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ArbG Chemnitz, Urteil vom 05.10.2007, 7 Ga 26/07
Schlagworte: | Streik, Tarifeinheit, Verhältnismäßigkeit | |
Gericht: | Arbeitsgericht Chemnitz | |
Aktenzeichen: | 7 Ga 26/07 | |
Typ: | Urteil | |
Entscheidungsdatum: | 05.10.2007 | |
Leitsätze: | ||
Vorinstanzen: | ||
Arbeitsgericht Chemnitz
Zwickauer Straße 54, 09112 Chemnitz
Aktenzeichen: 7 Ga 26/07
Verkündet am 5. Oktober 2007
Im Namen des Volkes
Urteil
In dem einstweiligen Verfügungsverfahren
hat das Arbeitsgericht Chemnitz, 7' Kammer, durch den Direktor des Arbeitsgerichts ''' als Vorsitzenden sowie die ehrenamtlichen Richter A ''' und B ''' aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 4' Oktober 2007
für Recht erkannt:
1. Der Verfügungsbeklagten wird es untersagt, ihre Mitglieder und sonstige Arbeitnehmer, die bei der DB Fernverkehr AG oder der Railion Deutschland AG beschäftigt sind, zu Streiks aufzurufen und/oder Streiks in den Betrieben dieser beiden Unternehmen durchzuführen, um den Abschluss eines eigenständigen Tarifvertrages mit den in Anlage 11 genannten Inhalten durchzusetzen'
2. Für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen die vorstehende Unterlassungspflicht wird der Verfügungsbeklagten ein Ordnungsgeld bis zur Höhe von EUR 250'000,00 (in Worten: zweihundertfünfzigtausend Euro), ersatzweise Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, zu vollziehen an ihrem Bundesvorsitzenden, angedroht.
3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
4. Die Verfügungsbeklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits zu 1/4, die Verfügungskläger zu 3/4 als Gesamtschuldner.
5. Der Streitwert wird auf 1'000'000,00 € festgesetzt.
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Tatbestand:
Die Verfügungsklägerinnen zu 1. und zu 2. sowie der Verfügungskläger zu 3. (künftig: Verfügungskläger) begehren im Wege der einstweiligen Verfügung die gerichtliche Untersagung gegenüber der Verfügungsbeklagten, ihre Mitglieder und sonstigen Arbeitnehmer der Verfügungskläger zu Streiks aufzurufen oder Streiks in den Betrieben der Verfügungskläger durchzuführen, um so den Abschluss eines eigenständigen Tarifvertrages zur Regelung der Arbeitszeit sowie des Arbeitsentgeltes für das Fahrpersonal durchzusetzen. Der von dem Verfügungskläger zu 3. gestellte Antrag richtet sich gegen Streikaufrufe und Streiks in den Betrieben seiner Mitgliedsunternehmen im Personen- und Güterverkehr, auf die sich der von der Verfügungsbeklagten durchzusetzende Tarifvertrag beziehen soll und bei denen Fahrpersonal beschäftigt wird.
Die Vergütungsklägerin zu 1. ist ein Unternehmen des DB-Konzerns und dort im Unternehmensbereich Nahverkehr tätig. Mit den bei ihr wie bei ihren Regionen RNEGB Chemnitz, RMVEGB und RMOWB Mellenb. Gl. RMV OWB — Wahlbetrieb Erzgebirge Oberweißenbacher Berg- und Schwarztalbahn in Chemnitz Beschäftigten erbringt sie Transportdienstleistungen im Zuständigkeitsbereich des angerufenen Arbeitsgerichts.
Die Verfügungsklägerin zu 2. ist im Unternehmensbereich Nahverkehr bundesweit tätig. In der Meldestelle Chemnitz beschäftigt sie auch Fahrpersonal, namentlich 54 Lokführer und 34 Zugbegleiter. Der Standort Chemnitz ist ein regionaler Knotenpunkt, u. a. mit Strecken nach Dresden, Leipzig, Zwickau und Hof (Sachsen-Franken-Magistrale).
Die Verfügungsklägerinnen zu 1. und zu 2. gehören dem Arbeitgeberverband der Mobilitäts- und Verkehrsdienstleister e.V. (Agv Mo Ve) an. Der Arbeitgeberverband wurde von der Deutschen Bahn AG und weiteren sieben Gesellschaften am 04.06.2007 gegründet. Ihm gehören derzeit weit über 60 Gesellschaften des DB-Konzerns an. Hierzu gehören u. a. auch die DB Fernverkehr AG, die Railion Deutschland AG, die DB Regio NRW GmbH, die S-Bahn Hamburg GmbH, die S-Bahn Berlin GmbH sowie die DB ZugBus Regionalverkehr Alb-Bodensee GmbH. Auf die vorgenannten Unternehmen des DB-Konzerns soll sich der Geltungsbereich des von der Verfügungsbeklagten angestrebten Tarifvertrags für das Fahrpersonal (FPTV) erstrecken.
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Die Verfügungsbeklagte ist neben der TRANSNET und der GDBA eine von insgesamt drei Bahngewerkschaften im Tarifbereich der Unternehmen des DB-Konzerns. Neben der TRANSNET und der DGBA schließt auch die Verfügungsbeklagte Tarifverträge im Tarifbereich der Verfügungskläger ab.
In der Vergangenheit wurden innerhalb des DB-Konzerns durchweg jeweils inhaltsgleiche Tarifverträge zwischen der Arbeitgeberseite einerseits und den Gewerkschaften TRANSNET/GDBA und der GDL andererseits abgeschlossen. Diese wurden bislang einheitlich auf alle 134.000 Beschäftigten (inklusive Beamte) innerhalb ihres Geltungsbereiches angewandt. Die Verfügungsbeklagte beendete im Sommer 2002 die Tarifgemeinschaft mit der GDBA und versuchte erstmals in der Tarifrunde 2003 in Abweichung von der bisherigen Tarifsystematik, den Abschluss eines eigenen Spartentarifvertrages für das Personal zu erreichen. Zum Abschluss eines solchen Tarifvertrages kam es seinerzeit nicht.
Die Verfügungsbeklagte verfolgte ihr Tarifziel zunächst nicht weiter und schloss mit dem 51. Änderungstarifvertrag vom 10.03.2005 in der Entgeltrunde 2005 wiederum inhaltlich gleiche tarifliche Regelungen wie die TRANSNET und GDBA mit dem Agv Mo Ve ab. Darüber hinaus wurden tarifliche Regelungen zur Beschäftigungssicherung (BeSiTV), die nach Auslaufen des vorangegangenen Beschäftigungsbündnisses einen weitgehenden Verzicht auf betriebsbedingte Kündigungen bis zum 31.12.2010 für mindestens fünf Jahre beschäftigte Arbeitnehmer vorsahen, Regelungen zur Beteiligung der Arbeitnehmer am Unternehmenserfolg (Abschlussvereinbarung vom 28.02.2005, MaBetTV) sowie Regelungen zur Kürzung des Jahresurlaubes ohne Entgeltausgleich um einen Tag (Abschlussvereinbarung vom 28.02.2005, AZTV-S) vereinbart. Ziel dieser Maßnahmen war es, eine Reduzierung der Arbeitskosten um insgesamt 5,5 % zu erreichen.
Im DB-Konzern umfasst der Personalbestand des Fahrpersonals insgesamt 32.000 Mitarbeiter. Die geschätzten Angaben zum Organisationsgrad im Bereich des Fahrpersonals sowie die Angaben zur Mitgliedschaft bei den Gewerkschaften TRANSNET/GDBA sowie der Verfügungsbeklagten sind zwischen den Parteien im Einzelnen streitig.
Am 19.03.2007 übergab die Verfügungsbeklagte dem Agv Mo Ve den Entwurf eines FPTV und eines Einführungs- und Sicherungstarifvertrages für den FPTV (Einführungs-TV zum FPTV) und forderte ihn auf, in Tarifverhandlungen über diesen Entwurf einzutreten. Mit Schreiben vom 19.03.2007 kündigte die Verfügungsbeklagte verschiedene Tarifverträge zum 30.06.2007. Auf Blatt 84 bis 87 d. A. wird Bezug genommen. Nicht gekündigt wurden der Beschäftigungssicherungsvertrag (BeSiTV), der Tarifvertrag über die Erfolgsbeteiligung für die Arbeitnehmer (MaBeTV) sowie der Tarifvertrag zur Sicherung und Anpassung von Entgeltdifferenzen (KonzernZÜTV).
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Seit Februar 2007 führte die TG TRANSNET/GDBA mit dem Agv Mo Ve Tarifverhandlungen über die Entgeltrunde 2007, an denen die Verfügungsbeklagte trotz mehrfacher Aufforderung seitens des Arbeitgeberverbandes nicht teilnahm. Am 09.07.2007 wurde ein neuer Tarifvertrag zwischen dem Agv Mo Ve und der TG TRANSNET/GDBA vereinbart, der auch mit Wirkung für alle Arbeitnehmer (einschließlich des Fahrpersonals) der Verfügungskläger geschlossen wurde. Die Laufzeit beginnt am 01.07.2007 und endet am 31.01.2009. Er sieht eine Erhöhung des Monatstabellenentgeltes um 4,5 % zum Januar 2008 sowie eine Erhöhung der Ergebnisbeteiligung 2007 um 600,00 € vor. In § 9 vereinbarten die Tarifvertragsschließenden unter der Überschrift „Konkurrenzklausel“ eine Revisionsklausel, hinsichtlich deren genauen Wortlautes, der von den Parteien unterschiedlich ausgelegt und dessen Rechtswirkungen unterschiedlich beurteilt werden, auf Bl. 417 d.A. Bezug genommen wird.
