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Streikbruchprämien sind rechtmäßig
15.08.2018. Arbeitgeber müssen bei einem Streik nicht einfach die Backen hinhalten, sondern dürfen Gegenmaßnahmen ergreifen, so jedenfalls die Arbeitsgerichte und die herrschende Meinung unter Arbeitsrechtlern.
Zu solchen legalen Gegenmaßnahmen gehören auch sog. Streikbruchprämien, mit denen der Arbeitgeber vor oder während eines Streiks versucht, die Arbeitnehmer vom Streiken abzuhalten.
Fraglich ist allerdings, ob Streikbruchprämien auch dann rechtens sind, wenn sie den Tageslohn der betroffenen Arbeitnehmer um ein Vielfaches übersteigen. Ja, so das Bundesarbeitsgericht (BAG) in einer gestern ergangenen Entscheidung: BAG, Urteil vom 14.08.2018, 1 AZR 287/17 (Pressemeldung des Gerichts).
- Unter welchen Umständen sind Streikbruchprämien verhältnismäßig?
- Im Streit: Streikbruchprämien von 200,00 EUR und von 100,00 EUR brutto pro Tag
- BAG: Streikbruchprämien sind rechtens, auch wenn sie den Tagesverdienst um ein Mehrfaches übersteigen
Unter welchen Umständen sind Streikbruchprämien verhältnismäßig?
In einem Urteil aus dem Jahre 1993 hat das BAG deutlich gemacht, dass es Streikbruchprämien als zulässige Arbeitskampfmaßnahme der Arbeitgeberseite bewertet (BAG, Urteil vom 13.07.1993, 1 AZR 676/92, S. 7 - 15).
Das Arbeitskampfrecht ist in Deutschland nämlich nicht gesetzlich geregelt, sondern wird von den Gerichten aus Art.9 Abs.3 Grundgesetz (GG) hergeleitet. Daher gibt es keinen gesetzlich festgelegten abschließenden Katalog von zulässigen Arbeitskampfmaßnahmen (BAG, Urteil vom 13.07.1993, 1 AZR 676/92, S. 8).
Vielmehr dürfen Gewerkschaften, Arbeitgeberverbände und Arbeitgeber im Rahmen ihrer Koalitions- und Arbeitskampffreiheit selbst entscheiden, welche Arbeitskampfmittel sie bei Tarifauseinandersetzungen einsetzen (BAG, Urteil vom 13.07.1993, 1 AZR 676/92, S. 7 - 8). Das spricht für die Zulässigkeit von Streikbruchprämien. Eine (äußerste) Grenze ist dann erreicht, wenn Arbeitskampfmaßnahmen (offenkundig) „unverhältnismäßig“ sind (BAG, Urteil vom 13.07.1993, 1 AZR 676/92, S. 12), was praktisch kaum vorkommt.
Allerdings verbietet § 612a Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) sog. Maßregelungen, d.h. der Arbeitgeber darf „einen Arbeitnehmer bei einer Vereinbarung oder einer Maßnahme“ nicht benachteiligen, weil er „in zulässiger Weise seine Rechte ausübt.“
Eine solche Benachteiligung von Arbeitnehmern (durch Nichtzahlung einer Streikbruchprämie), weil sie streiken (und damit in zulässiger Weise ihre Rechte ausüben), liegt laut BAG bei Streikbruchprämien aber im Ergebnis nicht vor. Denn das aus Art.9 Abs.3 GG hergeleitete Arbeitskampfrecht ist gegenüber § 612a BGB vorrangig (BAG, Urteil vom 13.07.1993, 1 AZR 676/92, S. 15).
Streikbruchprämien verstoßen nach Ansicht des BAG auch nicht gegen den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz, denn die Besserstellung von nicht streikenden gegenüber nicht streikenden Arbeitnehmern ist arbeitskampfrechtlich gerechtfertigt (BAG, Urteil vom 13.07.1993, 1 AZR 676/92, S. 14).
Schließlich spricht auch Art.9 Abs.3 Satz 2 GG nicht gegen Streikbruchprämien, so das BAG (Urteil vom 13.07.1993, 1 AZR 676/92, S. 9 - 10). Nach dieser Vorschrift sind Abreden, die das Koalitionsgrundrecht „einschränken oder zu behindern suchen (…) nichtig“ und „hierauf gerichtete Maßnahmen (…) rechtswidrig“. Streikbruchprämien schränken die Koalitionsfreiheit der Arbeitnehmer aber nicht ein, wenn sie unterschiedslos allen Arbeitnehmern versprochen werden, die sich am Streik nicht beteiligen, d.h. solange der Arbeitgeber hier nicht zwischen Gewerkschaftsmitgliedern und Nicht Gewerkschaftsmitglieder unterscheidet.
