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ARBEITSRECHT AKTUELL // 18/199

Streik­bruch­prä­mi­en sind recht­mä­ßig

Ar­beit­ge­ber dür­fen wäh­rend ei­nes Streiks er­heb­li­che Son­der­zah­lun­gen für Ar­beit­neh­mer ver­spre­chen, die sich am Streik nicht be­tei­li­gen: Bun­des­ar­beits­ge­richt, Ur­teil vom 14.08.2018, 1 AZR 287/17
Demonstration, Streik, Arbeitskampf

15.08.2018. Ar­beit­ge­ber müs­sen bei ei­nem Streik nicht ein­fach die Ba­cken hin­hal­ten, son­dern dür­fen Ge­gen­maß­nah­men er­grei­fen, so je­den­falls die Ar­beits­ge­rich­te und die herr­schen­de Mei­nung un­ter Ar­beits­recht­lern.

Zu sol­chen le­ga­len Ge­gen­maß­nah­men ge­hö­ren auch sog. Streik­bruch­prä­mi­en, mit de­nen der Ar­beit­ge­ber vor oder wäh­rend ei­nes Streiks ver­sucht, die Ar­beit­neh­mer vom Strei­ken ab­zu­hal­ten.

Frag­lich ist al­ler­dings, ob Streik­bruch­prä­mi­en auch dann rech­tens sind, wenn sie den Ta­ges­lohn der be­trof­fe­nen Ar­beit­neh­mer um ein Viel­fa­ches über­stei­gen. Ja, so das Bun­des­ar­beits­ge­richt (BAG) in ei­ner ges­tern er­gan­ge­nen Ent­schei­dung: BAG, Ur­teil vom 14.08.2018, 1 AZR 287/17 (Pres­se­mel­dung des Ge­richts).

Un­ter wel­chen Umständen sind Streik­bruch­prämi­en verhält­nismäßig?

In ei­nem Ur­teil aus dem Jah­re 1993 hat das BAG deut­lich ge­macht, dass es Streik­bruch­prämi­en als zulässi­ge Ar­beits­kampf­maßnah­me der Ar­beit­ge­ber­sei­te be­wer­tet (BAG, Ur­teil vom 13.07.1993, 1 AZR 676/92, S. 7 - 15).

Das Ar­beits­kampf­recht ist in Deutsch­land nämlich nicht ge­setz­lich ge­re­gelt, son­dern wird von den Ge­rich­ten aus Art.9 Abs.3 Grund­ge­setz (GG) her­ge­lei­tet. Da­her gibt es kei­nen ge­setz­lich fest­ge­leg­ten ab­sch­ließen­den Ka­ta­log von zulässi­gen Ar­beits­kampf­maßnah­men (BAG, Ur­teil vom 13.07.1993, 1 AZR 676/92, S. 8).

Viel­mehr dürfen Ge­werk­schaf­ten, Ar­beit­ge­ber­verbände und Ar­beit­ge­ber im Rah­men ih­rer Ko­ali­ti­ons- und Ar­beits­kampf­frei­heit selbst ent­schei­den, wel­che Ar­beits­kampf­mit­tel sie bei Ta­rif­aus­ein­an­der­set­zun­gen ein­set­zen (BAG, Ur­teil vom 13.07.1993, 1 AZR 676/92, S. 7 - 8). Das spricht für die Zulässig­keit von Streik­bruch­prämi­en. Ei­ne (äußers­te) Gren­ze ist dann er­reicht, wenn Ar­beits­kampf­maßnah­men (of­fen­kun­dig) „un­verhält­nismäßig“ sind (BAG, Ur­teil vom 13.07.1993, 1 AZR 676/92, S. 12), was prak­tisch kaum vor­kommt.

