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ARBEITSRECHT AKTUELL // 14/328

Schwer­be­hin­de­rung im Be­wer­bungs­ver­fah­ren

Schwer­be­hin­der­te Be­wer­ber sind ge­hal­ten, auf ih­re Schwer­be­hin­de­rung im Be­wer­bungs­schrei­ben oder im Le­bens­lauf hin­zu­wei­sen: Bun­des­ar­beits­ge­richt, Ur­teil vom 18.09.2014, 8 AZR 759/13
Parkplatz Schwerbehinderte

25.09.2014. Be­wer­ben sich schwer­be­hin­der­te In­ter­es­sen­ten bei ei­nem öf­fent­li­chen Ar­beit­ge­ber auf ei­ne aus­ge­schrie­be­ne Stel­le, sind sie auf­grund ei­ner spe­zi­el­len Ge­set­zes­re­ge­lung im­mer zu ei­nem Vor­stel­lungs­ge­spräch ein­zu­la­den.

Ver­stößt der Ar­beit­ge­ber ge­gen die­se Pflicht und stellt den Be­wer­ber nicht ein, ist zu ver­mu­ten, dass die un­ter­blie­be­ne Ein­stel­lung (auch) auf die Be­hin­de­rung des Be­wer­bers zu­rück­zu­füh­ren ist. Der Be­wer­ber kann dann ei­ne Ent­schä­di­gung we­gen be­hin­de­rungs­be­ding­ter Dis­kri­mi­nie­rung ver­lan­gen.

Öf­fent­li­che Ar­beit­ge­ber kön­nen aber nur ge­gen das Ge­bot der Ein­la­dung ei­nes schwer­be­hin­der­ter Be­wer­bers ver­sto­ßen, wenn sie des­sen Schwer­be­hin­de­rung ken­nen. Wie das Bun­des­ar­beits­ge­richt (BAG) letz­te Wo­che be­kräf­tigt hat, ge­nügt es da­für nicht, wenn sich in den An­la­gen zur Be­wer­bung ei­ne Ko­pie des Schwer­be­hin­der­ten­aus­wei­ses fin­det: BAG, Ur­teil vom 18.09.2014, 8 AZR 759/13.

Wie müssen schwer­be­hin­der­te Be­wer­ber auf ih­re Schwer­be­hin­de­rung hin­wei­sen, um den Ar­beit­ge­ber da­von si­cher in Kennt­nis zu set­zen?

Öffent­li­che Ar­beit­ge­ber sind bei Stel­len­be­set­zungs­ver­fah­ren gemäß § 82 Satz 2 und Satz 3 Neun­tes Buch So­zi­al­ge­setz­buch (SGB IX) da­zu ver­pflich­tet, schwer­be­hin­der­te Be­wer­ber zu ei­nem Vor­stel­lungs­gespräch ein­zu­la­den. Die­se Pflicht be­steht im Aus­nah­me­fall dann nicht, wenn ei­nem Be­wer­ber die fach­li­che Eig­nung „of­fen­sicht­lich fehlt“.

Ver­s­toßen öffent­li­che Ar­beit­ge­ber ge­gen die Pflicht zum Vor­stel­lungs­gespräch, ist das ein In­diz im Sin­ne von 22 All­ge­mei­nes Gleich­be­hand­lungs­ge­setz (AGG) dafür, dass der nicht ein­ge­la­de­ne Be­wer­ber we­gen sei­ner Be­hin­de­rung dis­kri­mi­niert wur­de. Dann be­steht ein Entschädi­gungs­an­spruch gemäß § 15 Abs.2 AGG, der meist ein bis drei Mo­nats­gehälter beträgt.

Zwar kann der Ar­beit­ge­ber ver­su­chen zu be­wei­sen, dass er in Wahr­heit kei­ne Dis­kri­mi­nie­rung verübt hat, doch ist das in sol­chen Fällen prak­tisch unmöglich, denn ei­ne "we­ni­ger güns­ti­ge Be­hand­lung" des schwer­be­hin­der­ten Be­wer­bers liegt schon dar­in, dass er eben kei­ne Ge­le­gen­heit hat­te, sich persönlich vor­zu­stel­len.

