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ARBEITSRECHT AKTUELL // 15/223

Kün­di­gung in der Pro­be­zeit

Pro­be­zeit kann durch be­wusst lan­ge Kün­di­gungs­frist ver­län­gert wer­den: Lan­des­ar­beits­ge­richt Ba­den-Würt­tem­berg, Ur­teil vom 06.05.2015, 4 Sa 94/14
Abrisskalender Kün­di­gungs­schutz gibt es erst ab sechs­mo­na­ti­ger Be­schäf­ti­gung

18.08.2015. Ein Ar­beit­ge­ber­wech­sel er­öff­net nicht nur die Chan­ce auf ei­nen Neu­an­fang und ei­nen Auf­stieg auf der Kar­rie­re­lei­ter, son­dern birgt auch Ri­si­ken wie die Ge­fahr ei­ner Pro­be­zeit­kün­di­gung.

Denn in der Pro­be­zeit kann der Ar­beit­ge­ber dem Ar­beit­neh­mer frei kün­di­gen. Erst nach sechs Mo­na­ten kann der Ar­beit­neh­mer auf­at­men, denn dann ist die War­te­zeit nach dem Kün­di­gungs­schutz­ge­setz (KSchG) ab­ge­lau­fen. Dann erst greift der Kün­di­gungs­schutz (in Be­trie­ben ab 11 Ar­beit­neh­mern) und der Job für die Zu­kunft re­la­tiv si­cher.

Das Lan­des­ar­beits­ge­richt (LAG) Ba­den-Würt­tem­berg hat in ei­ner ak­tu­el­len Ent­schei­dung aber klar­ge­stellt, dass der Ar­beit­ge­ber die Pro­be­zeit durch ei­ne be­wusst lan­ge Kün­di­gungs­frist ver­län­gern kann, wenn er da­durch dem Ar­beit­neh­mer ei­ne zwei­te Chan­ce zur Be­wäh­rung ein­räu­men will: LAG Ba­den-Würt­tem­berg, Ur­teil vom 06.05.2015, 4 Sa 94/14.

Wann ist ei­ne Kündi­gung während der Pro­be­zeit un­wirk­sam?

Nach Ab­lauf der ge­setz­li­chen Pro­be­zeit können Ar­beit­ge­ber nach dem KSchG nur kündi­gen, wenn sie dafür ei­nen be­triebs­be­ding­ten und/oder per­so­nen­be­ding­ten und/oder ver­hal­tens­be­ding­ten Grund ha­ben. Nur dann ist die Kündi­gung "so­zi­al ge­recht­fer­tigt". Kündigt der Ar­beit­ge­ber oh­ne Grund ist die Kündi­gung un­wirk­sam.

Das KSchG ist je­doch nur in Be­trie­ben mit mehr als zehn Ar­beit­neh­mern (§ 23 KSchG) an­wend­bar und auch nur dann, wenn das Ar­beits­verhält­nis min­des­tens sechs Mo­na­te be­stan­den hat (§ 1 Abs.1 KSchG).

Die­se Zeit des War­tens auf die An­wend­bar­keit des KSchG („War­te­zeit“) wird oft als Pro­be­zeit be­zeich­net, weil auch ei­ne ver­trag­lich ver­ein­bar­te Pro­be­zeit im Sin­ne von § 622 Abs.3 Bürger­li­ches Ge­setz­buch (BGB) meist sechs Mo­na­te beträgt und da­her zu­gleich mit der War­te­zeit nach dem KSchG abläuft.

Ist das KSchG an­wend­bar, trägt der Ar­beit­ge­ber auch die Be­weis­last für die Wirk­sam­keit sei­ner Kündi­gung (§ 1 Abs. 2 Satz 4 KSchG). An­ders ist es während der Pro­be­zeit. In die­ser Zeit muss der Ar­beit­neh­mer den Nach­weis führen, dass die Kündi­gung un­wirk­sam ist. Zu­dem kann der Ar­beit­ge­ber dem Ar­beit­neh­mer während ei­ner ver­ein­bar­ten Pro­be­zeit auch mit ei­ner verkürz­ten Frist von zwei Wo­chen kündi­gen (§ 622 Abs.3 BGB).

Für den Ar­beit­neh­mer, der die Kündi­gung nicht ak­zep­tie­ren möch­te, wird es da­bei vor Ge­richt meist eng: Wenn kei­ne Spe­zi­al­vor­schrif­ten des "Son­derkündi­gungs­schut­zes" an­zu­wen­den sind (Bei­spiel: Schwan­ger­schaft), kann sich der gekündig­te Ar­beit­neh­mer nur dar­auf be­ru­fen, dass die Kündi­gung "sit­ten­wid­rig" (§ 138 BGB), dis­kri­mi­nie­rend (§ 7 All­ge­mei­nes Gleich­be­hand­lungs­ge­setz - AGG) oder gemäß § 242 BGB treu­wid­rig ist.

Sit­ten- und treu­wid­rig können Kündi­gun­gen in der Pro­be­zeit sein,

  • die der Ar­beit­ge­ber kurz vor Ab­lauf der War­te­zeit aus­spricht, nur um die An­wend­bar­keit des KSchG zu ver­hin­dern, oder
  • die der Ar­beit­ge­ber kurz vor Ab­lauf der War­te­zeit mit ei­ner "sehr lan­gen" Kündi­gungs­frist erklärt. Denn dann will sich der Ar­beit­ge­ber viel­leicht gar nicht wirk­lich vom Ar­beit­neh­mer tren­nen, son­dern oh­ne An­wend­bar­keit der Vor­schrif­ten des KSchG wei­ter beschäfti­gen. Das wäre nicht zulässig, da er da­durch auf Kos­ten des Ar­beit­neh­mers das KSchG um­geht.

