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BAG, Ur­teil vom 18.04.2007, 4 AZR 652/05

   
Schlagworte: Gleichstellungsabrede, Tarifvertrag
   
Gericht: Bundesarbeitsgericht
Aktenzeichen: 4 AZR 652/05
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 18.04.2007
   
Leitsätze:
  1. Eine einzelvertraglich vereinbarte dynamische Bezugnahme auf einen bestimmten Tarifvertrag ist jedenfalls dann, wenn eine Tarifgebundenheit des Arbeitgebers an den im Arbeitsvertrag genannten Tarifvertrag nicht in einer für den Arbeitnehmer erkennbaren Weise zur auflösenden Bedingung der Vereinbarung gemacht worden ist, eine konstitutive Verweisungsklausel, die durch einen Verbandsaustritt des Arbeitgebers oder einen sonstigen Wegfall seiner Tarifgebundenheit nicht berührt wird ("unbedingte zeitdynamische Verweisung").
  2. Ist die Klausel jedoch vor dem 1. Januar 2002 vereinbart worden, ist sie aus Gründen des Vertrauensschutzes wie eine sog. "Gleichstellungsabrede" im Sinne der früheren Senatsrechtsprechung auszulegen.
Vorinstanzen: Arbeitsgericht Hannover Landesarbeitsgericht Niedersachsen
   


BUN­DES­AR­BEITS­GERICHT


4 AZR 652/05
7 Sa 1867/04
Lan­des­ar­beits­ge­richt
Nie­der­sach­sen

 

Im Na­men des Vol­kes!


Verkündet am

18. April 2007

UR­TEIL

Frei­tag, Ur­kunds­be­am­tin

der Geschäfts­stel­le

In Sa­chen

Kläge­rin, Be­ru­fungskläge­rin, Be­ru­fungs­be­klag­te, Re­vi­si­onskläge­rin und Re­vi­si­ons­be­klag­te,

pp.

Be­klag­ter, Be­ru­fungs­be­klag­ter, Be­ru­fungskläger, Re­vi­si­ons­be­klag­ter und Re­vi­si­onskläger,

hat der Vier­te Se­nat des Bun­des­ar­beits­ge­richts auf Grund der münd­li­chen Ver­hand­lung vom 18. April 2007 durch den Vor­sit­zen­den Rich­ter am Bun­des­ar­beits­ge­richt Be­p­ler, die Rich­ter am Bun­des­ar­beits­ge­richt Dr. Wol­ter und Creutz­feldt so­wie die eh­ren­amt­li­chen Rich­ter Günther und Görgens für Recht er­kannt:


1. Die Re­vi­si­on des Be­klag­ten ge­gen das Ur­teil des Lan­des­ar­beits­ge­richts Nie­der­sach­sen vom 28. Ju­li 2005 - 7 Sa 1867/04 - wird zurück­ge­wie­sen.
 


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2. Auf die Re­vi­si­on der Kläge­rin wird das Ur­teil des Lan­des­ar­beits­ge­richts Nie­der­sach­sen vom 28. Ju­li 2005 - 7 Sa 1867/04 - un­ter Zurück­wei­sung der Re­vi­si­on im Übri­gen teil-wei­se ab­geändert und zur Klar­stel­lung im Te­nor neu ge­fasst:


Die Be­ru­fung des Be­klag­ten ge­gen das Ur­teil des Ar­beits­ge­richts Han­no­ver vom 24. Au­gust 2004 - 11 Ca 367/04 - wird zurück­ge­wie­sen.
Auf die Be­ru­fung der Kläge­rin wird das Ur­teil des Ar­beits­g­richts Han­no­ver ab­geändert, so­weit es die Kla­ge ab­ge­wie­sen hat.


Es wird fest­ge­stellt, dass der Be­klag­te ver­pflich­tet ist, an die Kläge­rin seit dem 1. Mai 2004 ei­ne Ge­halts­erhöhung von 2,4 Pro­zent fort­zu­zah­len, fer­ner seit dem

1. Ja­nu­ar 2004 und seit dem 1. Mai 2004 je­weils ei­ne wei­te­re Ge­halts­erhöhung von 1 Pro­zent zu zah­len und die mo­nat­li­chen Dif­fe­renz­beträge zwi­schen ge­zahl­ter und be­an­trag­ter Vergütung ab je­wei­li­ger Fällig­keit in Höhe von 5 Pro­zent­punk­ten über dem Ba­sis­zins­satz zu ver­zin­sen.


3. Der Be­klag­te hat die Kos­ten des Rechts­streits zu tra­gen.

Von Rechts we­gen!

Tat­be­stand

Die Par­tei­en strei­ten über die Gel­tung ei­nes Vergütungs­ta­rif­ver­tra­ges des öffent­li­chen Diens­tes für ihr Ar­beits­verhält­nis und dar­aus re­sul­tie­ren­de Vergütungs­ansprüche der Kläge­rin.

Die Kläge­rin ist seit dem 1. März 2003 Mit­glied der Ge­werk­schaft ver.di und seit dem 1. Ja­nu­ar 1995 bei dem Be­klag­ten beschäftigt. Sie erhält Vergütung ent­spre­chend VergGr. Vc Anl. 10a DRK-TV. In dem Ar­beits­ver­trag der Par­tei­en vom 16. De­zem­ber 1994/17. Ja­nu­ar 1995 war ua. Fol­gen­des ver­ein­bart wor­den:


„3. Dem Ar­beits­verhält­nis liegt der Ta­rif­ver­trag über Ar­beits-
be­din­gun­gen für An­ge­stell­te, Ar­bei­ter und Aus­zu­bil­den­de des DRK in der je­weils gel­ten­den Fas­sung zu­grun­de. Er steht zur Ein­sicht in der Per­so­nal­ab­tei­lung oder in der Ein­rich­tung zur Verfügung.
...
6. Die Beschäfti­gung beim Deut­schen Ro­ten Kreuz ist nicht
öffent­li­cher Dienst.”
 


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Die Kläge­rin war zunächst als Kin­der­pfle­ge­rin tätig. Ab dem 1. Au­gust 1999 wur­de sie als Er­zie­he­rin in ei­ner an­de­ren Ein­rich­tung des Be­klag­ten beschäftigt. Die­se Stel­le war an­fangs be­fris­tet. Ab dem 1. Au­gust 2000 war die Kläge­rin dann auf der Ba­sis ei­nes un­be­fris­te­ten Ar­beits­ver­tra­ges tätig. Am 21. Mai 2002 wur­de ein neu­er Ar­beits­ver­trag von bei­den Par­tei­en un­ter­zeich­net, der aus­zugs­wei­se und je­den­falls hin-sicht­lich der Ziff. 3 wie sinn­gemäß in den vor­her­ge­hen­den Verträgen fol­gen­de Ver­ein­ba­rung enthält:


„1. Die Ar­beit­neh­me­rin tritt mit Wir­kung vom 01.08.2002 in den Dienst des Deut­schen Ro­ten Kreu­zes, Kreis-ver­band Han­no­ver-Stadt, als Er­zie­he­rin in die Kin­der­ta­gesstätte B ein. Dem Ar­beit­ge­ber bleibt vor­be­hal­ten, den/die Ar­beit­neh­mer/in ent­spre­chend sei­ner/ih­rer Aus­bil­dung und Fähig­kei­ten, auch in an­de­re Ein­rich­tun­gen des DRK Kreis­ver­band Han­no­ver-Stadt zu ver­set­zen.

2. Die Pro­be­zeit entfällt.

3. Dem Ar­beits­verhält­nis liegt der Ta­rif­ver­trag über Ar­beits­be­din­gun­gen für An­ge­stell­te, Ar­bei­ter und Aus­zu­bil­den­de des DRK in der je­wei­li­gen gel­ten­den Fas­sung zu­grun­de. Er steht zur Ein­sicht in der Per­so­nal­ab­tei­lung oder in der Ein­rich­tung zur Verfügung.

...“


Der Be­klag­te war zunächst Mit­glied der DRK-Lan­des­ta­rif­ge­mein­schaft in Nie­der­sach­sen GbR (im Fol­gen­den: DRK-LTG Nds). Die DRK-LTG Nds. ist ih­rer­seits Mit­glied der (Bun­des-)Ta­rif­ge­mein­schaft des Deut­schen Ro­ten Kreu­zes, die mit der Ge­werk­schaft ver.di (früher: ÖTV) zahl­rei­che Ta­rif­verträge ab­ge­schlos­sen hat. Am 31. Ja­nu­ar 1984 hat­ten die Ta­rif­part­ner ei­ne Ver­ein­ba­rung ge­trof­fen, die aus­zugs­wei­se fol­gen­den Wort­laut hat:

Ver­ein­ba­rung über Rah­men­be­din­gun­gen für den Ab­schluß von Ta­rif­verträgen
Zwi­schen der
Ta­rif­ge­mein­schaft des Deut­schen Ro­ten Kreu­zes, Bonn,

ei­ner­seits, und der
Ge­werk­schaft Öffent­li­che Diens­te, Trans­port und Ver­kehr - Haupt­vor­stand -, Stutt­gart;


an­de­rer­seits, wird un­ter Berück­sich­ti­gung der in­ter­na­tio­na­len und na­tio­na­len Stel­lung und Auf­ga­ben­stel­lung des Deut­schen Ro­ten Kreu­zes fol­gen­de Ver­ein­ba­rung ge­schlos­sen:
 


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TEIL I


§ 1
(1) Die Ver­trags­par­tei­en ge­hen da­von aus, daß gleich­zei­tig mit die­ser Ver­ein­ba­rung ein Ta­rif­ver­trag zwi­schen ih­nen ab­ge­schlos­sen wird.
(2) Die Ver­trags­par­tei­en ge­hen da­von aus, daß der Ta­rif­ver­trag nach Abs. 1 die Ar­beits­be­din­gun­gen des DRK dar­stellt. Die Ar­beits­be­din­gun­gen ent­hal­ten da­bei Be­stand­tei­le, wel­che mit den Re­ge­lun­gen des BAT in­halt­lich iden­tisch oder im we­sent­li­chen iden­tisch sind (Ka­ta­log A), und sol­che Be­stand­tei­le, wel¬che be­son­de­re Re­ge­lun­gen für den Be­reich der Ta­rif­ge­mein­schaft des DRK ent­hal­ten (Ka­ta­log B).

§ 2
Übe­rein­stim­men­des Ziel der Ver­trags­par­tei­en ist es, Ar­beits-kämp­fe im Be­reich der Ta­rif­ge­mein­schaft des DRK nach § 3 Abs. 1 zu ver­mei­den.

§ 3
(1) Die Ver­trags­par­tei­en führen Ver­hand­lun­gen über die Ma­te­ri­en, die im Ka­ta­log B zu re­geln sind.
(2) So­weit die Ar­beits­be­din­gun­gen des DRK mit den Re­ge­lun­gen des BAT in­halt­lich iden­tisch sind (Ka­ta­log A), wer­den zwi­schen den Ver­trags­part­nern kei­ne Ver­hand­lun­gen geführt. Die Möglich­keit, im bei­der­sei­ti­gen Ein­ver­neh­men Ver­hand­lun­gen zu führen, bleibt un­berührt.

§ 4
(1) So­weit die Ar­beits­be­din­gun­gen des DRK mit dem BAT in­halt­lich nicht iden­tisch sind, ver­pflich­ten sich die Ver­trags­par­tei­en, im Fall der Nicht­ei­ni­gung bei den Ta­rif­ver­hand­lun­gen al­les zu un­ter­neh­men, um ei­nen Ar­beits­kampf zu ver­mei­den.
(2) Kommt zwi­schen den Ver­trags­par­tei­en ei­ne Ei­ni­gung nicht zu­stan­de, so fin­det das Ver­fah­ren nach §§ 5 ff. die­ser Ver­ein­ba­rung An­wen­dung.

§ 5
(1) Sind zwi­schen den Par­tei­en die Ver­trags­ver­hand­lun­gen ge­schei­tert, oder ver­wei­gert ei­ne Ver­trags­par­tei Auf­nah­me oder Fort­set­zung von Ver­hand­lun­gen, dann kann je­de der Ver­trags­par­tei­en die Sch­lich­tungs­stel­le an­ru­fen.
(2) Das Nähe­re re­gelt die gleich­zei­tig ab­ge­schlos­se­ne Sch­lich­tungs­ver­ein­ba­rung.”

