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LAG Baden-Württemberg, Urteil vom 06.05.2015, 4 Sa 94/14
Schlagworte: | Kündigung: Probezeit, EU-Grundrechtscharta, Probezeit, Wartezeit, Probezeitkündigung | |
Gericht: | Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg | |
Aktenzeichen: | 4 Sa 94/14 | |
Typ: | Urteil | |
Entscheidungsdatum: | 06.05.2015 | |
Leitsätze: | ||
Vorinstanzen: | Arbeitsgericht Stuttgart, 6 Ca 1800/14 | |
Ausfertigung
Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg
Aktenzeichen:
4 Sa 94/14
6 Ca 1800/14 ArbG Stuttgart
(Bitte bei allen Schreiben angeben!)
Verkündet am 06.05.2015
Haupt
Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
Im Namen des Volkes
Urteil
In der Rechtssache
- Kläger/Berufungskläger -
Proz.-Bev.:
gegen
- Beklagte/Berufungsbeklagte -
Proz.-Bev.:
hat das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg - 4. Kammer - durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Stöbe, den ehrenamtlichen Richter Ruoff und die ehrenamtliche Richterin Schweizer auf die mündliche Verhandlung vom 06.05.2015
für Recht erkannt:
1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Stuttgart vom 02.10.2014 (6 Ca 1800/14) wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten der Berufung zu tragen.
3. Die Revision wird nicht zugelassen.
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Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer von der Beklagten noch während der Wartezeit des § 1 Abs. 1 KSchG ausgesprochenen Kündigung des Arbeitsverhältnisses des Klägers, sowie über die Weiterbeschäftigung des Klägers.
Wegen des erstinstanzlich unstreitigen und streitigen Parteivorbringens sowie der erstinstanzlich gestellten Anträge wird gemäß § 69 Abs. 2, 3 Satz 2 ArbGG auf den Tatbestand des arbeitsge-richtlichen Urteils Bezug genommen.
Das Arbeitsgericht hat die Klage mit Urteil vom 02.10.2014 abgewiesen. Es führte zur Begründung aus, der Kläger habe mangels Vollendung der Wartezeit noch keinen Kündigungsschutz nach dem Kündigungsschutzgesetz gehabt. Dass die Beklagte nicht mit der gesetzlichen Min-destkündigungsfrist gekündigt habe, sondern das Arbeitsverhältnis mit einer längeren Kündigungsfrist von 3 Monaten zum Monatsende beendet habe, stelle keine funktionswidrige Umgehung des Kündigungsschutzgesetzes dar. Die Verlängerung der Kündigungsfrist sei nicht aus überwiegendem Arbeitgeberinteresse erfolgt. Vielmehr ergebe sich aus dem Kündigungsschreiben, dass die Beklagte dem Kläger eine Bewährungschance haben geben wollen. Eine feste und verbindliche Wiedereinstellungszusage sei hierfür nicht erforderlich gewesen.
Dieses Urteil wurde der Klägerseite am 03.12.2014 zugestellt. Hiergegen richtet sich die vorlie-gende Berufung des Klägers, die am 22.12.2014 beim Landesarbeitsgericht einging und zugleich begründet wurde.
Der Kläger rügt eine fehlerhafte Rechtsanwendung.
Er meint, aus der Entscheidung des BAG vom 07.03.2002 (2 AZR 93/01 - AP BGB § 620 Aufhe-bungsvertrag Nr. 22) ergebe sich, dass mit einer längeren als der gesetzlichen Mindestkündigungsfrist nur gekündigt werden dürfe, wenn dem Arbeitnehmer eine Bewährungschance eingeräumt werde und für den Fall einer Bewährung eine Wiedereinstellung „verbindlich“ zugesagt werde. Anderenfalls läge eine unzulässige Gesetzesumgehung vor. Dass die Verlängerung der Kündigungsfrist vorliegend im überwiegenden Arbeitgeberinteresse gelegen habe, ergebe sich
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auch aus der Freistellungsanordnung ab 16.05.2014, mit welcher eine Bewährungsmöglichkeit gerade abgeschnitten worden sei.
Der Kläger beantragt:
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Stuttgart vom 02.10.2014 zu Aktenzeichen 6 Ca 1800/14 abgeändert.
1. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien aufgrund der Kündigungserklärung der Beklagten vom 26.02.2014 nicht mit Ablauf des 31.05.2014 endete, sondern fortbesteht.
2. Die Berufungsbeklagte/Beklagte wird verurteilt, den Kläger über den 31.05.2014 hin-aus als Account Manager im Bereich Business Development und Vertrieb zu einem Bruttomonatsentgelt von 3.800,00 € sowie zu den Bedingungen des Arbeitsvertrages zwischen den Parteien vom 24.06.2013 weiter zu beschäftigen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt das arbeitsgerichtliche Urteil im Wesentlichen unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird gem. § 64 Abs. 7 ArbGG iVm. § 313 Abs. 2 Satz 2 ZPO auf den Inhalt der zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die Protokolle der mündlichen Verhandlungen verwiesen.
