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ARBEITSRECHT AKTUELL // 18/112

Kurz vor dem Ab­schluss ste­hen­des Stu­di­um als Stel­len­an­for­de­rung

Rich­tet sich ei­ne Stel­len­aus­schrei­bung un­ter an­de­rem an Stu­den­ten, die kurz vor dem Ab­schluss ste­hen, wer­den äl­te­re Be­wer­ber da­durch nicht dis­kri­mi­niert: Bun­des­ar­beits­ge­richt, Ur­teil vom 23.11.2017, 8 AZR 372/16
Diskriminierung Alter, Geschlecht, Religion, Menschen mit Behinderung

08.05.2018. Vor zwei Jah­ren be­rich­te­ten wir über ein Ur­teil des Bun­des­ar­beits­ge­richts (BAG), mit dem das Ge­richt sei­ne bis­he­ri­ge Recht­spre­chung zur Be­wer­ber­dis­kri­mi­nie­rung zu­guns­ten der Be­wer­ber und da­mit zu­las­ten der Ar­beit­ge­ber­sei­te ge­än­dert hat (Ar­beits­recht ak­tu­ell: 16/358 Dis­kri­mi­nie­rung und Eig­nung des Be­wer­bers).

Die Kern­aus­sa­ge die­ser Ent­schei­dung lau­tet, dass we­der die ob­jek­ti­ve Eig­nung des Be­wer­bers noch die sub­jek­ti­ve Ernst­haf­tig­keit sei­ner Be­wer­bung Vor­aus­set­zung für ei­nen Ent­schä­di­gungs­an­spruch sind.

Da­mit ha­ben Dis­kri­mi­nie­rungs­kla­gen aber noch kei­ne Er­folgs­ga­ran­tie, wie ein ak­tu­el­les BAG-Ur­teil zeigt: BAG, Ur­teil vom 23.11.2017, 8 AZR 372/16.

Was können Ar­beit­ge­ber ge­gen Dis­kri­mi­nie­rungs­kla­gen un­ge­eig­ne­ter Be­wer­ber ein­wen­den?

Dis­kri­mi­nie­run­gen von Be­wer­bern bei der Stel­len­be­set­zung sind nach dem All­ge­mei­nen Gleich­be­hand­lungs­ge­setz (AGG) ver­bo­ten. Ge­nau­er ge­sagt sind sach­lich nicht ge­recht­fer­tig­te Be­nach­tei­li­gun­gen ver­bo­ten, al­so z.B. ei­ne we­ni­ger güns­ti­ge Be­hand­lung we­gen des (ju­gend­li­chen oder fort­ge­schrit­te­nen) Al­ters, we­gen des Ge­schlechts oder we­gen an­de­rer persönli­cher Merk­ma­le wie z.B. der eth­ni­schen Her­kunft, (§ 1 AGG in Verb. mit § 2 Abs.1 Nr.1, § 6 Abs.1 Satz 2 und § 7 Abs.1 AGG).

Um Be­wer­ber im Pro­zess der Stel­len­be­set­zung möglichst frühzei­tig vor Dis­kri­mi­nie­run­gen zu schützen enthält § 11 AGG ein spe­zi­el­les, für Stel­len­aus­schrei­bun­gen gel­ten­des Dis­kri­mi­nie­rungs­ver­bot. Da­nach dürfen Ar­beitsplätze nicht so aus­ge­schrie­ben wer­den, dass mögli­che In­ter­es­sen­ten ab­ge­schreckt wer­den, weil in der Stel­len­aus­schrei­bung z.B. nach ei­nem "Kraft­fah­rer", ei­ner "Se­kretärin" oder ei­ner "jun­gen" Ver­kaufs­kraft ge­sucht wird. Denn sol­che For­mu­lie­run­gen gren­zen mögli­che Be­wer­ber we­gen ih­res Ge­schlechts oder ih­res Al­ters aus, und das ist ein Ver­s­toß ge­gen § 11 AGG in Verb. mit § 1 AGG.

