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ARBEITSRECHT AKTUELL // 11/011

Schutz vor dro­hen­der ver­hal­tens­be­ding­ter Kün­di­gung durch Ein­sicht und Reue

Nach­träg­li­ches Ein­len­ken kann den Job ret­ten: Lan­des­ar­beits­ge­richt Schles­wig-Hol­stein, Ur­teil vom 15.09.2010, 6 Sa 47/10
Hand mit gelber Karte Ein­sicht und Reue er­schwert die Kün­di­gung
17.01.2011. Wer ge­gen sei­ne ver­trag­li­chen Pflich­ten ver­stößt, ris­kiert je nach der Schwe­re sei­nes Fehl­ver­hal­tens nicht nur ei­ne Ab­mah­nung, son­dern so­gar ei­ne au­ßer­or­dent­li­che oder je­den­falls or­dent­li­che Kün­di­gung. Seit dem "Pfand­bon"-Fall rund um die Kas­sie­rin "Em­me­ly" ist hier ei­ne neue Ten­denz in ar­beits­ge­richt­li­chen Ent­schei­dun­gen zu ent­de­cken - Auf­rich­ti­ges Be­dau­ern kann den Ar­beits­platz ret­ten: Lan­des­ar­beits­ge­richt Schles­wig-Hol­stein, Ur­teil vom 15.09.2010, 6 Sa 47/10

Können Reue und Ein­sicht bei Ver­hal­tens­feh­lern ei­ne Kündi­gung ver­hin­dern?

Ein Ver­s­toß des Ar­beit­neh­mers ge­gen Pflich­ten aus sei­nem Ar­beits­ver­trag kann ei­ne Ab­mah­nung, ein gra­vie­ren­der Ver­s­toß so­gar ei­ne Kündi­gung nach sich zie­hen. Verstößt der Ar­beit­neh­mer er­neut ge­gen sei­ne Ver­trags­pflich­ten, d.h. hat er be­reits in der Ver­gan­gen­heit auf­grund ähn­li­cher Vorfälle ei­ne Ab­mah­nung er­hal­ten, be­steht für ihn so­gar die aku­te Ge­fahr, sein Ar­beits­verhält­nis zu ver­lie­ren. Der Ar­beit­ge­ber muss den Pflicht­ver­s­toß des Ar­beit­neh­mers dann nämlich in der Re­gel nicht noch ein­mal ab­mah­nen.

Ei­ne Ab­mah­nung soll mit der Ziel­set­zung er­ge­hen, den Ar­beit­neh­mer auf sein ver­trags­wid­ri­ges Ver­hal­ten hin­zu­wei­sen, ihn auf­zu­for­dern, sich künf­tig ver­trags­gemäß zu ver­hal­ten und für den Fall, dass er die­ser Auf­for­de­rung nicht nach­kommt, ei­ne Kündi­gung an­zu­dro­hen. Eben die­ser gut ge­mein­te Ver­such, das Ver­hal­ten des Ar­beit­neh­mers po­si­tiv zu be­ein­flus­sen, stellt sich als nutz­los her­aus, wenn sich der Ar­beit­neh­mer nach er­gan­ge­ner Ab­mah­nung zum wie­der­hol­ten Ma­le ei­nen ähn­li­chen Pflicht­ver­s­toß zu Schul­den kom­men lässt.

Auch im Fal­le ei­nes wie­der­hol­ten Ver­s­toßes ist dem Ar­beit­neh­mer al­ler­dings aus Gründen der Fair­ness vor dem Er­lass der Kündi­gung Ge­le­gen­heit zu ge­ben, zu den Umständen, die der Ar­beit­ge­ber zum An­lass zur Kündi­gung neh­men will, Stel­lung zu neh­men. Soll­te der Ar­beit­neh­mer die ihm vor­ge­wor­fe­nen Pflicht­ver­let­zun­gen tatsächlich be­gan­gen ha­ben, so soll­te er bei die­ser Anhörung die Ver­trags­verstöße einräum­en und ver­spre­chen, sich zukünf­tig ver­trags­treu zu ver­hal­ten.

Denn aus dem öffent­lich be­kannt ge­wor­de­nen Em­me­ly-Ur­teil des Bun­des­ar­beits­ge­richts (BAG) kann man die Leh­re zie­hen, dass bei der In­ter­es­sen­abwägung bzgl. der Kündi­gung nicht nur die Dau­er des Ar­beits­verhält­nis­ses ent­schei­dend ist, son­dern ei­ne große Rol­le auch spielt, ob der Ar­beit­neh­mer bei sei­ner Stel­lung­nah­me zu den ge­gen ihn er­ho­be­nen Vorwürfen die­se ggf. einräumt, oder nicht.

