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Kündigung im Insolvenzverfahren bei Masseunzulänglichkeit
23.02.2018. Will der Insolvenzverwalter Lohnansprüche für die Zeit nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens begrenzen, muss er Kündigungen aussprechen.
Solche Kündigungen können unwirksam sein, denn der Insolvenzverwalter muss ebenso wie jeder andere Arbeitgeber den Kündigungsschutz beachten.
Daraus ergibt sich für betroffene Arbeitnehmer die rechtliche Möglichkeit, laufende Lohnansprüche für die Zeit nach Verfahrenseröffnung auch in sog. massearmen Insolvenzverfahren in vollem Umfang durchzusetzen. Denn kündigt der Verwalter nicht (oder nicht wirksam) zum frühestmöglichen Zeitpunkt im Sinne von § 209 Abs.2 Nr.2 Insolvenzordnung (InsO), sind die Verzugslohnansprüche bevorrechtigte Masseforderungen.
Das hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) am gestrigen Donnerstag entschieden: BAG, Urteil vom 22.02.2018, 6 AZR 868/16 (Pressemeldung des Gerichts).
- Sind alle Lohnforderungen für die Zeit nach dem frühestmöglichen Kündigungstermin im Sinne von § 209 Abs.2 Nr.2 InsO Neumasseverbindlichkeiten?
- Im Streit: Schlecker-Insolvenzverwalter lässt sich neun Monate nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit Zeit mit einer Kündigung
- BAG: Kündigt der Verwalter nach Anzeige der Massearmut nicht oder kündigt er unwirksam, sind die Lohnansprüche nach dem frühestmöglichen Kündigungstermin bevorrechtigte Masseforderungen
Sind alle Lohnforderungen für die Zeit nach dem frühestmöglichen Kündigungstermin im Sinne von § 209 Abs.2 Nr.2 InsO Neumasseverbindlichkeiten?
Offene Lohnforderungen aus der Zeit vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens sind sog. Insolvenzforderungen. Sie müssen beim Insolvenzverwalter angemeldet und von diesem geprüft werden. Bestätigt er ihren rechtlichen Bestand, stellt er die Forderungen „zur Insolvenztabelle fest“. Dann bekommt man, meist erst nach Jahren, einen kleinen Bruchteil von z.B. drei oder fünf Prozent der angemeldeten Forderungen bezahlt.
Während vorinsolvenzliche Lohnforderungen praktisch wertlos sind, sind Lohnforderungen für die Zeit nach Insolvenzeröffnung werthaltig. Sie sind keine Insolvenzforderungen, sondern Masseforderungen. Das bedeutet, dass sie in vollem Umfang aus der Insolvenzmasse zu begleichen sind, ebenso wie die Kosten des Insolvenzverfahrens selbst.
Denn Arbeitsverhältnisse des insolventen Arbeitgebers bestehen über den Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung hinaus mit Wirkung für die Insolvenzmasse fort, § 108 Abs.1 Satz 1 InsO. Der Insolvenzverwalter muss daher nachinsolvenzliche Lohnforderungen in vollem Umfang erfüllen. Will er diese Lohnkosten reduzieren, muss er Kündigungen aussprechen. Dabei hat er zwar das allgemeine Kündigungsschutzrecht zu beachten, muss aber nur eine maximal dreimonatige Kündigungsfrist zum Monatsende gewähren (§ 113 Satz 2 InsO).
Mit der rechtlichen Besserstellung der nachinsolvenzlichen Lohnforderungen ist es allerdings vorbei, wenn der Insolvenzverwalter die sog. Massearmut angezeigt hat. Denn dann genügt die Insolvenzmasse noch nicht einmal dazu, sämtliche Masseforderungen in vollem Umfang zu begleichen (§ 208 Abs.1 InsO).
Infolgedessen können nach Anzeige der Massearmut auch Lohnforderungen für die Zeit nach Verfahrenseröffnung nicht mehr (oder nicht mehr in vollem Umfang) beglichen werden. Sie gelten dann als Altmasseverbindlichkeiten im Sinne von § 209 Abs.1 Nr.3 InsO, und das ist für die betroffenen Arbeitnehmer eine schlechte Nachricht.
An dieser Stelle fragt sich, unter welchen Voraussetzungen nachinsolvenzliche Lohnforderungen unter § 209 Abs.1 Nr.2 InsO fallen, d.h. zu den Masseverbindlichkeiten gehören, die vom Verwalter nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit begründet worden sind. Das sind im Wesentlichen zwei Gruppen von Lohnforderungen:
Erstens Lohnforderungen für effektive Arbeitsleistungen, die der Verwalter nach der Anzeige der Masseunzulänglichkeit für die Insolvenzmasse in Anspruch genommen hat (§ 209 Abs.2 Nr.3 InsO). Arbeitnehmer, die freigestellt sind oder aus anderen Gründen nicht zur Arbeit gehen, fallen unter diese Vorschrift nicht.