Enthält ei­ne Stel­len­aus­schrei­bung Hin­wei­se dar­auf, dass sich der Ar­beit­ge­ber be­son­ders über Be­wer­bun­gen von Männern, jun­gen Leu­ten und/oder Men­schen deut­scher Her­kunft freu­en würde (was ei­ne Dis­kri­mi­nie­rung we­gen des Ge­schlechts, des Al­ters oder der eth­ni­schen Her­kunft wäre), und wird dann ein Be­wer­ber bzw. ei­ne Be­wer­be­rin mit dem "fal­schen" Ge­schlecht, Al­ter usw. ab­ge­lehnt, ist die dis­kri­mi­nie­ren­de Stel­len­aus­schrei­bung ein In­diz dafür, dass die un­ter­blie­be­ne Ein­stel­lung auf ei­ner ver­bo­te­nen Dis­kri­mi­nie­rung be­ruht. Ei­ne sol­che Ver­mu­tung muss der Ar­beit­ge­ber dann im Pro­zess über ei­ne Dis­kri­mi­nie­rungs­entschädi­gung wi­der­le­gen (§ 22 AGG).

Da das BAG seit 2016 wie oben erwähnt je­de Per­son, die sich um ei­ne Stel­le be­wirbt, un­abhängig von ih­rer Eig­nung und der Ernst­haf­tig­keit der Be­wer­bung als mögli­ches Dis­kri­mi­nie­rungs­op­fer an­sieht (BAG, Ur­teil vom 19.05.2016, 8 AZR 470/14), können auch un­ge­eig­ne­te (Schein-)Be­wer­ber gemäß § 15 Abs.2 AGG ei­ne Dis­kri­mi­nie­rungs­entschädi­gung ver­lan­gen, wenn der Ar­beit­ge­ber bei der Stel­len­aus­schrei­bung ge­patzt hat. Die Ände­run­gen der BAG-Recht­spre­chung zu die­ser Fra­ge hat da­her zur Fol­ge, dass der dis­kri­mi­nie­ren­de oder dis­kri­mi­nie­rungs­freie Cha­rak­ter von Stel­len­aus­schrei­bun­gen noch ge­nau­er als zu­vor ge­prüft wer­den muss.

An die­ser Stel­le fragt sich, ob Stel­len­aus­schrei­bun­gen älte­re In­ter­es­sen­ten be­nach­tei­li­gen, wenn sie sich an Aka­de­mi­ker und (da­ne­ben auch) an Be­wer­ber rich­tet, die erst kurz vor ih­rem Stu­di­en­ab­schluss ste­hen, denn das wer­den häufi­ger jun­ge als älte­re Men­schen sein. Frag­lich ist auch, wie die For­de­rung nach sehr gu­ten Deutsch­kennt­nis­sen in Wort und Schrift zu be­wer­ten ist, wenn zu­gleich "gu­te Eng­lisch­kennt­nis­se" ver­langt wer­den: Wer­den hier vor al­lem Deut­sche an­ge­spro­chen, d.h. liegt hier viel­leicht ei­ne (mit­tel­ba­re) Dis­kri­mi­nie­rung we­gen der eth­ni­schen Her­kunft vor?

Wie­der ein­mal vor Ge­richt: 1961 ge­bo­re­ne In­for­ma­ti­ke­rin rus­si­scher Her­kunft fühlt sich im Be­wer­bungs­ver­fah­ren dis­kri­mi­niert

Im Streit­fall hat­te ei­ne klei­ne EDV-Fir­ma ei­ne Teil­zeit­stel­le als Soft­ware­ent­wick­ler/in zu ver­ge­ben. In der Stel­len­aus­schrei­bung hieß es un­ter an­de­rem:

"Für die Po­si­ti­on soll­ten Sie ein Stu­di­um der In­ge­nieur-Wis­sen­schaf­ten oder tech­ni­schen In­for­ma­tik ab­ge­schlos­sen ha­ben oder kurz vor Ih­rem Ab­schluss ste­hen. Wir er­war­ten gu­te Kennt­nis­se in Ja­va­script, PHP und SQL. Der Um­gang mit Win­dows und LI­NUX ist Ih­nen ver­traut. Außer­dem be­sit­zen sie fun­dier­te Kennt­nis­se in ei­ner ob­jekt­ori­en­tier­ten Pro­gram­mier­spra­che (C++/JA­VA/C#). (...) Sehr gu­te Deutsch- und gu­te Eng­lisch­kennt­nis­se in Wort und Schrift set­zen wir vor­aus. (...) Es han­delt sich um ei­ne Teil­zeit­stel­le (20 St­un­den pro Wo­che)."

Nach­dem sich die In­for­ma­ti­ke­rin oh­ne Er­folg be­wor­ben hat­te, klag­te sie auf Zah­lung ei­ner Gel­dentschädi­gung von 5.000,00 EUR. Das Ar­beits­ge­richt Ham­burg (Ur­teil vom 07.05.2014, 4 Ca 250/13) und das Lan­des­ar­beits­ge­richt (LAG) Ham­burg wie­sen die Kla­ge ab (LAG Ham­burg, Ur­teil vom 18.03.2015, 6 Sa 39/14).

