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Der Begriff des Betriebs bei Massenentlassungen
30.07.2015. Die Richtlinie 98/59/EG ("Massenentlassungsrichtlinie") schreibt Arbeitgebern vor, bei größeren Kündigungswellen die betrieblichen Arbeitnehmervertretungen vorab zu informieren und mit ihnen zu beraten, ob die Kündigungen vielleicht verhindert werden können.
Aber was ist ein "Betrieb" und dementsprechend eine "Massenentlassung" im Sinne der Richtlinie?
Zu diesen Fragen hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) in einem aktuellen Urteil klargestellt, dass der Betriebsbegriff weit auszulegen ist, so dass viele Organisationseinheiten unter diesen Betriff fallen. Für Arbeitnehmer ist das aber keine gute Nachricht, weil es dann viele "Betriebe" gibt, in denen von vornherein zu wenig Arbeitnehmer für eine "Massenentlassung" tätig sind: EuGH, Urteil vom 30.04.2015, C-80/14 (USDAW).
- Ist mit "Betrieb" bei Massenentlassungen innerhalb von 30 Tagen etwas anderes gemeint als bei Massenentlassungen innerhalb von 90 Tagen?
- Der Streitfall: Woolworth schließt seine Filialen in Großbritannien und führt kein Konsultationsverfahren mit der Gewerkschaft durch
- EuGH: Kleine Filialen von Einzelhandelsketten können "Betriebe" im Sinne der Massenentlassungs-Richtlinie sein
Ist mit "Betrieb" bei Massenentlassungen innerhalb von 30 Tagen etwas anderes gemeint als bei Massenentlassungen innerhalb von 90 Tagen?
Die Massenentlassungsrichtlinie ("Richtlinie 98/59/EG des Rates vom 20.07.1998 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Massenentlassungen") definiert in ihrem Art.1 Abs.1 Buchstabe a), wann eine "Massenentlassung" vorliegt. Dabei können die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union (EU) bei der Umsetzung der Richtlinie den Begriff der Massenentlassung entweder für einen 30-Tages-Zeitraum oder für einen 90-Tages-Zeitraum festlegen.
Bei der 30-Tages-Variante schreibt Art.1 Abs.1 Buchstabe a) der Massenentlassungsrichtlinie im Einzelnen vor, wie groß die betroffenen Betriebe und die geplanten Entlassungen sein müssen. So müssen z.B. in einem Betrieb mit zwischen 21 und 99 Arbeitnehmern mindestens zehn Entlassungen geplant sein, bei einer Betriebsgröße zwischen 100 und 299 Arbeitnehmern müssen mindestens zehn Prozent der Arbeitnehmer von der Kündigungswelle betroffen sein usw.
Demgegenüber kommt es bei der 90-Tages-Variante nicht auf die Betriebsgröße, sondern nur auf die geplanten Entlassungen (mindestens 20) an. Unklar ist, ob die geplanten (mindestens 20) Entlassungen immer denselben Betrieb betreffen müssen oder ob die Grenze von 20 Entlassungen auch auf das Unternehmen des Arbeitgebers bezogen werden kann.
Denn bei der 90-Tages-Variante beträgt die Anzahl der geplanten Entlassungen, so der Wortlaut der Richtlinie (Art.1 Abs.1 Buchstabe a) Ziffer ii)),
"innerhalb eines Zeitraums von 90 Tagen mindestens 20, und zwar unabhängig davon, wie viele Arbeitnehmer in der Regel in dem betreffenden Betrieb beschäftigt sind".
Wenn es aber auf die Anzahl der in dem "betreffenden" (?) Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer nicht ankommt, sondern nur auf die geplanten Entlassungen von (mindestens) 20 innerhalb eines Zeitraums von (höchstens) 90 Tagen, dann könnten mit "betreffender" Betrieb auch mehrere Betriebe oder sogar das ganze Unternehmen des Arbeitgebers gemeint sein. Das würde letztlich darauf hinauslaufen, den Begriff des Betriebs in Art.1 Abs.1 Buchstabe a) Ziffer ii) anders zu verstehen als in Art.1 Abs.1 Buchstabe a) Ziffer i).
Der Streitfall: Woolworth schließt seine Filialen in Großbritannien und führt kein Konsultationsverfahren mit der Gewerkschaft durch
In dem aus Großbritannien stammenden Vorlagefall ging es um die insolvente Warenhauskette Woolworth, die viele betriebsbedingte Kündigungen aussprechen musste.
Daraufhin verklagte die Gewerkschaft der Verkaufsangestellten ("USDAW") und eine betroffene Arbeitnehmerin, Frau Wilson, Woolworth auf Zahlung einer Entlassungsentschädigung, die die englischen Arbeitsgesetze für den Fall vorsehen, dass Arbeitnehmer im Rahmen einer Massenentlassung gekündigt werden, ohne dass der Arbeitgeber mit den Gewerkschaften darüber zuvor verhandelt hat. Das englische Recht der Massenentlassungen stellt auf den 90-Tages-Zeitraum ab.
Die meisten der etwa 4.500 Entschädigungsklagen hatten keinen Erfolg, so auch die von der USDAW und Frau Wilson angestrengte Klage. Denn, so die englischen Gerichte: Die Woolworth-Läden sind je für sich als "Betriebe" anzusehen, und da hier meist nur weniger als 20 Arbeitnehmer arbeiteten, kamen viele Entlassungen hier von vornherein nicht über die erforderliche Schwelle von mindestens 20 betriebsbedingten Kündigungen. Daher musste der Arbeitgeber bzw. Insolvenzverwalter keine Massenentlassungsverhandlungen mit der Gewerkschaft führen, und dementsprechend gab es keine Entschädigungen.