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Entscheidungsgründe
Die statthafte, form- und fristgerecht eingelegte und auch im Übrigen zulässige Berufung ist nicht begründet.
I.
Das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis wurde durch die streitgegenständliche Kündigung vom 26.02.2014 zum 31.05.2014 beendet.
Das Arbeitsgericht hat völlig zutreffend ausgeführt, dass der Kläger mangels Vollendung der Wartezeit des § 1 Abs. 1 KSchG zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung noch keinen Kündigungsschutz nach dem Kündigungsschutzgesetz hatte. Eine missbräuchliche und funktionswidrige Umgehung des Kündigungsschutzgesetzes liegt nicht vor. Insoweit wird zur Meidung von Wiederholungen gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG vollumfänglich auf die Entscheidungsgründe des arbeits-gerichtlichen Urteils Bezug genommen. Die Kammer macht sich diese Begründung ausdrücklich zu eigen.
Lediglich in Auseinandersetzung mit der Berufungsbegründung sind nachfolgende Anmerkungen veranlasst:
1. Während der Wartezeit des § 1 Abs. 1 KSchG besteht für den Arbeitgeber Kündigungsfreiheit. Der Arbeitnehmer ist während dieses Zeitraums lediglich vor einer sitten- oder treuwidrigen Ausübung des Kündigungsrechts des Arbeitgebers geschützt (BAG 22. April 2010 - 6 AZR 828/08 - EzA-SD 2010 Nr. 12, 3-6; BAG 16. September 2004 - 2 AZR 447/03 - AP BGB § 611 Kirchendienst Nr. 44; BAG 7. März 2002 - 2 AZR 93/01 - AP BGB § 620 Aufhebungsvertrag Nr. 22; HaKo/Mayer 5. Aufl. § 1 KSchG Rn. 71). Eine solche treuwidrige Ausübung des Kündi-gungsrechts liegt zum Beispiel dann vor, wenn die Kündigung kurz vor Ablauf der Wartezeit er-klärt wird, um den Erwerb des allgemeinen Kündigungsschutzes zu vereiteln. In diesen Fällen ist der Arbeitnehmer in entsprechender Anwendung von § 162 BGB so zu behandeln als wäre die Wartezeit bereits erfüllt. Jedoch kommt eine solche analoge Anwendung von § 162 BGB erst dann in Betracht, wenn das Vorgehen des Arbeitgebers unter Berücksichtigung der im
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Einzelfall gegebenen Umstände gegen Treu und Glauben verstößt (BAG 5. März 1987 - 2 AZR 187/86 - juris). Die Annahme einer solchen Treuwidrigkeit setzt aber das Vorliegen weiterer Umstände voraus, die Rückschlüsse auf einen solchen Vereitelungswillen zulassen (BAG 5. März 1987 aaO; APS/Dörner/Vossen 4. Aufl. § 1 KSchG Rn. 34; KR/Griebeling 10. Aufl. § 1 KSchG Rn. 103). Die Annahme einer Treuwidrigkeit in entsprechender Anwendung von § 162 BGB basiert nämlich auf dem Gedanken der Gesetzesumgehung und setzt voraus, dass Sinn und Zweck der Wartezeit umgangen wird. Dies liegt insbesondere dann vor, wenn sich der Arbeitgeber (zumindest vorerst) eigentlich gar nicht vom Arbeitnehmer trennen will, sondern lediglich den Eintritt des Kündigungsschutzes verhindern will (Krause in von Hoyningen-Huene/Linck KSchG 15. Aufl. § 1 Rn. 108). Dies wiederum kann angenommen werden, wenn der Arbeitgeber die Kündigung mit einer sehr langen Kündigungsfrist ausspricht (Krause in von Hoyningen-Huene/Linck KSchG 15. Aufl. § 1 Rn. 108; APS/Dörner/Vossen 4. Aufl. § 1 KSchG Rn. 34), also nicht zum erstmöglichen Termin nach der Wartezeit kündigt (HaKo/Mayer 5. Aufl. § 1 KSchG Rn. 71), sondern zu einem wesentlich späteren Termin (KR/Grüneberg 10. Aufl. § 1 KSchG Rn. 10). Weil maßgebliches Kriterium ist, ob die längere Kündigungsfrist funktionswidrig zum Zwecke der Kündigungsschutzumgehung eingesetzt wurde, ist wie beim Aufhebungsvertrag darauf abzustellen, ob durch den Regelungsgehalt eine alsbaldige Beendigung des Arbeitsverhältnisses beabsichtigt ist oder vielmehr nur eine befristete Fortsetzung (Krause in von Hoyningen-Huene/Linck 15. Aufl. § 1 KSchG Rn. 108). Denn wenn sich der Arbeitgeber vom Arbeitnehmer eigentlich gar nicht trennen will, dann liegt ein treuwidriger Einsatz der Warte-zeitkündigung vor (Krause in von Hoyningen-Huene/Linck 15. Aufl. Rn. 108).