Da­her wird in sol­chen Fällen oft darüber ge­strit­ten, ob der Be­wer­ber in sei­nen Be­wer­bungs­un­ter­la­gen aus­rei­chend deut­lich auf sei­ne Schwer­be­hin­de­rung hin­ge­wie­sen hat. Da­zu ist er natürlich nicht ver­pflich­tet, aber wenn er den Hin­weis un­terlässt, kann er sich später nicht be­haup­ten, we­gen sei­ner Schwer­be­hin­de­rung dis­kri­mi­niert wor­den zu sein. Dann ist der Ar­beit­ge­ber aus dem Schnei­der.

Das BAG ver­langt an die­ser Stel­le von schwer­be­hin­der­ten Be­wer­bern, dass sie auf ih­re Schwer­be­hin­de­rung

  • ent­we­der im ei­gent­li­chen Be­wer­bungs­schrei­ben (An­schrei­ben)
  • oder im Le­bens­lauf

hin­wei­sen, so dass der Ar­beit­ge­ber oh­ne große Mühe "auf ei­nen Blick" weiß, mit wem er es zu tun hat.

Die­se Recht­spre­chung hat das BAG letz­te Wo­che er­neut be­kräftigt.

Im Streit: Schwer­be­hin­der­ter Be­wer­ber ver­schweigt sei­ne Be­hin­de­rung, über­reicht aber in den An­la­gen zu sei­ner Be­wer­bung ei­ne Ko­pie des Schwer­be­hin­der­ten­aus­wei­ses

Im Streit­fall war ein Be­wer­ber mit ei­nem Grad der Be­hin­de­rung von 50 von ei­nem öffent­li­chen Ar­beit­ge­ber im Ju­ni 2010 ab­ge­lehnt wor­den. An dem Be­wer­bungs­ver­fah­ren war die Schwer­be­hin­der­ten­ver­tre­tung be­tei­ligt, d.h. der Ar­beit­ge­ber kann­te die Schwer­be­hin­de­rung.

Kur­ze Zeit später, En­de Ju­li 2010, be­warb er sich bei dem­sel­ben Ar­beit­ge­ber er­neut, dies­mal um ei­ne an­de­re Stel­le, so dass sei­ne Be­wer­bung von ei­ner an­de­ren per­so­nalführen­den Stel­le als beim ers­ten Mal be­ar­bei­tet wur­de. Bei die­ser - zwei­ten - Be­wer­bung wies der Be­wer­ber we­der im Be­wer­bungs­an­schrei­ben noch in sei­nem Le­bens­lauf auf sei­ne Schwer­be­hin­de­rung hin. Al­ler­dings hat­te ei­ne Ko­pie sei­nes Schwer­be­hin­der­ten­aus­wei­ses auf Sei­te 24 sei­ner Be­wer­bungs­an­la­gen (die im­mer­hin 29 Sei­ten um­fass­ten) über­reicht.

Dar­auf­hin wur­de er we­der zu ei­nem Vor­stel­lungs­gespräch ein­ge­la­den noch ein­ge­stellt. Der Be­wer­ber ver­klag­te den Ar­beit­ge­ber da­her vor dem Ar­beits­ge­richt Köln auf Zah­lung ei­ner Dis­kri­mi­nie­rungs­entschädi­gung und erstritt im­mer­hin 1.000,00 EUR (Ur­teil vom 20.12.2011, 14 Ca 4955/11).

In der Be­ru­fung sat­tel­te das Lan­des­ar­beits­ge­richt (LAG) Köln noch auf und ver­ur­teil­te den Ar­beit­ge­ber zu wei­te­ren 4.378,58 EUR, so dass die Entschädi­gung ins­ge­samt 5.378,58 EUR be­trug (LAG Köln, Ur­teil vom 24.10.2012, 9 Sa 214/12). Bei­de Ge­rich­te mein­ten, der Ar­beit­ge­ber hätte sich eben die den Be­wer­bungs­un­ter­la­gen bei­gefügten An­la­gen ge­nau­er an­schau­en müssen, dann hätte er den Aus­weis schon ent­deckt und ge­wusst, dass sich ein schwer­be­hin­der­ter In­ter­es­sent be­wor­ben hat.

