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ARBEITSRECHT AKTUELL // 12/024

Dis­kri­mi­nie­rung bei der Be­wer­bung

Aus­kunfts­an­spruch des Stel­len­be­wer­bers über Aus­wah­l­ent­schei­dung?: Schluss­an­trä­ge des Ge­ne­ral­an­walts Pao­lo Men­goz­zi vom 12.01.2012, Rs. C-415/10 - Meis­ter
Europafahne

17.01.2012. Das All­ge­mei­ne Gleich­be­hand­lungs­ge­setz (AGG) ver­bie­tet un­ge­recht­fer­tig­te Schlech­ter­stel­lun­gen im Er­werbs­le­ben we­gen be­stimm­ter Merk­ma­le. Ver­bo­ten sind z.B. Be­nach­tei­li­gun­gen we­gen der eth­ni­schen Her­kunft, we­gen des Ge­schlechts, oder we­gen des Al­ters (§§ 7 Abs.1, 1 AGG). Das gilt auch bei der Stel­len­be­set­zung, an­ge­fan­gen bei der Aus­schrei­bung bis hin zur Aus­wahl zwi­schen ver­schie­de­nen Be­wer­bern.

Der Nach­weis ei­ner Dis­kri­mi­nie­rung bei der Be­wer­bung fällt Be­trof­fe­nen nor­ma­ler­wei­se schwer, da sie ja kei­nen Ein­blick in die Ent­schei­dungs­pro­zes­se beim Ar­beit­ge­ber ha­ben. Da­her sieht § 22 AGG vor, dass es ge­nügt, wenn ein Be­nach­tei­lig­ter In­di­zi­en ("Ver­mu­tungs­tat­sa­chen") be­wei­sen kann, die ei­nen Ver­stoß ge­gen das Be­nach­tei­li­gungs­ver­bot ver­mu­ten las­sen. Der Ar­beit­ge­ber muss ei­ne sol­che Ver­mu­tung dann wi­der­le­gen, d.h. be­wei­sen, dass die Stel­len­be­set­zung dis­kri­mi­nie­rungs­frei war.

Aber kön­nen ab­ge­lehn­te Stel­len­be­wer­ber "ein­fach so", d.h. oh­ne kon­kre­te In­di­zi­en für ei­ne Dis­kri­mi­nie­rung, vom Ar­beit­ge­ber In­for­ma­tio­nen über des­sen Maß­stä­be und über die Be­wer­be­r­aus­wahl ver­lan­gen? Die­se Fra­ge hat­te das Bun­des­ar­beits­ge­richt (BAG) dem Eu­ro­päi­schen Ge­richts­hof (EuGH) vor knapp zwei Jah­ren zur Vor­ab­ent­schei­dung vor­ge­legt (BAG, Be­schluss vom 20.05.2010, 8 AZR 287/08 (A) - wir be­rich­te­ten in: Ar­beits­recht ak­tu­ell: 10/115 Aus­kunfts­an­spruch für ab­ge­lehn­te Stel­len­be­wer­ber?). Denn auch Art.8 der Richt­li­nie 2000/43/EG des Ra­tes vom 29.06.2000 zur An­wen­dung des Gleich­be­hand­lungs­grund­sat­zes oh­ne Un­ter­schied der Ras­se oder der eth­ni­schen Her­kunft sieht ei­ne Be­wei­ser­leich­te­rung vor, und die­se Re­ge­lung steht hin­ter § 22 AGG.

