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LAG Baden-Württemberg, Urteil vom 22.11.2016, 15 Sa 76/15
Schlagworte: | Betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM), Arbeitszeit | |
Gericht: | Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg | |
Aktenzeichen: | 15 Sa 76/15 | |
Typ: | Urteil | |
Entscheidungsdatum: | 22.11.2016 | |
Leitsätze: | ||
Vorinstanzen: | Arbeitsgericht Pforzheim, Urteil vom 20.08.2016, 6 Ca 154/15 nachgehend: Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 18.10.2017, 10 AZR 47/17 |
|
Aktenzeichen:
Bitte bei allen Schreiben angeben!
15 Sa 76/15
6 Ca 154/15 ArbG Pforzheim
Verkündet am 22.11.2016
Hanold, Angestellte
Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
Landesarbeitsgericht
Baden-Württemberg
Im Namen des Volkes
Urteil
In dem Rechtsstreit
- Kläger/Berufungskläger -
Proz.-Bev.:
gegen
- Beklagte/Berufungsbeklagte -
Proz.-Bev.:
hat das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg - 15. Kammer - durch die Vorsitzende Richterin am Landesarbeitsgericht Steer, den ehrenamtlichen Richter Bannert und den ehrenamtlichen Richter Nordmann auf die mündliche Verhandlung vom 22.11.2016
für Recht erkannt:
1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Pforzheim vom 20.08.2015 - 6 Ca 154/15 - abgeändert.
Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger als Maschinenbediener in der Nachtschicht, arbeitstäglich von 21.00 Uhr bis 05.00 Uhr, zu beschäftigen.
2. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
3. Die Revision wird zugelassen.
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Tatbestand
Der Kläger verfolgt mit seinem Hauptantrag die Verurteilung der Beklagten, ihn als Maschinenbediener in der Nachtschicht (arbeitstäglich von 21.00 Uhr bis 05.00 Uhr) zu beschäftigen. Hilfsweise erstrebt er die Feststellung, dass seine Umsetzung von der Nachtschicht in die Wechselschicht durch Anordnung der Beklagten vom 25.03.2015 rechtswidrig und rechtsunwirksam sei.
Der Kläger ist am 00.00.0000 geboren, verheiratet und vier Kindern zum Unterhalt verpflichtet. Das Arbeitsverhältnis begann - mit der Rechtsvorgängerin der Beklagten - ab dem 15.07.1991. Auf den schriftlichen Arbeitsvertrag vom 12.07.1991 wird Bezug genommen (Anlage zum Schriftsatz der Beklagten vom 17.04.2015, Blatt 18 bis 20 ArbG-Akte). Zu den hier interessierenden Fragen enthält der Arbeitsvertrag insbesondere folgende Regelungen:
„1. Tätigkeit
Der Mitarbeiter wird als Schlosser-Helfer innerhalb der Abteilung Karosseriebau mit Wirkung vom 15.07.91 in Normalschicht beschäftigt.
Die Firma ist berechtigt, dem/der Mitarbeiter/in auch andere, seinen/ihren Fähigkeiten und Kenntnissen entsprechende Aufgaben zu übertragen oder ihn/sie an einen anderen zumutbaren Arbeitsplatz oder Tätigkeitsort zu versetzen.
Der/Die Mitarbeiter/in ist grundsätzlich bereit, auch Schichtarbeit zu leisten.
2. Vergütung
Der Mitarbeiter wird im Akkordlohn beschäftigt.
Demnach beträgt sein
Tarifgrundlohn A 4 b | 16,84 | DM/Std. |
Übertarifliche Zulage | --,-- | DM/Std. |
Gesamtlohn | 16,84 | DM/Std. |
Die Entlohnung richtet sich nach den tariflichen Bestimmungen und Entlohnungsrichtlinien der Firma.
Lohnzahlungszeitraum ist der Kalendermonat. Der Lohn wird jeweils am 15. des folgenden Monats bargeldlos gezahlt.
(...)
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Die regelmäßige tarifliche Arbeitszeit beträgt 37 Wochenstunden, die betriebliche 40 Wochenstunden. Der Zeitausgleich erfolgt durch 17,3 arbeitsfreie Tage/Freischichten.
Eine anderweitige Verteilung der Arbeitszeitverkürzung bleibt vorbehalten.
Für Mehrarbeit gelten die gesetzlichen, tariflichen und betrieblichen Bestimmungen.“
Der Kläger ist als Maschinenbediener tätig. Seit dem Jahr 1994 leistet er Schichtarbeit, zunächst in Wechselschicht und seit 2005 in der bei der Beklagten eingerichteten Nachtschicht (21.00 Uhr bis 05.00 Uhr arbeitstäglich). Sein durchschnittliches Bruttomonatsentgelt betrug vor der zwischen den Parteien streitigen Änderung der Schichtzuordnung ca. 4 100,00 € brutto monatlich.
Die Beklagte beschäftigt ca. 500 Arbeitnehmer. Bei ihr besteht ein Betriebsrat. Die Art der Tätigkeit, die der Kläger ausübt, wird bei der Beklagten zum einen in einer wöchentlichen Wechselschicht geleistet. Dabei arbeiten die Arbeitnehmer im wöchentlichen Wechsel zwischen Frühschicht (05.00 Uhr bis 13.00 Uhr) und Spätschicht (13.00 Uhr bis 21.00 Uhr). Zum anderen wird diese Tätigkeit in Nachtschicht ausgeübt (21.00 Uhr bis 05.00 Uhr). Nicht in Nachtschicht eingesetzt war der Kläger in jüngerer Zeit in den Zeiträumen vom 22.09.2014 bis zum 26.09.2014, vom 29.09.2014 bis zum 02.10.2014, vom 13.10.2014 bis zum 17.10.2014 und vom 27.10.2014 bis zum 31.10.2014. Hintergrund war ein Streit des Klägers mit einem anderen in der Nachtschicht eingesetzten Kollegen. In der Wechselschicht sind 17 Arbeitnehmer beschäftigt, in der Nachtschicht sechs Arbeitnehmer.
Im Jahr 2013 war der Kläger an 35 Arbeitstagen arbeitsunfähig, im Jahr 2014 an ebenfalls 35 Arbeitstagen und im Jahr 2015 zum Zeitpunkt der Abfassung des Schriftsatzes der Beklagten vom 17.04.2015 an 39 Arbeitstagen.
In der Zeit vom 02.12.2014 bis zum 26.02.2015 war der Kläger aufgrund einer Therapiemaßnahme, mit der einer Suchterkrankung des Klägers begegnet werden sollte, arbeitsunfähig. Ab dem 10.03.2015 wurde er nach seiner Rückkehr in den Betrieb wieder in der Nachtschicht eingesetzt.
