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LAG Hamburg, Urteil vom 27.10.2010, 5 Sa 3/09
Schlagworte: | Diskriminierung, Entschädigungsanspruch, Ausschlussfrist | |
Gericht: | Landesarbeitsgericht Hamburg | |
Aktenzeichen: | 5 Sa 3/09 | |
Typ: | Urteil | |
Entscheidungsdatum: | 27.10.2010 | |
Leitsätze: | ||
Vorinstanzen: | Arbeitsgericht Hamburg - 28 Ca 178/08 | |
Landesarbeitsgericht Hamburg
Urteil
Im Namen des Volkes
Geschäftszeichen:
5 Sa 3/09
(28 Ca 178/08 ArbG Hamburg)
In dem Rechtsstreit
Verkündet am:
27. Oktober 2010
Fe.
Angestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
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erkennt das Landesarbeitsgericht Hamburg, 5. Kammer
aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 27. Oktober 2010
durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Lesmeister als Vorsitzenden
den ehrenamtlichen Richter Ri.
den ehrenamtlichen Richter Ni.
für Recht:
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Hamburg vom 10. Dezember 2008 – 28 Ca 178/08 – wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
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R e c h t s m i t t e l b e l e h r u n g
Gegen dieses Urteil ist ein weiteres Rechtsmittel nicht gegeben.
Die Nichtzulassung der Revision durch das Landesarbeitsgericht kann selbständig durch Beschwerde angefochten werden.
Die Beschwerde ist zu begründen. Die Begründung muss enthalten
1. die Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung einer Rechtsfrage und deren Entscheidungserheblichkeit, oder
2. die Bezeichnung einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes, des Bundesarbeitsgerichts oder, solange eine Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts in der Rechtsfrage nicht ergangen ist, von einer anderen Kammer desselben Landesarbeitsgerichts oder eines anderen Landesarbeitsgerichts, von der das Urteil des Landesarbeitsgerichts abweicht, sowie die Darlegung, dass die Entscheidung auf dieser Abweichung beruht, oder
3. die Darlegung eines absoluten Revisionsgrundes nach § 547 Nr. 1 bis 5 der Zivilprozessordnung oder der Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör und der Entscheidungserheblichkeit der Verletzung.
Die Beschwerde kann nur ein Rechtsanwalt oder eine Rechtsanwältin, der bzw. die bei einem deutschen Gericht zugelassen ist, oder eine Gewerkschaft, eine Vereinigung von Arbeitgebern oder ein Zusammenschluss solcher Verbände für ihre Mitglieder oder für andere Verbände oder Zusammenschlüsse mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder einlegen und begründen. Dies gilt entsprechend für juristische Personen, deren Anteile sämtlich im wirtschaftlichen Eigentum einer der vorgenannten Organisationen stehen, wenn die juristische Person ausschließlich die Rechtsberatung und Prozessvertretung dieser Organisation und ihrer Mitglieder oder anderer Verbände oder Zusammenschlüsse mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder entsprechend deren Satzung durchführt, und wenn die Organisation für die Tätigkeit der Bevollmächtigten haftet.
Die Beschwerde ist bei dem Bundesarbeitsgericht innerhalb einer Notfrist von einem Monat nach Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils schriftlich einzulegen. Der Beschwerdeschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des Urteils beigefügt werden, gegen das die Revision eingelegt werden soll.
Die Beschwerde ist innerhalb einer Notfrist von zwei Monaten nach Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils zu begründen.
Wird der Beschwerde stattgegeben, so wird das Beschwerdeverfahren als Revisionsverfahren fortgesetzt. In diesem Fall gilt die form- und fristgerechte Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde als Einlegung der Revision. Mit der Zustellung der Entscheidung beginnt die Revisionsbegründungsfrist.
Die Revisionsbegründung muss enthalten:
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- die Erklärung, inwieweit das Urteil angefochten und dessen Aufhebung beantragt wird (Revisionsanträge),
- die Angabe der Revisionsgründe, und zwar,
a) die bestimmte Bezeichnung der Umstände, aus denen sich die Rechtsverletzung ergibt,
b) soweit die Revision darauf gestützt wird, dass das Gesetz in Bezug auf das Verfahren verletzt sei, die Bezeichnung der Tatsachen, die den Mangel ergeben.