Am sel­ben Ta­ge wur­de ne­ben der in § 5 Abs. 2 der Ver­ein­ba­rung über die Rah­men­be­din­gun­gen an­ge­spro­che­ne Sch­lich­tungs­re­ge­lung auch der „Ta­rif­ver­trag über Ar­beits­be­din­gun­gen für An­ge­stell­te, Ar­bei­ter und Aus­zu­bil­den­de des Deut­schen Ro­ten Kreu­zes” (im Fol­gen­den: DRK-TV) ab­ge­schlos­sen, des­sen Wir­kung seit dem
 


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1. Ja­nu­ar 1991 auf das „Ta­rif­ge­biet West” (al­te Bun­desländer) be­schränkt ist, und in dem ua. - in wei­ten Tei­len am BAT ori­en­tiert - die ma­te­ri­el­len Ar­beits­be­din­gun­gen der DRK-Mit­ar­bei­ter nor­miert sind.

In der Fol­ge­zeit wur­den die Ta­rif­ab­schlüsse für den Be­reich BAT Bund/Länder je­weils durch ei­ge­ne Ta­rif­verträge zwi­schen der Ta­rif­ge­mein­schaft des DRK und der Ge­werk­schaft ÖTV (später: ver.di) ver­ein­bart.

Am 31. Ja­nu­ar 2003 wur­de zwi­schen der Ge­werk­schaft ver.di und der dbb­ta­rif­uni­on ei­ner­seits und dem Bund und der TdL an­de­rer­seits im Rah­men des 78. Ände­rungs­ta­rif­ver­tra­ges zum BAT der Vergütungs­ta­rif­ver­trag Nr. 35 (im Fol­gen­den: VTV 35) ab­ge­schlos­sen. In ihm wur­de ua. die Erhöhung der Vergütung in drei Stu­fen neu fest­ge­setzt, nämlich für die Vergütungs­grup­pe der Kläge­rin ab 1. Ja­nu­ar 2003 2,4 % (für die Vergütungs­grup­pen I - III ab 1. April 2003) so­wie ab 1. Ja­nu­ar 2004 und ab 1. Mai 2004 je ein wei­te­res Pro­zent.

Die Ge­werk­schaf­ten und die Ta­rif­ge­mein­schaft des DRK tra­ten in Ver­hand­lun­gen ein, die sich ua. auch mit den sich aus dem VTV 35 er­ge­ben­den Ände­run­gen im Öffent­li­chen Dienst be­fass­ten. Es kam je­doch zunächst zu kei­ner Ei­ni­gung.

Der Be­klag­te trat zum 31. März 2003 aus der DRK-LTG Nds. aus. Die Erhöhung von 2,4 % ab dem 1. April 2003 gab er an sei­ne Mit­ar­bei­ter eben­so wei­ter wie die im VTV 35 vor­ge­se­he­ne Ein­mal­zah­lung für das Jahr 2003.

Die während des Jah­res 2003 zwi­schen der Ta­rif­ge­mein­schaft des DRK und der Ge­werk­schaft ver.di wei­ter geführ­ten Ver­hand­lun­gen über ei­nen neu­en Ände­rungs­ta­rif­ver­trag, der ua. auch die Er­geb­nis­se des VTV 35 in der bis­her geübten Wei­se in den Be­reich des DRK über­tra­gen soll­te, führ­ten am 19. No­vem­ber bzw. 19. De­zem­ber 2003 zur Un­ter­zeich­nung des 23. Ta­rif­ver­tra­ges zur Ände­rung des DRK-TV (im Fol­gen­den: 23. ÄndTV-DRK). Die­ser sah ne­ben der Über­nah­me der im VTV 35 vor­ge­se­he­nen Ent­gel­terhöhun­gen („... gemäß § 3 Abs. 2 der Ver­ein­ba­rung über Rah­men­be­din­gun­gen ...”) auch die Über­nah­me der im VTV 35 ver­ein­bar­ten Ein­mal­zah­lung für März 2003 vor; aus­drück­lich aus­ge­nom­men da­ge­gen wur­de die dort gleich­falls vor­ge­se­he­ne Ein­mal­zah­lung für No­vem­ber 2004.


Mit dem 1. Ja­nu­ar 2004 stell­te der Be­klag­te die seit dem 1. April 2003 vor­ge­nom­me­ne Zah­lung der Vergütungs­erhöhung um 2,4 % ein.

Die Kläge­rin hat die Auf­fas­sung ver­tre­ten, der Be­klag­te sei zur Zah­lung der sich aus dem VTV 35 er­ge­ben­den Vergütungs­erhöhun­gen von 2,4 % auch nach dem
 


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1. Ja­nu­ar 2004 so­wie wei­te­rer Erhöhun­gen von je 1 % ab 1. Ja­nu­ar 2004 und 1. Mai 2004 ver­pflich­tet. Der An­spruch er­ge­be sich aus der sog. „Ta­rif­au­to­ma­tik”, die ei­ne un­mit­tel­ba­re Über­nah­me der Ta­rif­ab­schlüsse im öffent­li­chen Dienst durch das DRK vor­se­he. Fer­ner ent­hal­te die Ver­wei­sungs­klau­sel im Ar­beits­ver­trag der Par­tei­en vom 21. Mai 2002 ei­ne kon­sti­tu­ti­ve Ver­ein­ba­rung der Ar­beits­be­din­gun­gen des Deut­schen Ro­ten Kreu­zes, oh­ne dass die­se an die Ta­rif­bin­dung des Be­klag­ten selbst ge­bun­den sei, da sie nicht als Gleich­stel­lungs­ab­re­de im Sin­ne der frühe­ren Se­nats­recht­spre­chung aus­zu­le­gen sei. Der Ar­beits­ver­trag sei nach In­kraft­tre­ten der Schuld­rechts­re­form am 1. Ja­nu­ar 2002 ab­ge­schlos­sen wor­den, so dass der Ver­trau­ens­schutz für den Ar­beit­ge­ber ent­spre­chend der vom Se­nat im Ur­teil vom 14. De­zem­ber 2005 (- 4 AZR 536/04 - AP TVG § 1 Be­zug­nah­me auf Ta­rif­ver­trag Nr. 39 = EzA TVG § 3 Be­zug­nah­me auf Ta­rif­ver­trag Nr. 32) geäußer­ten Auf­fas­sung nicht zur Gel­tung kom­me. Der Weg­fall der Ta­rif­bin­dung des Be­klag­ten durch den Aus­tritt aus der DRK-LTG Nds. zum 31. März 2003 sei da­her oh­ne Be­deu­tung. Die Kläge­rin be­ruft sich fer­ner auf ei­ne von dem Be­klag­ten durch die Wei­ter­ga­be der 2,4 %igen Vergütungs­erhöhun­gen von April bis De­zem­ber 2003 be­gründe­te be­trieb­li­che Übung.

Die Kläge­rin hat zu­letzt be­an­tragt:

Es wird fest­ge­stellt, dass der Be­klag­te ver­pflich­tet ist, an die Kläge­rin seit dem 1. Ja­nu­ar 2004 ei­ne Ge­halts­erhöhung von 2,4 % fort­zu­entrich­ten, seit dem 1. Ja­nu­ar 2004 ei­ne wei­te­re Ge­halts­erhöhung von 1 % so­wie fer­ner seit dem 1. Mai 2004 ei­ne Ge­halts­erhöhung von 1 % zu zah­len und die mo­nat­li­chen Dif­fe­renz­beträge zwi­schen ge­zahl­ter und be­an­trag­ter Vergütung ab je­wei­li­ger Fällig­keit in Höhe von 5 Pro­zent­punk­ten über dem Ba­sis­zins­satz zu ver­zin­sen.

Der Be­klag­te hat sein Kla­ge­ab­wei­sungs­be­geh­ren da­mit be­gründet, dass auf die be­gehr­te Fest­stel­lung kein An­spruch be­ste­he, da er we­der zur Zah­lung der Erhöhung von 2,4 % noch zur Zah­lung der wei­te­ren Erhöhun­gen von je­weils 1 % ver­pflich­tet sei. Ei­ne „Ta­rif­au­to­ma­tik” be­ste­he nicht, da es je­weils ei­ner aus­drück­li­chen, ta­rif­ver­trag­lich ver­ein­bar­ten Über­nah­me der Ta­rif­ab­schlüsse des öffent­li­chen Diens­tes durch das DRK bedürfe. Die­se sei hin­sicht­lich der Ta­rif­erhöhun­gen vom Ja­nu­ar 2003 erst nach Aus­tritt des Be­klag­ten aus der DRK-LTG Nds. er­folgt, so dass sie kei­nen Ein­fluss auf das Ar­beits­verhält­nis ent­fal­te. Die Ver­wei­sungs­klau­sel sei ent­spre­chend der Se­nats­recht­spre­chung als Gleich­stel­lungs­ab­re­de an­zu­se­hen und führe im Fal­le des Weg-falls der Ta­rif­bin­dung des Ar­beit­ge­bers zu ei­ner sta­ti­schen Fort­wir­kung der Ta­ri­fla­ge, die zu die­sem Zeit­punkt be­stan­den ha­be. Da das Ar­beits­verhält­nis be­reits seit 1995
 


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be­ste­he, kom­me es auf die Ände­rungs­ver­ein­ba­rung nicht an. Ei­ne be­trieb­li­che Übung sei nicht be­gründet wor­den, weil der Be­klag­te le­dig­lich die ihm ver­meint­lich, aber nicht wirk­lich be­ste­hen­de Ver­pflich­tung zur Wei­ter­ga­be der Ta­rif­erhöhun­gen des öffent­li­chen Diens­tes ha­be erfüllen wol­len.

Das Ar­beits­ge­richt hat der - noch auf Zah­lung der Vergütungs­erhöhun­gen von 2,4 und 1 % für die Mo­na­te Ja­nu­ar bis April 2004 ge­rich­te­ten - Kla­ge teil­wei­se, nämlich hin­sicht­lich der Erhöhung von 2,4 Pro­zent, statt­ge­ge­ben. Nach ei­ner Ände­rung des Kla­ge­an­tra­ges hat das Lan­des­ar­beits­ge­richt un­ter Zurück­wei­sung der Be­ru­fun­gen bei-der Par­tei­en im Übri­gen fest­ge­stellt, dass der Be­klag­te zur Wei­ter­zah­lung der Erhöhung von 2,4 % nebst Zin­sen ver­pflich­tet ist. Mit der vom Lan­des­ar­beits­ge­richt zu­ge­las­se­nen Re­vi­si­on ver­folgt die Kläge­rin ihr Ziel auf Fest­stel­lung der Ver­pflich­tung des Be­klag­ten zur Zah­lung auch der wei­te­ren Erhöhun­gen von je­weils 1 % zum 1. Ja­nu­ar 2004 und zum 1. Mai 2004 wei­ter. Der Be­klag­te be­gehrt mit der von ihm ein­ge­leg­ten Re­vi­si­on die vollständi­ge Kla­ge­ab­wei­sung.


Ent­schei­dungs­gründe

Die Re­vi­si­on der Kläge­rin ist weit­ge­hend be­gründet, die Re­vi­si­on des Be­klag­ten ist da­ge­gen un­be­gründet. Der Be­klag­te ist ver­pflich­tet, der Kläge­rin die Vergütungs­erhöhung von 2,4 % ab dem 1. Ja­nu­ar 2004 wei­ter­zu­zah­len so­wie wei­te­re Vergütungs­erhöhun­gen von je­weils 1 % ab dem 1. Ja­nu­ar 2004 und dem 1. Mai 2004 vor­zu­neh­men.

A. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat die Kla­ge in der Form des zu­letzt ge­stell­ten Fest­stel­lungs­an­tra­ges für zulässig ge­hal­ten, weil die Kläge­rin nicht ge­hal­ten sei, die im Streit ste­hen­den Ansprüche mo­nat­lich durch Leis­tungs­kla­ge gel­tend zu ma­chen. Auf Grund der Erklärung des Be­klag­ten, er wer­de ei­nem Fest­stel­lungs­ur­teil Fol­ge leis­ten, sei die Fest­stel­lungs­kla­ge ge­eig­net, den Streit der Par­tei­en ins­ge­samt bei­zu­le­gen. So-weit die Kläge­rin die Fest­stel­lung der Zah­lungs­ver­pflich­tung des Be­klag­ten hin­sicht­lich der Erhöhung von 2,4 % be­geh­re, sei die Kla­ge auch be­gründet. Der Be­klag­te ha­be oh­ne Rechts­grund ab dem 1. April 2003 ei­ne Ge­halts­erhöhung von 2,4 % gewährt und die­se oh­ne Vor­be­halt mehr als drei Mo­na­te ge­zahlt. Dar­in sei die Be­gründung ei­ner be­trieb­li­chen Übung zu se­hen, von der der Be­klag­te sich nicht ein­sei­tig lösen könne. Dass die­ser sich hier­zu mögli­cher­wei­se auf Grund ei­ner feh­ler­haf­ten An­nah­me der


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un­mit­tel­ba­ren Wir­kung des VTV 35 ver­pflich­tet an­ge­se­hen ha­be, sei oh­ne Be­deu­tung, da ei­ne sol­che An­nah­me für die Kläge­rin nicht er­kenn­bar ge­we­sen sei. Zur Zah­lung der wei­te­ren Erhöhun­gen von je 1 % sei der Be­klag­te je­doch nicht ver­pflich­tet. Bei der Ver­wei­sungs­klau­sel im Ar­beits­ver­trag han­de­le es sich um ei­ne Gleich­stel­lungs­ab­re­de, die bei En­de der Ta­rif­bin­dung des Ar­beit­ge­bers zum En­de der Ta­rif­dy­na­mik führe. Auch be­ste­he die von der Kläge­rin an­ge­nom­me­ne „Ta­rif­au­to­ma­tik” der Über­tra­gung der Ta­rif­ab­schlüsse im öffent­li­chen Dienst auf den Be­reich des DRK nicht.

B. Die hier­ge­gen ge­rich­te­te Re­vi­si­on der Kläge­rin ist weit­ge­hend be­gründet, die des Be­klag­ten un­be­gründet. Die Kläge­rin hat ei­nen An­spruch auf die im VTV 35 ge­re­gel­ten Vergütungs­erhöhun­gen, weil die­se vom 23. ÄndTV-DRK über­nom­men wor­den sind und der DRK-TV in der je­wei­li­gen Fas­sung auf das Ar­beits­verhält­nis der Par­tei­en An­wen­dung fin­det. Dar­an hat der Aus­tritt des Be­klag­ten aus der DRK-LTG Nds. nichts geändert.

I. Al­ler­dings ist der in der Be­ru­fungs­in­stanz ge­stell­te Fest­stel­lungs­an­trag der Kläge­rin ent­ge­gen der Auf­fas­sung des Lan­des­ar­beits­ge­richts nur teil­wei­se zulässig.

1. Der Fest­stel­lungs­an­trag der Kläge­rin ist un­zulässig, so­weit er die Zah­lung der Vergütungs­erhöhung von 2,4 % für den Zeit­raum Ja­nu­ar bis April 2004 er­fasst. Es man­gelt am not­wen­di­gen Fest­stel­lungs­in­ter­es­se.

Streit­ge­gen­stand der ers­ten In­stanz war der be­zif­fer­te Zah­lungs­an­trag der Kläge­rin, der sich auf die Erhöhun­gen von 2,4 % und von 1 % für die Mo­na­te Ja­nu­ar bis April 2004 be­zog. Hin­sicht­lich der Leis­tungs­kla­ge auf die Erhöhung von 2,4 % für den ge­nann­ten Zeit­raum war die Kla­ge vor dem Ar­beits­ge­richt er­folg­reich. Die Kläge­rin ist man­gels er­for­der­li­chen Fest­stel­lungs­in­ter­es­ses (§ 256 Abs. 1 ZPO) dar­an ge­hin­dert, die­sen be­reits ti­tu­lier­ten Teil des An­spruchs nun­mehr durch ei­nen Fest­stel­lungs­an­trag gel­tend zu ma­chen. Viel­mehr ist die Ver­tei­di­gung die­ses Teils des ar­beits­ge­richt­li­chen Ur­teils in der Be­ru­fungs­in­stanz durch den kläge­ri­schen An­trag auf Zurück­wei­sung der hier­ge­gen ge­rich­te­ten Be­ru­fung des Be­klag­ten er­folgt. Ihm hat das Lan­des­ar­beits­ge­richt auch statt­ge­ge­ben. Da­mit hat das Lan­des­ar­beits­ge­richt in der Sa­che über die­sen Streit­ge­gen­stand zwei Mal ent­schie­den, nämlich ein­mal durch die die­sen Zeit­raum um­fas­sen­de Fest­stel­lung, so­dann durch die Zurück­wei­sung der Be­ru­fung der Be­klag­ten ge­gen die die­sen Zeit­raum um­fas­sen­de Ver­ur­tei­lung zur Zah­lung durch das Ar­beits­ge­richt. Dies ist rechts­feh­ler­haft.
 


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2. Der Fest­stel­lungs­an­trag der Kläge­rin ist aber im Übri­gen zulässig, auch so­weit er sich auf die - vom Ar­beits­ge­richt ab­ge­lehn­te - Ver­pflich­tung des Be­klag­ten zur Zah­lung von ei­nem wei­te­ren Pro­zent für die Mo­na­te Ja­nu­ar bis April 2004 be­zieht. Die Kläge­rin war nicht ge­hin­dert, in­so­weit in der Be­ru­fungs­in­stanz von ei­nem Zah­lungs­an­trag auf ei­nen Fest­stel­lungs­an­trag über­zu­ge­hen, da die­ser zu­kunfts­of­fen den Zeit­raum ab dem 1. Ja­nu­ar 2004 um­fasst und oh­ne­hin man­gels Fällig­keit für die Zu­kunft nicht als Leis­tungs­an­trag hätte ge­stellt wer­den können (vgl. da­zu Se­nat 7. Ju­ni 2006 - 4 AZR 272/05 - AP TVG § 1 Nr. 37 = EzA TVG § 1 Aus­le­gung Nr. 43). Das nach § 256 ZPO er­for­der­li­che be­son­de­re Fest­stel­lungs­in­ter­es­se der Kläge­rin liegt in die­ser weit­ge­hend zu­kunfts­ge­rich­te­ten Ver­pflich­tung des Be­klag­ten zur wei­te­ren Zah­lung der be­gehr­ten Erhöhun­gen. Es ist nach der Erklärung des Be­klag­ten, ei­nem rechts­kräfti­gen Fest­stel­lungs­ur­teil Fol­ge zu leis­ten, auch da­von aus­zu­ge­hen, dass der Streit der Par­tei­en durch ein Fest­stel­lungs­ur­teil endgültig bei­ge­legt wird (vgl. da­zu BAG 16. Ju­li 1998 - 6 AZR 672/96 - AP TVG § 4 Ra­tio­na­li­sie­rungs­schutz Nr. 27 mwN), so dass die Auf­tei­lung in ei­nen (be­zif­fer­ba­ren) Zah­lungs­an­spruch und ei­nen wei­te­ren Fest­stel­lungs­an­spruch nicht er­for­der­lich ist.


II. So­weit der Fest­stel­lungs­an­trag der Kläge­rin zulässig ist, ist er eben­so be­gründet wie der be­reits vom Ar­beits­ge­richt ti­tu­lier­te Zah­lungs­an­spruch der Kläge­rin. Der Be­klag­te ist ver­pflich­tet, seit dem 1. Ja­nu­ar 2004 ei­ne Ge­halts­erhöhung von 1 % und seit dem 1. Mai 2004 ei­ne wei­te­re Erhöhung von 1 % zu leis­ten, fer­ner ab 1. Ja­nu­ar 2004 die Erhöhung von 2,4 % wei­ter­zu­leis­ten. Das er­gibt sich aus dem Ar­beits­ver­trag der Par­tei­en in Ver­bin­dung mit dem DRK-TV, dem 23. ÄndTV-DRK und dem VTV 35. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat zwar ei­ne hier­auf gestütz­te Zah­lungs­ver­pflich­tung des Be­klag­ten ver­neint, weil es sich bei der ar­beits­ver­trag­li­chen Ver­wei­sungs­klau­sel der Par­tei­en um ei­ne Gleich­stel­lungs­ab­re­de im Sin­ne der Se­nats­recht­spre­chung han­de­le, die bei Weg­fall der Ta­rif­bin­dung des Ar­beit­ge­bers durch Ver­bands­aus­tritt da­zu führe, dass da­nach ab­ge­schlos­se­ne Ta­rif­verträge auf das Ar­beits­verhält­nis kei­ne Wir­kung mehr ent­fal­te­ten. Die­se Erwägun­gen hal­ten den An­grif­fen der Re­vi­si­on der Kläge­rin je­doch nicht stand.


1. Die Aus­le­gung ei­nes For­mu­lar­ar­beits­ver­tra­ges wie des streit­ge­genständ­li­chen durch das Lan­des­ar­beits­ge­richt kann vom Re­vi­si­ons­ge­richt oh­ne Ein­schränkung über-prüft wer­den (st. Rspr., vgl. nur Se­nat 30. Au­gust 2000 - 4 AZR 581/99 - BA­GE 95, 296, 299 mwN). Nach §§ 133, 157 BGB sind Verträge so aus­zu­le­gen, wie die Par­tei­en sie nach Treu und Glau­ben un­ter Berück­sich­ti­gung der Ver­kehrs­sit­te ver­ste­hen muss-

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ten. Da­bei ist vom Wort­laut aus­zu­ge­hen, aber zur Er­mitt­lung des wirk­li­chen Wil­lens der Par­tei­en sind auch die außer­halb der Ver­ein­ba­rung lie­gen­den Umstände ein­zu­be­zie­hen, so­weit sie ei­nen Schluss auf den Sinn­ge­halt der Erklärung zu­las­sen (Se­nat 26. Sep­tem­ber 2001 - 4 AZR 544/00 - BA­GE 99, 120, 123 f.). Dies gilt auch für dy­na­mi­sche Ver­wei­sungs­klau­seln.


2. Die Aus­le­gung der Ver­wei­sungs­klau­sel in Ziff. 3 des Ar­beits­ver­tra­ges der Par­tei­en vom 21. Mai 2002 er­gibt, dass es sich um ei­ne kon­sti­tu­ti­ve Be­zug­nah­me auf den DRK-TV in sei­ner je­wei­li­gen Fas­sung han­delt, die nicht von der Ta­rif­ge­bun­den­heit des Be­klag­ten abhängig ist. Der Aus­tritt des Be­klag­ten aus der DRK-LTG Nds. ist des­halb für sei­ne ar­beits­ver­trag­li­chen Ver­pflich­tun­gen, die Kläge­rin ent­spre­chend dem DRK-TV in sei­ner je­wei­li­gen Fas­sung zu be­han­deln, oh­ne Be­deu­tung.

a) Ei­ne ein­zel­ver­trag­lich ver­ein­bar­te dy­na­mi­sche Be­zug­nah­me auf ei­nen be­stimm­ten Ta­rif­ver­trag ist je­den­falls dann, wenn ei­ne Ta­rif­ge­bun­den­heit des Ar­beit­ge­bers an den in Be­zug ge­nom­me­nen Ta­rif­ver­trag nicht in ei­ner für den Ar­beit­neh­mer er­kenn­ba­ren Wei­se zur auflösen­den Be­din­gung der Ver­ein­ba­rung ge­macht wor­den ist, ei­ne kon­sti­tu­ti­ve Ver­wei­sungs­klau­sel, die durch ei­nen Ver­bands­aus­tritt des Ar­beit­ge­bers oder ei­nen sons­ti­gen Weg­fall sei­ner Ta­rif­ge­bun­den­heit nicht berührt wird („un­be­ding­te zeit­dy­na­mi­sche Ver­wei­sung“).


aa) Nach der frühe­ren Se­nats­recht­spre­chung wa­ren bei Ta­rif­bin­dung des Ar­beit­ge­bers - an­ders als bei nicht ta­rif­ge­bun­de­nen Ar­beit­ge­bern - Ver­wei­sungs­klau­seln wie die­je­ni­ge aus dem Ar­beits­ver­trag der Par­tei­en in al­ler Re­gel als sog. Gleich­stel­lungs-ab­re­den aus­zu­le­gen. Dies be­ruh­te auf der Vor­stel­lung, dass mit ei­ner sol­chen von ei­nem ta­rif­ge­bun­de­nen Ar­beit­ge­ber ge­stell­ten Ver­trags­klau­sel le­dig­lich die mögli­cher­wei­se feh­len­de Ta­rif­ge­bun­den­heit des Ar­beit­neh­mers er­setzt wer­den sol­le, um je­den­falls zu ei­ner ver­trag­li­chen An­wen­dung des ein­schlägi­gen Ta­rif­ver­tra­ges zu kom­men und da­mit zu des­sen Gel­tung für al­le Beschäftig­ten. Nach dem so ver­stan­de­nen Sinn und Zweck der Klau­sel soll­te das Ar­beits­verhält­nis an den dy­na­mi­schen Ent­wick­lun­gen des in Be­zug ge­nom­me­nen Ta­rif­ver­tra­ges so lan­ge teil­neh­men, wie der Ar­beit­ge­ber selbst ta­rif­ge­bun­den war. Trat er aus dem ta­rif­sch­ließen­den Ver­band aus, wirk­ten die zum Zeit­punkt des En­des der Ta­rif­ge­bun­den­heit gülti­gen Nor­men des Ta­rif­ver­tra­ges im Verhält­nis zu den ta­rif­ge­bun­de­nen Ar­beit­neh­mern sta­tisch wei­ter. Der Gleich­stel­lungs-zweck der Klau­sel konn­te ge­genüber den nicht ta­rif­ge­bun­de­nen Ar­beit­neh­mern nur dann erfüllt wer­den, wenn auch für die­se die Nor­men des im Ver­trag in Be­zug ge­nom-
 


