- -> zur Mobil-Ansicht
- Arbeitsrecht aktuell
- Tipps und Tricks
- Handbuch Arbeitsrecht
- Gesetze zum Arbeitsrecht
- Urteile zum Arbeitsrecht
- Urteile 2023
- Urteile 2021
- Urteile 2020
- Urteile 2019
- Urteile 2018
- Urteile 2017
- Urteile 2016
- Urteile 2015
- Urteile 2014
- Urteile 2013
- Urteile 2012
- Urteile 2011
- Urteile 2010
- Urteile 2009
- Urteile 2008
- Urteile 2007
- Urteile 2006
- Urteile 2005
- Urteile 2004
- Urteile 2003
- Urteile 2002
- Urteile 2001
- Urteile 2000
- Urteile 1999
- Urteile 1998
- Urteile 1997
- Urteile 1996
- Urteile 1995
- Urteile 1994
- Urteile 1993
- Urteile 1992
- Urteile 1991
- Urteile bis 1990
- Arbeitsrecht Muster
- Videos
- Impressum-Generator
- Webinare zum Arbeitsrecht
-
Kanzlei Berlin
030 - 26 39 62 0
berlin@hensche.de
AnfahrtDetails -
Kanzlei Frankfurt
069 - 71 03 30 04
frankfurt@hensche.de
AnfahrtDetails -
Kanzlei Hamburg
040 - 69 20 68 04
hamburg@hensche.de
AnfahrtDetails -
Kanzlei Hannover
0511 - 89 97 701
hannover@hensche.de
AnfahrtDetails -
Kanzlei Köln
0221 - 70 90 718
koeln@hensche.de
AnfahrtDetails -
Kanzlei München
089 - 21 56 88 63
muenchen@hensche.de
AnfahrtDetails -
Kanzlei Nürnberg
0911 - 95 33 207
nuernberg@hensche.de
AnfahrtDetails -
Kanzlei Stuttgart
0711 - 47 09 710
stuttgart@hensche.de
AnfahrtDetails
LAG Köln, Urteil vom 23.01.2012, 5 Sa 371/11
Schlagworte: | Kündigung, Schmiergeldverbot | |
Gericht: | Landesarbeitsgericht Köln | |
Aktenzeichen: | 5 Sa 371/11 | |
Typ: | Urteil | |
Entscheidungsdatum: | 23.01.2012 | |
Leitsätze: | 1. Wer sich als Arbeitnehmer bei der Ausführung von vertraglichen Aufgaben Vorteile versprechen lässt oder entgegennimmt, die dazu bestimmt oder auch nur geeignet sind, ihn in seinem geschäftlichen Verhalten zugunsten Dritter und zum Nachteil seines Arbeitgebers zu beeinflussen, und damit gegen das sog. Schmiergeldverbot verstößt, handelt den Interessen seines Arbeitgebers zuwider und gibt diesem damit regelmäßig einen Grund zur fristlosen Kündigung. Dabei kommt es grundsätzlich nicht darauf an, ob es zu einer den Arbeitgeber schädigenden Handlung gekommen ist. Es reicht vielmehr aus, dass der gewährte Vorteil allgemein die Gefahr begründet, der Annehmende werde nicht mehr allein die Interessen des Geschäftsherrn wahrnehmen. In Fällen dieser Art liegt die eigentliche Ursache dafür, dass ein solches Verhalten die außerordentliche Kündigung rechtfertigt, nicht so sehr in der Verletzung vertraglicher Pflichten, sondern in der damit zu Tage getretenen Einstellung des Arbeitnehmers, unbedenklich eigene Vorteile bei der Erfüllung von Aufgaben wahrnehmen zu wollen, obwohl er sie allein im Interesse des Arbeitgebers durchzuführen hat. Durch sein gezeigtes Verhalten zerstört er das Vertrauen in seine Zuverlässigkeit und Redlichkeit. 2. Nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 Halbsatz 2 ZPO, der über § 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG auch im arbeitsgerichtlichen Berufungsverfahren Anwendung findet, ist das Berufungsgericht an die vom Erstgericht festgestellten Tatsachen gebunden, soweit nicht konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen und hiernach eine erneute Feststellung gebieten. Konkrete Anhaltspunkte, die hiernach die Bindung des Berufungsgerichts an den vorinstanzlichen Feststellungen entfallen lassen, können sich dabei insbesondere aus Verfahrensfehlern ergeben, die dem Eingangsgericht bei der Feststellung des Sachverhalts unterlaufen sind. Liegt ein derartiger Verfahrensfehler vor, obliegt dem Berufungsgericht die tatsächliche Inhaltskontrolle des erstinstanzlichen Urteils unbeschadet einer entsprechenden Berufungsrüge. 3. Die erneute Durchführung einer Beweisaufnahme gemäß § 398 Abs. 1 ZPO ist geboten, wenn das Berufungsgericht die Glaubwürdigkeit eines Zeugen anders beurteilen will als die erste Instanz, aber auch dann, wenn sich die nicht nur theoretische Möglichkeit einer unterschiedlichen Wertung ergeben kann |
|
Vorinstanzen: | Arbeitsgericht Köln, Urteil vom 9.09.2010, Az: 8 Ca 2939/09 | |
5 Sa 371/11
8 Ca 2939/09
Arbeitsgericht Köln
Verkündet am 23. Januar 2012
Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
LANDESARBEITSGERICHT KÖLN
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
In dem Rechtsstreit
- Kläger und Berufungskläger -
Prozessbevollmächtigte:
g e g e n
- Beklagte und Berufungsbeklagte -
Prozessbevollmächtigte:
hat die 5. Kammer des Landesarbeitsgerichts Köln auf die mündliche Verhandlung vom 23.01.2012 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Dr. S als Vorsitzenden sowie den ehrenamtlichen Richter Herr L und die ehrenamtliche Richterin Frau F
für R e c h t erkannt:
1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 09. September 2010 – 8 Ca 2939/09 – wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
3. Die Revision wird nicht zugelassen.
T a t b e s t a n d
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer verhaltensbedingten Kündigung.
Der Kläger ist bei der Beklagten seit dem 1. Mai 1986 als Müllwerker zu einem monatlichen Bruttogehalt von zuletzt 2.900 Euro beschäftigt. Auf das
- 2 -
Arbeitsverhältnis findet kraft einzelvertraglicher Bezugnahme der Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD) Anwendung.
Die Beklagte mahnte den Kläger erstmals am 21. Juli 2005 ab. Sie hielt ihm vor, Müll eines in einem „fremden“ Abfuhrrevier gelegenen Supermarkts gegen Gewährung von Sachleistungen entsorgt zu haben.