Zur Begründung der Revision kann auf die Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde Bezug genommen werden.
Die Revision kann nur ein Rechtsanwalt oder eine Rechtsanwältin, der bzw. die bei einem deutschen Gericht zugelassen ist, oder eine Gewerkschaft, eine Vereinigung von Arbeitgebern oder ein Zusammenschluss solcher Verbände für ihre Mitglieder oder für andere Verbände oder Zusammenschlüsse mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder begründen. Dies gilt entsprechend für juristische Personen, deren Anteile sämtlich im wirtschaftlichen Eigentum einer der vorgenannten Organisationen stehen, wenn die juristische Person ausschließlich die Rechtsberatung und Prozessvertretung dieser Organisation und ihrer Mitglieder oder anderer Verbände oder Zusammenschlüsse mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder entsprechend deren Satzung durchführt, und wenn die Organisation für die Tätigkeit der Bevollmächtigten haftet.
Die Frist für die Begründung der Revision beträgt zwei Monate. Die Revisionsbegründungsfrist kann auf Antrag einmal bis zu einem weiteren Monat verlängert werden.
Hinweis:
1. Die Anschrift des Bundesarbeitsgerichts lautet:
Hugo-Preuß-Platz 1 – 99084 Erfurt
2. Aus technischen Gründen sind die Beschwerdeschrift, die Beschwerde-/Revisionsbegründungsschrift und die sonstigen wechselseitigen Schriftsätze im Beschwerde-/Revisionsverfahren in siebenfacher Ausfertigung (und für jeden weiteren Beteiligten eine Ausfertigung mehr) bei dem Bundesarbeitsgericht einzureichen.
3. Zur Möglichkeit der Einlegung der Beschwerde/Revision mittels elektronischen Dokuments wird auf die Verordnung vom 9. März 2006 (BGBl I, 519 ff) hingewiesen.
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Tatbestand
Die Parteien streiten über Schadensersatz- und Entschädigungsansprüche der Klägerin auf-grund einer von ihr angenommenen Diskriminierung wegen ihres Lebensalters im Zusam-menhang mit einer Bewerbung bei der Beklagten.
Die 1966 geborene Klägerin ist seit längerer Zeit arbeitslos und arbeitssuchend. Mit Schreiben vom 16. November 2007 bewarb sie sich bei der Beklagten (Anlage A 1, Bl. 7 ff d.A.). Am Montag, den 19. November 2007, telefonierte die Klägerin mit einem Mitarbeiter der Beklagten, der ihr absagte. Der weitere Inhalt des Gesprächs ist zwischen den Parteien streitig.
Mit handschriftlichem Absender erhielt die Klägerin mit Poststempel vom 21. November 2007 ihre Bewerbungsunterlagen zurück. Beigefügt war eine handschriftliche kurze Notiz, dass alle Plätze belegt seien (Anl. A 3, Bl. 16 d.A.).
Beworben hatte sich die Klägerin aufgrund einer Anzeige der Beklagten, die diese in einer Zeitung geschaltet hatte (Anl. A 4, Bl. 17 d.A.). Dort heißt es:
„Call Center Agents
Wir suchen für unser junges Team in der City motivierte Mitarbeiter/innen. Du telefonierst gern? Dann bist du genau richtig bei uns. Wir geben Dir die Möglichkeit sogar damit Geld zu verdienen. Du bist zwischen 18 – 35 Jahre alt und verfügst über gute Deutschkenntnisse und suchst eine Vollzeitaufgabe? …“
In einer weiteren Anzeige der Beklagten vom 22. November 2007 betreffend die Stelle eines Call Center Agents (Anl. A 6, Bl. 62 d.A.) heißt es u.a.:
„Sie sind vorzugsweise zwischen 18 und 35 Jahre alt…“
Noch im Jahre 2008 folgten ähnliche Stellenanzeigen der Beklagten (9. April 2008 Anl. A 5, Bl. 36 d.A.; 3. September 2008 „junges Team“ Anl. A 8, Bl. 64 d.A.; 10. September 2008 für den Vertrieb „zwischen 18 und 30 Jahre alt“ Anl. A 9, Bl. 65 d.A.).