Ei­ne wirk­sa­me Kündi­gung setzt nämlich im­mer ei­ne ne­ga­ti­ve Pro­gno­se zum künf­ti­gen Ver­lauf des Ar­beits­verhält­nis­ses vor­aus. Es ist al­so zu prüfen, ob die Fort­set­zung des Ar­beits­verhält­nis­ses mit dem Ar­beit­neh­mer - auch trotz sei­nes in der Ver­gan­gen­heit pflicht­wid­ri­gen Ver­hal­tens - noch möglich er­scheint oder nicht (BAG, Ur­teil vom 10.06.2010, 2 AZR 541/09, Leit­satz 2).

Wenn der Ar­beit­neh­mer die er­ho­be­nen Vorwürfe vollständig einräumt, kann er da­mit die Pro­gno­se über sein Ar­beits­verhält­nis für ihn po­si­tiv, d.h. zu sei­nen Guns­ten be­ein­flus­sen. So ent­schied auch das Lan­des­ar­beits­ge­richt (LAG) Ber­lin-Bran­den­burg in ei­nem am 16.09.2010 er­gan­ge­nen Ur­teil (2 Sa 509/10). Da­bei ging es al­ler­dings um ei­ne außer­or­dent­li­che Kündi­gung, bei der sich der Ar­beit­ge­ber dar­auf stütz­te, ei­nen „wich­ti­gen Grund“ für ei­ne frist­lo­se Kündi­gung zu ha­ben, so­dass ei­ne sol­che so­mit gem. § 626 Bürger­li­ches Ge­setz­buch (BGB) wirk­sam sei. Hier ließ das Ge­richt die In­ter­es­sen­abwägung u.a. we­gen des re­umüti­gen Ver­hal­tens der Ar­beit­neh­me­rin nach Be­kannt­wer­den des Pflicht­ver­s­toßes zu ih­ren Guns­ten aus­fal­len.

Stellt sich die Fra­ge, ob dies auch bei ei­ner or­dent­li­chen ver­hal­tens­be­ding­ten Kündi­gung der Fall ist. Auch bei ei­ner sol­chen muss ei­ne Pro­gno­se des wei­te­ren Ar­beits­verhält­nis­ses er­stellt wer­den. Das LAG Schles­wig-Hol­stein hat sich nun da­zu geäußert, ob ein ehr­li­ches und re­umüti­ges Ver­hal­ten hier­bei den Ar­beit­neh­mern nütz­lich sein kann (Ur­teil vom 15.09.2010, 6 Sa 47/10).

Der Fall: Bus­fah­rer lässt 16jähri­gen Fahrübun­gen ma­chen und be­reut das später sehr

Der kla­gen­de Ar­beit­neh­mer ist 1970 ge­bo­ren und Va­ter drei­er Kin­der. Seit 2003 ist er bei dem be­klag­ten Ar­beit­ge­ber als Bus­fah­rer tätig. Im Jahr 2008 ließ der Ar­beit­neh­mer ei­nen be­triebs­frem­den 16-jähri­gen mit ei­nem Li­ni­en­bus des Ar­beit­ge­bers auf des­sen Be­triebs­hof Fahrübun­gen ma­chen. Dies hat­te ei­ne Un­ter­re­dung des Ar­beit­neh­mers mit dem Be­triebs­ma­na­ger zur Fol­ge. Dass dem Ar­beit­neh­mer bei die­ser Ge­le­gen­heit auch ei­ne Ab­mah­nung er­teilt wur­de, konn­te der Ar­beit­ge­ber letzt­lich nicht be­wei­sen.

Bald dar­auf ließ sich der Ar­beit­neh­mer ei­nen er­neu­ten Pflicht­ver­s­toß zu Schul­den kom­men. Er fuhr bei ei­ner Li­ni­en­fahrt über ei­nen Zeit­raum von et­wa ei­ner Mi­nu­te hin­weg mit of­fe­ner Vor­dertür, während zwei sei­ner min­derjähri­gen Kin­der ne­ben ihm im vor­de­ren Ein­stiegs­be­reich des Bus­ses stan­den. Dar­auf­hin führ­te der Ar­beit­ge­ber mit dem Bus­fah­rer ein Gespräch, in wel­chem die­ser sei­nen Ver­s­toß re­umütig einräum­te und be­teu­er­te, ein sol­ches Ver­hal­ten zukünf­tig zu un­ter­las­sen. Der Ar­beit­ge­ber er­teil­te dem Bus­fah­rer trotz­dem zunächst ei­ne frist­lo­se und we­ni­ge Ta­ge später ei­ne or­dent­li­che ver­hal­tens­be­ding­te Kündi­gung.

