HENSCHE RECHTSANWÄLTE, FACHANWALTSKANZLEI FÜR ARBEITSRECHT

ARBEITSRECHT AKTUELL // 09/073

Frist­lo­se Kün­di­gung we­gen Kör­per­ver­let­zung ei­ner Ar­beits­kol­le­gin au­ßer­halb der Dienst­zei­ten

Ei­ne Mes­ser­at­ta­cke ge­gen ei­nen Kol­le­gen "in der Frei­zeit" be­rech­tigt den Ar­beit­ge­ber zur frist­lo­sen Kün­di­gung: Lan­des­ar­beits­ge­richt Schles­wig-Hol­stein, Ur­teil vom 06.01.2009, 5 Sa 313/08
Verkehrsunfall mit verletzter Frau und Sanitätern im Vordergrund So­weit soll­te es bei Strei­tig­kei­ten un­ter Kol­le­gen nicht kom­men...

04.05.2009. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt (LAG) Schles­wig-Hol­stein hat in ei­ner ak­tu­el­len Ent­schei­dung die au­ßer­or­dent­li­che frist­lo­se Kün­di­gung ei­nes Ar­beit­neh­mers für rech­tens er­klärt.

Der ge­kün­dig­te Ar­beit­neh­mer hat­te au­ßer­halb der Ar­beits­zeit sei­ne im sel­ben Be­trieb be­schäf­tig­te Ex-Frau nie­der­ge­sto­chen und da­bei schwer ver­letzt, wo­für er zu ei­ner Be­wäh­rungs­stra­fe ver­ur­teilt wor­den war.

Vor dem LAG half es dem Ar­beit­neh­mer auch nicht, dass er sich für sei­ne Tat spä­ter ent­schul­digt hat­te: LAG Schles­wig-Hol­stein, Ur­teil vom 06.01.2009, 5 Sa 313/08.

Kann der Ar­beit­ge­ber we­gen ei­nes schwe­rer Ge­walt­de­likts kündi­gen, wenn das De­likt außer­halb der Ar­beits­zeit verübt wur­de?

Verstößt ein Ar­beit­neh­mer ge­gen sei­ne ar­beits­ver­trag­li­chen Pflich­ten, so kann dies in schwer­wie­gen­de­ren Fällen ei­ne ver­hal­tens­be­ding­te Kündi­gung recht­fer­ti­gen. Er­for­der­lich ist da­bei im­mer, dass das Ver­hal­ten an sich ge­eig­net ist, ei­nen Kündi­gungs­grund dar­zu­stel­len, die Kündi­gung das letz­te Mit­tel ist und ei­ne Abwägung der In­ter­es­sen von Ar­beit­neh­mer und Ar­beit­ge­ber zu Las­ten des Ar­beit­neh­mers ausfällt.

Ist der Pflicht­ver­s­toß so gra­vie­rend, dass dem Ar­beit­ge­ber nicht ein­mal mehr die Wei­ter­beschäfti­gung des Ar­beit­neh­mers bis zum Ab­lauf der or­dent­li­chen Kündi­gung zu­zu­mu­ten ist, kann er dem Ar­beit­neh­mer frist­los kündi­gen.

Dies geht un­ter Umständen selbst dann, wenn der Pflicht­ver­s­toß dem Ar­beit­neh­mer nicht nach­ge­wie­sen ist. Der Ar­beit­ge­ber muss dann al­ler­dings ver­su­chen, das Ge­sche­hen zu er­mit­teln und den Ar­beit­neh­mer da­zu anhören.

Be­steht auch da­nach noch ein drin­gen­der Ver­dacht ge­gen den Ar­beit­neh­mer, kann ei­ne so ge­nann­te Ver­dachtskündi­gung ge­recht­fer­tigt sein, wenn schon durch den bloßen Ver­dacht das Ver­trau­ens­verhält­nis zu dem Ar­beit­ge­ber zerstört ist. Ty­pi­scher­wei­se ist dass der Fall, wenn der Ar­beit­neh­mer Straf­ta­ten zu Las­ten des Ar­beit­ge­bers, von Geschäfts­part­nern oder sei­ner Kol­le­gen verdäch­tig ist.

Da­ge­gen stel­len außer­dienst­lich be­gan­ge­ne Pflicht­verstöße, auch Straf­ta­ten, grundsätz­lich kei­nen Kündi­gungs­grund dar. Sie un­ter­fal­len der Pri­vat­sphäre des Ar­beit­neh­mers. Et­was an­de­res gilt je­doch dann, wenn sich das außer­dienst­li­che Ver­hal­ten kon­kret in­ner­be­trieb­lich aus­wirkt, d.h. wenn da­durch das Ar­beits­verhält­nis kon­kret be­las­tet wird.