Tatsächlich eingestellt wurden – statt der Klägerin - am 19. November 2007 zwei Frauen ge-boren im Jahre 1985 bzw. 1987 („Praktikantenverträge“ Anl. B1, B2, Bl. 71, 72 d.A.)
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Die Klägerin hat am 29. Januar 2008 Klage erhoben. Eine vorherige Geltendmachung gegenüber der Beklagten ist nicht erfolgt.
Die Klägerin hat vorgetragen, aufgrund ihres Alters diskriminiert worden zu sein. Aufgrund ihrer Tätigkeiten und Erfahrungen und ihrer Ausbildung im Telefonbereich sei sie die Bestqualifizierte gewesen. Die Anzeige der Beklagten mit der Nennung des Maximalalters von 35 Jahren verstoße gegen § 7 AGG. Diese diskriminierende Stellenausschreibung sei ein Indiz dafür, dass eine Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes – hier das Alter – vermutet werden könne. Sie selbst überschreite mit ihren 41 Jahren das von der Beklagten genannte Maximalalter. Telefonisch sei ihr zudem am 19. November 2007 mitgeteilt worden, sie entspreche nicht dem Bewerberprofil, deshalb müsse man ihr leider absagen. Die Beklagte habe eine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG in Höhe von € 5.079,- zu zahlen (Entgelt für drei Monate bei einem Stundenlohn von € 11,- und 173 Monatsarbeitsstunden). Zudem habe die Beklagte Schadensersatz nach § 15 Abs. 1 AGG zu zahlen. Bei diskriminierungsfreier Auswahl hätte sie die Stelle bekommen müssen als bestqualifizierte Bewerberin. Dieser Anspruch umfasse die Kosten ihrer unnützen Bewerbung, insgesamt € 1,59 (€ 1,45 Port, 8 Cent für den Briefumschlag, 6 Cent für zwei Blätter Bewerbungsunterlagen). Außerdem habe die Beklagte im Fall des Obsiegens der Klägerin die Kosten für die Rechtsverfolgung entgegen von § 12 a ArbGG zu tragen. Art. 9 der RL 2000/78/EG verlange, dass die Mitgliedstaaten sicherstellten, dass alle Personen, die sich nach den Merkmalen der Richtlinie in ihren Rechten für verletzt halten, ihre Ansprüche geltend machen können. Die Rechtsprechung des EuGH fordere zudem, dass es sich um effektiven Rechtsschutz handeln müsse. Die Kostenregelung im ArbGG verstoße gegen diesen Grundsatz effektiven Rechtsschutzes, da die Summe der zu zahlenden Entschädigung – zum Teil – durch die zu tragenden Anwaltskosten „aufgefressen“ würde. Das Versäumen der Zweimonatsrist des § 15 Abs. 4 AGG sei unschädlich, da diese gegen die Richtlinie 2000/78/EG verstoßen würde bzw. erhebliche Zweifel an der europarechtlichen Zulässigkeit dieser Norm bestünden. Insoweit rege sie an, den Rechtsstreit – auch bezüglich der Europarechtswidrigkeit von § 12 a ArbGG – dem EuGH vorzulegen. Fristen zur Geltendmachung von Ansprüchen seien nach Art. 9 Abs. 3 der RL 2000/78/EG zwar grundsätzlich zulässig. Allerdings dürften sie nicht so ausgestaltet sein, dass die Berufung auf Gemeinschaftsrecht unmöglich gemacht oder übermäßig erschwert werde. Insbesondere dürften „die betreffenden Modalitäten … jedoch nicht ungünstiger sein als für gleichartige Klagen, die das innerstaatliche Recht betreffen (Grundsatz der Gleichwertigkeit)“. Die Frist von 2 Monaten sei so kurz, dass sie nicht haltbar sei. Die Sonderfrist des § 4 KSchG könne nicht als Orientierungsmaßstab dienen. Leitbild müsse vielmehr die gesetzliche Verjährungsfrist, also die Frist von 3 Jahren sein. Außerdem verstoße § 15 Abs. 4 AGG
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gegen das Verschlechterungsverbot nach Art. 8 e der RL 76/207/EWG und Art. 8 Abs. 2 der RL 2000/78/EG. Hiernach dürfe das bereits garantierte allgemeine Schutzniveau in Bezug auf Diskriminierungen nicht abgesenkt werden. Das sei aber geschehen, da in § 611 a BGB a.F. grundsätzlich eine Frist von 6 Monaten bestimmt gewesen sei.
