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LAG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 17.11.2016, 5 Sa 275/16
Schlagworte: | Kündigung, fristlose Kündigung | |
Gericht: | Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz | |
Aktenzeichen: | 5 Sa 275/16 | |
Typ: | Urteil | |
Entscheidungsdatum: | 17.11.2016 | |
Leitsätze: | ||
Vorinstanzen: | Arbeitsgericht Koblenz, Urteil vom 03.03.2016, 5 Ca 1647/15 | |
Aktenzeichen:
5 Sa 275/16
5 Ca 1647/15
ArbG Koblenz
Verkündet am 17.11.2016
Tenor
1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom 3. März 2016, Az. 5 Ca 1647/15, wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
2. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung.
Der 1968 geborene Kläger ist verheiratet und Vater von zwei Kindern. Der 1943 geborene Beklagte ist sein Schwiegervater. Der Kläger begann 1986 im Natursteinwerk/Steinmetzbetrieb des Beklagten seine Berufsausbildung und wurde als Geselle übernommen. Seit 1994 wird er als Steinmetzmeister zu einem Bruttomonatsentgelt von zuletzt € 4.266,38 beschäftigt. Der Beklagte beschäftigt nicht mehr als fünf Arbeitnehmer. Das Arbeitsverhältnis ist vor dem Hintergrund familiärer Unstimmigkeiten seit einiger Zeit belastet.
Am 09.04.2015 richtete der jetzige Prozessbevollmächtigte des Beklagten folgendes Schreiben an den Kläger:
"…
1. Namens und im Auftrag unseres Mandanten fordern wir Sie auf, unserem Mandanten bis spätestens zum 17.04.2015 schriftlich sämtliche Zugangscodes zu dem von Ihnen genutzten Firmen-PC und allen darauf befindlichen Programmen ... mitzuteilen. Bei Nichtbefolgung müssen Sie mit arbeitsrechtlichen Konsequenzen rechnen.
2. Namens und im Auftrag unseres Mandanten erteilen wir Ihnen hiermit die Weisung, bei Verlassen des Betriebes während der Arbeitszeit mitzuteilen, wie lange Sie voraussichtlich abwesend sein werden. Soweit Sie den Betrieb zu betrieblichen Zwecken verlassen, fordern wir Sie auf, gleichzeitig mitzuteilen, wohin Sie sich begeben. Bei Nichtbeachtung müssen Sie mit arbeitsrechtlichen Konsequenzen rechnen.
3. …
Namens und im Auftrag unseres Mandanten erteilen wir Ihnen hiermit die Weisung, die gesetzlich vorgeschriebenen Ruhepausen einzuhalten. Für den Fall, dass Sie diese Weisung nicht befolgen, müssen Sie mit arbeitsrechtlichen Konsequenzen rechnen.
…
4. Des Weiteren fordern wir Sie auf, es ab sofort zu unterlassen, sich gegenüber den anderen Mitarbeitern abwertend über unseren Mandanten oder den Betrieb zu äußern oder gar die anderen Mitarbeiter gegen unseren Mandanten aufzuwiegeln, insbesondere durch Rundschreiben oder ähnliches.
Aus gegebenem Anlass weisen wir ferner darauf hin, dass es Ihnen selbstverständlich verboten ist, Betriebsgeheimnisse unseres Mandanten zu verraten. Im Fall der Zuwiderhandlung müssen Sie mit arbeitsrechtlichen Konsequenzen rechnen.
5. … Wir weisen ausdrücklich darauf hin, dass der Urlaub für das restliche Jahr 2015, den Sie eigenmächtig im Kalender eingetragen haben, weder beantragt noch genehmigt ist und daher nicht genommen werden darf. Falls Sie Urlaub ohne Genehmigung unseres Mandanten machen sollten, müssen Sie mit arbeitsrechtlichen Konsequenzen rechnen.
Wir fordern Sie auf, Urlaub ab sofort schriftlich zu beantragen. Bitte beachten Sie dabei, dass Ihnen maximal 30 Tage Urlaub pro Jahr zustehen - nicht 49 Tage, wie von Ihnen für das Jahr 2015 im Kalender eingetragen.
…"
Mit Schreiben vom 03.05.2015 antwortete der Kläger dem Beklagten persönlich wie folgt:
"Sehr geehrter Herr C.,
hiermit beantworte ich das Schreiben Ihres Anwalts ... vom 9.4.2015 und bitte die Verzögerung zu entschuldigen.
Für die Punkte 1, 2 und 3 bestätige ich deren Prüfung und lehne diese aufgrund "betrieblicher Übung" ab. Alle drei Punkte wurden seit mind. 10 Jahren in dieser Art ohne jegliche Beschwerde geduldet und sind somit in Gewohnheitsrecht übergegangen [BAG 12.01.1994, 5 AZR 41/93].
Meiner persönlichen Ansicht nach sind diese gewünschten Änderungen auch lediglich der mobbing-nahe Versuch, mich dazu zu zwingen, Ihren völlig überschuldeten Betrieb weiterzuführen bzw. es in der Öffentlichkeit so aussehen zu lassen. Wie bereits mehrfach mitgeteilt, kann ich IHRE Arbeit im Betrieb nur "ergänzen", in keinem Fall "ersetzen"!
Die Privilegien aus der vorliegenden "betrieblichen Übung" lassen sich durch eine Änderungskündigung mit neuen Richtlinien auflösen, jedoch auch erst nach der von mir, in 29 Jahren Betriebszugehörigkeit, erworbenen Kündigungsfrist von sieben Monaten (BAG vom 18. März 2009 10 AZR 281/08 und BAG, Urteil vom 05.08.2009, Az.: 10 AZR 483/08)
Sollten Sie also Änderungen mir gegenüber im Hinblick auf Arbeitsinhalt, Arbeitsort oder Arbeitszeit planen, würden diese erst NACH Änderungskündigung und NACH Ablauf der 7-monatigen Kündigungsfrist wirksam.
