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Keine Entschädigung für Scheinbewerber
02.08.2016. Es gibt nicht viele AGG-Hopper, aber es gibt sie: Schein-Bewerber, die sich auf eine Stellenanzeige nur "bewerben", um eine Absage zu erhalten.
Denn wenn die Stellenanzeige diskriminierend formuliert ist, stehen die Chancen für den abgelehnten "Bewerber" nicht schlecht, durch eine (missbräuchliche) Entschädigungsklage letztlich eine Geldentschädigung zu ergattern.
Vor einigen Tagen hat Europäische Gerichtshof (EuGH) klargestellt: Wer eine Bewerbung nur deshalb einreicht, um den Arbeitgeber später auf eine Geldentschädigung zu verklagen, kann sich nicht auf die EU-Richtlinien zum Schutz vor Diskriminierungen berufen: EuGH, Urteil vom 28.07.2016, C-423/15 (Nils Kratzer).
- Schutz durch die Richtlinie 2000/78/EG und die Richtlinie 2006/54/EG auch für Scheinbewerber?
- Der Streitfall: Rechtsanwalt Nils Kratzer gegen R+V Versicherungen
- EuGH: Ein Bewerber, der sich nur mit dem Ziel einer Entschädigung bewirbt, kann sich nicht auf die Richtlinien 2000/78/EG und 2006/54/EG berufen und handelt missbräuchlich
Schutz durch die Richtlinie 2000/78/EG und die Richtlinie 2006/54/EG auch für Scheinbewerber?
Nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) sind Diskriminierungen wegen des Alters, des Geschlechts oder der ethnischen Herkunft bei Stellenbesetzungen verboten. Das ergibt sich aus § 1 AGG in Verb. mit § 2 Abs.1 Nr.1, § 6 Abs.1 Satz 2 und § 7 Abs.1 AGG.
Arbeitgeber, die sich daran nicht halten und entgegen § 11 AGG eine diskriminierende Stellenanzeige aufgeben, müssen damit rechnen, von abgelehnten Bewerbern gemäß § 15 AGG auf Zahlung einer Geldentschädigung verklagt zu werden. Und da eine diskriminierende Stelleanzeige ("erfahrener Kraftfahrer", "junge Verkäuferin") ein Indiz dafür ist, dass ein abgelehnter Bewerber aus diskriminierenden Gründen abgelehnt wurde, haben solche Klagen gute Erfolgsaussichten.
AGG-Hopper machen daraus ein Geschäftsmodell: Sie sehen systematisch Stellenanzeigen daraufhin durch, ob sie diskriminierende Formulierungen enthalten, und wenn sie fündig geworden sind, bewerben sie sich flugs in der Hoffnung, abgelehnt zu werden. Denn dann gibt es Geld, nämlich ein bis drei Monatsgehälter.
Die Arbeitsgerichte haben auf diesen Missbrauch reagiert und die Doktrin entwickelt, dass nicht ernstgemeinte Bewerbungen treuwidrig sind. Im Ergebnis kann sich ein nicht ernsthafter Bewerber damit nicht auf § 6 Abs.1 Satz 2 AGG berufen. Diese Vorschrift stellt klar, dass als "Beschäftigte" im Sinne des AGG "auch die Bewerberinnen und Bewerber für ein Beschäftigungsverhältnis" gelten. Und wer sich nur "bewirbt", um abgelehnt zu werden und Geld kassieren zu können, ist eben letztlich kein "Bewerber" im Sinne dieser Vorschrift.
Allerdings stehen hinter den Vorschriften des AGG zwei EU-Richtlinien, nämlich die Richtlinie 2000/78/EG und die Richtlinie 2006/54/EG, und diese beiden Richtlinien sprechen nicht von Bewerbern. Vielmehr ist hier die Rede von einem diskriminierungsfreien "Zugang zu unselbständiger und selbständiger Erwerbstätigkeit" (Art.3 Abs.1 Buchstabe a) Richtlinie 2000/78/EG) und von dem für Männer und Frauen gleichen "Zugang zur Beschäftigung oder zu abhängiger oder selbständiger Erwerbstätigkeit" (Art.14 Abs.1 Buchstabe a) Richtlinie 2006/54/EG).
