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ARBEITSRECHT AKTUELL // 14/326

Kopf­tuch am Ar­beits­platz

Christ­li­che Ein­rich­tun­gen kön­nen mos­le­mi­schen Ar­beit­neh­me­rin­nen das Tra­gen ei­nes Kopf­tuchs ver­bie­ten: Bun­des­ar­beits­ge­richt, Ur­teil vom 24.09.2014, 5 AZR 611/12
Schaufensterpuppen mit Kopftuch Funk­tio­niert Kran­ken­pfle­ge nur oh­ne Kopf­tuch?

24.09.2014. Vie­le Mos­le­min­nen füh­len sich aus re­li­giö­sen Grün­den da­zu ver­pflich­tet, ein Kopf­tuch zu tra­gen, und zwar auch am Ar­beits­platz.

Das möch­te aber nicht je­der Ar­beit­ge­ber ak­zep­tie­ren. Vor al­lem christ­lich ge­bun­de­ne Ar­beit­ge­ber, d.h. Ein­rich­tun­gen der evan­ge­li­schen Dia­ko­nie und der ka­tho­li­schen Ca­ri­tas, wol­len in ih­ren Häu­sern Sym­bo­le an­de­rer Be­kennt­nis­se nicht dul­den.

Das müs­sen sie auch nicht, wie das Bun­des­ar­beits­ge­richt (BAG) heu­te ent­schie­den hat: BAG, Ur­teil vom 24.09.2014, 5 AZR 611/12.

Was geht vor - die Re­li­gi­ons­frei­heit ei­ner mos­le­mi­schen Ar­beit­neh­me­rin oder das Selbst­be­stim­mungs­recht christ­li­cher Kir­chen und ih­rer Ein­rich­tun­gen?

Ar­beit­ge­ber können Ar­beit­neh­mern auf­grund ih­res Wei­sungs­recht nach Er­mes­sen Ar­beits­auf­ga­ben zu­wei­sen und auch Vor­ga­ben zur Be­klei­dung während der Ar­beit ma­chen (§ 106 Satz 1 Ge­wer­be­ord­nung - Ge­wO). Al­ler­dings müssen sie da­bei die be­rech­tig­ten Be­lan­ge des be­trof­fe­nen Ar­beit­neh­mers berück­sich­ti­gen ("bil­li­ges Er­mes­sen").

Zu die­sen für Ar­beit­neh­mer wich­ti­gen Be­lan­gen gehören auch re­li­giöse Über­zeu­gun­gen, die durch das Grund­ge­setz (GG) geschützt sind, nämlich durch Art.4 Abs.1 GG. Ar­beit­ge­ber können da­her mos­le­mi­schen Ar­beit­neh­me­rin­nen im All­ge­mei­nen nicht ver­bie­ten, während der Ar­beit ein Kopf­tuch zu tra­gen, denn da­mit be­folgt die Ar­beit­neh­me­rin ein aus ih­rer Sicht gel­ten­des re­li­giöses Ge­bot.

Da­her hat das BAG be­reits im Jah­re 2002 ent­schie­den, dass ein re­li­giös nicht ge­bun­de­ner Ar­beit­ge­ber wie zum Bei­spiel ein Kauf­haus ei­ner Ar­beit­neh­mer nicht kündi­gen kann, weil sie sich wei­gert, während ih­rer Ver­kaufstätig­keit ein Kopf­tuch zu tra­gen (wir be­rich­te­ten in Ar­beits­recht ak­tu­ell: 02/05 Kopf­tuch ist kein Kündi­gungs­grund).

An­ders ist die Rechts­la­ge al­ler­dings, wenn auch dem Ar­beit­ge­ber die Re­li­gi­on nicht gleichgültig ist, d.h. wenn er sei­nen Be­trieb aus re­li­giösen Gründen be­treibt. Das gilt vor al­lem für die ka­ri­ta­ti­ven Ein­rich­tun­gen der bei­den großen christ­li­chen Kir­chen, d.h. die Ein­rich­tun­gen der evan­ge­li­schen Dia­ko­nie und der ka­tho­li­schen Ca­ri­tas.

Sie ver­pflich­ten ih­re Ar­beit­neh­mer bei Ver­trags­schluss auf die Be­ach­tung christ­li­cher Zie­le und Re­geln der All­tags­mo­ral. Wer als Ar­beit­neh­mer ge­gen die­se Pflich­ten verstößt, ris­kiert je nach La­ge des Fal­les ei­ne Ab­mah­nung oder so­gar ei­ne Kündi­gung. Denn die Kir­chen können sich bei der Aus­ge­stal­tung des "Kir­chen­ar­beits­rechts" auf die Re­li­gi­ons­frei­heit und ihr ver­fas­sungs­recht­lich verbürg­tes Selbst­be­stim­mungs­recht be­ru­fen, d.h. auf Art.140 GG in Ver­bin­dung mit Art. 137 Wei­ma­rer Reichs­ver­fas­sung (WRV). Da­nach können die Kir­chen ih­re An­ge­le­gen­hei­ten selbständig ord­nen und ih­re Ämter oh­ne Mit­wir­kung des Staa­tes ver­lei­hen.