…
Gegen eine solche Änderungskündigung würde ich natürlich sofort Kündigungsschutzklage erheben. Hauptgrund wäre Ihre "Arbeitsscheu" der letzten fünf Jahre. Hätten Sie, laienhaft gesprochen, verantwortungsvoll Ihre Arbeit im Betrieb, mit 39 Stunden während der Mitarbeiterarbeitszeiten, wahrgenommen, wäre der Betrieb nicht in einem derart finanziell katastrophalen Zustand und es nicht zu der Änderungskündigung gekommen.
Zu Punkt 4 kann ich ebenfalls nicht zustimmen. Die Mitarbeiter haben und werden von mir keine Betriebsgeheimnisse erfahren, was schon in meinem eigenen Interesse liegt.
…
Das die durch SIE bereitzustellende Arbeit kaum noch für die drei Mitarbeiter ausreicht, sehen sie ebenfalls selbst und wurde bereits 2010 meinerseits Ihnen gegenüber prognostiziert.
Aber daran tragen Sie die Hauptschuld, da Sie Ihre "Chef"-Aufgaben in den letzten fünf Jahren nachweislich sträflich vernachlässigt haben! Dies wäre auch ein weiteres Argument für die oben genannte Kündigungsschutzklage!
…
Von Ihrer hohen privaten Verschuldung habe ich übrigens nachweislich im privaten Umfeld ausserhalb des Arbeitsverhältnisses erfahren, sodaß der Versuch, dieses hinter "Betriebsgeheimnissen" zu verstecken, hier nicht greift. …
Ohne private Informationen absichtlich veröffentlichen zu wollen, weise ich jedoch darauf hin, sollte ich jemals mit Ihren Schulden oder Ihrer desaströsen finanziellen Situation in Verbindung gebracht werden, mein diesbezügliches Detailwissen zu Verteidigungszwecken notfalls einzusetzen.
Darüber hinaus möchte ich anmerken, ohne damit eine Absicht zu erklären, daß die Treue und Verschwiegenheitspflicht von Arbeitnehmern selbst bei wirklichen betrieblichen Geheimnissen, z.B. Bilanzen, ohne gesonderte vom Arbeitnehmer unterzeichnete Geheimhaltungserklärung mit dem Ende des Arbeitsverhältnisses ebenfalls endet! (Kasseler Handbuch Arbeitsrecht, 2. Auflage, Band 1, Seite 282 und BAG, Entscheidung vom 24.11.1956, AP Nr. 4 zu § 611 BGB)
Zu 5 Punkt müssen Sie natürlich Ihren Anwalt … umfangreich über Ihre angespannte finanzielle Situation, ca. 600.000 € Schulden …, informieren. Nur dann macht meine Forderung der insolvenzgeschützten Besicherung meiner Ansprüche aus meiner 7-monatigen Kündigungsfrist (ca. 40.000 €) auch Sinn.
…
Somit kann jedoch Ihrem Wunsch entsprochen werden, meinen Jahresurlaub bei 30 Arbeitstagen lt. Tarifvertrag zu belassen. Hinsichtlich des aktuellen Minusurlaubs beziehe ich mich auf die "betriebliche Übung", bin jedoch fairerweise bereit, diesen nach und nach abzubauen bzw. wieder auf null zu fahren. [BAG, 12.01.1994, 5 AZR 41/93].
Bei der Art der Einteilung des Urlaubs, selbständige Eintragung in den Wandkalender, berufe ich mich jedoch weiterhin auf "betriebliche Übung", da dies seit mindestens 10 Jahren derart gehandhabt wird, ohne jemals Probleme bereitet zu haben [BAG, 12.01.1994 5 AZR 41/93].
Sollten Sie mit den obigen Angaben und meinen Entscheidungen nicht einverstanden sein, steht es Ihnen frei, eine Kündigung auszusprechen, die ich natürlich entsprechend beantworten werde.
Ich habe Ihr teils feindseliges Verhalten mir gegenüber bereits bei meiner Rechtsschutzversicherung vorsorglich als Fall von "Mobbing" angezeigt, sodaß ich bitte, sollten Sie irgendwelche Änderungen mich betreffend im Betrieb geplant haben, die über meine durch betriebliche Übung geschützten Ansprüche hinausgehen oder beschränken sollen, diese zur entsprechenden Vorlage schriftlich zu formulieren. Weiterhin werde ich nun, wie bereits seit 2009, Tagebuch über den betrieblichen Verlauf und Ihr Verhalten mir gegenüber führen.
Mir ist es unerklärlich, daß Sie Ihren Anwalt zur Aufsetzung des Schreibens vom 9.4.2015 nicht vollends über Ihre finanziell äussert angespannte Situation informiert haben, da eine gerichtliche Auseinandersetzung ohne Offenlegung aller Fakten aus meiner Sicht weder möglich noch erstrebenswert wäre.
Ergänzend möchte ich informationshalber hinzufügen, daß es als Arbeitnehmer sehr wohl möglich und legal ist, Missstände im Betrieb, auch evtl. illegale Handlungen der Betriebsführung, aufzudecken. Wenn die Betriebsleitung dieser Handlungen selbst zu verantworten hat, ist ein interner Aufklärungsversuch, vor dem Gang zu Behörden, nicht einmal zwingend vorgeschrieben (Müller NZA 2002, 436; Klasen/Schaefer BB 2012, 644)(BAG, Urteil vom 3.7.2003 2 AZR 235/02 NZA 2004, 427 ff; LAG Köln, Urteil vom 23.2.1996 -11 SA976/95- NZA-RR 1996, 330; Herbst/Overath NZA 2005, 199)
Hinsichtlich der irreführenden Annahme, Missstände hinter sogenannten "Betriebsgeheimnissen" verstecken zu können, empfehle ich, § 17 Abs. 2 ArbSchG, § 4g Abs. 1 Satz 2 BDSG, § 84 BetrVG, Europäische Menschenrechtskonvention Artikel 10, Urteil EGMR vom 21.7.2011 - 28274/08, Über illegale Geheimnisse des Arbeitgebers muß der Arbeitnehmer keine Verschwiegenheit bewahren, Urteil BAG vom 20.1.1981, VI ZR 162/79, genauer zu studieren.