Eine weitere Abmahnung sprach die Beklagte am 20. Dezember 2006 wegen des Einsammelns von Geldzuwendungen bei Bürgern in K (sog. „Neujährchen“) aus.
Die Beklagte setzt auf einem Müllwagen drei Arbeitnehmer (einen Fahrer und zwei Müllwerker) ein. Zu dem Revier, dem der Kläger zugeordnet war, gehörte der Wohnkomplex W S. Die Müllcontainer befinden sich in der Tiefgarage. In der Vergangenheit brachten die Hausmeister des Wohnkomplexes die Müllcontainer zur Leerung nicht nach oben. Vielmehr steuerten die Fahrzeuge der Beklagten die Tiefgarage an. Zwischen den Parteien ist streitig, ob sich die jeweilige Besatzung des Fahrzeuges diese Tätigkeit von den Hausmeistern gesondert bezahlen ließ. Die Beklagte ging ursprünglich davon aus, dass die von ihr angenommenen Zahlungen nicht für das Ansteuern der Tiefgarage, sondern für das Entsorgen sog. „Nebenabfälle“ erfolgten. Dabei handelt es sich um Abfälle, die sich nicht in den dafür vorgesehenen gebührenpflichtigen Containern befinden.
Die Beklagte hörte den Kläger am 25. März 2009 zu dem Vorwurf an, er habe in dem Objekt in der WS regelmäßig für die Mitnahme von Nebenabfällen Geldzahlungen gefordert und erhalten. Ob sie ihm weiterhin vorhielt, er habe am 27. Februar 2009 von den Hausmeistern Fund F für den März 2009 die Zahlung von 60 Euro verlangt und im Anschluss vom Hausmeisterbüro aus mit dem neuen Verwalter Herrn R telefoniert, ist zwischen den Parteien streitig. Der Kläger bestritt die Vorwürfe.
Mit Schreiben vom 27. März 2009 hörte die Beklagte den Betriebsrat wegen der Absicht, eine außerordentliche Tatkündigung, hilfsweise eine außerordentliche Tatkündigung auszusprechen. In der Anhörung heißt es, der Kläger habe für die „Entsorgung von Nebenabfällen von Kunden Bargeld
- 3 -
eingefordert und angenommen und – nachdem diese Zahlungen nicht mehr geleistet wurde, dem Kunden sogar gedroht, zukünftig Ärger mit der Müllabfuhr zu bekommen“. Wegen des weiteren Inhalts des Anhörungsschreibens wird auf die Kopie Bl. 46 ff. d. A. Bezug genommen. Der Betriebsrat gab keine Stellungnahme ab.
Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 2. April 2009 fristlos. Der gegen die Wirksamkeit der Kündigung gerichtete Klageantrag ist am 3. April 2009 bei Gericht eingegangen.
Der Kläger hat bestritten, sich pflichtwidrig verhalten zu haben. Er habe für die Abfallentsorgung im Objekt WSzu keinem Zeitpunkt Geld gefordert oder erhalten. Nebenabfälle fielen in dem Objekt nicht an. Daher habe er auch am 27. Februar 2009 von den Hausmeistern F und F nicht die Zahlung von 60 Euro für März 2009 verlangt. Er habe auch nicht mit Herrn R telefoniert. Er hat die ordnungsgemäße Anhörung des Betriebsrats gerügt.
Der Kläger hat beantragt,
1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis nicht durch die außerordentliche Kündigung vom 03.04.2009 sein Ende gefunden hat;
2. die Beklagte zu verurteilen, ihn bis zum rechtskräftigen Abschluss des Rechtsstreites zu den Konditionen des zum 01.11.1985 geschlossenen Arbeitsvertrages in der heutigen Ausgestaltung tatsächlich weiterzubeschäftigen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
- 4 -
Sie hat behauptet, der Kläger habe am 27. Februar 2009 von den Hausmeistern F und F wie bereits in der Vergangenheit auch die Zahlung von 60 Euro für die Entsorgung von Nebenabfällen im März 2009 verlangt. Der von den Hausmeistern über die bisherige Praxis unterrichtete neue Verwalter Herr R habe diese angewiesen, zukünftig die Zahlung zu verweigern. Darüber hätten sie den Kläger unterrichtet. Diese sei daraufhin wütend geworden und habe verlangt, den Chef zu sprechen. Es sei im Hausmeisterbüro ein telefonischer Kontakt zu Herrn R hergestellt worden. Der Kläger habe Herrn R gedroht, zukünftig den Nebenabfall liegen zu lassen und dafür zu sorgen, dass er zukünftig Ärger mit der Müllabfuhr haben werde. Bei der nächsten Abholung am 5. März 2009 habe sich der Kläger geweigert, den Müll in der Tiefgarage abzuholen. Er habe den Hausmeistern erklärt, er werde den Müll nur mitnehmen, wenn sie ihn an die Straße brächten. Seine beiden Kollegen hätten in einer späteren Befragung angegeben, der Kläger habe ihnen mitgeteilt, der Betriebshof habe eine entsprechende Anweisung erteilt. Von diesen Vorfällen sei die Sachbearbeiterin Frau D von Herrn R am 17. März 2009 unterrichtet worden. Sie habe dann ermittelt, welche Müllwagenbesatzung in Betracht gekommen seien. Von diesen seien Fotos angefertigt worden. Hierzu hat sie ein Originalfoto des Klägers mit einer von den Herren F und F unterschriebenen Erklärung (Bl. 134 d. A.) zu den Gerichtsakten gereicht. Sie habe die Fotos Herrn R, Herrn F und Herrn F am 25. März 2009 gezeigt. Herr F und Herr F hätten den Kläger als denjenigen identifiziert, der mit ihnen gesprochen und mit Herrn R telefoniert habe.
Mit Urteil vom 9. September 2010 hat das Arbeitsgericht der Klage nach Vernehmung der Zeugen F, F und R abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, die Voraussetzungen einer Tatkündigung lägen vor. Nach der Beweisaufnahme stehe zu der Überzeugung der Kammer fest, dass der Kläger am 27. Februar 2009 von den Hausmeistern F und Fsowie Herrn R die Zahlung von 60 Euro als monatlichen Obulus für die Müllentsorgung verlangt habe. Für die Kammer stehe auch fest, dass der Kläger derjenige Mitarbeiter der Beklagten sei, der die Forderung erhoben habe. Dem stehe nicht entgegen, dass die Zeugen den Kläger in ihrer Vernehmung, die eineinhalb Jahre nach dem Vorfall erfolgt sei, nicht mehr zweifelsfrei erkannt hätten. Sowohl Herr F als auch Herr F hätten jedoch bestätigt, dass sie den Kläger bei ihrer zeitnahen
- 5 -
Befragung anhand der Fotos sicher identifiziert hätten. Wegen des weiteren Inhalts des Urteils wird auf Bl. 150 ff d. A. Bezug genommen.
