HENSCHE RECHTSANWÄLTE, FACHANWALTSKANZLEI FÜR ARBEITSRECHT

ARBEITSRECHT AKTUELL // 18/286

BAG er­laubt Streik­maß­nah­men auf Fir­men­park­platz

Ge­werk­schaf­ten dür­fen Streiks auf dem Ge­län­de des Ar­beit­ge­bers or­ga­ni­sie­ren, wenn es da­zu kei­ne Mög­lich­keit auf öf­fent­li­chen Stra­ßen gibt (Ver­di vs. Ama­zon): Bun­des­ar­beits­ge­richt, Ur­teil vom 20.11.2018, 1 AZR 189/17
Streik viele Streikende

24.11.2018. Ver­di und Ama­zon wer­den wohl nie mehr bes­te Freun­de wer­den. Seit Jah­ren führt Ver­di Streiks ge­gen den Ver­sandrie­sen, um die­sen zum Ab­schluss ei­nes Ta­rif­ver­trags zu be­we­gen, bis­lang oh­ne Er­folg.

Denn Ver­di möch­te ei­ne Be­zah­lung der Ama­zon-An­ge­stell­ten auf dem Lohn­ni­veau der Ta­rif­ver­trä­ge für den Groß- und Ein­zel­han­del er­rei­chen, wäh­rend Ama­zon sich an den nied­ri­ge­ren Löh­nen der Lo­gis­tik­bran­che ori­en­tiert.

Am Diens­tag die­ser Wo­che konn­te Ver­di zu­min­dest ei­nen ju­ris­ti­schen Tref­fer lan­den: Das Bun­des­ar­beits­ge­richt (BAG) er­laub­te es der Ge­werk­schaft, die Ama­zon-Mit­ar­bei­ter auf dem Be­triebs­ge­län­de von Ama­zon zum Streik auf­zu­ru­fen: BAG, Ur­teil vom 20.11.2018, 1 AZR 189/17 (Pres­se­mel­dung des Ge­richts).

Ge­werk­schaf­ten dürfen zum Streik auf­ru­fen - aber auch auf dem pri­va­ten Fir­men­gelände des be­streik­ten Ar­beit­ge­bers?

Vor ei­ni­gen Jah­ren muss­te das BAG über die Rechtmäßig­keit ei­nes Streik­auf­rufs in ei­nem Ber­li­ner Kran­ken­haus ent­schei­den, bei dem Be­triebs­rats­mit­glie­der, die der Ver­di an­gehörten, die dienst­li­chen E-Mail-Adres­sen ih­rer Kol­le­gin­nen und Kol­le­gen da­zu ge­nutzt hat­ten, um sie vom E-Mail Ac­count des Be­triebs­rats aus zum Streik auf­zu­ru­fen. In die­sem Streit­fall zog die Ge­werk­schaft den Kürze­ren: Der Ar­beit­ge­ber konn­te sie mit Er­folg ge­richt­lich zum Un­ter­las­sen sol­cher Streik­auf­ru­fe ver­pflich­ten. Die da­ma­li­gen Leitsätze des BAG lau­ten (BAG, Be­schluss vom 15.10.2013, 1 ABR 31/12):

"Der Ar­beit­ge­ber ist nicht ver­pflich­tet, die Nut­zung ei­nes für dienst­li­che Zwe­cke ein­ge­rich­te­ten E-Mail Ac­counts durch die bei ihm beschäftig­ten Ar­beit­neh­mer zu Zwe­cken des Ar­beits­kampfs zu dul­den. Ei­ne der­ar­ti­ge Dul­dungs­pflicht folgt nicht aus Art.9 Abs.3 GG zum Schutz der in­di­vi­du­el­len Ko­ali­ti­ons­frei­heit der Ar­beit­neh­mer. Die Mo­bi­li­sie­rung von Ar­beit­neh­mern zur Streik­teil­nah­me ist Auf­ga­be der je­wei­li­gen Ko­ali­ti­on und ih­rer Mit­glie­der. Vom Ar­beit­ge­ber kann nicht ver­langt wer­den, hier­an durch Be­reit­stel­lung ei­ge­ner Be­triebs­mit­tel mit­zu­wir­ken."

Vor die­sem Hin­ter­grund könn­te man er­war­ten, dass das BAG auch we­nig Sym­pa­thi­en dafür hat, dass Ge­werk­schaf­ten, an­statt Streik­pos­ten vor den Werks­to­ren zu er­rich­ten, di­rekt auf dem Fir­men­gelände des be­streik­ten Ar­beit­ge­bers ih­re Kol­le­gin­nen und Kol­le­gen zum Streik auf­ru­fen.