Al­ler­dings ver­bie­tet § 612a Bürger­li­ches Ge­setz­buch (BGB) sog. Maßre­ge­lun­gen, d.h. der Ar­beit­ge­ber darf „ei­nen Ar­beit­neh­mer bei ei­ner Ver­ein­ba­rung oder ei­ner Maßnah­me“ nicht be­nach­tei­li­gen, weil er „in zulässi­ger Wei­se sei­ne Rech­te ausübt.“

Ei­ne sol­che Be­nach­tei­li­gung von Ar­beit­neh­mern (durch Nicht­zah­lung ei­ner Streik­bruch­prämie), weil sie strei­ken (und da­mit in zulässi­ger Wei­se ih­re Rech­te ausüben), liegt laut BAG bei Streik­bruch­prämi­en aber im Er­geb­nis nicht vor. Denn das aus Art.9 Abs.3 GG her­ge­lei­te­te Ar­beits­kampf­recht ist ge­genüber § 612a BGB vor­ran­gig (BAG, Ur­teil vom 13.07.1993, 1 AZR 676/92, S. 15).

Streik­bruch­prämi­en ver­s­toßen nach An­sicht des BAG auch nicht ge­gen den ar­beits­recht­li­chen Gleich­be­hand­lungs­grund­satz, denn die Bes­ser­stel­lung von nicht strei­ken­den ge­genüber nicht strei­ken­den Ar­beit­neh­mern ist ar­beits­kampf­recht­lich ge­recht­fer­tigt (BAG, Ur­teil vom 13.07.1993, 1 AZR 676/92, S. 14).

Sch­ließlich spricht auch Art.9 Abs.3 Satz 2 GG nicht ge­gen Streik­bruch­prämi­en, so das BAG (Ur­teil vom 13.07.1993, 1 AZR 676/92, S. 9 - 10). Nach die­ser Vor­schrift sind Ab­re­den, die das Ko­ali­ti­ons­grund­recht „ein­schränken oder zu be­hin­dern su­chen (…) nich­tig“ und „hier­auf ge­rich­te­te Maßnah­men (…) rechts­wid­rig“. Streik­bruch­prämi­en schränken die Ko­ali­ti­ons­frei­heit der Ar­beit­neh­mer aber nicht ein, wenn sie un­ter­schieds­los al­len Ar­beit­neh­mern ver­spro­chen wer­den, die sich am Streik nicht be­tei­li­gen, d.h. so­lan­ge der Ar­beit­ge­ber hier nicht zwi­schen Ge­werk­schafts­mit­glie­dern und Nicht Ge­werk­schafts­mit­glie­der un­ter­schei­det.

Auch wenn Streik­bruch­prämi­en dem­zu­fol­ge im Prin­zip zulässig sind, fragt sich doch, ob sol­che fi­nan­zi­el­len Ver­spre­chun­gen nicht im Ein­zel­fall un­an­ge­mes­sen hoch und da­her letzt­lich doch rechts­wid­rig sind.

Im Streit: Streik­bruch­prämi­en von 200,00 EUR und von 100,00 EUR brut­to pro Tag

Ge­klagt hat­te ein ge­werk­schaft­lich or­ga­ni­sier­ter Verkäufer, der in ei­ner klei­nen Fi­lia­le ei­ner Ein­zel­han­dels­ket­te ar­bei­te­te und dort der ein­zi­ge Be­triebs­rat („Be­triebs­ob­mann“) war. Am 15. und 16.10.2015 wur­de die Fi­lia­le an zwei Ta­gen von der Ge­werk­schaft ver.di be­streikt, wo­bei der Kläger am 15.10.2015 streik­te und am Fol­ge­tag auf ei­ner Be­triebs­rats­schu­lung war.