Zur Durchsetzung des FPTV rief die Verfügungsbeklagte erstmals am 02.07.2007 zu flächendeckenden Streiks im Personen- und Güterverkehr auf, die am 03.07.2007 von 05:00 Uhr bis 09:00 Uhr durchgeführt wurden. Die für den 10.07.2007 angekündigten flächendeckenden Streiks wurden durch die Arbeitsgerichte Düsseldorf und Mainz mit der Begründung untersagt, dass der Aufruf und die Durchführung von Streiks befristet bis zum 13.07.2007 zur Durchsetzung des Entwurfs FPTV gegen die Friedenspflicht aus ungekündigten Tarifverträgen verstoßen würde. Mit Schreiben vom gleichen Tage erklärte der Bundesvorsitzende der Verfügungsbeklagten dem Agv Mo Ve gegenüber, dass das bisherige Forderungspaket nicht aufrechterhalten werde und sämtliche friedenspflichtrelevanten Themen und Bereiche aus dem Forderungspaket dieser Tarifrunde herausgehalten würden. Es werde nunmehr der Abschluss eines eigenständigen Tarifvertrages zur Regelung von Entgelt und Arbeitszeit für das Personal gefordert. Bezüglich Entgelt und Arbeitszeit würden die bisherigen Forderungen aufrechterhalten. Im Rahmen der Verhandlungen vom 19.07.2007 und den Gesprächen vom 17. und 18.07.2007 wurden die Tarifforderungen durch die Verfügungsbeklagte präzisiert und hinsichtlich der Entgeltforderung auf nunmehr mindestens 31 % erhöht. Die Verfügungsbeklagte übergab der Arbeitgeberseite am 19.07.2007 ein Schreiben, in dem das „Forderungspaket der GDL zur Tarifrunde 2007“ dargestellt ist. Hinsichtlich der fünf formulierten Forderungen wird auf die Anlage Ast 11 ( Bl. 342 d.A.) Bezug genommen.
Nachdem die Verhandlungen am 19.07.2007 scheiterten, rief die Verfügungsbeklagte auf der Grundlage bereits vorliegender Beschlüsse des Hauptvorstandes und der Tarifkommission zu einer Urabstimmung über einen bundesweiten unbefristeten Streik mit Schreiben vom 24.07.2007 auf. Hinsichtlich der Einzelheiten des Aufrufs wird auf Bl. 173 d.A. Bezug genommen.
Das Ergebnis der Urabstimmung wurde am 06.08.2007 durch die Verfügungsbeklagte bekannt gemacht. Die Verfügungsbeklagte rief daraufhin zu einem bundesweiten Streik der Lokführer am 09.08.2007 im Güterverkehr auf und schloss sich hieraus ergebende Auswirkungen im Personenverkehr nicht aus. Durch Urteil des Arbeitsgerichts Chemnitz vom
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06.08.2007 (7 Ga 15/07) wurde auf Antrag der DB Regio Netz GmbH sowie auf Antrag der Railion Deutschland AG und der DB Fernverkehr AG durch das Arbeitsgericht Nürnberg am 08.08.2007 (13 Ga 65/07) sowie erneut durch das Arbeitsgericht Chemnitz mit Beschluss vom 08.08.2007 (7 Ga 16/07) auf Antrag der Verfügungsklägerin zu 2. und des Verfügungsklägers zu 3. des vorliegenden Rechtsstreits Streikmaßnahmen untersagt.
In der Widerspruchsverhandlung vor dem Arbeitsgericht Nürnberg (13 Ga 65/07) schlossen die Parteien, nachdem der Verfügungskläger zu 3. des vorliegenden Rechtsstreits und weitere DB-Unternehmen dem dortigen Verfahren beigetreten waren, am 10.08.2007 einen Vergleich, hinsichtlich dessen genauen Wortlautes auf Bl. 329 d.A. Bezug genommen wird. Unmittelbar vor der mündlichen Verhandlung vom 10.08.2007 hatten sich der Verfügungskläger zu 3. sowie die Verfügungsbeklagte und die TG TRANSNET/GDBA darauf verständigt, unter der Moderation von Herrn Prof. Kurt Biedenkopf und Dr. Heiner Geißler gemeinsam zu versuchen, eine Lösung des Tarifkonfliktes herbeizuführen. Im Hinblick auf das hiermit vereinbarte Moderationsverfahren verpflichtete sich die Verfügungsbeklagte in dem Vergleich vom 10.08.2007, während des Verfahrens, mindestens bis einschließlich 27.08.2007, keine Streikmaßnahmen beim Fahrpersonal durchzuführen bzw. hierzu aufzurufen. Das Moderationsergebnis vom 27.08.2007 wurde wie folgt formuliert:
„(1.) Der Arbeitgeber ist bereit, Tarifverhandlungen zu führen,
einerseits mit der GDL, mit dem Ziel, bis 30. September 2007 einen eigenständigen Tarifvertrag abzuschließen, der Entgelt- und Arbeitszeitregelungen für Lokomotivführer umfasst,
andererseits mit der TG, um die Entgeltstruktur im Übrigen neu zu regeln.
(2.) Die Tarifverhandlungen werden parallel, jedoch in enger Kooperation zwischen TG und GDL geführt, mit dem Ziel, ein konflikt- und widerspruchsfreies Ergebnis zu erhalten.
(3.) Über die spezifischen Entgelt- und Arbeitszeitregelungen hinaus werden die sonstigen Tarifbedingungen von GDL und TG inhalts- und wortgleich zusammengefasst.
(4.) Während der Verhandlungen besteht Friedenspflicht.“
Am 29.08.2007 legte die Verfügungsbeklagte als Verhandlungsgrundlage einen Entwurf eines Fahrpersonaltarifvertrages vor, dessen Inhalte im Wesentlichen dem ursprünglichen Entwurf vom 19.03.2007 geforderten FPTV entsprach. Der persönliche Geltungsbereich war nunmehr auf die Lokführer beschränkt.
In einem Rundschreiben vom 10.09.2007 machte die Verfügungsbeklagte deutlich, dass ein eigenständiger Tarifvertrag für die Lokführer lediglich ein Zwischenziel sei und der Tarifver-
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trag für das gesamte Fahrpersonal weiterhin angestrebt werde. Auf Bl. 332 bis 335 d.A. wird Bezug genommen. Mit einer Pressemitteilung der Gewerkschaft TRANSNET vom 20.09.2007 (Bl. 336 d.A.) gab sie bekannt, dass sie die Zusammenarbeit mit der Verfügungsbeklagten beendet habe.
Mit Schreiben vom 25.09.2007 unterbreitete die Arbeitgeberseite der Verfügungsbeklagten ein Angebot zur Übernahme der Konditionen des am 09.07.07 abgeschlossenen Tarifvertrages, zur Führung von Gesprächen zur Entgeltgruppenstruktur für die Lokführer sowie parallel dazu für die anderen Berufsgruppen. Darüber hinaus wurden Verhandlungen über höhere Verdienstmöglichkeiten für Lokführer – zwischen 2,5 % und 5 % - bei gleichzeitiger Änderung der Rahmenbedingungen des AZTV-S (Bl. 337, 338 d.A.) angeboten. Dieses Angebot wurde durch die Verfügungsbeklagte mit Schreiben vom 26.09.2007 (Bl. 339 d.A.) abgelehnt und zugleich die Durchführung erneuter Streiks angekündigt.
Im Anschluss an die Sitzung der Tarifkommission erklärte die Verfügungsbeklagte am 01.10.2007 das Moderationsverfahren für gescheitert und kündigte bundesweite Streikmaßnahmen im Personen- und Güterverkehr für den 05.10.2007 an. In ihrer hierzu verbreiteten Pressemitteilung (Bl. 341 d.A.) formuliert sie ihre Ziele wie folgt:
„Die GDL hat im Moderatorenverfahren Kompromissbereitschaft gezeigt, in dem sie von ihrer ursprünglichen Forderung nach einem eigenständigen Tarifvertrag für das gesamte Fahrpersonal abgerückt ist. Da das Moderatorenverfahren aufgrund der sturen Haltung des DB-Vorstandes jedoch gescheitert ist, kehrt die GDL nunmehr nunmehr zu ihren ursprünglichen Tarifforderungen zurück.“
Mit dem am 02.10.2007 beim Arbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz beantragten die Verfügungskläger den Erlass einer einstweiligen Verfügung zur Unterlassung von Streiks. Sie vertreten die Ansicht, dass die Durchführung eines Streiks zur Erreichung eines ausschließlich für das Fahrpersonal geltenden Tarifvertrages unverhältnismäßig und rechtswidrig sei. Nach dem Grundsatz der Tarifeinheit könnte ein solcher Tarifvertrag, wenn er im Streikwege durchgesetzt werden würde, nicht zur Geltung kommen, da er aufgrund des Grundsatzes der Tarifeinheit durch den bereits mit den Gewerkschaften TRANSNET/GDBA und dem Agv Mo Ve abgeschlossenen Tarifvertrag verdrängt würde. Sie behaupten, dass in jedem Betrieb mindestens ein TRANSNET-Mitglied beschäftigt sei und vertreten die Ansicht, dass die Frage einer bestehenden Tarifpluralität nicht nur auf Angehörige des Fahrpersonals zu beziehen sei.
Die Konkurrenzklausel in dem mit der TG vereinbarten Tarifvertrag vom 09.07.2007 stelle die Ausformulierung einer aufschiebenden Bedingung bezogen auf das einzelne Arbeitsverhältnis dar. Im Übrigen sei der Tarifvertrag als ganzer in Kraft getreten und gelte für ca. 120.000 Arbeitnehmer. Mit der Verfügungsbeklagten sollte gemäß der Moderatorenvereinbarung nur
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dann ein eigenständiger Tarifvertrag geschlossen werden, wenn die Kooperation zwischen den Gewerkschaften TG und GDL gelungen und ein konflikt- und widerspruchsfreies Ergebnis erzielt worden wäre. Ein Streik zur Durchsetzung eines Spartentarifvertrages verletze darüber hinaus das Prinzip der Arbeitskampfparität, da die Gewerkschaftszugehörigkeit der jeweiligen Arbeitnehmer auf Verfügungsklägerseite nicht bekannt sei und daher mit eigenen Kampfmaßnahmen in rechtmäßiger Weise auf den Streik nicht reagiert werden könne. Die Rechtswidrigkeit des Streiks ergebe sich darüber hinaus aus dem Gesichtspunkt der Friedenspflichtverletzung. Es bestehe ein innerer Zusammenhang zwischen den tariflichen Regelungen zur Beschäftigungssicherung (BeSiTV), Mitarbeiterbeteiligung (MaBetTV) sowie dem KonzernZÜTV mit dem angestrebten Tarifvertrag, so dass die sich hieraus ergebende relative Friedenspflicht der Rechtmäßigkeit des Streiks entgegenstehe.