Die Klägerin hat beantragt,
1. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin Schadensersatz in Höhe von € 1,59 zu zahlen nebst 5 % Zinsen p.a. über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit,
2. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin eine Entschädigung von € 5.709,- zu zahlen nebst 5 % Zinsen p.a. über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit,
3. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, die der Klägerin in der ersten Instanz bei einem Gewinn des Verfahrens entstehenden Rechtsanwaltskosten als materiellen Schaden zu ersetzen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte hat behauptet, die Klägerin sei nicht diskriminiert worden. Im Zeitpunkt des Eingangs der Bewerbung der Klägerin seien die freien Arbeitsplätze bereits vergeben gewesen. Es seien zwei Arbeitsplätze zu besetzen gewesen, vor diesem Hintergrund sei die Anzeige vom 15. November 2007 geschaltet worden. Bereits in den folgenden Tagen hätte sich eine Reihe von Bewerberinnen gemeldet, von denen zwei eingestellt worden seien. Beide hätten zunächst ein Probearbeitsverhältnis absolviert und seien inzwischen fest eingestellt worden. Die Bewerbung der Klägerin, die erst am 19. November 2007 bei der Beklagten eingegangen sei, sei zu spät erfolgt. Nur das sei der Klägerin auch telefonisch und schriftlich mitgeteilt worden. Außerdem stelle sich die Frage, ob die Klägerin nicht überqualifiziert sei. Schließlich sei die Klage verfristet. Ausschlussfristen seien auch mit dem Grundsatz der Effektivität des Gemeinschaftsrechts vereinbar, weil sie einen Anwendungsfall des Prinzips der Rechtssicherheit darstellten. Hintergrund der kurzen Fristen sei, dass dem Arbeitgeber nicht zugemutet werden solle, Dokumentationen über Einstellungsverfahren bis zum Ablauf der
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allgemeinen Verjährungsfrist von 3 Jahren aufbewahren zu müssen. Soweit auf den Grundsatz der Gleichwertigkeit abgestellt werde, obliege die Überprüfung den nationalen Gerichten. Auch die Angriffe gegen § 12 a ArbGG rechtfertigten nicht eine Vorlage an den EuGH. Das Rechenwerk der Klägerin verdeutliche zudem, dass effektiver Rechtsschutz durchaus gegeben sei. Außerdem könne sie auf die Möglichkeiten der Prozesskostenhilfe verwiesen werden.
Durch das der Klägerin am 18. Dezember 2008 zugestellte Urteil vom 10. Dezember 2008, auf das zur näheren Sachdarstellung Bezug genommen wird, hat das Arbeitsgericht Hamburg die Klage abgewiesen.