Mit freundlichen Grüßen
A.
PS:
Noch ein Wort zum Schluß:
Sie sollten sich einmal überlegen, wie verwerflich es die Öffentlichkeit finden wird, und das wird sie wohl spätestens bei einer gerichtlichen Auseinandersetzungen erfahren, wenn Sie versuchen, mit durch Privatentnahmen produzierte Schulden von über 600.000 € Ihre Arbeitszeit zu reduzieren und möglichst die Arbeit auf andere abzuschieben.
…
Ich werde alle legalen Möglichkeiten ausschöpfen, meine Arbeit, wie schon in den vergangenen 29 Jahren, in Zukunft weiter, und zwar wie gehabt unter Beibehaltung meiner Ansprüche aus betrieblicher Übung, auszuführen, auch wenn dies eine Transparenz vor Gericht bedeuten würde, die Ihnen wirtschaftlich und "imagemäßig" schaden könnte.
…
Nachfolgend noch einige Fragen, wieder ohne damit eine Absicht zu erklären, die Sie sich selbst beantworten sollten:
Aus welchem Grund heraus sollte ich NACH meiner Zeit bei der Firma C. der Öffentlichkeit irgendwelche Fakten und Wahrheiten vorenthalten?
Ist es wirklich die Frage, OB die Öffentlichkeit alles erfährt oder nur WANN?
Warum sollte ich eine Kündigung ohne Widerstand akzeptieren, wenn diese nur die Folge einer arbeitgeberseitigen Arbeitsscheu ist?
Wollen Sie und Frau C. die restliche Ihnen noch bleibende Zeit nutzen, Ihren guten Ruf für die Nachwelt noch ein wenig zu verbessern und wollen Sie wirklich mit diesen aktuellen Fakten in die Geschichte A. eingehen?"
Außerdem übersandte der Kläger dem Beklagten vier sog. "betriebsinterne Anzeigen" an die Handwerkskammer, die Berufsgenossenschaft, das örtliche Wasserwerk und die Finanzbehörden. Sein Begleitschreiben vom 03.05.2015 lautet:
"Sehr geehrter Herr C.,
nachfolgend erhalten Sie hiermit "vier betriebsinterne Anzeigen", sodaß Sie vorab die Möglichkeit erhalten, diese Vorwürfe betriebsintern zu klären und somit meinerseits gegebenenfalls nicht veröffentlicht werden müssen.
Bei Klärungsverweigerung oder -verschleppung bin ich, nach einer angemessenen Frist, dazu befugt, diese Missstände an die entsprechenden Behörden weiterzuleiten.
Weiterhin weise ich darauf hin, daß auch eine Kündigung oder Änderungskündigung an der Aufklärung und, wenn notwendig, Veröffentlichung der nachstehenden Vorwürfe nichts ändern würde.
Zumal diese nun während des Klärungsprozesses gegen 612a BGB verstossen würden."
Der Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 05.05.2015, dem Kläger am selben Tag zugegangen, außerordentlich, hilfsweise ordentlich zum 31.12.2015. Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner am 22.05.2015 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage.
Von einer weiteren Darstellung des unstreitigen Tatbestands und des erstinstanzlichen Parteivorbringens wird gem. § 69 Abs. 2 ArbGG abgesehen und auf den Tatbestand des erstinstanzlichen Urteils vom 03.03.2016 Bezug genommen.
Der Kläger hat erstinstanzlich beantragt,
festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis weder durch die außerordentliche noch durch die hilfsweise ordentliche Kündigung des Beklagten vom 05.05.2015 aufgelöst worden ist.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Das Arbeitsgericht hat die Klage mit Urteil vom 03.03.2016 abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, die außerordentliche Kündigung des Beklagten vom 05.05.2015 sei wirksam. Ein wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB liege darin, dass der Kläger den Beklagten im Schreiben vom 03.05.2015 mehrfach als "arbeitsscheu" bezeichnet habe. Dies stelle gegenüber einem über 70-Jährigen Arbeitgeber, der noch in seinem Betrieb tätig sei, eine grobe Beleidigung dar. Der Kläger könne sich nicht auf sein Recht zur freien Meinungsäußerung nach Art. 5 Abs. 1 GG berufen, denn die Bezeichnung als "arbeitsscheu" sei ein Angriff auf die persönliche Ehre des Beklagten. Die Ehrverletzung sei nicht unüberlegt im Rahmen eines Wortgefechts erfolgt, vielmehr habe der Kläger das Schreiben vom 03.05.2015, was nicht zuletzt die Vielzahl von Rechtsprechungszitaten belege, intensiv ausgearbeitet. Auch die Weigerung des Klägers, den Anweisungen des Beklagten im Anwaltsschreiben vom 09.04.2015 nachzukommen, verbunden mit der Androhung, interne Kenntnisse über den Beklagten und dessen Betrieb nach außen zu tragen, stelle einen wichtigen Grund zur fristlosen Kündigung dar. Der Kläger habe dem Beklagten in seinem Schreiben vom 03.05.2015 letztlich damit gedroht, ihm wirtschaftlich und imagemäßig schaden zu wollen, falls er ihn nicht weiterhin seine Gewohnheiten ausleben lasse. Die Drohung mit der Veröffentlichung interner Geschäftsgeheimnisse, insb. der finanziellen Situation des Betriebs, sei kein adäquates Mittel, vermeintlich gewohnheitsrechtliche Ansprüche durchzusetzen. Die Intention des Klägers, nämlich die Beibehaltung seines Status im Betrieb, lasse die Ankündigung des auf den Beklagten zukommenden Übels als durchweg verwerflich erscheinen. Schließlich liege ein weiterer wichtiger Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB auch darin, dass der Kläger dem Beklagten mit der Veröffentlichung der dem Schreiben vom 03.05.2015 beigefügten vier Anzeigen an die Handwerkskammer, die Berufsgenossenschaft, das Wasserwerk sowie die Finanzbehörden gedroht habe. Dem Beklagten sei nicht zumutbar gewesen, das Arbeitsverhältnis bis zum Ablauf der siebenmonatigen Kündigungsfrist fortzusetzen. Zugunsten des Klägers falle seine Betriebszugehörigkeit von 29 Jahren ins Gewicht. Außerdem seien die Auswirkungen familiärer Querelen auf das Arbeitsverhältnis nicht zu verkennen, so dass auch die Hemmschwelle niedriger gewesen sei. Der Kläger habe sich jedoch im Schreiben vom 03.05.2015 von seiner Stellung als Schwiegersohn distanziert, weil er den Beklagten gesiezt und förmlich mit "Herr C." angesprochen habe. Damit habe er die Beziehung ausdrücklich auf das Arbeitgeber-Arbeitnehmerverhältnis beschränkt. Die durch den Kläger aufgebaute Drohkulisse sei für den Beklagten so gravierend, dass eine weitere vertrauensvolle Zusammenarbeit ausgeschlossen sei. Einer vorherigen Abmahnung habe es nicht bedurft, denn der Kläger habe nicht erwarten können, dass der Beklagte sein Verhalten hinnehme. Wegen weiterer Einzelheiten der erstinstanzlichen Begründung wird gem. § 69 Abs. 2 ArbGG auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils vom 03.03.2016 Bezug genommen.