Doch um­geht ein Ar­beit­ge­ber das KSchG auch dann, wenn er die Kündi­gung vor Ab­lauf der Pro­be­zeit mit ei­ner Frist von "nur" drei Mo­na­ten erklärt, um dem Ar­beit­neh­mer ei­ne zwei­te Bewährungs­chan­ce ein­zuräum­en?

Der Streit­fall: Ar­beit­neh­mer wird noch während der Pro­be­zeit mit drei­mo­na­ti­ger Kündi­gungs­frist gekündigt

Ein ba­den-würt­tem­ber­gi­scher Ver­triebs­mit­ar­bei­ter hat­te während der Pro­be­zeit noch kei­ne neu­en Kun­den für den Ver­trieb ak­qui­rie­ren können. Da­her sah sein Ar­beit­ge­ber die Pro­be­zeit als nicht be­stan­den an und kündig­te ihm noch vor Ab­lauf der Pro­be­zeit.

Zu­gleich woll­te der Ar­beit­ge­ber dem Ver­trieb­ler aber ei­ne zwei­te Chan­ce ge­ben, sei­ne Qua­litäten in der Kun­den­ak­qui­se un­ter Be­weis zu stel­len. Des­halb kündig­te er dem Ar­beit­neh­mer nicht zum nächstmögli­chen Zeit­punkt, d.h. mit ei­ner zweiwöchi­gen Frist nach Zu­gang der Kündi­gung, son­dern mit ei­ner un­gewöhn­lich lan­gen Kündi­gungs­frist von drei Mo­na­ten. Soll­te sich der Ver­triebs­mit­ar­bei­ter in die­ser Zeit bewähren, hätte der Ar­beit­ge­ber das Ar­beits­verhält­nis wei­ter verlängert. Ei­ne ver­bind­li­che Wie­der­ein­stel­lungs­zu­sa­ge gab es je­doch nicht.

Statt neue Kun­den zu wer­ben zog der Ar­beit­neh­mer vor das Ar­beits­ge­richt Stutt­gart und er­hob Kündi­gungs­schutz­kla­ge. Die­ses be­wer­te­te die Kündi­gung als wirk­sam (Ur­teil vom 02.10.2014, 6 Ca 1800/14). Da­ge­gen leg­te der Ver­triebs­mit­ar­bei­ter Be­ru­fung ein.

LAG Ba­den-Würt­tem­berg: Pro­be­zeit kann durch be­wusst lan­ge Kündi­gungs­frist verlängert wer­den

Das LAG Ba­den-Würt­tem­berg hat sich der Auf­fas­sung des Ar­beits­ge­richts Stutt­gart an­ge­schlos­sen und die Kündi­gung für wirk­sam erklärt.

Zwar kann laut LAG Ba­den-Würt­tem­berg ei­ne Kündi­gung vor Ab­lauf der Pro­be­zeit un­wirk­sam sein, wenn der Ar­beit­ge­ber das Ar­beits­verhält­nis durch be­wusst sehr lan­ge Kündi­gungs­fris­ten ei­gent­lich gar nicht be­en­den, son­dern nur die An­wend­bar­keit des KSchG ver­hin­dern will. Al­ler­dings lag ein sol­cher Aus­nah­me­fall hier, so das LAG, nicht vor.

Da­bei be­rief sich das LAG Ba­den-Würt­tem­berg auf ein Ur­teil des Bun­des­ar­beits­ge­richts (BAG). Da­nach ist ein ("über­schau­bar" lan­ges) Über­schrei­ten der ge­setz­li­chen und/oder ta­rif­li­chen Kündi­gungs­fris­ten bei ei­ner Kündi­gung kurz vor Ab­lauf der Sechs­mo­nats­frist möglich, wenn die Frist­verlänge­rung nicht ein­sei­tig im In­ter­es­se des Ar­beit­ge­bers liegt (BAG, Ur­teil vom 07.03.2002, 2 AZR 93/01).

Im Fall des LAG Ba­den-Würt­tem­berg er­gab sich aber be­reits aus dem Kündi­gungs­schrei­ben, dass der Ar­beit­ge­ber dem Ver­triebs­mit­ar­bei­ter ei­ne zwei­te Chan­ce ge­ben woll­te, ob­wohl er aus Sicht des Ar­beit­ge­bers die Pro­be­zeit ei­gent­lich nicht be­stan­den hat­te.

Da­her lag, so das LAG, die un­gewöhn­lich lan­ge Kündi­gungs­frist nicht nur im In­ter­es­se des Ar­beit­ge­bers. Viel­mehr woll­te der Ar­beit­ge­ber durch das "Hin­aus­schie­ben" der Kündi­gung auch auf die In­ter­es­sen des Ar­beit­neh­mers Rück­sicht neh­men. Die fak­ti­sche Verlänge­rung der Pro­be­zeit um drei Mo­na­te stellt al­so kei­ne Um­ge­hung des KSchG dar und ist zulässig.

Fa­zit: Ar­beit­ge­ber, die kurz vor Ab­lauf der ge­setz­li­chen War­te­zeit mit ei­ner Frist von drei oder vier Mo­na­ten kündi­gen, ris­kie­ren im All­ge­mei­nen nicht, dass die Kündi­gung ge­richt­lich an­greif­bar ist. Voll­kom­men auf der si­che­ren Sei­te sind Ar­beit­ge­ber dann, wenn sie im Kündi­gungs­schrei­ben mit­tei­len, dem Ar­beit­neh­mer ei­ne wei­te­re Chan­ce der Bewährung ge­ben zu wol­len.

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Letzte Überarbeitung: 16. November 2020

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