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ARBEITSRECHT AKTUELL // 07/76

Lok­füh­rer dür­fen im Gü­ter­ver­kehr und im Per­so­nen­fern­ver­kehr strei­ken.

Streiks sind als Be­tä­ti­gun­gen der Ko­ali­ti­ons­frei­heit grund­recht­lich ge­schützt und kön­nen nur in äu­ßers­ten Ex­trem­fäl­len recht­lich un­ter­sagt wer­den: Säch­si­sches Lan­des­ar­beits­ge­richt, Ur­teil vom 02.11.2007, 7 Sa­Ga 19/07
Streik sechs Streikende Wann ge­streikt wird und wo­für, ent­schei­den die Ge­werk­schaf­ten und nicht die Ge­rich­te

15.11.2007. Aus Ar­beit­ge­ber­sicht sind Streiks ei­gent­lich im­mer über­flüs­sig wie ein Kropf. Da­her liegt es für Ar­beit­ge­ber na­he, die Recht­mä­ßig­keit von Streiks un­ter Be­ru­fung auf den recht­li­chen Grund­satz, dass Ar­beits­kämp­fe "nicht un­ver­hält­nis­mä­ßig" sein dür­fen, in Zwei­fel zu zie­hen.

Al­ler­dings ist die "Un­ver­hält­nis­mä­ßig­keit" ei­nes Streiks ein theo­re­ti­scher ju­ris­ti­scher Ex­trem­fall, der prak­tisch nicht vor­kommt. An "nor­ma­le" Streiks ju­ris­tisch her­an­zu­ge­hen und zu prü­fen, ob Streik­ziel und Streik­fol­gen noch in ei­nem "an­ge­mes­se­nen" Ver­hält­nis zu­ein­an­der ste­hen, wür­de den Grund­rechts­schutz des Ar­beits­kampfs (Art.9 Abs.3 Grund­ge­setz - GG) aus­höh­len.

Da­her hat das Säch­si­sches Lan­des­ar­beits­ge­richt (LAG) vor kur­zem ein ar­beits­ge­richt­li­ches Ur­teil, das der Ge­werk­schaft Deut­scher Lok­füh­rer (GDL) ei­nen Streik un­ter­sagt hat, auf­ge­ho­ben. Auch der Grund­satz der "Ta­rif­ein­heit" half der be­streik­ten Deut­schen Bahn AG als Ar­gu­ment nicht wei­ter: Säch­si­sches LAG, Ur­teil vom 02.11.2007, 7 Sa­Ga 19/07.

Können klei­ne Ge­werk­schaf­ten zur Durch­set­zung ei­nes Spar­ten­ta­rif­ver­trags strei­ken, not­falls auch mit "har­ten" Mit­teln?

15.11.2007. In den zurück­lie­gen­den Wo­chen und Mo­na­ten des Ta­rif­kon­flikts zwi­schen der Deut­schen Bahn AG, ih­ren Kon­zerntöchtern und dem Ar­beit­ge­ber­ver­band der Mo­bi­litäts- und Ver­kehrs­dienst­leis­ter e.V. auf der ei­nen und der Ge­werk­schaft Deut­scher Lokführer (GDL) auf der an­de­ren Sei­te ha­ben bei­de Kon­tra­hen­ten außer­gewöhn­lich oft die Ge­rich­te bemüht, um die Pläne ih­res Ge­gen­spie­lers zu durch­kreu­zen.

Zu­letzt konn­te die Deut­sche Bahn, d.h. ge­nau­er ge­sagt: die DB Re­gio Netz­Ver­kehrs GmbH, die DB Re­gio AG und der Ar­beit­ge­ber­ver­band der Mo­bi­litäts- und Ver­kehrs­dienst­leis­ter e.V., vor dem Ar­beits­ge­richt Chem­nitz ei­nen ju­ris­ti­schen Teil­er­folg ver­zeich­nen, in­dem es ih­nen dort im Rah­men ei­nes auf Er­lass ei­ner einst­wei­li­gen Verfügung ge­rich­te­ten Eil­ver­fah­rens ge­lang, der GDL Streiks in den Be­trie­ben der DB Fern­ver­kehrs AG und der Rai­li­on Deutsch­land AG zu or­ga­ni­sie­ren (Ur­teil des Ar­beits­ge­richts Chem­nitz vom 05.10.2007, 7 Ga 26/07).

