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ARBEITSRECHT AKTUELL // 15/216

Wit­wen­ren­te trotz spä­ter Ehe?

Ar­beit­ge­ber dür­fen Wit­wen­ren­te nicht vom Al­ter des Ar­beit­neh­mers bei der Hoch­zeit ab­hän­gig ma­chen: Bun­des­ar­beits­ge­richt, Ur­teil vom 04.08.2015, 3 AZR 137/13
Sparschwein mit Aufschrift Altersvorsorge Trotz spä­ter Ehe nicht nur von Luft und Lie­be le­ben?

11.08.2015. Amors We­ge sind un­er­gründ­lich. Sein Pfeil kann ei­nen mit 60 Jah­ren ge­nau­so über­ra­schend und in­ten­siv tref­fen, wie mit An­fang zwan­zig.

Doch so man­cher Ge­dan­ke ver­drängt die Schmet­ter­lin­ge und sorgt für Schmer­zen im Bauch: "Was ist, wenn ich mal krank wer­de? Wie kann ich da­für sor­gen, dass mein Part­ner auch nach mei­nem Tod fi­nan­zi­ell ab­ge­si­chert ist?"

Und hier kom­men Hin­ter­blie­be­nen­ren­ten ins Spiel: Wer ei­ne Al­ters­ren­te be­an­spru­chen kann, hat da­mit im Fal­le sei­nes To­des oft auch sei­nen hin­ter­blie­be­nen Part­ner ab­ge­si­chert, vor­aus­ge­setzt na­tür­lich, es be­steht ei­ne Ehe oder ei­ne ein­ge­tra­ge­ne Le­bens­part­ner­schaft.

Mit ei­nem ak­tu­el­len Ur­teil hat­te das Bun­des­ar­beits­ge­richt (BAG) über die Zah­lung ei­ner Wit­wen­ren­te zu ent­schei­den, die der Ar­beit­ge­ber vom Al­ter des Ar­beit­neh­mers bei der Hoch­zeit ab­hän­gig ma­chen woll­te und über­rasch­te da­mit: BAG, Ur­teil vom 04.08.2015, 3 AZR 137/13 (Pres­se­mit­tei­lung).

Wie ent­schie­den die Ar­beits­ge­rich­te bis­lang zu so­ge­nann­ten Späte­hen­klau­seln?

In den ver­gan­ge­nen Jah­ren muss­ten über­le­ben­de Ehe­part­ner be­triebs­ren­ten­be­rech­tig­ter Ar­beit­neh­mer oft um die Zah­lung ei­ner Hin­ter­blie­be­nen­ren­te als Leis­tung der be­trieb­li­chen Al­ters­ver­sor­gung ban­gen. Schuld dar­an wa­ren sog. "Späte­hen­klau­seln", durch die Ar­beit­ge­ber die Zah­lung ei­ner Hin­ter­blie­be­nen­ren­te ein­schränken können.

Und da­von ma­chen die Ar­beit­ge­ber in großem Um­fang Ge­brauch:

So be­stimm­te ei­ne Ver­sor­gungs­ord­nung, dass der Ehe­part­ner, der den Ar­beit­neh­mer erst nach des­sen Ru­he­stand ge­hei­ra­tet hat, von der Hin­ter­blie­be­nen­ren­te aus­ge­schlos­sen wird (wir be­rich­te­ten: Ar­beits­recht ak­tu­ell 13/295 Späte­hen­klau­seln in der be­trieb­li­chen Al­ters­ver­sor­gung).

Ei­ne an­de­re Ver­sor­gungs­ord­nung mach­te den An­spruch der Wit­we da­von abhängig, dass die Ehe vor dem 55. Le­bens­jahr ge­schlos­sen wird und die Wit­we zum Zeit­punkt des To­des zu­min­dest 50 Jah­re alt ist (vgl. da­zu BAG, Ur­teil vom 19.02.2002, 3 AZR 99/01).

Ei­ne wei­te­re Ver­sor­gungs­ord­nung leg­te fest, dass ein An­spruch auf Hin­ter­blie­be­nen­ren­te nicht be­steht, wenn der Ehe­part­ner mehr als 15 Jah­re jünger als der ehe­ma­li­ge Ar­beit­neh­mer ist (vgl. da­zu Lan­des­ar­beits­ge­richt Düssel­dorf, Ur­teil vom 19.05.2005, 5 Sa 509/05).

