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ARBEITSRECHT AKTUELL // 16/192

Un­ter­rich­tung des Be­triebs­rats bei Mas­sen­ent­las­sun­gen

Wird der Be­triebs­rat bei ei­ner Be­triebs­schlie­ßung über die be­trof­fe­nen Be­rufs­grup­pen nicht in­for­miert, kann er die­sen Feh­ler durch ei­ne ab­schlie­ßen­de Stel­lung­nah­me hei­len: Bun­des­ar­beits­ge­richt, Ur­teil vom 09.06.2016, 6 AZR 405/15
Betriebsratsanhörung

18.06.2016. Plant der Ar­beit­ge­ber ei­ne sog. Mas­sen­ent­las­sung, muss er dem Be­triebs­rat vor­ab sehr ge­naue In­for­ma­tio­nen über die be­trof­fe­nen Ar­beit­neh­mer ge­ben und mit ihm dar­über Ver­hand­lun­gen füh­ren.

Un­ter an­de­rem muss der Ar­beit­ge­ber den Be­triebs­rat ge­mäß § 17 Abs.2 Satz 1 Nr.2 Kün­di­gungs­schutz­ge­setz (KSchG) schrift­lich über die "Zahl und die Be­rufs­grup­pen der zu ent­las­sen­den Ar­beit­neh­mer" in­for­mie­ren.

Nicht ein­deu­tig im Ge­setz ge­re­gelt ist die Fra­ge, wel­che Fol­gen es hat, wenn die­se be­rufs­grup­pen­be­zo­ge­nen In­for­ma­tio­nen des Ar­beit­ge­bers un­voll­stän­dig sind, er aber oh­ne­hin den ge­sam­ten Be­trieb schlie­ßen will.

Zu die­ser Fra­ge hat das Bun­des­ar­beits­ge­richt (BAG) am Don­ners­tag letz­ter Wo­che Stel­lung ge­nom­men: BAG, Ur­teil vom 09.06.2016, 6 AZR 405/15 (Pres­se­mel­dung Nr. 30/16).

Un­ter wel­chen Umständen kann der Be­triebs­rat ei­nen In­for­ma­ti­ons­man­gel hei­len?

§ 17 Abs.1 KSchG legt fest, wie groß ei­ne ge­plan­te Kündi­gungs­wel­le sein muss, um als "Mas­sen­ent­las­sung" zu gel­ten. Sind die ge­setz­li­chen Schwel­len­wer­te er­reicht, muss der Ar­beit­ge­ber gemäß § 17 Abs.2 KSchG den Be­triebs­rat über die Gründe und Aus­wir­kun­gen der ge­plan­ten Kündi­gun­gen in­for­mie­ren und mit ihm darüber er­geb­nis­of­fen ver­han­deln.

Ne­ben die­ser Pflicht zur In­for­ma­ti­on und "Kon­sul­ta­ti­on" des Be­triebs­rats gemäß § 17 Abs.2 KSchG steht die (ziem­lich ähn­lich ge­strick­te) ge­setz­li­che Pflicht zur In­for­ma­ti­on und zu Gesprächen über ei­nen mögli­chen In­ter­es­sen­aus­gleich, denn Mas­sen­ent­las­sun­gen sind Be­triebsände­run­gen im Sin­ne von § 111 Be­triebs­ver­fas­sungs­ge­setz (Be­trVG).

Wie erwähnt, be­zie­hen sich die In­for­ma­ti­ons­pflich­ten des Ar­beit­ge­bers auch auf die "Zahl und die Be­rufs­grup­pen der zu ent­las­sen­den Ar­beit­neh­mer" (§ 17 Abs.2 Satz 1 Nr.2 KSchG). Be­kommt der Be­triebs­rat die­se In­for­ma­ti­on nicht, hat der Ar­beit­ge­ber ei­nen Feh­ler ge­macht, der sich mögli­cher­wei­se auf die Wirk­sam­keit der später aus­ge­spro­che­nen Kündi­gun­gen aus­wirkt.

An die­sem Punkt kann man al­ler­dings fra­gen, ob der Ar­beit­ge­ber bei ei­ner ge­plan­ten Still­le­gung des ge­sam­ten Be­triebs dem Be­triebs­rat wirk­lich die Be­rufs­grup­pen der von der Ent­las­sung be­trof­fe­nen Ar­beit­neh­mer auf­schlüsseln muss, denn wenn al­le Ar­beit­neh­mer ent­las­sen wer­den sol­len, sind eben auch al­le Be­rufs­grup­pen der Be­leg­schaft in glei­cher Wei­se be­trof­fen. Für die Mei­nungs­bil­dung des Be­triebs­rats und sei­ne Ver­hand­lun­gen über ei­nen In­ter­es­sen­aus­gleich und So­zi­al­plan ist die­se In­for­ma­ti­on , so könn­te man ar­gu­men­tie­ren, un­er­heb­lich, und da­her soll­te sie auch kei­ne Aus­wir­kun­gen auf die Wirk­sam­keit der vom Ar­beit­ge­ber später aus­ge­spro­che­nen Kündi­gun­gen ha­ben.

Aber auch dann, wenn man be­rufs­grup­pen­be­zo­ge­ne In­for­ma­tio­nen auch bei ge­plan­ten Be­triebs­stil­le­gun­gen für un­ver­zicht­bar hält, fragt sich wei­ter­hin, ob der Be­triebs­rat ei­ne hier be­ste­hen­de In­for­ma­ti­onslücke nicht be­sei­ti­gen bzw. "hei­len" kann, in­dem er rechts­ver­bind­lich erklärt, vollständig in­for­miert wor­den zu sein.