Zur Begründung hat das Arbeitsgericht im Wesentlichen ausgeführt: Die Klägerin habe keinen Anspruch auf Entschädigung oder Schadensersatz nach § 15 Abs. 1, Abs. 2 AGG. Zwar könnten inhaltlich die Voraussetzungen der Anspruchsnormen erfüllt sein. Jedoch seien eventuelle Ansprüche der Klägerin nach § 15 Abs. 4 AGG verfallen. Die Frist in § 15 Abs. 4 AGG verstoße nicht gegen den im Europarecht bestehenden Grundsatz der Gleichwertigkeit. Auch sonst sei ein Arbeitnehmer häufig gehalten, seine Rechte innerhalb kurzer Fristen geltend zu machen. So müsse eine Kündigungsschutzklage innerhalb von 3 Wochen nach Zugang der Kündigung erhoben werden, § 4 KSchG. Werde diese Frist versäumt, so gelte die Kündigung als von Anfang an wirksam, § 7 KSchG. Ähnliches gelte für eine Klage auf Feststellung, dass eine Befristung des Arbeitsvertrags unwirksam ist. Auch diese sei innerhalb von drei Wochen nach dem vereinbarten Ende einer Befristung zu erheben, § 17 S. 1 TzBfG. Eine fristlose Kündigung aus wichtigem Grund könne nur innerhalb von 2 Wochen nach Kenntnis des Kündigungsgrundes erklärt werden. In – zum Teil allgemeinverbindlichen – Tarifverträgen fänden sich häufig Ausschlussfristen, wonach Ansprüche verfallen, wenn sie nicht innerhalb weniger Monate, z.B. innerhalb von 2 Monaten, geltend gemacht würden. Ob die Ausschlussfrist des § 15 Abs. 4 AGG – wie die Klägerin meint – gegen die Richtlinie 2000/78/EG verstoße, weil der Grundsatz der Effektivität nicht eingehalten sei, könne ebenso dahinstehen wie die Frage, ob gegen das Verschlechterungsverbot in Art. 8 Abs. 2 der RL 2000/78/EG verstoßen sei. Denn mangels der unmittelbaren Wirkung von Richtlinien – so auch der Richtlinie 2000/78/EG – scheide ein Anwendungsvorrang der Richtlinie gegenüber dem nationalen Recht aus und es bleibe zunächst bei der Anwendbarkeit der nationalen Regelung, hier des § 15 Abs. 4 AGG. D.h. selbst wenn die Frist gegen die RL 2000/78/EG verstoßen sollte, so sei sie keine allgemeine Maßstabsnorm, auf Grund derer die innerstaatlichen Gerichte alle ihr widersprechenden nationalen Normen unabhängig von einer unmittelbaren Wirkung der Richtlinie
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unangewendet lassen müssten. Zudem könnten Rechtslücken entstehen und der Grundsatz des Vertrauensschutzes in die Richtigkeit nationaler Regelungen könnte verletzt werden.
Hiergegen richtet sich die am 16. Januar 2009 eingelegte und sogleich begründete Berufung der Klägerin.
Die Klägerin wiederholt und vertieft ihre Rechtsausführungen und verweist auf das Schreiben der EG-Kommission vom 28. Januar 2008 (Anl. LAG A 1, Bl. 132 d. A.), mit dem u.a. die unzureichende Umsetzung der Richtlinie 2000/78/EG in Deutschland durch § 15 Abs. 4 AGG gerügt wird. Außerdem stellt die Klägerin statt des in erster Instanz als unzulässig zurückgewiesenen Feststellungsantrags betreffend die Anwaltskosten einen bezifferten Leistungsantrag.
Die Klägerin beantragt,
unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Hamburg vom 10. Dezember 2008 – 28 Ca 178/08 –
1. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin Schadensersatz in Höhe von € 1,59 zu zahlen nebst 5 % Zinsen p.a. über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit,
2. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin eine Entschädigung von € 5.709,- zu zahlen nebst 5 % Zinsen p.a. über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit,
3. die Beklagte zu verurteilen, die der Klägerin entstandenen Kosten für die anwaltliche Vertretung im Verfahren der ersten Instanz in Höhe von € 1.139,43 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Auch die Beklagte wiederholt ihre Rechtsausführungen.
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Mit Beschluss vom 3. Juni 2009 hat die Kammer den Rechtstreit dem Europäischen Gerichtshof mit folgender Frage vorgelegt:
Verstößt eine nationale Gesetzgebung, nach der (außerhalb von kollektivrechtlichen Regelungen) zur schriftlichen Geltendmachung eines Schadens- und/oder Entschädigungsanspruches wegen Diskriminierung bei der Einstellung eine Frist von zwei Monaten nach Empfang der Ablehnung – oder im Wege der Auslegung: nach Kenntnis der Diskriminierung – gilt, gegen Primärrecht der EG (Gewährleistung eines effektiven Rechtsschutzes) und/oder das gemeinschaftsrechtliche Verbot der Altersdiskriminierung, Richtlinie 2000/78, wenn für gleichwertige Ansprüche nach nationalem Recht dreijährige Verjährungsfristen gelten, und/oder das Verschlechterungsverbot gemäß Art. 8 dieser Richtlinie, wenn eine frühere nationale Vorschrift bei der Diskriminierung wegen des Geschlechts eine längere Ausschlussfrist vorsah?
