be­am­ten­recht­li­cher Pflich­ten oder als Eig­nungs­man­gel be­wer­tet wer­den, so sei ei­ne hin­rei­chend be­stimm­te ge­setz­li­che Grund­la­ge er­for­der­lich. Es ob­lie­ge des­halb dem Lan­des­ge­setz­ge­ber, das Span­nungs­verhält­nis zwi­schen po­si­ti­ver Glau­bens­frei­heit der Lehr­kräfte ei­ner­seits und der staat­li­chen Pflicht zu

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welt­an­schau­lich-re­li­giöser Neu­tra­lität, dem Er­zie­hungs­recht der El­tern so­wie der ne­ga­ti­ven Glau­bens­frei­heit der Schüle­rin­nen und Schüler an­de­rer­seits im Rah­men ei­ner ge­setz­li­chen Rechts­grund­la­ge zu lösen und im öffent­li­chen Wil­lens­bil­dungs­pro­zess ei­nen für al­le zu­mut­ba­ren Kom­pro­miss zu su­chen.

Dem Ge­setz­ge­ber wur­de da­mit ein Ge­stal­tungs­spiel­raum zu­ge­wie­sen, wel­cher es ihm ermöglicht, ge­setz­lich zu re­geln, in­wie­weit er re­li­giöse Bezüge in der Schu­le zulässt oder we­gen ei­nes strik­te­ren Neu­tra­litäts­verständ­nis­ses aus der Schu­le her­aushält (vgl. die Be­gründung der ab­wei­chen­den Mei­nung zu BVerfG v. 27.01.2015). Auch nach der Auf­fas­sung der Se­nats­mehr­heit im Be­schluss des BVerfG vom 27.01.2015 zum SchulG NW (dort Rn. 102) verfügt der Ge­setz­ge­ber über ei­ne Einschätzungs­präro­ga­ti­ve für die Be­ur­tei­lung der tatsächli­chen Ge­ge­ben­hei­ten und Ent­wick­lun­gen, von der abhängt, ob ge­genläufi­ge Grund­rechts­po­si­tio­nen von Schülern und El­tern oder an­de­re Wer­te von Ver­fas­sungs­rang ei­ne Re­ge­lung recht­fer­ti­gen, die Lehr­kräfte al­ler Be­kennt­nis­se zu äußers­ter Zurück­hal­tung in der Ver­wen­dung von Kenn­zei­chen mit re­li­giösem Be­zug ver­pflich­tet.

Die­ser be­ste­hen­de Ge­stal­tungs­spiel­raum der Länder schließt ein, dass die ein­zel­nen Länder zu ver­schie­de­nen Re­ge­lun­gen kom­men können, weil bei dem zu fin­den­den Mit­tel­weg auch Schul­tra­di­tio­nen, die kon­fes­sio­nel­le Zu­sam­men­set­zung der Bevölke­rung und ih­re mehr oder we­ni­ger star­ke re­li­giöse Ver­wur­ze­lung berück­sich­tigt wer­den dürfen (BVerfG, Urt. v. 24.09.2003 – 2 BvR 1436/02).

Es gibt ver­schie­de­ne An­halts­punk­te, die dafür spre­chen, dass das be­klag­te Land die­sen Ge­stal­tungs­spiel­raum mit dem be­schrie­be­nen In­halt bei der Schaf­fung des Neu­trG nicht über­schrit­ten hat.

Bei der Be­ur­tei­lung der Ver­fas­sungs­wid­rig­keit des § 2 Neu­trG hat die Kam­mer auch auf die Vor­la­ge des Ber­li­ner Se­nats zur Be­schluss­fas­sung über das Ge­setz im Ab­ge­ord­ne­ten­haus vom 05.10.2004 (Drucks. 15/3249) ab­ge­stellt, weil die dar­in ent­hal­te­nen Mo­ti­ve Auf­schluss über die Grund­la­gen der vom Ge­setz­ge­ber ge­trof­fe­nen Abwägung der wi­der­strei­ten­den Grund­rechts­po­si­tio­nen ge­ben.

Zunächst ist dar­auf hin­zu­wei­sen, dass die Ber­li­ner Re­ge­lung nicht aus­sch­ließlich

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den Be­reich des Schul­un­ter­richts in be­stimm­ten Schul­ty­pen be­trifft, son­dern al­le Be­rei­che der Ver­wal­tung, in de­nen die Beschäftig­ten des be­klag­ten Lan­des im Rah­men ih­rer dienst­li­chen Tätig­keit ty­pi­scher­wei­se dem Bürger persönlich ge­genüber tre­ten, um auch Ho­heits­rechts­rech­te aus­zuüben. Ge­ra­de in die­sen Si­tua­tio­nen des persönli­chen Kon­tak­tes zwi­schen Ho­heits­träger und Bürger hält das be­klag­te Land die Ein­hal­tung der Neu­tra­lität sei­ner Mit­ar­bei­ter in welt­an­schau­li­cher und re­li­giöser Hin­sicht zu Recht für be­son­ders wich­tig.