Es fragt sich daher, ob die Rechtsprechung der deutschen Arbeitsgerichte, die Scheinbewerbern den Schutz durch das AGG abspricht, mit den o.g. beiden Richtlinien vereinbar ist. Diese Frage hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) im letzten Sommer aufgeworfen und eine entsprechende Anfrage an den EuGH gerichtet: BAG, Beschluss vom 18.06.2015, 8 AZR 848/13 (A).
Vor einigen Tagen hat der Gerichtshof die Anfrage beantwortet.
Der Streitfall: Rechtsanwalt Nils Kratzer gegen R+V Versicherungen
Im Streitfall hatte der am 11.05.1973 geborene Münchner Anwalt Nils Kratzer die R+V Allgemeine Versicherung AG verklagt.
Herr Kratzer, der seit 2002 überwiegend als selbständiger Anwalt tätig war, hatte sich vielfach vergeblich auf Stellenanzeigen beworben und alsdann auf Diskriminierungsentschädigung geklagt, d.h. er war sozusagen "spezialisiert" auf das Diskriminierungsrecht. Mit seinen Klagen hatte er teilweise Erfolg, so im Januar 2013 vor dem BAG (BAG, Urteil vom 24.01.2013, 8 AZR 429/11, wir berichteten in Arbeitsrecht aktuell: 13/017 Stellenausschreibung für "Hochschulabsolventen / Young Professionals" diskriminiert ältere Bewerber).
Im März 2009, d.h. im Alter von 35 Jahren, bewarb sich Herr Kratzer wieder einmal, diesmal auf eine von der R+V Versicherungen AG ausgeschriebene Stelle als "Trainee". Die Ausschreibung richtete sich vorzugsweise an Hochschulabsolventen ohne Berufserfahrung. Daher sollte der Abschluss nicht länger als ein Jahr zurückliegen. Von juristischen Bewerbern wurden zusätzliche arbeitsrechtliche oder medizinische Kenntnisse erwartet.
In seiner Bewerbung verwies Herr Kratzer unter anderem darauf, dass er als früherer leitender Angestellter einer Rechtsschutzversicherung über Führungserfahrung verfüge. Nachdem er seine schriftliche Ablehnung in Händen hielt, verlangte er 14.000,00 EUR Entschädigung. Daraufhin entschuldigte sich die R+V für das automatisch generierte Ablehnungsschreiben und lud ihn zum Vorstellungsgespräch ein. Herr Kratzer lehnte ab bzw. schlug vor, nach Begleichung seiner Entschädigungsforderung (!) "sehr rasch über meine Zukunft bei der Versicherung zu sprechen".
Nachdem Herr Kratzer Klage erhoben hatte, erfuhr er, dass alle vier Trainee-Stellen mit Frauen besetzt worden waren. Daher erhöhte er seine Klageforderung unter Hinweis auf eine angebliche geschlechtsbedingte Diskriminierung um weitere 3.500,00 EUR.
Das Arbeitsgericht Wiesbaden (Urteil vom 20.01.2011, 5 Ca 2491/09) und das Hessische Landesarbeitsgericht (LAG) wiesen die Klage ab (Hessisches LAG, Urteil vom 18.03.2013, 7 Sa 1257/12).
Der Fall landete beim BAG, das zu der Ansicht kam, dass sich Herr Kratzer nicht ernsthaft bzw. nur deshalb beworben hatte, um eine Entschädigung zu erlangen. Denn der Hinweis auf seine "Führungserfahrung" passte überhaupt nicht zu der ausgeschriebenen Stelle als Trainee, so das BAG. Hinzu kam die Ablehnung eines persönlichen Gesprächs.