Gegen das am 01.06.2016 zugestellte Urteil hat der Kläger mit am 28.06.2016 beim Landesarbeitsgericht eingegangenem Schriftsatz Berufung eingelegt und diese mit am 26.07.2016 eingegangenem Schriftsatz begründet.
Er macht geltend, die in seinem Schreiben vom 03.05.2015 in Bezug auf den Beklagten gewählte Formulierung "arbeitsscheu" sei kein wichtiger Grund zum Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung. Die Bezeichnung als "arbeitsscheu" sei nicht isoliert und mit dem Ziel einer Herabwürdigung der Person des Beklagten angebracht, sondern jeweils in einen Kontext gestellt worden. Mit diesem Kontext habe sich das Arbeitsgericht kaum auseinandergesetzt. Der Beklagte habe im Zeitraum vor Ausspruch der Kündigung seine Pflichten als Betriebsinhaber zum Teil gröblich vernachlässigt. Er sei nur maximal 20 Stunden wöchentlich im Betrieb anwesend gewesen und habe oftmals nicht zur Verfügung gestanden, um originäre Unternehmerentscheidungen zu treffen. Der Beklagte habe bei Eintragung des Betriebs in die Handwerksrolle im Jahr 2009 schriftlich bestätigt, als Betriebsleiter 39 Stunden wöchentlich während der Arbeitszeit der Mitarbeiter vor Ort zu sein. Diesen zeitlichen Aufwand habe der Beklagte bei weitem nicht erbracht. Er [der Kläger] habe zwar als Steinmetzmeister Verantwortung für die Arbeitsabläufe übernommen, er habe sich jedoch durch das Verhalten des Beklagten gedrängt gefühlt, Unternehmerfunktionen auszuführen. Hierzu sei er jedoch nicht bereit gewesen. Er habe schon vor geraumer Zeit gegenüber dem Beklagten klargestellt, dass er den Betrieb nicht übernehmen wolle. Dies habe der Beklagte nicht akzeptiert. In diesem Kontext sei die von ihm gewählte Bezeichnung "arbeitsscheu" zu verstehen. Es handele sich um zulässige Kritik, die von der Meinungsäußerungsfreiheit gedeckt sei. Dies gelte umso mehr, als der Auslöser des Konfliktes im familiären Bereich liege. Aufgrund des Näheverhältnisses zwischen Schwiegersohn und -vater müssten andere "Grenzwerte" in der Bereitschaft zum "offenen Wort" zugrunde gelegt werden. Schließlich sei zu unterstreichen, dass die im Schreiben vom 03.05.2015 angebrachte Formulierung "arbeitsscheu" keine Außenwirkung habe.
Ein außerordentlicher Kündigungsgrund sei auch nicht darin zu sehen, dass er (angeblich) mit einer Offenlegung der finanziellen Situation des Beklagten gedroht habe. Er habe sich durch die vom Beklagten veranlassten anwaltlichen Schreiben unter Druck gesetzt gefühlt und eine Kündigung seines Arbeitsverhältnisses befürchtet. Deshalb habe er in seinem Schreiben klargestellt, dass er sich gegen eine Kündigung mit einer Klage zur Wehr setzen werde. Mit seiner Formulierung, "Ich werde alle legalen Möglichkeiten ausschöpfen", habe er die Erhebung einer Kündigungsschutzklage gemeint. Nach seinem Verständnis wäre im Rechtsstreit die finanzielle Lage des Beklagten zwangsläufig angesprochen und damit auch der Öffentlichkeit bekannt geworden. Auch seine Formulierung, sein "Detailwissen zu Verteidigungszwecken notfalls einzusetzen", sei eindeutig so zu verstehen, dass er sich wehren werde, wenn er von Dritten mit den Schulden oder der finanzielle Situation der Beklagten in Verbindung gebracht werden sollte.