Denn ob­wohl die im Grund­ge­setz (GG) ga­ran­tier­te Ko­ali­ti­ons­frei­heit (Art.9 Abs.3 GG) nicht nur den Zu­sam­men­schluss zu Ge­werk­schaf­ten und Ar­beit­ge­ber­ver­ei­ni­gun­gen und die Ta­rif­au­to­no­mie schützt, son­dern auch ge­werk­schaft­li­che Streiks (als Mit­tel zur Er­rei­chung von Ta­rif­ab­schlüssen), bleibt es recht­lich doch al­lein der Ge­werk­schaft über­las­sen, durch Ein­satz ih­rer fi­nan­zi­el­len und or­ga­ni­sa­to­ri­schen Mit­tel Streiks zum Er­folg zu führen. Ge­werk­schaf­ten ha­ben wir da­her im All­ge­mei­nen kein Recht, Be­triebs­mit­tel des Ar­beit­ge­bers zur Or­ga­ni­sa­ti­on von Streiks zu nut­zen.

Frag­lich ist al­ler­dings, ob nicht in be­stimm­ten Ein­z­elfällen von die­sem Grund­satz zu­guns­ten der Ge­werk­schaft ab­ge­wi­chen wer­den muss, nämlich dann, wenn Streik­auf­ru­fe an­dern­falls von vorn­her­ein unmöglich wären. Dar­um ging es in dem vom BAG ent­schie­de­nen Rechts­streit zwi­schen Ver­di und Ama­zon.

Streik­auf­ruf durch Ver­di-Mit­glie­der auf dem pri­va­ten Fir­men­gelände von Ama­zon

Ama­zon be­treibt in Deutsch­land ei­ni­ge Ver­sand- und Lo­gis­tik­zen­tren, u.a. in der Nähe von Pforz­heim (Ba­den-Würt­tem­berg). Auf dem von Ama­zon ge­pach­te­ten Gelände be­fin­den sich ein Be­triebs­gebäude, das man über ei­nen zen­tra­len Ein­gang be­tritt, und ein et­wa 28.000 qm großer Park­platz. Dort par­ken vor al­lem Ama­zon-Mit­ar­bei­ter, die mit dem Au­to zur Ar­beit kom­men.

Im Sep­tem­ber 2015 wur­de Ama­zon an zwei Ta­gen be­streikt. Die streikführen­de Ge­werk­schaft Ver­di bau­te an bei­den Ta­gen auf dem Park­platz vor dem Haupt­ein­gang Steh­ti­sche und Ton­nen auf. Dort pos­tier­te sie ih­re Ver­tre­ter und strei­ken­de Ar­beit­neh­mer, die Flugblätter an die zur Ar­beit kom­men­den Kol­le­gin­nen und Kol­le­gen ver­teil­ten und sie zum Streik auf­rie­fen. Am frei­en Be­tre­ten des Be­triebs wur­de da­bei nie­mand ge­hin­dert, d.h. es gab kei­ne Be­triebs­blo­cka­den. In ähn­li­cher Wei­se ging Ver­di an ei­nem wei­te­ren Streik­tag im März 2016 vor.

Da Ver­di ih­ren Sitz in Ber­lin hat, zog Ama­zon vor das Ar­beits­ge­richt Ber­lin und ver­klag­te Ver­di auf Un­ter­las­sung sol­cher Streik­ak­ti­vitäten auf dem Fir­men­gelände von Ama­zon. In der ers­ten In­stanz hat­te Ama­zon da­mit Er­folg (Ar­beits­ge­richt Ber­lin, Ur­teil vom 07.04.2016, 41 Ca 15029/15), während das für Be­ru­fung zuständi­ge Lan­des­ar­beits­ge­richt (LAG) Ber­lin-Bran­den­burg der Ver­di Recht gab (LAG Ber­lin-Bran­den­burg, Ur­teil vom 29.03.2017, 24 Sa 979/16). Be­gründung des LAG:

Ama­zon war zwar nicht Ei­gentümer des (nur ge­pach­te­ten) Grundstücks, konn­te sich aber als rechtmäßiger Be­sit­zer im Prin­zip auf das Ab­wehr­recht gemäß § 863 Bürger­li­ches Ge­setz­buch (BGB) be­ru­fen. Die­se Rechts­po­si­ti­on konn­te sich aber im Er­geb­nis ei­ner Rechtsgüter­abwägung ge­genüber dem Streik­recht von Ver­di nicht durch­set­zen, da es auf dem nur 1 bis 1,5 m brei­ten Geh­weg vor der Ein­fahrt zum Fir­men­park­platz kei­ne Möglich­keit gab, Streik­pos­ten auf­zu­stel­len, denn das hätte die Si­cher­heit und Leich­tig­keit des Ver­kehrs er­heb­lich be­ein­träch­tigt. Auch ein An­spre­chen der mit dem Pkw auf den Park­platz ein­fah­ren­den Ar­beit­neh­mer wäre nicht möglich ge­we­sen, oh­ne dass es zu Ver­kehrs­gefähr­dun­gen oder Staus ge­kom­men wäre.