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me­nen Ta­rif­ver­tra­ges nur sta­tisch wei­ter­gal­ten (vgl. nur Se­nat 1. De­zem­ber 2004 - 4 AZR 50/04 - BA­GE 113, 40, 42 f.; 25. Sep­tem­ber 2002 - 4 AZR 294/01 - BA­GE 103, 9, 14; 21. Au­gust 2002 - 4 AZR 263/01 - BA­GE 102, 275, 278 ff.; 26. Sep­tem­ber 2001 - 4 AZR 544/00 - BA­GE 99, 120, 125; 30. Au­gust 2000 - 4 AZR 581/99 - BA­GE 95, 296, 299 ff., je­weils mwN).

bb) In dem Ur­teil vom 14. De­zem­ber 2005 (- 4 AZR 536/04 - AP TVG § 1 Be­zug­nah­me auf Ta­rif­ver­trag Nr. 39 = EzA TVG § 3 Be­zug­nah­me auf Ta­rif­ver­trag Nr. 32) hat der Se­nat an­gekündigt, die­se Recht­spre­chung da­hin­ge­hend zu ändern, dass sich die Aus­le­gung von Ver­wei­sungs­klau­seln in Ar­beits­verträgen, die nach dem In­kraft­tre­ten der Schuld­rechts­re­form zum 1. Ja­nu­ar 2002 ab­ge­schlos­sen wor­den sind, in ers­ter Li­nie am Wort­laut der Ver­wei­sungs­klau­sel zu ori­en­tie­ren hat. So­weit ein Ver­trags­part­ner vom Wort­laut ab­wei­chen­de Re­ge­lungs­zie­le ver­folgt, können die­se da­nach nur in die Aus­le­gung ein­ge­hen, wenn sie für den an­de­ren Ver­trags­part­ner mit hin­rei­chen­der Deut­lich­keit zum Aus­druck kom­men.


cc) An die­ser Ab­sicht hält der Se­nat fest. Ei­ne in­di­vi­du­al­ver­trag­li­che Klau­sel, die ih­rem Wort­laut nach oh­ne Ein­schränkung auf ei­nen be­stimm­ten Ta­rif­ver­trag in sei­ner je­wei­li­gen Fas­sung ver­weist, ist im Re­gel­fall da­hin­ge­hend aus­zu­le­gen, dass die­ser Ta­rif­ver­trag in sei­ner je­wei­li­gen Fas­sung gel­ten soll und dass die­se Gel­tung nicht von Fak­to­ren abhängt, die nicht im Ver­trag ge­nannt oder sonst für bei­de Par­tei­en er­sicht­lich zur Vor­aus­set­zung ge­macht wor­den sind. Die Be­zug­nah­me­klau­sel kann bei ei­ner et­wai­gen Ta­rif­ge­bun­den­heit des Ar­beit­ge­bers an den im Ar­beits­ver­trag ge­nann­ten Ta­rif­ver­trag grundsätz­lich kei­ne an­de­re Wir­kung ha­ben als bei ei­nem nicht ta­rif­ge­bun­de­nen Ar­beit­ge­ber. In bei­den Fällen un­ter­liegt die in der Be­zug­nah­me­klau­sel lie­gen­de Dy­na­mik kei­ner auflösen­den Be­din­gung.


(1) Rechts­geschäft­li­che Wil­lens­erklärun­gen sind grundsätz­lich nach ei­nem ob­jek­ti­vier­ten Empfänger­ho­ri­zont aus­zu­le­gen. Da­bei ha­ben die Mo­ti­ve des Erklären­den, so­weit sie nicht in dem Wort­laut der Erklärung oder in sons­ti­ger, für die Ge­gen­sei­te hin­rei­chend deut­lich er­kenn­ba­ren Wei­se ih­ren Nie­der­schlag fin­den, außer Be­tracht zu blei­ben. Es be­steht kei­ne Ver­pflich­tung des Erklärungs­empfängers, den In­halt oder den Hin­ter­grund des ihm re­gelmäßig for­mu­larmäßig ge­mach­ten An­ge­bots durch Nach-fra­gen auf­zuklären. Kommt der Wil­le des Erklären­den nicht oder nicht vollständig zum Aus­druck, gehört dies zu des­sen Ri­si­ko­be­reich (An­nuß ZfA 2005, 405, 424). Die Re­ge­lung ei­nes Ver­tra­ges über ei­ne ent­gelt­li­che Leis­tung be­schränkt sich im All­ge­mei­nen
 


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auf die Be­stim­mung von Leis­tung und Ge­gen­leis­tung. Die Mo­ti­ve, aus de­nen je­der der Part­ner den Ver­trag schließt, sind für die Rechts­fol­gen des Ver­tra­ges grundsätz­lich un­be­acht­lich, weil sie nicht Teil der ver­trag­li­chen Ver­ein­ba­rung selbst, nämlich der Be­stim­mung von Leis­tung und Ge­gen­leis­tung, sind (Flu­me All­ge­mei­ner Teil des Bürger­li­chen Rechts Bd. 2 4. Aufl. S. 158).


(2) Für die ar­beits­ver­trag­li­che Be­zug­nah­me­klau­sel be­deu­tet dies, dass ihr Be­deu­tungs­in­halt in ers­ter Li­nie an­hand des Wort­lauts zu er­mit­teln ist. Bei der ar­beits­ver­trag­li­chen dy­na­mi­schen In­be­zug­nah­me ei­nes be­stimm­ten Ta­rif­ver­tra­ges in sei­ner je­wei­li­gen Form ist der Wort­laut zunächst ein­deu­tig und es be­darf im Grund­satz kei­ner wei­te­ren Her­an­zie­hung von Aus­le­gungs­fak­to­ren (vgl. da­zu be­reits Thüsing/Lam­brich RdA 2002, 193, 198 f.; An­nuß ZfA 2005, 405, 423; Bay­reu­ther DB 2007, 166). Le­dig­lich wenn von den Par­tei­en wei­te­re Tat­sa­chen vor­ge­tra­gen wer­den oder sonst er­sicht­lich sind, die Zwei­fel an der wort­ge­treu­en Aus­le­gung der Ver­trags­klau­sel be­gründen können, weil sie für bei­de Sei­ten er­kenn­bar den In­halt der je­weils ab­ge­ge­be­nen Wil­lens­erklärun­gen in ei­ner sich im Wort­laut nicht nie­der­schla­gen­den Wei­se be­ein­flusst ha­ben, be­steht An­lass, die Wort­aus­le­gung in Fra­ge zu stel­len.

Die mögli­chen Mo­ti­ve der Ver­trags­par­tei­en können da­bei für sich ge­nom­men kei­nen ent­schei­den­den Ein­fluss auf die Aus­le­gung der Ver­wei­sungs­klau­sel ha­ben, zu­mal sie in der Re­gel he­te­ro­gen sind (vgl. zu mögli­chen Mo­tivbündeln Thüsing/Lam­brich RdA 2002, 193, 200 mwN). Ist der Ar­beit­ge­ber ta­rif­ge­bun­den, liegt es zwar na­he, in der be­ab­sich­tig­ten Gleich­stel­lung ta­rif­ge­bun­de­ner mit nicht ta­rif­ge­bun­de­nen Ar­beit­neh­mern ein ggf. auch vor­ran­gi­ges Mo­tiv für das Stel­len ei­ner Ver­wei­sungs­klau­sel zu se­hen. Die mögli­che Ta­rif­ge­bun­den­heit des Ar­beit­ge­bers ist je­doch kein Um­stand, der für die Aus­le­gung ei­ner dem Wort­laut nach ein­deu­ti­gen Ver­wei­sungs­klau­sel maßgeb­lich sein kann, wenn der Ar­beit­ge­ber sie nicht aus­drück­lich oder in ei­ner für den Ar­beit­neh­mer hin­rei­chend deut­lich er­kenn­ba­ren Wei­se zur Vor­aus­set­zung oder zum In­halts­ele­ment sei­ner Wil­lens­erklärung ge­macht hat. Dies gilt um so mehr, als dem Ar­beit­ge­ber ei­ne ent­spre­chen­de Ver­trags­ge­stal­tung oh­ne Schwie­rig­kei­ten möglich wäre. Er ist es, der die Ver­wei­sungs­klau­sel for­mu­liert. Des­halb ist ei­ne un­ter­schied­li­che Aus­le­gung des­sel­ben Wort­lauts je nach­dem, ob der Ar­beit­ge­ber zum Zeit­punkt der Ver­ein­ba­rung ta­rif­ge­bun­den war oder nicht, oh­ne Hin­zu­tre­ten wei­te­rer An­halts­punk­te nicht zu recht­fer­ti­gen.

Es be­steht des­halb auch kei­ne Ob­lie­gen­heit des Ar­beit­neh­mers, die Reich­wei­te sei­ner ei­ge­nen Wil­lens­erklärung durch ei­ne Nach­fra­ge beim Ar­beit­ge­ber hin­sicht­lich

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des­sen Ta­rif­ge­bun­den­heit zu er­mit­teln (so noch Se­nat 26. Sep­tem­ber 2001 - 4 AZR 544/00 - BA­GE 99, 120, 128).

(3) Die von Stim­men in der rechts­wis­sen­schaft­li­chen Li­te­ra­tur ge­gen das Er­geb­nis ei­ner un­be­ding­ten zeit­dy­na­mi­schen Bin­dung des Ar­beits­verhält­nis­ses an den in Be­zug ge­nom­me­nen Ta­rif­ver­trag er­ho­be­ne Ein­wen­dung ei­ner „kon­sti­tu­ti­ven Ewig­keits-klau­sel” (so die For­mu­lie­rung von Hens­s­ler FS Wißmann S. 133, 137; in die­sem Sin­ne krit. auch Si­mon/Kock/Halbs­guth BB 2006, 2354, 2355; Möller NZA 2006, 579, 583; von Vo­gel/Oel­kers NJW-Spe­zi­al 2006, 369; Kle­beck NZA 2006, 15, 18 f.) ist nicht be­gründet.

