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ARBEITSRECHT AKTUELL // 10/119

Re­li­giö­se Über­zeu­gung vs. Wei­sungs­recht

Müs­sen Zeu­gen Je­ho­vas Fas­nachts­fei­ern or­ga­ni­sie­ren?: Ar­beits­ge­richt Frei­burg, Ur­teil vom 14.01.2010, 13 Ca 331/09
Nonne - Religion Aus­schank al­ko­ho­li­scher Ge­trän­ke als Glau­bens­kon­flikt?
22.06.2010. In­ner­halb des (ar­beits- bzw. ta­rif-)ver­trag­li­chen Rah­mens darf der Ar­beit­ge­ber dem Ar­beit­neh­mer Wei­sun­gen hin­sicht­lich Zeit, Ort und In­halt der Tä­tig­keit er­tei­len, muss da­bei je­doch nach "bil­li­gem Er­mes­sen" auch die In­ter­es­sen des Ar­beit­neh­mers be­rück­sich­ti­gen.

Pro­ble­me er­ge­ben sich, wenn Wei­sun­gen des Ar­beit­ge­bers ge­gen re­li­giö­se oder an­de­re Grund­über­zeu­gun­gen des Ar­beit­neh­mers ver­sto­ßen. Frag­lich ist, ob bzw. un­ter wel­chen Vor­aus­set­zun­gen der Ar­beit­neh­mer der Wei­sung des Ar­beit­ge­bers den­noch Fol­ge leis­ten muss. Da­mit be­fasst sich ein in­ter­es­san­tes Ur­teil des Ar­beits­ge­richts (ArbG) Frei­burg: ArbG Frei­burg, Ur­teil vom 14.01.2010, 13 Ca 331/09.

Wei­sungs­recht des Ar­beit­ge­bers

In­ner­halb der ver­trag­li­chen, be­triebs­ver­fas­sungs­recht­li­chen, ta­rif­li­chen und ge­setz­li­chen Gren­zen können Ar­beit­ge­ber den In­halt, den Ort und die Zeit der Ar­beits­leis­tung ih­rer Ar­beit­neh­mer be­stim­men, §§ 6 Abs.2, 106 Satz 1 Ge­wer­be­ord­nung (Ge­wO). Die­ses Wei­sungs- bzw. Di­rek­ti­ons­recht ermöglicht fle­xi­ble Ent­schei­dun­gen, steht aber un­ter dem all­ge­mei­nen Vor­be­halt, dass die Wei­sung "bil­li­gem Er­mes­sen" ent­spre­chen muss. Ar­beit­ge­ber müssen al­so auf die Be­lan­ge ih­rer Ar­beit­neh­mer Rück­sicht neh­men.

Ar­beit­neh­mer sind ver­pflich­tet, rechtmäßigen Wei­sun­gen Fol­ge zu leis­ten, ein Ver­s­toß kann zu ar­beits­recht­li­chen Fol­gen wie Ab­mah­nung und (ver­hal­tens­be­ding­ter) Kündi­gung führen. In letz­ter Zeit meh­ren sich in die­sem Zu­sam­men­hang Fälle, in de­nen Wei­sun­gen aus Ge­wis­sens­gründen nicht be­folgt wer­den. Stets stellt sich hier die Fra­ge, ob die Glau­bens- und Ge­wis­sens­frei­heit (Art. 4 Abs.1 Grund­ge­setz - GG) des Ar­beit­neh­mers hier schwe­rer wiegt als die Be­rufs­frei­heit (Art. 12 Abs.1 GG) des Ar­beit­ge­bers.

Maßgeb­li­che Kri­te­ri­en sind da­bei ins­be­son­de­re die Fra­ge, ob der Ar­beit­neh­mer an­der­wei­tig ein­ge­setzt wer­den kann, ob der Ar­beit­neh­mer bei Ver­trags­schluss wuss­te, dass ihn glau­bens- oder ge­wis­sens­be­las­ten­de Auf­ga­ben er­war­ten und wie ähn­lich das an­ge­wie­se­ne Ver­hal­ten dem durch Glau­ben oder Ge­wis­sen ver­bo­te­nen Ver­hal­ten ist.

Während der Be­rufs­aus­bil­dung gilt nichts an­de­res. Auch Aus­zu­bil­den­de müssen wie Ar­beit­neh­mer Wei­sun­gen be­fol­gen (vgl. § 13 Satz 2 Nr.1, 3 Be­rufs­aus­bil­dungs­ge­setz - BBiG).

In ei­nem kürz­lich ent­schie­de­nen Fall hat­te das Ar­beits­ge­richt (ArbG) Frei­burg zu ent­schei­den, ob ei­ne Aus­zu­bil­den­de, die ei­ner Wei­sung aus re­li­giösen Gründen nicht nach­kam, des­we­gen ab­ge­mahnt wer­den durf­te (ArbG Frei­burg, Ur­teil vom 14.01.2010, 13 Ca 331/09).

Der Fall des Ar­beits­ge­richts Frei­burg: Zeu­gin Je­ho­vas wei­gert sich, an Fas­nachts­vor­be­rei­tung teil­zu­neh­men

Die Kläge­rin, prak­ti­zie­ren­de „Zeu­gin Je­ho­vas“, be­gehr­te die Ent­fer­nung ei­ner Ab­mah­nung aus ih­rer Per­so­nal­ak­te. Sie war Aus­zu­bil­den­de zur Ver­wal­tungs­fach­an­ge­stell­ten bei der be­klag­ten Stadt, die ih­rer­seits seit Jahr­hun­der­ten ei­ne Hoch­burg der schwäbisch-al­le­ma­ni­schen Fas­nacht ist.