Zweitens Lohnforderungen für die Zeit „nach dem ersten Termin, zu dem der Verwalter nach der Anzeige der Masseunzulänglichkeit kündigen konnte“ (§ 209 Abs.2 Nr.2 InsO). Dieser Termin ist wegen der verkürzten dreimonatigen Kündigungsfrist (§ 113 Satz 2 InsO) in aller Regel der Monatsletzte, der drei bis vier Monate auf die Anzeige der Masseunzulänglichkeit folgt. Denn bis dahin hätte der Verwalter nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit kündigen können. Tut er es nicht, wird ihm das Fortbestehen von Lohnforderungen als seine Entscheidung zugerechnet.
Fraglich ist, ob sich Insolvenzverwalter bei Anwendung des § 209 Abs.2 Nr.2 InsO darauf berufen können, dass sie auf die Wirksamkeit einer Kündigung vertraut haben, die sie bereits vor Anzeige der Massearmut erklärt haben. Oder andersherum: Sind alle Lohnforderungen für die Zeit nach dem frühestmöglichen Kündigungstermin Neumasseverbindlichkeiten?
Im Streit: Schlecker-Insolvenzverwalter lässt sich neun Monate nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit Zeit mit einer Kündigung
Geklagt hatte eine seit 1996 für die Schlecker-Drogeriekette tätige Verkäuferin, die zuletzt als Filialleiterin für 2.680,60 EUR brutto eingesetzt wurde. Nachdem Schlecker Anfang 2012 Pleite war, wurde am 28.03.2012 das Insolvenzverfahren eröffnet und ein Insolvenzverwalter bestellt.
Der Verwalter sprach noch am Tag seiner Bestellung (am 28.03.2012) und dann nochmals fünf Monate später (am 23.08.2012) fristgemäße Kündigungen aus, gegen die die Angestellte mit Erfolg klagte, d.h. die Kündigungen wurden rechtskräftig für unwirksam erklärt.
Da der Geschäftsbetrieb der Schlecker-Filialen zum 30.06.2012 eingestellt wurde, war die Angestellte ab dem 01.07.2012 von der Arbeit freigestellt. Ab diesem Zeitpunkt befand sich der Insolvenzverwalter im Annahmeverzug, denn er nahm die Arbeitsleistung trotz des weiter bestehenden Arbeitsverhältnisses nicht entgegen und war daher im Prinzip dazu verpflichtet, die laufenden Lohnansprüche als sog. Annahmeverzugslohn zu begleichen (§ 615 Satz 1 Bürgerliches Gesetzbuch - BGB).
Am 31.08.2012 zeigte der Verwalter die drohende Unzulänglichkeit der Insolvenzmasse bei Gericht an. Nach dieser Anzeige hätte er das Arbeitsverhältnis frühestens zum 31.12.2012 kündigen können, nämlich nach Anhörung des Betriebsrats im Verlauf des September 2012 sowie unter Beachtung der abgekürzten dreimonatigen Insolvenz-Kündigungsfrist (§ 113 Satz 2 InsO) zum Monatsende Dezember 2012. Das tat der Verwalter allerdings nicht.
Stattdessen erklärte er knapp neun Monate nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit eine weitere ordentliche Kündigung, nämlich am 16.05.2013. Auch diese Kündigung griff die Angestellte mit einer Kündigungsschutzklage an, doch schlossen die Parteien in diesem Verfahren einen Vergleich, dem zufolge das Arbeitsverhältnis aufgrund dieser Kündigung mit Ablauf des 31.08.2013 endete. Da die Lohnrückstände bis zum 31.08.2013 in dem Vergleich nicht geregelt waren, zog die Angestellte erneut vor Gericht, diesmal mit einer Lohnklage.
Konkret wollte sie Annahmeverzugslohn für die Zeit vom 01.01.2013 bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses am 31.08.2013. Ihr Argument: Der Verwalter hätte das Arbeitsverhältnis nach der Anzeige der Masseunzulänglichkeit (am 31.08.2012) durch eine weitere, spätestens zum 31.12.2012 wirkende Kündigung beenden können bzw. beenden müssen. Da er das nicht getan hatte, waren die Ansprüche auf Annahmeverzugslohn ab dem 01.01.2013 bevorrechtigte Masseforderungen (Neumasseforderungen), so die Klägerin unter Verweis auf § 209 Abs.1 Nr.2 in Verb. mit Abs.2 Nr.2 InsO.
Das sahen das Arbeitsgericht Trier (Urteil vom 03.12.2015, 3 Ca 632/15) und das Landesarbeitsgericht (LAG) Rheinland-Pfalz (Urteil vom 07.07.2016, 6 Sa 23/16) auch so und verurteilten den Insolvenzverwalter zur Zahlung von 21.444,80 EUR brutto abzüglich des zwischenzeitlich erhaltenen Arbeitslosengeldes (8.620,80 EUR).