Er habe in seinem Schreiben vom 03.05.2015 auch nicht mit einer Veröffentlichung der vier "betriebsinternen Anzeigen" gedroht. Er habe die vier beigefügten Schreiben an den Beklagten gerichtet, verbunden mit der Aufforderung, den unstreitigen Missständen betriebsintern abzuhelfen. Dabei handele es sich, was auch nicht im Streit stehe, zum Teil um strafbares Verhalten. Dass er sich, sollte der Beklagte seiner Aufforderung zur Klärung nicht nachkommen - und zwar ausdrücklich unter anwaltlicher Aufsicht - eine mögliche Weitergabe von Informationen vorbehalten habe, sei nicht zu beanstanden. Die Benennung der Missstände in den vier Schreiben an den Beklagten habe seinem eigenen Schutz gedient. Er habe sich insbesondere für den Fall einer befürchteten Kündigung absichern wollen.
Selbst wenn man mit dem Arbeitsgericht das Vorliegen einer ernsthaften Drohung annehmen wollte, fehlte es jedenfalls an einer Verwerflichkeit. Auf das Schreiben der Prozessbevollmächtigten des Beklagten vom 09.04.2015 habe er allen Forderungen nachgegeben, bis auf die Weisung, beim Verlassen des Betriebs während der Arbeitszeit mitzuteilen, wohin er gehe und wie lange er voraussichtlich weg bleibe sowie die Weisung, die Ruhepausen nach dem Arbeitszeitgesetz einzuhalten. Zu diesen Punkten sei er beim Verfassen des Schreibens vom 03.05.2015 davon überzeugt gewesen, dass er aus "betrieblicher Übung" einen Anspruch darauf habe, sich diesen Vorgaben widersetzen und auf einer Änderungskündigung unter Einhaltung der Kündigungsfrist bestehen zu dürfen. Auch die Interessenabwägung des Arbeitsgerichts sei zu beanstanden. Insb. sei vor Ausspruch der Kündigung eine Abmahnung nicht entbehrlich gewesen.
Der Kläger beantragt zweitinstanzlich,
das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom 03.03.2016, Az. 5 Ca 1647/15, abzuändern und festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis weder durch die außerordentliche noch durch die hilfsweise ordentliche Kündigung des Beklagten vom 05.05.2015 aufgelöst worden ist.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und den Inhalt der Sitzungsniederschriften Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
I. Die nach § 64 Abs. 1 und 2 ArbGG statthafte Berufung des Klägers ist gem. §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG iVm. §§ 519, 520 ZPO zulässig. Sie ist form- und fristgerecht eingelegt und ordnungsgemäß begründet worden.
II. In der Sache hat die Berufung keinen Erfolg. Die Klage ist unbegründet. Die außerordentliche fristlose Kündigung des Beklagten vom 05.05.2015 hat das Arbeitsverhältnis der Parteien mit ihrem Zugang aufgelöst. Sie ist wirksam.
Das Arbeitsgericht hat den Rechtsstreit zutreffend entschieden. Die Berufungskammer folgt den sorgfältig dargestellten Entscheidungsgründen des Arbeitsgerichts im Ergebnis und der Begründung. Von der Darstellung eigener vollständiger Entscheidungsgründe wird daher gem. § 69 Abs. 2 ArbGG abgesehen. Das Berufungsvorbringen veranlasst lediglich folgende Ausführungen:
1. Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses selbst bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Dabei ist zunächst zu untersuchen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“ und damit typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist oder nicht (vgl. BAG 19.01.2016 - 2 AZR 449/15 - Rn. 28 mwN).
2. Das Arbeitsgericht hat zutreffend erkannt, dass im Streitfall "an sich" zur fristlosen Kündigung geeignete Gründe iSd. § 626 Abs. 1 BGB vorliegen.
a) Die Berufungskammer folgt dem Arbeitsgericht darin, dass in der Bezeichnung des Beklagten als "arbeitsscheu" im Schreiben des Klägers vom 03.05.2015 eine nicht mehr von der Freiheit der Meinungsäußerung gedeckte Beleidigung liegt.
aa) Grobe Beleidigungen des Arbeitgebers können, wenn sie nach Form und Inhalt eine erhebliche Ehrverletzung für den Betroffenen bedeuten, einen gravierenden Verstoß des Arbeitnehmers gegen seine arbeitsvertraglichen Pflichten darstellen und eine außerordentliche fristlose Kündigung an sich rechtfertigen (vgl. etwa BAG 18.12.2014 - 2 AZR 265/14 - Rn. 16 mwN). Die strafrechtliche Bewertung ist nicht maßgeblich. Zwar dürfen Arbeitnehmer - auch unternehmensöffentlich - Kritik am Arbeitgeber, ihren Vorgesetzten und den betrieblichen Verhältnissen üben und sich dabei auch überspitzt äußern. In grobem Maße unsachliche Angriffe, die zur Untergrabung der Position eines Vorgesetzten führen können, muss der Arbeitgeber aber nicht hinnehmen (BAG 19.11.2015 - 2 AZR 217/15 - Rn. 37 mwN; 27.09.2012 - 2 AZR 646/11 - Rn. 22 mwN).
bb) So liegt der Fall hier. Der Kläger hat den Beklagten, der mit 72 Jahren noch in seinem Betrieb arbeitet, als "arbeitsscheu" bezeichnet. Das ist eine grobe Beleidigung. Entgegen der Ansicht der Berufung ist mit der Bezeichnung als "arbeitsscheu" eine persönliche Herabwürdigung verbunden. Wie das Arbeitsgericht zutreffend herausgestellt hat, muss sich der Beklagte vom Kläger weder eine "Arbeitsscheue" noch eine "gröbliche Vernachlässigung" seiner Pflichten als Betriebsinhaber vorwerfen lassen. Dabei ist unerheblich, ob die Behauptung des Klägers zutrifft, dass er "nur" noch maximal 20 Stunden pro Woche in seinem Betrieb anwesend gewesen sei. Der Beklagte beschäftigte den Kläger in seinem Kleinbetrieb als Steinmetzmeister in Vollzeit und zahlte ihm eine durchschnittliche Vergütung von monatlich € 4.266,38 brutto. Es ist nicht ansatzweise nachvollziehbar, weshalb die Berufung meint, der Beklagte habe für dieses Meistergehalt als Gegenleistung nicht erwarten dürfen, dass der Kläger den Handwerksbetrieb in seiner Abwesenheit fachlich leitet. Dabei ist es ohne Belang, dass der Kläger den Betrieb nicht als selbstständiger Unternehmer (Betriebsnachfolger) übernehmen wollte.