Die Verfügungsbeklagte verletze darüber hinaus ihre obligatorische Verpflichtung zu Verhandlungen über ein einheitliches Tarifwerk. Schließlich seien die Arbeitskampfforderungen in einigen Punkten zu wenig konkret, um als Arbeitskampfforderung einen Streik rechtfertigen zu können.
Dem Verfügungskläger zu 3. stehe auch als Arbeitgeberverband ein Anspruch auf Unterlassung rechtswidriger Arbeitskampfmaßnahmen gemäß § 1004 Abs. 1 BGB i.V.m. § 823 Abs. 1 BGB, Art. 9 Abs. 3 GG zu. Der Verfügungsgrund sei gegeben, da die Verfügungsbeklagte bewusst besonders große Störungen im gesamten Zugverkehr der Verfügungskläger und deren Mitgliedsunternehmen verursachen wolle. Im Hinblick auf den gesetzlichen Feiertag am 03.10. sowie das Ende der Herbstferien im bevölkerungsreichsten Bundesland NRW und den beginnenden Herbstferien in vier weiteren Bundesländern, sei mit einem Anstieg des Reiseverkehrs und daher mit Störungen von besonderem Umfang zu rechnen.
Die Verfügungsklägerinnen/der Verfügungskläger beantragen:
1. a) Der Verfügungsbeklagten wird es untersagt, ihre Mitglieder und sonstige Arbeitnehmer, die bei der Verfügungsklägerin zu 1., der Verfügungsklägerin zu 2., der DB Verkehrs AG, der Railion Deutschland AG, der DB Regio NRW GmbH, der S-Bahn Hamburg GmbH, der S-Bahn Berlin GmbH oder der DB ZugBus Regionalverkehr Alb-Bodensee GmbH beschäftigt sind, zu Streiks aufzurufen und/oder Streiks in den Betrieben der vorgenannten Mitgliedsunternehmen des Verfügungsklägers zu 3. durchzuführen, um den Abschluss eines eigenständigen Tarifvertrages mit den in Anlage Ast 11 genannten Inhalten durchzusetzen.
b) Hilfsweise:
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Der Verfügungsbeklagten wird es für die Dauer der Laufzeit des BeSiTV, des MaBetTV und des KonzernZÜTV untersagt, ihre Mitglieder und sonstige Arbeitnehmer, die bei der Verfügungsklägerin zu 1., der Verfügungsklägerin zu 2., der DB Verkehr AG, der Railion Deutschland AG, der DB Regio NRW GmbH, der S-Bahn Hamburg GmbH, der S-Bahn Berlin GmbH oder der DB ZugBus Regionalverkehr Alb-Bodensee GmbH beschäftigt sind, zu Streiks aufzurufen und/oder Streiks in den Betrieben der vorgenannten Mitgliedsunternehmen des Verfügungsklägers zu 3. durchzuführen, um den Abschluss eines eigenständigen Tarifvertrages mit den in Anlage Ast 11 genannten Inhalten durchzusetzen.
2. Der Verfügungsbeklagten wird für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen die vorstehende Unterlassungspflicht ein Ordnungsgeld bis zur Höhe von € 250,000,00 (i.W. zweihundertfünfzigtausend Euro), ersatzweise Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, zu vollziehen an ihrem Bundesvorsitzenden, angedroht.
Die Verfügungsbeklagte beantragt:
1. die Anträge der Antragstellerinnen an das örtlich zuständige Arbeitsgericht Frankfurt am Main zu verweisen bzw. das Verfahren, soweit es den Arbeitgeberverband, den Verfügungskläger zu 3. angeht, an das Arbeitsgericht Berlin zu verweisen.
2. den Antrag als unzulässig, weil als unbestimmt, zurückzuweisen.
3. den Antrag als Globalantrag als unbegründet zurückzuweisen.
4. den Antrag insgesamt als unbegründet abzuweisen.
5. den Antrag des Verfügungsklägers zu 3. als unzulässig wegen fehlender Prozessführungsbefugnis zurückzuweisen.
6. des Weiteren, die Anträge dahingehend zurückzuweisen, dass ein Streik der Verfügungsbeklagten am 05.10.2007 in der Zeit von 08:00 bis 11:00 Uhr rechtmäßig ist.
Des Weiteren hilfsweise,
dass ein Streik am 05.10.2007 in der Zeit zwischen 08:00 und 10:30 Uhr stattfinden kann.
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Weiterhin hilfsweise,
dass der Streik der Verfügungsbeklagten in der Zeit von 08:00 bis 10:00 Uhr am 05.10.2007 stattfinden kann.
Hilfsweise,
dass der Streik der Verfügungsbeklagten am 05.10.2007 von 08:00 bis 09:45 Uhr stattfinden kann.
Weiterhin hilfsweise,
dass der Streik der Verfügungsbeklagten am 05.10.2007 in der Zeit von 08:00 bis 09:15 Uhr stattfinden kann.
Hilfsweise,
dass der Streik der Verfügungsbeklagten am 05.10.2007 in der Zeit von 08:00 bis 09:00 Uhr stattfinden kann.
Hilfsweise,
dass der Streik der Verfügungsbeklagten am 05.10.2007 in der Zeit von 09:30 bis 10:30 Uhr stattfinden kann.
Weiterhin hilfsweise mit der Maßgabe,
dass der Streik der Verfügungsbeklagten am 05.10.2007 in der Zeit von 10:00 bis 11:00 Uhr stattfinden kann.
Weiterhin hilfsweise mit der Maßgabe,
dass der Streik am 05.10.2007 in der Zeit von 10:30 bis 11:00 Uhr stattfinden kann.
Weiterhin hilfsweise mit der Maßgabe,
dass der Streik am 05.10.2007 sich nur auf die DB Fernverkehr AG, die Railion Deutschland AG und die Antragstellerinnen zu 1. und zu Ziff. 2. bezieht.
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Weiterhin hilfsweise,
dass der Streik am 05.10.2007 sich nur auf die S-Bahn Hamburg GmbH, die S-Bahn Berlin GmbH und die DB Regio NRW GmbH bezieht.
Weiterhin hilfsweise,
dass der Streik der Verfügungsbeklagten vom 05.10.2007 sich nur auf die DB Fernverkehr AG bezieht.
Weiterhin hilfsweise,
dass sich der Streik der Verfügungsbeklagten am 05.10.2007 nur auf die Railion Deutschland AG bezieht.
Weiterhin hilfsweise,
dass sich der Streik vom 05.10.2007 nur auf die DB Regio NRW GmbH bezieht.
Weiterhin hilfsweise,
dass sich der Streik vom 05.10.2007 der Verfügungsbeklagten nur auf die S-Bahn Hamburg GmbH bezieht.
Weiterhin hilfsweise,
dass sich der Streik vom 05.10.2007 der Verfügungsbeklagten nur auf die S-Bahn Berlin GmbH bezieht.
Weiterhin hilfsweise,
dass sich der Streik am 05.10.2007 der Verfügungsbeklagten nur auf die Antragstellerinnen zu 1. und 2. sowie auf die DB ZugBus Regionalverkehr ALP-Bodensee GmbH bezieht.
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Weiterhin hilfsweise,
dass sich der Streik nur auf die Antragstellerin zu 1. und auf die DB ZugBus Regionalverkehr Alb-Bodensee GmbH bezieht.
Weiterhin hilfsweise festzustellen,
dass sich der Streik vom 05.10.2007 der Verfügungsbeklagten auf die Antragstellerin zu 2. und die S-Bahn Hamburg GmbH bezieht.
Weiterhin hilfsweise,
dass sich der Streik nur auf die Railion Deutschland AG und die DB ZugBus Regionalverkehr Alb-Bodensee GmbH bezieht.
Weiterhin hilfsweise,
dass sich der Streik nur auf die Antragstellerin zu 1. und zu 2. und die S-Bahn Berlin GmbH bezieht.
Die Verfügungsbeklagte vertritt die Ansicht, dass ein Verfügungsanspruch nicht gegeben sei, da die Teilnahme von nicht Organisierten oder der Verfügungsbeklagten angehörenden Mitgliedern an Arbeitskampfmaßnahmen, zu denen die Verfügungsbeklagte aufrufen sollte, in jeder Hinsicht rechtmäßig wäre. Die Voraussetzungen der beantragten Unterlassung und damit der Leistungsverfügung seien nicht erfüllt, da diese nur in besonderen Ausnahmefällen zulässig sei. Aufgrund einer minimalen Konzeption und eines begrenzten Umfangs und Ausmaßes seien die Kampfmaßnahmen von vornherein nicht geeignet, zu einer unerträglichen Rechtsbeeinträchtigung auf der Klägerseite zu führen. Sie würden einen tiefen Eingriff in das grundgesetzlich gesicherte Streikrecht des Art. 9 Abs. 3 GG jedenfalls nicht rechtfertigen. Dies gelte insbesondere unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Arbeitskampfrechtes, die eine Untersagung nur dann zuließen, wenn der Streik eindeutig und offensichtlich rechtswidrig sei und diese Voraussetzungen glaubhaft gemacht worden seien.
Ein Verstoß gegen die tarifvertragliche Friedenspflicht sei nicht gegeben, da die in dem Vergleich vor dem Arbeitsgericht Nürnberg für die Dauer des Moderationsverfahrens vereinbarte vertragliche, gewillkürte Friedenspflicht mit dem Fristablauf gegenstandslos geworden sei. Eine sich aus der Geltung von Tarifverträgen für die Tarifvertragsparteien ergebende immanente Friedenspflicht sei seit dem 30.06.2007 nicht mehr gegeben, denn die Verfügungsbeklagte habe die für die von ihr genannten Tarifforderungen maßgeblichen Tarifverträge wirksam zum 30.06.2007 gekündigt. Die erhobenen Tarifforderungen berührten die ungekündigten Tarifverträge nicht. Die geltend gemachte „Verzahnung“ mit den ungekündigten Tarifverträgen, insbesondere dem BeSiTV, bestehe nicht. Dies ergebe sich bereits aus dem Tarifvertragsschluss vom 09.07.2007 zwischen der Agv Mo Ve mit der TG TRANSNET/GDBA, der eine Erhöhung des Monatstabellenentgeltes um 4,5 % vorsähe.