Die Glaubwürdig­keit des Han­delns staat­li­cher Ho­heits­träger setzt die strik­te Ein­hal­tung der ver­fas­sungs­recht­lich ge­bo­te­nen Neu­tra­lität vor­aus. Im Be­reich der re­li­giösen Über­zeu­gun­gen folgt aus der in­di­vi­du­el­len Glau­bens­frei­heit des Art. 4 Abs. 1 GG der Grund­satz staat­li­cher Neu­tra­lität ge­genüber den un­ter­schied­li­chen Re­li­gio­nen und Be­kennt­nis­sen. Dem­gemäß hat der Staat ei­ne Iden­ti­fi­ka­ti­on mit be­stimm­ten Re­li­gi­ons­ge­mein­schaf­ten zu ver­mei­den (BVerfG, Be­schl. v. 16.05.1995 – 1 BvR 1087/91 – Kru­zi­fix im Klas­sen­zim­mer).

Die staat­li­che Un­par­tei­lich­keit hat auch der Se­nat des be­klag­ten Lan­des gemäß sei­ner Be­schluss­vor­la­ge als Grund­be­din­gung für ein fried­li­ches Zu­sam­men­le­ben ver­schie­de­ner re­li­giöser und welt­an­schau­li­cher Grup­pie­run­gen ge­se­hen. Da­bei sei auch die Be­son­der­heit des Lan­des Ber­lin zu berück­sich­ti­gen, „das mit sei­ner großstädtisch-he­te­ro­ge­nen Bevölke­rungs­struk­tur und sei­ner kon­fes­sio­nel­len Viel­ge­stal­tig­keit ein be­son­de­res Kon­flikt­po­ten­ti­al bie­tet und da­her stärker nach ei­ner re­strik­ti­ven Re­ge­lung ver­langt“.

Dem­zu­fol­ge wird gemäß § 1 Neu­trG das Tra­gen re­li­giöser Sym­bo­le und Klei­dungsstücke zunächst für die Be­rei­che der Rechts­pfle­ge, des Jus­tiz­voll­zugs und der Po­li­zei ein­ge­schränkt.

Es ist kon­se­quent und aus Sicht der Kam­mer ver­fas­sungs­recht­lich zulässig, die­se Ein­schränkung auch auf Lehr­kräfte an öffent­li­chen Schu­len zu er­stre­cken. Denn „ge­ra­de bei Schüle­rin­nen und Schülern kann ei­ne in­ten­si­ve Kon­fron­ta­ti­on mit Über­zeu­gun­gen der Lehr­kräfte und des übri­gen pädago­gi­schen Per­so­nals zum Gefühl der Ab­leh­nung oder ei­ner er­zwun­ge­nen An­pas­sung führen“ (vgl. die Be­gründung der Vor­la­ge zur Be­schluss­fas­sung des Neu­trG, Abghs.-Drs. 15/3249). Die­se Einschätzung ist rea­litäts­ge­recht, da sich in der Pra­xis vie­le Schüler und El­tern im Hin­blick auf den wei­te­ren Schul­ver­lauf und die späte­ren

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Aus­bil­dungsmöglich­kei­ten in ei­nem aus­ge­prägten Abhängig­keits­verhält­nis zur je­wei­li­gen Lehr­kraft se­hen.

Zu Recht wird in der Be­schluss­vor­la­ge des Se­nats des be­klag­ten Lan­des auf die be­son­de­re Ent­wick­lung in der Großstadt Ber­lin hin­ge­wie­sen, in der Per­so­nen ver­schie­dens­ter Kon­fes­sio­nen und Über­zeu­gun­gen auf en­gem Raum zu­sam­men­le­ben und in öffent­li­chen Be­rei­chen auf­ein­an­der tref­fen. Die Aus­wir­kun­gen auf die Schu­len wer­den in der Be­schluss­vor­la­ge wie folgt be­schrie­ben:

„Im Schul­be­reich kann es wei­ter­hin durch kon­kre­te Aus­ein­an­der­set­zun­gen zu ei­ner Störung des Schul­frie­dens kom­men, die letzt­lich den staat­li­chen Er­zie­hungs­auf­trag gefähr­det. Um dies zu ver­hin­dern, ist der Staat nicht nur ge­hal­ten, in Schu­len ei­ne neu­tra­le Ge­stal­tung der Räum­lich­kei­ten zu ermögli­chen (BVerfGE 93, 1, 15ff.), son­dern er muss auch ver­hin­dern, dass an­ders- oder nichtgläubi­ge Schüle­rin­nen und Schüler von Leh­re­rin­nen und Leh­rern un­ter­rich­tet wer­den, die sicht­ba­re re­li­giöse oder welt­an­schau­li­che Sym­bo­le bzw. ent­spre­chend auf­fal­len­de Klei­dungsstücke tra­gen.“