Gegen das ihm am 28. September 2010 zugestellte erstinstanzliche Urteil hat der Kläger mit am 8. Oktober beim Landesarbeitsgericht Köln eingegangenem Schriftsatz vom gleichen Tag Berufung eingelegt und diese nach entsprechender Verlängerung der Berufungsbegründungsschrift mit Schriftsatz vom 29. Dezember 2010, welcher am gleichen Tag beim Landesarbeitsgericht eingegangen ist, begründet.
Der Kläger ist nach wie vor der Auffassung, die Kündigung vom 3. April 2009 sei wirksam. Er bestreite den Kündigungsvorwurf nach wie vor. Das Arbeitsgericht habe eine fehlerhafte Beweiswürdigung vorgenommen. Die Zeugenaussagen seien widersprüchlich und kollidierten miteinander. Von einer eindeutigen Identifizierung seiner Person als Erpresser könne keine Rede sein. Es habe sich nicht aufklären lassen, wo die Mülltonnen am 27. Februar 2009 gestanden hätten. Das Arbeitsgericht habe seinen gegenbeweislichen Beweisantrag zu seiner Behauptung, dass es keine Nebenabfälle gegeben habe und damit auch keine monatlichen Zahlungen von 60 Euro, übergangen. Er habe auch Beweis dafür angetreten, dass er mit Herrn R nicht telefoniert habe. Die Kündigung verstoße auch gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung. Die Beklagte habe seine Kollegen nicht belangt, obwohl gerichtsbekannt sein dürfte, dass Müllwerker „Hand in Hand“ arbeiteten. Die Kündigung sei auch deswegen unwirksam, weil sich die Beklagte nunmehr auf einen ganz anderen Kündigungsgrund stütze als in der Anhörung des Betriebsrats. Wenn der Beklagten Nebenabfall nicht gemeldet werde, gingen ihr Müllgebühren verloren. Nunmehr werde ihm (lediglich) vorgehalten, eine Gefälligkeit gemacht und dafür einen Obulus erhalten zu haben.
Der Kläger beantragt,
- 6 -
1. unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Köln - 8 Ca 2939/09 - vom 09.09.2010 wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die außerordentliche Kündigung vom 03.04.2009 sein Ende gefunden hat;
2. unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Köln 8 Ca 2939/09 vom 09.09.2010 wird die Beklagte verurteilt, ihn bis hin zum rechtskräftigen Abschluss des Rechtsstreites zu den Konditionen des zum 01.11.1985 geschlossenen Arbeitsvertrages in der heuten Ausgestaltung als Müllabfertiger weiterzubeschäftigen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vortrags das angefochtene Urteil. Allerdings habe die Beweisaufnahme ergeben, dass die Zahlungen und die Forderung des Klägers nicht für das Abholen von Nebenabfällen erfolgt seien, sondern für das Anfahren der Tiefgarage. Der Kündigungsvorwurf ändere sich dadurch nicht. Gegen die anderen Mitarbeiter sei sie nicht vorgegangen, weil sie gegen diese zwar einen gewissen Verdacht gehegt habe, aber nicht beweisen könne, dass sie an den Erlösen partizipiert hätten.
Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils, das Ergebnis der durchgeführten Beweisaufnahme, die im Berufungsverfahren gewechselten Schriftsätze, die eingereichten Unterlagen sowie die Sitzungsniederschriften Bezug genommen.
- 7 -
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
I. Die Berufung des Klägers ist zulässig. Sie ist gemäß § 64 Abs. 1 und Abs. 2 ArbGG statthaft und wurde gemäß §§ 66 Abs. 1 Satz 1, 64 Abs. 6 Satz 1 und 5 ArbGG, §§ 519 und 520 ZPO frist- und formgerecht eingelegt und begründet.
II. Das Rechtsmittel hat in der Sache jedoch keinen Erfolg. Das Arbeitsgericht ist zu Recht und mit zutreffenden Erwägungen zu dem Ergebnis gekommen, dass die Kündigung der Beklagten vom 3. April 2009 als wirksam ist. Die Voraussetzungen einer Tatkündigung liegen vor. Ob auch die Voraussetzungen einer Verdachtskündigung gegeben sind, bedarf keiner Entscheidung. Für die Kündigung besteht zunächst ein Kündigungsgrund. Der von der Beklagten erhobene Vorwurf, der Kläger habe gegen das sogenannte „Schmiergeldverbot“ verstoßen, ist „an sich“ geeignet, eine fristlose Kündigung zu rechtfertigen. Nach Durchführung der Beweisaufnahme durch das Arbeitsgericht steht auch zur Überzeugung der Kammer fest, dass der Kläger am 27. Februar 2009 von den Hausmeistern F und F 60 Euro dafür verlangt hat, dass die Müllabfuhr auch weiterhin die Tiefgarage des Wohnkomplexes WS anfährt. Die bereits vom Arbeitsgericht durchgeführte Beweisaufnahme war weder zu wiederholen noch zu ergänzen. Es bestehen keine Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit entscheidungserheblicher Feststellungen. Es war insbesondere nicht angezeigt, eine Beweisaufnahme zu der Frage durchzuführen, ob der Kläger mit Herrn R telefoniert hat. Denn die Kündigung erweist sich auch dann als wirksam, wenn zu Gunsten des Klägers davon ausgegangen wird, er habe nicht mit Herrn R telefoniert. Kündigungsgrund ist nicht das Führen eines Telefonats, sondern das an die Herren F und F gerichtete Verlangen, Schmiergeld zu erhalten. Angesichts der Schwere der Pflichtverletzung durch den Kläger fällt die Interessenabwägung zu seinen Lasten aus. Die Beklagte hat die Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB gewahrt. Der Betriebsrat ist zu dem Kündigungssachverhalt ordnungsgemäß angehört worden. Ein Nachschieben von Kündigungsgründen
- 8 -
gegenüber dem Betriebsrat war nicht erforderlich. Wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses hat der Kläger keinen Anspruch auf Weiterbeschäftigung.