Vor Be­ginn der Aus­bil­dung hat­te sie der Kläge­rin mit­ge­teilt, zur Aus­bil­dung gehöre un­ter an­de­rem, die alljähr­li­chen Fei­er­lich­kei­ten der Stadt zur Fas­nacht mit vor­zu­be­rei­ten. Als die Fei­er­lich­kei­ten im Fe­bru­ar 2009 vor der Tür stan­den, herrsch­te bei der Be­klag­ten per­so­nel­ler Not­stand, letzt­lich stand ne­ben der Kläge­rin nur ei­ne Mit­aus­zu­bil­den­de für die Vor­be­rei­tun­gen zur Verfügung.

Die Kläge­rin ver­wei­ger­te trotz ent­spre­chen­der Wei­sung die Teil­nah­me. Sie woll­te we­der bei der Su­che nach ei­nem Mot­to für die Ver­an­stal­tung, noch bei der De­ko­ra­ti­on des Rat­hau­ses und erst recht nicht bei der Or­ga­ni­sa­ti­on des Ge­tränke­aus­schanks hel­fen. Die Be­klag­te mahn­te sie dar­auf­hin we­gen Ver­s­toßes ge­gen ih­re Pflich­ten als Aus­zu­bil­den­de ab.

Die Kläge­rin be­gehr­te dar­auf­hin vor dem Ar­beits­ge­richt Frei­burg die Ent­fer­nung der Ab­mah­nung aus der Per­so­nal­ak­te und schil­der­te ausführ­lich ih­ren Ge­wis­sens­kon­flikt. Sie zi­tier­te die Ga­la­ter­brie­fe, wel­che Hu­re­rei, zügel­lo­sen Wan­del, Spi­ri­tis­mus, Trink­ge­la­ge und Schwel­ge­rei­en als Teu­fels­werk an­pran­gern, mach­te die Leh­ren Au­gus­tins gel­tend, nach der die Fas­nacht Teu­fels­staat, die Fas­ten­zeit Got­tes­staat sei. Ins­be­son­de­re das letzt­lich ge­fun­de­ne Mot­to: „Vam­pi­re, Geis­ter, Teu­fel und Hölle“ ha­be sie, die an die rea­le Exis­tenz des Teu­fels glau­be, zu­tiefst erschüttert.

Ar­beits­ge­richt Frei­burg: Wei­sun­gen hätten be­folgt wer­den müssen. Ab­mah­nung rechtmäßig

Das Ar­beits­ge­richt wies die Kla­ge ab. Die Ab­mah­nung sei rechtmäßig.

Den Schwer­punkt sei­ner Be­gründung leg­te das Ge­richt da­bei auf die Fra­ge, ob die Be­klag­te die Gren­zen "bil­li­gen Er­mes­sen" im Sin­ne des § 106 Ge­wO ge­wahrt hat­te und wog das In­ter­es­se der Be­klag­ten an ei­nem rei­bungs­lo­sen Be­triebs­ab­lauf ge­gen das In­ter­es­se der Kläge­rin an der Wah­rung ih­rer Glau­bens­frei­heit ge­gen­ein­an­der ab.

Die­se Abwägung ging zu Las­ten der Kläge­rin aus, da die­se be­reits zu Be­ginn ih­rer Aus­bil­dung aus­drück­lich dar­auf hin­ge­wie­sen wor­den war, dass Or­ga­ni­sa­ti­ons­ar­bei­ten für die Fas­nacht zu ih­ren Auf­ga­ben gehören würden.

Das Ar­beits­ge­richt mein­te, bei dem von der Kläge­rin ge­schil­der­ten Ge­wis­sens­kon­flikt in Be­zug auf Tätig­kei­ten, die auch nur im Ent­fern­tes­ten mit Fas­nacht zu tun ha­ben, wäre es ih­re Ver­pflich­tung ge­we­sen, die Be­klag­te hier­auf hin­zu­wei­sen. Da­her könne we­gen der Vor­her­seh­bar­keit und des feh­len­den Hin­wei­ses an die Be­klag­te der Kläge­rin mehr ab­ver­langt wer­den, als wenn die Auf­ga­be für sie völlig über­ra­schend ge­we­sen wäre.

Zu Las­ten der Kläge­rin berück­sich­tig­te das Ge­richt auch, dass die ih­re Ge­wis­sens­frei­heit be­las­ten­den Auf­ga­ben nur ein­mal im Jahr an­fie­len und nur mit­tel­ba­ren Be­zug zur Fas­nacht hat­ten, d.h. ins­be­son­de­re kei­ne un­mit­tel­ba­re Teil­nah­me er­for­der­lich war.

Das Ur­teil zeigt: Für die tägli­che Pra­xis ist es aus Ar­beit­ge­ber­sicht sinn­voll, von An­fang an Kon­flikt­po­ten­tia­le durch Aufklärung zu ver­mei­den. Ar­beit­neh­mer wie­der­um sind ge­zwun­gen, sich schon bei Be­ginn des Ar­beits­verhält­nis­ses darüber Ge­dan­ken zu ma­chen, ob die zu er­war­ten­den Auf­ga­ben und da­mit der Ar­beits­platz see­lisch-mo­ra­lisch ver­tret­bar sind - ei­ne an­ge­sichts der an­ge­spann­ten Ar­beits­markt­la­ge durch­aus be­denk­li­che Kon­se­quenz aus der Recht­spre­chung der Ar­beits­ge­rich­te.

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Letzte Überarbeitung: 1. Mai 2019

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