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Frist zur Geltendmachung von Schadensersatz bei Diskriminierung
23.06.2012. Hinter dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) stehen verschiedene EU-Richtlinien, die mit dem AGG im deutschen Recht umgesetzt werden sollen. Nach diesen Richtlinien und dementsprechend auch nach dem AGG gilt: Wer im Berufsleben, insbesondere bei der Bewerbung, wegen bestimmter persönlicher Merkmale (Alter, Geschlecht, Religion, Herkunft, Behinderung, sexuelle Identität) ohne triftige sachliche Gründe benachteiligt bzw. diskriminiert wird, kann Schadensersatz und/oder Geldentschädigung verlangen.
Dieses Recht müssen Betroffene allerdings gemäß § 15 Abs.4 AGG innerhalb von zwei Monaten schriftlich geltend machen. Bei einer Bewerbung beginnt diese Frist mit dem Zugang der Ablehnung, ansonsten zu dem Zeitpunkt, in dem der Betroffene von seiner Benachteiligung Kenntnis erlangt hat. In den Jahren 2009 und 2010 wurde von einigen Autoren in Zweifel gezogen, ob diese verfahrensrechtliche Einschränkung der Ansprüche von Diskriminierungsopfern mit dem EU-Recht vereinbart werden kann.
Seit zwei Jahren ist dieser Streit schon erledigt. Denn der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat mit Urteil vom 08.07.2010 (Rs. C-246/09 - Bulicke gg. Deutsche Büro Service GmbH) klargestellt, dass die kurze gesetzliche Ausschlussfrist europarechtlich in Ordnung geht (wir berichteten in: Arbeitsrecht aktuell: 10/166 AGG-Ausschlussfrist wohl weitgehend europarechtskonform). Und dieser Auffassung hat sich auch das Bundesarbeitsgericht (BAG) im März dieses Jahres angeschlossen (Urteil vom 15.03.2012, 8 AZR 160/11).
Damit es aber wirklich ganz sicher jeder weiß, hat das BAG vorgestern noch einmal klargestellt: Wer Schadensersatz und/oder Geldentschädigung aufgrund einer nach dem AGG verbotenen Diskriminierung haben möchte, muss seine Ansprüche unbedingt innerhalb der zweimonatigen Ausschlussfrist des § 15 Abs.4 AGG geltend machen: BAG, Urteil vom 21.06.2012, 8 AZR 188/11
- Widerspricht die zweimonatige Frist des § 15 Abs.4 AGG dem Europarecht?
- Der Fall Susanne Bulicke: Callcenter sucht Mitarbeiter zwischen 18 und 35 Jahren, eine ältere Bewerberin wird abgelehnt und klagt zu spät
- BAG: § 15 Abs.4 AGG gilt für alle Ansprüche wegen einer erlittenen Diskriminierung
Widerspricht die zweimonatige Frist des § 15 Abs.4 AGG dem Europarecht?
§ 11 AGG schreibt in Verbindung mit § 7 AGG vor, dass Arbeitgeber Stellenausschreibungen altersneutral abfassen müssen, so dass sich fachlich geeignete Bewerber ohne Rücksicht auf ihr Alter angesprochen fühlen können. Verstoßen Arbeitgeber bei Ausschreibungen dagegen und meldet sich ein „zu junger“ oder „zu alter“ Bewerber auf die ausgeschriebene Stelle und wird abgewiesen, so ist gemäß § 22 AGG zu vermuten, dass die Benachteiligung (= Nichteinstellung) auf einer verbotenen Altersdiskriminierung beruht.
Kann der Arbeitgeber dann vor Gericht nicht beweisen, dass der Bewerber aus sachlichen Gründen abgelehnt wurde, steht dem diskriminierten Bewerber gemäß § 15 Abs.1 und Abs.2 Satz 2 AGG Schadensersatz und eine Geldentschädigung zu. Diese Ansprüche verfallen aber ersatzlos, wenn sie nicht innerhalb von zwei Monaten nach „Zugang der Ablehnung“ schriftlich gegenüber dem Arbeitgeber geltend gemacht werden (§ 15 Abs. 4 Satz 1 und 2 AGG).