1. Die Kündigung vom 3. April 2009 ist durch einen wichtigen Grund ISv. § 34 Abs. 2 Satz 1 TVöD, § 626 Abs. 1 TVöD gedeckt.
a) Das Arbeitsverhältnis eines nach § 34 Abs. 2 Satz 1 TVöD ordentlich unkündbaren Arbeitnehmers kann nur noch aus wichtigem Grund gekündigt werden. Der Begriff des wichtigen Grundes iSv. § 34 Abs. 2 Satz 1 TVöD ist inhaltsgleich mit dem des § 626 Abs. 1 BGB (vgl. BAG 09. Juni 2011 – 2 AZR 381/10 – NZA 2011, 1027; 26. November 2009 – 2 AZR 272/08 – NZA 2010, 628).
Die am Maßstab des § 626 Abs.1 BGB vorzunehmende Prüfung einer außerordentlichen Kündigung hat zweistufig zu erfolgen. Zunächst ist zu prüfen, ob ein bestimmter Sachverhalt ohne die besonderen Umstände des Einzelfalls an sich geeignet, ist, einen wichtigen Kündigungsgrund abzugeben. Liegt ein solcher Sachverhalt vor, bedarf es der weiteren Prüfung, ob die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalls und der Abwägung der Interessen beider Vertragsteile bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist zumutbar ist oder nicht (BAG 07. Juli 2011 – 2 AZR 355/10 – NJW 2011, 3803; 09. Juni 2011 – 2 AZR 323/10 – NZA 2011, 1342; 6. September 2007 – 2 AZR 264/06 – NJW 2008, 1097; 27. April 2006 – 2 AZR 415/05 – AP § 626 BGB Nr. 203; 2. März 1989 – 2 AZR 280/88 – EzA § 626 BGB n.F. Nr. 118). Bei einem ordentlich unkündbaren Arbeitnehmer ist dabei auf die fiktive Kündigungsfrist abzustellen (BAG 09. Juni 2011 – 2 AZR 323/10 – NZA 2011, 1342; 18. September 2008 – 2 AZR 827/06 – ezA § 626 BGB 2002 Nr. 24).
Zu berücksichtigen ist, dass für die verhaltensbedingte Kündigung das Prognose- und nicht das Sanktionsprinzip gilt. Eine verhaltensbedingte Kündigung ist gerechtfertigt, wenn eine störungsfreie Vertragserfüllung in Zukunft nicht mehr zu erwarten steht, künftigen Pflichtverstößen demnach nur durch die Beendigung der Vertragsbeziehung begegnet werden kann (BAG 10. Juni 2010 – 2 AZR 541/09 – NZA 2010, 1227).
- 9 -
Nicht entscheidend ist in diesem Zusammenhang die strafrechtliche Beurteilung des Verhaltens des Arbeitnehmers. Maßgeblich ist, ob eine schwerwiegende Verletzung der Vertragspflichten des Arbeitnehmers vorliegt (BAG 10. Juni 2010 – 2 AZR 541/09 – NZA 2010, 1227; 24. November 2005 – 2 AZR 684/04 – NZA 2006, 650; 10. Oktober 2002 – 2 AZR 418/01 – EzA § 626 BGB 2002 Unkündbarkeit Nr. 1).
Nach § 3 Abs. 2 Satz 1 TVöD dürfen Beschäftigte von Dritten Belohnungen, Geschenke, Provisionen oder sonstige Vergünstigungen in Bezug auf ihre Tätigkeit nicht annehmen. Ausnahmen sind gemäß § 3 Abs. 2 Satz 2 TVöD nur mit Zustimmung des Arbeitgebers möglich.
Wer sich als Arbeitnehmer bei der Ausführung von vertraglichen Aufgaben Vorteile versprechen lässt oder entgegennimmt, die dazu bestimmt oder auch nur geeignet sind, ihn in seinem geschäftlichen Verhalten zugunsten Dritter und zum Nachteil seines Arbeitgebers zu beeinflussen, und damit gegen das sog. Schmiergeldverbot verstößt, handelt den Interessen seines Arbeitgebers zuwider und gibt diesem damit regelmäßig einen Grund zur fristlosen Kündigung. Dabei kommt es grundsätzlich nicht darauf an, ob es zu einer den Arbeitgeber schädigenden Handlung gekommen ist. Es reicht vielmehr aus, dass der gewährte Vorteil allgemein die Gefahr begründet, der Annehmende werde nicht mehr allein die Interessen des Geschäftsherrn wahrnehmen. In Fällen dieser Art liegt die eigentliche Ursache dafür, dass ein solches Verhalten die außerordentliche Kündigung rechtfertigt, nicht so sehr in der Verletzung vertraglicher Pflichten, sondern in der damit zu Tage getretenen Einstellung des Arbeitnehmers, unbedenklich eigene Vorteile bei der Erfüllung von Aufgaben wahrnehmen zu wollen, obwohl er sie allein im Interesse des Arbeitgebers durchzuführen hat. Durch sein gezeigtes Verhalten zerstört er das Vertrauen in seine Zuverlässigkeit und Redlichkeit (BAG 15. November 2001 – 2 AZR 605/00 – BAGE 99, 331; 21. Juni 2001 – 2 AZR 30/00 – EzA § 626 BGB Unkündbarkeit Nr. 7).
Liegt ein wichtiger Grund zur außerordentlichen Kündigung an sich vor, so kann eine hierauf gestützte beabsichtigte außerordentliche Kündigung gleichwohl das Arbeitsverhältnis nur wirksam beenden, wenn bei der umfassenden Interessenabwägung das Beendigungsinteresse des
- 10 -
Arbeitgebers das Bestandsinteresse des Arbeitnehmers überwiegt (BAG 6. September 2007 – 2 AZR 264/06 – NJW 2008, 1097; 16. Dezember 2004 - 2 ABR 7/04 - AP § 626 BGB Nr. 191; 17. März 1988 - 2 AZR 576/87 - BAGE 58, 37)
Die Umstände, anhand derer zu beurteilen ist, ob dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung zumutbar ist oder nicht, lassen sich nicht abschließend festlegen. Zu berücksichtigen sind aber regelmäßig das Gewicht und die Auswirkungen einer Vertragspflichtverletzung, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf. Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind (BAG 09. Juni 2011 – 2 AZR 323/10 – NZA 2011, 1342; 10. Juni 2010 – 2 AZR 541/09 – NZA 2010, 1227).
Als mildere Reaktionen sind insbesondere Abmahnung und ordentliche Kündigung anzusehen. Sie sind dann alternative Gestaltungsmittel, wenn schon sie geeignet sind, den mit der außerordentlichen Kündigung verfolgten Zweck - die Vermeidung des Risikos künftiger Störungen - zu erreichen (BAG 10. Juni 2010 – 2 AZR 541/09 – NZA 2010, 1227).