Am 25.03.2015 um 14.30 Uhr fand ein Krankenrückkehrgespräch statt. Daran nahmen (vgl. Seite 3 der Klageschrift vom 02.04.2015, Blatt 3 ArbG-Akte) der Geschäftsführer der Beklagten Herr B., der Personalleiter der Beklagten Herr M., die weiteren Mitarbeiter der Beklagten Herr K. und Herr Ko., das Betriebsratsmitglied Herr R. und der Kläger teil. Die Einzelheiten des Inhalts dieses Krankenrückkehrgesprächs sind streitig. Jedenfalls hat die Erörterung im
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Berufungsverhandlungstermin zweifelsfrei ergeben, dass es von der Beklagten nicht als Maßnahme des betrieblichen Eingliederungsmanagements beabsichtigt und/oder ausgestaltet war, insbesondere im Hinblick auf die gemäß § 84 Abs. 2 Satz 3 SGB IX erforderlichen Hinweise auf die Ziele des betrieblichen Eingliederungsmanagements sowie auf Art und Umfang der hierfür erhobenen und verwendeten Daten.
Ergebnis dieses Gesprächs war die noch am selben Tag ergangene Anordnung, der Kläger solle nach dem Feiertag Ostermontag, also ab dem 07.04.2015, seine Arbeit im Rahmen der Wechselschicht erbringen. Dementsprechend teilte die Beklagte ihrem Betriebsrat auf einem Formular „Umsetzungsbenachrichtigung von Mitarbeitern an den Betriebsrat“ mit, dass sie beabsichtige, den Kläger mit Wirkung ab 07.04.2015 in die Wechselschicht Früh/Spät umzusetzen. Als Begründung gab die Beklagte gegenüber dem Betriebsrat in dieser Umsetzungsbenachrichtigung an, aufgrund hoher Krankheitszeiten sei der Kläger in der Wechselschicht leichter ersetzbar als in der Nachtschicht (Anlage zum Schriftsatz der Beklagten vom 07.07.2015, Blatt 57 ArbG-Akte).
Am 07.04.2015 reichte der Kläger mit Klageschrift vom 02.04.2015 Klage ein, die zunächst nur den Hauptantrag enthielt, die Beklagte zu verurteilen, ihn zu unveränderten Arbeitsbedingungen als Maschinenbediener in der Nachtschicht, arbeitstäglich von 21.00 Uhr bis 05.00 Uhr, zu beschäftigen. Diese Klage wurde der Beklagten am 10.04.2015 zugestellt. Mit seinem am 11.06.2015 eingegangenen Schriftsatz vom selben Tag, der der Beklagten am 13.06.2015 zugestellt wurde, erweiterte der Kläger die Klage um den auch zuletzt noch verfolgten Hilfsantrag auf Feststellung, dass die Umsetzung rechtswidrig und rechtsunwirksam sei.
Ab dem 14.07.2015 war der Kläger arbeitsunfähig. Diese Arbeitsunfähigkeit dauerte ca. drei Monate an. Danach nahm der Kläger seine Arbeit wieder auf und arbeitete seither wie von der Beklagten angeordnet in Wechselschicht.
Erstinstanzlich hat der Kläger im Wesentlichen geltend gemacht, die Änderung der Arbeitszeiten durch den Wechsel von der Nachtschicht in die Wechselschicht sei im Hinblick auf die Umstellung seiner Lebensgewohnheiten und die erheblichen finanziellen Einbußen durch den Wegfall von Zuschlägen und Zulagen im konkreten Fall vom Direktionsrecht der Beklagten nicht gedeckt und somit rechtsunwirksam. Insbesondere habe die Beklagte die Bedürfnisse des Klägers, seine persönlichen Umstände, seine Vermögens- und Einkommensverhältnisse, seine sozialen Lebensverhältnisse und seine Unterhaltspflichten nicht berücksichtigt. Der Beklagten stehe kein berechtigtes Interesse für die Maßnahme zur Seite. Die Äuße-
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rung des Geschäftsführers der Beklagten anlässlich des Krankenrückkehrgesprächs, er wolle den Kläger künftig täglich sehen, sei nicht geeignet, ein berechtigtes Interesse der Beklagten zu begründen. Im Krankenrückkehrgespräch vom 25.03.2015 sei beklagtenseits gegenüber dem Kläger nicht geäußert worden, dass möglicherweise die Nachtschicht gesundheitlich unzuträglich sei und er in der Tagschicht eingesetzt werden solle, um die Krankheitsentwicklung besser beobachten zu können. Die Beklagte habe ihn auch nicht gefragt, ob ein möglicher Einsatz künftig in der Tagschicht oder der Wechselschicht gesundheitlich weniger belastend für ihn sein könne. Im Übrigen sei die Beschäftigung in der Wechselschicht durch die laufenden Umstellungen von Früh- auf Spätschicht und umgekehrt eher belastender. Auch objektiv seien die Fehlzeiten nicht durch die Nachtschicht verursacht. Dass selbst die Beklagte hiervon nicht ausgegangen sei, zeige der Umstand, dass sie den Kläger nach der Beendigung der Therapiemaßnahme zunächst wieder in der Nachtschicht eingesetzt habe. In diesem Einsatz seien bis zum Krankenrückkehrgespräch dann auch keine weiteren Fehlzeiten des Klägers aufgetreten. Wie die Äußerung des Geschäftsführers im Krankenrückkehrgespräch zeige, habe die Maßnahme ausschließlich den Kläger disziplinieren sollen und ihm klarmachen sollen, dass er dann, wenn krankheitsbedingte Fehlzeiten aufträten, nachteilig behandelt werde. Wenn die Beklagte vortrage, in der Nachtschicht seien Mitarbeiter schwerer zu ersetzen als in anderen Schichten, spreche dies nur dafür, den Kläger auch weiterhin in der Nachtschicht einzusetzen.
Im Übrigen handele es sich bei der streitigen Maßnahme um eine personelle Einzelmaßnahme im Sinne von § 99 Abs. 1 BetrVG. Hierzu sei der Betriebsrat nicht ordnungsgemäß angehört und beteiligt worden.
Erstinstanzlich hat der Kläger beantragt:
Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger über den 07.04.2015 zu unveränderten Arbeitsbedingungen als Maschinenbediener in der Nachtschicht, arbeitstäglich von 21.00 Uhr bis 05.00 Uhr, zu beschäftigen.