Dass die­se Einschätzung des Ge­setz­ge­bers zu den Kon­flikt­po­ten­tia­len auch für die Schu­len des Lan­des Ber­lin be­son­ders rea­litäts­nah ist, zeigt ei­ne Ent­schei­dung des OVG Ber­lin-Bran­den­burg zum ein­ge­klag­ten An­spruch ei­nes Schülers auf Ge­bets­ver­rich­tung in der Schu­le (Urt. v. 27.05.2010 – 3 B 29/09), in wel­cher die aus­ge­prägte re­li­giöse He­te­ro­ge­nität an ei­nem Ber­li­ner Gym­na­si­um be­schrie­ben wird. Das OVG führt in der Ent­schei­dung aus, dass die Schüler­schaft des Gym­na­si­ums 29 Her­kunfts­na­tio­na­litäten und sämt­li­che Welt­re­li­gio­nen um­fas­se. Da­bei fänden sich un­ter den Mus­li­men al­lein drei Glau­bens­rich­tun­gen, nämlich Sun­ni­ten, Schii­ten und Ale­vi­ten, und un­ter den Chris­ten so­gar fünf Glau­bens­rich­tun­gen, nämlich Pro­tes­tan­ten, Ka­tho­li­ken, rus­sisch-or­tho­do­xe, ser­bisch-or­tho­do­xe und sy­risch-or­tho­do­xe Chris­ten (Aramäer). Zu berück­sich­ti­gen sei­en auch Schüler athe­is­ti­scher Ein­stel­lung. Die­se aus­ge­prägte re­li­giöse He­te­ro­ge­nität an der Schu­le bir­ge auch ein größeres Po­ten­ti­al für Kon­flik­te. Das OVG führt im Ur­teil wei­ter aus, dass das Kon­flikt­po­ten­zi­al an die­sem Gym­na­si­um nicht nur theo­re­tisch sei, son­dern zu ei­ner kon­kre­ten Gefähr­dung des Schul­frie­dens geführt ha­be, was das be­klag­te Land in dem ver­wal­tungs­ge­richt­li­chen Ver­fah­ren mit ei­ner Rei­he von Bei­spie­len sub­stan­ti­iert ha­be:

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„So hätten sich Kon­flik­te er­ge­ben, weil ei­ne Rei­he von Schüle­rin­nen und Schülern nicht den Ver­hal­tens­re­geln ge­folgt sei­en, die sich aus ei­ner be­stimm­ten Aus­le­gung des Ko­ran er­ge­ben würden, wie z.B. Kopf­tuch­zwang, Fas­ten, Ab­hal­tung von Ge­be­ten, Ver­bot des Ver­zeh­rens von Schwei­ne­fleisch, Ver­mei­dung "un­sitt­li­chen Ver­hal­tens" und "un­sitt­li­cher" Klei­dung so­wie persönli­cher Kon­tak­te mit "un­rei­nen" Mitschülern. Die­se Kon­flik­te sei­en teil­wei­se sehr hef­tig und auf nicht ak­zep­ta­ble Wei­se aus­ge­tra­gen wor­den; zu nen­nen sei­en bei­spiel­haft Mob­bing, Be­lei­di­gun­gen, ins­be­son­de­re auch mit an­ti­se­mi­ti­scher Ziel­rich­tung, Be­dro­hun­gen und se­xis­ti­sche Dis­kri­mi­nie­run­gen. Schüler hätten sich während der Fas­ten­zeit mit der Fol­ge kon­trol­liert, dass z.B. ei­ne Schüle­rin, die sich während des Ra­ma­dan ei­nen Müsli­rie­gel in der Schul­ca­fe­te­ria ge­kauft ha­be, des­we­gen als "min­der­wer­ti­ge Mus­li­min" zu­recht­ge­wie­sen wor­den sei. Schüle­rin­nen, die der ale­vi­ti­schen Glau­bens­ge­mein­schaft an­gehörten und da­her kein Kopf­tuch trügen, sei­en eben­so wie sol­che Schüle­rin­nen, die kundtäten, kei­ner Glau­bens­ge­mein­schaft an­zu­gehören, be­schimpft bzw. an­gepöbelt wor­den. Ei­ne Schüle­rin sei von meh­re­ren an­de­ren Schüle­rin­nen auf­ge­for­dert wor­den, den Kon­takt zu ei­nem Mädchen ab­zu­bre­chen, weil die­ses sich in ver­meint­lich un­statt­haf­ter Wei­se ge­schminkt ha­be. Fest­zu­stel­len sei auch, dass an­ti­se­mi­ti­sche Ein­stel­lun­gen weit ver­brei­tet sei­en mit der Fol­ge, dass jüdi­sche Schüle­rin­nen und Schüler sich teil­wei­se nicht zu er­ken­nen ge­ben oder die Schu­le ver­las­sen würden. Jüdi­sche bzw. is­rae­li­sche Sym­bo­le würden häufig be­schmiert oder auf an­de­re Wei­se ver­un­glimpft. Von Schülern mit Mi­gra­ti­ons­hin­ter­grund würden deut­sche Schüle­rin­nen und Schüler als zu weich und als sol­che, die man un­ter­drücken müsse, be­zeich­net und ge­le­gent­lich mit Schimpfwörtern wie "Schwei­ne­fleisch­fres­ser“ und "Scheiß-Chris­ten“ dis­kre­di­tiert. So­weit die Schu­le in der La­ge ge­we­sen sei, die be­tei­lig­ten Schüle­rin­nen und Schüler zu ei­nem Gespräch zu­sam­men­zu­brin­gen, hätten sich die den Kon­flikt schüren­den Schüler re­gelmäßig dar­auf be­ru­fen, dass der Ko­ran ihr Ver­hal­ten le­gi­ti­mie­re.“

