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Be­triebs­ren­te - An­pas­sung durch IBM war un­zu­rei­chend

BAG er­teilt Be­triebs­ren­ten­an­pas­sung durch IBM Deutsch­land ei­ne Ab­sa­ge: Bun­des­ar­beits­ge­richt, Ur­teil vom 19.06.2012, 3 AZR 464/11
Rentnerpaar auf Parkbank Aus den Au­gen, aus dem Sinn? So soll­te man nicht mit Be­triebs­rent­nern um­ge­hen.

21.06.2012. Ar­beit­ge­ber sind ge­mäß § 16 Abs.1 Be­triebs­ren­ten­ge­sestz (Be­trAVG) da­zu ver­pflich­tet, al­le drei Jah­re ei­ne An­pas­sung der lau­fen­den Leis­tun­gen der be­trieb­li­chen Al­ters­ver­sor­gung zu prü­fen und dar­über "nach bil­li­gem Er­mes­sen" zu ent­schei­den. Da­bei sind ei­ner­seits die Be­lan­ge der Be­triebs­rent­ner, die an ei­nem mög­lichst voll­stän­di­gen In­fla­ti­ons­aus­gleich in­ter­es­siert sind, und zum an­de­ren die wirt­schaft­li­che La­ge des Ar­beit­ge­bers zu be­rück­sich­ti­gen.

Das sind aber nur va­ge Eck­punk­te, an de­nen sich Ar­beit­ge­ber prak­tisch kaum ori­en­tie­ren kön­nen. Da­her nennt § 16 Abs.2 Be­trAVG zwei leicht an­zu­wen­den­de An­pas­sungs­mög­lich­kei­ten, mit de­nen der Ar­beit­ge­ber auf der si­che­ren Sei­te steht. Da­nach "gilt" die An­pas­sungs­pflicht als er­füllt, wenn die Be­triebs­ren­ten­er­hö­hung "im Prü­fungs­zeit­raum" nicht ge­rin­ger ist als der An­stieg des Ver­brau­cher­preis­in­de­xes für Deutsch­land oder als der An­stieg der Net­to­löh­ne ver­gleich­ba­rer Ar­beit­neh­mer­grup­pen des Un­ter­neh­mens.

Wel­che Zeit­span­ne das Ge­setz mit "Prü­fungs­zeit­raum" meint, geht aus § 16 Abs.2 Be­trAVG nicht ein­deu­tig her­vor. Nach der bis­he­ri­gen Recht­spre­chung des Bun­des­ar­beits­ge­richts (BAG) ist da­mit nicht et­wa nur der Drei­jah­res­zeit­raum ge­meint, der der tur­nus­mä­ßi­gen An­pas­sungs­prü­fung vor­aus­geht, son­dern die ge­sam­te Zeit vom in­di­vi­du­el­len Ren­ten­be­ginn bis zum An­pas­sungs­sticht­at. Groß­un­ter­neh­men mit vie­len Be­triebs­rent­nern ha­ben da­her bei An­wen­dung von § 16 Abs.2 Be­trAVG vie­le in­di­vi­du­ell ver­schie­de­ne Prü­fungs­zeit­räu­me zu be­rück­sich­ti­gen.

An die­ser BAG-Recht­spre­chung hat ein be­kann­tes Groß­un­ter­neh­men mit vie­len tau­send Be­schäf­tig­ten, näm­lich IBM, in den letz­ten Jah­ren hef­tig ge­rüt­telt. Das hat­te kei­nen Er­folg, wie das BAG ges­tern ent­schied: BAG, Ur­teil vom 19.06.2012, 3 AZR 464/11.

An­pas­sung der Be­triebs­ren­ten ent­spre­chend der Re­al­lohn­ent­wick­lung im Un­ter­neh­men - wel­che Jah­re zählen?

Wird über Be­triebs­ren­ten­an­pas­sun­gen ge­strit­ten, steht das BAG seit je­her auf der Sei­te der Be­triebs­rent­ner. Ide­al wäre da­her aus Sicht des BAG ein vollständi­ger In­fla­ti­ons­aus­gleich, d.h. ein ef­fek­ti­ver Schutz der Be­triebs­ren­ten ge­gen den Kauf­kraft­ver­lust. Da­her ver­langt das BAG vom Ar­beit­ge­ber, bei der An­pas­sung von Be­triebs­ren­ten den ge­sam­ten Zeit­raum vom Ren­ten­be­ginn an zu be­trach­ten.