Hilfsweise:
Festzustellen, dass die durch die Beklagte vorgenommene Umsetzung des Klägers von der Nachtschicht in die Wechselschicht Früh-/Spätschicht bzw. Tagschicht durch Anordnung vom 25.03.2015 und mit Wirkung zum 07.04.2015 rechtswidrig und somit rechtsunwirksam ist.
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Erstinstanzlich hat die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Erstinstanzlich hat die Beklagte im Wesentlichen geltend gemacht, die streitige Maßnahme sei vom Direktionsrecht gedeckt. Der Arbeitsvertrag lasse eine derartige Einteilung des Klägers zu. Die Tätigkeit habe sich nicht auf eine Nachtschichtarbeit konkretisiert.
Hintergrund der Weisung sei tatsächlich das Krankenrückkehrgespräch vom 25.03.2015 gewesen. Bei diesem Gespräch seien die Fehlzeiten des Klägers und möglichen Ursachen hierfür besprochen worden. Angesprochen worden sei auch, dass möglicherweise die Dauernachtschicht der Gesundheit des Klägers unzuträglich sein könnte. Der Personalleiter Herr M. habe zuvor an einer Schulung teilgenommen gehabt, die arbeitswissenschaftliche Empfehlungen zur Schichtplangestaltung umfasst habe. Der Verbandsingenieur habe darauf hingewiesen, dass arbeitswissenschaftlich erwiesenermaßen mehr als drei Nachtschichten hintereinander gesundheitsschädlich seien, weil sich der Biorhythmus bei mehreren hintereinanderliegenden Nachtschichten nicht umkehre. Schlafdefizit und Unfallgefahr nähmen mit der Länge der Nachtschichtphase zu. Herr M. habe vor diesem Hintergrund im Rückkehrgespräch mit dem Kläger geäußert, dass die Arbeitgeberin der Auffassung sei, dass dem Kläger die Nachtschicht gesundheitlich nicht gut tue. Es solle einmal gesehen werden, ob die Wechselschicht für den Kläger besser sei. Möglich sei, dass der Geschäftsführer in diesem Gespräch geäußert habe, er wolle den Kläger jeden Tag sehen. Dies sei nicht herabsetzend gemeint gewesen. Der Geschäftsführer habe sich den Kläger gesund gewünscht und ihn deshalb jeden Tag sehen wollen. Auch nach Angaben des Betriebsarztes sei es bei so hohen Fehlzeiten wie denjenigen des Klägers eine Option, zu prüfen, ob diese mit der Nachtschicht in Zusammenhang stünden. Eine Dauernachtschicht sei generell gesundheitlich belastender als jede andere Arbeitszeit.
Für die Beklagte sei es durchaus schwerer, einen häufig fehlenden Mitarbeiter in der Nachtschicht zu ersetzen, da der Pool der heranzuziehenden Mitarbeiter geringer sei.
Interessen des Klägers habe die Beklagte hinreichend berücksichtigt. Zum einen stehe bei ihr die Gesundheitsvorsorge im Vordergrund, so dass sie im wohlverstandenen Interesse des Klägers gehandelt habe. Zum anderen erhalte der Kläger auch Zeitzuschläge in der Wechselschicht, so dass auch die finanziellen Interessen bedient würden. So enthalte die Frühschicht in der Stunde zwischen 05.00 Uhr und 06.00 Uhr noch einen Zuschlag von 30 %
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als sogenannten Nachtarbeitszuschlag. Bei der Spätschicht falle ein Spätarbeitszuschlag von 20 % an, weil die Arbeit nach 12.00 Uhr beginne und nach 19.00 Uhr ende.
Die Beklagte habe nicht im Einzelnen beurteilen können, ob die einzelnen Erkrankungen ursächlich auf die Lage der Arbeitszeit zurückzuführen seien. Sie sei aber berechtigt, diese Vermutung anzustellen, denn auch wenn der Kläger beispielsweise behaupte, wegen Darmbeschwerden krankgeschrieben worden zu sein, schließe das die Mitursächlichkeit der Dauernachtschicht nicht aus. Es sei eine Erwägung der Beklagten gewesen, den Kläger in der Wechselschicht einzusetzen, bis er sich gesundheitlich stabilisiert habe.
Der Betriebsrat habe nicht gemäß § 99 Abs. 1 BetrVG beteiligt werden müssen, weil die hier getroffene Einzelmaßnahme keine personelle Einzelmaßnahme im Sinne des § 99 BetrVG gewesen sei. Es liege keine Versetzung im Sinne von § 95 Abs. 3 BetrVG vor, wie in der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts für einen Wechsel von der Tag- in die Nachtschicht geklärt sei (Bezugnahme auf BAG 23.11.1993 - 1 ABR 38/93 - NZA 1994, 718). Auch vorliegend handele es sich um den identischen Arbeitsplatz, der lediglich zu einer anderen Tageszeit ausgefüllt werde. Darin liege keine Zuweisung eines anderen Arbeitsbereichs.
Das Arbeitsgericht hat mit dem hier angegriffenen Urteil vom 20.08.2015 die Klage hinsichtlich des Hauptantrags und des Hilfsantrags abgewiesen. Aus dem Arbeitsvertrag ergebe sich kein Anspruch auf Beschäftigung in der Nachtschicht. Das Arbeitsverhältnis habe sich ebensowenig auf eine solche Beschäftigung im Laufe der Zeit konkretisiert. Zum reinen Zeitablauf müssten vielmehr besondere Umstände hinzutreten, die erkennen ließen, dass der Arbeitnehmer nur noch verpflichtet sein solle, seine Arbeit ohne Änderung so wie bisher zu erbringen, also insbesondere regelmäßig in der Nachtschicht zu arbeiten (Bezugnahme auf BAG 23.06.1992 - 1 AZR 57/92). Allein aus dem Umstand, dass der Kläger über einen längeren Zeitraum ausschließlich in der Nachtschicht eingesetzt worden sei, dürfe der Kläger nach Treu und Glauben nicht auf einen Verpflichtungswillen der Beklagten für die Zukunft schließen. Besondere Umstände, die eine abweichende Betrachtung geböten, habe der Kläger nicht vorgetragen. Auch eine betriebliche Übung sei insoweit nicht entstanden. Die Schichteinteilung des Klägers habe nach alledem weiter dem Direktionsrecht der Beklagten unterstanden.