Der Fall des BAG: In­sol­venz­ver­wal­ter will den Be­trieb schließen und nennt dem Be­triebs­rat die be­trof­fe­nen Ar­beit­neh­mer­grup­pen nicht, doch der Be­triebs­rat bestätigt, vollständig in­for­miert wor­den zu sein

Im Streit­fall ging es um ei­ne Mas­sen­ent­las­sung, die ein In­sol­venz­ver­wal­ter im Rah­men ei­ner ge­plan­ten Be­triebs­still­le­gung durchführ­te. Er un­ter­rich­te­te den Be­triebs­rat vor­ab zwar über die ge­plan­te Kündi­gung al­ler Ar­beit­neh­mer des Be­triebs, drösel­te da­bei aber die be­trof­fe­nen Be­rufs­grup­pen der Be­leg­schaft nicht auf.

Kurz dar­auf ver­ein­bar­ten Ver­wal­ter und Be­triebs­rat ei­nen In­ter­es­sen­aus­gleich mit So­zi­al­plan. Im In­ter­es­sen­aus­gleich bestätig­te der Be­triebs­rat, dass er "recht­zei­tig und vollständig" nach § 17 Abs.2 KSchG un­ter­rich­tet wor­den sei und dass er mit dem Ver­wal­ter über die mögli­che Ver­mei­dung oder Ein­schränkung von Ent­las­sun­gen be­ra­ten ha­be. In die­sem Zu­sam­men­hang bestätig­te der Be­triebs­rat "die Be­en­di­gung des Kon­sul­ta­ti­ons­ver­fah­rens".

Ei­ne der dar­auf­hin vom Ver­wal­ter gekündig­ten Pro­duk­ti­ons­mit­ar­bei­te­rin­nen er­hob Kündi­gungs­schutz­kla­ge. Ih­rer Mei­nung nach war die Kündi­gung un­wirk­sam, da der Be­triebs­rat nicht vollständig in­for­miert wor­den war und das Kon­sul­ta­ti­ons­ver­fah­ren nicht kor­rekt war. Da­mit hat­te sie vor dem Ar­beits­ge­richt Lin­gen (Ur­teil vom 23.10.2014, 3 Ca 18/14) und dem Lan­des­ar­beits­ge­richt (LAG) Nie­der­sach­sen kei­nen Er­folg (LAG Nie­der­sach­sen, Ur­teil vom 29.06.2015, 8 Sa 1534/14).

BAG: Wird der Be­triebs­rat bei ei­ner ge­plan­ten Be­triebs­sch­ließung über die be­trof­fe­nen Be­rufs­grup­pen nicht in­for­miert, kann die­ser Feh­ler durch ei­ne ab­sch­ließen­de Stel­lung­nah­me des Be­triebs­rats ge­heilt wer­den

Auch das BAG hielt die Einwände der Kläge­rin ge­gen das Kon­sul­ta­ti­ons­ver­fah­ren für un­be­gründet.

Ob ei­ne feh­len­de In­for­ma­ti­on über die Be­rufs­grup­pen bei ei­ner Be­triebs­stil­le­gung über­haupt zu ei­ner Un­wirk­sam­keit der später aus­ge­spro­che­nen Kündi­gun­gen führt, ließen die Er­fur­ter Rich­ter ih­rer der der­zeit al­lein vor­lie­gen­den Pres­se­mel­dung of­fen. Je­den­falls kann ei­ne feh­ler­haf­te Un­ter­rich­tung in sol­chen Fällen „ge­heilt“ wer­den, wenn der Be­triebs­rat in ei­nem In­ter­es­sen­aus­gleich ei­ne ab­sch­ließen­de Stel­lung­nah­me ab­gibt, der zu­fol­ge er vollständig un­ter­rich­tet und das Kon­sul­ta­ti­ons­ver­fah­ren nach ab­sch­ließen­der Be­ra­tung be­en­det wur­de.

Fa­zit: Bei Mas­sen­ent­las­sun­gen soll­ten Ar­beit­ge­ber und Be­triebs­rat sorgfältig ar­bei­ten. Hier ist natürlich zu­erst der Ar­beit­ge­ber an der Rei­he, d.h. er muss zunächst ein­mal sei­ne In­for­ma­ti­ons­pflich­ten gemäß § 17 Abs.2 KSchG vollständig erfüllen. Kommt dann aber ein In­ter­es­sen­aus­gleich und ein So­zi­al­plan zu­stan­de, soll­te es selbst­verständ­lich sein, dass der Be­triebs­rat bei der schrift­li­chen Aus­ar­bei­tung die­ser Ver­ein­ba­run­gen bestätigt, vollständig im Sin­ne von § 17 Abs.2 KSchG un­ter­rich­tet wor­den zu sein.

Nähe­re In­for­ma­tio­nen fin­den Sie hier:

Hin­weis: In der Zwi­schen­zeit, d.h. nach Er­stel­lung die­ses Ar­ti­kels, hat das BAG sei­ne Ent­schei­dungs­grün­de ver­öf­fent­licht. Das voll­stän­dig be­grün­de­te Ur­teil des BAG fin­den Sie hier:

Letzte Überarbeitung: 2. Juli 2018

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