Zum Ei­nen ist die Klau­sel mit dem gewähl­ten Wort­laut vom Ar­beit­ge­ber ge­stellt wor­den, so dass er selbst die Ri­si­ken der Rechts­fol­gen ei­ner sol­chen Erklärung zu tra­gen hat. Will er die un­mit­tel­bar aus dem Wort­laut fol­gen­den Rechts­wir­kun­gen nicht tra­gen, muss und kann er selbst dafür sor­gen, dass ent­spre­chen­de Vor­be­hal­te in ei­ner für den Ar­beit­neh­mer hin­rei­chend er­kenn­ba­ren Form zum Aus­druck kom­men (Sit­tard/Ul­brich ZTR 2006, 458, 460). Zum Zwei­ten gibt es ver­schie­de­ne rechts­geschäft­li­che Möglich­kei­ten, sich von der un­be­dingt zeit­dy­na­mi­schen Bin­dung zu lösen, zB Ände­rungs­ver­ein­ba­run­gen oder Ände­rungskündi­gun­gen (zu die­sen Möglich­kei­ten zB Gie­sen NZA 2006, 625, 631 f.; Bay­reu­ther DB 2007, 166; schon früher allg. Wiss­kir­chen/Stühm DB 2003, 2225; vgl. auch zur Ver­fas­sungsmäßig­keit der - un­be­grenz­ten - Nach­wir­kung gem. § 4 Abs. 5 TVG BVerfG 3. Ju­li 2000 - 1 BvR 945/00 - AP TVG § 4 Nach­wir­kung Nr. 36 = EzA TVG § 4 Nach­wir­kung Nr. 29). Zum Drit­ten ist die­se als für den von sei­nem Ver­band ver­tre­te­nen und be­ra­te­nen Ar­beit­ge­ber un­zu­mut­bar an­ge­se­he­ne Wir­kung be­reits nach der bis­he­ri­gen Aus­le­gung der Ver­wei­sungs­klau­sel durch den Se­nat in all den­je­ni­gen Fällen ein­ge­tre­ten, in de­nen die Klau­sel von Ar­beit­ge­bern ver­wandt wur­de, die nicht ta­rif­ge­bun­den wa­ren. Denn hier kann der nach der bis­he­ri­gen Recht­spre­chung vor­aus­ge­setz­te Gleich­stel­lungs­zweck nicht ein­grei­fen (vgl. nur Se­nat 1. De­zem­ber 2004 - 4 AZR 50/04 - BA­GE 113, 40, 42 f. mwN). Es kann auch nicht da­von aus­ge­gan­gen wer­den, dass es sich um ei­ne sta­tis­tisch zu ver­nachlässi­gen­de Min­der­heit von Ar­beits­verträgen han­delt. Nach ei­ner Un­ter­su­chung des In­sti­tu­tes für Ar­beits­markt- und Be­rufs­for­schung der Bun­des­agen­tur für Ar­beit (IAB) aus dem Jah­re 2004 ori­en­tie­ren sich 40 % der nicht ta­rif­ge­bun­de­nen Ar­beit­ge­ber in ih­ren Ar­beits­verträgen an be­ste­hen­den Bran­chen­ta­rif­verträgen (Ell­guth/Ko­haut WSI-Mitt. 2005, 398, 399 f.; bei der Zahl der Ar­beits­verträge mit nicht ta­rif­ge­bun­de­nen Ar­beit­ge­bern ist die Quo­te mit 50 % (West) bzw. 47 % (Ost) noch höher), die sie we­der im Be­stand
 


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noch im In­halt be­ein­flus­sen können. Auch wenn es sich da­bei nicht in al­len Fällen not­wen­dig um die hier strei­ti­ge Form der „klei­nen dy­na­mi­schen Ver­wei­sung” han­delt, wur­de je­den­falls ein großer Teil der Ver­wei­sungs­klau­seln be­reits nach den bis­he­ri­gen Aus­le­gungs­grundsätzen des Se­nats nicht als Gleich­stel­lungs­ab­re­de an­ge­se­hen (de¬halb auch in­so­weit kri­tisch Hens­s­ler FS Wißmann S. 133, 138) und die Ver­wen­der auf die ge­nann­ten, an­ge­sichts der ty­pi­schen Ver­hand­lungs­macht der Ar­beit­ge­ber auch um­setz­ba­ren rechts­geschäft­li­chen Lösungsmöglich­kei­ten ver­wie­sen.

(4) Ent­ge­gen ei­ni­gen in der Li­te­ra­tur geäußer­ten Stim­men (Ni­co­lai DB 2006, 670, 673; Si­mon/Kock/Halbs­guth ZIP 2006, 726, 727 f.; Las­ka­wy/Lomb EWiR 2006, 507, 508; Zer­res NJW 2006, 3533, 3537, der an­dern­falls ei­ne Vor­la­ge­pflicht zum EuGH an­nimmt; diff. Me­lot de Beau­re­gard NJW 2006, 2522, 2525; aA Reichold JZ 2006, 725, 727; Thüsing NZA 2006, 473, 474 f.; Busch­mann AuR 2006, 204, 206) steht das Ur­teil des Eu­ropäischen Ge­richts­hofs vom 9. März 2006 (- C-499/04 - „Wer­hof” Eu­GHE I 2006, 2397) der wort­l­au­tori­en­tier­ten Aus­le­gung der Ver­wei­sungs­klau­sel nicht ent­ge­gen. Der vor­lie­gen­de Fall gibt schon des­halb kei­nen An­lass, sich mit dem Ur­teil des EuGH aus­ein­an­der­zu­set­zen, weil es nicht um die Rechts­fol­gen ei­nes Be­triebsüber­gangs geht, mit dem al­lein sich der EuGH be­fasst hat. Nur in­so­weit ist auch Art. 3 RL 77/187/EWG bzw. 2001/23/EG ein mögli­cher Prüfungs­maßstab. Die Aus­le­gung der Ver­wei­sungs­klau­sel al­lein hat kei­ne eu­ro­pa­recht­li­chen Bezüge (vgl. nur Thüsing NZA 2006, 473, 475).

Darüber hin­aus­ge­hen­de all­ge­mei­ne Wir­kun­gen kann das Ur­teil auch dann nicht ent­fal­ten, wenn man die Kon­stel­la­ti­on des Ver­bands­aus­tritts mit der­je­ni­gen des Be­triebsüber­gangs gleich­setzt; ei­ne Ein­schränkung der ne­ga­ti­ven Ko­ali­ti­ons­frei­heit ist in der dy­na­mi­schen Fort­wir­kung der Be­zug­nah­me­klau­sel in der hier strei­ti­gen Form nicht ge­ge­ben (so aber un­ter Be­ru­fung auf den EuGH Si­mon/Kock/Halbs­guth ZIP 2006, 726, 727 f.). Denn die ne­ga­ti­ve Ko­ali­ti­ons­frei­heit schützt den Ar­beit­ge­ber in die­sem Zu­sam­men­hang al­len­falls da­vor, nor­ma­tiv an Ta­rif­verträge ge­bun­den zu wer­den, die von ei­nem Ver­band ab­ge­schlos­sen wer­den, in dem er nicht Mit­glied ist. Die Wirk­sam­keit der in­di­vi­du­al­ver­trag­li­chen In­be­zug­nah­me von Ta­rif­verträgen als Aus­druck pri­vat­au­to­no­mer Ge­stal­tungs­macht ist da­durch nicht berührt (so auch Brecht-Heitz­mann/Le­wek ZTR 2007, 127,131). Auch nicht ta­rif­ge­bun­de­ne Ar­beit­ge­ber können Ver­wei­sungs­klau­seln auf Ta­rif­verträge ver­ein­ba­ren und tun dies auch, oh­ne dass ir­gend­je­mand bis­lang ver­tre­ten hätte, die­se selbst ein­ge­gan­ge­ne, ver­trag­li­che dy­na­mi­sche Bin­dung ver­s­toße ge­gen die - ei­ge­ne - ne­ga­ti­ve Ko­ali­ti­ons­frei­heit. Der Ver-

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bands­aus­tritt als sol­cher kann des­halb nicht aus ver­fas­sungs­recht­li­chen Gründen zu ei­ner von den übe­rein­stim­men­den Wil­lens­erklärun­gen der Ar­beits­ver­trags­par­tei­en ab-wei­chen­den, nur noch sta­ti­schen Wei­ter­gel­tung der in Be­zug ge­nom­me­nen Ta­rif­verträge führen.

(5) Ei­ner An­ru­fung des Großen Se­nats des Bun­des­ar­beits­ge­richts nach § 45 Abs. 2 ArbGG be­darf es nicht. Die Recht­spre­chungsände­rung ist nur hin­sicht­lich der Aus­le­gung von Ver­wei­sungs­klau­seln, die nach dem 31. De­zem­ber 2001 ver­ein­bart wor­den sind, ent­schei­dungs­er­heb­lich. Hin­sicht­lich der Aus­le­gung ei­ner sol­chen Klau­sel liegt kei­ne der jet­zi­gen Recht­spre­chung des Se­nats ent­ge­gen­ste­hen­de Recht­spre­chung ei­nes an­de­ren Se­nats oder des Großen Se­nats des Bun­des­ar­beits­ge­richts vor.


b) Die­sen Kri­te­ri­en fol­gend ist die Ver­wei­sungs­klau­sel im Ar­beits­ver­trag der Par­tei­en vom 21. Mai 2002 als ei­ne ei­genständi­ge kon­sti­tu­ti­ve Be­zug­nah­me auf den DRK-TV in sei­ner je­wei­li­gen Fas­sung aus­zu­le­gen, die nicht an die Ta­rif­ge­bun­den­heit des Be­klag­ten ge­bun­den ist.

aa) Der Wort­laut der Ver­ein­ba­rung ist ein­deu­tig. Da­nach liegt dem Ar­beits­verhält­nis der DRK-TV in sei­ner je­weils gel­ten­den Fas­sung zu­grun­de. Dass dies nur so lan­ge gel­ten soll, wie der Be­klag­te selbst an die­sen Ta­rif­ver­trag ge­bun­den ist, und dass dies dar­aus folgt, dass er zu die­sem Zeit­punkt ta­rif­ge­bun­den war, ist dem Wort­laut der Klau­sel nicht zu ent­neh­men.


bb) Es sind auch kei­ne sons­ti­gen Umstände er­kenn­bar, aus de­nen die­se - vom Be­klag­ten an­ge­nom­me­nen - Ein­schränkun­gen des Wort­lauts der Ver­ein­ba­rung als Ver­trags­in­halt für die Kläge­rin so deut­lich ge­wor­den sind, dass ih­re zu­stim­men­de Wil­lens­erklärung zu der Klau­sel als Zu­stim­mung zu die­sen Ein­schränkun­gen aus­zu­le­gen ist. Der Be­klag­te hat sich auch nicht auf der­ar­ti­ge Umstände be­ru­fen.


cc) Die­ser Aus­le­gung steht ein Ver­trau­ens­schutz des Be­klag­ten we­der grundsätz­lich noch un­ter dem Ge­sichts­punkt ent­ge­gen, dass zwi­schen den Par­tei­en be­reits vor dem In­kraft­tre­ten der Schuld­rechts­re­form die Ver­wei­sungs­klau­sel sinn­gemäß ver­ein­bart wor­den war.

(1) Der Se­nat hat in sei­ner Ent­schei­dung vom 14. De­zem­ber 2005 (- 4 AZR 536/04 - AP TVG § 1 Be­zug­nah­me auf Ta­rif­ver­trag Nr. 39 = EzA TVG § 3 Be­zug­nah­me auf Ta­rif­ver­trag Nr. 32) die Ände­rung der Recht­spre­chung zur Aus­le­gung ei­ner sol­chen Ver­wei­sungs­klau­sel auf die­je­ni­gen Ar­beits­verträge be­schränkt, die nach dem In­kraft-


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tre­ten der Schuld­rechts­re­form am 1. Ja­nu­ar 2002 ab­ge­schlos­sen wor­den sind. Er hat dies da­mit be­gründet, dass die frühe­re Aus­le­gungs­re­gel in jah­re­lan­ger Recht­spre­chung ent­wi­ckelt und von der be­ra­ten­den und fo­ren­si­schen Pra­xis ver­brei­tet als ge­fes­tigt an­ge­se­hen wor­den ist. Dies spre­che ge­gen ei­ne un­be­grenz­te Rück­wir­kung der Ände­rung der Recht­spre­chung. Als Stich­tag für die Ände­rung er­schei­ne es statt­des­sen ge­bo­ten, den Zeit­punkt des In­kraft­tre­tens der Schuld­rechts­re­form zu­grun­de zu le­gen. Seit­dem sei die AGB-Kon­trol­le für Ar­beits­verträge und da­mit auch für ar­beits­ver­trag­li­che Ver­wei­sungs­klau­seln aus­drück­lich ge­setz­lich an­ge­ord­net, so dass seit­dem von Ar­beit­ge­bern ver­langt wer­den könne, in von ih­nen ge­stell­ten Be­zug­nah­me­klau­seln das von ih­nen Ge­woll­te hin­rei­chend deut­lich zum Aus­druck zu brin­gen.