Auch wenn Streikbruchprämien demzufolge im Prinzip zulässig sind, fragt sich doch, ob solche finanziellen Versprechungen nicht im Einzelfall unangemessen hoch und daher letztlich doch rechtswidrig sind.
Im Streit: Streikbruchprämien von 200,00 EUR und von 100,00 EUR brutto pro Tag
Geklagt hatte ein gewerkschaftlich organisierter Verkäufer, der in einer kleinen Filiale einer Einzelhandelskette arbeitete und dort der einzige Betriebsrat („Betriebsobmann“) war. Am 15. und 16.10.2015 wurde die Filiale an zwei Tagen von der Gewerkschaft ver.di bestreikt, wobei der Kläger am 15.10.2015 streikte und am Folgetag auf einer Betriebsratsschulung war.
Vor Beginn des Streiks hatte der Arbeitgeber per Aushang im Betrieb arbeitswilligen Arbeitnehmern eine Streikbruchprämie von 200,00 EUR brutto pro Tag zugesagt. In dem Aushang versprach der Arbeitgeber
„allen arbeitswilligen Mitarbeitern und Auszubildenden, die bei einem Streik ihrer regulären Tätigkeit nachgehen und nicht streiken, eine Prämie in Höhe von 200,00 Euro brutto je Streiktag (Vollzeit) (Teilzeit wird stundenanteilig berechnet)“.
Diese Prämie bekam der Kläger nicht.
Anfang November 2015 wiederholte der Arbeitgeber per Aushang seine Zusage einer Streikbruchprämie, wobei er die Prämie auf 100,00 EUR pro Tag reduzierte. Der Kläger beteiligte sich von Mitte November 2015 bis Anfang April 2016 an insgesamt acht Streiktagen. Auch für diese acht Tage bekam der Kläger keine Prämie.
Aus seiner Sicht stand ihm die Prämie zu, insgesamt 1.200,00 EUR brutto, und zwar jeweils 200,00 EUR brutto für den15. und 16.10.2015 sowie jeweils 100,00 EUR brutto für die acht Streiktage von Mitte November 2015 bis Anfang April 2016.
Da der Arbeitgeber nicht zahlte, zog der Verkäufer vor das Arbeitsgericht Braunschweig, das seine Klage unter Berufung auf das o.g. BAG-Urteil vom 13.07.1993 (1 AZR 676/92) abwies (Arbeitsgericht Braunschweig, Urteil vom 02.06.2016, 6 Ca 529/15). Dabei hielt das Arbeitsgericht sowohl eine Prämie von 200,00 EUR brutto pro Tag als auch eine Prämie von 100,00 EUR täglich für verhältnismäßig und damit für rechtens.
Auch in der Berufung vor dem Landesarbeitsgericht (LAG) Niedersachsen hatte der Kläger keinen Erfolg (LAG Niedersachsen, Urteil vom 18.05.2017, 7 Sa 815/16). Allerdings meinte das LAG im Unterschied zum Arbeitsgericht, dass eine Prämie von 200,00 EUR zu hoch bemessen bzw. unangemessen sei.
Denn der Tagesverdienst des Klägers lag aufgrund seines bescheidenen Stundenlohnes von 8,70 EUR brutto bei (8 x 8,70 =) 69,60 EUR brutto, so dass die Streikbruchprämie zu einem Tagesverdienst von 269,70 EUR brutto geführt hätte. Das wäre aber beinahe das Vierfache des regulären Tagesverdienstes (4 x 69,70 = 278,40 EUR) gewesen.
Trotzdem hatte der Kläger hier nach Ansicht des LAG keinen Anspruch auf die Streikprämie, auch nicht für die zwei Tage im Oktober 2015. Denn weil das Prämienversprechen für die ersten beiden Streiktage im Oktober 2015 nicht rechtens war, konnte der Kläger daraus keine Rechte herleiten, so das LAG, denn es gibt keinen Anspruch auf „Gleichbehandlung im Unrecht“ (Urteil, Rn.66).
BAG: Streikbruchprämien sind rechtens, auch wenn sie den Tagesverdienst um ein Mehrfaches übersteigen
Auch in Erfurt vor dem BAG hatte der Kläger kein Glück. Das BAG gab dem Arbeitgeber recht. In der derzeit allein vorliegenden Pressemeldung heißt es zur Begründung:
Ein bestreikter Arbeitgeber ist im Prinzip dazu berechtigt, die zum Streik aufgerufenen Arbeitnehmer durch die Zusage einer Streikbruchprämie von einer Streikbeteiligung abzuhalten. In einer solchen Zusage liegt zwar eine Ungleichbehandlung der streikenden und der nicht streikenden Beschäftigten. Diese ist aber „aus arbeitskampfrechtlichen Gründen gerechtfertigt“, d.h. hier liegt kein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz vor.