Die­se Dar­stel­lung bestätigt bei­spiel­haft die Exis­tenz von re­li­giös be­ding­ten Kon­flik­ten an den Schu­len des Lan­des Ber­lin, die auch mit ei­ner an­de­ren Rol­len­ver­tei­lung, bei de­nen Schüler und Schüle­rin­nen mit ei­nem is­la­mi­schen Glau­bens­be­kennt­nis Op­fer von Überg­rif­fen an­ders- bzw. nichtgläubi­ger Schüler sind, auf­tre­ten.

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Vor dem Hin­ter­grund der­ar­ti­ger Kon­flik­te an Ber­li­ner Schu­len ge­winnt die Gewähr ei­ner neu­tra­len Streit­schlich­tung durch die je­wei­li­ge Lehr­kraft ein be­son­de­res Ge­wicht. Des­halb hat der Staat das Neu­tra­litäts­ge­bot nicht nur bei der Ge­stal­tung der Räum­lich­kei­ten in öffent­li­chen Schu­len zu be­ach­ten (vgl. BVerfG zum Kru­zi­fix im Klas­sen­zim­mer), son­dern auch bei der Beschäfti­gung der in die­sen Räum­en un­ter­rich­ten­den Lehr­kräfte, die in Strei­tig­kei­ten der be­schrie­be­nen Art nur dann als Sch­lich­ter und Er­zie­her über genügend Au­to­rität und Vor­bild­funk­ti­on verfügen, wenn sie sich nicht ge­genüber den Schülern durch ein­deu­tig re­li­giös ge­prägte Klei­dungsstücke auf ei­ne be­stimm­te Form der Re­li­gi­ons­ausübung fest­le­gen.

Wei­ter ist zu berück­sich­ti­gen, dass ei­ne Lehr­kraft durch die strik­te Ein­hal­tung be­stimm­ter re­li­giös be­gründe­ter Be­klei­dungs­vor­schrif­ten Po­si­ti­on in ei­ner in­ner­re­li­giös geführ­ten De­bat­te um die rich­ti­ge Frömmig­keit be­zieht und da­mit kraft ih­rer Stel­lung und Ent­schei­dungs­be­fug­nis­se Ein­fluss auf die­je­ni­gen Schüler und El­tern der­sel­ben Re­li­gi­ons­zu­gehörig­keit ausüben kann, de­ren Vor­stel­lun­gen von der rich­ti­gen Re­li­gi­ons­ausübung in ei­ne ganz an­de­re Rich­tung ge­hen. Die ein­deu­ti­ge re­li­giöse Be­klei­dung ei­ner Lehr­kraft kann auch auf die­je­ni­gen Schüler oder El­tern psy­chi­schen Druck ausüben, die sich von ih­rer durch Fa­mi­li­en­tra­di­ti­on er­wor­be­nen Re­li­gi­ons­zu­gehörig­keit tren­nen bzw. mo­de­rat lösen wol­len. Die­se Wir­kung muss da­bei nicht von der Lehr­kraft be­ab­sich­tigt sein, folgt aber aus ih­rer Stel­lung, wel­che mit den staat­li­chen Be­fug­nis­sen zur No­ten­ge­bung, Ver­set­zungs­ent­schei­dung, Emp­feh­lung für die wei­terführen­de Schu­le etc. ver­bun­den ist. In­so­weit liegt ein nicht zu ver­nachlässi­gen­der Ein­griff in die Re­li­gi­ons­frei­heit der Schüler und das Er­zie­hungs­recht der El­tern vor.