In al­len die­sen Fällen klag­ten die über­le­ben­den Ehe­leu­te. Und in al­len Fällen gin­gen sie leer aus.

Der Sinn hin­ter den Späte­hen­klau­seln ist of­fen­sicht­lich. Ehen, die nur zum Zwe­cke der späte­ren Ver­sor­gung ge­schlos­sen wer­den, möch­te der Ar­beit­ge­ber nicht fi­nan­zi­ell fördern. Und da ei­ne Be­triebs­ren­te und auch ei­ne Hin­ter­blie­be­nen­ren­te vom Ar­beit­ge­ber frei­wil­lig gewährt wer­den, kann er auch ent­schei­den, un­ter wel­chen Vor­aus­set­zun­gen er dies tut.

In den o.g. Fällen ak­zep­tier­ten die Ar­beits­ge­rich­te den Leis­tungs­aus­schluss. Doch mit dem hier be­spro­che­nen Ur­teil ent­schied das BAG zu­guns­ten der kla­gen­den Wit­we: BAG, Ur­teil vom 04.08.2015, 3 AZR 137/13.

Der Streit­fall: Ar­beit­neh­mer hei­ra­tet Part­ne­rin erst mit 61 Jah­ren

Der ver­sor­gungs­be­rech­tig­te Ar­beit­neh­mer leb­te seit 1992 mit sei­ner Part­ne­rin zu­sam­men. Nach ei­ner Ver­lo­bung zu Os­tern 1993 hei­ra­te­ten sie im Jahr 2008. Der Ar­beit­neh­mer war zu der Zeit 61 Jah­re alt. Im De­zem­ber 2010 ver­starb er.

Die Wit­we wand­te sich dar­auf­hin an den ehe­ma­li­gen Be­trieb ih­res ver­stor­be­nen Ehe­man­nes, der Leis­tun­gen der be­trieb­li­chen Al­ters­ver­sor­gung und auch ei­ne Hin­ter­blie­be­nen­ren­te zu­ge­sagt hat­te.

Die Un­terstützungs­kas­se teil­te ihr aber mit, dass die Zah­lung ei­ner Wit­wen­ren­te nicht in Be­tracht kommt. Denn die Ver­sor­gungs­ord­nung be­stimm­te, dass ein An­spruch auf ei­ne Wit­wen­ren­te nur be­steht, wenn die Ehe vor Voll­endung des 60. Le­bens­jahrs des Ar­beit­neh­mers ge­schlos­sen wur­de. Da der Ar­beit­neh­mer zum Zeit­punkt der Hoch­zeit aber be­reits 61 Jah­re alt ge­we­sen ist, wa­ren die Vor­aus­set­zun­gen für ei­nen An­spruch auf Wit­wen­ren­te nicht ge­ge­ben.

Die Wit­we woll­te sich da­mit nicht ab­fin­den und klag­te ge­gen die Un­terstützungs­kas­se auf Zah­lung der Wit­wen­ren­te. Da­bei ar­gu­men­tier­te sie, dass Späte­hen­klau­sel un­wirk­sam sei, und zwar aus fol­gen­dem Grund:

Sol­che Klau­seln, so die Kläge­rin, ver­lei­den rei­fe­ren Ar­beit­neh­mern die Lust auf ei­ne späte Ehe. Während jun­ge Ar­beit­neh­mer bei der Hei­rat wis­sen, dass ihr Part­ner durch ei­ne Hin­ter­blie­be­nen­ren­te ab­ge­si­chert ist, ha­ben al­te Ar­beit­neh­mer bzw. Be­triebs­rent­ner die­se Aus­sicht nicht.

Das stellt nach An­sicht der Wit­we ei­ne al­ters­be­ding­te Dis­kri­mi­nie­rung älte­rer Men­schen und/oder ei­ner Ver­s­toß ge­gen die Ehefrei­heit (Art.6 Abs.1 Grund­ge­setz - GG) dar. Und al­ters­be­ding­te Be­nach­tei­li­gun­gen von Ar­beit­neh­mern sind ver­bo­ten, wenn es kei­ne trif­ti­gen Sach­gründe dafür gibt. Das folgt aus dem Eu­ro­pa­recht und aus dem All­ge­mei­nen Gleich­be­hand­lungs­ge­setz (AGG).