Ein Anspruch auf Beschäftigung in der Nachtschicht könne auch nicht daraus abgeleitet werden, dass die Beklagte ihr Direktionsrecht bei der Schichteinteilung des Klägers ab dem 07.04.2015 nicht nach billigem Ermessen gemäß § 315 Abs. 3 BGB ausgeübt habe. Das geschützte Interesse der Beklagten liege in den Fehlzeiten des Klägers und den damit
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verbundenen Problemen, in der Nachtschicht einen Ersatz für ihn zu finden, während es tagsüber leichter sei, auf Fehlzeiten zu reagieren. Soweit der Kläger dem entgegenhalte, nach Aussage seines Arztes sei die Nachtschicht für ihn gesünder, handele es sich um einen pauschalen, durch nichts belegten Vortrag des Klägers. Die Beklagte habe ein Interesse daran, zu überprüfen, ob die einzelnen Erkrankungen ursächlich auf die bisherige Lage der Arbeitszeit zurückzuführen seien und sich die Fehlzeiten gegebenenfalls durch einen Einsatz in der Wechselschicht reduzierten. Auch der alleinige Wegfall der Nachtschichtzulagen führe nicht zu einer Einschränkung des Direktionsrechts. Außerhalb erhalte der Kläger durch den Einsatz in der Wechselschicht auch Zuschläge von 30 % bzw. 20 %.
Der Hilfsantrag sei ebenfalls unbegründet. Mitbestimmungsrechte seien nicht verletzt, weil die Umsetzung von der Nachtschicht in die Wechselschicht keine zustimmungspflichtige Versetzung iSd. § 99, § 95 Abs. 3 BetrVG sei. Nicht ein anderer Arbeitsbereich werde zugewiesen, lediglich die Arbeitszeit des betroffenen Arbeitnehmers ändere sich. Der Arbeitsbereich iSd. § 95 Abs. 3 BetrVG werde nicht durch die Lage der Arbeitszeit bestimmt.
Dieses Urteil wurde dem Kläger am 30.09.2015 zugestellt.
Seine hiergegen gerichtete Berufung ging beim Landesarbeitsgericht rechtzeitig am 28.10.2015 ein. Auf seinen gleichzeitig eingegangenen Antrag wurde die Frist zur Begründung der Berufung bis zum 30.12.2015 verlängert. Rechtzeitig am 18.12.2015 ging die Berufungsbegründung des Klägers beim Landesarbeitsgericht ein.
Der Kläger wiederholt und vertieft sein erstinstanzliches Vorbringen in Auseinandersetzung mit den Urteilsgründen des Arbeitsgerichts. Die Maßnahme der Beklagten entspreche nicht billigem Ermessen gemäß § 315 BGB. Die Ende 2014 aufgetretene Fehlzeit sei durch eine ärztlicherseits angeordnete Suchttherapiemaßnahme verursacht. Sie stehe in keinem Zusammenhang mit seinem Arbeitsplatz oder der Lage seiner Arbeitszeiten. Er entbinde seine behandelnden Ärzte und zu bestellenden medizinischen Sachverständigen von der ärztlichen Schweigepflicht. Mit der damaligen Therapiemaßnahme sei seine Behandlung abgeschlossen gewesen. Sein Gesundheitszustand habe sich dadurch so weit gebessert, dass, wie die Beklagte selbst vortrage, im Jahr 2016 nur zwölf krankheitsbedingte Fehltage angefallen seien. Das liege aber nicht an der rechtsgrundlosen Versetzung in die Wechselschicht, die letztlich dieselben gesundheitlichen Belastungen mit sich bringe wie eine Nachtschicht. Hintergrund der Maßnahme sei es gewesen, den Kläger zu disziplinieren, weil er in dem fraglichen Mitarbeitergespräch von seinem Recht Gebrauch gemacht habe, keine Angaben zu seinen damaligen gesundheitlichen Beschwerden zu machen. Betriebsablaufstörungen
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oder eine schwerere Ersetzbarkeit eines Nachtschichtarbeitnehmers würden bestritten. Bestritten werde auch, dass im Rahmen des Krankenrückkehrgesprächs gegenüber dem Kläger von Seiten der Arbeitgeberin geäußert worden sei, er werde künftig in der Tagschicht eingesetzt, um auf Fehlzeiten besser reagieren zu können. Auch die Frage der gesundheitlichen Belastungen durch Einsatz in der Nachtschicht sei in dem Krankenrückkehrgespräch nicht angesprochen worden. Die Beklagte führe die Nachtschicht unverändert im gleichen Umfang und mit gleicher personeller Besetzung fort. Die Versetzung des Klägers sei jedenfalls eine völlig untaugliche Maßnahme zur Fehlzeitenreduzierung des Klägers. Als Grundvoraussetzung für eine zutreffende Interessenabwägung hätte die Beklagte prüfen müssen, ob und inwieweit der Einsatz des Klägers in der Nachtschicht gesundheitliche Nachteile für den Kläger habe. Stattdessen habe die Beklagte den Kläger nach Beendigung der Therapiemaßnahme sogar weiterhin zunächst in der Nachtschicht eingesetzt und die angeblichen Belastungen in Kauf genommen. Darüber hinaus habe die Beklagte es versäumt, ein betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM) entsprechend den Regelungen gemäß § 84 Abs. 2 SGB IX durchzuführen. Die gesamten Fragen im Zusammenhang mit den aufgetretenen krankheitsbedingten Fehlzeiten des Klägers und dahin, ob und inwieweit diese Fehlzeiten durch den Einsatz in der Nachtschicht ausgelöst worden seien bzw. die Ursachen hierauf zurückzuführen seien sowie ob und inwieweit mögliche Abhilfemaßnahmen bei Verbleib in der Nachtschicht hätten ergriffen oder unterstützt werden können, hätten im Zusammenhang eines solchen BEM besprochen und geklärt werden können unter Hinzuziehung des Betriebsarztes und der Mitarbeitervertretung. Die Beklagte habe dies versäumt, möglicherweise in dem Bewusstsein, dass sich hierdurch gerade die Nichtursächlichkeit der Nachtschicht für die Fehlzeiten herausgestellt hätte. Um eine ordnungsgemäße und vollständige Gesamtabwägung der gegenseitigen Interessen vornehmen zu können, wozu auch die Ursachen gehörten, wäre die Beklagte hier jedoch verpflichtet gewesen, ein solches BEM vor einer entsprechenden Entscheidung durchzuführen. Im Berufungsverhandlungstermin hat der Kläger ergänzt, ohne die Umsetzung hätte er nicht nur alle zwei Wochen mittwochs, sondern wöchentlich an einer nachstationären, ambulanten Entwöhnungsmaßnahme teilnehmen können.
Zweitinstanzlich beantragt der Kläger:
Das Urteil des Arbeitsgerichts Pforzheim vom 28.08.2015 - 6 Ca 154/15 - wird abgeändert.