Vor Be­ginn des Streiks hat­te der Ar­beit­ge­ber per Aus­hang im Be­trieb ar­beits­wil­li­gen Ar­beit­neh­mern ei­ne Streik­bruch­prämie von 200,00 EUR brut­to pro Tag zu­ge­sagt. In dem Aus­hang ver­sprach der Ar­beit­ge­ber

„al­len ar­beits­wil­li­gen Mit­ar­bei­tern und Aus­zu­bil­den­den, die bei ei­nem Streik ih­rer re­gulären Tätig­keit nach­ge­hen und nicht strei­ken, ei­ne Prämie in Höhe von 200,00 Eu­ro brut­to je Streik­tag (Voll­zeit) (Teil­zeit wird stun­den­an­tei­lig be­rech­net)“.

Die­se Prämie be­kam der Kläger nicht.

An­fang No­vem­ber 2015 wie­der­hol­te der Ar­beit­ge­ber per Aus­hang sei­ne Zu­sa­ge ei­ner Streik­bruch­prämie, wo­bei er die Prämie auf 100,00 EUR pro Tag re­du­zier­te. Der Kläger be­tei­lig­te sich von Mit­te No­vem­ber 2015 bis An­fang April 2016 an ins­ge­samt acht Streik­ta­gen. Auch für die­se acht Ta­ge be­kam der Kläger kei­ne Prämie.

Aus sei­ner Sicht stand ihm die Prämie zu, ins­ge­samt 1.200,00 EUR brut­to, und zwar je­weils 200,00 EUR brut­to für den15. und 16.10.2015 so­wie je­weils 100,00 EUR brut­to für die acht Streik­ta­ge von Mit­te No­vem­ber 2015 bis An­fang April 2016.

Da der Ar­beit­ge­ber nicht zahl­te, zog der Verkäufer vor das Ar­beits­ge­richt Braun­schweig, das sei­ne Kla­ge un­ter Be­ru­fung auf das o.g. BAG-Ur­teil vom 13.07.1993 (1 AZR 676/92) ab­wies (Ar­beits­ge­richt Braun­schweig, Ur­teil vom 02.06.2016, 6 Ca 529/15). Da­bei hielt das Ar­beits­ge­richt so­wohl ei­ne Prämie von 200,00 EUR brut­to pro Tag als auch ei­ne Prämie von 100,00 EUR täglich für verhält­nismäßig und da­mit für rech­tens.

Auch in der Be­ru­fung vor dem Lan­des­ar­beits­ge­richt (LAG) Nie­der­sach­sen hat­te der Kläger kei­nen Er­folg (LAG Nie­der­sach­sen, Ur­teil vom 18.05.2017, 7 Sa 815/16). Al­ler­dings mein­te das LAG im Un­ter­schied zum Ar­beits­ge­richt, dass ei­ne Prämie von 200,00 EUR zu hoch be­mes­sen bzw. un­an­ge­mes­sen sei.

Denn der Ta­ges­ver­dienst des Klägers lag auf­grund sei­nes be­schei­de­nen St­un­den­loh­nes von 8,70 EUR brut­to bei (8 x 8,70 =) 69,60 EUR brut­to, so dass die Streik­bruch­prämie zu ei­nem Ta­ges­ver­dienst von 269,70 EUR brut­to geführt hätte. Das wäre aber bei­na­he das Vier­fa­che des re­gulären Ta­ges­ver­diens­tes (4 x 69,70 = 278,40 EUR) ge­we­sen.

Trotz­dem hat­te der Kläger hier nach An­sicht des LAG kei­nen An­spruch auf die Streik­prämie, auch nicht für die zwei Ta­ge im Ok­to­ber 2015. Denn weil das Prämi­en­ver­spre­chen für die ers­ten bei­den Streik­ta­ge im Ok­to­ber 2015 nicht rech­tens war, konn­te der Kläger dar­aus kei­ne Rech­te her­lei­ten, so das LAG, denn es gibt kei­nen An­spruch auf „Gleich­be­hand­lung im Un­recht“ (Ur­teil, Rn.66).