Denn der Arbeitgeber will mit einer solchen Sonderleistung streikbedingte Betriebsstörungen verhindern und damit den Streikdruck abfedern, und das ist eine typische Arbeitskampfmaßnahme. Vor dem Hintergrund „der für beide soziale Gegenspieler geltenden Kampfmittelfreiheit“ ist ein solches Vorgehen eine zulässige Arbeitskampfmaßnahme des Arbeitgebers, so das BAG.
Streikbruchprämien sind zwar am Maßstab der Verhältnismäßigkeit zu überprüfen. Im vorliegenden Fall hatten die Erfurter Richter aber hier kein Problem. Denn die umstrittene Prämie war „nicht unangemessen“, und zwar auch soweit sie den Tagesverdienst „um ein Mehrfaches überstieg“.
Fazit: Streikbruchprämien sind rechtens, auch wenn sie ziemlich hoch ausfallen und damit einen erheblichen Anreiz schaffen, den gewerkschaftlichen Streikaufruf nicht zu befolgen.
Voraussetzung ist allerdings, dass eine solche Prämie vor bzw. während des Streiks versprochen wird, denn andernfalls ist eine Beeinflussung des Arbeitskampfes nicht möglich. Nachträgliche Streikbruchprämien sind im Allgemeinen rechtswidrig, denn sie bestrafen unter Verstoß gegen § 612a BGB und gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz die streikenden Arbeitnehmer.
Für die gewerkschaftliche Tarifpraxis bedeutet das Urteil, dass tarifvertragliche Maßregelungsverbote sorgfältiger als bisher üblich formuliert werden sollten. Streikbruchprämien müssen künftig ausdrücklich und unmissverständlich in tarifvertragliche Maßregelungsverbote einbezogen werden. Klarheit schafft z.B. die folgende Formulierung: „Soweit während des Arbeitskampfes Streikbruchprämien gezahlt wurden, stehen diese auch Arbeitnehmern zu, die sich am Streik beteiligt haben.“
Nähere Informationen finden Sie hier:
- Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 14.08.2018, 1 AZR 287/17 (Pressemeldung des Gerichts)
- Landesarbeitsgericht Niedersachsen, Urteil vom 18.05.2017, 7 Sa 815/16
- Arbeitsgericht Braunschweig, Urteil vom 02.06.2016, 6 Ca 529/15
- Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 13.07.1993, 1 AZR 676/92
- Handbuch Arbeitsrecht: Betriebliche Übung
- Handbuch Arbeitsrecht: Gleichbehandlungsgrundsatz
- Handbuch Arbeitsrecht: Freistellung, Suspendierung
- Handbuch Arbeitsrecht: Streik und Streikrecht
- Handbuch Arbeitsrecht: Tarifvertrag
- Handbuch Arbeitsrecht: Vergütung bei Arbeitsausfall
- Arbeitsrecht aktuell: 18/286 BAG erlaubt Streikmaßnahmen auf Firmenparkplatz
- Arbeitsrecht aktuell: 18/140 Streikverbot für Beamte bleibt bestehen
- Arbeitsrecht aktuell: 15/098 Bevorzugung von Gewerkschaftsmitgliedern durch Stichtagsregelungen
- Arbeitsrecht aktuell: 14/192 Bevorzugung von Gewerkschaftsmitgliedern durch Erholungsbeihilfen
- Arbeitsrecht aktuell: 14/130 Streikbegleitende Flashmob-Aktionen sind nicht generell verboten
- Arbeitsrecht aktuell: 11/075 Kein tarifvertraglicher Zwang zur Besserstellung von Gewerkschaftsmitgliedern
- Arbeitsrecht aktuell: 11/045 Aufruf zum Streik vom eigenen Arbeitsplatz
- Arbeitsrecht aktuell: 10/080 Dritte dürfen Streik nicht unterbinden
- Arbeitsrecht aktuell: 09/185 Flashmob-Aktionen sind zulässig
- Arbeitsrecht aktuell: 09/076 Besserstellung von Gewerkschaftsmitgliedern durch tarifliche Differenzierungsklauseln
- Arbeitsrecht aktuell: 07/76 Lokführer dürfen im Güterverkehr und im Personenfernverkehr streiken
- Arbeitsrecht aktuell: 07/24 Bundesarbeitsgericht: Solidaritätsstreiks zulässig
Letzte Überarbeitung: 28. Juni 2020
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