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Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger als Maschinenbediener in der Nachtschicht, arbeitstäglich von 21.00 Uhr bis 05.00 Uhr, zu beschäftigen.
Hilfsweise:
festzustellen, dass die durch die Beklagte vorgenommene Umsetzung des Klägers von der Nachtschicht in die Wechselschicht Früh-/Spätschicht bzw. Tagschicht durch Anordnung vom 25.03.2015 und mit Wirkung zum 07.04.2015 rechtswidrig und somit rechtsunwirksam ist.
Zweitinstanzlich beantragt die Beklagte,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte verteidigt das erstinstanzliche Urteil unter Wiederholung und Vertiefung ihrer erstinstanzlichen Ausführungen. Der Kläger verwechsele die Voraussetzungen einer krankheitsbedingten Kündigung mit den rechtlichen Voraussetzungen für die Ausübung des Direktionsrechts. Er habe keinen Anspruch, ausschließlich in der Nachtschicht beschäftigt zu werden. Zu Recht habe das Arbeitsgericht bei der Prüfung, ob die Umsetzung des Klägers in die Wechselschicht billigem Ermessen nach § 315 Abs. 3 BGB entspreche, ausschlaggebend berücksichtigt, dass es für die Beklagte schwerer sei, den Kläger in der Nachtschicht bei einer Erkrankung zu ersetzen, weil der Personalpool in der Nachtschicht geringer sei als in der Tagschicht. Falle ein Mitarbeiter in der Nachtschicht aus, sei es nicht möglich, einen Mitarbeiter aus der Wechselschicht um ein Einspringen zu bitten, da in der Regel die Ruhezeiten nicht eingehalten werden würden. Der Schichtführer könne dann nur einen abteilungsfremden Mitarbeiter um Einsatz bitten, was allerdings infolge der dann notwendigen Einarbeitung wenig Sinn ergebe. Abgesehen davon, dass es die Mitarbeiter nicht tolerieren würden, in der Nacht angerufen zu werden, werde es dann so gehandhabt, dass der Schichtführer selbst einspringe. Dann könne er aber seinen eigentlichen Aufgaben, beispielsweise als Einsteller, nicht mehr nachkommen. Das führe zu erheblichen Betriebsablaufstörungen. Es habe nicht nur dem Interesse, sondern auch der Fürsorgepflicht der Beklagten entsprochen zu überprüfen, ob sich der Gesundheitszustand im Rahmen der Wechsel- bzw. Tagschicht stabilisieren werde. Hierzu habe die Beklagte nicht zunächst ein Sachverständigengutachten einholen oder den Hausarzt befragen müssen. Sie habe berechtigtermaßen durch eine relativ geringfügige Maßnahme versucht, den Gesundheitszustand des Klägers zu stabilisieren. Der Kläger verwechsele Maßnahmen nach dem betrieblichen Eingliederungsmanagement und nach dem sogenannten Krankenrückkehrgespräch. Im Rahmen des Krankenrückkehrgesprächs sei es durchaus ausreichend gewesen, ihm mitzuteilen, dass man zukünftig den Einsatz in
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der Tagschicht plane, um besser auf seine Fehlzeiten reagieren zu können. Wie bereits erstinstanzlich vorgetragen und unter Beweis gestellt, sei im Krankenrückkehrgespräch die Frage der gesundheitlichen Belastung durch die Nachtschicht angesprochen worden. Ein betriebliches Eingliederungsmanagement habe sie nicht durchgeführt, da sie keine Kündigung in Erwägung gezogen habe.
Entgegen den Zweifeln des Klägers habe die Beklagte Überlegungen zur Veränderung des Systems der Dauernachtschicht angestellt. Leider hätten diese Überlegungen nicht umgesetzt werden können, obwohl dies dem aktuellen arbeitsmedizinischen Stand der Wissenschaft entsprochen hätte. Jedoch wünschten die betroffenen Mitarbeiter dies nicht und hätten dies dem Betriebsrat so vermittelt. Für eine Systemumstellung wäre die Zustimmung des Betriebsrats erforderlich. Dieser verweigere sie. Zur Erhaltung des Betriebsfriedens habe die Beklagte davon abgesehen, ein Zustimmungsersetzungsverfahren einzuleiten. Dies ändere jedoch nichts an der Tatsache, dass die Beklagte die arbeitsmedizinischen Erkenntnisse gern zum Wohl ihrer Mitarbeiter umsetzen würde. Im Einzelfall behalte sie es sich daher auch vor, beim Verdacht einer gesundheitlichen Auswirkung gegenzusteuern und geeignete Maßnahmen wie hier zu ergreifen.
Zu den weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst der Anlagen sowie auf die Terminsprotokolle Bezug genommen.
Mit Verfügung vom 21.11.2016, auf die verwiesen wird (Blatt 68 LAG-Akte), hat das Berufungsgericht die Entgeltabrechnungen des Klägers für die Monate Oktober 2013 bis September 2014 und Oktober 2015 bis Oktober 2016 angefordert, um zu verstehen, welcher Einkommensunterschied in etwa zwischen einem Einsatz in der Nachtschicht und einem Einsatz in der Wechselschicht besteht. Daraufhin reichte die Beklagte zu Beginn des Berufungsverhandlungstermins vom 22.11.2016 die entsprechenden Entgeltabrechnungen in Kopie für die Gegenseite und das Gericht ein (Blatt 74 bis 117 LAG-Akte), und auch diese Unterlagen waren Gegenstand der mündlichen Berufungsverhandlung.
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Entscheidungsgründe
A
Die Berufung des Klägers ist zulässig. Sie ist gemäß § 64 Abs. 2 Buchst. b ArbGG statthaft und ist gemäß § 64 Abs. 6 ArbGG iVm. §§ 519, 520 ZPO in der gesetzlichen Form sowie gemäß § 66 ArbGG in der gesetzlichen Frist eingelegt und begründet worden.
B
Die Berufung des Klägers ist bereits hinsichtlich des von ihm verfolgten Hauptantrags begründet. Da der Kläger den Hilfsantrag nur für den Fall des Unterliegens mit seinem Hauptantrag verfolgt, ist durch die Abänderung des arbeitsgerichtlichen Urteils die vom Arbeitsgericht ausgesprochene Abweisung auch des Hilfsantrags hinfällig geworden, ohne dass dieser Antrag der Berufungskammer zu einer (stattgebenden oder abweisenden) Entscheidung angefallen wäre.
I.
Der Hauptantrag des Klägers in der zuletzt gestellten Form wirft keine Zulässigkeitsbedenken auf. Insbesondere ist der Klageantrag hinreichend konkret (vgl. BAG 09.04.2014 - 10 AZR 637/13 - NZA 2014, 719 mwN).