Mit dem Argument, das Schreiben vom 03.05.2015 sei nur an den Beklagten gerichtet und habe keine Außenwirkung entfaltet, kann sich der Kläger nicht entlasten. Es genügt, dass er sich gegenüber dem Beklagten herabwürdigend geäußert hat. Der Kläger kann sein Verhalten auch nicht damit entschuldigen, dass der Auslöser des Konflikts im familiären Bereich liege. Der Berufung ist zuzugeben, dass in einem familiären Näheverhältnis (bspw. zwischen Schwiegersohn und -vater) in der Regel andere "Grenzwerte" in der Bereitschaft zum "offenen Wort" anzulegen sind. Der Kläger hat sich im Streitfall jedoch nicht etwa im Verlauf eines verbalen Schlagabtausches zu Ehrverletzungen und überzogenen Äußerungen hinreißen lassen, sondern ein mehrseitiges Pamphlet verfasst, dessen Inhalt er - wie es das Arbeitsgericht treffend formuliert hat - nicht zuletzt im Hinblick auf die Vielzahl von Rechtsprechungszitaten, intensiv ausgearbeitet hat. Zudem hat sich der Kläger im Schreiben vom 03.05.2015 von seiner Stellung als Schwiegersohn deutlich distanziert, weil er den Beklagten gesiezt und förmlich angeredet hat. Damit hat er die Beziehung bewusst auf die Ebene des Arbeitsverhältnisses beschränkt.
b) Der Kläger hat einen „an sich“ wichtigen Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB auch dadurch herbeigeführt, dass er sich in seinem Schreiben vom 03.05.2016 - trotz Androhung arbeitsrechtlicher Konsequenzen - bewusst und nachdrücklich geweigert hat, dem Beklagten sämtliche Zugangscodes für den von ihm benutzten Firmen-PC herauszugeben (Punkt 1 der Weisungen im Anwaltsschreiben vom 09.04.2015). Erst nach Ausspruch der fristlosen Kündigung vom 05.05.2016 hat er dem Beklagten mit E-Mail vom 06.05.2016 das Administrator-Passwort genannt, nicht ohne ihn darüber zu belehren, dass es ihm nunmehr möglich sei, das gesamte IT-System zu kontrollieren. Der Kläger konnte nicht ernsthaft annehmen, er habe aus betrieblicher Übung "Privilegien" [sic] erworben, die ihn berechtigen könnten, seinem Arbeitgeber das Passwort vorzuenthalten.
c) Auch die Weigerung des Klägers, die Anordnungen des Beklagten zu befolgen, ihm beim Verlassen des Betriebs während der Arbeitszeit mitzuteilen, wohin er sich begebe und wie lange er voraussichtlich abwesend sei (Punkt 2 der Weisungen im Anwaltsschreiben vom 09.04.2015) sowie die gesetzlich vorgeschriebenen Ruhepausen nach dem Arbeitszeitgesetz einzuhalten (Punkt 3 der Weisungen), sind "an sich" geeignet, den Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung zu rechtfertigen.
Der Kläger kann sich nicht damit entlasten, er sei beim Verfassen des Schreibens vom 03.05.2015 davon überzeugt gewesen, dass er aus "betrieblicher Übung" einen Anspruch darauf habe, sich den Weisungen seines Arbeitgebers zu widersetzen und auf einer Änderungskündigung unter Einhaltung der Kündigungsfrist bestehen zu dürfen. Entgegen der Ansicht der Berufung befand sich der Kläger nicht in einem entschuldbaren Rechtsirrtum. Ob er verpflichtet war, die Anordnungen des Beklagten im Anwaltsschreiben vom 09.04.2015 zu befolgen, entscheidet sich nach der objektiven Rechtslage. Weigert sich ein Arbeitnehmer, den Weisungen des Arbeitgebers nachzukommen, in der Annahme, er handele rechtmäßig, hat er grundsätzlich selbst das Risiko zu tragen, dass sich seine Rechtsauffassung als unzutreffend erweist. Der Geltungsanspruch des Rechts bewirkt, dass der Schuldner das Risiko eines Rechtsirrtums grundsätzlich selbst trägt und es nicht dem Gläubiger überbürden kann Ein unverschuldeter Rechtsirrtum liegt nur vor, wenn der Schuldner seinen Irrtum auch unter Anwendung der zu beachtenden Sorgfalt nicht erkennen konnte. Dabei sind strenge Maßstäbe anzulegen (vgl. BAG 29.08.2013 - 2 AZR 273/12 - Rn. 29, 32; BAG 19.08.2015 - 5 AZR 975/13 - Rn. 31).
Der Kläger hat sich nicht fachkundig beraten lassen, bevor er das Schreiben vom 03.05.2015 verfasst und sich darin ausdrücklich geweigert hat, die Weisungen des Arbeitsgebers zu befolgen. Unter diesen Umständen kann von einem entschuldbaren, unvermeidbaren Rechtsirrtum keine Rede sein.
d) Schließlich liegt "an sich" ein wichtiger Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB auch darin, dass der Kläger dem Beklagten massiv damit gedroht hat, ihn in der Öffentlichkeit anzuprangern und ihm durch die Erstattung von Anzeigen bei vier verschiedenen Stellen (Handwerkskammer, Berufsgenossenschaft, örtliches Wasserwerk, Finanzbehörden) zu schaden, wenn er versuchen sollte, seine dienstlichen Weisungen - gleichgültig, ob kraft Direktionsrechts oder mittels Änderungskündigung - durchsetzen. Auch dies hat das Arbeitsgericht zutreffend erkannt.