Denn würde man nur die letz­ten drei Jah­re be­trach­ten, könn­te fol­gen­des pas­sie­ren: Der Ar­beit­ge­ber könn­te in wirt­schaft­lich schlech­ten Zei­ten ei­ne An­pas­sung (zu­recht) ab­leh­nen und müss­te die­se "Ren­ten-Null­run­de" später auch bei gu­ter Wirt­schafts­la­ge nicht wie­der aus­glei­chen, wenn es im­mer nur auf die letz­ten drei Jah­re ankäme.

Mit ei­ner sol­chen nach­ho­len­den An­pas­sung war al­ler­dings der Ge­setz­ge­ber nicht ein­ver­stan­den und nahm 1999 ei­ne fol­gen­de klar­stel­len­de Re­ge­lung in § 16 Abs.4 Satz 1 Be­trAVG auf: "Sind lau­fen­de Leis­tun­gen nach Ab­satz 1 nicht oder nicht in vol­lem Um­fang an­zu­pas­sen (zu Recht un­ter­blie­be­ne An­pas­sung), ist der Ar­beit­ge­ber nicht ver­pflich­tet, die An­pas­sung zu ei­nem späte­ren Zeit­punkt nach­zu­ho­len." Das heißt, dass rechtmäßige Null­run­den we­gen schlech­ter wirt­schaft­li­cher La­ge später nicht aus­ge­gli­chen wer­den müssen, d.h. im Ren­ten­ver­lauf zu Las­ten des Be­triebs­rent­ners ge­hen.

Das BAG hat sei­ne Recht­spre­chung die­ser Ge­set­zesände­rung an­ge­passt - so­weit es eben muss­te. Aber trotz­dem ver­langt das BAG von Ar­beit­ge­bern wei­ter­hin, bei je­der Ren­ten­an­pas­sung die ge­sam­te Ren­ten­zeit zu berück­sich­ti­gen. Das führt da­zu, dass Ar­beit­ge­ber die Rechtmäßig­keit frühe­rer Null­run­den be­wei­sen müssen. Ob das rich­tig ist, ist al­ler­dings vor dem Hin­ter­grund von § 16 Abs.4 Satz 1 Be­trAVG frag­lich.

BAG: Prüfungs­zeit­raum für die Er­mitt­lung des An­pas­sungs­be­darfs ist die Zeit vom in­di­vi­du­el­len Ren­ten­be­ginn bis zum ak­tu­el­len An­pas­sungs­stich­tag

Der kla­gen­de Be­triebs­rent­ner war bis En­de 2005 im Kon­zern der IBM Deutsch­land beschäftigt und be­zieht seit An­fang 2006 ei­ne Be­triebs­ren­te. IBM prüft Ren­ten­an­pas­sun­gen ein­heit­lich für al­le Be­triebs­rent­ner je­weils zum 1. Ju­li ei­nes je­den Ka­len­der­jah­res. Da­bei erhöhte IBM die mo­nat­li­che Be­triebs­ren­te des Klägers zum 01.07.2009 um 2,91 Pro­zent. Zur Be­gründung hieß es, in die­sem Um­fang hätten sich die Net­tolöhne sämt­li­cher Mit­ar­bei­ter im IMB-Kon­zern in Deutsch­land (mit Aus­nah­me der sog. Exe­cu­ti­ves) in den Jah­ren 2006, 2007 und 2008 erhöht.

Der Be­triebs­rent­ner war da­mit nicht ein­ver­stan­den und klag­te auf ei­ne Ren­ten­erhöhung von 6,04 Pro­zent, denn in die­ser Höhe war von sei­nem Ren­ten­be­ginn bis En­de Ju­ni 2009 ein Kauf­kraft­ver­lust ein­ge­tre­ten, wie sich aus dem Ver­brau­cher­preis­in­dex für Deutsch­land er­gab. Das Ar­beits­ge­richt München (Ur­teil vom 22.12.2010, 38 Ca 11541/10) und das Lan­des­ar­beits­ge­richt (LAG) München ga­ben dem Kläger recht (LAG München, Ur­teil vom 10.05.2011, 6 Sa 107/11).