II.
Der Hauptantrag des Klägers ist auch begründet, da dieser verlangen kann, so beschäftigt zu werden, wie er vor der Weisung vom 25.03.2015 beschäftigt worden war, also in der bei der Beklagten eingerichteten Nachtschicht von 21.00 Uhr bis 05.00 Uhr. Die Weisung der Beklagten vom 25.03.2015 steht dem nicht entgegen.
1. Die hier für richtig gehaltene Rechtsfolge eines Beschäftigungsanspruchs folgt aus der Übertragung der in der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts für Versetzungen entwickelten Überlegungen auf die vorliegende Ausübung des Direktionsrechts.
a) Erweist sich eine vom Arbeitgeber vorgenommene Versetzung als unwirksam, so hat der Arbeitnehmer einen Anspruch auf Beschäftigung in seiner bisherigen Tätigkeit am bisherigen Ort. Solange der Arbeitgeber nicht rechtswirksam von seinem Weisungs-
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recht erneut Gebrauch gemacht oder eine wirksame Freistellung von der Arbeit ausgesprochen hat, bleibt es bei der bisher zugewiesenen Arbeitsaufgabe am bisherigen Ort, und der Arbeitnehmer hat einen dementsprechenden Beschäftigungsanspruch. Die gegenteilige Auffassung übersieht, dass eine ausgeübte Weisung nicht durch eine unwirksame Versetzung beseitigt werden kann. Im Übrigen beschränkt sie unangemessen die Möglichkeit einer effektiven Durchsetzung des Beschäftigungsanspruchs bis zu einer neuen Ausübung des Weisungsrechts durch den Arbeitgeber (vgl. BAG 25.08.2010 - 10 AZR 275/09 - NZA 2010, 1355 Rn. 15).
b) Entsprechendes gilt nach Sinn und Zweck des von § 106 GewO iVm. § 315 BGB angestrebten Schutzes des Arbeitnehmers auch dann, wenn eine Ausübung des Direktionsrechts sich als unwirksam erweist, welche die Lage der Arbeitszeit betrifft.
Das Gericht hat auch dann, wenn die Unwirksamkeit einer zeitlichen Weisung ausschließlich aus einer fehlerhaften Ausübung des Direktionsrechts folgt, zu einer Beschäftigung entsprechend derjenigen Weisung zu verurteilen, die vor der fehlerhaften Ausübung des Direktionsrechts lag. Selbst wenn man der Auffassung des Fünften Senats (22.02.2012 - 5 AZR 249/11 - BAGE 141, 34 Rn. 24) folgt, wonach bis zu der durch § 315 Abs. 3 Satz 2 BGB durch Urteil zu treffenden billigen Bestimmung eine vorläufige Bindung an die unbillige Weisung bestehe, so kann nach Auffassung der Berufungskammer dennoch das Gericht in dem Moment, in dem es die Unbilligkeit der Weisung erkennt, sofort dem (in die Zukunft gerichteten) Beschäftigungsanspruch ohne weitere Bindung an die unbillige Weisung stattgeben. So liegt der Fall auch hier. Eine Einschränkung dahin, dass zur Beschäftigung erst ab Rechtskraft der stattgebenden Entscheidung verurteilt werden könnte, ist von Rechts wegen nicht gefordert.
2. Zu Recht und mit zutreffender Begründung, der die erkennende Berufungskammer folgt, hat das Arbeitsgericht erkannt, dass der Kläger weder aus dem Arbeitsvertrag noch aus sogenannter Konkretisierung noch unter dem Gesichtspunkt eines angeblichen Verstoßes gegen § 99 BetrVG (zur letztgenannten Rechtsfrage wird zusätzlich auf BAG 23.11.1993 - 1 ABR 38/93 - NZA 1994, 718 Bezug genommen) beanspruchen kann, zukünftig in der Nachtschicht beschäftigt zu werden.
3. Ebensowenig liegen konkrete Anhaltspunkte für die Annahme vor, die Maßnahme sei gemäß § 612a BGB unwirksam. Der Kläger hat erst in der letzten Phase des Prozesses (Schriftsatz vom 17.11.2016, Seite 2, Blatt 66 LAG-Akte) behauptet, die Beklagte habe ihn nur „disziplinieren“ wollen, weil er in dem Mitarbeitergespräch am 25.03.2015 „von seinem
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Recht Gebrauch gemacht habe“, „keine Angaben zu seinen damaligen gesundheitlichen Beschwerden zu machen“. Diese Annahme des Klägers ist weder direkt noch durch hinreichende Indizien belegt. Die Äußerung des Geschäftsführers, er wolle den Kläger ab jetzt jeden Tag sehen, ist vielfältig interpretierbar, sowohl in dem vom Kläger als auch in dem von der Beklagten aufgezeigten Sinne. Sie bildet kein Indiz für die klägerische Behauptung. Auch ansonsten deuten keine ausreichenden Anhaltspunkte auf einen derartigen Ursachenzusammenhang hin.
4. Der Kläger kann die streitgegenständliche Beschäftigung aber verlangen, weil die Beklagte bei Ausübung ihres Weisungsrechts die Grenzen billigen Ermessens (§ 106 GewO, § 315 BGB) überschritten hat. Es fehlt an dem erforderlichen berechtigten Interesse der Beklagten an der Änderung der Lage der Arbeitszeit des Klägers.
a) Nach § 106 Satz 1 GewO kann der Arbeitgeber Inhalt, Ort und Zeit der Arbeitsleistung nach billigem Ermessen bestimmen, soweit diese Arbeitsbedingungen nicht durch Arbeitsvertrag, Bestimmungen einer Betriebsvereinbarung, eines anwendbaren Tarifvertrags oder gesetzliche Vorschriften festgelegt sind. Der Arbeitgeber kann die im Arbeitsvertrag nur rahmenmäßig umschriebene Leistungspflicht im Einzelnen nach Zeit, Art und Ort bestimmen. Dieses Recht darf nur nach billigem Ermessen iSv. § 315 Abs. 3 BGB ausgeübt werden (vgl. BAG 23.09.2004 - 6 AZR 567/03 - NZA 2005, 359). Das gilt auch für die Lage der Arbeitszeit. Fehlt es an einer Festlegung der Lage der Arbeitszeit durch Arbeitsvertrag, Tarifvertrag, Betriebsvereinbarung oder Gesetz, ergibt sich der Umfang der arbeitgeberseitigen Weisungsrechte aus § 106 GewO. Die Weisung des Arbeitgebers unterliegt dann einer Ausübungskontrolle gemäß § 106 Satz 1 GewO iVm. § 315 Abs. 3 BGB (vgl. BAG 10.12.2014 - 10 AZR 63/14 - NZA 2015, 483).