BAG: Kündigt der Verwalter nach Anzeige der Massearmut nicht oder kündigt er unwirksam, sind die Lohnansprüche nach dem frühestmöglichen Kündigungstermin bevorrechtigte Masseforderungen
Auch in Erfurt hatte der Schlecker-Insolvenzverwalter kein Glück. Seine Revision wurde zurückgewiesen. In der derzeit allein vorliegenden Pressemeldung des BAG heißt es zur Begründung:
§ 209 Abs.2 Nr.2 InsO legt den Termin fest, bis zu dem der Insolvenzverwalter das Arbeitsverhältnis spätestens beendet haben muss, um Neumasseverbindlichkeiten zu vermeiden, so das BAG.
Dazu ist es nach Ansicht der Erfurter Richter nicht unbedingt erforderlich, dass der Verwalter nach der Anzeige der Masseunzulänglichkeit eine (erneute) Kündigung ausspricht. Er kann sich vielmehr auch darauf verlassen, dass eine von ihm bereits zuvor erklärte Kündigung wirksam ist und das Arbeitsverhältnis (im Falle ihrer Wirksamkeit) spätestens zu dem Termin beendet, den § 209 Abs.2 Nr.2 InsO vorgibt. Dann aber trägt er das Risiko, dass sich diese Kündigung in einem Kündigungsschutzverfahren als unwirksam erweist und in der Folge Neumasseverbindlichkeiten begründet werden.
Das gilt auch, wenn der Verwalter erstmals nach der Anzeige rechtzeitig kündigt und diese Kündigung unwirksam ist. Auch dann sind die Ansprüche der gekündigten Arbeitnehmer auf Annahmeverzugslohn für die Zeit nach der Frist des § 209 Abs.2 Nr.2 InsO werthaltige Neumasseforderungen.
Fazit: Letztlich muss der Verwalter entscheiden, wann und wie viele Kündigungen er im Zusammenhang mit der Anzeige der Masseunzulänglichkeit erklärt. Entscheidend ist, dass er mit einer dieser Kündigungen das Arbeitsverhältnis zum ersten Termin beendet, zu dem er es nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit kündigen konnte.
Betroffenen Arbeitnehmern ist zu raten, auch und gerade bei einer Insolvenz ihres Arbeitgebers gegen jede (!) Kündigung des Arbeitgebers und des Insolvenzverwalters gerichtlich vorzugehen. Hätte die Angestellte hier im Streitfall diese Regel nicht befolgt, hätte sie letztlich 12.824,00 EUR „vergeigt“.
Nähere Informationen finden Sie hier:
- Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 22.02.2018, 6 AZR 868/16 (Pressemeldung des Gerichts)
- Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 22.02.2018, 6 AZR 868/16
- Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz, Urteil vom 07.07.2016, 6 Sa 23/16
- Handbuch Arbeitsrecht: Anhörung des Betriebsrats
- Handbuch Arbeitsrecht: Annahmeverzug des Arbeitgebers
- Handbuch Arbeitsrecht: Betriebsstilllegung, Betriebsschließung
- Handbuch Arbeitsrecht: Freistellung, Suspendierung
- Handbuch Arbeitsrecht: Insolvenz des Arbeitgebers
- Handbuch Arbeitsrecht: Insolvenzgeld
- Handbuch Arbeitsrecht: Kündigung des Arbeitsvertrags (Überblick)
- Handbuch Arbeitsrecht: Kündigungsfristen
- Handbuch Arbeitsrecht: Kündigungsschutzklage
- Handbuch Arbeitsrecht: Lohnklage
- Handbuch Arbeitsrecht: Lohnrückstand - Arbeitgeberpflichten
- Handbuch Arbeitsrecht: Lohnrückstand - Arbeitnehmerrechte
- Handbuch Arbeitsrecht: Vergütung bei Arbeitsausfall
- Arbeitsrecht aktuell: 19/120 Kündigungsschutz Schwerbehinderter bei Massenentlassungen
- Arbeitsrecht aktuell: 19/068 Abfindung bei Insolvenz des Arbeitgebers
- Arbeitsrecht aktuell: 16/155 Zwischenverdienst bei erhöhter Stundenzahl
- Arbeitsrecht aktuell: 11/119 Urlaubsabgeltung in der Insolvenz nach langer Krankheit
- Arbeitsrecht aktuell: 05/02 BAG: Keine verkürzte Kündigungsfrist vor Insolvenzeröffnung
- Arbeitsrecht aktuell: 01/06 Annahmeverzugslohn bei Insolvenz
Hinweis: In der Zwischenzeit, d.h. nach Erstellung dieses Artikels, hat das BAG seine Entscheidungsgründe veröffentlicht. Das vollständig begründete Urteil des BAG finden Sie hier:
Letzte Überarbeitung: 2. August 2020
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