BAG: Wer als Schwer­be­hin­der­ter die Schutz­vor­schrif­ten des SGB IX in An­spruch neh­men will, muss im An­schrei­ben oder Le­bens­lauf auf die Schwer­be­hin­de­rung hin­wei­sen

Das BAG hob die Ur­tei­le der Vor­in­stan­zen auf und gab dem Ar­beit­ge­ber recht. In der der­zeit al­lein vor­lie­gen­den Pres­se­mel­dung des BAG heißt es zur Be­gründung:

Will ein schwer­be­hin­der­ter Be­wer­ber den be­son­de­ren Schutz des SGB IX in An­spruch neh­men, muss er auf sei­ne Schwer­be­hin­de­rung im Be­wer­bungs­an­schrei­ben oder "un­ter deut­li­cher Her­vor­he­bung im Le­bens­lauf" hin­wei­sen. Un­auffälli­ge In­for­ma­tio­nen oder ei­ne in den wei­te­ren Be­wer­bungs­un­ter­la­gen be­find­li­che Ko­pie des Schwer­be­hin­der­ten­aus­wei­ses sind kei­ne aus­rei­chen­de In­for­ma­ti­on, so die Er­fur­ter Rich­ter.

Außer­dem muss der Be­wer­ber auf die Schwer­be­hin­de­rung bei je­der ein­zel­nen Be­wer­bung er­neut hin­wei­sen. Denn wer bei der letz­ten Be­wer­bung vor ei­nem hal­ben Jahr schwer­be­hin­dert war, muss es un­be­dingt auch noch zum Zeit­punkt ei­ner er­neu­ten Be­wer­bung sein. Da­her ist auch ei­ne Ko­pie des Aus­wei­ses für sich al­lein ge­nom­men nicht ge­eig­net, die Schwer­be­hin­de­rung im Zeit­punkt der Be­wer­bung mit­zu­tei­len, denn Aus­wei­se können nicht mehr ak­tu­ell und da­her un­rich­tig sein.

Sch­ließlich weist das BAG auf das Da­ten­schutz­recht hin, das ei­ner Wis­sens­zu­rech­nung von ei­ner per­so­nalführen­de Stel­len großer Behörden zu ei­ner an­de­ren ent­ge­gen­steht. Dem ist zu­zu­stim­men: Die mit ei­ner Be­wer­bung be­fass­ten Per­so­nen ei­ner Per­so­nal­stel­le sind zur Ver­schwie­gen­heit ver­pflich­tet, d.h. die per­so­nen­be­zo­ge­nen Da­ten ei­nes Be­wer­bers dürfen im All­ge­mei­nen nicht wei­ter­ge­ge­ben wer­den, auch nicht an ei­ne an­de­re per­so­nalführen­de Stel­le der­sel­ben Behörde.

Fa­zit: Ob man als schwer­be­hin­der­ter Be­wer­ber auf sei­ne Schwer­be­hin­de­rung hin­weist oder nicht, kann man frei ent­schei­den. Wer sich für ei­nen sol­chen Hin­weis ent­schei­det, muss es dann aber klipp und klar tun, d.h. durch ei­ne Erwähnung im Be­wer­bungs­an­schrei­ben oder durch ei­nen deut­li­chen Hin­weis im Le­bens­lauf.

Nähe­re In­for­ma­tio­nen fin­den sie hier:

Hin­weis: In der Zwi­schen­zeit, d.h. nach Er­stel­lung die­ses Ar­ti­kels, hat das BAG sei­ne Ent­schei­dungs­gründe veröffent­licht. Das vollständig be­gründe­te Ur­teil des BAG fin­den Sie hier:

Letzte Überarbeitung: 16. November 2020

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