BAG: Streik­bruch­prämi­en sind rech­tens, auch wenn sie den Ta­ges­ver­dienst um ein Mehr­fa­ches über­stei­gen

Auch in Er­furt vor dem BAG hat­te der Kläger kein Glück. Das BAG gab dem Ar­beit­ge­ber recht. In der der­zeit al­lein vor­lie­gen­den Pres­se­mel­dung heißt es zur Be­gründung:

Ein be­streik­ter Ar­beit­ge­ber ist im Prin­zip da­zu be­rech­tigt, die zum Streik auf­ge­ru­fe­nen Ar­beit­neh­mer durch die Zu­sa­ge ei­ner Streik­bruch­prämie von ei­ner Streik­be­tei­li­gung ab­zu­hal­ten. In ei­ner sol­chen Zu­sa­ge liegt zwar ei­ne Un­gleich­be­hand­lung der strei­ken­den und der nicht strei­ken­den Beschäftig­ten. Die­se ist aber „aus ar­beits­kampf­recht­li­chen Gründen ge­recht­fer­tigt“, d.h. hier liegt kein Ver­s­toß ge­gen den Gleich­be­hand­lungs­grund­satz vor.

Denn der Ar­beit­ge­ber will mit ei­ner sol­chen Son­der­leis­tung streik­be­ding­te Be­triebsstörun­gen ver­hin­dern und da­mit den Streik­druck ab­fe­dern, und das ist ei­ne ty­pi­sche Ar­beits­kampf­maßnah­me. Vor dem Hin­ter­grund „der für bei­de so­zia­le Ge­gen­spie­ler gel­ten­den Kampf­mit­tel­frei­heit“ ist ein sol­ches Vor­ge­hen ei­ne zulässi­ge Ar­beits­kampf­maßnah­me des Ar­beit­ge­bers, so das BAG.

Streik­bruch­prämi­en sind zwar am Maßstab der Verhält­nismäßig­keit zu über­prüfen. Im vor­lie­gen­den Fall hat­ten die Er­fur­ter Rich­ter aber hier kein Pro­blem. Denn die um­strit­te­ne Prämie war „nicht un­an­ge­mes­sen“, und zwar auch so­weit sie den Ta­ges­ver­dienst „um ein Mehr­fa­ches über­stieg“.

Fa­zit: Streik­bruch­prämi­en sind rech­tens, auch wenn sie ziem­lich hoch aus­fal­len und da­mit ei­nen er­heb­li­chen An­reiz schaf­fen, den ge­werk­schaft­li­chen Streik­auf­ruf nicht zu be­fol­gen.

Vor­aus­set­zung ist al­ler­dings, dass ei­ne sol­che Prämie vor bzw. während des Streiks ver­spro­chen wird, denn an­dern­falls ist ei­ne Be­ein­flus­sung des Ar­beits­kamp­fes nicht möglich. Nachträgli­che Streik­bruch­prämi­en sind im All­ge­mei­nen rechts­wid­rig, denn sie be­stra­fen un­ter Ver­s­toß ge­gen § 612a BGB und ge­gen den Gleich­be­hand­lungs­grund­satz die strei­ken­den Ar­beit­neh­mer.

Für die ge­werk­schaft­li­che Ta­rif­pra­xis be­deu­tet das Ur­teil, dass ta­rif­ver­trag­li­che Maßre­ge­lungs­ver­bo­te sorgfälti­ger als bis­her üblich for­mu­liert wer­den soll­ten. Streik­bruch­prämi­en müssen künf­tig aus­drück­lich und un­miss­verständ­lich in ta­rif­ver­trag­li­che Maßre­ge­lungs­ver­bo­te ein­be­zo­gen wer­den. Klar­heit schafft z.B. die fol­gen­de For­mu­lie­rung: „So­weit während des Ar­beits­kamp­fes Streik­bruch­prämi­en ge­zahlt wur­den, ste­hen die­se auch Ar­beit­neh­mern zu, die sich am Streik be­tei­ligt ha­ben.“


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Letzte Überarbeitung: 28. Juni 2020

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