In dem Fall ging es um ei­ne knapp fünf­zig­jäh­ri­ge in Russ­land ge­bo­re­ne Soft­ware­ent­wick­le­rin, Frau Ga­li­na Meis­ter, die sich oh­ne Er­folg um ei­ne Stel­le be­wor­ben hat­te und da­her ne­ben ei­ner Gel­dent­schä­di­gung von dem Un­ter­neh­men Ein­sicht in die Be­wer­bungs­un­ter­la­gen ih­res er­folg­rei­chen Kon­kur­ren­ten ver­lang­te, um ih­re Qua­li­fi­ka­tio­nen mit de­nen ih­res Kon­kur­ren­ten ver­glei­chen zu kön­nen. Da­mit hat­te sie we­der vor dem Ar­beits­ge­richt Ham­burg (Ur­teil vom 11.04.2007, 12 Ca 512/06) noch vor dem Lan­des­ar­beits­ge­richt (LAG) Ham­burg Er­folgt (LAG Ham­burg, Ur­teil vom 09.11.2007, H 3 Sa 102/07), und auch das BAG wür­de die Kla­ge wohl ab­wei­sen, falls ihm nicht der EuGH ei­ne an­de­re Li­nie vor­ge­ben soll­te.

Ges­tern ver­öf­fent­lich­te der an dem Ver­fah­ren vor dem EuGH be­tei­lig­te EuGH-Ge­ne­ral­an­walt Pao­lo Men­goz­zi sei­ne Ent­schei­dungs­vor­schlä­ge (Schluss­an­trä­ge des Ge­ne­ral­an­walts Pao­lo Men­goz­zi vom 12.01.2012, Rs. C-415/10 - Meis­ter). Sei­ne Ant­wor­ten auf die Vor­la­ge­fra­gen des BAG lau­ten:

"1. We­der Art. 8 Abs. 1 der Richt­li­nie 2000/43/EG des Ra­tes vom 29. Ju­ni 2000 zur An­wen­dung des Gleich­be­hand­lungs­grund­sat­zes oh­ne Un­ter­schied der Ras­se oder der eth­ni­schen Her­kunft noch Art. 10 Abs. 1 der Richt­li­nie 2000/78/EG des Ra­tes vom 27. No­vem­ber 2000 zur Fest­le­gung ei­nes all­ge­mei­nen Rah­mens für die Ver­wirk­li­chung der Gleich­be­hand­lung in Be­schäf­ti­gung und Be­ruf noch Art. 19 Abs. 1 der Richt­li­nie 2006/54/EG des Eu­ro­päi­schen Par­la­ments und des Ra­tes vom 5. Ju­li 2006 zur Ver­wirk­li­chung des Grund­sat­zes der Chan­cen­gleich­heit und Gleich­be­hand­lung von Män­nern und Frau­en in Ar­beits- und Be­schäf­ti­gungs­fra­gen sind da­hin aus­zu­le­gen, dass ei­nem Stel­len­be­wer­ber im Fall sei­ner Nicht­be­rück­sich­ti­gung ein An­spruch ge­gen den Ar­beit­ge­ber auf Aus­kunft ein­ge­räumt wer­den muss, ob und auf­grund wel­cher Kri­te­ri­en er ei­nen an­de­ren Be­wer­ber ein­ge­stellt hat, auch wenn der be­tref­fen­de Be­wer­ber dar­legt, dass er die Vor­aus­set­zun­gen für die vom Ar­beit­ge­ber aus­ge­schrie­be­ne Stel­le er­füllt.

