Update Arbeitsrecht 09|2024 vom 01.05.2024
Leitsatzreport
LAG Baden-Württemberg: Behinderungsbedingte Diskriminierung durch Kündigung eines Ausbildungsverhältnisses
Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 12.01.2024, 9 Sa 16/23
§§ 20, 22 Berufsbildungsgesetz (BBiG); §§ 1; 6 Abs.1 Nr.2; 7 Abs.1; 8 Abs.1 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG); Art.5 Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27.11.2000 (Richtlinie 2000/78/EG); § 134 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)
Leitsätze des Gerichts:
1. Die Kündigung eines Berufsausbildungsverhältnisses in der Probezeit ist unwirksam, wenn sie eine Benachteiligung wegen einer Behinderung des Auszubildenden darstellt.
2. Eine Benachteiligung wegen der Behinderung des Auszubildenden liegt vor, wenn das Ausbildungsverhältnis gekündigt wird, weil die Mutter, zugleich Betreuerin des Auszubildenden, vom Arbeitgeber im Hinblick auf die Behinderung ihres Sohnes besondere Maßnahmen verlangt.
3. Dass vom Auszubildenden keine - ggf. unerfüllbaren - Anforderungen an den Ablauf der Ausbildung gestellt werden oder dass seine Betreuungsperson keine - ggf. unerfüllbaren - Forderungen an den Ausbilder in Bezug auf das Führen von Gesprächen stellt oder sich im Ton mäßigt, sind keine wesentlichen und entscheidenden beruflichen Anforderungen im Sinne von § 8 Abs.1 AGG bzw. Art.5 RL 2000/78/EG.
Hintergrund:
Ein junger Mann war schwerbehindert mit einem Grad der Behinderung (GdB) von 80 infolge eines bei einem Verkehrsunfall erlittenen Schädel-Hirn-Traumas, das ein hirnorganisches Psychosyndrom zur Folge hatte. Mitte August 2021 schloss er, vertreten durch seine Mutter, einen Berufsausbildungsvertrag zum Verkäufer ab. Aufgrund der finanziellen Förderung des Ausbildungsverhältnisses durch die Unfallkasse musste der Ausbildungsbetrieb keine Ausbildungsvergütung zahlen. Kurz vor Ablauf der vereinbarten viermonatigen Probezeit kündigte der Ausbildungsbetrieb das Ausbildungsverhältnis zu Ende Dezember 2021, da es zu Konflikten zwischen der Mutter des Auszubildenden und Vertretern des Ausbildungsbetriebs gekommen war. Dabei ging es v.a. um den - vom Ausbildungsbetrieb abgelehnten - Wunsch der Mutter, dass der Auszubildende künftig an drei Tagen pro Woche (statt wie bisher an zweien) in einer bestimmten Ausbildungsstätte tätig sein dürfte. Das Arbeitsgericht Freiburg wies die Kündigungsschutzklage des Auszubildenden ab (Urteil vom 01.02.2023, 6 Ca 4/22), während das Landesarbeitsgericht (LAG) Baden-Württemberg ihr stattgab. Das Gericht bewertete die Kündigung als behinderungsbedingte Diskriminierung. Daher war die Kündigung - trotz der grundsätzlichen Kündigungsfreiheit in der Probezeit eines Berufsausbildungsverhältnisses gemäß §§ 20, 22 Berufsbildungsgesetz (BBiG) - unwirksam gemäß §§ 1, 7 Abs.1 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG) in Verb. mit § 134 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB).
Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 12.01.2024, 9 Sa 16/23
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