Da­bei be­gründe­te das LAG sei­ne Ent­schei­dung da­mit, dass die Kläge­rin für die Stel­le ob­jek­tiv nicht ge­eig­net sei und da­her mit den an­de­ren Be­wer­bern nicht ver­gleich­bar. Die man­geln­de Eig­nung mach­te das LAG dar­an fest, dass die Kläge­rin nach ih­ren ei­ge­nen An­ga­ben mit den Pro­gram­mier­spra­chen Ja­va­script und PHP nicht ver­traut war, so dass es auf die wei­te­ren, in der Stel­len­aus­schrei­bung ent­hal­te­nen For­mu­lie­run­gen nicht an­kam.

BAG: Rich­tet sich ei­ne Stel­len­an­zei­ge un­ter an­de­rem an Stu­den­ten kurz vor dem Ab­schluss und ver­langt sehr gu­te Deutsch- und gu­te Eng­lisch­kennt­nis­se, liegt dar­in kei­ne Dis­kri­mi­nie­rung we­gen des Al­ters bzw. der Her­kunft

Das BAG war im Er­geb­nis mit dem LAG-Ur­teil ein­ver­stan­den, nicht aber mit der Be­gründung. Denn das LAG Ham­burg hat­te bei sei­nem Ur­teil noch die al­te BAG-Recht­spre­chung zu­grun­de ge­legt und dem­ent­spre­chend ent­schei­dend dar­auf ab­ge­stellt, dass die Kläge­rin für die aus­ge­schrie­be­ne Stel­le ob­jek­tiv un­ge­eig­net war.

Die­se Be­gründung ließ das BAG un­ter Ver­weis auf sei­ne geänder­te Recht­spre­chung (BAG, Ur­teil vom 19.05.2016, 8 AZR 470/14) nicht gel­ten, gab aber trotz­dem dem ver­klag­ten Ar­beit­ge­ber recht. Denn die Kläge­rin hat­te kei­ne In­di­zi­en dafür präsen­tiert, dass ih­re Ab­leh­nung auf ei­ner Dis­kri­mi­nie­rung be­ruh­te, so die Er­fur­ter Rich­ter.

Die Aus­wei­tung der Su­che auf Be­wer­ber, die kurz vor dem Stu­di­en­ab­schluss ste­hen, be­vor­zugt nach An­sicht des BAG kei­ne jun­gen In­ter­es­sen­ten, da ja eben­falls Be­wer­ber mit ei­nem be­reits vor­han­de­nen Ab­schluss an­ge­spro­chen wer­den.

Und auch die For­de­rung nach sehr gu­ten Deutsch­kennt­nis­sen ist kei­ne (mit­tel­ba­re) Be­vor­zu­gung von deut­schen Be­wer­bern, da Sprach­kennt­nis­se nicht not­wen­dig an ei­ne be­stimm­te Na­tio­na­lität oder Her­kunft ge­bun­den sind. Außer­dem sprach hier für den Ar­beit­ge­ber, dass die Stel­len­an­zei­ge sehr gu­te bzw. gu­te Sprach­kennt­nis­se nicht nur im Deut­schen, son­dern auch im Eng­li­schen ver­lang­te, was es un­wahr­schein­lich macht, dass die ge­for­der­ten sprach­li­chen Fähig­kei­ten mit ei­ner be­stimm­ten eth­ni­schen Her­kunft ver­bun­den wa­ren.

Fa­zit: Su­chen Ar­beit­ge­ber ge­zielt nach Stu­di­en­ab­sol­ven­ten oder Aka­de­mi­kern mit kur­zer Be­rufs­er­fah­rung, lässt dies ei­ne mit­tel­ba­re Be­nach­tei­li­gung älte­rer Be­wer­ber ver­mu­ten. An­ders ist es, wenn die Su­che auf jünge­re In­ter­es­sen­ten le­dig­lich aus­wei­tet wird, d.h. wenn Stu­den­ten mit ein­be­zo­gen wer­den. Und auch die For­de­rung nach sehr gu­ten Deutsch­kennt­nis­sen ist im All­ge­mei­nen kein Dis­kri­mi­nie­rungs­in­diz, je­den­falls dann nicht, wenn da­ne­ben auch Kennt­nis­se an­de­rer Spra­chen ver­langt wer­den.

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Letzte Überarbeitung: 28. April 2019

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