Der EuGH hat am 8. Juli 2010 (C – 246/09) entschieden:
Das Primärrecht der Union und Art. 9 der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf sind dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Verfahrensvorschrift nicht entgegenstehen, wonach derjenige, der bei der Einstellung wegen des Alters diskriminiert worden ist, seine Ansprüche auf Ersatz des Vermögens- und Nichtvermögensschadens gegenüber demjenigen, von dem diese Diskriminierung ausgeht, innerhalb von zwei Monaten geltend machen muss, sofern
- zum einen diese Frist nicht weniger günstig ist als die für vergleichbare innerstaatliche Rechtsbehelfe im Bereich des Arbeitsrechts,
- zum anderen die Festlegung des Zeitpunkts, mit dem der Lauf dieser Frist beginnt, die Ausübung der von der Richtlinie verliehenen Rechte nicht unmöglich macht oder übermäßig erschwert.
Es ist Sache des nationalen Gerichts, zu prüfen, ob diese beiden Bedingungen erfüllt sind.
2. Art. 8 der Richtlinie 2000/78 ist dahin auszulegen, dass er einer zur Umsetzung dieser Richtlinie erlassenen nationalen Verfahrensvorschrift nicht entgegensteht, in
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deren Folge eine frühere Regelung geändert worden ist, die eine Frist für die Geltendmachung eines Entschädigungsanspruchs bei geschlechtsbezogener Diskriminierung vorsah.
Die Klägerin vertritt die Rechtsauffassung, dass die im nationalen Arbeitsrecht vorzufindenden teilweise erheblich kürzeren Fristen für die Geltendmachung von Rechten sich jeweils auf bestehende Arbeitsverhältnisse bezögen, vergleichbare kurze Fristen für die Geltendmachung von Rechten aus Anbahnungsverhältnissen existierten nicht, es würden insoweit nur die dreijährigen Verjährungsfristen greifen, so dass § 15 Abs. 4 AGG im Sinne der o.a. Rechtsprechung des EuGH wegen Verstoßes gegen das Äquivalenzprinzips europarechtswidrig sei. Auch eine Auslegung dieser Vorschrift, nach der die Frist mit Kenntnisnahme der Diskriminierung beginne, sei angesichts des klaren Wortlauts nicht möglich.
Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Parteien, ihrer Beweisantritte und der von ihnen überreichten Unterlagen sowie ihrer Rechtsausführungen wird ergänzend auf den gesamten Akteninhalt Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
I. Die Berufung der Klägerin ist gemäß § 64 Abs. 1 und 2 ArbGG statthaft und im Übrigen form- und fristgemäß eingelegt und begründet worden und damit zulässig (§§ 64 Abs. 6, 66 ArbGG, 519, 520 ZPO).