Da diese Frist recht kurz ist, fallen ihr viele an sich bestehende Ansprüche zum Opfer. Daher fragt sich, ob die Ausschlussfrist mit dem EU-Recht vereinbar ist, soll das AGG doch verschiedene europäische Antidiskriminierungsrichtlinien in deutsches Recht umsetzen und muss daher deren Anforderungen entsprechen.
Die EU-Richtlinien überlassen zwar die Ausgestaltung der Rechtsverfolgung, d.h. von Fristen und Verfahrensfragen den EU-Mitgliedstaaten. Der Ausgestaltung des Verfahrensrechts sind aber Grenzen gesetzt: Denn die für Diskriminierungsbetroffene geltenden Verfahren dürfen nicht weniger günstig gestaltet sein als Verfahren, die nur innerstaatliches Recht betreffen (Grundsatz der Äquivalenz), und außerdem darf die Ausübung der vom EU-Recht vorgesehenen Rechte nicht unmöglich gemacht oder übermäßig erschwert werden (Grundsatz der Effektivität).
Der Fall Susanne Bulicke: Callcenter sucht Mitarbeiter zwischen 18 und 35 Jahren, eine ältere Bewerberin wird abgelehnt und klagt zu spät
Der beklagte Arbeitgeber schrieb im November 2007 eine Stelle als Callcenter-Agent wie folgt aus:
„Wir suchen für unser junges Team in der City motivierte Mitarbeiter/innen. Du telefonierst gern? Dann bist du genau richtig bei uns. Wir geben Dir die Möglichkeit sogar damit Geld zu verdienen. Du bist zwischen 18 - 35 Jahre alt…“
Die damals 41jährige Susanne Bulicke bewarb sich auf die Stellanzeige und erhielt am 21.11.2007 eine Absage. Angeblich waren alle Plätze belegt. Anstelle von Frau Bulicke wurden zwei jüngere Frauen eingestellt. Kurz nach Ablauf der Zweimonatsfrist, am 29.01.2008, reichte Frau Bulicke beim Arbeitsgericht Hamburg Klage ein und verlangte eine Geldentschädigung sowie Ersatz von Bewerbungs- und Prozesskosten.
Das Arbeitsgericht Hamburg wies die Klage unter Verweis auf § 15 Abs. 4 Satz 1 und 2 AGG ab (Urteil vom 10.12.2008, 28 Ca 178/08), woraufhin Frau Bulicke in Berufung zum LAG Hamburg ging. Das LAG setzte den Prozess Mitte 2009 aus und fragte den EuGH, ob die Ausschlussfrist europarechtlich in Ordnung ist (Beschluss vom 03.06.2009, 5 Sa 3/09 - wir berichteten darüber in Arbeitsrecht aktuell 09/205: Ausschlussfrist im AGG könnte unzulässig sein).
Wie erwähnt hat der EuGH dann vor zwei Jahren entschieden, dass die Zweimonatsfrist nicht zu beanstanden ist (Urteil vom 08.07.2010, Rs. C-246/09 - Bulicke - wir berichteten in Arbeitsrecht aktuell: 10/166 AGG-Ausschlussfrist wohl weitgehend europarechtskonform). Dabei milderte der EuGH diese kurze Frist ein wenig ab. Denn in den Fällen, in denen der abgelehnte Bewerber erst nach "Zugang der Ablehnung" von einer Diskriminierung Kenntnis erlangt, sollte die Zweimonatsfrist erst ab diesem Zeitpunkt (d.h. ab Kenntniserlangung) zu laufen beginnen.
Daraufhin entschied das LAG Hamburg diesen Fall gegen Frau Bulicke (LAG Hamburg, Urteil vom 27.10.2010, 5 Sa 3/09), und vorgestern nun bestätigte auch das BAG die Klagabweisung.