aa) Droht der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber mit einem empfindlichen Übel, um die Erfüllung eigener streitiger Forderungen zu erreichen, kann darin - je nach den Umständen des Einzelfalls - ein erheblicher, die fristlose Kündigung des Arbeitsverhältnisses rechtfertigender Verstoß gegen seine Pflicht zur Wahrung von dessen Interessen liegen. Entsprechendes kann gelten, wenn der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber nachteilige Folgen mit dem Ziel androht, dieser solle von einer beabsichtigten oder bereits erklärten Kündigung Abstand nehmen. Eine auf ein solches Verhalten gestützte Kündigung setzt regelmäßig die Widerrechtlichkeit der Drohung voraus. Unbeachtlich ist demgegenüber, ob das Verhalten den Straftatbestand der Nötigung (§ 240 StGB) erfüllt. Auch eine nicht strafbare, gleichwohl erhebliche Verletzung arbeitsvertraglicher Pflichten kann einen wichtigen Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB bilden (vgl. BAG 08.05.2014 - 2 AZR 249/13 - Rn. 20).
bb) So liegt der Fall hier. Der Kläger hat seine vertragliche Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des Beklagten verletzt, indem er ihm mit empfindlichen Übeln drohte, um die Beibehaltung seiner "Privilegien" zu erreichen. Entgegen der Ansicht der Berufung hat der Kläger in seinem Schreiben vom 03.05.2015 und den sog. "vier betriebsinternen Anzeigen" nicht nur die Erhebung einer Kündigungsschutzklage angekündigt, für den Fall, dass der Beklagte sein Direktionsrecht ggf. mit einer Kündigung durchsetzen sollte. Der gesamten Diktion des Schreibens und der "vier betriebsinternen Anzeigen" ist mit kaum zu überbietender Deutlichkeit zu entnehmen, dass der Kläger seinen Arbeitgeber in der Öffentlichkeit und ggü. den vier genannten Stellen diffamieren und "anschwärzen" wollte. Auch insoweit folgt die Berufungskammer den zutreffenden Ausführungen des Arbeitsgerichts.
(1) Das Arbeitsgericht hat zu Recht festgestellt, dass insbesondere der Zusammenhang zwischen der Androhung, Geschäftsgeheimnisse zu veröffentlichen, und dem Zweck, den Beklagten von der Durchsetzung seiner Weisungen abzuhalten, verwerflich ist. Der Kläger führt dem Beklagten in seinem Schreiben deutlich vor Augen, mit welchen Konsequenzen er zu rechnen habe, wenn er ihm nicht weiterhin alle Freiheiten lassen sollte. So kündigt er an, dass er eine Kündigung "natürlich entsprechend beantworten werde". In diesem Fall werde er sein "Detailwissen" hinsichtlich der "desaströsen finanziellen Situation" des Beklagten "zu Verteidigungszwecken notfalls einsetzen". Besonders deutlich wird die Drohung im Postskriptum. Der Beklagte solle sich "einmal überlegen", wie "verwerflich es die Öffentlichkeit finden" werde, und "das werde sie wohl spätestens bei einer gerichtlichen Auseinandersetzung erfahren", dass er durch Privatentnahmen verursachte Schulden iHv. € 600.000,00 habe. Der Beklagte solle sich überlegen, ob er seinen "guten Ruf" verlieren und "mit diesen aktuellen Fakten in die Geschichte A. [seines Wohnortes] eingehen" wolle. Entgegen der Ansicht der Berufung gehen diese Formulierungen weit über die bloße Ankündigung hinaus, eine Kündigungsschutzklage erheben zu wollen. Die Berufung kann die vom Kläger aufgebaute Drohkulisse nicht dadurch relativieren, dass sie behauptet, er habe angenommen, der Öffentlichkeit werde in einem arbeitsgerichtlichen Rechtsstreit zwangsläufig die finanzielle Situation des Beklagten bekannt. Aus altruistischen Motiven hat der Kläger sein Schreiben vom 03.05.2015 und die "vier betriebsinternen Anzeigen" mitnichten aufgesetzt. Das verdeutlicht auch die Formulierung: "Aus welchem Grund heraus sollte ich NACH meiner Zeit bei der Firma C. der Öffentlichkeit irgendwelche Fakten und Wahrheiten vorenthalten? Ist es wirklich die Frage, OB die Öffentlichkeit alles erfährt oder nur WANN?" Wie das Arbeitsgericht zutreffend herausgestellt hat, ändert auch die vom Kläger verwendete Floskel "ohne damit eine Absicht zu erklären", nichts am Drohcharakter des Schreibens. Der Hinweis auf nachteilige Folgen ist offensichtlich.
(2) Entgegen der Ansicht der Berufung hat der Kläger eindeutig auch damit gedroht, die sog. "vier betriebsinternen Anzeigen" bei den entsprechenden Stellen zu erstatten. Es handelt sich nicht um eine bloße "Benennung von Missständen", ohne Drohcharakter. Der Kläger kündigt an, dass er die "zuständigen Institutionen in Kenntnis setzen" werde, wenn der Beklagte seinen Forderungen nicht nachkommen sollte. Dass er die Information "unter anwaltlicher Aufsicht" ankündigt, schwächt die Drohung, entgegen der Ansicht der Berufung, nicht ab.
