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ARBEITSRECHT AKTUELL // 13/145

Frist­lo­se Kün­di­gung ei­nes Chef­arz­tes

Rech­net ein Chef­arzt sys­te­ma­tisch wahl­ärzt­li­che Leis­tun­gen ab, die er nicht per­sön­lich er­bracht hat, kann er we­gen Ab­rech­nungs­be­tru­ges frist­los ge­kün­digt wer­den: Lan­des­ar­beits­ge­richt Nie­der­sach­sen, Ur­teil vom 17.04.2013, 2 Sa 179/12
Geld und Stethoskop Chef­ärz­te, die Wahl­leis­tun­gen ab­rech­nen, müs­sen sie per­sön­lich er­bracht ha­ben

24.05.2013. Chef­ärz­te lei­ten Fach­ab­tei­lun­gen ei­nes Kran­ken­hau­ses und tra­gen für sie die me­di­zi­ni­sche Ver­ant­wor­tung. Sie ver­die­nen dem­ent­spre­chend gut. Denn meis­tens ha­ben sie - ne­ben ih­rem Fest­ge­halt - die Be­fug­nis zur Ab­rech­nung pri­vat­ärzt­li­cher Leis­tun­gen, die sie für Pri­vat­pa­ti­en­ten auf der Grund­la­ge ei­ner Wahl­arzt­ver­ein­ba­rung er­brin­gen ("Chef­arzt­be­hand­lung").

Der Ha­ken für viel­be­schäf­tig­te Chef­ärz­te: Sie müs­sen die ab­ge­rech­ne­ten wahl­ärzt­li­chen Leis­tun­gen per­sön­lich er­brin­gen. Wer als Chef­arzt Wahl­arzt­leis­tun­gen ab­rech­net, die nicht er, son­dern ein nach­ge­ord­ne­ter Kli­nik­arzt er­bracht hat, be­geht da­her im Re­gel­fall ei­nen Ab­rech­nungs­be­trug. 

Fliegt so et­was auf, kann die Kli­nik den Chef­arzt ent­las­sen, und zwar durch frist­lo­se bzw. au­ßer­or­dent­li­che Kün­di­gung: Lan­des­ar­beits­ge­richt Nie­der­sach­sen, Ur­teil vom 17.04.2013, 2 Sa 179/12.

Kann ein Chef­arzt frist­los gekündigt wer­den, weil er wahlärzt­li­che Leis­tun­gen ab­rech­net, die ein nach­ge­ord­ne­ter Kli­nik­arzt er­bracht hat?

Gemäß § 17 Abs.2 Kran­ken­haus­ent­gelt­ge­setz (KHEntgG) müssen Chefärz­te mit den Pri­vat­pa­ti­en­ten, die ei­ne Chef­arzt­be­hand­lung wünschen, vor Er­brin­gung der Leis­tung ei­ne schrift­li­che Wahl­leis­tungs­ver­ein­ba­rung tref­fen. In der Ver­ein­ba­rung müssen die Ärz­te, die die­se Leis­tun­gen er­brin­gen sol­len, na­ment­lich ge­nannt wer­den.

Wer sich als Pa­ti­ent auf ei­ne sol­che Ver­ein­ba­rung einlässt, hat ein An­recht dar­auf, vom Chef­arzt persönlich be­han­delt zu wer­den. Nur dann, wenn der Chef­arzt aus nicht vor­her­seh­ba­ren Gründen plötz­lich ver­hin­dert ist, z.B. we­gen ei­ner Er­kran­kung oder ei­nes kurz­fris­tig an­ge­tre­te­nen Ur­laubs, kann er die Be­hand­lung durch ei­nen Ober­arzt oder Fach­arzt der Kli­nik durchführen las­sen - und auch das nur dann, wenn er dem Pa­ti­en­ten die­sen Ver­tre­ter vor­ab be­nannt hat.

Was gar nicht geht: Wahl­arzt­ver­ein­ba­run­gen ab­sch­ließen, die Be­hand­lung rou­ti­nemäßig durch nach­ge­ord­ne­te Ärz­te durchführen las­sen und trotz­dem fleißig Rech­nun­gen stel­len über an­geb­lich persönlich er­brach­te Chef­arzt­leis­tun­gen. Das ist Ab­rech­nungs­be­trug.

Aber kann ei­ne Kli­nik dem Chef­arzt we­gen sol­cher (gra­vie­ren­der) Pflicht­verstöße oh­ne vor­he­ri­ge Ab­mah­nung kündi­gen?

