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Kopftuchverbot an Berliner Schulen
10.02.2017. Kann das Land Berlin von einer muslimischen Lehrerin, die sich um eine Stelle an einer Grundschule bewirbt, unter Berufung auf das Berliner Neutralitätsgesetz verlangen, während des Dienstes kein Kopftuch zu tragen?
Und kann das Land Berlin dementsprechend eine muslimische Bewerberin bei einer Einstellungsentscheidung ablehnen, weil sie sich weigert, ihr Kopftuch während des Unterrichts abzulegen?
Um diese Fragen geht es in der Entscheidung des Landesarbeitsgerichts (LAG) Berlin-Brandenburg vom gestrigen Donnerstag: LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 09.02.2017, 14 Sa 1038/16 (Pressemeldung des Gerichts).
- Streit um das Berliner Neutralitätsgesetz
- Abgelehnte Bewerberin verklagt das Land Berlin auf Diskriminierungsentschädigung
- Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg verurteilt das Land Berlin zur Zahlung einer Entschädigung an die abgelehnte muslimische Bewerberin
Streit um das Berliner Neutralitätsgesetz
Im Allgemeinen darf der Staat als Arbeitgeber seinen muslimischen Arbeitnehmerinnen nicht verbieten, während der Arbeit ein Kopftuch zu tragen. Denn das Kopftuch ist Ausdruck des muslimischen Glaubens, und daher können sich muslimische Arbeitnehmerinnen auf ihre Religionsfreiheit bzw. auf Art.4 Abs.1 Grundgesetz (GG) berufen.
Bis zu einer Grundsatzentscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom Januar 2015 (BVerfG, Beschluss vom 27.01.2015, 1 BvR 471/10 und 1 BvR 1181/10) konnte der Staat allerdings im Ausnahmefall doch ein "Kopftuchverbot" verhängen, nämlich dann, wenn er ein Gesetz erlässt, das alle Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen während des Dienstes zu religiöser Neutralität verpflichtet. Diese Ausnahme hat das BVerfG mit seinem o.g. Beschluss vom 27.01.2015 (1 BvR 471/10 und 1 BvR 1181/10) weitgehend beseitigt.
Denn in dieser Entscheidung haben die Karlsruher Richter deutlich gemacht, dass ein allgemeines Verbot religiöser Symbole im Schuldienst ein zu weitgehender Eingriff in die Glaubensfreiheit muslimischer Lehrerinnen ist (wir berichteten in Arbeitsrecht aktuell: 15/068 Karlsruhe kippt Kopftuchverbot an Schulen). Nur dann, wenn in bestimmten Schulen oder Schulbezirken so heftig über kopftuchtragende Lehrerinnen gestritten wird, dass der "Schulfriede" dadurch gefährdet oder gestört wird, kann ein Kopftuchverbot an bestimmten Schulen oder in bestimmten Schulbezirken rechtens sein, so die Karlsruher Richter (Beschluss vom 27.01.2015, 1 BvR 471/10 und 1 BvR 1181/10, S.23).
Vor dem Hintergrund dieser aktuellen Rechtsprechung des BVerfG ist das Berliner Neutralitätsgesetz (das "Gesetz zu Artikel 29 der Verfassung von Berlin") juristisch umstritten. Denn in seinem § 2 heißt es:
"Lehrkräfte und andere Beschäftigte mit pädagogischem Auftrag in den öffentlichen Schulen nach dem Schulgesetz dürfen innerhalb des Dienstes keine sichtbaren religiösen oder weltanschaulichen Symbole, die für die Betrachterin oder den Betrachter eine Zugehörigkeit zu einer bestimmten Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaft demonstrieren, und keine auffallenden religiös oder weltanschaulich geprägten Kleidungsstücke tragen. Dies gilt nicht für die Erteilung von Religions- und Weltanschauungsunterricht."
Laut einem Gutachten des Wissenschaftlichen Parlamentsdienstes des Berliner Abgeordnetenhauses vom Sommer 2015 verstößt diese Regelung unter Berücksichtigung der o.g. BVerfG-Entscheidung gegen die Glaubensfreiheit (Art.4 Abs.1 GG) muslimischer Lehrerinnen, die aus Glaubensgründen darauf bestehen, im Unterricht ein Kopftuch zu tragen. Denn das Verbot religiöser Symbole enthält keine Einschränkung für die Fälle, in denen der Schulfriede durch Streitigkeiten über die "Kopftuchfrage" ernsthaft gefährdet oder gestört wird.
Abgelehnte Bewerberin verklagt das Land Berlin auf Diskriminierungsentschädigung
Im Streitfall hatte das Land Berlin unter Berufung auf § 2 des Berliner Neutralitätsgesetzes die Bewerbung einer Grundschullehrerin abgelehnt, weil sie auch während des Unterrichts ein Kopftuch tragen wollte.