BAG: § 15 Abs.4 AGG gilt für alle Ansprüche wegen einer erlittenen Diskriminierung
Wie aufgrund des BAG-Urteils vom 15.03.2012 (8 AZR 160/11) nicht anders zu erwarten war, hat auch das BAG bestätigt, dass die Ansprüche Frau Bulickes verfallen waren, weil sie die zweimonatige Ausschlussfrist nicht eingehalten hatte.
Ebenso wie der EuGH stellt auch das BAG klar, dass die zweimonatige Ausschlussfrist auch bei abgelehnten Bewerbern nicht immer schon "mit dem Zugang der Ablehnung" beginnt, sondern wie in anderen Diskriminierungsfällen auch erst in dem Moment, in dem der Bewerber von der Benachteiligung Kenntnis erlangt (was das BAG allerdings schon mit seinem Urteil vom 15.03.2012, 8 AZR 160/11, deutlich gemacht hatte).
Diese geringfügige Entschärfung der Zweimonatsfrist half allerdings Frau Bulicke nicht, denn Kenntnis von der Diskriminierung hatte sie bereits aufgrund der diskriminierenden Stellenausschreibung in Verbindung mit dem Ablehnungsschreiben. Daher war in ihrem Fall der Zeitpunkt des Zugangs der Ablehnung mit dem Zeitpunkt identisch, in dem sie von ihrer Diskriminierung Kenntnis erlangt hatte.
Außerdem machte das BAG deutlich, dass auch Schadensersatzansprüche auf anderer Rechtsgrundlage innerhalb der Zweimonatsfrist des § 15 Abs.4 AGG geltend gemacht werden müssen, "wenn sie sich auf einen Sachverhalt beziehen, bei dem eine Diskriminierung wegen der durch das AGG verbotenen Merkmale gerügt wird". Soll heißen: Auch wenn ein Diskriminierungsbetroffener seinen Anspruch auf Geldentschädigung auf allgemeine zivilrechtliche Anspruchsgrundlagen stützt, d.h. nicht auf die Vorschriften des AGG, muss er trotzdem die Zweimonatsfrist beachten.
Fazit: Die Zweimonatsfrist des § 15 Abs.4 AGG gilt und beginnt einheitlich ab dem Zeitpunkt, in dem der Benachteiligte von seiner Benachteiligung Kenntnis erlangt, d.h. Bewerber werden nicht schlechter gestellt als andere Diskriminierungsbetroffene. Andererseits gilt die kurze Ausschlussfrist in Diskriminierungsfällen aber für alle denkbaren Anspruchsgrundlagen. Praktisch gesehen werden Diskriminierungsbetroffene in Bewerbungsfällen nur sehr selten etwas von der Abmilderung der Zweimonatsfrist haben, da in den allermeisten Fällen (so wie im vorliegenden Fall) der Zeitpunkt des Zugangs des Ablehnungsschreibens mit dem Zeitpunkt identisch ist, in dem der Betroffene von seiner Benachteiligung Kenntnis erlangt.
Nähere Informationen finden Sie hier:
- Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 21.06.2012, 8 AZR 188/11 (Pressemeldung)
- Europäischer Gerichtshof, Urteil vom 08.07.2010, Rs. C-246/09 (Bulicke gg. Deutsche Büro Service GmbH)
- Landesarbeitsgericht Hamburg, Beschluss vom 03.06.2009, 5 Sa 3/09
- Handbuch Arbeitsrecht: Diskriminierung - Allgemein
- Handbuch Arbeitsrecht: Diskriminierungsverbote - Alter
- Arbeitsrecht aktuell: 14/189 Frist bei Entschädigung für Diskriminierung
- Arbeitsrecht aktuell: 12/024 Diskriminierung bei der Bewerbung
- Arbeitsrecht aktuell: 10/166 AGG-Ausschlussfrist wohl weitgehend europarechtskonform
- Arbeitsrecht aktuell: 09/205 Ausschlussfrist im AGG könnte unzulässig sein
Hinweis: In der Zwischenzeit, d.h. nach Erstellung dieses Artikels, hat das BAG seine Entscheidungsgründe veröffentlicht. Das vollständig begründete Urteil des BAG finden Sie hier:
Letzte Überarbeitung: 16. November 2020
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