Eine Unverhältnismäßigkeit ergebe sich auch nicht unter Berücksichtigung des Grundsatzes
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der Tarifeinheit. Der von der Verfügungsbeklagten angestrebte Tarifvertrag wäre auch bei Beachtung der vom BAG vertretenen Lehre von der Tarifeinheit der für das Fahrpersonal speziellere Tarifvertrag, so dass die dann eintretende Situation auch unter Beachtung dieses Grundsatzes zu lösen wäre. Der Arbeitskampf für einen eigenständigen Tarifvertrag sei auch nicht deshalb als rechtswidrig zu kategorisieren, weil ein solcher Tarifvertrag „witz- und sinnlos“ sei, da er nach dem Inkrafttreten sofort durch einen geltenden Tarifvertrag verdrängt werde. Das Prinzip der Tarifautonomie schütze den Arbeitgeber nicht vor Wettbewerb unter Arbeitnehmerkoalitionen, sondern garantiere ihn verfassungsrechtlich. Die Klägerseite sei nicht befugt, durch den Abschluss eines Tarifvertrages mit einer Gewerkschaft sich auf immer und ewig den ihnen passenden Tarifpartner auszusuchen.
Eine Paritätsstörung infolge einer fehlenden Aussperrungsbefugnis der Klägerseite sei nicht gegeben. Der mit der TG geschlossene Tarifvertrag ändere hieran nichts, da die Arbeitnehmer aus diesem Tarifvertrag noch keine Rechte ableiten könnten. Zudem würde die Aussperrung nicht erklärt, um diesen Tarifvertrag abzuändern.
Die Kampfparität sei vielmehr zu Lasten der Verfügungsbeklagten durch den möglichen Einsatz der Beamten sowie durch eine betriebsverfassungsrechtlich günstige Struktur zu Gunsten der Arbeitgeberseite wie der Gewerkschaft TRANSNET/GDBA gegeben.
Schließlich könne ein ökonomischer Schaden als allgemeines Abwägungskriterium zur Beurteilung der Zulässigkeit des Streiks als eigenständige Kategorie nicht herangezogen werden. Der beim Gegner eintretende Schaden sei arbeitskampfimmanent und damit rechtlich irrelevant, da er nicht einmal ansatzweise dazu geeignet wäre, eine Existenzgefährdung herbeizuführen oder ihn gar zu vernichten. Auch ein evtl. bei Dritten infolge der vernetzten Wirtschaftsbeziehungen einer modernen Wirtschafts- und Verkehrsgesellschaft eintretender Schaden sei hinzunehmen, da es anderenfalls zu einem verfassungswidrigen Streikverbot im Verkehrsbereich kommen würde.
Schließlich hätten sich nicht nur die Moderatoren, sondern auch die Verfügungskläger in der Moderationsvereinbarung vom 27.08.2007 dazu bekannt, dass der Abschluss eines eigenständigen Tarifvertrages im Konzern als Grundprinzip rechtlich unbedenklich sei und sich hierauf als rechtlich zulässiges Verhandlungsziel verständigt. Nach dem auch hier geltenden allgemeinen Rechtsgrundsatz des § 242 BGB in Form des „venire contra factum proprium“ sei es widersprüchlich und treuwidrig, einen eigenständigen Tarifvertrag nunmehr als materiell rechtswidrig zu bezeichnen.
Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Prozessparteien wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst allen zur Akte gereichten Anlagen, das unangekündigte mündliche Vorbringen sowie die Sitzungsniederschrift vom 04./05.10.2007 Bezug genommen.
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Die Verfügungsbeklagte rügte vorab die örtliche Zuständigkeit des angerufenen Gerichts. Im Hinblick darauf war gemäß §§ 48 Abs. 1 ArbGG, 17 a Abs. 3 Satz 2 GVG vorab über die örtliche Zuständigkeit durch Beschluss zu entscheiden. Die gemäß § 48 Abs. 1 Nr. 2 ArbGG durch den Vorsitzenden vorab allein zu treffende Entscheidung erging durch Beschluss vom 04.10.2007. Auf Bl. 507 bis 512 d.A. wird Bezug genommen.
Der Verfügungsbeklagtenvertreter beantragte darüber hinaus, den Verfügungsklägervertreter von der Verhandlung auszuschließen, da bei ihm eine Interessenkollision zu befürchten sei. Der Verfügungsbeklagtenvertreter rügte darüber hinaus die ordnungsgemäße Besetzung des Gerichts unter Hinweis auf die Heranziehungsweise der ehrenamtlichen Richter von der Hilfsliste und er rügte schließlich Verletzung des § 169 GVG durch die Herstellung von Film- und Tonaufnahmen von seiner Person durch ein geöffnetes Saalfenster.´
Entscheidungsgründe
A.
Verfahrensrügen
I. Besetzung des Gerichts
Die Kammer war in der Sitzung vom 04./05.10.2007 ordnungsgemäß besetzt.
Die Regelungen zur vorschriftsmäßigen Besetzung des Gerichts sind eine Ausprägung der Garantie des gesetzlichen Richters des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG (BAGE 101, 152). Ein Besetzungsfehler ist nur auf Rüge einer der Parteien zu berücksichtigen (BAG, NJW 62, 318).
Die von dem Verfügungsbeklagtenvertreter in der mündlichen Verhandlung erhobene Rüge ist nicht begründet, da die Besetzung der Kammer in der Verhandlung, auf die auch das Urteil vom 05.10.2007 erging, das Ergebnis einer ordnungsgemäßen Anwendung des nicht zu beanstandenden Geschäftsverteilungsplanes darstellte, so dass kein wesentlicher Verfahrensmangel und keine Verletzung von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG gegeben ist. Durch den Präsidiumsbeschluss vom 06.12.2006 wurde für das Arbeitsgericht Chemnitz ein Geschäftsverteilungsplan, gültig ab dem 01.01.2007, aufgestellt. In dem mit „Die Besetzung der Kammern“ überschriebenen § 2 sind unter Ziffer 3. die Heranziehungsregelungen für die ehren-
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amtlichen Richter zu den Sitzungen nach Haupt -und Hilfslisten gemäß § 31 Abs. 1, 2 ArbGG dargestellt.
Auf der Hilfsliste der Arbeitgeber ist der mitwirkende ehrenamtliche Richter, A ..., auf dem 6. Platz, auf der Hilfsliste der Arbeitnehmer der mitwirkende ehrenamtliche Richter, B ..., auf Platz 12 genannt. Die Heranziehung erfolgte in beiden Fällen aufgrund telefonischer Benachrichtigung und erfolgte in den späten Nachmittagsstunden des 02.10.2007 für die Sitzung am 04.10.2007. Die Übrigen auf den Hilfslisten für die Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite zuvor genannten ehrenamtlichen Richter wurden ebenfalls telefonisch benachrichtigt bzw. ein entsprechender Versuch unternommen. Bei mitgeteilter dienstlicher oder persönlicher Verhinderung oder der Nichterreichbarkeit wurde der jeweils auf der Liste folgende ehrenamtliche Richter angerufen. Die von dem Verfügungsbeklagtenvertreter angeregte schriftliche Ladung kam nicht in Betracht, da auch beim Einsatz eines Boten und Einlegung der Ladung in den Briefkasten lediglich eine kurzfristige Ortsabwesenheit des Adressaten nicht hätte ausgeschlossen werden können. Gleiches gilt bei persönlicher Unerreichbarkeit. Aufgrund der Tatsache, dass am 03.10.2007 ein gesetzlicher Feiertag sowohl einen Rücklauf der Ladung wie auch eine Rückfrage mit sicherem Aussagewert zur Verfügbarkeit am 04.10.2007 nicht gewährleistet war, wäre diese Art der Ladung praktisch nicht durchführbar gewesen. Um für den beabsichtigten Sitzungstermin eine vollständig besetzte Kammer verfügbar zu haben, war eine andere praktikable Regelung nicht gegeben. Die verfassungsrechtliche Grenze des Willkürverbots (Zöller-Gummer § 21 g GVG) ist damit gewahrt.
II. Ausschluss des Verfügungsklägervertreters wegen befürchteter Interessenkollision
Der Verfügungsklägervertreter war auf Antrag des Verfügungsbeklagtenvertreters nicht gemäß § 11 ArbGG auszuschließen. Dem Gericht ist eine Überprüfung verwehrt, ob das Auftreten eines Anwalts standesrechtlich zulässig ist oder nicht. Verstöße gegen standesrechtliche Prinzipien können die Vertretungsbefugnis nicht beseitigen, sie sind ggf. durch die Standesorganisationen zu ahnden. § 11 Abs. 2 ArbGG soll sicherstellen, dass der Rechtsanwalt als unabhängiges Organ der Rechtspflege in eigener Verantwortung tätig wird. Die Verantwortung für Prozesshandlungen muss er unabhängig von Weisungen seines Mandanten übernehmen (Germelmann, ArbGG § 11 Rn 46).
III. Verletzung des Öffentlichkeitsgrundsatzes, § 169 GVG
Gemäß § 169 Satz 2 GVG sind Ton und Fernseh-Rundfunkaufnahmen sowie Ton- und Filmaufnahmen zum Zwecke der öffentlichen Vorführung oder Veröffentlichung ihres Inhalts unzulässig. Das Verbot ist vom Vorsitzenden im Rahmen seiner Befugnisse durchzusetzen (§ 176 GVG, § 136 ZPO). Eine heimliche, verbotene Aufnahme stellt eine Ungebühr i.S.v. §
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178 GVG dar, die ggf. die Verweisung des Berichterstatters des Saales rechtfertigt (Kissel, § 176 GVG RdNR 67). Die vom Verfügungsbeklagten behaupteten Ton- und Fernsehaufnahmen sollen durch ein geöffnetes Fenster des Sitzungssaales gemacht worden sein. Der Verfügungsbeklagtenvertreter selbst bemerkte dies, der Vorsitzende jedoch nicht, da das Fenster nicht in seinem Sichtbereich lag und von ihm nicht geöffnet worden war. Um weitere Aufnahmen zu verhindern, wurden durch einen anderen Richter des Gerichts im Auftrag des Vorsitzenden die Aufnahmen in unmittelbarer Sicht- und Hörweite des Gerichtsgebäudes untersagt und die Fenster geschlossen. Unberührt hiervon bleibt das Recht am eigenen Bild und die sich hieraus ergebenden Untersagungs- und Löschungsansprüche des Verfügungsbeklagtenvertreters gemäß §§ 22 ff. KUG. Die Verletzung des Aufzeichnungsverbotes stellt jedoch, anders als die Verletzung des Öffentlichkeitsprinzips, keinen absoluten Revisionsgrund dar (Kissel, § 169 RdNR 69).