(2) Die­se Über­le­gun­gen zum (be­grenz­ten) Ver­trau­ens­schutz ha­ben Zu­stim­mung (zB Sit­tard/Ul­brich ZTR 2006, 458, 461; Seel MDR 2006, 491, 494; diff. Rei­ne­cke BB 2006, 2637, 2640 f.; St­ein AuR 2006, 366, 368), aber auch Ab­leh­nung (zB Si­mon/Kock/Halbs­guth BB 2006, 2354, 2355 f.; Bay­reu­ther DB 2007, 166, 168; Mei-nel/Herms DB 2006, 1429, 1431 f.; Wel­ler EWiR 2006, 389, 390; Gie­sen NZA 2006, 625, 628 f.; von Vo­gel/Oel­kers NJW-Spe­zi­al 2006, 369, 370; Zer­res NJW 2006, 3533, 3535 f.; Löwisch/Feld­mann Anm. zu EzA TVG § 3 Be­zug­nah­me auf Ta­rif­ver­trag Nr. 32; Kort Anm. zu AP TVG § 1 Be­zug­nah­me auf Ta­rif­ver­trag Nr. 39; Mar­sch­ner Anm. zu Ez­BAT BAT § 1 Be­triebsüber­gang Nr. 7; Zie­mann ju­ris­PR-ArbR 29/2006) er­fah­ren. Da­bei rich­ten sich die kri­ti­schen Stim­men teil­wei­se nicht ge­gen die Recht­spre­chungsände­rung als sol­che, son­dern da­ge­gen, dass der Ver­trau­ens­schutz nicht bis zur Veröffent­li­chung der be­ab­sich­tig­ten Rechts­spre­chungsände­rung gewährt wird. Ge­gen je­den Ver­trau­ens­schutz und für ei­ne un­be­grenz­te Rück­wir­kung der geänder­ten Recht­spre­chung spre­chen sich Brecht-Heitz­mann und Le­wek (ZTR 2007, 127, 132 f.) so­wie Röl-ler und Wißmann (FS Kütt­ner S. 465, 475; in die­sem Sin­ne auch schon früher An­nuß ZfA 2005, 405, 429; diff. Ha­nau NZA 2005, 489, 491, 494) aus.

(3) Der Se­nat hat die Kri­tik an sei­ner Ankündi­gung hin­sicht­lich des Stich­tags ei­ner Prüfung un­ter­zo­gen und hält an der im Ur­teil vom 14. De­zem­ber 2005 (- 4 AZR 536/04 - AP TVG § 1 Be­zug­nah­me auf Ta­rif­ver­trag Nr. 39 = EzA TVG § 3 Be­zug­nah­me auf Ta­rif­ver­trag Nr. 32) geäußer­ten Ab­sicht fest.

(a) Bei ei­ner Ände­rung der höchst­rich­ter­li­chen Recht­spre­chung zur Aus­le­gung von häufig ver­wen­de­ten Ver­trags­klau­seln ist die Ent­schei­dung, ob und ggf. wie weit
 


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der hier­von nach­tei­lig be­trof­fe­nen Par­tei Ver­trau­ens­schutz zu gewähren ist, von ei­ner Abwägung der bei­der­sei­ti­gen be­rech­tig­ten In­ter­es­sen abhängig.

(aa) Höchst­rich­ter­li­che Recht­spre­chung ist kein Ge­set­zes­recht. Ur­tei­le obers­ter Bun­des­ge­rich­te ändern die Rechts­la­ge nicht, son­dern stel­len die­se le­dig­lich auf Grund ei­nes - prin­zi­pi­ell irr­tums­anfälli­gen - Er­kennt­nis­pro­zes­ses fest (BVerfG 28. Sep­tem­ber 1992 - 1 BvR 496/87 - AP GG Art. 20 Nr. 15 mwN; BAG 13. Ju­li 2006 - 6 AZR 198/06 - AP KSchG 1969 § 17 Nr. 22 = EzA KSchG § 17 Nr. 17). Wenn die höchst­rich­ter­li­che Recht­spre­chung sich un­ter ei­ner ge­ge­be­nen Rechts­la­ge ändert, ist die neue Recht­spre­chung des­halb grundsätz­lich auch auf Fall­kon­stel­la­tio­nen an­zu­wen­den, in de­nen die für die Be­ur­tei­lung des Rechts­streits maßgeb­li­chen Tat­sa­chen zu ei­ner Zeit ge­setzt wor­den sind, in der die Ände­rung der Recht­spre­chung noch nicht statt­ge­fun­den hat und auch noch nicht an­gekündigt war (BAG 23. März 2006 - 2 AZR 343/05 - Rn. 34, AP KSchG 1969 § 17 Nr. 21 = EzA KSchG § 17 Nr. 16; Grie­be­ling RdA 1992, 373, 375 f.). Durch das Ab­wei­chen von ei­ner früher ver­tre­te­nen An­sicht verstößt der Rich­ter nicht ge­gen Art. 20 Abs. 3 GG (BVerfG 26. Ju­ni 1991 - 1 BvR 779/85 - Rn. 42, BVerf-GE 84, 212). Im Ge­gen­teil ist ein Ge­richt stets ver­pflich­tet, sei­ne Recht­spre­chung kri­tisch zu über­prüfen. Ge­winnt es ei­ne bes­se­re Er­kennt­nis, muss es sie bei nächs­ter Ge­le­gen­heit um­set­zen und darf das Recht nicht der Par­tei, der es nun­mehr zu gewähren ist, mit der Be­gründung ver­sa­gen, dass ihr Geg­ner auf die jetzt als un­rich­tig er¬kann­te frühe­re Recht­spre­chung ver­traut ha­be (BGH 2. De­zem­ber 1976 - VII ZR 88/75 - NJW 1977, 375, 376). In­wie­weit von die­sen Grundsätzen in Be­rei­chen, in de­nen Recht­spre­chung im We­ge der Rechts­fort­bil­dung ge­set­zes­ver­tre­ten­de Funk­tio­nen (zB im Ar­beits­kampf­recht vgl. da­zu ua. Lou­ven Pro­ble­ma­tik und Gren­zen rück­wir­ken­der Recht­spre­chung des Bun­des­ar­beits­ge­richts S. 163 ff.) oder auch nur ge­set­zes­kon­kre­ti­sie­ren­de Funk­tio­nen ausübt, Ein­schränkun­gen zu ma­chen sind (vgl. in die­sem Sin­ne schon Ha­nau/Preis DB 1991, 1276, 1281), kann hier da­hin­ge­stellt blei­ben. Denn die Ände­rung der Recht­spre­chung be­zieht sich al­lein auf die Auf­ga­be ei­ner Aus­le­gungs­re­gel für in­di­vi­du­al­ver­trag­li­che Ver­ein­ba­run­gen, die sich vor­ran­gig an der so­zio­ty­pi­schen Aus­gangs­si­tua­ti­on und den mut­maßli­chen In­ter­es­sen­la­gen der Par­tei­en ori­en­tier­te und dem Wort­laut der Ver­ein­ba­rung nach­ran­gi­ge Be­deu­tung bei­maß. Da­bei han­delt es sich nicht um ge­set­zes­ver­tre­ten­des oder ge­set­zes­kon­kre­ti­sie­ren­des Richter­recht.

(bb) Da­her gilt grundsätz­lich, dass auch bei der Ände­rung ei­ner Aus­le­gungs­re­gel für all­ge­mein ver­wen­de­te Ver­trags­klau­seln das Ri­si­ko der Recht­spre­chungsände­rung zunächst al­lein den Ver­wen­der der Klau­sel trifft. Dies hat auch der Bun­des­ge­richts­hof


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für den - mit der vor­lie­gen­den Kon­stel­la­ti­on hin­sicht­lich des Ver­trau­ens­schut­zes ver­gleich­ba­ren - Fall der un­mit­tel­ba­ren An­wen­dung der Re­ge­lun­gen der AGB-Kon­trol­le ent­schie­den und dem Ver­wen­der ei­ner For­mu­lar­klau­sel kei­nen Ver­trau­ens­schutz zu-ge­bil­ligt, ob­wohl die Be­stim­mung von der höchst­rich­ter­li­chen Recht­spre­chung vor­her als wirk­sam an­ge­se­hen wur­de (BGH 18. Ja­nu­ar 1996 - IX ZR 69/95 - Rn. 21, BGHZ 132, 6 mwN).

(cc) Die Ein­schränkung ei­ner Rück­wir­kung der Recht­spre­chungsände­rung ist je­doch ge­bo­ten, wenn und so­weit die von der Rück­wir­kung nach­tei­lig be­trof­fe­ne Par­tei auf die Wei­terführung der bis­he­ri­gen Recht­spre­chung ver­trau­en durf­te und die An­wen­dung der geänder­ten Auf­fas­sung we­gen ih­rer Rechts­fol­gen im Streit­fall oder der Wir­kung auf an­de­re ver­gleich­bar ge­la­ger­te Rechts­be­zie­hun­gen auch un­ter Berück­sich­ti­gung der be­rech­tig­ten In­ter­es­sen des Pro­zess­geg­ners ei­ne un­zu­mut­ba­re Härte be­deu­ten würde (so auch BAG 18. Ja­nu­ar 2001 - 2 AZR 616/99 - AP LPVG Nie­der­sach­sen § 28 Nr. 1 = EzA BGB § 626 Krank­heit Nr. 4; 23. März 2006 - 2 AZR 343/05 - AP KSchG 1969 § 17 Nr. 21 = EzA KSchG § 17 Nr. 16; 13. Ju­li 2006 - 6 AZR 198/06 - AP KSchG 1969 § 17 Nr. 22 = EzA KSchG § 17 Nr. 17; zust. Höpfner RdA 2006, 156, 164 f.). Bei der so­mit zu tref­fen­den Abwägung ist zu be­ach­ten, dass die ma­te­ri­el­le Ge­rech­tig­keit ei­nen dem Grund­satz der Rechts­si­cher­heit min­des­tens ebenbürti­gen Be­stand­teil des Rechts­staats­prin­zips verkörpert (BGH 29. Fe­bru­ar 1996 - IX ZR 153/95 - Rn. 26, BGHZ 132, 119 mwN). Ei­ner Par­tei ist nur dann zu­zu­mu­ten, ein ihr ungüns­ti­ges Ur­teil hin­zu­neh­men, ob­wohl sie nach ge­genwärti­ger höchst­rich­ter­li­cher Er­kennt­nis das Recht auf ih­rer Sei­te hat, wenn die dar­aus für den Geg­ner er­wach­sen­den Fol­gen un­ter dem Ge­sichts­punkt des Ver­trau­ens auf die Fort­dau­er der bis­he­ri­gen Recht­spre­chung zu un­bil­li­gen, ihm nicht zu­mut­ba­ren Härten führen würden (BGH 29. Fe­bru­ar 1996 - IX ZR 153/95 - Rn. 27, aaO).


(dd) Es ist fer­ner zu berück­sich­ti­gen, dass der Se­nat nicht die Wirk­sam­keit ei­ner ge­stal­ten­den ein­sei­ti­gen Rechts­hand­lung des Ar­beit­ge­bers be­ur­tei­len muss und bei der Würdi­gung ei­nes mögli­chen Ver­trau­ens­schut­zes in die ver­gan­ge­ne Recht­spre­chung den ge­setz­ge­be­ri­schen Schutz­zweck der Norm her­an­zie­hen kann, de­ren Aus­le­gung über die Wirk­sam­keit der ge­stal­ten­den Hand­lung ent­schei­det (wie bei § 17 KSchG, vgl. da­zu BAG 23. März 2006 - 2 AZR 343/05 - AP KSchG 1969 § 17 Nr. 21 = EzA KSchG § 17 Nr. 16; bei § 28 Pers­VG Nie­der­sach­sen, vgl. da­zu BAG 18. Ja­nu­ar 2001 - 2 AZR 616/99 - AP LPVG Nie­der­sach­sen § 28 Nr. 1 = EzA BGB § 626 Krank­heit Nr. 4). Die­ser Schutz­be­reich muss nicht im­mer den In­ter­es­sen des Ver­trags­geg-
 


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ners die­nen. Eben­so ist die Rück­wir­kung mit ei­ner nachträglich geänder­ten Be­wer­tung der Rechtmäßig­keit bzw. Rechts­wid­rig­keit ei­nes Ver­hal­tens aus­ge­schlos­sen, et­wa bei Haf­tungs­nor­men (vgl. zu die­sen Kon­stel­la­tio­nen Löwisch FS Ar­beits­ge­richts­ver­band S. 601, 612 ff.). An­ders ist es bei der Aus­le­gung übe­rein­stim­men­der Wil­lens­erklärun­gen an­hand von §§ 133, 157 BGB. Wirk­sam­keits­kri­te­ri­en, die In­ter­es­sen außer­halb der un­mit­tel­ba­ren Ver­trags­be­zie­hung der Par­tei­en die­nen, kom­men da­bei ge­ra­de nicht zur An­wen­dung, so dass dem Ar­beit­ge­ber durch ei­ne Rück­wir­kung nicht nachträglich Hand­lungs­pflich­ten auf­er­legt wer­den, die zur „Un­wirk­sam­keit” oder Rechts­wid­rig­keit der nach den sei­ner­zei­ti­gen Kri­te­ri­en der Recht­spre­chung und Rechts­pra­xis wirk­sa­men und rechtmäßigen Rechts­hand­lun­gen führen.