Das Ar­beits­ge­richt München wies die Kla­ge der Wit­we ab (Ar­beits­ge­richt München, Ur­teil vom 04.06.2012, 3 Ca 9945/11). Das Lan­des­ar­beits­ge­richt (LAG) München schloss sich der Mei­nung des Ar­beits­ge­richts an und folg­te da­mit der bis­he­ri­gen Recht­spre­chung des BAG (LAG München, Ur­teil vom 15.01.2013, 7 Sa 573/12).

BAG: Ar­beit­ge­ber dürfen Zah­lung ei­ner Wit­wen­ren­te nicht vom Al­ter des Ar­beit­neh­mers bei der Hoch­zeit abhängig ma­chen

Das BAG ent­schied über­ra­schen­der­wei­se zu­guns­ten der Wit­we und sprach ihr ei­nen An­spruch auf Zah­lung ei­ner Wit­wen­ren­te zu. Das Ge­richt sah in der Späte­hen­klau­sel ei­ne Al­ters­dis­kri­mi­nie­rung nach dem AGG. Zur Be­gründung heißt es in der der­zeit al­lein vor­lie­gen­den Pres­se­mel­dung des BAG:

Die Späte­hen­klau­sel, die die Zah­lung der Wit­wen­ren­te vom Al­ter des Ar­beit­neh­mers bei der Hoch­zeit abhängig macht, be­nach­tei­ligt den Ar­beit­neh­mer un­mit­tel­bar we­gen des Al­ters. Die Klau­sel ist da­her nach § 7 Abs.2 AGG un­wirk­sam.

An­ders als die Vor­in­stan­zen konn­te die Be­nach­tei­li­gung we­gen des Al­ters laut BAG auch nicht durch ei­nen le­gi­ti­men Zweck ge­recht­fer­tigt wer­den. Denn § 10 Satz 3 Nr.4 AGG nor­miert, dass Al­ters­gren­zen in be­trieb­li­chen Ver­sor­gungs­sys­te­men für Al­ters- und In­va­li­ditäts­ren­ten zulässig sind und ei­ne Un­gleich­be­hand­lung recht­fer­ti­gen können. Da es sich bei ei­ner Hin­ter­blie­be­nen­ren­te je­doch we­der um ei­ne Al­ters- noch um ei­ne In­va­li­ditäts­ren­te han­delt, wird die­se Ver­sor­gungs­form nicht von § 10 Satz 3 Nr.4 AGG um­fasst.

Auch ei­ne Recht­fer­ti­gung der Be­nach­tei­li­gung we­gen des Al­ters gemäß § 10 Satz 1 und 2 AGG kam laut BAG nicht in Be­tracht. Da­nach sind un­ter­schied­li­che Be­hand­lun­gen we­gen des Al­ters zulässig, wenn sie ob­jek­tiv und an­ge­mes­sen und durch ein le­gi­ti­mes Ziel ge­recht­fer­tigt sind. Die Mit­tel zur Er­rei­chung die­ses Ziels müssen an­ge­mes­sen und er­for­der­lich sein. Laut BAG stellt die hier strei­ti­ge Späte­hen­klau­sel aber ei­ne zu star­ke Be­ein­träch­ti­gung älte­rer Ar­beit­neh­mer dar.

Fa­zit: Mit die­ser Ent­schei­dung hat das BAG sei­ne Recht­spre­chung zu Späte­hen­klau­seln ein we­nig zu­guns­ten ver­sor­gungs­be­rech­tig­ter An­gehöri­ger geändert. Ar­beit­ge­ber soll­ten künf­tig auf sol­che al­ters­abhängi­gen Dif­fe­ren­zie­run­gen in be­trieb­li­chen Ver­sor­gungs­sys­te­men ver­zich­ten.

Ob so­ge­nann­te "Be­stands­klau­seln" eben­falls un­wirk­sam sind, ist der Pres­se­mel­dung nicht zu ent­neh­men. Nach sol­chen Klau­seln sind Hin­ter­blie­be­ne von ei­ner Ren­te aus­ge­schlos­sen, wenn die Ehe nicht ei­ne be­stimm­te Min­dest­dau­er be­stan­den hat.

Nähe­re In­for­ma­tio­nen fin­den Sie hier:

Hin­weis: In der Zwi­schen­zeit, d.h. nach Er­stel­lung die­ses Ar­ti­kels, hat das BAG sei­ne Ent­schei­dungs­gründe veröffent­licht. Das vollständig be­gründe­te Ur­teil des BAG fin­den Sie hier:

Letzte Überarbeitung: 2. August 2019

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