Zwar fallen nach der vom Kläger zitierten Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR 21.07.2011 - 28274/08 [Heinisch]) Strafanzeigen von Arbeitnehmern gegen ihren Arbeitgeber mit dem Ziel, Missstände in ihren Unternehmen oder Institutionen offenzulegen ("whistleblowing"), in den Geltungsbereich des Art. 10 MRK (Freiheit der Meinungsäußerung). Der EGMR hat für die Anwendung des Art. 10 MRK auf das Arbeitsleben festgestellt, dass Hinweise auf strafbares oder rechtswidriges Verhalten am Arbeitsplatz durch Beschäftigte unter gewissen Umständen Schutz genießen sollen und insoweit eine Abwägung zwischen dem Recht des Arbeitnehmers auf freie Meinungsäußerung in Form von Hinweisen auf strafbares oder rechtswidriges Verhalten seitens des Arbeitgebers und dem Recht des Arbeitgebers auf Schutz seines guten Rufs und seiner wirtschaftlichen Interessen vorzunehmen ist. Auch die Beweggründe des Missstände anzeigenden Arbeitnehmers sind ein entscheidender Faktor bei der Entscheidung darüber, ob eine bestimmte Offenlegung geschützt sein sollte. Eine Handlung, die durch persönlichen Groll, persönliche Feindschaft oder die Erwartung eines persönlichen Vorteils motiviert ist, rechtfertigt kein besonders hohes Schutzniveau (vgl. EGMR aaO Rn. 69).
Nach Maßgabe der Grundsätze hat der Kläger die Grenze des Zulässigen überschritten. Er wollte den Beklagten mit seiner Drohung, die Handwerkskammer, die Berufsgenossenschaft, das örtliche Wasserwerk und die Finanzbehörden zu informieren, aus persönlichem Groll und in Erwartung eines persönlichen Vorteils unter Druck setzen. Dies stellt eine völlig unverhältnismäßige Reaktion auf das Schreiben des Prozessbevollmächtigten des Beklagten vom 09.04.2015 dar. Der Kläger hat lediglich unter dem "Deckmantel", ein Recht auf freie Meinungsäußerung in Anspruch nehmen zu wollen, dem Beklagten mit der Erstattung von vier Anzeigen gedroht, um sich dessen Weisungen im Anwaltsschreiben vom 09.04.2015 zu widersetzen, oder - wie die Berufung einräumt, sich für den Fall einer befürchteten Kündigung "abzusichern". Daraus ergibt sich die Verwerflichkeit der - mit aller Deutlichkeit und Nachdruck - ausgesprochenen Drohung.
3. Schließlich ist auch die Interessenabwägung des Arbeitsgerichts nicht zu beanstanden. Bei der abschließenden Interessenabwägung (vgl. zum Maßstab BAG 20.10.2016 - 6 AZR 471/15 - Rn. 30 mwN) überwiegt, auch nach Ansicht der Berufungskammer, das Interesse des Beklagten an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Dessen Fortsetzung war ihm selbst für den Lauf der ordentlichen Kündigungsfrist von sieben Monaten nicht zuzumuten.
Zu Gunsten des Klägers sprechen seine Unterhaltspflichten gegenüber der Ehefrau und zwei Kindern. Außerdem fällt zu seinen Gunsten die lange Dauer des Arbeitsverhältnisses entscheidend ins Gewicht. Der Kläger hat sein ganzes Berufsleben seit 1986 (als Auszubildender, Geselle und zuletzt Steinmetzmeister) im Betrieb des Beklagten verbracht. Auf der anderen Seite sind die Schwere der Pflichtverletzungen und der Grad des ihn treffenden Verschuldens zu seinen Lasten zu berücksichtigen. Eine weitere vertrauensvolle Zusammenarbeit der Parteien ist auch aus Sicht der Berufungskammer ausgeschlossen. Das Vertrauensverhältnis zwischen den Parteien ist zerstört.
Der Beklagte brauchte den Kläger - entgegen der Ansicht der Berufung - vor Ausspruch der Kündigung nicht abzumahnen. Der Kläger konnte nicht ernsthaft damit rechnen, der Beklagte werde sein Verhalten tolerieren. Auch ist nicht ersichtlich, dass eine Abmahnung geeignet gewesen wäre, das zerrüttete Vertrauen in den Kläger wieder herzustellen. Eine Verhaltensänderung des Klägers stand auch nach einer Abmahnung nicht zu erwarten.
4. Der Beklagte hat die Zwei-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 BGB gewahrt. Das Schreiben des Klägers datiert auf den 03.05.2015, die Kündigung ist ihm bereits am 05.05.2015 zugegangen.
5. Die außerordentliche Kündigung ist nicht deshalb nach § 134 BGB nichtig, weil sie gegen das Maßregelungsverbot des § 612a BGB verstieße. So läge es nur, wenn tragender Beweggrund, dh. wesentliches Motiv für sie eine zulässige Rechtsausübung gewesen wäre (vgl. BAG 22.10.2015 - 2 AZR 569/14 - Rn. 60). Das wiederum setzte voraus, dass das geltend gemachte Recht tatsächlich existierte (ErfK/Preis 17. Aufl. § 612a BGB Rn. 5; KR/Treber 11. Aufl. § 612a BGB Rn. 14). Der Kläger handelte - wie oben ausgeführt - mit seinen Schreiben vom 03.05.2015 gerade nicht in Wahrnehmung ihm zustehender Rechte.
6. Die hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung fällt nicht zur Entscheidung an. Sie hätte das Arbeitsverhältnis auf jeden Fall zum 31.12.2015 beendet, weil der Kläger keinen Kündigungsschutz nach dem Kündigungsschutzgesetz genoss. Der Beklagte beschäftigte im Zeitpunkt der Kündigung in seinem Betrieb - einschließlich des Klägers - nicht mehr als fünf Arbeitnehmer. Selbst der abgesenkte Schwellenwert des § 23 Abs. 1 Satz 1 KSchG war nicht überschritten. Entgegen der Ansicht des Klägers verstieß auch die hilfsweise ordentliche Kündigung nicht gegen das Maßregelungsverbot in § 612a BGB. Wie oben ausgeführt, handelte der Kläger nicht in Wahrnehmung ihm zustehender Rechte.
III. Der Kläger hat nach § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten seiner erfolglosen Berufung zu tragen.
Die Zulassung der Revision war nicht veranlasst, weil hierfür die gesetzlichen Voraussetzungen (§ 72 Abs. 2 ArbGG) nicht vorliegen.
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