Der Court of Appeal of England and Wales (Civil Division) legte daraufhin dem EuGH die Frage vor, ob die mindestens 20 Entlassungen im Sinne des Art.1 Abs.1 Buchstabe a Ziffer ii) Massenentlassungsrichtlinie auf den einzelnen Betrieb zu beziehen sind oder ob die Entlassungen in allen Betrieben zusammengerechnet werden müssen.
EuGH: Kleine Filialen von Einzelhandelsketten können "Betriebe" im Sinne der Massenentlassungs-Richtlinie sein
Der EuGH entschied in der Tendenz gegen die klagenden Arbeitnehmer. Denn unter einem "Betrieb" im Sinne von Art.1 Abs.1 Buchstabe a) Ziffer ii) der Richtlinie ist dasselbe zu verstehen wie in Art.1 Abs.1 Buchstabe a) Ziffer i), nämlich jede abgrenzbare
"Einheit von einer gewissen Dauerhaftigkeit und Stabilität (...), die zur Erledigung einer oder mehrerer bestimmter Aufgaben bestimmt ist und über eine Gesamtheit von Arbeitnehmern sowie über technische Mittel und eine organisatorische Struktur zur Erfüllung dieser Aufgaben verfügt" (EuGH, Randnummer 49).
Da es auf das Vorhandensein einer vom Arbeitgeber eingesetzten Leitung nicht ankommt (EuGH, Randnummer 47), sind auch kleine und kleinste Filialen von großen Einzelhandelsunternehmen als "Betriebe" im Sinne der Massenentlassungsrichtlinie anzusehen. Und auf die Anzahl der Entlassungen in diesen Mini-"Betrieben" kommt es an, so der Gerichtshof (Randnummer 63 bis 69).
Fazit: Der vom EuGH vertretene "weite" Betriebsbegriff führt nicht etwa dazu, dass viele Sachverhalte unter den Anwendungsbereich der Massenentlassungsrichtlinie fallen, sondern im Gegenteil dazu, dass große Einzelhandelsketten mit einem Netz kleiner Filialen durch die Maschen der Richtlinie schlüpfen. Denn je mehr kleine und winzige "Betriebe" im Sinne des EuGH-Begriffs es gibt, desto mehr Betriebe gibt es dementsprechend, bei denen 20 Entlassungen gar nicht möglich sind, weil in diesen "Betrieben" weniger als 20 Arbeitnehmer tätig sind.
Für das deutsche Arbeitsrecht hat die EuGH-Entscheidung keine unmittelbare Bedeutung, da die Massenentlassungs-Paragraphen des Kündigungsschutzgesetzes (KSchG) auf den 30-Tages-Zeitraum abstellen. Darüber hinaus interpretiert das Bundesarbeitsgericht (BAG) den Betriebsbegriff im Sinne von § 17 KSchG in der gleichen Weise wie bei der Auslegung des Betriebsverfassungsgesetzes (BetrVG) und verlangt daher die Existenz einer arbeitgeberseitigen Leitung im Betrieb.
Das wiederum führt dazu, dass mehrere kleine, in derselben Stadt liegende Filialen eines Einzelhandelsunternehmens nach deutschem Arbeitsrecht gemeinsam einen Betrieb bilden, so dass die Schwellenwerte des § 17 KSchG bei ähnlichen Entlassungswellen wie der englischen Woolworth-Insolvenz praktisch immer überschritten würden und eine Konsultationspflicht bestehen würde.
Nähere Informationen finden Sie hier:
- Europäischer Gerichtshof, Urteil vom 30.04.2015, C-80/14
- Schlussantrag des Generalstaatsanwalts, 05.02.2015, C-80/14
- Handbuch Arbeitsrecht: Kündigung - betriebsbedingte Kündigung
- Handbuch Arbeitsrecht: Massenentlassung
- Handbuch Arbeitsrecht: Kündigungsschutz
- Arbeitsrecht aktuell: 19/043 Sozialplanabfindungen und Nachteilsausgleich können verrechnet werden
- Arbeitsrecht aktuell: 16/304 Dauer der Konsultation bei Massenentlassungen
- Arbeitsrecht aktuell: 16/258 Massenentlassung und Elternzeit
- Arbeitsrecht aktuell: 16/192 Unterrichtung des Betriebsrats bei Massenentlassungen
- Arbeitsrecht aktuell: 16/086 Massenentlassungsanzeige bei erneuter Kündigung
- Arbeitsrecht aktuell: 15/369 Massenentlassungsrichtlinie und Arbeitnehmerbegriff
- Arbeitsrecht aktuell: 15/258 Fehler bei der Anzeige einer Massenentlassung
- Arbeitsrecht aktuell: 15/201 Bei Massenentlassungen zählen Geschäftsführer als Arbeitnehmer
- Arbeitsrecht aktuell: 15/118 Massenentlassung und Personalstruktur
- Arbeitsrecht aktuell: 12/314 Massenentlassung und Unterrichtung des Betriebsrats
Letzte Überarbeitung: 18. Februar 2019
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