II. Das Arbeitsgericht hat die Klage wegen der Versäumung der Frist des § 15 Abs. 4 ArbGG zu Recht abgewiesen.
1. Zwar wäre die Beklagte nach § 15 Abs. 1 und 2 AGG grundsätzlich zur Zahlung von Schadensersatz und Entschädigung verpflichtet, denn die merkmalspezifische Stellenanzeige vom 15. November 2007 (Anl. A 4) verstößt nicht nur gegen das Gebot des § 11 AGG, die dem Anforderungsprofil nicht entsprechende Klägerin ist darüber hinaus nicht eingestellt worden, statt ihrer wurden zwei jüngere Kräfte eingestellt, so dass ein unmittelbare Diskriminierung wegen des Alters indiziert ist (Rust/Falke, AGG, 2007 Nr. 51 zu § 22). Bei einem solchen klaren Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot ist eine Entlastung kaum denkbar. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum alten § 611 a BGB machte es keinen Unterschied, zu welchem Zeitpunkt im
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Auswahlverfahren eine Benachteiligung vorgenommen wurde, ob sie sich in der Einstellungsentscheidung ausgewirkt hat und ob die Benachteiligungsabsicht das einzige Motiv war (BVerfG 16.11.1993 – 1 BvR 258/86 - AP Nr 9 zu § 611a BGB; 21.9.2006 – 1 BvR 308/03 - AP Nr 24 zu § 611a BGB; Adomeit, AGG, 2007 Nr. 64 zu § 2). Aber auch dann, wenn man den Vortrag der Beklagten, sie habe erst nach Vergabe der Stelle an Jüngere von der Bewerbung der Klägerin erfahren, als wahr unterstellt und prüft, ob sie sich damit i.S.d. § 22 AGG entlasten könnte, ergibt sich kein anderes Ergebnis. Die Beklagte hat eben nicht ältere Bewerber als Call Center Mitarbeiter eingestellt, sondern ist entsprechend ihrer diskriminierenden Stellenanzeige verfahren und noch mehr: Es war auch keineswegs das Bewerbungsverfahren abgeschlossen, sondern nach wenigen Tagen – am 22. November 2007 – erschien die nächste diskriminierende Anzeige. Anders gesagt: Es war beabsichtigt, den bestehenden Bedarf an Call Center Mitarbeitern nur mit jungen Leuten zu befriedigen und genau aus diesem Grund wurde die Klägerin nicht berücksichtigt. Da die Klägerin angesichts ihrer Bewerbungsunterlagen (Anl. A 1, Bl. 7 ff d.A.) nicht überqualifiziert war und ihre Bewerbung auch ernst gemeint war, wäre die Beklagte zu Schadensersatz und Entschädigung zu verurteilen.
2. Der Anspruch der Klägerin scheitert allerdings an der Ausschlussfrist des § 15 Abs. 4 AGG. Nach der Entscheidung des EuGH im vorliegenden Verfahren musste die Kammer zunächst prüfen, ob diese Frist weniger günstig ist als die für vergleichbare innerstaatliche Rechtsbehelfe im Bereich des Arbeitsrechts. Das ist nicht der Fall. So muss ein Arbeitnehmer, der sein Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund außerordentlich kündigen will, dies innerhalb von zwei Wochen nach Kenntniserlangung vom wichtigen Kündigungsgrund tun, § 626 Abs. 2 BGB. Gleiches gilt für die Kündigung eines Berufsausbildungsverhältnisses aus wichtigem Grund, § 22 Abs. 4 Satz 1 BBiG. Nach § 12 Satz 1 KSchG muss ein Arbeitnehmer, der nach einem gewonnenen Kündigungsschutzprozess die Fortsetzung seines Arbeitsverhältnisses beim bisherigen Arbeitgeber verweigern will, diesem dies innerhalb einer Woche nach Rechtskraft des Urteils mitteilen. Auch eine Arbeitnehmerin, die sich gegenüber ihrem Arbeitgeber nach Ausspruch einer Arbeitgeberkündigung auf eine bestehende Schwangerschaft oder eine erfolgte Entbindung berufen will, muss dies binnen zweier Wochen nach Zugang der Kündigung tun, wenn die Schwangerschaft oder Entbindung dem Arbeitgeber nicht bekannt war, § 9 Abs. 1 MuSchG.