Das bewertete die abgelehnte Bewerberin als verbotene Diskriminierung wegen ihrer Religion gemäß § 7 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG). Sie klagte daher auf Zahlung einer Geldentschädigung gemäß § 15 AGG.
In der ersten Instanz vor dem Arbeitsgericht Berlin hatte sie mit ihrer Klage keinen Erfolg (Arbeitsgericht Berlin, Urteil vom 14.04.2016, 58 Ca 13376/15, wir berichteten in Arbeitsrecht aktuell: 16/125 Diskriminierung wegen Kopftuchs in Berlin?). Denn nach Ansicht der Berliner Richter behandelt das Neutralitätsgesetz alle Religionen gleich und unterscheidet sich damit erheblich von der Regelung des Landes Nordrhein-Westfalen (NRW), über die das BVerfG in seinem Beschluss vom 27.01.2015 (1 BvR 471/10 und 1 BvR 1181/10) entschieden hatte (Arbeitsgericht Berlin, Pressemitteilung Nr. 18/16 vom 14.04.2016).
Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg verurteilt das Land Berlin zur Zahlung einer Entschädigung an die abgelehnte muslimische Bewerberin
Anders als das Arbeitsgericht Berlin gab das LAG Berlin-Brandenburg gestern der Bewerberin recht und verurteilte das Land Berlin zur Zahlung einer Geldentschädigung in Höhe von zwei Monatsgehältern (8.680,00 EUR), entsprechend der Vergütung für die Lehrerstelle. In der derzeit allein vorliegenden Pressemeldung des LAG heißt es zur Begründung:
Da die Ablehnung mit der Weigerung der Bewerberin zusammenhing, ihr Kopftuch während des Unterrichts abzulegen, lag hier Diskriminierung aus Gründen der Religion vor, d.h. eine verbotene Benachteiligung im Sinne von § 7 AGG, so das LAG. Die Berufung auf § 2 des Neutralitätsgesetzes half dem verklagten Land nicht, denn diese Vorschrift muss nach Ansicht des LAG so "ausgelegt" werden, wie sich dies aus der o.g. Grundsatzentscheidung des BVerfG ergibt (Beschluss vom 27.01.2015, 1 BvR 471/10 und 1 BvR 1181/10). Demzufolge hätte das Land Berlin laut LAG darlegen müssen, dass von dem Kopftuch eine konkrete Gefährdung ausgehe. Einen solchen Nachweis konnte das Land aber nicht führen.
Fazit: Da das LAG die Revision zum Bundesarbeitsgericht (BAG) zugelassen hat, wird sich voraussichtlich demnächst das höchste deutsche Arbeitsgericht mit dem Fall befassen. Möglicherweise kommt das BAG zu dem Ergebnis, dass eine einschränkende verfassungskonforme "Auslegung" von § 2 Neutralitätsgesetz nicht möglich ist. Dann müsste das BAG dem BVerfG die Frage vorlegen, ob § 2 Neutralitätsgesetz mit der Verfassung zu vereinbaren ist.
Nähere Informationen finden Sie hier:
- Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 09.02.2017, 14 Sa 1038/16 (Pressemeldung des Gerichts)
- Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 09.02.2017, 14 Sa 1038/16
- Arbeitsgericht Berlin, Urteil vom 14.04.2016, 58 Ca 13376/15
- Arbeitsgericht Berlin, Pressemitteilung Nr. 18/16 vom 14.04.2016: Arbeitsgericht weist Entschädigungsklage einer Bewerberin mit Kopftuch als Lehrerin des Landes Berlin ab
- Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 27.01.2015, 1 BvR 471/10 und 1 BvR 1181/10
- Bundesverfassungsgericht, Urteil vom 24.09.2003, 2 BvR 1436/02
- Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 24.09.2014, 5 AZR 611/12 (Kopftuchverbot in evangelischem Krankenhaus)
- Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 20.08.2009, 2 AZR 499/08 (Abmahnung wegen islamischer Baskenmütze - Schule)
- Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 10.12.2009, 2 AZR 55/09 (Kündigung wegen islamischen Kopftuchs - Schule)
- Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 10.10.2002, 2 AZR 472/01 (Kündigung wegen islamischen Kopftuchs - Kaufhaus)
- Gutachten des Wissenschaftlichen Parlamentsdienstes des Berliner Abgeordnetenhauses, vom 25.06.2015, zu den Auswirkungen der "Kopftuch-Entscheidung" des BVerfG
- Handbuch Arbeitsrecht: Diskriminierungsverbote - Religion oder Weltanschauung
- Handbuch Arbeitsrecht: Gleichbehandlungsgrundsatz
- Handbuch Arbeitsrecht: Weisungsrecht
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- Arbeitsrecht aktuell: 02/05 Kopftuch ist kein Kündigungsgrund
Hinweis: In der Zwischenzeit, d.h. nach Erstellung dieses Artikels, hat das LAG seine Entscheidungsgründe veröffentlicht. Das vollständig begründete Urteil des LAG finden Sie hier:
Letzte Überarbeitung: 28. Juni 2020
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