BAG: Ge­werk­schaf­ten können das Fir­men­gelände des Ar­beit­ge­bers im Ein­zel­fall für Streik­auf­ru­fe nut­zen, wenn es kei­ne Möglich­keit zum Streik­auf­ruf auf öffent­li­chen Straßen gibt

Auch das BAG ent­schied zu­guns­ten von Ver­di. In der der­zeit al­lein vor­lie­gen­den Pres­se­mit­tei­lung des BAG heißt es zur Be­gründung:

Im kon­kre­ten Fall er­gibt die Abwägung der wi­der­strei­ten­den Grund­rech­te auf Sei­ten von Ama­zon und auf Sei­ten von Ver­di, dass Ama­zon ei­ne kurz­zei­ti­ge, si­tua­ti­ve Be­ein­träch­ti­gung sei­nes Be­sit­zes hin­zu­neh­men hat. Denn an­ge­sichts der ört­li­chen Verhält­nis­se, so das BAG, konn­te Ver­di nur auf dem Fir­men­park­platz vor dem Haupt­ein­gang mit den Ar­beit­neh­mern spre­chen und ver­su­chen, Ar­beits­wil­li­ge zum Streik zu be­we­gen.

All­ge­mein ge­spro­chen heißt das: Das (un­be­strit­te­ne) Recht ei­ner Ge­werk­schaft, Ar­beit­neh­mer beim Be­tre­ten des Be­trie­bes zum Streik auf­zu­ru­fen, kann im Ein­zel­fall auch das Recht be­inhal­ten, da­bei ei­nen Fir­men­park­platz des Ar­beit­ge­bers zu nut­zen - falls es kei­ne an­de­ren Mo­bi­li­sie­rungsmöglich­kei­ten gibt.

Fa­zit: Ge­werk­schaf­ten sind im All­ge­mein nicht be­rech­tigt, Streik­pos­ten auf dem Fir­men­gelände des be­streik­ten Ar­beit­ge­bers zu er­rich­ten, denn dem Ar­beit­ge­ber ist es im All­ge­mei­nen nicht zu­zu­mu­ten, dass sei­ne Be­triebs­mit­tel für den Streik ge­nutzt wer­den. In Aus­nah­mefällen können Ge­werk­schaf­ten aber doch auf dem Fir­men­park­platz zum Streik auf­ru­fen, nämlich dann, wenn da­zu vor dem Fir­men­gelände kein Platz ist.

Nähe­re In­for­ma­tio­nen fin­den Sie hier:

Letzte Überarbeitung: 2. August 2020

Weitere Auskünfte erteilen Ihnen gern:

Dr. Martin Hensche
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Kontakt:
030 / 26 39 620
hensche@hensche.de
Christoph Hildebrandt
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Kontakt:
030 / 26 39 620
hildebrandt@hensche.de
Nina Wesemann
Rechtsanwältin
Fachanwältin für Arbeitsrecht

Kontakt:
040 / 69 20 68 04
wesemann@hensche.de

Bewertung:

Auf Facebook teilen Auf Google+ teilen Ihren XING-Kontakten zeigen Beitrag twittern

 

Für Personaler, betriebliche Arbeitnehmervertretungen und andere Arbeitsrechtsprofis: "Update Arbeitsrecht" bringt Sie regelmäßig auf den neusten Stand der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung. Informationen zu den Abo-Bedingungen und ein kostenloses Ansichtsexemplar finden Sie hier:

Alle vierzehn Tage alles Wichtige
verständlich / aktuell / praxisnah

HINWEIS: Sämtliche Texte dieser Internetpräsenz mit Ausnahme der Gesetzestexte und Gerichtsentscheidungen sind urheberrechtlich geschützt. Urheber im Sinne des Gesetzes über Urheberrecht und verwandte Schutzrechte (UrhG) ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht Dr. Martin Hensche, Lützowstraße 32, 10785 Berlin.

Wörtliche oder sinngemäße Zitate sind nur mit vorheriger schriftlicher Genehmigung des Urhebers bzw. bei ausdrücklichem Hinweis auf die fremde Urheberschaft (Quellenangabe iSv. § 63 UrhG) rechtlich zulässig. Verstöße hiergegen werden gerichtlich verfolgt.

© 1997 - 2024:
Rechtsanwalt Dr. Martin Hensche, Berlin
Fachanwalt für Arbeitsrecht
Lützowstraße 32, 10785 Berlin
Telefon: 030 - 26 39 62 0
Telefax: 030 - 26 39 62 499
E-mail: hensche@hensche.de