Aus diesen gesetzlichen Bestimmungen ist zu folgern, dass der deutsche Gesetzgeber dem Arbeitnehmer zumutet, innerhalb von deutlich unter zwei Monaten liegenden Fristen gegenüber seinem Arbeitgeber tätig zu werden, um nicht seine Rechte zu verlieren. Dabei geht es in diesen Beispielsfällen um ganz erhebliche Rechtsnachteile, welche der
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Arbeitnehmer durch eine Fristversäumung erleidet, nämlich um solche, die sich auf den Bestand seines Arbeitsverhältnisses auswirken. Diese materiellen und ideellen Nachteile sind nach Schwere und Umfang mit denen vergleichbar, die ein Arbeitnehmer erleidet, wenn er einen gemeinschaftsrechtlich begründeten Entschädigungsanspruch nach § 15 Abs. 2 AGG deshalb verliert, weil er ihn nicht innerhalb der Frist des § 15 Abs. 4 AGG geltend gemacht hat (BAG 24.09.2009 – 8 AZR 705/08 – DB 2010, 618). Dies gilt auch für einen auf § 15 Abs. 1 AGG gestützten Schadensersatzanspruch. Diese Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts betrifft in der Tat Ansprüche aus einem bestehenden Arbeitsverhältnis. Es ist aber kein sachlich überzeugender Grund ersichtlich, warum die Geltendmachung von Ansprüchen aus einem Anbahnungsverhältnis längerer Fristen bedürfte. Die Frage, ob ein Anspruch aus einem bestehenden Arbeitsverhältnis geltend gemacht wird – etwa die Feststellung der Unwirksamkeit der Kündigung – oder die Frage, ob nach einer Diskriminierung Schadensersatz- und Entschädigungsansprüche geltend gemacht werden sollen, beantwortet sich je nach den Umständen des Einzelfalles. Regelmäßig sind die zugrunde zu legenden Erwägungen und Fakten nicht deshalb unterschiedlich zu behandeln, weil in dem einen Fall das Arbeitsverhältnis erst begründet, im anderen Falle es hingegen – etwa bei einer fristlosen Kündigung – beendet wurde. Dese Fallgruppen unterscheiden sich nicht derart, dass es gerechtfertigt wäre, bei Ansprüchen aus § 15 AGG zu differenzieren und in dem einen Falle die Zweimonatsfrist wegen Gleichwertigkeit als rechtlich zulässig zu werten, im Falle eines Anbahnungsverhältnisses hingegen nicht. Die Zweimonatsfrist erscheint angesichts der teilweise noch kürzeren Fristen zur Geltendmachung von Ansprüchen aus bestehenden Arbeitsverhältnissen geradezu umgekehrt erst recht als angemessen.
3. Bei der Festlegung des Zeitpunktes, mit dem die Frist beginnt, wird die Geltendmachung der aus dem AGG folgenden Ansprüche nicht unmöglich gemacht oder erschwert. Eine europarechtskonforme Auslegung des § 14 Abs. 4 Satz 2 AGG hat nach den Vorgaben des EuGH insoweit so zu erfolgen, dass auch bei der Bewerbung nicht auf den Zugang der Ablehnung abstellt wird, sondern auf die Kenntnis von der Diskriminierung (ErfK 9. Aufl. 2009 Nr. 12 zu § 14 AGG m.w.N.).
Auch bei Berücksichtigung der Kenntnis des Arbeitnehmers von der Diskriminierung hat die Klägerin diese Frist verpasst, da sie nach ihren Angaben bereits am 19. November 2007 telefonisch erfuhr, dass sie nicht in das Bewerberprofil passe. Jedenfalls mit Erhalt der Ablehnung am 21. November 2007 war angesichts des Wortlautes der Anzeige und der übrigen Umstände klar, dass ein Fall der Diskriminierung vorlag.
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4. Die Regelung des § 12 a Abs. 1 ArbGG, wonach die Nichterstattung der Kosten für die Zuziehung eines Prozessbevollmächtigten in erster Instanz nicht erstattet werden, ist nicht europarechtswidrig. Die Einschränkung der Erstattungspflicht der unterliegenden Partei ist sozialpolitisch motiviert. Ihr Zweck ist es, auch im Falle des Unterliegens ein kostengünstiges Verfahren zu gewährleisten und auf diese Weise das Kostenrisiko der Parteien zu beschränken (Schwab ArbGG 2. Aufl. 2008, Nr. 4 zu § 12 a). Zusammen mit den Regelungen über die Prozesskostenhilfe wird so der Rechtsschutz effektiviert. Im Übrigen ist die Klägerin im vorliegenden Fall die unterlegene Partei.
III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO. Die Kammer folgt der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts. Die gesetzlichen Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor, § 72 Abs. 2 ArbGG.
Lesmeister
Ri.
Ni.
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