Eine Leistungsbestimmung entspricht billigem Ermessen, wenn die wesentlichen Umstände des Falles abgewogen und die beiderseitigen Interessen angemessen berücksichtigt worden sind. Bei der vorzunehmenden Abwägung ist auf die Interessenlage der Parteien im Zeitpunkt der Ausübung des Direktionsrechts abzustellen (vgl. BAG 23.09.2004 - 6 AZR 567/03 - aaO). Dementsprechend ist in der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts auch für die Lage der Arbeitszeit anerkannt, dass eine diesbezüglich vorzunehmende Leistungsbestimmung nach billigem Ermessen eine Abwägung der wechselseitigen Interessen nach verfassungsrechtlichen und gesetzlichen Wertentscheidungen, den allgemeinen Wertungsgrundsätzen der Verhältnismäßigkeit und Angemessenheit sowie der Verkehrssitte und Zumutbarkeit verlangt. In die Abwägung sind alle Umstände des Einzelfalls einzubeziehen. Hierzu gehören die Vorteile aus einer
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Regelung, die Risikoverteilung zwischen den Vertragsparteien, die beiderseitigen Bedürfnisse, außervertragliche Vor- und Nachteile, Vermögens- und Einkommensverhältnisse sowie soziale Lebensverhältnisse wie familiäre Pflichten und Unterhaltsverpflichtungen (vgl. BAG 10.12.2014 - 10 AZR 63/14 - NZA 2015, 483).
Der Arbeitgeber, der sich auf die Wirksamkeit einer an § 106 GewO zu messenden Maßnahme beruft, trägt die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen der Voraussetzungen gemäß § 106 GewO. Dazu gehört, dass er darlegt und gegebenenfalls beweist, dass seine Entscheidung billigem Ermessen entspricht (vgl. BAG 21.07.2009 - 9 AZR 404/08 - NZA 2009, 1369 Rn. 23).
Dabei ist nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts regelmäßig in einem ersten Schritt festzustellen, welche berechtigten Interessen der Arbeitgeber an der streitigen Maßnahme hat. So unterlag beispielsweise der Arbeitgeber in einem Fall, in dem er „schon nicht vorgetragen hatte“ „welche berechtigten eigenen Interessen an der Versetzung bestehen“ (vgl. BAG 21.07.2009 - 9 AZR 404/08 - NZA 2009, 1369 Rn. 23). Beruht die Weisung auf einer unternehmerischen Entscheidung, so kommt dieser besonderes Gewicht zu. Andererseits führt eine unternehmerische Entscheidung nicht dazu, dass die Abwägung mit Interessen des Arbeitnehmers von vornherein ausgeschlossen wäre und sich die Belange des Arbeitnehmers nur in dem vom Arbeitgeber durch die unternehmerische Entscheidung gesetzten Rahmen durchsetzen könnten. Das unternehmerische Konzept ist allerdings nicht auf seine Zweckmäßigkeit hin zu überprüfen (vgl. BAG 28.08.2013 - 10 AZR 569/12 - NZA-RR 2014, 181 Rn. 41). Beispielsweise hat das Bundesarbeitsgericht in einem Fall, in welchem der Arbeitgeber die Dauernachtschicht insgesamt (für alle Arbeitnehmer) abgeschafft hatte, dem betrieblichen Interesse der dortigen Arbeitgeberin, keine Schichtart aufrechterhalten zu müssen, für die es kein betriebliches Bedürfnis gab, besonderes Gewicht beigemessen (vgl. BAG 10.12.2014 - 10 AZR 63/14 - NZA 2015, 483 Rn. 32).
b) Bei Anwendung dieser Grundsätze auf den vorliegenden Fall ist im Ausgangspunkt zunächst festzuhalten, dass der Arbeitsvertrag (vgl. Nr. 1 und Nr. 3 des schriftlichen Arbeitsvertrags vom 12.07.1991) eine Beschäftigung in der streitgegenständlichen Wechselschicht grundsätzlich in dem Sinne gestattet, dass die Zuweisung einer solchen Schichtarbeit nicht die äußeren Grenzen des Direktionsrechts überschreitet.
Die Zuweisung der Wechselschicht durch die Weisung vom 25.03.2015 scheitert aber an der Ausübungskontrolle. Die hierfür darlegungsbelastete Beklagte hatte zum Zeit-
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punkt der Ausübung ihres Direktionsrechts kein als berechtigtes Interesse anzuerkennendes Interesse an der Umsetzung des Klägers in die Wechselschicht. Sie beruft sich insoweit ausschließlich auf ihre Erwartung, die Maßnahme der Umsetzung werde sich positiv auf den Gesundheitszustand und die Arbeitsfähigkeit des Klägers auswirken. Eine an eine solche Erwartung geknüpfte Maßnahme durfte sie aber zu diesem Zeitpunkt deshalb nicht umsetzen, weil sie ein solches Interesse gegenüber dem Kläger nicht ohne vorheriges ordnungsgemäßes betrieblichen Eingliederungsmanagement (oder das Angebot eines solchen) ins Feld führen durfte. Die Rechtsordnung überlässt dem Arbeitgeber nicht durchgehend die freie Entscheidung, wie er seiner Fürsorgepflicht gegenüber dem Arbeitnehmer im gesundheitlichen Bereich nachkommt. Vielmehr regelt § 84 Abs. 2 SGB IX in Satz 1, dass dann, wenn Beschäftigte - wie hier der Kläger - innerhalb eines Jahres länger als sechs Wochen ununterbrochen oder wiederholt arbeitsunfähig sind, der Arbeitgeber mit der zuständigen Interessenvertretung im Sinne des § 93 SGB IX mit Zustimmung und Beteiligung der betroffenen Person die Möglichkeiten, wie die Arbeitsunfähigkeit möglichst überwunden werden und mit welchen Leistungen oder Hilfen erneuter Arbeitsunfähigkeit vorgebeugt und der Arbeitsplatz erhalten werden kann (betriebliches Eingliederungsmanagement). Dieses Vorgehen ist keine freiwillige Option für den Arbeitgeber. Vielmehr ist er verpflichtet, dem Arbeitnehmer ein solches betriebliches Eingliederungsmanagement anzubieten. Gemäß § 84 Abs. 2 Satz 3 SGB IX ist die betroffene Person oder ihr gesetzlicher Vertreter zuvor auf die Ziele des betrieblichen Eingliederungsmanagements sowie auf Art und Umfang der hierfür erhobenen und verwendeten Daten hinzuweisen. Diese Anforderungen des Gesetzes sind nicht sinnlose Formvorschriften. Gerade durch die Erklärungen und Hinweise, die der Arbeitgeber in solchen Fällen dem Arbeitnehmer geben muss, soll die Wahrscheinlichkeit erhöht werden, dass der Arbeitnehmer sich auf das betriebliche Eingliederungsmanagement einlässt und beide Arbeitsvertragsparteien vertrauensvoll mit Hilfe weiterer Stellen ein konstruktives Ergebnis erzielen können.