Ent­schei­dungs­er­heb­lich war die recht­li­che Fra­ge, ob Streiks der GDL mögli­cher­wei­se un­zulässig sind, weil die „Kampf­pa­rität“ zwi­schen den Ta­rif­par­tei­en zu­las­ten der Bahn mögli­cher­wei­se gestört ist und/oder weil der von der GDL er­streb­te Spar­ten­ta­rif­ver­trag nach dem Grund­satz der Ta­rif­ein­heit nicht zur An­wen­dung kom­men würde und/oder weil Streiks von Lokführern auf­grund der da­durch ver­ur­sach­ten enor­men wirt­schaft­li­chen Schäden un­verhält­nismäßig wären.

Über die­se Fra­gen hat­te das säch­si­schen LAG im Rah­men der Be­ru­fung ge­gen das o.g. Ur­teil des Ar­beits­ge­richts Chem­nitz zu ent­schei­den (Ur­teil vom 02.11.2007, 7 Sa­Ga 19/07).

Der Streit­fall: GDL be­streikt die Deut­sche Bahn AG im Nah­ver­kehr, Per­so­nen­fern­ver­kehr und im Güter­ver­kehr

In dem Eil­ver­fah­ren vor dem Ar­beits­ge­richt Chem­nitz strit­ten die Be­tei­lig­ten über die recht­li­che Be­fug­nis der be­klag­ten GDL, im Be­reich des Nah­ver­kehrs, des Per­so­nen­fern­ver­kehrs und des Güter­ver­kehrs Streiks zur Er­zwin­gung ei­nes spe­zi­ell für das Fahr­per­so­nal gel­ten­den (Spar­ten-)Ta­rif­ver­trags durch­zuführen.

Auf der Kläger­sei­te tra­ten zwei Toch­ter­ge­sell­schaf­ten der Deut­sche Bahn AG, die DB Re­gio Netz­Ver­kehrs GmbH und die DB Re­gio AG, zu­sam­men mit dem Ar­beit­ge­ber­ver­band der Mo­bi­litäts- und Ver­kehrs­dienst­leis­ter e.V. als wei­te­rem Verfügungskläger auf. Be­klagt war die GDL. Das Ar­beits­ge­richt Chem­nitz un­ter­sag­te der GDL zwar Streik­maßnah­men im Be­reich des Per­so­nen­fern­ver­kehrs und des Güter­ver­kehrs, wies die wei­ter­ge­hen­de Kla­ge, die auf das Ver­bot von Streiks auch im Nah­ver­kehr ge­rich­tet war, je­doch zurück.

Zur Be­gründung stützt sich das Ar­beits­ge­richt Chem­nitz aus­drück­lich nicht auf das Ar­gu­ment der gestörten Kampf­pa­rität. Die­ses Ar­gu­ment hat­te die kla­gen­de Ar­beit­ge­ber­sei­te vor­ge­bracht, wo­bei sie dar­auf ver­wies, (an­geb­lich) nicht aus­sper­ren zu können, da ei­ne sol­che Kampf­maßnah­me auch Mit­glie­der der kon­kur­rie­ren­den Ge­werk­schaft TRANS­NET träfe und die Bahn ge­genüber der TRANS­NET auf­grund des mit die­ser ge­schlos­se­nen Ta­rif­ver­trags zur strik­ten Ein­hal­tung des Ar­beits­kampf­frie­dens ver­pflich­tet sei.

Die­sem Ar­gu­ment hielt das Ar­beits­ge­richt Chem­nitz ent­ge­gen, dass ge­werk­schaft­li­che Auf­ru­fe zum Streik auch von Außen­sei­tern – hier al­so von TRANS­NET-Mit­glie­dern – be­folgt wer­den dürf­ten, so dass die­se um­ge­kehrt auch von ar­beit­ge­ber­sei­ti­gen Kampf­maßnah­men in recht­lich zulässi­ger Wei­se be­trof­fen sein dürf­ten.

Ver­wor­fen wur­de wei­ter­hin auch aus­drück­lich das Ar­gu­ment, ein Streik sei auf die Er­rei­chung ei­nes Ta­rif­ver­trags ge­rich­tet, der oh­ne­hin nie an­ge­wen­det wer­den dürfe, weil dem der sog. „Grund­satz der Ta­rif­ein­heit“ ent­ge­gen­ste­he.