Frag­lich ist die Be­ur­tei­lung, wenn zwar ein Kol­le­ge Geschädig­ter der außer­dienst­lich be­gan­ge­nen Straf­tat ist, die Straf­tat je­doch da­mit, dass Täter und Op­fer Kol­le­gen sind, gar nichts zu tun hat.

Um ei­nen der­ar­ti­gen Fall geht es in der vor­lie­gen­den Ent­schei­dung des Lan­des­ar­beits­ge­richts (LAG) Schles­wig-Hol­stein (Ur­teil vom 06.01.2009, 5 Sa 313/08).

Der Streit­fall: Ar­bei­ter sticht in der Frei­zeit sei­ne Ex-Frau nie­der, die im sel­ben Be­trieb beschäftigt ist

Der 40jähri­ge Kläger war bei der Be­klag­ten seit 2001 als Ta­bak­ar­bei­ter beschäftigt.

Sei­ne Ex-Frau, von der er da­mals schon seit zwei Jah­ren ge­trennt leb­te, ar­bei­te­te eben­falls bei der Be­klag­ten, al­ler­dings zu an­de­ren Schich­ten.

En­de No­vem­ber 2007 ent­brann­te zwi­schen dem Kläger und sei­ner Ex-Frau Streit. Der Kläger warf sei­ner Ex-Frau vor, sich nicht genügend um den ge­mein­sa­men Sohn zu kümmern. Als der Kläger er­fuhr, dass sei­ne Ex-Frau an ei­ner ge­mein­sa­men Weih­nachts­fei­er ih­rer Pro­duk­ti­ons­schicht in ei­nem grie­chi­schen Re­stau­rant teil­neh­men würde statt den Sohn zu be­treu­en, es­ka­lier­te die Si­tua­ti­on.

Der Kläger lau­er­te sei­ner Ex-Frau des­halb nach der Weih­nachts­fei­er ge­gen zwei Uhr nachts vor dem Haus ih­rer Freun­din mit ei­nem Küchen­mes­ser auf. Nach sei­ner ei­ge­nen Ein­las­sung hat­te er das Mes­ser mit­ge­nom­men, um sei­ne Ex-Frau bei de­ren Ein­tref­fen zu be­dro­hen und ihr Angst ein­zu­ja­gen. Als die­se er­war­tungs­gemäß ein­traf, be­schimpf­te er sie, zog sie an den Haa­ren und stach mehr­fach auf sie ein. Sei­ne Ex-Frau er­litt da­durch ei­ne Schnitt­wun­de, die bis zum Kno­chen des Schul­ter­blat­tes reich­te und wei­te­re Schnitt­ver­let­zun­gen im Be­reich der Wir­belsäule.

Die Ex-Frau des Klägers ist seit dem An­griff ar­beits­unfähig krank. Sie hat­te während der Mes­ser­at­ta­cke To­des­angst, lei­det psy­chisch im­mer noch un­ter dem An­griff und fürch­tet zu­dem wei­te­re An­grif­fe des Klägers.

Nach­dem die Be­klag­te von dem Vor­fall er­fah­ren hat­te, stell­te sie den Kläger un­ter Fort­zah­lung sei­ner Bezüge von der Ar­beits­leis­tung frei und bemühte sich um Aufklärung des Sach­ver­hal­tes. Bei ei­ner Anhörung des Klägers durch die Be­klag­te ließ sich die­ser da­hin­ge­hend ein, er sei über die Teil­nah­me sei­ner Ehe­frau an der Fei­er verärgert ge­we­sen und ha­be die­se zwei­mal mit dem Mes­ser in die Schul­ter „ge­piekst“.

Nach Anhörung des Be­triebs­ra­tes kündig­te die Be­klag­te dem Kläger frist­los am 18.02.2008.

Hier­ge­gen er­hob der Kläger Kündi­gungs­schutz­kla­ge.

Zwi­schen­zeit­lich wur­de der Kläger für die Tat zu ei­ner einjähri­gen Frei­heits­stra­fe auf Bewährung ver­ur­teilt. Ne­ben der Teil­nah­me an The­ra­pie­gesprächen würde ihm zur Bewährungs­auf­la­ge ge­macht, sich von sei­ner Ex-Frau fern zu hal­ten. Der Kläger trug vor, er be­dau­re die Tat und ha­be sich bei sei­ner Ex- Frau ent­schul­digt.

