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Keine Bewerber-Diskriminierung bei Rechtsmissbrauch
05.04.2019. In den vergangenen Jahren hat die Rechtsprechung die Hürden deutlich abgesenkt, die abgelehnte Stellenbewerber nehmen müssen, wenn sie mit Aussicht auf Erfolg auf eine Diskriminierung-Entschädigung klagen wollen.
Denn zum einen können kirchliche Arbeitgeber nur noch in seltenen Fällen die "passende" Religion zur Einstellungsvoraussetzung erheben. Und zum anderen ist die objektive Eignung eines Bewerbers seit 2016 keine Voraussetzung mehr dafür, im Bewerbungsverfahren diskriminiert zu werden.
In einer aktuellen Entscheidung hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) einen anderen Akzent gesetzt und entschieden, dass provozierender Äußerungen in einem Bewerbungsschreiben ein ausreichender Beleg für eine rechtsmissbräuchliche Bewerbung sein können: BAG, Urteil vom 25.10.2018, 8 AZR 562/16
- Kann ein provozierendes Bewerbungsschreiben belegen, dass es der Bewerber auf eine Ablehnung abgesehen hat, um eine Diskriminierungsentschädigung zu kassieren?
- Nils Kratzer gg. diakonischen Verband
- BAG: Wer sich nur bewirbt, um eine Absage zu provozieren und danach eine Diskriminierungsentschädigung zu fordern, handelt missbräuchlich
Kann ein provozierendes Bewerbungsschreiben belegen, dass es der Bewerber auf eine Ablehnung abgesehen hat, um eine Diskriminierungsentschädigung zu kassieren?
Ungerechtfertigte Benachteiligungen (Diskriminierungen) eines Bewerbers wegen der religiösen oder weltanschaulichen Überzeugung sind bei der Stellenausschreibung und Stellenbesetzung nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) verboten. Das ergibt sich aus § 1 AGG in Verb. mit § 2 Abs.1 Nr.1, § 6 Abs.1 Satz 2 und § 7 Abs.1 AGG.
Dahinter stehen die Vorgaben der Richtlinie 2000/78/EG, an die kirchliche Arbeitgeber praktisch ebenso weitgehend wie andere Arbeitgeber gebunden sind. Das hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) vor einem Jahr in einem deutschen Fall (Egenberger) zugunsten der Arbeitnehmerseite und damit zulasten kirchlicher Arbeitgeber deutlich gemacht (EuGH, Urteil vom 17.04.2018, C-414/16 - Egenberger, wir berichteten in Arbeitsrecht aktuell: 18/096 Konfession als Voraussetzung der Einstellung?).
In der Konsequenz dieser Entscheidung ist nur noch (sehr) selten zulässig, dass kirchliche Arbeitgeber die zu ihnen "passende" Religion zur Einstellungsvoraussetzung erklären, wie das BAG in Umsetzung des Egenberger-Urteils des EuGH entschieden hat (BAG, Urteil vom 25.10.2018, 8 AZR 501/14, wir berichteten in Arbeitsrecht aktuell: 18/262 Kirchen dürfen von Bewerbern keine Religionszugehörigkeit verlangen).
Auf der anderen Seite hat der EuGH vor einigen Jahren seinen Segen dazu gegeben, dass Schein-Bewerber keine Diskriminierungs-Entschädigungen erhalten, d.h. missbräuchlich handelnde "Bewerber", die nicht an einer Arbeitsstelle interessiert sind, sondern Kasse machen wollen (EuGH, Urteil vom 28.07.2016, C-423/15 - Kratzer, wir berichteten in Arbeitsrecht aktuell: 16/243 Keine Entschädigung für Scheinbewerber). In diesem EuGH-Fall ging es um einen deutschen Rechtsanwalt, Nils Kratzer, der über Jahre hinweg in einer Vielzahl von Fällen nach erfolglosen Bewerbungen Ansprüche auf Diskriminierungs-Entschädigungen eingeklagt hatte.
Praktisch zeitgleich mit diesem für Arbeitgeber eher positiven EuGH-Urteil hat das BAG seine Rechtsprechung zu der Frage geändert, wann Bewerber überhaupt diskriminiert werden können: Weder die objektive Eignung, so das BAG 2016, noch die subjektive Ernsthaftigkeit der Bewerbung sind dafür erforderlich (BAG, Urteil vom 19.05.2016, 8 AZR 470/14, wir berichteten in Arbeitsrecht aktuell: 16/358 Diskriminierung und Eignung des Bewerbers). Seitdem müssen Arbeitgeber beweisen, dass abgelehnte Bewerber notwendige Qualifikationen nicht besitzen und dass eine Diskriminierung daher nicht ursächlich für die Ablehnung war.