Die Notwendigkeit der Prüfung, ob eine (hier rechtlich ausgeschlossene) fristgerechte Kündigung als Reaktion ausgereicht hätte, folgt schon aus dem Wortlaut des § 626 Abs. 1 BGB. Das Erfordernis weitergehend zu prüfen, ob nicht schon eine Abmahnung ausreichend gewesen wäre, folgt aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (die Kündigung als „ultima ratio“) und trägt zugleich dem Prognoseprinzip bei der verhaltensbedingten Kündigung Rechnung. Das Erfordernis gilt auch bei Störungen im Vertrauensbereich. Es ist nicht stets und von vorneherein ausgeschlossen, verlorenes Vertrauen durch künftige Vertragstreue zurückzugewinnen (BAG 10. Juni 2010 – 2 AZR 541/09 – NZA 2010, 1227).
Beruht die Vertragspflichtverletzung auf steuerbarem Verhalten des Arbeitnehmers, ist grundsätzlich davon auszugehen, dass sein künftiges Verhalten schon durch die Androhung von Folgen für den Bestand des
- 11 -
Arbeitsverhältnisses positiv beeinflusst werden kann. Die ordentliche wie die außerordentliche Kündigung wegen einer Vertragspflichtverletzung setzen deshalb regelmäßig eine Abmahnung voraus. Sie dient der Objektivierung der negativen Prognose. Ist der Arbeitnehmer ordnungsgemäß abgemahnt worden und verletzt er dennoch seine arbeitsvertraglichen Pflichten erneut, kann regelmäßig davon ausgegangen werden, es werde auch zukünftig zu weiteren Vertragsstörungen kommen (BAG 10. Juni 2010 – 2 AZR 541/09 – NZA 2010, 1227)
Nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist eine Kündigung nicht gerechtfertigt, wenn es mildere Mittel gibt, eine Vertragsstörung zukünftig zu beseitigen. Dieser Aspekt hat durch die Regelung des § 314 Abs. 2 BGB iVm. § 323 Abs. 2 BGB eine gesetzgeberische Bestätigung erfahren Einer Abmahnung bedarf es in Ansehung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes deshalb nur dann nicht, wenn eine Verhaltensänderung in Zukunft selbst nach Abmahnung nicht zu erwarten steht oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass eine Hinnahme durch den Arbeitgeber offensichtlich - auch für den Arbeitnehmer erkennbar - ausgeschlossen ist (BAG 10. Juni 2010 – 2 AZR 541/09 – NZA 2010, 1227)
Für die Zumutbarkeit der Weiterbeschäftigung kann es von erheblicher Bedeutung sein, ob der Arbeitnehmer bereits geraume Zeit in einer Vertrauensstellung beschäftigt war, ohne vergleichbare Pflichtverletzungen begangen zu haben. Das gilt auch bei Pflichtverstößen im unmittelbaren Vermögensbereich. Eine für lange Jahre ungestörte Vertrauensbeziehung zweier Vertragspartner wird nicht notwendig schon durch eine erstmalige Vertrauensenttäuschung vollständig und unwiederbringlich zerstört. Je länger eine Vertragsbeziehung ungestört bestanden hat, desto eher kann die Prognose berechtigt sein, dass der dadurch erarbeitete Vorrat an Vertrauen durch einen erstmaligen Vorfall nicht vollständig aufgezehrt wird. Dabei kommt es nicht auf die subjektive Befindlichkeit und Einschätzung des Arbeitgebers oder bestimmter für ihn handelnder Personen an. Entscheidend ist ein objektiver Maßstab. Maßgeblich ist nicht, ob der Arbeitgeber hinreichendes Vertrauen in den Arbeitnehmer tatsächlich noch hat. Maßgeblich ist, ob er es aus der Sicht eines objektiven Betrachters haben müsste. Im Arbeitsverhältnis
- 12 -
geht es nicht um ein umfassendes wechselseitiges Vertrauen in die moralischen Qualitäten der je anderen Vertragspartei. Es geht allein um die von einem objektiven Standpunkt aus zu beantwortende Frage, ob mit einer korrekten Erfüllung der Vertragspflichten zu rechnen ist (BAG 07. Juli 2011 – 2 AZR 355/10 – NJW 2011, 3803; 10. Juni 2010 – 2 AZR 541/09 – NZA 2010, 1227).
Eine etwaige Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes durch den Arbeitgeber führt nicht bereits ohne weiteres und als solche zur Unwirksamkeit der Kündigung. Die Berücksichtigung des Gleichbehandlungsgrundsatzes erfolgt bei verhaltensbedingten Kündigungen im Rahmen der Interessenabwägung (BAG 03. Juli 2003 – 2 AZR 617/02 – BAGE 107, 56).
b) Nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 Halbsatz 2 ZPO, der über § 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG auch im arbeitsgerichtlichen Berufungsverfahren Anwendung findet, ist das Berufungsgericht an die vom Erstgericht festgestellten Tatsachen gebunden, soweit nicht konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen und hiernach eine erneute Feststellung gebieten. Konkrete Anhaltspunkte, die hiernach die Bindung des Berufungsgerichts an den vorinstanzlichen Feststellungen entfallen lassen, können sich dabei insbesondere aus Verfahrensfehlern ergeben, die dem Eingangsgericht bei der Feststellung des Sachverhalts unterlaufen sind. Liegt ein derartiger Verfahrensfehler vor, obliegt dem Berufungsgericht die tatsächliche Inhaltskontrolle des erstinstanzlichen Urteils unbeschadet einer entsprechenden Berufungsrüge (BGH 12. März 2004 – V ZR 257/03 – BGHZ 158, 269; LAG Frankfurt 19. Juli 2004 – 16 Sa 2167/03 – NZA-RR 2005, 312).
Die erneute Durchführung einer Beweisaufnahme gemäß § 398 Abs. 1 ZPO ist geboten, wenn das Berufungsgericht die Glaubwürdigkeit eines Zeugen anders beurteilen will als die erste Instanz, aber auch dann, wenn sich die nicht nur theoretische Möglichkeit einer unterschiedlichen Wertung ergeben kann (BGH 14. Juli 2009 – VIII ZR 3/09 – NJW-RR 2009, 1291; BAG 26. April 2007 – 8 AZR 610/06 – juris; LAG Rheinland-Pfalz 21. Mai 2010 – 9 Sa 705/09 – NZA-RR 2011, 83; LAG Niedersachsen 20. Mai 2010 – 9 Sa 1914/08 – juris).
- 13 -
c) Nach diesen Grundsätzen besteht ein wichtiger Grund zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses des Klägers. Dies steht zu der Überzeugung des Gerichts fest, ohne dass es einer erneuten Beweisaufnahme bedurft hätte.