Ein Aus­gleich der wi­der­strei­ten­den In­ter­es­sen nach den Grundsätzen der Störung der Geschäfts­grund­la­ge gemäß § 313 BGB kommt eben­falls nicht in Be­tracht, da ei­ne sol­che nur die­je­ni­gen Fak­to­ren als Geschäfts­grund­la­ge berück­sich­tigt, die vom ge­mein­schaft­li­chen Wil­len der Par­tei­en um­fasst wa­ren und ge­ra­de nicht aus­sch­ließlich der ein­sei­ti­gen Er­war­tung ei­ner der bei­den Par­tei­en ent­spre­chen (BGH 17. Fe­bru­ar 1993 - XII ZR 232/91 - Rn. 13, NJW-RR 1993, 753; zu Rück­wir­kung, Ver­trau­ens­schutz und Geschäfts­grund­la­ge auch Blo­mey­er FS Karl Mo­li­tor S. 41, 49; Lou­ven Pro­ble­ma­tik und Gren­zen rück­wir­ken­der Recht­spre­chung des Bun­des­ar­beits­ge­richts S. 144 ff.). Dies ist - wie dar­ge­legt - bei der Aus­le­gung ei­ner dy­na­mi­schen Ver­wei­sungs­klau­sel je­doch der Fall.

(b) Un­ter An­wen­dung die­ser Kri­te­ri­en ist den Ar­beit­ge­bern, die bis zum 31. De­zem­ber 2001 Ar­beits­verträge mit ei­ner ent­spre­chen­den Be­zug­nah­me­klau­sel ab­ge­schlos­sen ha­ben, Ver­trau­ens­schutz in­so­weit zu gewähren, als auf die­se „Alt­verträge” die frühe­re Aus­le­gungs­re­gel des Se­nats an­zu­wen­den ist, wo­nach bei Be­tei­li­gung ei­nes ver­bands­an­gehöri­gen Ar­beit­ge­bers und Feh­len ent­ge­gen­ste­hen­der An­halts­punk­te in der Re­gel ei­ne dy­na­mi­sche Ver­wei­sung auf ei­nen ein­schlägi­gen Ta­rif­ver­trag als Gleich­stel­lungs­ab­re­de aus­zu­le­gen ist. Für Ar­beits­verträge, die ab dem 1. Ja­nu­ar 2002 ab­ge­schlos­sen wor­den sind („Neu­verträge”), wen­det der Se­nat die­se Aus­le­gungs­re­gel nicht an. Bei der Ent­schei­dung für das Ob und das Wie der Gewährung von Ver­trau­ens­schutz sind fol­gen­de Fak­to­ren maßgeb­lich:

(aa) Die Auf­ga­be der vom Se­nat früher an­ge­wand­ten und von ei­ner ver­brei­te­ten Ver­trags­pra­xis zu­grun­de ge­leg­ten Aus­le­gungs­re­gel ist nicht un­mit­tel­bar auf ei­ne Ände­rung der ma­te­ri­el­len Rechts­la­ge, wie sie et­wa durch das In­kraft­tre­ten der Schuld­rechts­re­form ein­ge­tre­ten ist, zurück­zuführen. Wie dar­ge­legt, stützt sie sich hauptsächlich auf
 


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ei­ne auch in der Kri­tik der weit über­wie­gen­den Auf­fas­sung der Li­te­ra­tur (vgl. die Nach-wei­se bei Se­nat 14. De­zem­ber 2005 - 4 AZR 536/04 - Rn. 17 f., AP TVG § 1 Be­zug­nah­me auf Ta­rif­ver­trag Nr. 39 = EzA TVG § 3 Be­zug­nah­me auf Ta­rif­ver­trag Nr. 32) im­mer wie­der an­ge­mahn­te „Rück­be­sin­nung” auf all­ge­mei­ne Grundsätze der Ver­trags­aus­le­gung, in­dem sie in ers­ter Li­nie den Wort­laut der ab­ge­ge­be­nen Wil­lens­erklärun­gen her­an­zieht und be­glei­ten­den Umständen, die nicht er­kenn­bar in den Erklärungs­in­halt ein­ge­gan­gen sind, kei­ne vom Wort­laut ab­wei­chen­de oder die­sem so­gar wi­der­spre­chen­de Be­deu­tung zu­misst, auch wenn es hierfür in der Ar­beits­rechts­pra­xis ein nach­voll­zieh­ba­res Bedürf­nis ge­ge­ben ha­ben mag.


(bb) Hier­von zu un­ter­schei­den ist die Fra­ge, ab wel­chem Zeit­punkt es Ar­beit­ge­bern zu­mut­bar war, auf hin­rei­chen­de Klar­heit der von ih­nen ab­ge­ge­be­nen Erklärun­gen hin­zu­wir­ken und die Fol­gen mögli­cher Un­klar­hei­ten und Un­voll­kom­men­hei­ten in den von ih­nen selbst ge­stell­ten Ver­wei­sungs­klau­seln auch selbst zu tra­gen. Da­mit kor­re­spon­diert die Fra­ge, bis zu wel­chem Zeit­punkt es Ar­beit­neh­mern zu­ge­mu­tet wer­den kann, für sie nach­tei­li­ge Rechts­fol­gen zu tra­gen, die ih­nen aus ei­ner nach der ma­te­ri­el­len Rechts­la­ge nicht ge­recht­fer­tig­ten Berück­sich­ti­gung außer­ver­trag­li­cher Fak­to­ren durch das Ge­richt er­wach­sen. Denn wenn in Zi­vil­rechts­strei­tig­kei­ten das Ver­trau­en ei­ner Par­tei in die Kon­ti­nuität ei­ner nicht mehr als zu­tref­fend an­ge­se­he­nen Recht­spre­chung um­fang­reich geschützt wird, geht dies im­mer zu Las­ten der an­de­ren Par­tei. Es ist des­halb nur schwer ein­zu­se­hen, dass der­je­ni­ge, der die vom Ge­richt ver­tre­te­ne An­sicht teilt, die Fol­gen dafür zu tra­gen hat, dass der an­de­re auf ei­ne be­ste­hen­de Recht­spre­chung ver­traut hat. Des­halb ist ei­ne Abwägung der Par­tei­in­ter­es­sen im Ein­zel­fall ge­bo­ten (Höpfner RdA 2006, 156, 164; Me­di­cus NJW 1995, 2577, 2583). Da es bei der hier strei­ti­gen Kon­stel­la­ti­on um ei­ne in­halt­lich häufig ver­wand­te Ver­trags­klau­sel geht, die in der Recht­spre­chung und Li­te­ra­tur als „klei­ne dy­na­mi­sche Ver­wei­sungs­klau­sel” ty­pi­siert ist, hat auch die In­ter­es­sen­abwägung ty­pi­siert statt­zu­fin­den (so im Er­geb­nis auch BAG 23. März 2006 - 2 AZR 343/05 - AP KSchG 1969 § 17 Nr. 21 = EzA KSchG § 17 Nr. 16).

(cc) Dass in­so­weit über­haupt Ver­trau­ens­schutz gewährt und da­mit den be­trof­fe­nen Ar­beit­neh­mern ein nicht durch ihr Ver­hal­ten ge­recht­fer­tig­ter Nach­teil auf­er­legt wird, ist, wie der Se­nat im Ur­teil vom 14. De­zem­ber 2005 (- 4 AZR 536/04 - AP TVG § 1 Be­zug­nah­me auf Ta­rif­ver­trag Nr. 39 = EzA TVG § 3 Be­zug­nah­me auf Ta­rif­ver­trag Nr. 32) aus­geführt hat, durch sei­ne jah­re­lan­ge Recht­spre­chung ge­recht­fer­tigt. Ei­ne vollständi­ge Rück­wir­kung auf al­le Ar­beits­verträge, in de­nen der­ar­ti­ge Ver­wei­sungs-

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klau­seln ver­ein­bart wor­den sind, würde für die Ar­beit­ge­ber, die sich viel­fach an höchst-rich­ter­li­cher Recht­spre­chung ori­en­tie­ren, ei­ne un­zu­mut­ba­re Härte be­deu­ten. An­ge­sichts der Dis­po­si­tio­nen, die die Ar­beit­ge­ber in­so­weit im Ver­trau­en auf den Be­stand der im­mer wie­der bestätig­ten Recht­spre­chung bei un­veränder­ter Rechts­la­ge ge­trof­fen ha­ben, wäre ein der­ar­tig tief­grei­fen­der Ein­schnitt auch un­ter Be­ach­tung der ent­ge­gen­ste­hen­den be­rech­tig­ten In­ter­es­sen der Ar­beit­neh­mer nicht ge­recht­fer­tigt und würde über­dies zu ei­ner großen Ver­un­si­che­rung in den Be­trie­ben führen (Se­nat 14. De­zem­ber 2005 - 4 AZR 536/04 - aaO).


(dd) Es ist an­de­rer­seits je­doch nicht zu ver­ken­nen, dass ne­ben der ge­ne­rell im­mer be­ste­hen­den Möglich­keit ei­ner Recht­spre­chungsände­rung auf Grund an­de­rer, möglichst bes­se­rer Er­kennt­nis die Aus­le­gungs­re­gel der Gleich­stel­lungs­ab­re­de um­strit­ten war. Die in der bis­he­ri­gen Recht­spre­chung des Se­nats auf­ge­stell­te Aus­le­gungs­re­gel ist viel­fa­cher Kri­tik in der Li­te­ra­tur un­ter­zo­gen wor­den; teil­wei­se hat die In­stanz­recht­spre­chung die Ge­folg­schaft ver­sagt (vgl. je­weils die Nach­wei­se im Se­nats­ur­teil vom 14. De­zem­ber 2005 - 4 AZR 536/04 - Rn. 17, AP TVG § 1 Be­zug­nah­me auf Ta­rif­ver­trag Nr. 39 = EzA TVG § 3 Be­zug­nah­me auf Ta­rif­ver­trag Nr. 32), so dass zB im Zuständig­keits­be­reich der ab­wei­chen­den Lan­des­ar­beits­ge­rich­te die Ar­beit­ge­ber je­den­falls in­so­weit nicht mit ei­ner zu­stim­men­den Ju­di­ka­tur rech­nen konn­ten. Die­se Fak­to­ren sind be­reits prin­zi­pi­ell ge­eig­net, das Aus­maß des Ver­trau­ens in die Auf­recht­er­hal­tung der Recht­spre­chung zu ver­rin­gern (BVerfG 26. Ju­ni 1991 - 1 BvR 779/85 - Rn. 43, BVerfGE 84, 212; BAG 26. April 2006 - 7 AZR 500/04 - AP Tz­B­fG § 14 Nr. 23 = EzA Tz­B­fG § 14 Nr. 28, so­gar für die Ver­fas­sungsmäßig­keit ei­nes Ge­set­zes; Rieb­le Anm. zu EzA GG Art. 9 Ar­beits­kampf Nr. 98). Es ist zwar zu­tref­fend, dass der Se­nat an sei­ner bis­he­ri­gen Recht­spre­chung noch länge­re Zeit fest­ge­hal­ten hat. Gleich­wohl war für die be­tei­lig­ten Krei­se - und in Be­son­der­heit für die von ih­rem Ver­band sach­kun­dig be­ra­te­nen Ar­beit­ge­ber, die al­lein von der Recht­spre­chungsände­rung be­trof­fen sind - er­kenn­bar, dass die bis­he­ri­ge Sicht des Se­nats ei­ner nicht un­be­acht­li­chen Kri­tik un­ter­lag und von da­her nicht als un­be­strit­ten gel­ten konn­te (im Ge­gen­satz et­wa zur Recht­spre­chung des Zwei­ten Se­nats zu § 17 KSchG vor dem an­ders­lau­ten­den Ur­teil des EuGH vom 27. Ja­nu­ar 2005 - C-188/03 - „Junk“ Eu­GHE I 2005, 885; vgl. da­zu BAG 23. März 2006 - 2 AZR 343/05 - AP KSchG 1969 § 17 Nr. 21 = EzA KSchG Nr. 16). Es sind auch be­reits vor In­kraft­tre­ten der Schuld­rechts­re­form al­ter­na­ti­ve For­mu­lie­rungs­vor­schläge ge­macht wor­den, die mit ei­ner mögli­chen „fal­schen Aus­ge­stal­tung der Be­zug­nah­me­klau­sel” be­gründet wor­den sind (so zB Ha­nau/Ka­nia FS Schaub S. 239, 260 ff.).