B.
Der Antrag auf Erlass der begehrten einstweiligen Verfügung ist zulässig.
Im einstweiligen Verfügungsverfahren vor den Arbeitsgerichten gilt gemäß §§ 46 Abs. 2, 62 Abs. 2 ArbGG, 293 Abs. 2 Nr. 2 ZPO das Bestimmtheitsgebot. Der Klageantrag muss daher die konkrete Verletzungshandlung, deren künftige Begehung verboten werden soll, so genau bezeichnen, dass der Antragsgegner sich erschöpfend hiergegen verteidigen kann und der Antrag rechtskraft-und vollstreckungsfähig ist (BAG, Beschl. v. 17.08.1982 AP Nr. 5 zu § 87 BetrVG 1972 Ordnung des Betriebes; LAG Hamm, Urt. v. 31.05.2000, AP Nr. 158 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; LAG Rheinland-Pfalz, Ur. v. 14.06.2007, AZ.: 11 Sa 208/07, zit. nach Juris).
I.
Die Verfügungskläger begehren mit dem Antrag die Untersagung gegenüber der Verfügungsbeklagten, ihre Mitglieder und sonstige Arbeitnehmer der Verfügungskläger bzw. ihrer Mitglieder zu Streiks aufzurufen und/oder Streiks in den Betrieben der Klägerseite durchzuführen, um den Abschluss eines eigenständigen Tarifvertrages mit den in der Anlage Ast 11 genannten Inhalten durchzusetzen. Aus dem Antrag und seiner Bezugnahme auf die beigefügte Anlage ergibt sich in Verbindung mit der Begründung des Antrages das genaue Klagebegehren. Ein solcher Antrag ist ausreichend bestimmt.
Auch der Antrag des Verfügungsklägers zu 3. ist zulässig. Ein Unterlassungsantrag eines Arbeitgeberverbandes, der sich gegen den Aufruf von Arbeitnehmern zu Streiks bei seinen Mitgliedsunternehmen richtet, ist zulässig (BAG, Ur. v. 24.04.2007, AZ.: 1 AZR 252/06).
II.
Die Verfügungskläger können ihr Begehren auch in der gewählten Verfahrensart gerichtlich geltend machen. Der Erlass der begehrten Unterlassungsverfügung im Arbeitskampf ist statthaft, die verfassungsrechtlich in Art. 9 Abs. 3 GG garantierte Arbeitskampffreiheit schließt einstweilige Anordnungen im Wege der einstweiligen Verfügung nicht aus (LAG Schleswig-Holstein, Urt. v. 25.11.1999, NZA–RR 2000, 143; LAG Hamm, Urt. v. 31.05.2000, a.a.O.; Walker, Einstweiliger Rechtsschutz im Arbeitskampf, ZfA 1995, 185, 188).
III.
Die örtliche Zuständigkeit des Arbeitsgerichts Chemnitz ist gegeben.
Mit Beschluss vom 04.10.2007 (Bl. 507 bis 512 d.A.) wurde gemäß §§ 48 Abs. 1 ArbGG, 17 a Abs. 3 Satz 2 GVG über die Frage der örtlichen Zuständigkeit vorab entschieden. Auf den Beschlussinhalt wird im Übrigen Bezug genommen.
C.
Der Klageantrag ist auch begründet, soweit mit ihm die Untersagung gegenüber der Verfügungsbeklagten begehrt wurde, ihre Mitglieder und sonstige Arbeitnehmer, die bei der DB Fernverkehr AG oder der Railion Deutschland AG beschäftigt sind, zu Streiks aufzurufen und/oder in den Betrieben dieser beiden Unternehmen durchzuführen, um den Abschluss eines eigenständigen Tarifvertrages mit den in der Anlage Ast 11 genannten Inhalten durchzusetzen.
Die Voraussetzungen für den Erlass einer hierauf gerichteten einstweiligen Verfügung im Arbeitskampf sind gemäß den §§ 62 Abs. 2 ArbGG, 920 ff., 935 ff. ZPO erfüllt.
I.
Der Erlass einer einstweiligen Verfügung setzt die substantiierte Darlegung und Glaubhaftmachung der erfüllten Voraussetzungen eines Verfügungsanspruches, mithin die Darlegung der Rechtswidrigkeit der zu untersagenden Arbeitskampfmaßnahme voraus (Germelmann/Matthes/Prütting § 62 ArbGG, Rz 91).
Die Verfügungskläger genügen mit ihrem Vortrag diesen Anforderungen und sie haben einen Anspruch gegenüber der Verfügungsbeklagten auf Unterlassung der beabsichtigten Streiks in den Betrieben der im Tenor genannten Unternehmen.
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1. Der Anspruch ergibt sich aus §§ 1004, 823 Abs. 1 BGB, da der Streik nicht rechtmäßig wäre. Ein nicht rechtmäßiger Streik stellt einen rechtswidrigen Eingriff in das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb dar (BAG, Urt. v. 21.12.1982, AP Nr. 76 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; BAG, Urt. v. 12.09.1984, AP Nr. 81 zu Art. 9 GG Arbeitskampf).
a) Die Rechtswidrigkeit des beabsichtigten Streiks ergibt sich dabei nicht aus dem Gesichtspunkt der Störung der Arbeitskampfparität.
Das Prinzip der Kampfparität wird allgemein als Voraussetzung der Funktionsfähigkeit des gesamten Tarifsystems betrachtet (Kissel, Arbeitskampfrecht, § 32 Rn 1 bis 6; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, Bd. I, § 20 IV S. 968 ff). Bereits in der ersten Entscheidung des Großen Senats des BAG von 1955 (BAG GS, Urt. v. 28.01.1955, AP Nr. 1 zu Art. 9 GG Arbeitskampf) hat das BAG den Arbeitskampf als Ringen um gleichwertige Verhandlungschancen verstanden und daraus ein maßstabbildendes Strukturprinzip des gesamten Arbeitskampfes in Gestalt des Paritätsprinzips abgeleitet. Das BAG hat darin zum Ausdruck gebracht, dass es im Rahmen der Tarifautonomie durch Verhandlungen und notfalls durch Ausübung von Druck und Gegendruck zum Abschluss von Tarifverträgen und damit zu einer kollektiven Regelung von Arbeitsbedingungen kommen soll. Wenn nur die Arbeitnehmerseite Kampfmittel zur Verfügung hätte und der Arbeitgeber auf ein „Dulden und Durchstehen“ des Arbeitskampfes beschränkt wäre, bestehe die Gefahr, dass die Regelung von Arbeitsbedingungen nicht mehr auf einem System freier Vereinbarungen beruhe. Das Aussperrungsrecht des Arbeitgebers sah das BAG durch dieses Prinzip begründet. Dieser Ansatz wurde dann in weiteren Entscheidungen zum Aussperrungsrecht unverändert vertreten und weiter differenziert (BAG GS Urt. v. 21.04.1971, AP Nr. 43 zu Art. 9 GG Arbeitskampf). Das Prinzip der Kampfparität wird seitdem als Voraussetzung der Funktionsfähigkeit des gesamten Tarifsystems betrachtet, denn nur bei paritätischer Kampfstärke der Tarifvertragsparteien ist deren Verhandlungsgewicht bei Abschluss eines Tarifvertrages gewährleistet (Kissel, Arbeitskampfrecht, § 32 Rz 1 bis 6; ArbG Düsseldorf, Urt. v. 01.08.2007, 11 Ga 74/07).
Entgegen der von den Verfügungsklägern vertretenen Ansicht wären sie nach Abschluss des für alle Arbeitnehmer geltenden Tarifvertrages der TG TRANSNET/GDBA vom 09.07.2007 nicht aus Rechtsgründen daran gehindert, die Streiks der Verfügungsbeklagten mit eigenen Kampfmaßnahmen zu beantworten, so dass sie diese lediglich „Dulden und Durchstehen“ müssten. Einer Aussperrung durch die Arbeitgeberseite würde eine sich aus dem mit der TG
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TRANSNET/GDBA ergebende Friedenspflicht nicht entgegenstehen. Ausgehend vom Wortlaut – insbesondere der Protokollnotiz – des § 9 des Tarifvertrages mit der TG TRANSNET/GDBA vom 09.07.2007 steht den Arbeitnehmern so lange kein Anspruch aus dem Tarifvertrag zu, so lange ein Tarifvertrag der GDL über den gleichen Regelungsgegenstand nachwirkt und ein einmal entstandener Anspruch erlöschen würde, wenn die GDL einen eigenständigen Tarifvertrag abschließt. Der Arbeitnehmer hat hiernach keinen Anspruch aus den Regelungen der §§ 3 bis 8, wenn nicht die GDL sich diesem Tarifvertrag anschließt, da anderenfalls ihr Tarifvertrag weiter nachwirkt.
In der Rechtsprechung ist darüber hinaus anerkannt, dass ebenso wie die organisierten Arbeitnehmer auch die nicht oder anders organisierten Arbeitnehmer ausgesperrt werden dürfen (BAG, Urt. v. 18.02.2003, AP Nr. 163 zu Ar. 9 GG Arbeitskampf). Soweit die Verfügungsklägerseite darauf hinweist, dass dies dann nicht gelte, wenn gegenüber den anders organisierten Arbeitnehmern eine Friedenspflicht aus einem bereits gültigen Tarifvertrag bestehe, so greift dies aus dem Vorgesagten im vorliegenden Fall nicht. Darüber hinaus weist der Verfügungsbeklagtenvertreter zutreffend darauf hin, dass jede Tarifvertragspartei von der vertraglichen Pflicht getroffen werde, keine Arbeitskämpfe gegen diesen Tarifvertrag zu führen und auch die Anstiftung ihrer Mitglieder zu einem solchen Arbeitskampf zu unterlassen (BAGE 3, 280, 283). Um eine Veränderung des mit der TG TRANSNET/GDBA bestehenden Tarifvertrages geht es jedoch vorliegend nicht.
b) Eine Rechtswidrigkeit des Streiks ergibt sich auch nicht wegen Verletzung der relativen Friedenspflicht.