Auch vor dem BAG zog IBM vor­ges­tern den Kürze­ren. Zur Be­gründung heißt es in der der­zeit al­lein vor­lie­gen­den Pres­se­mit­tei­lung des BAG:

Ob ein An­pas­sungs­be­darf be­steht, rich­tet sich nach dem Kauf­kraft­ver­lust seit Ren­ten­be­ginn. Be­grenzt wird der An­pas­sungs­be­darf gemäß § 16 Abs.2 Nr.1 Be­trAVG durch die Net­to­lohn­ent­wick­lung der ak­ti­ven Ar­beit­neh­mer. Da die­se "re­al­lohn­be­zo­ge­ne Ober­gren­ze" eben­so wie der An­pas­sungs­be­darf die Be­lan­ge der Ver­sor­gungs­empfänger be­trifft, gilt der­sel­be Prüfungs­zeit­raum, so das BAG. Der Prüfungs­zeit­raum reicht da­her im­mer vom in­di­vi­du­el­len Ren­ten­be­ginn bis zum ak­tu­el­len An­pas­sungs­stich­tag.

Und hier hat­te IBM ge­patzt, denn die an­geb­li­che Net­to­loh­nerhöhung von 2,91 Pro­zent be­zog sich auf die drei Jah­re 2006 bis 2008. Die­ser Drei­jah­res­zeit­raum war so­mit kürzer als der in­di­vi­du­ell für den Kläger maßgeb­li­che Prüfungs­zeit­raum (01.01.2006 bis 30.06.2009).

Fa­zit: Eben­so wie das LAG München lässt das BAG in sei­ner Ent­schei­dung of­fen, ob IBM über­haupt auf die Net­to­lohn­ent­wick­lung sämt­li­cher (!) Mit­ar­bei­ter im IMB-Kon­zern in Deutsch­land (aus­ge­nom­men Exe­cu­ti­ves) ab­stel­len durf­te. Das ist frag­lich, da § 16 Abs.2 Nr.1 Be­trAVG von den Net­tolöhnen "ver­gleich­ba­rer Ar­beit­neh­mer­grup­pen des Un­ter­neh­mens im Prüfungs­zeit­raum" spricht, d.h. IBM hätte wohl ge­nau­er hin­schau­en und prüfen müssen, wie sich die Net­tolöhne der­je­ni­gen Ar­beit­neh­mer­grup­pen ent­wi­ckelt hat­ten, die ähn­li­che Auf­ga­ben wie der Kläger hat­ten.

Im Er­geb­nis war klar, dass IBM mit sei­ner Art der Ren­ten­an­pas­sung auch vor dem BAG schei­tern würde. Auch in vie­len an­de­ren, weit über 1.000 Kla­ge­ver­fah­ren, die 2010 und 2011 von IBM-Be­triebs­rent­nern an­ge­strengt wor­den wa­ren, zog IBM den kürze­ren. Da der Ver­s­toß IBMs ge­gen die "gel­ten­de" Recht­spre­chung zu § 16 Be­trAVG of­fen­kun­dig war, ha­ben vie­le Be­ob­ach­ter darüber gerätselt, war­um IBM je­den Ein­zel­fall durch­pro­zes­siert, ob­wohl die Fälle doch ver­gleich­bar sind. Mögli­cher­wei­se liegt dem ein Kos­ten­kalkül zu­grun­de, dem zu­fol­ge auch ho­he Pro­zess­kos­ten auf­grund vie­ler ver­lo­re­ner Pro­zes­se im­mer noch güns­ti­ger sind als ei­ne der Recht­spre­chung fol­gen­de Ren­ten­erhöhung zu­guns­ten al­ler Be­triebs­rent­ner, d.h. auch der­je­ni­gen, die den Gang vor Ge­richt scheu­en.

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Letzte Überarbeitung: 5. Juni 2020

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