Der wichtige Grund besteht in der vom Kläger gegenüber den Zeugen F und F erhobenen Forderung, für den März 2009 60 Euro zu erhalten, damit er dafür sorgt, dass der Müllwagen die Tiefgarage im Wohnkomplex W S ansteuert. Darauf, ob der Kläger die Forderung telefonisch gegenüber dem Zeugen R wiederholt und ihm gegenüber eine Drohung ausgesprochen hat, kommt es für die Entscheidung des Rechtsstreits nicht maßgeblich an. Selbst wenn zu Gunsten des Klägers angenommen wird, er habe nicht mit Herrn R telefoniert, ergibt sich keine andere Betrachtung. Vor diesem Hintergrund bestand für die Kammer kein Anlass, dem gegenbeweislichen Beweisantritt des Klägers zu seiner Behauptung, er habe nicht mit Herrn R telefoniert, nachzugehen. Die Kammer musste daher auch nicht darüber befinden, ob insoweit ein ausreichender bzw. tauglicher Beweisantritt vorlag.
Die Forderung an einen Kunden der Beklagten, Geld für eine Dienstleistung persönlich zu erhalten, stellt „an sich“ einen Kündigungsgrund für eine außerordentliche Kündigung dar. Die Beklagte hat ein erhebliches und berechtigtes Interesse daran, dass noch nicht einmal der Eindruck entsteht, sie oder einzelne ihre Mitarbeiter nähmen ohne rechtliche Grundlage Geldzahlungen für Dienstleistungen entgegen. Dieses Interesse kommt in § 3 Abs. 2 Satz 1 TVöD zum Ausdruck. Unabhängig davon, ob die Abmahnungen berechtigt waren oder nicht, hat die Beklagte dieses Interesse gegenüber dem Kläger nochmals in den beiden Abmahnungen vom 21. Juli 2005 und 20. Dezember 2006 deutlich zum Ausdruck gebracht.
Entgegen der Auffassung des Klägers besteht zwischen dem Kündigungsvorwurf, eine Zahlung für das Entsorgen von Nebenabfällen verlangt zu haben, und dem Kündigungsvorwurf, eine Zahlung für das Ansteuern der Tiefgarage verlangt zu haben, kein relevanter Unterschied. In beiden Fällen geht es um einen Verstoß gegen das „Schmiergeldverbot“.
Nach der vom Arbeitsgericht durchgeführten Beweisaufnahme steht zu der Überzeugung der Kammer unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts
- 14 -
der Verhandlungen fest (§ 286 Abs. 1 ZPO), dass der Kläger gegen das „Schmiergeldverbot“ verstoßen hat, indem er am 27. Februar 2009 von den Zeugen F und F die Zahlung von 60 Euro für das Ansteuern der Tiefgarage verlangt hat. Es liegen keine konkreten Anhaltspunkte vor, die Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit entscheidungserheblicher Feststellungen begründen würden. Eine erneute Feststellung durch die erkennende Kammer war daher nicht geboten.
Das Arbeitsgericht ist zutreffend zu der Annahme gelangt, dass die Schilderungen der Zeugen in sich schlüssig und widerspruchsfrei waren und bei der Darstellung der wesentlichen Vorgänge inhaltlich übereingestimmt haben.
Zunächst haben sowohl der Zeuge F als auch der Zeuge F den Kläger als denjenigen identifiziert, der am 27. Februar 2009 die Forderung an sie gerichtet hat. Dem steht nicht entgegen, dass beide Zeugen den Kläger in ihrer Vernehmung vom 22. Juli 2010 nicht zweifelsfrei erkannt haben. Der Zeuge F hat bekundet, er könne nicht „einhundertprozentig“ sagen, ob der Kläger die Person sei, mit der er damals gesprochen habe. Er sei sich allerdings ziemlich sicher, dass er es gewesen sei. Als ihm das Bild vom Kläger vorgelegt wurde, hat er ausgesagt, dass er die auf der Rückseite befindliche Erklärung unterschrieben und den Kläger im März 2009 „eindeutig“ identifiziert habe. Die Bekundungen des Zeugen F sind ähnlich. Er hat angegeben, er könne aus heutiger Sicht den Kläger nicht mehr mit Sicherheit identifizieren. Allerdings sei er sich sicher, dass er den Kläger auf dem Foto erkannt habe.
Aufgrund dieser Bekundungen steht zu der Überzeugung der Kammer fest, dass es der Kläger und kein anderer Mitarbeiter der Beklagten war, der mit den Zeugen F und F gesprochen hat. Sie haben ihn, als das Geschehen noch nicht lange zurücklag, erkannt. Es ist nachvollziehbar, dass sie sich bei der wesentlich später stattfinden Zeugenvernehmung nicht mehr vollständig sicher waren. Mit ihren Aussagen haben die Zeugen verdeutlicht, dass sie nicht bedingungslos zu Lasten bzw. zu Gunsten der einen oder anderen Seite ausgesagt haben, sondern um die Wahrheit bemüht waren. Der Umstand, dass sie Erinnerungslücken freimütig eingeräumt haben, spricht nicht gegen den Wahrheitsgehalt ihrer Aussage, sondern dafür. Aus den gleichen Erwägungen stehen der Überzeugung des Gerichts auch die Widersprüche in den Aussagen,
- 15 -
die lediglich das Randgeschehen betreffen, nicht entgegen. So hat der Zeuge F angegeben, an dem Tag (gemeint ist der 27. Februar 2009) hätten sie die Container eben selbst heraufgebracht. Im Anschluss habe es noch für ein bis zwei Wochen Probleme gegeben. Demgegenüber hat der Zeuge F bekundet, er sei sich sicher, dass die Müllabfuhr auch an diesem Tag in der Tiefgarage gewesen sei und er sich nicht erinnern könne, dass sie die Container überhaupt einmal nach oben gebracht hätten. Diese Widersprüche verdeutlichen, dass sich die Zeugen nicht abgesprochen haben. Der Umstand, dass die Aussagen in Randbereichen voneinander abweichen, lässt nicht darauf schließen, dass sie in den Bereichen, in denen sie übereinstimmen, unzutreffend sind.
Schließlich bedurfte es zu der Frage, ob in dem Objekt in der W S überhaupt Nebenabfälle anfallen, keiner Beweisaufnahme. Hierauf kommt es wegen der dargestellten (geringfügigen) Änderung des Kündigungsvorwurfs nicht an.