Es kann des­halb ent­spre­chend der Be­gründung der ab­wei­chen­den Mei­nung zur Ent­schei­dung des BVerfG vom 27.01.2015 (Kopf­tuch II) nicht al­lein dar­auf ab­ge­stellt wer­den, dass der Staat ei­ne ihm un­mit­tel­bar nicht zu­zu­rech­nen­de in­di­vi­du­el­le Grund­rechts­ausübung sei­ner Pädago­gen nur dul­de und die Schüler le­dig­lich ei­ne be­stimm­te Be­klei­dung der Pädago­gen an­zu­schau­en hätten, die er­kenn­bar auf de­ren in­di­vi­du­el­le Ent­schei­dung zurück ge­he. Ei­ne sol­che ver­ein­fa­chen­de Dif­fe­ren­zie­rung zwi­schen dem Staat zu­re­chen­ba­ren Sym­bo­len und in­di­vi­du­el­ler re­li­giös kon­no­tier­ter Be­klei­dung von Pädago­gen blen­det die Wir­kung aus, die auch die in­di­vi­du­el­le Grund­rechts­ausübung ei­ner Lehr­per­son auf Schüle­rin­nen und Schüler ha­ben kann.

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Die Lehr­kräfte ge­nießen zwar ih­re in­di­vi­du­el­le Glau­bens­frei­heit. Zu­gleich sind sie aber Amts­träger und da­mit der fördern­den Neu­tra­lität des Staa­tes auch in re­li­giöser Hin­sicht ver­pflich­tet. Denn der Staat kann nicht als an­ony­mes We­sen, son­dern nur durch sei­ne Amts­träger han­deln. Die­se sind sei­ne Re­präsen­tan­ten. Die Ver­pflich­tung des Staa­tes auf die Neu­tra­lität kann des­halb kei­ne an­de­re sein als die ei­ner Ver­pflich­tung sei­ner Amts­träger auf Neu­tra­lität (Rn 14 der ab­wei­chen­den Mei­nung zum Be­schluss des BVerfG vom 27. Ja­nu­ar 2015 – 1 BvR 471/10, 1 BvR 1181/10).

Es liegt des­halb im ver­fas­sungs­recht­li­chen Ge­stal­tungs­spiel­raum des be­klag­ten Lan­des, wenn es un­ter Berück­sich­ti­gung der spe­zi­fi­schen Si­tua­ti­on der Großstadt Ber­lin das un­ver­meid­li­che Span­nungs­verhält­nis der ge­genläufi­gen Rechtsgüter von Ver­fas­sungs­rang durch ei­ne stärke­re Ge­wich­tung des staat­li­chen Er­zie­hungs­auf­trags, der un­ter Wah­rung der Pflicht zu welt­an­schau­lich-re­li­giöser Neu­tra­lität zu erfüllen ist, so­wie den Schutz des el­ter­li­chen Er­zie­hungs­rechts und der ne­ga­ti­ven Glau­bens­frei­heit der Schüler auflöst.

Für die ver­fas­sungsmäßige Verhält­nismäßig­keit des § 2 Neu­trG spricht auch, dass das Ver­bot des Tra­gens re­li­giöser Sym­bo­le und Klei­dungsstücke gemäß § 3 Neu­trG nicht für die be­ruf­li­chen Schu­len, zu de­nen in Ber­lin die Be­rufs­schu­le, Be­rufs­fach­schu­le, Fach­ober­schu­le, Be­rufs­ober­schu­le und Fach­schu­le gehören, und die Ein­rich­tun­gen des zwei­ten Bil­dungs­we­ges gilt. Dies wird vom Lan­des­ge­setz­ge­ber da­mit be­gründet, dass der Er­zie­hungs­as­pekt bei älte­ren Schülern zurück­tre­te und von stärke­rer Ei­genständig­keit aus­ge­gan­gen wer­den könne. Das pau­scha­le Ver­bot gilt da­mit nicht aus­nahms­los für al­le Schul­be­rei­che. Lehr­kräfte mit ei­nem Ab­schluss ent­spre­chend dem der Kläge­rin können oh­ne Ein­schränkun­gen ih­rer Re­li­gi­ons­ausübungs­frei­heit in be­stimm­ten Schul­ty­pen des be­klag­ten Lan­des un­ter­rich­ten. Auch die Kläge­rin hätte für das be­klag­te Land in ei­ner der ver­schie­de­nen be­rufs­bil­den­den Schu­len – even­tu­ell in ei­ner der dort ein­ge­rich­te­ten Will­kom­mens­klas­sen – un­ter­rich­ten können.

Auch für das Per­so­nal von Kin­der­be­treu­ungs­ein­rich­tun­gen wur­de ei­ne dif­fe­ren­zier­te Re­ge­lung zur Durch­set­zung des Neu­tra­litäts­ge­bots ge­schaf­fen, wel­che we­gen der Frei­wil­lig­keit des staat­li­chen Be­treu­ungs­an­ge­bots im

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Ge­gen­satz zur ge­setz­li­chen Schul­pflicht im Aus­gangs­punkt kein pau­scha­les Ver­bot re­li­giös ge­prägter Klei­dung vor­sieht.