Das Ar­beits­ge­richt stell­te zwar fest, dass die­ser Grund­satz vom BAG (noch) nicht auf­ge­ge­ben wur­de und womöglich auch der An­wen­dung ei­nes von der GDL er­streik­ten Lokführ­er­ta­rifs ent­ge­gen­ste­hen würde, doch wei­ger­te sich das Ar­beits­ge­richt, hier­aus die Fol­ge­rung ei­nes ge­ne­rell zu­las­ten der GDL ge­hen­den Ar­beits­kampf­ver­bots zu zie­hen.

Ei­ne sol­che Schluss­fol­ge­rung er­schien dem Ge­richt zu weit­ge­hend, da dies letzt­lich dar­auf hin­aus­lau­fen würde, der GDL dau­er­haft den grund­recht­lich geschütz­ten Kern­be­reich (Art.9 Abs.3 GG) der Ko­ali­ti­ons­betäti­gung zu ver­bau­en, nämlich das Aus­han­deln von Ta­rif­verträgen.

Das Ge­richt stütz­te da­her letzt­lich das von ihm aus­ge­ur­teil­te par­ti­el­le Streik­ver­bot auf den Grund­satz der Verhält­nismäßig­keit. Hier wird mit sehr knap­per Be­gründung aus­geführt, ein Streik im Be­reich des Bahn­ver­kehrs sei, je­den­falls im „eu­ro­pa­weit ver­netz­ten“ Güter­ver­kehr und im Per­so­nen­fern­ver­kehr mit nicht „hin­nehm­ba­ren“ Be­ein­träch­ti­gun­gen der All­ge­mein­heit ver­bun­den. War­um dies so sein soll­te, ob die wirt­schaft­li­chen Schäden primär Un­be­tei­lig­te oder mögli­cher­wei­se doch die be­streik­te Bahn tref­fen würde, wird nicht erörtert.

Das säch­si­schen LAG hat­te auf die Be­ru­fung bei­der Par­tei­en am 02.11.2007 über die­sen Rech­streit er­neut zu ent­schei­den (7 Sa­Ga 19/07).

Säch­si­sches LAG: Streiks sind grund­recht­lich geschützt und können nur in äußers­ten Ex­tremfällen recht­lich un­ter­sagt wer­den

Das säch­si­schen LAG hat die Rechts­po­si­ti­on der GDL in vol­lem Um­fang bestätigt, d.h. de­ren Be­ru­fung statt­ge­ge­ben und die Be­ru­fung der Bahn zurück­ge­wie­sen. Da­mit darf die GDL seit dem 02.11.2007 auch im Güter­ver­kehr und im Per­so­nen­fern­ver­kehr Streiks or­ga­ni­sie­ren.

Eben­so das Ar­beits­ge­richt Chem­nitz ist auch das Säch­si­sche LAG der Mei­nung, dass die an­geb­lich gestörte Kampf­pa­rität kein aus­rei­chen­der Grund ist, der GDL den Streik zu un­ter­sa­gen. Und auch die ju­ris­ti­schen Fol­ge­run­gen, die nach An­sicht der Ar­beit­ge­ber­anwälte an­geb­lich aus dem Grund­satz der Ta­rif­ein­heit zu zie­hen sind, sind im Er­geb­nis je­den­falls nicht tragfähig, um ein Streik­ver­bot zu recht­fer­ti­gen.

Darüber hin­aus stellt das Säch­si­sche LAG mit knap­pen und er­freu­lich kla­ren Wor­ten rich­tig, dass Streiks als Betäti­gun­gen der Ko­ali­ti­ons­frei­heit grund­recht­lich geschützt und da­her nur in äußers­ten Ex­tremfällen recht­lich un­ter­sagt wer­den können. Hier erwähnt das LAG die Möglich­keit, dass Ar­beits­kampf­maßnah­men „of­fen­sicht­lich un­ge­eig­net und un­verhält­nismäßig“ sein können.

Da hier­von im vor­lie­gen­den Ta­rif­kon­flikt bzw. bei den zu be­ur­tei­len­den Streik­maßnah­men der GDL kei­ne Re­de sein könne, dürfe ein Ge­richt die grund­recht­lich geschütz­ten Streik­maßnah­men auch nicht un­ter­sa­gen.

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Letzte Überarbeitung: 19. März 2020

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