Die Interessenabwägung fällt zu Lasten des Klägers aus. Der Beklagten ist die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalls und der Abwägung der Interessen beider Vertragsteile bis zum Ablauf der fiktiven ordentlichen Kündigungsfrist nicht zumutbar. Sie war auch nicht gehalten, den Kläger zuvor abzumahnen. Dabei kommt es nicht darauf an, ob die beiden Abmahnungen aus 2005 und 2006 zu Recht ergangen sind oder nicht. Denn die Beklagte war berechtigt, das Arbeitsverhältnis außerordentlich zu kündigen, auch ohne den Kläger zuvor abzumahnen. Dies ergibt sich daraus, dass die Pflichtverletzung des Klägers derart schwer wiegt, dass eine Hinnahme durch die Beklagte offensichtlich – auch für den Kläger erkennbar - ausgeschlossen ist.
Zu dieser Annahme ist das Gericht trotz der sehr langen Betriebszugehörigkeit des Klägers, die die Kammer zu Gunsten des Klägers bei der Interessenabwägung berücksichtigt hat, gelangt. Wie bereits ausgeführt, hat die Beklagte ein erhebliches und berechtigtes Interesse daran, dass noch nicht einmal der Eindruck entsteht, sie oder einzelne ihrer Mitarbeiter nähmen ohne rechtliche Grundlage Geldzahlungen für Dienstleistungen entgegen. Dieses Interesse kommt in § 3 Abs. 2 Satz 1 TVöD zum Ausdruck. Ohne dass es auf die Berechtigung der Abmahnungen ankäme, war dem Kläger aufgrund der
- 16 -
Abmahnungen sehr deutlich erkennbar, dass die Beklagte auf die Einhaltung des Schmiergeldverbots besonderen Wert legt. Sie will und kann es nicht hinnehmen, dass einzelne Mitarbeiter bei ihren Kunden und in der Bevölkerung den Eindruck aufkommen lassen, es mit einem korrupten Unternehmen zu tun zu haben. Vor diesem Hintergrund kann es der Beklagten auch nicht zugemutet werden, den Kläger auch nur bis zum Ablauf der fiktiven Kündigungsfrist weiterzubeschäftigen. Dies gilt insbesondere deswegen, weil sich der Kläger nicht darauf beschränkt hat, für eine Dienstleistung ein „Trinkgeld“ entgegenzunehmen. Seine Pflichtverletzung wiegt deswegen besonders schwer, weil er aktiv auf die Zeugen F und F zugegangen und von ihnen Zahlungen für Tätigkeiten gefordert hat, für die er keine Zahlung verlangen darf. Damit hat der Kläger verdeutlicht, dass es ihm nur auf die Wahrung seiner Interessen ankommt und er nicht bereit ist, die Interessen seiner Arbeitgeberin zu wahren.
Der im Rahmen der Interessenabwägung zu beachtende Grundsatz der Gleichbehandlung führt nicht dazu, dass die Interessenabwägung zu Gunsten des Klägers ausfällt. Denn die Beklagte hat plausibel dargelegt, warum sie gegen die Kollegen nicht vorgegangen ist. Da der Kläger und nicht die beiden Kollegen mit den Zeugen F und F gesprochen hat, wäre es für die Beklagte schwer - wenn nicht sogar unmöglich - gewesen, genügend tatsächliche Umstände darzulegen und zu beweisen, die auch nur eine Verdachtskündigung hätten begründen können.
2. Die Kündigung ist nicht nach § 626 Abs. 2 BGB unwirksam. Die Beklagte hat die gesetzliche Frist zur Erklärung der Kündigung gewahrt.
a) Nach § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB kann die außerordentliche Kündigung nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt nach § 626 Abs. 2 Satz 2 BGB in dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt.
Dies ist dann der Fall, wenn der Kündigungsberechtigte eine zuverlässige und möglichst vollständige positive Kenntnis der für die Kündigung maßgebenden Tatsachen hat, die ihm die Entscheidung ermöglicht, ob die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zumutbar ist oder nicht. Auch grob
- 17 -
fahrlässige Unkenntnis ist ohne Bedeutung. Zu den maßgebenden Tatsachen gehören sowohl die für als auch die gegen die Kündigung sprechenden Umstände. Ohne Kenntnis des Kündigungsberechtigten vom Kündigungssachverhalt kann das Kündigungsrecht nicht verwirken. Der Kündigende, der Anhaltspunkte für einen Sachverhalt hat, der zur fristlosen Kündigung berechtigen könnte, kann Ermittlungen anstellen und den Betroffenen anhören, ohne dass die Frist zu laufen beginnt. Sind die Ermittlungen abgeschlossen und hat der Kündigende nunmehr die Kenntnis des Kündigungssachverhalts, so beginnt die Ausschlussfrist zu laufen. Diese Ermittlungen dürfen zwar nicht hinausgezögert werden. Es darf jedoch nicht darauf abgestellt werden, ob die Maßnahmen des Kündigenden etwas zur Aufklärung des Sachverhalts beigetragen haben oder überflüssig waren. Bis zur Grenze, die ein verständig handelnder Arbeitgeber beachten würde, kann der Sachverhalt durch erforderlich erscheinende Aufklärungsmaßnahmen vollständig geklärt werden. Allerdings besteht für Ermittlungen dann kein Anlass mehr, wenn der Sachverhalt bereits geklärt oder vom Gekündigten sogar zugestanden worden ist. Der Beginn der Ausschlussfrist wird gehemmt, solange der Kündigungsberechtigte die zur Aufklärung des Sachverhalts nach pflichtgemäßem Ermessen notwendig erscheinenden Maßnahmen mit der gebotenen Eile durchführt (BAG 27. Januar 2011 – 2 AZR 825/09 – NZA 2011, 798; 25. November 2010 – 2 AZR 171/09 – NZA-RR 2011, 177; 5. Dezember 2002 - 2 AZR 478/01 - AP § 123 BGB Nr. 63).
Um den Lauf der Frist nicht länger als notwendig hinauszuschieben, muss eine Anhörung allerdings innerhalb einer kurzen Frist erfolgen. Die Frist darf im Allgemeinen, und ohne dass besondere Umstände vorlägen, nicht mehr als eine Woche betragen (BAG 27. Januar 2011 – 2 AZR 825/09 – NZA 2011, 798; 2. März 2006 - 2 AZR 46/05 - BAGE 117, 168).
b) Nach diesen Grundsätzen ist die Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB gewahrt.