Der Fall des LAG Nie­der­sach­sen: Herz­chir­churg rech­net ständig Herz­schritt­ma­cher-OPs ab, die ein nach­ge­ord­ne­ter Arzt durch­geführt hat

Ein langjährig beschäftig­ter Chef­arzt rech­ne­te im Jah­re 2009 min­des­tens sie­ben Herz­schritt­ma­cher-Im­plan­ta­tio­nen ab, die er aus­weis­lich der Ab­rech­nun­gen an­geb­lich persönlich auf der Grund­la­ge ei­ner Wahl­arzt­ver­ein­ba­rung vor­ge­nom­men hat­te. Das je­den­falls er­gab sich aus der Tat­sa­che, dass er ent­spre­chen­de Rech­nun­gen nach der Gebühren­ord­nung für Ärz­te (GoÄ) stell­te, denn die­se sieht nun ein­mal vor, dass man nur ei­ge­ne ärzt­li­che Leis­tun­gen ab­rech­nen kann (§ 4 Abs.2 Satz 1 GoÄ).

In Wahr­heit hat­te aber gar nicht der Chef­arzt, son­dern ei­ner sei­ner ärzt­li­chen Mit­ar­bei­ter - Herr Dr. P. - die Ope­ra­tio­nen vor­ge­nom­men.

Die Sa­che kam her­aus und die Kli­nik sprach des­halb nach vor­he­ri­ger Anhörung des Chef­arz­tes so­wie nach Anhörung des Be­triebs­rats ei­ne außer­or­dent­li­che und frist­lo­se Kündi­gung aus. Da­ge­gen er­hob der gekündig­te Chef­arzt Kündi­gungs­schutz­kla­ge.

Da­mit hat­te er zunächst vor dem Ar­beits­ge­richt Braun­schweig Er­folg (Ur­teil vom 10.01.2012, 2 Ca 361/11), denn das Ar­beits­ge­richt hielt dem Chef­arzt zu­gu­te, dass das Kran­ken­haus an­stel­le ei­ner frist­lo­sen Kündi­gung zunächst ei­ne Ab­mah­nung hätte aus­spre­chen müssen.

LAG Nie­der­sach­sen: Rech­net ein Chef­arzt sys­te­ma­tisch wahlärzt­li­che Leis­tun­gen ab, die er nicht persönlich er­bracht hat, kann er we­gen Ab­rech­nungs­be­tru­ges frist­los gekündigt wer­den

Vor dem Lan­des­ar­beits­ge­richt (LAG) Nie­der­sach­sen zog der Chef­arzt da­ge­gen den kürze­ren. Denn das LAG mein­te, die Kündi­gung sei rech­tens.

Be­gründung des LAG: Die vom Chef­arzt ge­ge­be­ne Recht­fer­ti­gung sei­nes Ab­rech­nungs­ver­hal­tens war of­fen­sicht­lich an den Haa­ren her­bei­ge­zo­gen. Denn Dr. P hat­te die OPs nicht un­ter Auf­sicht des Chef­arz­tes nach des­sen fach­li­cher Wei­sung er­bracht, was gemäß § 4 Abs.2 Satz 1 GoÄ zu ei­ner ab­re­chen­ba­ren Ei­gen­leis­tung des Chef­arz­tes führen würde. Der Chef­arzt war nämlich bei den OPs we­der an­we­send noch in räum­li­cher Nähe, so dass von fach­li­cher Wei­sung kei­ne Re­de sein konn­te.

Al­so hat­te er in min­des­tens sie­ben Fällen und da­her "sys­te­ma­tisch" ei­nen Ab­rech­nungs­be­trug be­gan­gen, in­dem er die ärzt­li­chen Leis­tun­gen ei­nes an­de­ren Arz­tes (des Dr. P.) als ei­ge­ne Leis­tun­gen aus­gab. Das Un­recht sei­nes Ver­hal­tens muss­te er er­ken­nen, so das LAG, eben­so wie er auch mit ei­ner Kündi­gung als Re­ak­ti­on der Kli­nik rech­nen muss­te, und zwar auch oh­ne vor­he­ri­ge Ab­mah­nung.

Fa­zit: Der Chef­arzt hätte im vor­lie­ge­nen Streit­fall gut dar­an ge­tan, im Kündi­gungs­schutz­pro­zess "klei­ne Brötchen zu ba­cken". Mögli­cher­wei­se hätte man das Ar­beits­verhält­nis schon vor dem Ar­beits­ge­richt, d.h. in der ers­ten In­stanz, in ei­ner bei­der­seits ge­sichts­wah­ren­den Wei­se be­en­den können. Wenn es dem Chef­arzt ge­lun­gen wäre, zu ei­nem run­den Be­en­di­gungs­da­tum (Qau­ar­tals­en­de, Jah­res­en­de) aus­zu­schei­den (und zwar auch oh­ne Ab­fin­dung!), hätte es nie ein Ge­richts­ur­teil ge­ge­ben, das sein Ver­hal­ten schwarz auf weis als sys­te­ma­ti­schen Be­trug be­wer­tet. Auf der Grund­la­ge des jetzt er­gan­ge­nen LAG-Ur­teils da­ge­gen muss der Chef­arzt mit wei­te­ren be­rufs- und straf­recht­li­chen Kon­se­quen­zen rech­nen.

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Letzte Überarbeitung: 15. Dezember 2016

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