Die gesetzliche, dem Tarifvertrag immanente – relative – Friedenspflicht eines Tarifvertrages verbietet den Tarifvertragsparteien, einen bestehenden Tarifvertrag inhaltlich dadurch in Frage zu stellen, dass sie Änderungen oder Verbesserungen vertraglich geregelter Gegenstände mit Mitteln des Arbeitskampfes erreichen wollen. Es ist nämlich gerade das Ziel von Tarifverträgen, eine Friedensordnung für deren jeweiligen Regelungsgegenstand zu treffen (BAG, Urt. v. 27.06.1989, EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 94; BAG, Urt. v. 10.12.2002, AP Nr. 162 zu Art. 9 GG Arbeitskampf). Die sachliche Reichweite der relativen Friedenspflicht ist nach ganz h. M. nicht auf die Gegenstände begrenzt, die in einem Tarifvertrag eindeutig und explizit geregelt sind. Dementsprechend sind auch nicht nur solche Kampfmaßnahmen verboten, die auf eine direkte Änderung der Bestimmungen des laufenden Tarifvertrages gerichtet sind. Seit der Entscheidung des BAG vom 14.11.1958 (AP Nr. 4 zu § 1 TVG Friedenspflicht) geht die h. M. davon aus, dass
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die kampfweise Durchsetzung all derjenigen Tarifforderungen ausgeschlossen ist, die mit der tariflich geregelten Materie dergestalt in einem „inneren sachlichen Zusammenhang“ steht, dass ihre Erfüllung das wirtschaftliche Gewicht der in dem weiteren Tarifvertrag festgelegten Arbeitsbedingungen verändert (BAG, Urt. v. 10.12.2002, AP Nr. 162 zu Art. 9 GG Arbeitskampf).
Der Verfügungsklägervertreter weist weiterhin darauf hin, dass der Umfang eines solchen inneren sachlichen Zusammenhangs im Wege der Auslegung zu ermitteln und hierbei auch auf Absicht und Wille der Tarifvertragsparteien abzustellen sei (Wiedemann-Thüsing, § 1 TVG Rn 885). Darüber hinaus sei die Geschäftsgrundlage zu ermitteln und in dem Fall, in dem die Auslegung nach den vorgenannten Grundsätzen nicht weiterführe, der Umfang des sachlichen inneren Zusammenhangs nach den im Arbeits- und Sozialleben üblichen Anschauungen festzustellen (Otto, Arbeitskampf- und Schlichtungsrecht, § 7 Rn 4; Wiedemann-Thüsing, § 1 TVG, Rn 885).
Auf die Schwierigkeiten bei der Beantwortung der Frage, ob ein solcher „innerer Zusammenhang“ angenommen werden kann und das Spektrum der hierzu vertretenden Ansichten wurde im Schrifttum mehrfach hingewiesen. Soweit man die Friedenspflicht auch noch auf die Forderungen beziehen wollte, die im Blickpunkt einer „wirtschaftlichen Betrachtungsweise“ mit dem noch geltenden Tarifrecht zusammenhängen (Gift, Probleme der Friedenspflicht, DB 1959, 651 ff.; G. Müller, Probleme der Friedenspflicht, DB 1959, 515) wird deutlich, dass es hier klarerer Abgrenzungskriterien bedarf. Die Erstreckung der Friedenspflicht aus einem Tarifvertrag auf andere Tarifverträge derselben Parteien kann daher nur bei ausdrücklicher Vereinbarung bejaht werden (Däubler/Schumann RdNr. 539; LAG Hamburg, Urt. v. 24.03.1987, LAGE Nr. 33 zu Art. 9 Arbeitskampf). Die für die Tarifvertragsparteien gegebene Möglichkeit, den Sachzusammenhang zwischen mehreren Tarifverträgen herzustellen, ist nicht zu leugnen. Ebenso wenig ist jedoch auch zu leugnen, dass es den Vertragsparteien obliegt, entsprechende vertragliche Gestaltungen hierfür zu wählen.
Eine Friedenspflichtverletzung mit Rücksicht auf die ungekündigten tariflichen Regelungen zur Beschäftigungssicherung (BeSiTV), Mitarbeiterbeteiligung (Ma-BetTV) sowie dem KonzernZÜTV ist daher nicht gegeben.
Es besteht auch keine Friedenspflichtverletzung mehr aus dem vor dem Arbeitsgericht Nürnberg abgeschlossenen Vergleich nach Beendigung des Moderationsverfahrens und mit Ablauf des 30.09.2007.
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c) Die Rechtswidrigkeit ergibt sich auch nicht aus der nicht erfüllten Verpflichtung zu gemeinsamen Verhandlungen.
Alle Bahngewerkschaften, mithin die TRANSNET/GDBA sowie die Verfügungsbeklagte haben sich in einer Vereinbarung vom 14.12.2004 zu gemeinsamen Verhandlungen mit dem Agv Mo Ve sowie dem AGVDE über einen neuen Entgelttarifvertrag in Form eines Flächentarifvertrages verpflichtet. Diese Verpflichtung wurde in der Anlage 1 zur Abschlussvereinbarung vom 28.02.2005 noch einmal wiederholt.
Eine Rechtswidrigkeit der Streiks aus der unverändert andauernden Weigerung der Verfügungsbeklagten, an gemeinsamen Verhandlungen teilzunehmen, kann jedoch nach dem Vergleichsschluss vor dem Arbeitsgericht Nürnberg (13 Ga 65/07) vom 10.08.2007und der Vereinbarung vom 27.08.2007 über das Ergebnis des Moderationsverfahrens nicht mehr begründet werden.d) Die Rechtswidrigkeit des Streiks ergibt sich weiterhin nicht aus einer nicht hinreichend konkret formulierten Arbeitskampfforderung.
Der ursprünglich im Entwurf von der Verfügungsbeklagten erstellte und vorgelegte FPTV umfasste in 79 Paragrafen Regelungen vom Geltungsbereich bis hin zum Inkrafttreten und der Geltungsdauer. In seiner Anlage 2 enthielt er eine Definition des Begriffs „Fahrpersonal“ im Sinne dieses Tarifvertrages. In dem mit Schreiben vom 18.07.2007 gekennzeichneten „Forderungspaket der GDL zur Tarifrunde 2007“ wird ein eigenständiger Tarifvertrag für das Fahrpersonal gefordert, wobei die Verfügungsbeklagte auf den FPTV durch die gewählte Formulierung Bezug nimmt.
Darüber hinaus erklärte der Bundesvorsitzende der Verfügungsbeklagten mit Schreiben vom 13.07.2007, „dass die bisherigen Forderungen bezüglich Entgelt und Arbeitszeit“ aufrechterhalten würden.
Unter fünf Ziffern werden die Regelungsinhalte schließlich konkretisiert. Zum Beispiel wird das angestrebte Monatstabellenentgelt mit einer Mindestforderung in Höhe von 31 % sowie die geforderte Veränderung der Arbeitszeitbestimmungen unter Angabe der maximalen Schichtlängendauer unter der Mindestanrechnung von sechs Arbeitsstunden pro Schicht oder die unter Ziffer 5 begehrte Verkürzung der ununterbrochenen Fahrzeit auf der Lokomotive um eine Stunde konkret benannt. Damit genügt die Verfügungsbeklagte ihrer Konkretisierungsverpflichtung.
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e) Die Rechtswidrigkeit des Streiks ergibt sich schließlich auch nicht daraus, dass der angestrebte Tarifvertrag nach dem Grundsatz der Tarifeinheit nach seinem Abschluss nicht zur Anwendung käme und daher der hierzu geführte Streik unverhältnismäßig wäre.
Nach dem durch die Rechtsprechung des BAG entwickelten Grundsatz der Tarifeinheit und der Tarifvertragsspezialität wird der sachfernere Tarifvertrag in den Fällen bestehender Tarifkonkurrenz als auch der Tarifpluralität durch den „spezielleren “ Tarifvertrag verdrängt.
Der Grundsatz der Tarifeinheit hat im Tarifvertragsgesetz keinen Niederschlag gefunden, folgt aber aus den übergeordneten Prinzipien der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit. Rechtliche und tatsächliche Unzuträglichkeiten, die sich aus einem Nebeneinander oder aus der Nichtanwendung von Tarifverträgen in einem Betrieb ergeben, sollen hierdurch vermieden werden. Die Anwendung mehrerer Tarifverträge, die von verschiedenen Tarifvertragsparteien abgeschlossen wurden, in einem Betrieb nebeneinander, muss zu praktischen, kaum lösbaren Schwierigkeiten führen. Rechtsnormen eines Tarifvertrages über betriebliche und betriebsverfassungsrechtliche Fragen gelten gemäß § 3 Abs. 2 TVG für alle Betriebe, deren Arbeitgeber tarifgebunden ist. Ist dieser aber an zwei Tarifverträge gebunden, muss zumindest insoweit entschieden werden, welchem der Vorrang einzuräumen ist. Eine Abgrenzung zwischen Betriebsnormen und Inhaltsnormen bereitet oft tatsächliche Schwierigkeiten, zumal hier auch Überscheidungen möglich sind. Deshalb ist allein die betriebseinheitliche Anwendung des spezifischen Tarifvertrages unter Anknüpfung an die Tarifbindung des Arbeitgebers geeignet, tatsächliche Schwierigkeiten bei der Anwendung mehrerer Tarifverträge in einem Betrieb zu vermeiden (BAG, Urt. v. 05.09.1990, NZA 91, 202, 204; BAG, Urt. v. 20.03.91, NZA 91, 736, 738).
Entgegen der von der Verfügungsbeklagten vertretenen Auffassung definiert das BAG hierbei die „Spezialität“ nicht in dem Sinne, dass sich der speziellere Tarifvertrag auf eine bestimmte Gruppe von Arbeitnehmern, hier das Fahrpersonal, bezieht, sondern es definiert die „Spezialität“ danach, ob der Tarifvertrag der Situation im Betrieb in räumlicher, betrieblicher, fachlicher und persönlicher Hinsicht am nächsten steht und deshalb den Erfordernissen und Eigenarten des Betriebes und der darin tätigen Arbeitnehmer am besten Rechnung trägt (BAG, Urt. 20.03.91, a. a. O.).