Wie das Arbeitsgericht bereits zutreffend ausgeführt hat, hat der Zeuge Rin seiner Vernehmung die Behauptung der Beklagten bestätigt, dass er die Mitarbeiterin der Beklagten Frau Deinige Tage nach dem 27. Februar 2009 über den Vorgang unterrichtet hat. Unabhängig davon, dass Frau D nicht
- 18 -
kündigungsberechtigt ist, hat die Beklagte diese Nachricht zum Anlass genommen, notwendige Ermittlungen anzustellen. Sie musste klären, welche Mitarbeiter wann an dem Objekt tätig waren und welcher dieser Mitarbeiter als Täter in Frage kam. Sie hat die Ermittlungen nicht grundlos heraus gezögert, sondern bis zur Befragung des Klägers zügig durchgeführt.
3. Die Kündigung vom 3. Juli 2009 ist nicht gemäß § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG unwirksam. Der Betriebsrat ist vor Ausspruch der Kündigung ordnungsgemäß angehört worden.
a) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist eine Kündigung nicht erst dann unwirksam, wenn eine Unterrichtung des Betriebsrats ganz unterblieben ist, sondern schon dann, wenn der Arbeitgeber seiner Unterrichtungspflicht nicht richtig, insbesondere nicht ausführlich genug nachkommt (BAG 21. Juni 2001 – 2 AZR 30/00 – EzA § 626 BGB Unkündbarkeit Nr. 7; 17. Februar 2000 - 2 AZR 913/98 - BAGE 93, 366 = AP BetrVG 1972 § 102 Nr. 113; 16. September 1993 - 2 AZR 267/93 - BAGE 74, 185 = AP BetrVG 1972 § 102 Nr. 62). Der Arbeitgeber hat der Arbeitnehmervertretung grundsätzlich die Personalien des zu kündigenden Arbeitnehmers, die Beschäftigungsdauer, die Kündigungsart sowie die Kündigungsgründe mitzuteilen. Das Anhörungsverfahren hat über die reine Unterrichtung hinaus den Sinn, der Arbeitnehmervertretung Gelegenheit zu geben, ihre Überlegungen zu der Kündigungsabsicht dem Arbeitgeber zur Kenntnis zu bringen. Die Anhörung soll in geeigneten Fällen dazu beitragen, dass es gar nicht zum Ausspruch einer Kündigung kommt (BAG 2. November 1983 - 7 AZR 65/82 - BAGE 44, 201 = AP BetrVG 1972 § 102 Nr. 29). Aus diesem Sinn und Zweck der Anhörung folgt für den Arbeitgeber die Verpflichtung, die Gründe für seine Kündigungsabsicht derart mitzuteilen, dass er dem Betriebsrat eine nähere Umschreibung des für die Kündigung maßgeblichen Sachverhalts gibt. Die Kennzeichnung des Sachverhalts muss so umfassend sein, dass der Betriebsrat ohne eigene Nachforschungen in der Lage ist, selbst die Stichhaltigkeit der Kündigungsgründe zu prüfen und sich ein Bild zu machen. Der Arbeitgeber genügt daher der ihm obliegenden Mitteilungspflicht nicht, wenn er den Kündigungssachverhalt nur pauschal, schlagwort- oder stichwortartig umschreibt oder lediglich ein Werturteil abgibt,
- 19 -
ohne die für seine Bewertung maßgeblichen Tatsachen mitzuteilen (BAG 2. November 1983 - 7 AZR 65/82 – a. a. O.). Allerdings sind an die Mitteilungspflichten des Arbeitgebers im Anhörungsverfahren nicht dieselben Anforderungen zu stellen wie an die Darlegungslast im Kündigungsschutzprozess. Zudem gilt der Grundsatz der subjektiven Determinierung, demzufolge die Arbeitnehmervertretung immer dann ordnungsgemäß angehört worden ist, wenn der Arbeitgeber die aus seiner Sicht tragenden Gründe mitgeteilt hat (st. Rspr. des BAG, zB 21. Juni 2001 – 2 AZR 30/00 – aaO; 17. Februar 2000 - 2 AZR 913/98 – a. a. O.).
Der Arbeitgeber kann solche Kündigungsgründe, die ihm im Zeitpunkt der Unterrichtung des Betriebsrats bereits bekannt waren, die er aber dem Betriebsrat nicht mitgeteilt hatte, im Prozess nicht nachschieben. Um kein Nachschieben von Kündigungsgründen handelt es sich aber, wenn der Arbeitgeber die dem Betriebsrat mitgeteilten Kündigungsgründe im Prozess nur weiter erläutert und konkretisiert, ohne dass dies den Kündigungssachverhalt wesentlich verändert (BAG 27. Februar 1997 – 2 AZR 302/96 – NZA 1997, 761).
b) Nach diesen Grundsätzen erweist sich die Betriebsratsanhörung als ordnungsgemäß.
Die Beklagte hat dem Betriebsrat die Gründe, die aus ihrer Sicht die Kündigung begründen sollten, konkret und detailliert geschildert. Die Betriebsratsanhörung ist nicht deswegen fehlerhaft, weil in dem Anhörungsschreiben von der „Entsorgung von Nebenabfällen“ die Rede ist. Wie bereits ausgeführt, hat der Kündigungsvorwurf durch den Umstand, dass der Kläger Zahlung nicht für die Entsorgung von Nebenabfällen, sondern für das Anfahren der Tiefgarage verlangt hat, keine wesentliche Veränderung erfahren. Vor diesem Hintergrund war die Beklagte auch nicht gehalten, gegenüber dem Betriebsrat Kündigungsgründe nachzuschieben. Es handelt sich um eine bloße Erläuterung und Konkretisierung des Kündigungssachverhalts.
4. Der Weiterbeschäftigungsantrag ist wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses unbegründet.
- 20 -
III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG i.V.m. § 97 Abs. 1 ZPO.
IV. Die Revision war nicht gemäß § 72 Abs. 2 ArbGG zuzulassen, weil die Entscheidung auf den besonderen Umständen des Einzelfalls beruht.
Rechtsmittelbelehrung
Gegen dieses Urteil ist ein Rechtsmittel nicht gegeben.
Wegen der Möglichkeit der Nichtzulassungsbeschwerde wird auf § 72a ArbGG verwiesen.
Weitere Auskünfte erteilen Ihnen gern:
Dr. Martin Hensche Rechtsanwalt Fachanwalt für Arbeitsrecht Kontakt: 030 / 26 39 620 hensche@hensche.de | |
Christoph Hildebrandt Rechtsanwalt Fachanwalt für Arbeitsrecht Kontakt: 030 / 26 39 620 hildebrandt@hensche.de | |
Nina Wesemann Rechtsanwältin Fachanwältin für Arbeitsrecht Kontakt: 040 / 69 20 68 04 wesemann@hensche.de |