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(ee) Die vom Se­nat vor­ge­nom­me­ne ty­pi­sier­te In­ter­es­sen­abwägung führt im Er­geb­nis zu ei­ner Stich­tags­re­ge­lung (vgl. zur Zulässig­keit ei­ner rück­wir­ken­den Stich­tags­re­ge­lung durch ein Ge­setz BVerfG 16. März 2006 - 1 BvR 1311/96 - NZS 2006, 533; 26. April 1995 - 2 BvR 794/91 ua. - DÖD 1996, 25), die auch im In­ter­es­se von Rechts­si­cher­heit und Rechts­klar­heit zur Gewährung ei­nes Ver­trau­ens­schut­zes und zu sei­ner zeit­li­chen Be­gren­zung er­for­der­lich und ge­eig­net ist.


Mit dem In­kraft­tre­ten der Schuld­rechts­re­form zum 1. Ja­nu­ar 2002 ist ein Ein­schnitt vor­ge­nom­men wor­den, der zu ei­ner Ände­rung der Ri­si­ko­ver­tei­lung hin­sicht­lich der Fol­gen der Recht­spre­chungsände­rung führen muss. Es ist in­so­weit nicht nur die ma­te­ri­el­le Rechts­la­ge hin­sicht­lich der In­halts­kon­trol­le von vor­for­mu­lier­ten Ar­beits­verträgen erst­mals ge­setz­lich ko­di­fi­ziert wor­den, son­dern es hat da­durch auch ein er-kenn­ba­rer Pa­ra­dig­men­wech­sel statt­ge­fun­den (vgl. nur Preis in Dau­ner-Lieb/Hens­s­ler/Preis In­halts­kon­trol­le im Ar­beits­recht S. 64 ff.; Thüsing/Lam­brich NZA 2002, 1361; Joost FS Ul­mer S. 1199, 1200: „beträcht­li­che Aus­wir­kun­gen”; Zirn­bau­er FA 2006, 34; An­nuß BB 2006, 1333; Thüsing FS Wie­de­mann S. 559, 574: „grund­le­gen­de Ent­schei­dung des Ge­setz­ge­bers”; Lieb FS Ul­mer S. 1231, 1232: „For­mat von Quan­tensprüngen”; Reichold JZ 2006, 725, 727: „star­ker Ap­pell des neu­en BGB an die vom Ar­beit­ge­ber end­lich zu be­ach­ten­de Ver­trags­kul­tur”; Oet­ker FS Wie­de­mann S. 383, 386 f.: „... sind die bis­he­ri­gen Dis­kus­si­ons­li­ni­en neu zu zie­hen ... Die­ses veränder­te nor­ma­ti­ve Ko­or­di­na­ten­sys­tem zwingt da­zu, ... er­neut auf den Prüfstand zu stel­len”; Bau­er/Krie­ger SAE 2006, 11: „Die Einführung der AGB-Kon­trol­le von Ar­beits­verträgen ... war ein Feh­ler. Die seit nun­mehr vier Jah­ren be­ste­hen­de Rechts­un­si­cher­heit im Ar­beits­ver­trags­recht ist für die be­trof­fe­nen Un­ter­neh­men ei­ne Zu­mu­tung”). Die Aus­le­gung von all­ge­mei­nen (Ar­beits-)Ver­trags­be­din­gun­gen war da­mit auf ein neu­es Fun­da­ment ge­stellt wor­den, auch wenn ein­zel­ne Grundsätze der nun­mehr ge­setz­lich ge­re­gel­ten In­halts­kon­trol­le be­reits vor­her in der höchst­rich­ter­li­chen Recht­spre­chung an­ge­wandt wor­den wa­ren. Da­bei ist nicht nur die Po­si­ti­on der Ver­wen­der von ar­beits­ver­trag­li­chen For­mu­la­ren deut­lich ge­schwächt (Hümme­rich/Holt­hau­sen NZA 2002, 173: „künf­tig kein St­ein mehr auf dem an­de­ren”), son­dern im Ge­gen­zug die Leit­li­nie ei­ner auf den Empfänger- bzw. Ver­brau­cher­ho­ri­zont ab­ge­stell­ten Sicht­wei­se we­sent­lich gestärkt wor­den, so dass die Ar­gu­men­te ge­gen die Über­zeu­gungs­kraft der bis­he­ri­gen Recht­spre­chung an Be­deu­tung ge­won­nen ha­ben (Sitt­hard/Ul­brich ZTR 2006, 458, 460; Mar­sch­ner Anm. zu Ez­BAT BAT § 1 Be­triebsüber­gang Nr. 7). Die da­mit ver­bun­de­ne Fest­le­gung des Zeit­punk­tes ei­nes re­le­van­ten Wer­te­wan­dels (vgl. da­zu Me­di­cus NJW 1995, 2577, 2581) ist zwar nicht für die nun voll­zo­ge­ne Recht­spre­chungsände­rung als sol­che ent-

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schei­dend. Sie mar­kiert aber die Zeit­gren­ze, die auch und ge­ra­de im Ar­beits­recht bei der Fest­le­gung von Ver­trau­ens­schutz zu ei­ner neu­en Ge­wich­tung der bei­der­sei­ti­gen be­rech­tig­ten In­ter­es­sen führen muss. Der Ge­setz­ge­ber hat mit der Schuld­rechts­no­vel­le ua. ei­ne er­neu­te nach­hal­ti­ge Auf­for­de­rung an die Ver­wen­der von For­mu­lar­verträgen er­ho­ben, das von ih­nen Ge­woll­te auch in der ent­spre­chen­den verständ­li­chen (§ 307 Abs. 1 Satz 2 BGB) Form ein­deu­tig zum Aus­druck zu brin­gen. Der Se­nat sieht es des­halb un­ter die­sem Ge­sichts­punkt un­ter Berück­sich­ti­gung der ge­genläufi­gen und nun-mehr ab dem 1. Ja­nu­ar 2002 wei­ter gestärk­ten be­rech­tig­ten In­ter­es­sen der Ar­beit­neh­mer für die Ar­beit­ge­ber ab In­kraft­tre­ten der Schuld­rechts­re­form nicht mehr als un­zu­mut­ba­re Härte an, wenn sie die Rechts­fol­gen der von ih­nen selbst nach die­sem Zeit-punkt her­vor­ge­brach­ten Dif­fe­renz zwi­schen dem Erklärten und dem Ge­woll­ten auch selbst zu tra­gen ha­ben.


(4) Dem Be­klag­ten ist auch nicht et­wa des­halb Ver­trau­ens­schutz zu gewähren, weil es sich bei der ver­ein­bar­ten Ver­wei­sungs­klau­sel im Ar­beits­ver­trag vom 21. Mai 2002 um ei­ne nach sei­ner Auf­fas­sung „sinn­gemäß” glei­che For­mu­lie­rung han­delt wie in den vor­her zwi­schen den Par­tei­en ge­schlos­se­nen Ar­beits- und Ände­rungs­verträgen.


Aus den oa. Dar­le­gun­gen zum Ver­trau­ens­schutz und sei­ner zeit­li­chen Fest­le­gung er­gibt sich, dass Ar­beit­ge­ber, die Ver­wei­sungs­klau­seln der strei­ti­gen Art ab dem 1. Ja­nu­ar 2002 ver­ein­bart ha­ben, sich nicht auf den Ver­trau­ens­schutz be­ru­fen können, weil mit dem In­kraft­tre­ten der Schuld­rechts­re­form die „Warn­zei­chen” bei der wei­te­ren Ver­wen­dung der Klau­seln in der bis­he­ri­gen Form so deut­lich wa­ren, dass es für ei­nen Ar­beit­ge­ber kei­ne un­zu­mut­ba­re Härte mehr dar­stellt, wenn er an dem Wort­laut der von ihm ein­geführ­ten Ver­trags­klau­sel fest­ge­hal­ten wird und das von ihm mögli­cher­wei­se Ge­woll­te, aber vom Wort­laut der Klau­sel Ab­wei­chen­de nicht als Ver­trags­in­halt an­ge­se­hen wird. Da­bei kann es kei­nen Un­ter­schied ma­chen, ob die ent­spre­chen­de Klau­sel erst­mals ver­ein­bart wur­de oder ob sie in ei­nem Abände­rungs­ver­trag für ein be­reits länger be­ste­hen­des Ar­beits­verhält­nis ent­hal­ten ist. Für die Abwägung der bei­der­sei­ti­gen In­ter­es­sen und die Fra­ge der un­zu­mut­ba­ren Härte spielt es kei­ne Rol­le, ob der Ar­beit­ge­ber die­se Klau­sel vor dem 1. Ja­nu­ar 2002 schon ein­mal ver­ein­bart hat­te und sie da­mals - wie auch später - als Gleich­stel­lungs­ab­re­de ver­ste­hen woll­te. Ei­nen Un­ter­schied zwi­schen ei­ner „de­kla­ra­to­ri­schen Wie­der­ho­lung” der Klau­sel und ei­ner kon­sti­tu­ti­ven Neu­ver­ein­ba­rung (auf den sich der Be­klag­te je­doch nicht be­ru­fen hat) kann es nicht ge­ben, da die Wil­lens­erklärung auch schon vor dem 1. Ja­nu­ar 2002 ei­ner an­de­ren Aus­le­gung be­durft hätte. Ver­trau­ens­schutz be­deu­tet nicht den Schutz vor der

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nun­mehr als zu­tref­fend an­ge­se­he­nen Aus­le­gung, son­dern le­dig­lich vor den Fol­gen der Ände­rung der Recht­spre­chung, wenn die Erklärung vor dem Stich­tag ab­ge­ge­ben wor­den ist. Dass es sich bei der Ver­wei­sungs­klau­sel im Ar­beits­ver­trag der Par­tei­en vom 21. Mai 2002 um ei­ne Wil­lens­erklärung han­delt, hat der Be­klag­te nicht in Ab­re­de ge­stellt und kann es wohl auch nicht. Das genügt.

3. Die in der von der Kläge­rin be­gehr­ten Fest­stel­lung ent­hal­te­ne Ver­pflich­tung des Be­klag­ten er­gibt sich nach der Höhe un­strei­tig aus dem DRK-TV in der Fas­sung des 23. ÄndTV-DRK, in dem die Vergütungs­erhöhun­gen von 2,4 % ab dem 1. Ja­nu­ar 2003 und je­weils 1 % ab dem 1. Ja­nu­ar 2004 und dem 1. Mai 2004 aus dem VTV 35 vom 31. Ja­nu­ar 2003 über­nom­men wor­den sind.

4. Auf die - in der Sa­che be­gründe­te - Rüge des Be­klag­ten, das Lan­des­ar­beits­ge­richt sei zu Un­recht von ei­ner be­trieb­li­chen Übung aus­ge­gan­gen (vgl. da­zu zB die Ent­schei­dung zu ei­nem „Alt­ver­trag” Se­nat 18. April 2007 - 4 AZR 751/06 -) kommt es nicht an, da sich das Ur­teil des Lan­des­ar­beits­ge­richts, so­weit es der Kla­ge aus die­sem Grun­de statt­ge­ge­ben hat, im Streit­fall aus an­de­ren Gründen je­den­falls im Er­geb­nis als zu­tref­fend er­weist.

Aus die­sem Grund be­darf es auch kei­nes Ein­ge­hens auf die von der Kläge­rin in den Vor­in­stan­zen ver­tre­te­ne Auf­fas­sung, die An­wen­dung des VTV 35 er­ge­be sich aus der im DRK-TV an­ge­leg­ten „Ta­rif­au­to­ma­tik” der Im­ple­men­tie­rung der Ta­rif­ab­schlüsse im öffent­li­chen Dienst in das DRK-Ta­rif­werk oh­ne je­den wei­te­ren Über­tra­gungs­akt (vgl. da­ge­gen schon Se­nat 7. Ju­ni 2006 - 4 AZR 272/05 - AP TVG § 1 Nr. 37 = EzA TVG § 1 Aus­le­gung Nr. 43).

C. Die Kos­ten­ent­schei­dung be­ruht auf § 97 Abs. 1, § 91 Abs. 1, § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO. Die Zurück­wei­sung der Re­vi­si­on der Kläge­rin we­gen der teil­wei­sen Un­zulässig­keit des in der Be­ru­fungs­in­stanz ge­stell­ten Fest­stel­lungs­an­tra­ges bleibt kos­tenmäßig un­berück­sich­tigt, weil sie nur ei­nen ge­ringfügi­gen An­teil des ge­sam­ten Streit­ge­gen­stan­des be­trifft.


Be­p­ler 

Wol­ter 

Creutz­feldt
 


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Günther 

Görgens

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