Im Zusammenhang mit einem Aufhebungsvertrag hat das BAG - wie von den Parteien richtig ausgeführt - konstatiert, dass eine Kündigung mit einer überschaubar langen Kündigungsfrist, die, wenn sie zumindest unterhalb der längst möglichen gesetzlichen oder tariflichen Kündigungsfrist liegt, zulässig ist, wenn dem Arbeitnehmer über eine Wiedereinstellungszusage die Chance zur Bewährung eingeräumt wird. Für diesen Fall hat das BAG ausgeführt, dass eine Überschreitung der Mindestkündigungsfrist nicht mehr in alleinigem oder überwiegendem Interesse des Arbeitgebers läge (BAG 7. März 2002 aaO). Daraus ist zu entnehmen, dass Überschreitungen der Mindestkündigungsfrist lediglich dann als Umstände für die Annahme eines Umgehungswillens geeignet sind, wenn sie im alleinigen oder überwiegenden Arbeitgeberinteresse liegen.
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2. Unter Anwendung dieser Grundsätze kann vorliegend von einer treuwidrigen Vereitelung des Eintritts des allgemeinen Kündigungsschutzes keine Rede sein.
a) Die Beklagte hat im Kündigungsschreiben ausdrücklich ausgeführt, dass der Kläger (jeden-falls aus Sicht der Beklagten) die Probezeit nicht bestanden habe, was angesichts der un-bestrittenen Fehlanzeige bei der Kundenakquise keineswegs willkürlich erscheint.
Ebenfalls ist im Kündigungsschreiben ausdrücklich ausgeführt, dass die Beklagte dem Kläger mit der langen Kündigungsfrist eine Bewährungschance gewähren möchte und die Be-klagte für den Fall der Bewährung bereit wäre, mit dem Kläger über einen anschließenden neuen Arbeitsvertrag zu sprechen.
Durch die Einräumung einer Bewährungschance lag die verlängerte Kündigungsfrist weder ausschließlich noch überwiegend im Interesse der Beklagten. Vielmehr hat die Beklagte überwiegend Rücksichtnahme auf die beruflichen und sozialen Belange des Klägers nehmen wollen.
Entgegen der Auffassung des Klägers musste die Beklagte dem Kläger auch keine „verbindliche“ und „feste“ Wiedereinstellungszusage geben, um die Annahme eines ausschließlichen oder überwiegenden Eigeninteresses auszuschließen. Zum einen liegt auch bei „verbindlichen“ Wiedereinstellungszusagen die Beurteilung der Bewährung im Ermessen des Arbeitgebers. Nichts anderes wollte die Beklagte auch vorliegend. Sie wollte dem Kläger die weitergehende Chance geben, die Beklagte in ihrer Einschätzung von seinen Qualitäten zu überzeugen, um doch noch zu einer Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses gelangen zu kön-nen. Außerdem verkennt der Kläger, dass, wie oben ausgeführt, eine Treuwidrigkeit allenfalls dann angenommen werden kann, wenn der Arbeitgeber eigentlich keine Beendigungsabsicht, sondern tatsächlich eine (ggf. befristete) Fortsetzungsabsicht hat und lediglich zur Vermeidung eines künftigen Kündigungsschutzes „verfrüht“ kündigt. Davon kann aber auch bei Einräumung einer bloßen Wiedereinstellungschance bei weitem keine Rede sein. Anhaltspunkte, dass die Beklagte unter bloßem Vorwand der Einräumung einer Weiterbeschäftigungschance tatsächlich andere eigennützige Ziele, vor allem zur Verhinderung des Kündigungsschutzes des Klägers, verfolgt hätte, sind nicht ersichtlich.
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b) Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der in der Kündigung ausgesprochenen Freistellung ab 16.05.2014 bis 31.05.2014. Damit wollte die Beklagte lediglich die unstreitig bestehenden Urlaubsansprüche des Klägers noch erfüllen, damit diese nicht nach Ablauf der Kündigungsfrist auch noch abgegolten werden müssten. Auch dies hat die Beklagte im Kündigungsschreiben ausdrücklich ausgeführt. Dem Kläger blieb zwischen frühest möglichem Beendigungstermin 12.03.2014 bis zur Freistellung ab 16.05.2015 ausreichend Zeit zur weiteren Bewährung. Er hat sie aus Sicht der Beklagten lediglich weiterhin nicht genutzt. Er hat weiterhin keinerlei Kundenaufträge akquirieren können.
II.
Es ist davon auszugehen, dass der Weiterbeschäftigungsantrag lediglich hilfsweise für den Fall des Obsiegens mit dem Kündigungsschutzantrag hat gestellt werden sollen. Dieser Antrag ist somit nicht zur Entscheidung angefallen.
III. Nebenentscheidungen
1. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO.
2. Gründe für eine Revisionszulassung gemäß § 72 Abs. 2 ArbGG liegen nicht vor.
Rechtsmittelbelehrung
Gegen dieses Urteil ist ein Rechtsmittel nicht gegeben. Auf § 72a ArbGG wird hingewiesen.
Stöbe
Ruoff
Schweizer
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