Dieser bewerberfreundlichen Linie blieb das BAG treu, als es den vom EuGH beurteilten Vorlagefall Kratzer wieder auf dem Tisch hatte und über ihn entscheiden musste (BAG, Urteil vom 26.01.2017, 8 AZR 848/13 - Kratzer). Denn dieses Urteil stellt so hohe Anforderungen an den Nachweis einer missbräuchlichen Schein-Bewerbung, dass es schon fast als Ermutigung für "AGG-Hopper" angesehen werden kann.
Vor diesem Hintergrund würde man nicht erwarten, dass das BAG allein auf der Grundlage eines provozierenden Bewerbungsschreibens zu dem Ergebnis kommen würde, dass sich der Bewerber nur zum Schein beworben hat bzw. zu dem Zweck, eine Entschädigung zu erlangen.
Nils Kratzer gg. diakonischen Verband
In dem vom BAG entschiedenen Verfahren war wieder einmal Rechtsanwalt Kratzer in eigener Sache am Start. Diesmal hatte er sich bei einem diakonischen Dachverband beworben, der im Juli 2011 eine/n "Referentin/Referenten Arbeitsrecht“ suchte.
Voraussetzung war laut Stellenausschreibung die Zugehörigkeit zur Evangelischen Kirche oder einer Kirche der ACK, der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Deutschland, in der 17 christliche Glaubensgemeinschaften organisiert sind. Außerdem bezeichnete es die Stellenausschreibung als "wünschenswert", wenn die Bewerber "erste Berufserfahrungen (3 Jahre)" hätten.
Herr Kratzer verfasste ein Bewerbungsschreiben, in dem es auszugsweise hieß:
"Als Rechtsanwalt bin ich mittlerweile seit nahezu neun Jahren tätig und habe mich (...) mittlerweile auf das Arbeitsrecht spezialisiert. (…) Da ich mehrere Jahre hinweg als selbständiger Rechtsanwalt allein für den wirtschaftlichen Erfolg meines Büros verantwortlich war, verfüge ich über ein solides Maß an betriebswirtschaftlichen Kenntnissen. Derzeit gehöre ich aus finanziellen Gründen nicht der evangelischen Kirche an, jedoch kann ich mich mit den Glaubensgrundsätzen der evangelischen Kirche identifizieren, da ich lange Mitglied der evangelischen Kirche war."
Der diakonische Verband schloss das Verfahren ohne Einstellung eines Bewerbers ab und teilte Herrn Kratzer Anfang September 2011 mit, es sei eine "Personalentscheidung" über die Besetzung der Stelle getroffen worden und man bedaure, ihm keine positive Mitteilung machen zu können. Kurz darauf leitete der Verband ein neues Besetzungsverfahren ein.
Herr Kratzer forderte daraufhin unter Verweis auf § 15 Abs.1 und Abs.2 AGG zunächst eine Entschädigung und Schadensersatz in Höhe von vier Gehältern à 4.000,00 EUR. Da der Verband nicht zahlte, erhob er Klage vor dem Arbeitsgericht Halle, wo er zunächst 14.820,88 EUR verlangte und zuletzt eine Entschädigung von mindestens einer Monatsvergütung (3.705,22 EUR).
Das Arbeitsgericht (Urteil vom 12.03.2013, 6 Ca 275/12) und das Landesarbeitsgericht Sachsen-Anhalt (Urteil vom 05.11.2015, 3 Sa 405/13) wiesen die Klage ab.
BAG: Wer sich nur bewirbt, um eine Absage zu provozieren und danach eine Diskriminierungsentschädigung zu fordern, handelt missbräuchlich
Auch in Erfurt vor dem Achten Senat des BAG hat Herr Kratzer kein Glück. Das BAG wies seine Revision zurück.
Dabei beanstanden die Erfurter Richter zwar die Begründung, die das LAG für die Klagabweisung gegeben hatte, denn diese beruhte (im Jahre 2015) noch auf der Annahme, dass der hier verklagte kirchliche Arbeitgeber aufgrund des Selbstbestimmungsrechts der Kirchen zurecht die Mitgliedschaft in einer christlichen Kirche als Einstellungsvoraussetzung festgelegt hatte. Mit dieser Begründung konnte die Klage unter Berücksichtigung des EuGH-Urteils in Sachen Egenberger (C-414/16) selbstverständlich nicht abgewiesen werden.