Da es al­ler­dings im­mer we­ni­ger be­ken­nen­de Chris­ten gibt, ha­ben es kirch­li­che Ar­beit­ge­ber schwer, die Idee ei­ner christ­li­chen Dienst­ge­mein­schaft zu ver­wirk­li­chen. Je­den­falls sind sie ge­zwun­gen, auch Athe­is­ten oder An­dersgläubi­ge ein­zu­stel­len und da­mit in ih­re "Dienst­ge­mein­schaf­ten" auf­zu­neh­men.

Da­her fragt sich, ob ein christ­li­ches Kran­ken­haus ei­ner mos­le­mi­schen Kran­ken­schwes­ter ver­bie­ten kann, während der Ar­beit ei­ne Kopf­tuch zu tra­gen und sich da­mit zum mos­le­mi­schen Glau­ben zu be­ken­nen.

Der Fall des BAG: Kran­ken­schwes­ter ei­nes evan­ge­li­schen Kran­ken­hau­ses möch­te mit Kopf­tuch ar­bei­ten, doch der Ar­beit­ge­ber spielt nicht mit

Ei­ne mos­le­mi­sche Kran­ken­schwes­ter war seit Fe­bru­ar 2000 bei ei­nem Kran­ken­haus mit evan­ge­li­scher Träger­schaft beschäftigt und hat­te sich da­her ar­beits­ver­trag­lich ver­pflich­tet, die im Be­reich der evan­ge­li­schen Kir­che gel­ten­den ar­beits­recht­li­chen Re­geln zu be­fol­gen.

Von En­de März 2006 bis En­de Ja­nu­ar 2009 war sie in El­tern­zeit, da­nach ar­beits­unfähig krank. Nach über ei­nem Jahr, im April 2010, kam sie auf den Ar­beit­ge­ber zu und bot ihm schrift­lich ih­re Ar­beits­leis­tung an. Da­bei teil­te sie mit, dass sie aus re­li­giösen Gründen während der Ar­beit ein Kopf­tuch tra­gen wol­le. Das Kran­ken­haus nahm die Ar­beits­leis­tung dar­auf­hin nicht an und zahl­te auch kei­nen Lohn.

Die Kran­ken­schwes­ter zog vor das Ar­beits­ge­richt Bo­chum und klag­te ih­ren Lohn für die Zeit von En­de Au­gust 2010 bis En­de Ja­nu­ar 2011 ein, im­mer­hin 15.314,16 EUR. Das Ar­beits­ge­richt Bo­chum gab ihr Recht, weil es der An­sicht war, die Kran­ken­schwes­ter hätte ih­re Ar­beits­leis­tung ord­nungs­gemäß an­ge­bo­ten, so dass der Ar­beit­ge­ber im An­nah­me­ver­zug war und da­her gemäß § 615 Satz 1 Bürger­li­ches Ge­setz­buch (BGB) den Lohn trotz un­ter­blie­be­ner Ar­beits­leis­tung zah­len müsse (Ur­teil vom 31.03.2011, 3 Ca 2843/10).

Das Lan­des­ar­beits­ge­richt (LAG) Hamm als Be­ru­fungs­ge­richt ent­schied an­ders­her­um und wies die Kla­ge ab (LAG Hamm, Ur­teil vom 17.02.2012, 18 Sa 867/11). Sei­ner Mei­nung nach war die Vor­ga­be des Kran­ken­hau­ses, während der Ar­beit kein Kopf­tuch zu tra­gen, von den kir­chen­recht­li­chen Re­ge­lun­gen ge­deckt, und die­se Re­ge­lun­gen wie­der­um wa­ren auf­grund des Selbst­be­stim­mungs­rechts der Kir­chen wirk­sam bzw. zu be­ach­ten. Nach die­sen Re­ge­lun­gen müssen nicht­christ­li­che Ar­beit­neh­mer zwar nicht das Chris­ten­tum ver­tre­ten, sich aber ihm ge­genüber neu­tral ver­hal­ten.

BAG: Kirch­li­che Ein­rich­tun­gen können ih­ren Ar­beit­neh­me­rin­nen "re­gelmäßig" das Tra­gen ei­nes is­la­mi­schen Kopf­tuchs ver­bie­ten

Das BAG schloss sich der Mei­nung des LAG an und stell­te in sei­ner Pres­se­mel­dung her­aus, dass kirch­li­che Ar­beit­ge­ber ih­ren Ar­beit­neh­me­rin­nen "re­gelmäßig" das Tra­gen ei­nes is­la­mi­schen Kopf­tuchs ver­bie­ten können.