Vor diesem Hintergrund fragte das BAG den EuGH, ob eine erkennbar nur dem Zweck des Geldmachens dienende (Schein-)Bewerbung unter den Anwendungsbereich bzw. den Schutz von Art.3 Abs.1 Buchstabe a) Richtlinie 2000/78/EG und von Art.14 Abs.1 Buchstabe a) Richtlinie 2006/54/EG fällt (BAG, Beschluss vom 18.06.2015, 8 AZR 848/13 (A)). Falls ein solches Verhalten - im Prinzip - vom Schutz dieser Vorschriften erfasst sein sollte, wollte das BAG außerdem wissen, ob es nach dem EU-Recht als rechtsmissbräuchlich bewertet werden könnte.
EuGH: Ein Bewerber, der sich nur mit dem Ziel einer Entschädigung bewirbt, kann sich nicht auf die Richtlinien 2000/78/EG und 2006/54/EG berufen und handelt missbräuchlich
Der EuGH bestätigte die deutsche Rechtsprechung zur nicht ernstgemeinten Bewerbung. Bei einer Person wie im Ausgangsverfahren sei
"offensichtlich, dass sie die Stelle, um die sie sich bewirbt, gar nicht erhalten will. Daher kann sie sich nicht auf den durch die Richtlinien 2000/78 und 2006/54 gewährten Schutz berufen" (Urteil, Rn.35)
Darüber hinaus wäre ein derartiges Verhalten auch rechtsmissbräuchlich im Sinne des EU-Rechts. Eine Bewertung als Rechtsmissbrauch hängt aber, so der Gerichtshof, im Einzelfall davon ab, dass nicht nur das Ziel der missbräuchlich in Anspruch genommenen Vorschrift verfehlt wird, sondern dass der missbräuchlich Handelnde auch von der Absicht geleitet wird, sich einen ungerechtfertigten Vorteil zu verschaffen.
Der Gerichtshof macht damit die vom BAG getroffene Unterscheidung zwischen
- der vorrangigen Frage nach dem objektiven Schutzgehalt der o.g. Richtlinienartikel und
- der nachgeordneten Frage einer möglicherweise missbräuchlichen Berufung auf diesen Schutzgehalt
nicht mit. Dem EuGH zufolge ist ein Verhalten wie hier im Streitfall nicht vom Schutzgehalt der o.g. Richtlinienartikel gedeckt und zudem rechtsmissbräuchlich.
Fazit: Das EuGH-Urteil stärkt den deutschen Arbeitsgerichten den Rücken in ihrem Bemühen, bei Entschädigungsklagen genau zu überprüfen, ob der Streitfall durch eine ernstgemeinte oder durch eine Scheinbewerbung entstanden ist.
Aufgrund des EuGH-Urteil steht fest, dass AGG-Hopper weder durch Art.3 Abs.1 Buchstabe a) Richtlinie 2000/78/EG noch durch Art.14 Abs.1 Buchstabe a) Richtlinie 2006/54/EG geschützt sind.
Wer sich nicht ernsthaft bewirbt, ist richtiger Ansicht nach von vornherein kein "Bewerber" im Sinne von § 6 Abs.1 Satz 2 AGG. Jedenfalls aber handelt er treuwidrig, so dass er sich letztlich nicht auf diese Vorschrift und den Diskriminierungsschutz nach dem AGG berufen kann.
Nähere Informationen finden sie hier:
- Europäischer Gerichtshof, Urteil vom 28.07.2016, C-423/15
- Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 18.06.2015, 8 AZR 848/13 (A)
- Hessisches Landesarbeitsgericht, Urteil vom 18.03.2013, 7 Sa 1257/12
- Handbuch Arbeitsrecht: Diskriminierung - Rechte Betroffener
- Handbuch Arbeitsrecht: Diskriminierungsverbote - Alter
- Handbuch Arbeitsrecht: Diskriminierungsverbote - Ethnische Herkunft
- Handbuch Arbeitsrecht: Diskriminierungsverbote - Geschlecht
- Arbeitsrecht aktuell: 20/110 Beschwerde eines Arbeitnehmers wegen Benachteiligung
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- Arbeitsrecht aktuell: 12/290 Diskriminierung bei der Bewerbung wegen des Alters
- Arbeitsrecht aktuell: 12/024 Diskriminierung bei der Bewerbung
Letzte Überarbeitung: 8. Januar 2021
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