2. Nach Art. 8 Abs. 1 der Richt­li­nie 2000/43, Art. 10 Abs. 1 der Richt­li­nie 2000/78 und Art. 19 Abs. 1 der Richt­li­nie 2006/54 muss das vor­le­gen­de Ge­richt das Ver­hal­ten ei­nes Ar­beit­ge­bers, das in der Wei­ge­rung liegt, die von ei­nem ab­ge­lehn­ten Stel­len­be­wer­ber er­be­te­nen Aus­künf­te über das Er­geb­nis der Ein­stel­lung und über die vom Ar­beit­ge­ber bei der Ein­stel­lung be­folg­ten Kri­te­ri­en zu er­tei­len, be­ur­tei­len, in­dem es nicht nur al­lein das Feh­len ei­ner Ant­wort des Ar­beit­ge­bers be­rück­sich­tigt, son­dern die­ses viel­mehr in sei­nen wei­te­ren tat­säch­li­chen Zu­sam­men­hang stellt. In­so­weit kann das vor­le­gen­de Ge­richt Ge­sichts­punk­te her­an­zie­hen wie die of­fen­sicht­li­che Ent­spre­chung von Be­wer­ber­qua­li­fi­ka­ti­on und Ar­beits­stel­le, die un­ter­blie­be­ne Ein­la­dung zu ei­nem Vor­stel­lungs­ge­spräch und das even­tu­el­le er­neu­te Un­ter­blei­ben ei­ner Ein­la­dung des­sel­ben Be­wer­bers sei­tens des Ar­beit­ge­bers zu ei­nem Vor­stel­lungs­ge­spräch, wenn der Ar­beit­ge­ber ei­ne zwei­te Be­wer­be­r­aus­wahl für die­sel­be Stel­le durch­ge­führt hat."

Fa­zit: Ar­beit­ge­ber sind an sich nicht ver­pflich­tet, ab­ge­lehn­ten Be­wer­bern Aus­künf­te über das Er­geb­nis des Be­wer­bungs­ver­fah­rens und über die Per­son und Qua­li­fi­ka­tio­nen des er­folg­rei­chen Be­wer­bers zu ge­ben. Wenn sie sich aber in Schwei­gen hül­len, muss das für die Ge­rich­te An­lass da­für sein, sehr ge­nau hin­zu­schau­en und zu prü­fen, ob die (an sich le­ga­le!) "Wei­ge­rung" der Er­tei­lung von Aus­künf­ten viel­leicht im Zu­sam­men­hang mit an­de­ren Ver­hal­tens­wei­sen des Ar­beit­ge­bers steht, die als ei­ne Art Ge­samt­bild letzt­lich doch ei­ne Dis­kri­mi­nie­rung ver­mu­ten las­sen. Sol­che Ver­hal­tens­wei­sen wa­ren hier im Streit­fall nach An­sicht des Ge­ne­ral­an­walts u.a. die Tat­sa­che, dass das Un­ter­neh­men vor Ge­richt nicht be­strit­ten hat, dass die Qua­li­fi­ka­ti­on der Klä­ge­rin den An­for­de­run­gen der Ar­beits­stel­le ent­spro­chen hat, und dass sie "trotz­dem" nicht zu ei­nem Vor­stel­lungs­ge­spräch ein­ge­la­den wur­de.

Mit die­sen Ent­schei­dungs­vor­schlä­gen ver­sucht der Ge­ne­ral­an­walt, die Li­nie wei­ter­zu­ver­fol­gen, die der EuGH be­reits in dem Ur­teil in der Rechts­sa­che Kel­ly vor­ge­ge­ben hat (EuGH, Ur­teil vom 21.07.2011, C-104/10 - Kel­ly, wir be­rich­te­ten in: Ar­beits­recht ak­tu­ell: 11/199 Dis­kri­mi­nie­rung bei der Be­wer­bung: Kein An­spruch auf Aus­kunft über Mit­be­wer­ber bei Ab­leh­nung ei­ner Be­wer­bung). Auch in sei­nem Kel­ly-Ur­teil mein­te der EuGH ei­ner­seits, der Ar­beit­ge­ber müs­se kei­ne Aus­künf­te über den Aus­gang des Be­wer­bungs­ver­fah­rens und die Aus­wahl­kri­te­ri­en ge­ben, war aber an­de­rer­seits der An­sicht, die­se "Wei­ge­rung" kön­ne zu­sam­men mit an­de­ren Um­stän­den des Ein­zel­falls letzt­lich doch ei­ne Dis­kri­mi­nie­rung ver­mu­ten las­sen.

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Letzte Überarbeitung: 16. November 2020

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