An die Stelle dieser Begründung setzte das BAG eine andere, denn die Erfurter Richter halten Herrn Kratzer vor, Rechtsmissbrauch zu treiben und damit gegen das Gebot von Treu und Glauben (§ 242 Bürgerliches Gesetzbuch - BGB) zu verstoßen (Urteil, Rn.45). Denn missbräuchlich handelt, wer nicht die Stelle erhalten möchte, sondern nur die formale Position eines Bewerbers gemäß § 6 Abs.1 Satz 2 AGG, und zwar mit dem alleinigen Ziel, eine Entschädigung oder Schadensersatz nach § 15 Abs.1 und Abs.2 AGG zu ergattern (Urteil, Rn.46, 54).
Zum Beleg dafür, dass Herr Kratzer in diesem Sinne rechtsmissbräuchlich gehandelt hatte, genügt dem BAG allein das Bewerbungsschreiben. Daher konnte das BAG den Fall auch selbst abschließend entscheiden, d.h. eine Zurückverweisung an das LAG war nicht erforderlich.
Hier verweist das BAG auf die im Bewerbungsschreiben enthaltene, den kirchlichen Arbeitgeber brüskierende Mitteilung, dass der "Bewerber" nicht nur aus der evangelischen Kirche ausgetreten ist, sondern dies aus finanziellen Gründen getan hat. Dazu merkt das BAG weiterhin an (Urteil, Rn.58):
"In diesem Kontext wirkt die weitere Formulierung im Bewerbungsschreiben >kann ich mich mit den Glaubensgrundsätzen der evangelischen Kirche identifizieren< provozierend floskelhaft, wobei die Verwendung des Wortes >kann< zudem deutlich macht, wie gleichgültig der Kläger den Glaubensgrundsätzen der evangelischen Kirche gegenübersteht."
Fazit: Das BAG verwendet große Sorgfalt darauf, dass Bewerbungsschreiben auf die darin zum Ausdruck kommenden Absichten hin zu interpretieren.
Für künftige vergleichbare Fälle heißt das, dass die Arbeitsgerichte häufiger als bisher zu dem Ergebnis kommen können, dass der angeblich diskriminierte Stellenbewerber in Wahrheit nicht an der ausgeschriebenen Stelle interessiert war, sondern an einer Geldentschädigung.
Nähere Informationen finden sie hier:
- Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 25.10.2018, 8 AZR 562/16
- Landesarbeitsgericht Sachsen-Anhalt, Urteil vom 05.11.2015, 3 Sa 405/13
- Europäischer Gerichtshof, Urteil vom 17.04.2018, C-414/16 (Egenberger)
- Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 25.10.2018, 8 AZR 501/14 (Egenberger)
- BAG, Urteil vom 26.01.2017, 8 AZR 848/13 (Kratzer)
- Europäischer Gerichtshof, Urteil vom 28.07.2016, C-423/15 (Kratzer)
- Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 19.05.2016, 8 AZR 470/14
- Handbuch Arbeitsrecht: Diskriminierung - Rechte Betroffener
- Handbuch Arbeitsrecht: Diskriminierungsverbote - Alter
- Handbuch Arbeitsrecht: Diskriminierungsverbote - Religion oder Weltanschauung
- Arbeitsrecht aktuell: 18/262 Kirchen dürfen von Bewerbern keine Religionszugehörigkeit verlangen
- Arbeitsrecht aktuell: 18/112 Kurz vor dem Abschluss stehendes Studium als Stellenanforderung
- Arbeitsrecht aktuell: 18/096 Konfession als Voraussetzung der Einstellung?
- Arbeitsrecht aktuell: 16/358 Diskriminierung und Eignung des Bewerbers
- Arbeitsrecht aktuell: 16/243 Keine Entschädigung für Scheinbewerber
- Arbeitsrecht aktuell: 16/170 Schadensersatz bei geschlechtsbezogener Diskriminierung
- Arbeitsrecht aktuell: 14/153 AGG-Entschädigungsklage kann Rechtsmissbrauch sein
- Arbeitsrecht aktuell: 14/279 Stellenausschreibung für Berufsanfänger
- Arbeitsrecht aktuell: 14/059 Altersdiskriminierung durch Suche nach Berufseinsteigern
- Arbeitsrecht aktuell: 13/119 Beweislast für Diskriminierung bei der Einstellung
- Arbeitsrecht aktuell: 13/017 Stellenausschreibung für "Hochschulabsolventen / Young Professionals" diskriminiert ältere Bewerber
- Arbeitsrecht aktuell: 12/290 Diskriminierung bei der Bewerbung wegen des Alters
- Arbeitsrecht aktuell: 12/024 Diskriminierung bei der Bewerbung
Letzte Überarbeitung: 28. September 2021
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