Letzt­lich hat die Kam­mer berück­sich­tigt, dass das Neu­trG nicht wie das nord­rhein-westfäli­sche Schul­ge­setz ei­ne gleich­heits­wid­ri­ge Pri­vi­le­gie­rungs­be­stim­mung zu­guns­ten der Dar­stel­lung christ­li­cher und abendländi­scher Bil­dungs- und Kul­tur­wer­te oder Tra­di­tio­nen enthält. Das Ber­li­ner Neu­tra­litäts­ge­setz be­han­delt al­le Re­li­gio­nen und Glau­bens­be­kennt­nis­se gleich.

Bei der Be­ant­wor­tung der Fra­ge, ob das be­klag­te Land den ver­fas­sungs­recht­li­chen Ge­stal­tungs­spiel­raum über­schrit­ten hat, ist auch zu berück­sich­ti­gen, dass das be­klag­te Land es nicht bei der Ver­bots­norm in § 2 Neu­trG vom 27.01.2005 be­las­sen hat. Auf der Grund­la­ge ei­nes Be­schlus­ses des Se­nats von Ber­lin rich­te­te die Bil­dungs­ver­wal­tung im No­vem­ber 2005 ei­nen Ar­beits­kreis „Is­lam und Schu­le" ein, des­sen Auf­ga­be dar­in be­steht, Lösungs­ansätze zu in­ter­re­li­giösen Kon­flik­ten in der Ber­li­ner Schu­le zu ent­wi­ckeln. Im De­tail be­stand die Auf­ga­be die­ses Ar­beits­krei­ses dar­in, Hand­rei­chun­gen für Schu­len, Lehr­kräfte, El­tern so­wie Schüle­rin­nen und Schüler für prak­ti­ka­ble Lösungs­we­ge bei in­ter­re­li­giösen Kon­flik­ten ins­be­son­de­re im Zu­sam­men­hang mit der Nicht­teil­nah­me von Mus­li­ma am Sport- und Schwimm­un­ter­richt, an der Se­xu­al­er­zie­hung, an Klas­sen­fahr­ten, an Frei­zeit­ak­ti­vitäten und Ar­beits­ge­mein­schaf­ten so­wie zum Frau­en­bild, zum Kon­troll­druck auf mus­li­mi­sche Schüle­rin­nen und zu Kon­flik­ten un­ter Schüle­rin­nen und Schülern zu ent­wi­ckeln. Das Er­geb­nis der Ar­beit die­ses Ar­beits­krei­ses, an dem sich zahl­rei­che Verbände und In­ter­es­sen­grup­pen - auch aus dem türki­schen und is­la­mi­schen Be­reich - be­tei­ligt ha­ben, ist ei­ne Hand­rei­chung für Lehr­kräfte an Ber­li­ner Schu­len, die zu ver­schie­de­nen re­li­giösen Kon­flik­ten Erklärun­gen und Lösungs­we­ge un­ter­brei­tet. Der Se­nat des be­klag­ten Lan­des hat da­mit vor dem Hin­ter­grund be­ste­hen­der re­li­giöser Kon­flikt­fel­der im Be­reich des Schul­we­sens ei­nen öffent­li­chen Wil­lens­bil­dungs­pro­zess ein­ge­lei­tet, um bei al­len Be­tei­lig­ten – Lehr­kräfte, Schüler und El­tern - Verständ­nis für die fried­li­che und re­spekt­vol­le Bewälti­gung der re­li­giös mo­ti­vier­ten Pro­ble­me zu er­rei­chen.

Der vom BVerfG in der Ent­schei­dung vom 24.09.2003 ge­for­der­te öffent­li­che Wil­lens­bil­dungs­pro­zess zur Su­che ei­nes für al­le zu­mut­ba­ren Kom­pro­mis­ses fin­det auch im Be­reich der den Se­nat bil­den­den Par­tei­en ak­tu­ell statt. In ei­ner

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Mit­glie­der­be­fra­gung der SPD im Jahr 2015 spra­chen sich 81% der an der Be­fra­gung teil­neh­men­den Par­tei­mit­glie­der dafür aus, dass die Re­ge­lun­gen des Neu­trG bei­be­hal­ten wer­den.

b)
Ent­schei­dungs­er­heb­lich­keit

Da die Kam­mer kei­ne über Zwei­fel hin­aus­ge­hen­de Über­zeu­gung von der Ver­fas­sungs­wid­rig­keit des § 2 Neu­trG hat, kam es nicht auf die Fra­ge der Ent­schei­dungs­er­heb­lich­keit die­ser Norm an. Es muss­te des­halb auch nicht geklärt wer­den, ob hier die Ent­schei­dungs­er­heb­lich­keit aus­schei­det, weil § 2 Neu­trG nicht mit Uni­ons­recht - ins­be­son­de­re der RL 2000/78/EG und Art. 10 GRC – un­ver­ein­bar und des­halb un­an­wend­bar ist.

V.
Ei­ne Vor­la­ge an den EuGH nach Art. 267 Abs.1 AEUV war nach Auf­fas­sung der Kam­mer auch aus sons­ti­gen Gründen nicht an­ge­zeigt. § 2 Neu­trG verstößt nicht ge­gen Uni­ons­recht.