Das Ar­beits­ge­richt wies die Kla­ge ab. Es hielt die Kündi­gung für ge­recht­fer­tigt. Dies be­gründet es da­mit, dass bei ei­ner der­ar­tig schwer­wie­gen­den Straf­tat un­ter Kol­le­gen die Be­klag­te ei­ne Fürsor­ge­pflicht ge­genüber der bei ihr ar­bei­ten­den Geschädig­ten trifft, sie vor wei­te­ren Tätlich­kei­ten des Klägers zu schützen.

LAG Schles­wig-Hol­stein: Ei­ne Mes­ser­at­ta­cke ge­gen ei­nen Kol­le­gen "in der Frei­zeit" be­rech­tigt zur frist­lo­sen Kündi­gung

Die­ser An­sicht schloss sich das LAG an und wies die Be­ru­fung des Klägers zurück.

Es hält die frist­lo­se Kündi­gung für rechtmäßig.

Für un­er­heb­lich hält das LAG, dass die Be­klag­te zunächst ei­ne Ver­dachtskündi­gung aus­sprach, dem Kläger je­doch die Tat an­sch­ließend nach­ge­wie­sen wur­de. Zwar sind Ver­dachts- und Tatkündi­gung grundsätz­lich ei­genständi­ge Kündi­gungs­gründe, die Be­klag­te konn­te sich je­doch nachträglich dar­auf be­ru­fen, dass die Tat dem Kläger nach­ge­wie­sen wor­den war. 

Die Rechtmäßig­keit der frist­lo­sen Kündi­gung be­gründet das LAG da­mit, dass sich, da­durch dass der Kläger und sei­ne Ex-Frau Kol­le­gen wa­ren, die außer­halb der Dienst­zeit be­gan­ge­ne Tat des Klägers in­ner­be­trieb­lich aus­ge­wirkt hat. Die in­ner­be­trieb­li­chen Aus­wir­kun­gen er­ge­ben sich laut LAG schon da­durch, dass die Ex-Frau des Klägers durch die Tat ar­beits­unfähig krank wur­de und da­mit auch der Be­triebs­ab­lauf bei der Be­klag­ten gestört wur­de. Zu­dem berück­sich­tigt das LAG, dass bei ei­ner der­ar­ti­gen Tat un­ter Kol­le­gen der Be­triebs­frie­den gestört wird. 

Das LAG stellt klar, dass auch ein mil­de­res Mit­tel vor­lie­gend nicht vor­ran­gig sein kann. Denn die Tat des Klägers ist, so das LAG, ei­ne der­art schwe­re Pflicht­ver­let­zung, dass der Kläger nicht da­von aus­ge­hen konn­te, dass er zunächst et­wa nur ei­ne Ab­mah­nung er­hiel­te.

Sch­ließlich hält das LAG die Kündi­gung auch für verhält­nismäßig. Es be­tont zunächst, dass es zu­guns­ten des Klägers zwar des­sen Beschäfti­gungs­dau­er seit 2001 bei der Be­klag­ten berück­sich­tigt, je­doch nicht die der­zei­ti­ge schlech­te Ar­beits­markt­si­tua­ti­on berück­sich­ti­gen könne. Zu Las­ten des Klägers führt das LAG ins­be­son­de­re die Schwe­re der Tat und die er­heb­li­chen Fol­gen für des­sen Ex-Frau an.

Es be­tont, dass die Tat des Klägers ge­plant ge­we­sen sei. Ins­be­son­de­re die Bewährungs­auf­la­gen des Klägers, sich sei­ner Frau nicht zu nähern, zeigt für das Ge­richt, dass die Ex-Frau des Klägers befürch­ten muss, von dem Kläger auch zukünf­tig nicht in Ru­he ge­las­sen zu wer­den. Auch die große Angst, die die Ex-Frau des Klägers als Fol­ge der Tat er­litt und die des­halb not­wen­dig ge­wor­de­ne psy­chi­sche Be­hand­lung las­tet das LAG dem Kläger an.

Es scheint selbst­verständ­lich zu sein, dass hier die vom Kläger außer­halb sei­nes Ar­beits­verhält­nis­ses be­gan­ge­ne Straf­tat ei­nen Kündi­gungs­grund dar­stellt, da die gra­vie­ren­den Aus­wir­kun­gen auf die ehe­ma­li­ge Ehe­frau und Kol­le­gin des Klägers und da­mit auch auf das Ar­beits­verhält­nis auf der Hand liegt.