Der Ar­beit­neh­mer leg­te Kündi­gungs­schutz­kla­ge vor dem Ar­beits­ge­richt Elms­horn ein. Die­ses erklärte die frist­lo­se Kündi­gung auf­grund ei­nes Form­feh­lers für un­wirk­sam. Die or­dent­li­che Kündi­gung sei hin­ge­gen wirk­sam (Ur­teil vom 28.01.2010, 3 Ca 1111 b/09). Der Ver­s­toß des Ar­beit­neh­mers, nämlich das Fah­ren des Bus­ses mit of­fe­ner Vor­dertür, hätte so­gar als wich­ti­ger Grund für ei­ne außer­or­dent­li­che Kündi­gung an­ge­se­hen wer­den können, so das Ge­richt. Für ei­ne or­dent­li­che ver­hal­ten­be­ding­te Kündi­gung sei es je­den­falls aus­rei­chend.

Lan­des­ar­beits­ge­richt Schles­wig-Hol­stein: Oh­ne vor­he­ri­ge Ab­mah­nung und bei auf­rich­ti­ger Reue kann so­gar ei­ne or­dent­li­che Kündi­gung un­wirk­sam sein

Nach dem LAG Schles­wig-Hol­stein ist hin­ge­gen so­gar die or­dent­li­che Kündi­gung un­wirk­sam. Das LAG gab so­mit der Kla­ge des Ar­beit­neh­mers voll­umfäng­lich statt.

Der Ar­beit­neh­mer ha­be zwar durch das Fah­ren mit of­fe­ner Vor­dertür Leib und Le­ben sei­ner min­derjähri­gen Kin­der in Ge­fahr ge­bracht und da­mit ei­ne er­heb­li­che Ne­ben­pflicht­ver­let­zung be­gan­gen. Den­noch war sein Ver­hal­ten „steu­er­bar“, so das LAG. Der Ar­beit­ge­ber hätte des­halb vor Er­lass ei­ner Kündi­gung zunächst ei­ne Ab­mah­nung er­tei­len müssen.

Für die Ent­schei­dung des LAG war aus­schlag­ge­bend, dass der Bus­fah­rer sich nach Be­kannt­wer­den des Vor­fal­les ein­sich­tig und re­umütig ver­hal­ten hat­te. Bei sei­ner Stel­lung­nah­me während des Per­so­nal­gesprächs, das den Kündi­gun­gen vor­aus­ging, hat­te er „kei­nen Zwei­fel dar­an ge­las­sen, dass Si­cher­heits­be­stim­mun­gen ein­zu­hal­ten und ins­be­son­de­re die Türen während der Fahrt ge­schlos­sen zu hal­ten sind“. Des­halb ha­be der Ar­beit­ge­ber nicht an­neh­men können, dass die Er­tei­lung ei­ner Ab­mah­nung oh­ne Er­folg blei­ben würde. Folg­lich hätte er den Ar­beit­neh­mer vor Aus­spruch der Kündi­gung zunächst ab­mah­nen müssen, so das LAG.

Zwar gab der Ar­beit­ge­ber an, den Ar­beit­neh­mer tatsächlich nach dem Vor­fall, bei wel­chem der Bus­fah­rer ei­nen 16-jähri­gen Jun­gen auf dem Be­triebs­hof mit ei­nem Li­ni­en­bus des Ar­beit­ge­bers Fahrübun­gen ma­chen ließ, ab­ge­mahnt zu ha­ben. Al­ler­dings ge­lang es ihm nicht, den Aus­spruch ei­ner sol­chen Ab­mah­nung auch zu be­wei­sen.

Fa­zit: Da es sich hier um ei­nen Grenz­fall han­delt, hätte das LAG, eben­so wie vor­ab das Ar­beit­ge­richt, wohl auch ge­gen den Ar­beit­neh­mer ent­schei­den können. Aus­schlag­ge­bend war es so­mit für den Ar­beit­neh­mer, sein pflicht­wid­ri­ges Ver­hal­ten bei be­sag­tem Per­so­nal­gespräch re­umütig zu­zu­ge­ben und so­mit dem Ar­beit­ge­ber von vorn­her­ein den Wind aus den Se­geln zu neh­men. Der Bus­fah­rer hat al­so zu­min­dest hier­bei al­les rich­tig ge­macht.

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Letzte Überarbeitung: 30. Oktober 2018

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