§ 8 Abs.1 AGG dient der Um­set­zung von Art. 4 Abs.1 der RL 2000/78/EG, wel­cher nach sei­nem Wort­laut den Mit­glied­staa­ten die Re­ge­lung ermöglicht, dass ei­ne Un­gleich­be­hand­lung we­gen ei­nes Merk­mals, das im Zu­sam­men­hang mit ei­nem der in Art.1 die­ser Richt­li­nie ge­nann­ten Dis­kri­mi­nie­rungs­gründe steht, kei­ne Dis­kri­mi­nie­rung dar­stellt, wenn das be­tref­fen­de Merk­mal auf Grund der Art ei­ner be­stimm­ten be­ruf­li­chen Tätig­keit oder der Be­din­gun­gen ih­rer Ausübung ei­ne we­sent­li­che und ent­schei­den­de be­ruf­li­che An­for­de­rung dar­stellt, so­fern es sich um ei­nen rechtmäßigen Zweck und ei­ne an­ge­mes­se­ne An­for­de­rung han­delt.

Bei der Be­stim­mung des rechtmäßigen Zwecks und der an­ge­mes­se­nen An­for­de­rung iSv Art. 4 Abs.1 der RL 2000/78/E ist die Char­ta der Grund­rech­te der Eu­ropäischen Uni­on (GRC) zu be­ach­ten, denn nach Art. 51 Abs.1 GRC iVm Art. 6 Abs.1 EUV idF. von Lis­sa­bon gilt die­se Char­ta für Mit­glied­staa­ten aus­sch­ließlich bei der Durchführung des Rechts der Uni­on.

Nach Art. 10 GRC hat je­de Per­son das Recht auf Re­li­gi­ons­frei­heit. Die­ses Recht um­fasst die Frei­heit, die Re­li­gi­on zu wech­seln, und die Frei­heit, sei­ne Re­li­gi­on

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ein­zeln oder ge­mein­sam mit an­de­ren öffent­lich oder pri­vat durch Got­tes­dienst, Un­ter­richt, Bräuche und Ri­ten zu be­ken­nen. Art. 14 Abs.1 GRC ver­bie­tet Dis­kri­mi­nie­run­gen we­gen der Re­li­gi­on.

Die Aus­le­gung die­ser Grund­frei­hei­ten rich­tet sich nach den Be­stim­mun­gen des Art. 52 GRC. Gemäß Art. 52 Abs.3 Satz 1 GRC gilt für al­le Rech­te der GRC, die de­nen der EM­RK ent­spre­chen, dass sie (min­des­tens) die glei­che Be­deu­tung und Trag­wei­te ha­ben, wie sie ih­nen durch die EM­RK ver­lie­hen wird. Al­ler­dings steht dem nicht ent­ge­gen, dass das Recht der Uni­on ei­nen wei­ter ge­hen­den Schutz gewährt, Art. 52 Abs.3 Satz 2 GRC.

Art. 9 EM­RK (Re­li­gi­ons­frei­heit) und Art. 14 EM­RK (Dis­kri­mi­nie­rungs­ver­bot), wel­che gemäß Art. 6 Abs.3 EUV idF. von Lis­sa­bon zu den all­ge­mei­nen Grundsätzen des Uni­ons­rechts gehören, se­hen zu den hier re­le­van­ten Grund­frei­hei­ten der GRC kor­re­spon­die­ren­de Rech­te vor, so dass die Recht­spre­chung des EGMR zur Zulässig­keit von Ein­schränkun­gen der Re­li­gi­ons­frei­heit zu be­ach­ten ist. Dies gilt ins­be­son­de­re, weil die RL 2000/78/EG gemäß den Erwägungs­gründen Nr. 4 und Nr. 5 auch der Ach­tung der Grund­rech­te und Grund­frei­hei­ten der EM­RK die­nen soll.

Un­ter An­wen­dung vor­ste­hend ge­nann­ter Grundsätze ist die Kam­mer zu dem Er­geb­nis ge­kom­men, dass § 2 Neu­trG nicht ge­gen Uni­ons­recht verstößt

Es ist in­so­weit zu prüfen, ob die Re­ge­lung des § 2 Neu­trG, wel­che Lehr­kräften das Tra­gen re­li­giöser Klei­dungsstücke un­ter­sagt, ein verhält­nismäßiges Er­for­der­nis auf­stellt, dh ob die­ses Ver­bot ge­eig­net ist, das an­ge­streb­te Ziel zu er­rei­chen, und nicht über das hin­aus­geht, was hier­zu er­for­der­lich ist.

An der Ge­eig­net­heit des Ver­bots des Tra­gens re­li­giös ge­prägter Klei­dungsstücke zur Durch­set­zung des Neu­tra­litäts­ge­bots be­ste­hen kei­ne Zwei­fel.