Nicht im­mer ist die Ab­gren­zung von der Pri­vat­sphäre des Ar­beit­neh­mers und ei­nem in­ner­be­trieb­li­chen Be­zug je­doch so ein­fach zu zie­hen. So hat­te das LAG Hamm et­wa über den Fall ei­ner Grund­schul­leh­re­rin zu ur­tei­len, die oh­ne Ne­bentätig­keits­er­laub­nis ei­nen Swin­ger­club ein­sch­ließlich se­xu­el­ler Betäti­gung be­trieb, was nach An­sicht des Ge­richts im kon­kre­ten Fall kei­nen Kündi­gungs­grund dar­stell­te (Ur­teil vom 19.01.2001, 5 Sa 491/00).

In ei­nem an­de­ren Ur­teil des LAG Hamm ging es dar­um, ob die zahl­rei­chen Spiel­bank­be­su­che ei­nes Lei­ters ei­ner Bank­fi­lia­le ei­nen Kündi­gungs­grund dar­stel­len können (Ur­teil vom 14.01.1998, 3 Sa 1087/97), was das Ge­richt grundsätz­lich be­jah­te, im kon­kre­ten Fall je­doch eben­falls ab­lehn­te.

Da­ge­gen ent­schied das LAG Schles­wig-Hol­stein, dass die öffent­li­che „pri­va­te“ Recht­fer­ti­gung der Ter­ror­an­schläge vom 11. Sep­tem­ber ei­ne Kündi­gung recht­fer­tig­ten (Ur­teil vom 06.08.2002, 2 Sa 150/02).

Hier ist im­mer ei­ne im Ein­zel­fall schwie­ri­ge Be­ur­tei­lung zu tref­fen, in­wie­weit ei­ne ei­gent­lich „pri­va­te“ Hand­lung des Ar­beit­neh­mers Aus­wir­kun­gen auf das Ver­trau­en in die Zu­verlässig­keit des Ar­beit­neh­mers und auf das Be­triebs­kli­ma ha­ben kann und wie ge­wich­tig dem­ge­genüber die Pri­vat­sphäre des Ar­beit­neh­mers ist.

Nähe­re In­for­ma­tio­nen fin­den Sie hier:

Letzte Überarbeitung: 14. Juli 2020

Weitere Auskünfte erteilen Ihnen gern:

Dr. Martin Hensche
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Kontakt:
030 / 26 39 620
hensche@hensche.de
Christoph Hildebrandt
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Kontakt:
030 / 26 39 620
hildebrandt@hensche.de
Nina Wesemann
Rechtsanwältin
Fachanwältin für Arbeitsrecht

Kontakt:
040 / 69 20 68 04
wesemann@hensche.de

Bewertung:

Auf Facebook teilen Auf Google+ teilen Ihren XING-Kontakten zeigen Beitrag twittern

 

Für Personaler, betriebliche Arbeitnehmervertretungen und andere Arbeitsrechtsprofis: "Update Arbeitsrecht" bringt Sie regelmäßig auf den neusten Stand der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung. Informationen zu den Abo-Bedingungen und ein kostenloses Ansichtsexemplar finden Sie hier:

Alle vierzehn Tage alles Wichtige
verständlich / aktuell / praxisnah

HINWEIS: Sämtliche Texte dieser Internetpräsenz mit Ausnahme der Gesetzestexte und Gerichtsentscheidungen sind urheberrechtlich geschützt. Urheber im Sinne des Gesetzes über Urheberrecht und verwandte Schutzrechte (UrhG) ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht Dr. Martin Hensche, Lützowstraße 32, 10785 Berlin.

Wörtliche oder sinngemäße Zitate sind nur mit vorheriger schriftlicher Genehmigung des Urhebers bzw. bei ausdrücklichem Hinweis auf die fremde Urheberschaft (Quellenangabe iSv. § 63 UrhG) rechtlich zulässig. Verstöße hiergegen werden gerichtlich verfolgt.

© 1997 - 2024:
Rechtsanwalt Dr. Martin Hensche, Berlin
Fachanwalt für Arbeitsrecht
Lützowstraße 32, 10785 Berlin
Telefon: 030 - 26 39 62 0
Telefax: 030 - 26 39 62 499
E-mail: hensche@hensche.de