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Die von dem BAG im Jahre 1957 begründete Rechtsprechung hat vielfache Kritik im Schrifttum erfahren (BAG, Urt. v. 29.03.1957, AP Nr. 4 zu § 4 TVG Tarifkonkurrenz; Bayreuther, NZA 2006, 642, 643; Bayreuther, BB 2005, 2633; Buchner, BB 2003, 2121; Schaub, RdA 2003, 378, 380). Die geäußerte Kritik weist zum einen auf die fehlende Rechtsgrundlage für das Prinzip der Tarifeinheit, überwiegend jedoch auf eine Verletzung von Art. 9 Abs. 3 GG hin. Zum einen werde die individuelle positive Koalitionsfreiheit der Arbeitnehmer verletzt und sie würden um die „Früchte ihrer Koalitionsmitgliedschaft“ gebracht, zum anderen sei die kollektive Koalitionsfreiheit der Gewerkschaft verletzt, deren Tarifvertrag verdrängt werde. Art. 9 Abs. 3 GG schütze nicht nur den Bestand der Koalition an sich, ihre organisatorische Ausgestaltung, sondern auch ihre Betätigung, wozu insbesondere der Abschluss von Tarifverträgen gehöre. Die lange vom BVerfG vertretene Kernbereichsformel der Koalitionsbetätigung sei durch das Gericht vor nunmehr über 10 Jahren aufgegeben worden (BVerfG ZIP 1996, 470; Lindemann/Simon BB 2006, 1852, 1856; Rieble, BB 2003, 1227, 1228).
Unter Hinweis auf die Entscheidungen des BAG, denen sich Zweifel an der Richtigkeit des Grundsatzes der Tarifeinheit entnehmen ließen und die Konstellationen akzeptierten, in denen in einem Betrieb mehrere Tarifverträge zur Geltung kommen, ohne dass das BAG auf eine auflösungsbedürftige Tarifpluralität hingewiesen hätte, wurde eine gänzliche Aufgabe oder doch weitgehende Einschränkung dieses Grundsatzes mit den Entscheidungen des BAG vom 21.03.2007 (Az.: 4 ABR 19/06) erwartet und zum „Mut zum Wechsel“ aufgerufen (Thüsing/von Medem, ZIP 2007, 510 ff.; BAG NZA 1994, 667; BAG NZA 1994, 1038; BAG ZIP 2001, 1555).
Die aktuelle Diskussion im Schrifttum und in der Rechtsprechung zur Aufrechterhaltung oder Aufgabe des Grundsatzes der Tarifeinheit stellt sich im Ergebnis damit wie folgt dar:
Das BAG hat diesen Grundsatz bislang nicht aufgegeben. Ob die für den 21.03.2007 erwarteten Entscheidungen des 4. Senats eine Abkehr von diesem Grundsatz eingeleitet oder gebracht hätten, kann nicht beantwortet werden, da die Entscheidungen aufgrund des Verfahrensverlaufs entbehrlich wurden. Kritiker dieses Grundsatzes weisen zutreffend darauf hin, dass es Entscheidungen anderer Senate des BAG gibt, die als Beleg für bestehende Zweifel an der Richtigkeit dieses Grundsatzes verstanden werden können. Darüber hinaus gibt es Entscheidungen, die bei Vorliegen anderer Konstellationen das Nebeneinander konkurrierender Tarifverträge, z. B. im Rahmen eines Betriebsübergangs nach § 613 a BGB zulassen oder die durch die Abkehr der bisher geübten Interpretation von
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dynamischen Bezugnahmeklauseln als Gleichstellungsabrede eine Abwendung von diesem Postulat der Tarifeinheit anzukündigen scheinen (BAG NZA 2006, 607).
Unbestreitbar können die Kritiker der Rechtsprechung zum Grundsatz der Tarifeinheit noch nicht zu allen Problempunkten Lösungsmöglichkeiten anbieten. Beispielhaft wird auf die auch vom Verfügungsbeklagtenvertreter vertretene Ansicht, dass ein dem Arbeitgeber nicht zustehendes Fragerecht nach der Gewerkschaftszugehörigkeit unproblematisch sei, da ja der Arbeitnehmer jedenfalls im Prozess seine Verbandszugehörigkeit zur Durchsetzung seiner Rechte darlegen und beweisen müsse, verwiesen. Auch die Fälle des ungelösten Spannungsverhältnisses zwischen den Regelungen des § 87 Abs. 1 und § 77 Abs. 3 BetrVG d. h. die Frage, auf welchen Tarifvorrang hier abzustellen ist, bedürfen noch einer befriedigenden Lösung. Auch die Frage des angemessenen Umgangs des Arbeitgebers mit dem zu befürchtenden „Gewerkschafts-Hopping“, d. h. dem möglichen Wechsel der Gewerkschaftszugehörigkeit, um in den Genuss günstiger tarifvertraglicher Regelungen zu kommen, bedürfte einer sachgerechten Beantwortung.
Angesichts des damit als offen zu bezeichnenden Diskussionsprozesses zur Aufrechterhaltung oder zur Aufgabe des Grundsatzes der Tarifeinheit und der vielfältigen hierzu vertretenen Ansichten stimmt die Kammer – wie bereits in den Entscheidungen zum AZ.: 7 Ga 15/07 und 7 Ga 16/07 – der Auffassung des Verfügungsklägervertreters zu, dass bei der beabsichtigten Aufgabe des Grundsatzes der Tarifeinheit eine Auffanglösung in Gestalt eines neuen Systems entwickelt werden müsste, wie man bei Zulassung der Tarifpluralität mit den gegebenen rechtlichen wie tatsächlichen Unzuträglichkeiten und den sich hieraus ergebenden Konsequenzen umgehen sollte. Zuzustimmen ist der Auffassung, dass hierzu weiterer Aufklärungs- und Diskussionsbedarf besteht.
Fraglich erscheint jedoch, ob man ohne diese Klärung, was lösbar und hinzunehmen ist, nicht zumindest in Fällen der vorliegenden Art tatsächlich die gewohnten Bahnen verlassen sollte (Bepler, Aktuelle tarifrechtliche Fragen aus Anlass eines BAG-Urteils vom 23.03.2005 in der Festschrift ARGE Arbeitsrecht im Deutschen Anwaltverein, 791, 802). Gerade der vorliegende Rechtsstreit macht deutlich, dass mit dem Hinweis auf die Tarifeinheit der Verfügungsbeklagten, einer der ältesten Gewerkschaften der Bundesrepublik Deutschland, das ihr aus der Verfassung zustehende Recht des Art. 9 Abs. 3 GG, das nicht nur ihren Bestand und ihre organisatorische Ausgestaltung, sondern auch ihre koalitionsspezifische Betätigungsmöglichkeit garantiert, auf unabsehbare Zeit vorenthalten werden würde. Der Abschluss eines effektiv wirkenden Tarifvertrages könnte ihnen nie gelingen,
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da er nach gängiger Interpretation stets durch einen einschlägigen Industrietarifvertrag verdrängt würde (Greiner, Der Arbeitskampf der GDL, NZA 2007, 1023, 1025).
Insoweit unterscheidet sich die für ein einstweiliges Verfügungsverfahren kennzeichnende Situation nicht von der eines Hauptsacheverfahrens, da eine höchstrichterliche Entscheidung dieser Frage gemäß § 72 Abs. 2 ArbGG i.V.m. § 545 ZPO sowie einer ggf. erforderlichen Mitwirkung des Großen Senats u.U. ein über mehrere Jahre andauerndes Verfahren erforderlich machen könnte.
Der vom Verfügungsbeklagten in dem Verfahren 7 Ga 15/07 hieraus abgeleiteten Forderung, dem Recht aus Art. 9 Abs. 3 GG den Vorrang einzuräumen, da hierfür auch die als „höchstrichterlich“ anzusehenden Entscheidungen verschiedener Landesarbeitsgerichte sprächen, wird daher unter Aufgabe der bisherigen Position im Ergebnis zugestimmt. Dies gilt im vorliegenden Verfahren insbesondere auch unter Berücksichtigung des schriftlich fixierten Gesprächsergebnisses vom 27.08.2007 über das Moderationsverfahren unter der Mitwirkung von Herrn Prof. Kurt Biedenkopf und Herrn Dr. Heiner Geißler.
Hierin erklärte sich der Arbeitgeber ausdrücklich bereit, Tarifverhandlungen einerseits mit der Verfügungsbeklagten mit dem Ziel zu führen, einen eigenständigen Tarifvertrag, der Entgelt und Arbeitszeitregelungen für Lokomotivführer umfasst, zu führen, andererseits mit der TG, um die Entgeltstruktur im Übrigen neu zu regeln.Auch wenn die Verfügungsklägerseite unter Hinweis auf den weiteren Wortlaut der Erklärung das gleichfalls formulierte Ziel betont, ein konflikt- und widerspruchsfreies Ergebnis zu erhalten, so kann hierin nicht die Bestätigung dafür gesehen werden, dass aus Sicht der Arbeitgeberseite die Tarifeinheit in den Unternehmen des DB-Konzerns damit gewahrt bleiben sollte. Das in Ziffer 2 der Erklärung angestrebte Ziel des „konflikt- und widerspruchsfreien Ergebnisses“ bezieht sich auf die inhaltliche Bewertung des Ergebnisses, während Ziffer 1 ausdrücklich die Form eines „eigenständigen Tarifvertrages“ benennt. Diese Formulierung ist nicht auslegungsbedürftig.
Die Kammer geht davon aus, dass die Arbeitgeberseite damit ihre grundsätzliche Bereitschaft zur Anerkennung eines eigenständigen Tarifvertrages zum Ausdruck gebracht hat, wenn auch nur, soweit die unter Ziffer 2 und 3 formulierten Voraussetzungen auch erfüllt sein würden.
Eine Berufung auf den zur Unwirksamkeit der Streiks führenden Grundsatz der Tarifeinheit ist ihr damit nicht möglich.