Die Kam­mer geht da­von aus, dass die­ses Ver­bot uni­ons­recht­lich dem Verhält­nismäßig­keits­grund­satz ent­spricht und an­ge­mes­sen iSd Art. 4 Abs.1 der RL 2000/78/EG ist. Denn nach der be­reits zi­tier­ten Recht­spre­chung des EGMR stellt das Ver­bot für ei­ne Leh­re­rin an ei­ner Grund­schu­le, während des Un­ter­richts ein is­la­mi­sches Kopf­tuch zu tra­gen, zwar ei­nen Ein­griff in die Re­li­gi­ons­frei­heit

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gemäß Art. 9 Abs.1 EM­RK, der aber i.S. von Art. 9 Abs.2 nicht un­verhält­nismäßig ist, wenn da­durch dem Grund­satz der kon­fes­sio­nel­len Neu­tra­lität der Schu­le Gel­tung ver­schafft wer­den soll. Ein Ver­s­toß ge­gen das Recht auf Re­li­gi­ons­frei­heit gemäß Art. 9 EM­RK und das Dis­kri­mi­nie­rungs­ver­bot des Art. 14 EM­RK liegt des­halb nicht vor und § 2 Satz1 Neu­trG verstößt nicht ge­gen Art. 10 und Art. 14 GRC.

VI.
Die Kos­ten des Rechts­streits hat die Kläge­rin als un­ter­lie­gen­de Par­tei zu tra­gen. Der Streit­wert wur­de in Höhe von drei Mo­nats­ein­kom­men, wel­ches die Kläge­rin im Fall ih­rer Ein­stel­lung er­hal­ten hätte, fest­ge­setzt.

Rechts­mit­tel­be­leh­rung

Ge­gen die­ses Ur­teil kann von der Kläge­rin Be­ru­fung ein­ge­legt wer­den.

Die Be­ru­fungs­schrift muss von ei­nem Rechts­an­walt oder ei­nem Ver­tre­ter ei­ner Ge­werk­schaft bzw. ei­ner Ar­beit­ge­ber­ver­ei­ni­gung oder ei­nes Zu­sam­men­schlus­ses sol­cher Verbände ein­ge­reicht wer­den.

Die Be­ru­fungs­schrift muss in­ner­halb

ei­ner Not­frist von ei­nem Mo­nat

bei dem
Lan­des­ar­beits­ge­richt Ber­lin-Bran­den­burg,
Mag­de­bur­ger Platz 1, 10785 Ber­lin,

ein­ge­gan­gen sein. Die Be­ru­fungs­schrift muss die Be­zeich­nung des Ur­teils, ge­gen das die Be­ru­fung ge­rich­tet wird, so­wie die Erklärung ent­hal­ten, dass Be­ru­fung ge­gen die­ses Ur­teil ein­ge­legt wer­de.

Die Be­ru­fung ist gleich­zei­tig oder in­ner­halb

ei­ner Frist von zwei

Mo­na­ten in glei­cher Form schrift­lich zu be­gründen.

Der Schrift­form wird auch durch Ein­rei­chung ei­nes elek­tro­ni­schen Do­ku­ments im Sin­ne des § 46 c ArbGG genügt. Nähe­re In­for­ma­tio­nen da­zu fin­den sich auf der In­ter­net­sei­te un­ter www.ber­lin.de/erv.

Bei­de Fris­ten be­gin­nen mit der Zu­stel­lung des in vollständi­ger Form ab­ge­setz­ten Ur­teils, spätes­tens aber mit Ab­lauf von fünf Mo­na­ten nach der Verkündung.

Da­bei ist zu be­ach­ten, dass das Ur­teil mit der Ein­le­gung in den Brief­kas­ten oder ei­ner ähn­li­chen Vor­rich­tung für den Pos­t­emp­fang als zu­ge­stellt gilt. Dies gilt nicht bei Zu­stel­lun­gen ge­gen Emp­fangs­be­kennt­nis gemäß § 174 ZPO.

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Wird bei der Par­tei ei­ne schrift­li­che Mit­tei­lung ab­ge­ge­ben, dass das Ur­teil auf der Geschäfts­stel­le ei­nes Amts­ge­richts oder ei­ner von der Post be­stimm­ten Stel­le nie­der­ge­legt ist, gilt das Schriftstück mit der Ab­ga­be der schrift­li­chen Mit­tei­lung als zu­ge­stellt, al­so nicht erst mit der Ab­ho­lung der Sen­dung. Das Zu­stel­lungs­da­tum ist auf dem Um­schlag der Sen­dung ver­merkt.

Für das be­klag­te Land ist kei­ne Be­ru­fung ge­ge­ben.

Von der Be­gründungs­schrift wer­den zwei zusätz­li­che Ab­schrif­ten zur Un­ter­rich­tung der eh­ren­amt­li­chen Rich­ter er­be­ten.

 


gez. D.

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