Hier wäre das von der Beklagten verfolgte Ziel, nämlich zu klären, ob eine andere Art der Schichtarbeit erneuter Arbeitsunfähigkeit vorbeugen könne, exakt das Thema gewesen, für das das Gesetz das betriebliche Eingliederungsmanagement vorsieht. Ohne Erfolg hat die Beklagte in der Berufungsverhandlung eingewandt, sie habe nicht vorgehabt, das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger zu kündigen. Eine Kündigungsabsicht des Arbeitgebers ist keine Voraussetzung für die Erforderlichkeit eines betrieblichen Eingliederungsmanagements. Vielmehr ist dieses seiner ganzen Ausrichtung und Zielsetzung nach präventiv. Es soll bereits in einem frühen Stadium verhindern, dass sich ein Arbeitsverhältnis auf eine krankheitsbedingte Kündigung zubewegt. Soweit es in § 84 Abs. 2 Satz 1 SGB IX
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im letzten Halbsatz heißt „und der Arbeitsplatz erhalten werden kann“, missversteht die Beklagte dies, wenn sie meint, ein betriebliches Eingliederungsmanagement setze voraus, dass der Arbeitsplatz bereits so konkret gefährdet sei, dass eine Kündigung erwogen werde.
Die hier vertretene Auffassung steht nicht in Widerspruch zu der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur Auswirkung eines fehlenden betrieblichen Eingliederungsmanagements auf die Wirksamkeit einer Kündigung. Für den Kündigungsschutzprozess ist anerkannt, dass ein Verstoß gegen § 84 Abs. 2 SGB IX nicht unmittelbar zur Unwirksamkeit der Kündigung führt, sondern nur Auswirkungen auf die Darlegungs- und Beweislast hat (vgl. beispielsweise BAG 10.12.2009 - 2 AZR 198/09 - NZA 2010, 639). So ist es auch im Bereich des Direktionsrechts. Der vorliegende Fall ist aber durch die Besonderheit geprägt, dass das betriebliche Interesse, auf das sich der Arbeitgeber beruft, gerade darin liegt, etwas herauszufinden (nämlich Möglichkeiten der Besserung des Gesundheitszustandes des Arbeitnehmers), das herauszufinden exakt Ziel und Gegenstand des vom Gesetzgeber vorgesehenen Verfahrens des betrieblichen Eingliederungsmanagements ist. Das führt dazu, dass die Beklagte darlegen müsste, dass und weshalb die von ihr gewählte Methode, obwohl kein betriebliches Eingliederungsmanagement, dennoch diesem gleichwertig ist. Das ist ihr nicht gelungen. Alternativ dazu hätte sie sonstige betriebliche Interessen darlegen können. Das hat sie gleichfalls nicht getan, weil solche zum Zeitpunkt der Maßnahme objektiv auch nicht bestanden.
Eine andere Betrachtung mag in Fällen gerechtfertigt sein, in denen der Arbeitgeber ein betriebliches Eingliederungsmanagement ordnungsgemäß einleitet und parallel dazu die aus seiner Sicht gesundheitlich sinnvolle Erprobung geänderter Arbeitsbedingungen bereits vorläufig anordnet. So liegt der Fall hier aber nicht. Die Beklagte hat die Umsetzung des Klägers in die Wechselschicht nicht nur begrenzt auf die Zeit eines von ihr gleichzeitig begonnenen betrieblichen Eingliederungsmanagements angeordnet. Vielmehr hat sie ihn ohne Einschränkung umgesetzt und hat nicht zeitgleich ein betriebliches Eingliederungsmanagement versucht.
Da aus diesem Grund die Beklagte sich ohne Durchführung oder erfolgloses ordnungsgemäßes Angebot eines betrieblichen Eingliederungsmanagements nicht auf das einzige von ihr ins Feld geführte betriebliche Interesse berufen kann, ist eine Abwägung mit den gegenläufigen Interessen des Klägers an der Beibehaltung seines höheren Monatsverdienstes und an der Beibehaltung eines gleichförmigen Lebensrhyth-
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mus‘ sowie seinem Interesse daran, statt nur alle zwei Wochen jede Woche mittwochs zu der ambulanten Entwöhnungsmaßnahme gehen zu können, nicht mehr vorzunehmen. Ein nicht als berechtigt anzuerkennendes Interesse des Arbeitgebers entzieht sich von vornherein der Abwägung. Es ist in einem solchen Fall davon auszugehen, dass die Interessen des Arbeitnehmers regelmäßig, wenn diese nicht so unbedeutend sind, dass sie mit Null veranschlagt werden können, überwiegen. Hier liegt das Gewicht der genannten Interessen des Klägers jedenfalls deutlich über Null, ohne dass im Einzelnen der Frage nachgegangen werden muss, wie hoch beispielsweise der durchschnittliche monatliche Einkommensunterschied zwischen einer dauernden Arbeit in Nachtschicht und einer Arbeit in Wechselschicht liegt.
Nach alledem war das Urteil des Arbeitsgerichts hinsichtlich des Hauptantrags abzuändern und dem Beschäftigungsantrag des Klägers stattzugeben. Da die ca. dreimonatige Arbeitsunfähigkeit des Klägers in der Mitte des Jahres 2015 zum entscheidungserheblichen Zeitpunkt der Berufungskammer schon weit zurücklag und keine Anzeichen für eine erneute längere Arbeitsunfähigkeit erkennbar waren, stand der Verurteilung auch nicht der - von der Beklagten zu Recht schon gar nicht erhobene - Einwand der Unmöglichkeit entgegen.
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Die Beklagte hat gemäß § 91 ZPO als unterlegene Partei die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Die Zulassung der Revision beruht auf § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG (grundsätzliche Bedeutung). Die Frage des Verhältnisses der gesetzlichen Regelung über das betriebliche Eingliederungsmanagement und des Prüfungsmaßstabs für eine Maßnahme im Rahmen des Direktionsrechts des Arbeitgebers erscheint der erkennenden Berufungskammer grundsätzlich klärungsbedürftig.
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