Denn wer als Ar­beit­neh­mer ei­ner christ­li­chen Ein­rich­tung ein Kopf­tuch als Sym­bol der Zu­gehörig­keit zum is­la­mi­schen Glau­ben trägt und da­mit ei­ne vom Chris­ten­tum ab­wei­chen­de Re­li­gi­ons­zu­gehörig­keit kund­gibt, verstößt im All­ge­mei­nen ge­gen sei­ne ar­beits­ver­trag­li­che Ver­pflich­tung, sich ge­genüber der Re­li­gi­on sei­nes Ar­beit­ge­bers neu­tral zu ver­hal­ten, so das BAG.

Ob­wohl die Er­fur­ter Rich­ter da­mit die Rechts­an­sich­ten der Kran­ken­schwes­ter zurück­ge­wie­sen ha­ben, ho­ben sie das Ur­teil des LAG Hamm trotz­dem auf und ver­wie­sen den Rechts­streit an das LAG zurück.

Denn nach An­sicht des BAG muss­te noch geklärt wer­den, ob der Ar­beit­ge­ber hier im Streit­fall "der Evan­ge­li­schen Kir­che in­sti­tu­tio­nell zu­ge­ord­net ist". Da­zu müss­te die Kir­che ei­nen be­stim­men­den Ein­fluss auf die Ent­schei­dun­gen des Kran­ken­haus­trägers ha­ben, und ob das der Fall ist oder nicht, hat LAG jetzt auf­zuklären.

Da­mit schließt das BAG an sei­ne Recht­spre­chung zum An­wen­dungs­be­reich des Be­triebs­ver­fas­sungs­ge­set­zes (Be­trVG) an, der zu­fol­ge die nur for­ma­le Mit­glied­schaft ei­nes Ar­beit­ge­bers im Dia­ko­ni­schen Werk noch kei­ne aus­rei­chen­de "in­sti­tu­tio­nel­le Ver­bin­dung" von Kir­che und Ar­beit­ge­ber dar­stellt, um den Ar­beit­ge­ber bzw. sei­nen Be­trieb gemäß § 118 Abs.2 Be­trVG von der be­trieb­li­chen Mit­be­stim­mung aus­zu­neh­men (wir be­rich­te­ten in Ar­beits­recht ak­tu­ell: 09/078 Be­triebsräte bei Mit­glie­dern des Dia­ko­ni­schen Wer­kes).

Außer­dem hat­te die Kran­ken­schwes­ter nach lan­ger Krank­heit an­ge­bo­ten, ih­re Ar­beit auf der Grund­la­ge ei­nes vom be­han­deln­den Arzt er­stell­ten Wie­der­ein­glie­de­rungs­plans auf­zu­neh­men, und da­her war nicht klar, ob sie ge­sund­heit­lich über­haupt in der La­ge war zu ar­bei­ten. Auch das muss das LAG jetzt prüfen.

Fa­zit: An­ge­sichts der Gründe für die Auf­he­bung und Zurück­ver­wei­sung des LAG-Ur­teils sind die Aus­sa­gen des BAG zum Recht kirch­li­cher Ar­beit­ge­ber, Kopftücher am Ar­beits­platz zu ver­bie­ten, of­fen­bar nicht ent­schei­dungs­tra­gend. Trotz­dem war es den Er­fur­ter Rich­tern an­schei­nend wich­tig, hier ein­mal ei­nen Pflock ein­zu­schla­gen.

Bis auf wei­te­res ist da­mit geklärt, dass sym­bo­li­sche Be­kennt­nis­se zum mos­le­mi­schen Glau­ben bei der Ar­beit in ei­ner kirch­li­chen Ein­rich­tung ver­bo­ten sind bzw. vom Ar­beit­ge­ber un­ter­sagt wer­den können.

Nähe­re In­for­ma­tio­nen fin­den Sie hier:

Hin­weis: In der Zwi­schen­zeit, d.h. nach Er­stel­lung die­ses Ar­ti­kels, hat das BAG sei­ne Ent­schei­dungs­gründe veröffent­licht. Das vollständig be­gründe­te Ur­teil des BAG fin­den Sie hier:

Hin­weis: In der Zwi­schen­zeit, d.h. nach Er­stel­lung die­ses Ar­ti­kels, hat das das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt (BVerfG) die hier strei­ti­gen Fra­gen an­ders ent­schie­den, d.h. in dem Sin­ne, dass mus­li­mi­sche Leh­re­rin­nen und Er­zie­he­rin­nen in staat­li­chen Schu­len und Kin­dergärten ein Kopf­tuch tra­gen und auf die­se Wei­se ih­re Zu­gehörig­keit zum Is­lam zum Aus­druck brin­gen dürfen. Nähe­re In­for­ma­tio­nen zu dem Ur­teil des BVerfG fin­den Sie hier:

Letzte Überarbeitung: 7. Februar 2019

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