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f) Die Rechtswidrigkeit des Streiks in dem untersagten Umfang ergibt sich jedoch unter Berücksichtigung der Gemeinwohlbindung als Ausprägung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes.
Das Tarif -und Arbeitskampfrecht steht vor einer grundlegenden Umbruchsituation, da kleine aber durchsetzungsstarke Sparten -und Speziallistengewerkschaften, deren Mitglieder „Schlüsselfunktionen“ innehaben, sehr effizient und zielgerichtet ihre Gruppeninteressen durchzusetzen versuchen. Aufgrund dieser Effizienz besteht die Gefahr einer „überschießenden“ Wirkung und dem Eintritt einer Disparität, zu Lasten der Arbeitgeberseite.
Verfolgt jede Berufsgruppe, die mehr oder weniger zufällig über Blockademöglichkeiten verfügt, ihre eigenen Interessen, droht eine Vervielfachung von Arbeitskämpfen mit gravierenden Auswirkungen auf die Volkswirtschaft. Hierauf wird mit Recht hingewiesen (Greiner, a.a.O).Das Gemeinwohl beschreibt aber die Grenze zwischen proportionaler und unproportionaler Streikintensität, so dass ein Streik das Gemeinwohl, d. h. die Interessen der Allgemeinheit, nur in verhältnismäßigem (proportionalem) Umfang beeinträchtigten darf.
Verfassungsrechtliche Grundlage für das Arbeitskampfrecht einschließlich des Streikrechts ist die in Art. 9 Abs. 3 GG verankerte Koalitionsfreiheit. Es herrscht Einigkeit darüber, dass das Streikrecht nicht um seiner selbst Willen geschützt ist, sondern nur als Mittel zum Zweck des Abschlusses von Tarifverträgen. Durch Art. 9 Abs. 3 GG wird die Koalition in ihrem Bestand und in ihrer Betätigung zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen geschützt. Ein wesentlicher Zweck der von Art. 9 Abs. 3 GG geschützten Koalitionen ist der Abschluss von Tarifverträgen. Die Wahl der Mittel ist den Koalitionen grundsätzlich selbst überlassen. Hierzu gehören auch die Arbeitskampfmaßnahmen, die auf den Abschluss von Tarifverträgen gerichtet sind, und damit auch der Streik.
In einer verflochtenen und wechselseitig abhängigen Gesellschaft beschränken sich die Auswirkungen der Streiks in nahezu allen Branchen allerdings nicht allein auf die Tarifpartner. Seit dem grundlegenden Beschluss des Großen Senats des BAG vom 21.04.1971 entspricht es ständiger Rechtsprechung, dass Arbeitskämpfe unter dem obersten Gebot der Verhältnismäßigkeit stehen. Aus dem Übermaßverbot folge, dass ein Arbeitskampf „die wirtschaftlichen Gegebenheiten“ berücksichtigen muss und das Gemeinwohl „nicht offensichtlich verletzten darf“ (BAG, AP Nr. 43 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; BVerfG, Urt. v. 18.12.1974, AP Nr. 23 zu Art. 9 GG).
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Auch der BGH hat in seinem Urteil vom 31.01.1978 zum Fluglotsenstreik (BGHZ 70, 277 ff.) unter Bezugnahme auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz des Arbeitskampfrechtes darauf hingewiesen, dass die fragliche Aktion der Fluglotsen „außer Verhältnis zum verfolgten Ziel“ gestanden habe, da die Streiks ein ungewöhnliches Maß von Nachteilen und Belastungen für Unbeteiligte, die keinerlei Einfluss auf die Vorgänge nehmen konnten, zur Folge gehabt habe (BGHZ 70, 277, 281).
Auch wenn eine gerichtliche Kontrolle der Tarifziele ( 1noch) zu unterbleiben hat, da sie dem Gedanken der Tarifautonomie nicht entspricht (BVerfGE 84, 212, 231), so ist doch festzustellen, dass es gerade in der durch das Grundgesetz den Tarifvertragsparteien übertragenen Verantwortung liegt, von ihrer Arbeitskampffreiheit in einer Weise Gebrauch zu machen, die die Interessen der Allgemeinheit hinreichend schont. Hierin ist auch keine Tarifzensur zu sehen, da die Arbeitsgerichte bei Prüfung der Frage der Rechtmäßigkeit von Arbeitskämpfen lediglich darauf abstellen, ob die Grenzen der Tarifautonomie überschritten sind. Eine solche Grenze stellt der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz in seiner Ausprägung der Gemeinwohlbindung dar. Zutreffend wird darauf hingewiesen, dass der Gemeinwohlbindung eines Rechts oder seiner Ausübung nicht nur das Eigentum (Art. 14 GG) unterliegt (Lieb, Der Arbeitskampf im öffentlichen Dienst, Hamburg 2003, S. 233). Die Begrenzung des Streikrechts durch den Begriff des Gemeinwohls bedeutet, dass die Koalitionen zur Rücksichtnahme verpflichtet sind, wo sie in unverhältnismäßiger Weise Drittinteressen bzw. Schutzgüter der Allgemeinheit gefährden oder beeinträchtigen. Dies sei eine Begrenzung der Koalitionsbetätigung, die die allgemeinen Grundsätze des Missbrauchsverbots unmittelbar konkretisiere (Scholz, in Maunz/Dürig/Herzog, Art. 9 GG, Rn 274). In diesem Zusammenhang sei auch auf die Bindung der Koalitionen an die allgemeine Sozialpflichtigkeit hinzuweisen (Art. 14 Abs. 2 S. 2 GG analog). Als soziale Ordnungsträger bzw. Aufgabenträger seien auch sie insbesondere zur Rücksichtnahme auf sozialstaatlich bedeutsame Drittinteressen verpflichtet (Scholz Rn 277; 350).
Es entspricht allgemeiner Ansicht, dass die Allgemeinheit ein gewisses Maß an Beeinträchtigung ihrer Interessen zu erdulden hat (Kissel, § 27 Rn 12, 28 Rn 12,
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14). Das Streikrecht hat jedoch dann hinter den Interessen der Allgemeinheit zurückzutreten und eine relevante Gemeinwohlbeeinträchtigung liegt dann vor, wenn die Belange unbeteiligter Dritter und der Allgemeinheit in unerträglicher Weise in Mitleidenschaft gezogen werden, das heißt ein gesteigertes sachlich objektives öffentliches Interesse an der Unterlassung der Streikmaßnahme, das heißt in einem Fall von außergewöhnlicher Bedeutung vorliegt.
Dies ist bei den beiden im Tenor unter Ziffer 1 genannten Unternehmen der Fall, da hier nicht nur die konkrete Arbeitsleistung Dritten gegenüber unmittelbar zu erbringen ist, sondern aufgrund der Gegebenheiten in Gestalt einer europaweiten Vernetzung wie zeitlichen Verzahnung der Ausführung von branchenspezifischen Spezialtransporten, die mit anderen Verkehrsmitteln nicht möglich wären, ein Ausweichen auf andere Anbieter nicht möglich ist.
Die Verletzung des Verhältnismäßigkeitsprinzips macht den Arbeitskampf nicht insgesamt rechtswidrig (a.A. Kissel, § 29 Rn 54). Es ist vielmehr eine Beschränkung der Arbeitskampfmaßnahmen auf das der Verhältnismäßigkeit entsprechende mildere Maß erforderlich. Bei anderer Entscheidung würden die Arbeitskampfparteien in verfassungswidriger Weise mit dem Risiko belastet, dass ein gemessen an dem Umfang des gesamten Arbeitskampfes geringfügiger Regelverstoß die ganze Tarifauseinandersetzung unzulässig macht (Löwisch/Rieble, DB 93, 882).
2. Die zur Begründung eines vorbeugenden Unterlassungsanspruchs erforderliche Begehungsgefahr ist auch gegeben.
Ein Unterlassungsanspruch gemäß § 1004 i.V.m. § 823 BGB ist nur dann gegeben, wenn eine objektive, auf Tatsachen gegründete ernstliche Gefahr der Rechtsverletzung besteht. Der Anspruch dient der Abwehr künftiger Beeinträchtigungen. Um eine wirksame Verhinderung künftiger Rechtsverletzungen zu gewährleisten, ist ein Unterlassungsanspruch bereits dann begründet, wenn die drohende Gefahr einer Beeinträchtigung vorliegt (Palandt-Bassenge, § 1004 BGB, Rn 32).
Die Voraussetzungen für den geltend gemachten Unterlassungsanspruch sind im vorliegenden Fall erfüllt, da die Maßnahmen für den Folgetag angekündigt waren.
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II.
Es liegt auch ein Verfügungsgrund für den Erlass einer einstweiligen Verfügung vor.
164 Ein Verfügungsgrund ist gemäß §§ 62 Abs. 2 ArbGG, 935, 940 ZPO gegeben, wenn die Besorgnis besteht, dass die Verwirklichung eines Rechtes ohne eine alsbaldige Regelung vereitelt oder wesentlich erschwert wird, oder wenn zur Abwendung wesentlicher Nachteile oder aus anderen Gründen die Regelung eines einstweiligen Zustandes nötig ist.
Der Verfügungsbeklagtenvertreter erklärte in der Sitzung vom 04./05.10.2007, dass es bei der Verfügungsbeklagten einen Streikbeschluss gebe, nach dem am 05.10.2007 in der Zeit von 08:00 Uhr bis 11:00 Uhr eine Streikmaßnahme durchgeführt werden solle. Die Verfügungskläger, die nach dem Vorgesagten einen Unterlassungsanspruch in dem dargestellten Sinne haben, können diesen ohne Erlass einer einstweiligen Verfügung und ohne den Verlust des Anspruches durch Zeitablauf nicht wirksam unterbinden. Dies ist im Wege eines Hauptsacheverfahrens zweifellos nicht möglich.
D.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 46 Abs. 2 ArbGG, 92 ZPO und entsprach im Ausmaß des jeweiligen Obsiegens/Unterliegens in dem Rechtsstreit.
E.
. Der Streitwert war gemäß § 61 Abs. 1 ArbGG im Urteil festzusetzen. Die Höhe beruhte in Ermangelung weiterer Anhaltspunkte auf einer gebotenen Schätzung.
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